Buch

Dieses Buch ist eine Anleitung zum Handeln im doppelten Sinne: Die Klima-Aktivistin Jamie Margolin macht uns nicht nur klar, dass es sich lohnt, für eine bessere Welt zu kämpfen. Sie zeigt auch Schritt für Schritt, was es braucht, um erfolgreich für eine Sache einzustehen, interviewt zahlreiche prominente Aktivist:innen und erklärt unkompliziert und mit spürbarer Begeisterung, wie man erfolgreiche Veranstaltungen und friedliche Proteste organisiert, richtig mit den sozialen Medien umgeht, seine Zeit richtig einteilt und langfristige Aktionen sinnvoll angeht, ohne sich und seine Mitstreiter:innen dabei zu überfordern. Ein absolutes Muss für alle, die für eine bessere Welt kämpfen wollen. Im Kleinen, wie im Großen.

Autorin

JAMIE MARGOLIN ist eine der einflussreichsten jungen Aktivistinnen der Welt. Im Alter von 14 Jahren begann sie damit, sich für den Klimaschutz einzusetzen – mit überwältigendem Erfolg in den sozialen Medien. Tausende Jugendliche in und um Washington, D. C. taten es ihr gleich. Im Jahr 2017 gründete sie mit einer Handvoll Mitstreiter:innen die globale Klimaschutzbewegung ›Zero Hour‹. Sie wurde 2019 von der BBC zu den »100 Women Changing the World« gezählt und erhielt für ihre Arbeit zahlreiche Preise und Ehrungen. Jamie Margolin lebt in Seattle.

Jamie Margolin

Youth to Power

Eine Anleitung zum Handeln

Mit einem Vorwort
von Greta Thunberg

Aus dem Amerikanischen
von Annika Klapper und Lisa Kögeböhn

Die amerikanische Originalausgabe erschien 2020 unter dem Titel »Youth To Power. Your Voice and How To Use It« im Verlag Hachette Go, New York.


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Deutsche Erstausgabe Oktober 2020

Copyright der deutschsprachigen Ausgabe: © 2020 by btb Verlag

in der Verlagsgruppe Random House GmbH,

Neumarkter Straße 28, 81673 München

Copyright der Originalausgabe: © 2020 Hachette Go,

a subsidiary of Hachette Book Group, Inc., New York.

This edition published by arrangement with Hachette Go,

New York, USA. All rights reserved.

Copyright des Vorworts: © 2020 by Greta Thunberg

Umschlaggestaltung: semper smile, München

nach einem Entwurf von LeeAnn Falciani unter Verwendung

eines Motivs von © Shutterstock/evgenij_D

Satz: Uhl + Massopust, Aalen

ISBN 978-3-641-27146-6
V001

www.btb-verlag.de

www.facebook.com/btbverlag

Für alle Queer Kids.
Wir sind nicht aufzuhalten.

Inhalt

Vorwort

Dieses Buch ist dein Werkzeugkasten
von Greta Thunberg

Einleitung

Die Welt muss deine Stimme hören

Jamie Margolin, 18, sie/ihr

1 Finde dein Warum

Dein Warum zu finden ist der erste Schritt zum Aktivismus

Juan David Giraldo Mendoza, 19, er/ihm und Alejandro Lotero Cedeño, 18, er/ihm

2 Deine ersten Schritte

Krempel die Ärmel hoch und mach dich an die Arbeit!

Pidgeon Pagonis, 33, they/them (nichtbinär)

3 Politisches Schreiben und Veröffentlichen, um deine Botschaft zu vermitteln

Nutz die Tastatur vor deiner Nase, um gehört zu werden

Devin Halbal, 20, sie/ihr

4 Starte deine eigene Bewegung

Bring deinen Aktivismus auf das nächste Level und baue selbst etwas auf

Pranjal Jain, 17, sie/ihr

5 Sei kreativ – nutze Kunst für deine Sache

Aktivismus auf der Straße und im Atelier

Sofya Wang, 21, sie/ihr

6 Wie organisiere ich ein Event oder eine Aktion?

Fundraisings, Streiks und das Mobilisieren von Mengen

Sara Jado, 18, sie/ihr

7 Das Leben als junge:r Aktivist:in

Wie es sich wirklich anfühlt, junge:r Initiator:in zu sein

Zeena Abdulkarim, 18, sie/ihr

8 Friedlicher Protest

Gegen ungerechte Gesetze verstoßen

Malia Hulleman, 24, sie/ihr

9 Politiker:innen, politische Entscheidungsfindung und Lobbyarbeit – oje!

Wie du deiner Stimme in unseren politischen Institutionen Gehör verschaffst

Hadiya Afzal, 19, sie/ihr

10 Dir gefallen die Nachrichten nicht? Werd selbst zu den Nachrichten!

Alles, was du über die Presse und wie du sie für dich nutzen kannst wissen musst

Andrea Alejandra Gonzales, 18, sie/ihr

11 Verbreite deinen Aktivismus

Wie du soziale Netzwerke als Waffe benutzt, um massive Veränderungen hervorzurufen

Ezra Greyson Wheeler, 20, they/them (nichtbinär)

12 Aktivismus und dein verrücktes Leben

Wenn du in der Mittagspause auf der Toilette ein paar Konferenzanrufe machst …

Navraj Singh, 17, er/ihm

13 Ein Tag im Leben eines:einer jungen Aktivist:in

Wie genau sieht so ein Tag aus?

Daphne Frias, 21, sie/ihr

14 Aktivismus und geistige Gesundheit

Wie du als Aktivist:in gesund bleibst

Greisy Hernandez, 18, sie/ihr

15 Business, Geld und Unternehmen

Wie du als Aktivist:in in der Geschäftswelt agierst

Nupol Kiazolu, 19, sie/ihr

16 Eifersucht, Konkurrenz und Ego

Wenn es so weit kommt, dass du dich mit deinen Verbündeten vergleichst und mit ihnen konkurrierst …

Tokata Iron Eyes, 16, sie/ihr

17 Eine Community aufbauen, um die Welt zu verändern

Das Gegenmittel gegen Hoffnungslosigkeit ist nicht nur Handeln, sondern Zusammenhalt

Iris Fen Gillingham, 19, sie/ihr

18 Die Erfolge früherer Initiator:innen weiterführen

Wie du als junge:r Aktivist:in eine generationsübergreifende Bewegung aufbaust, die etwas verändert

Danksagung

Bibliografie

Vorwort

Dieses Buch ist dein Werkzeugkasten
von Greta Thunberg

Von Jamie Margolin habe ich zum ersten Mal im Mai 2018 gehört. Wir waren eine Gruppe junger Leute, die am Internationalen Aktionstag am 21. Juli eine Zero-Hour-Demonstration in Schweden organisieren wollte. Das war ein paar Wochen, bevor ich mit dem Schulstreik vor dem schwedischen Parlament anfing.

Davor kannte ich praktisch keinen einzigen jungen Menschen, der sich fürs Klima, die Umwelt oder unser Überleben auf diesem Planeten interessierte. Meinem Empfinden nach waren wir, die heutige Jugend, faul und ichbezogen und verschwendeten keinen Gedanken an die Klimakrise und die ökologische Krise. Ich weiß noch, wie allein ich mich gefühlt habe. Es kam mir vor, als würde niemand in meinem Alter erkennen, was um uns herum vorging, geschweige denn, etwas dagegen unternehmen wollen – bis auf Menschen wie Jamie Margolin.

Doch seitdem wurde mir immer wieder das Gegenteil bewiesen. Wie sich herausstellte, ging es unzähligen jungen Menschen genauso wie mir. Unsere Generation wollte die Welt nicht nur verändern, sondern sie retten. Wir wussten bloß nicht, wie. Wir wussten nicht, wie wir unseren Frust und unsere Verzweiflung in etwas verwandeln können, das in die richtige Richtung führt. Und genau dieser Umstand hält uns meiner Meinung nach davon ab, unseren inneren Schweinehund zu überwinden und aktiv zu werden.

Je mehr Menschen ich kennenlerne, je mehr Reisen ich unternehme und je mehr Erfahrungen ich sammele, desto überzeugter bin ich, dass es eine ganz einfache Lösung für die Klimakrise und die ökologische Krise – und viele andere Krisen – gibt: die Menschen.

Allen voran die jungen Menschen. Unsere Macht ist unantastbar. Wir werden das gemeinsam schaffen. Wir müssen nur noch einen Weg finden, unsere Macht und unsere Stärke in Aktivismus umzusetzen.

Den ersehnten Tipping Point werden wir erst dann erreichen, wenn wir, die Jugendlichen, endlich begreifen, was wir gemeinsam bewegen können. Ich weiß, dass es früher oder später so weit sein wird, und tief in deinem Inneren weißt du es wahrscheinlich auch. Die Frage ist nur, wann dieser Tipping Point eintritt, und ob er rechtzeitig eintritt.

Seit der Gründung von Zero Hour ist endlich etwas in Bewegung geraten. Aber noch längst nicht genug. Es hat den Anschein, als kämen wir immer noch nicht richtig voran. Wir brauchen dringend Orientierungshilfe, wie die nächsten – oder für manche vielleicht auch die ersten – Schritte konkret aussehen. Deshalb brauchen wir Bücher wie dieses hier.

Jemand muss uns Werkzeuge an die Hand geben, mit denen wir die Welt verändern können. Und in diesem Buch findest du sie.

Greta Thunberg
12. November 2019

Einleitung

Die Welt muss deine Stimme hören

In finsteren Zeiten wurden Menschen, Bewegungen, ganze Länder gerettet, weil ganz gewöhnliche Menschen den Mut hatten, die Stimme gegen diejenigen zu erheben, die an der Macht waren.

Leider werden wir in unserer Welt nur sehr bedingt zu Widerworten erzogen.

Vom ersten Tag im Kindergarten an bekommen wir gesagt: Sei still, heb die Hand, wenn du etwas sagen willst, hör auf die Obrigkeit, mach deine Arbeit, tanz nicht aus der Reihe und hinterfrage nicht. Lern Informationen auswendig und käue sie auf einem Blatt Papier wieder. Wir bekommen gesagt: Wenn du dich an die Regeln hältst, liegt ein sicherer und freier Weg vor dir. Schreib gute Noten, dann winkt dir der Erfolg. Arbeite hart, dann erwartet dich eine leuchtende Zukunft.

Aber was, wenn es keine Zukunft mehr gibt, für die es sich zu lernen lohnt? Was passiert, wenn deiner Generation nur noch ein Planet bleibt, der aufgrund des Klimawandels schon bald nicht mehr für den Menschen bewohnbar ist?

Dann treffen diese schablonenhaften Regeln, die wir befolgen sollen, auf einmal nicht mehr zu. Der sichere und freie Weg durch das Schulsystem in eine leuchtende Zukunft steht uns in einer durch den Klimawandel veränderten Welt mit ungewissen Aussichten nicht mehr offen.

Und leider wird uns das ganze Auswendiglernen und Regelbefolgen, das wir perfektioniert haben, nicht retten können. Je länger du in einer Welt lebst, in der du nur ein winziges Rädchen in der Maschine bist, desto weniger fällt dir die Ungerechtigkeit auf, die täglich vor deinen Augen geschieht – und desto weniger stellst du sie infrage.

In unserer heutigen Gesellschaft haben viele Erwachsene (natürlich nicht alle, mein großer Dank und Respekt gehen an die indigenen Stammesältesten, die diesen Kampf schon lange vor meiner Geburt ausgefochten haben) den Willen verloren, Dinge zu hinterfragen und zu rebellieren, oder sie haben einfach keine Energie mehr dafür, weil sie es schon ihr ganzes Leben lang getan haben. Versteh mich nicht falsch, die ältere Generation kann viel Weisheit und Erfahrung mit uns teilen, und natürlich brauchen wir generationenübergreifende Bewegungen, um die Welt verändern zu können. Wir dürfen Jung und Alt nicht gegeneinander ausspielen oder das jahrzehntelange Hinarbeiten auf Veränderung vergessen, das vor uns kam. Die Erfolge der älteren Generation zu verleugnen wäre extrem respektlos, außerdem würden wir unserer eigenen Arbeit schaden, wenn wir uns gegen bereits erworbenes Wissen aus der Vergangenheit sperren. Wir Jugendliche stehen auf den Schultern der Weltveränder:innen vor uns, das dürfen wir nie vergessen. Allerdings folgen viele der Maßnahmen, die die Erwachsenen an der Macht im Augenblick gegen die größten Probleme ergreifen, die unsere Generation erwarten, der gleichen repressiven Logik und den gleichen Methoden, die diese Probleme überhaupt erst hervorgerufen haben.

Aber was ist mit uns jungen Menschen? Wir haben weder längst resigniert noch sind wir ausgebrannt. Anders als die meisten Erwachsenen treibt uns noch ungebremster der Teil in uns an, der Fragen stellt, Herausforderungen sucht und sich weigert, den jetzigen Zustand der Welt einfach zu akzeptieren. Wir besitzen frische Energie, Ideen und die einzigartige Macht, unsere Welt zu verändern. In der Schule handeln wir uns meistens Ärger ein, wenn wir die Regeln hinterfragen. Aber vielleicht ist genau dieses Hinterfragen von Regeln unsere größte Stärke.

Es wird oft gewitzelt, dass Jugendliche in der Geschichte immer auf der richtigen Seite gestanden haben. Ich glaube allerdings, das ist kein Witz, sondern die Wahrheit. Die Vergangenheit hat bewiesen, dass wir immer wieder auf der richtigen Seite standen.

Wer hat Martin Luther King geholfen, wichtige Kämpfe für die Bürgerrechte auszufechten, als er im Gefängnis saß und die Hoffnung zu verlieren drohte? Jugendliche. Der Children’s March in Birmingham, Alabama, war in den 1960ern der Wendepunkt der Bürgerrechtsbewegung und führte zum Ende der Rassentrennung.

Wer initiierte die revolutionäre #NoDAPL-Bewegung, um die Dakota Access Pipeline zu verhindern? Jugendliche. Die indigenen Jugendlichen des Sioux-Reservats Standing Rock riefen entgegen der Anweisungen ihrer Stammesältesten eine Bewegung ins Leben, die unseren Kampf gegen die fossile Brennstoffindustrie geprägt und die Native Communitys in bisher nie da gewesenem Maße geeint hat.

Die Stimme der jungen Menschen hat so viel Gewicht, weil wir in nahezu jeder Hinsicht moralisch überlegen sind.

Wir haben kein einziges der repressiven Systeme erschaffen, die uns und unsere Welt mit Füßen treten – wir wurden in sie hineingeboren, ob wir wollten oder nicht. Wir haben keinerlei Hintergedanken.

Wir Jugendliche betreiben keinen Aktivismus aus Eigennutz. Fast niemand von uns verdient Geld mit seinem Aktivismus, und Ruhm ist ebenso selten wie flüchtig.

Wir Jugendliche haben keine korrupten Motive. Wir sprechen die Wahrheit aus, weil wir uns von Herzen wünschen, dass die Welt sich zum Besseren wandelt. Und genau deshalb ist die Stimme der Jugend auch so rein und mächtig, ist es schon immer gewesen und wird es immer bleiben.

Egal, wie sehr die Gesellschaft uns eintrichtert, Regeln blind zu befolgen, wir jungen Menschen durchschauen sofort, wenn man uns Mist erzählt. Die Jugend ist die Stimme der Wahrheit – das war schon immer so. Auch wenn die Erwachsenen, die an der Spitze unserer Gesellschaft stehen, das nur ungern zugeben.

Ich bin Jamie und gehe zur Highschool, ansonsten gibt es gar nicht besonders viel über mich zu sagen. Ich wurde in keine politische Familie von Aktivist:innen hineingeboren und auch in keine reiche. Niemand hat mich an die Hand genommen und mir gezeigt, wie man etwas verändert. Ich war (und bin immer noch) einfach ein Mädchen, das versucht, einigermaßen glatt durch die Highschool zu kommen, aber gleichzeitig habe ich die Korruption und die Unverantwortlichkeit der Politiker satt und will mich nicht damit abfinden, dass meiner Generation nur noch eine im Zerfall begriffene, unbewohnbare Welt bleibt.

Genau dieses Buch hätte ich mir damals gewünscht, als ich vierzehn war, ganz am Anfang meines Weges als Aktivistin stand und keinen blassen Schimmer hatte, worauf ich mich einließ. Jedes Wort auf diesen Seiten enthält den aufrichtigen, ungefilterten Rat einer jungen Aktivistin, die anderen jungen Aktivist:innen eine Anleitung an die Hand geben möchte, und zwar von einer, die in der gleichen Situation war und genau weiß, wie es sich anfühlt.

In diesem Buch findest du meinen Insiderbericht über das Gründen einer Bewegung, die Organisation einer Community, gemeinnützige Organisationen und darüber, wie man Veränderungen bewirkt. Es ist ein Handbuch für junge Weltveränder:innen. Die Welt des Aktivismus kann aufregend und empowernd sein und dir angesichts der vielen Herausforderungen, vor denen du stehst, wieder Hoffnung machen.

Ich habe mich mit so vielen tollen jungen Menschen unterhalten, die so viel zu sagen und der Welt so viel zu bieten hatten und trotzdem überzeugt waren, nicht gut genug zu sein. Diese großartigen Aktivist:innen (deren Worte meine Arbeit positiv beeinflusst haben) waren immer noch der Ansicht, nicht schlau genau, mutig genug oder was auch immer genug zu sein, um die Welt zu verändern.

Wer dir weismachen will, du würdest nicht in die Politik gehören oder hättest nicht das Zeug dazu, für einen guten Zweck zu kämpfen, redet Blödsinn. Du (genau, DU!) gehörst zu uns, zu all den jungen Menschen, die die Welt verändern.

Du bist eine:r von uns. Willkommen.

Meinen Weg zum Aktivismus würde ich um nichts in der Welt eintauschen wollen. Es ist ganz egal, wo auf diesem Weg du dich gerade befindest – ob du dich noch nicht endgültig getraut hast, den großen Zeh ins raue Gewässer des Aktivismus zu stecken oder ob du selbstbewusst und startklar bist und nur noch einen Stupser in die richtige Richtung brauchst. Wenn es dir unheimlich ist, deine gewählten Vertreter:innen anzusprechen oder du dich nicht traust, dich auf Demos oder in deiner Gemeinde zu engagieren, ist das völlig okay! Dass dir nicht ganz wohl dabei ist, die Stimme zu erheben, heißt noch lange nicht, dass das immer so bleiben muss. Auf deinem Weg zum Aktivismus wirst du Verbündete finden, du wirst daran wachsen, lernen und dich weiterentwickeln, und irgendwann wirst du dein Ziel erreichen, das verspreche ich dir. Ich weiß das so genau, weil es mir vor gar nicht allzu langer Zeit genauso ging wie dir. Ich war eine unsichere Vierzehnjährige, voller Angst und Sorge um unsere Welt und ohne den blassesten Schimmer, was ich dagegen tun konnte.

Genau wie ich es mir am Anfang meiner Aktivistinnenkarriere von irgendwem gewünscht hätte, werde ich dir jetzt alles erzählen. Gutes wie Schlechtes. Worauf du aufpassen musst, mit welchen Problemen ich konfrontiert wurde (damit du weißt, wie du sie umschiffst!) und den ganzen unangenehmen Kram, über den ansonsten so gern mit blumigen Worten hinweggegangen wird.

Als chronisch erschöpfte, hausaufgabengeplagte Highschool-Schülerin, die eine internationale Bewegung leitet, habe ich keine Zeit dafür, irgendetwas schönzureden. Du bekommst in diesem Buch außer konkreten Ratschlägen und Strategien die ungeschönten Geschichten aus meinem Leben als junge Weltveränderin und Aktivistin: von der fröhlichen Demonstration vor dem obersten Gericht im bitterkalten, strömenden Regen über den Lobbyisten für fossile Brennstoffe, der mir an die Schulter gefasst und mich »Süße« genannt hat, bis hin zum Umgang mit den vielen Herausforderungen, vor die dich die Arbeit für eine große Organisation stellt. Außerdem habe ich Auszüge aus Interviews mit anderen jungen Aktivist:innen, die mich inspiriert haben, ans Ende eines jeden Kapitels gestellt, damit du einen Eindruck bekommst, wie vielfältig der Kampf für soziale Gerechtigkeit ist. Die kompletten Interviews kannst du im Original (auf Englisch) online auf YouthToPowerBook.com nachlesen. Ich hoffe, diese Geschichten können dir dabei helfen, deinen eigenen Weg zu finden, dich inspirieren und dir Mut machen – und in einigen Fällen auch als Hinweis darauf dienen, was du auf gar keinen Fall tun solltest.

Mein Alltag ist genauso wenig wie der aller anderen Weltveränder:innen eine Montage spektakulärer, mit dramatischer Musik unterlegter Bilder von Demonstrationen. Die Fotos majestätischer junger Menschen bei Triumphmärschen, die in den sozialen Medien gern verbreitet werden, vermitteln nicht einmal ansatzweise den richtigen Eindruck. Mein Leben (und das der meisten anderen jungen Aktivist:innen, die ich kenne und mit denen ich zusammenarbeite) besteht hauptsächlich darin, zwischen Hausaufgaben und Wahlkursen eine Riesenflut von E-Mails abzuarbeiten, und in den Unterrichtspausen auch noch eine Video-Telefonkonferenz nach der anderen an Orten wie dem schummrigen Kostümfundus der Schule zu führen. Das Licht darin ist so schlecht, dass ich mein Handy halten kann, wie ich will, ich habe unweigerlich ein Doppelkinn.

Nimm dieses Buch als Handbuch, um dein Umfeld aufzurütteln, alles zu vergessen, was dir bisher beigebracht wurde, den Status quo infrage zu stellen, deine Stimme zu erheben, dich nicht unterdrücken zu lassen, eine offenere Kultur zu erschaffen, Gesetze zu ändern, und ja, die Welt zu verändern.

Dieses Buch ist das Manifest der Jugendrevolution.

Kritzel rein, mach Eselsohren, lies es von hinten nach vorne, unterstreich mit Textmarker, reiß Seiten raus und häng sie dir an die Wand oder spül sie im Klo runter, wenn es dir dabei hilft, die Informationen besser zu verarbeiten – ich nehm’s dir garantiert nicht übel (oder lass das lieber, nicht dass du deine Toilette verstopfst).

Ich sitze im selben Boot wie du, also werde ich dich garantiert nicht herumkommandieren oder so tun, als wäre ich besser als du oder würde alles wissen. Im Gegenteil, ich lerne immer noch dazu, genau wie du. Gemeinsam schaffen wir das!

Dies ist ein Handbuch für deine eigene Revolution, wie auch immer sie für dich aussehen mag.

Mach mit.

Lies weiter, dann können wir zusammen angriffslustige, unbequeme, entschlossene, unterschätzte Impro-Aktivist:innen sein.

Impro-Aktivist:innen, die am Ende siegen werden.

Jamie Margolin, 18, sie/ihr

Gründerin von Zero Hour, Klägerin bei Our Children’s Trust, Aktivistin für Klimagerechtigkeit, Autorin, Fürsprecherin für LGBTQ+-Jugendliche und queere Frauen

Ich war in der zweiten Klasse, als ich zum ersten Mal versucht habe, etwas fürs Klima zu tun. Schon als kleines Kind hatte ich Dokus über die Klimakrise und Umweltzerstörung gesehen, die mir Angst um meine Zukunft machten. Ich wollte etwas tun, aber ich wusste nicht, was. Also bastelte ich kleine »Green Club«-Buttons und verteilte sie mit den Worten »Macht mit, wenn ihr die Welt retten wollt« an meine Mitschüler.

Mein Umfeld vermittelte mir, ich müsse noch warten, bis ich älter war und einen Collegeabschluss hatte, um etwas in der Welt zu bewirken, deshalb beschränkte sich mein Aktivismus lange Zeit darauf, mit meinen Freunden zu reden und Schulprojekte zu organisieren. Doch das reichte mir nicht. Während der Wahl 2016 wurde mir dann klar, welche Macht und welches Wissen ich besaß, gerade weil ich jung war, und dass ich es satthatte, den Mund zu halten.

In meinem ersten Jahr an der Highschool war ich die jüngste Praktikantin im örtlichen Wahlkampfbüro. Nach der Wahlkampfperiode habe ich mich Gruppen in meiner Gemeinde angeschlossen, die sich der wichtigen, aber wenig glamourösen Aufgabe widmen, Lobbyarbeit bei den gewählten Vertreter:innen und Bewohner:innen ebenjener Gemeinde zu betreiben und sie über die Klimakrise und den direkten Handlungsbedarf eines jeden aufzuklären.

Ich konnte kaum glauben, dass die Erwachsenen meine Meinung respektierten, obwohl ich so jung war, und weitete meinen Aktivismus über die regionale Ebene aus, indem ich eine internationale Jugendorganisation für Klimagerechtigkeit gründete, Zero Hour. Im Sommer 2018 führte Zero Hour den offiziellen Youth Climate March in Washington, D.C., und über fünfundzwanzig Partnerstädten rund um den Globus an. Meine Organisation hat die Schulstreik-Bewegung für das Klima inspiriert und den Grundstein für sie gelegt, und während die Jugendklimabewegung mehr und mehr Öffentlichkeit bekommt, widme ich mich weiterhin der Ursachenforschung, zum Beispiel den repressiven Systemen wie dem Kolonialismus, durch die die Klimakrise überhaupt erst ausgelöst wurde.

Im Laufe dieser verrückten Reise wurde ich außerdem Klägerin bei dem Prozess Aji P. v. State of Washington, den wir mithilfe von Our Children’s Trust gegen die Regierung meines Heimatstaates Washington führen, weil diese meiner Generation ihr in der Verfassung festgelegtes Recht auf eine lebenswerte Umgebung verwehrt. Auch heute noch setze ich mich für Klimagerechtigkeit ein, halte Reden rund um den Globus und versuche, Mitstreiter:innen zu sensibilisieren und zu mobilisieren. Ich habe immer wieder Fehler gemacht, bin gescheitert, und habe es trotzdem immer wieder versucht, habe mir weiter ein Bein ausgerissen und viel von anderen abgeschaut. So habe ich gelernt, was es heißt, Aktivistin, Initiatorin und Organisatorin zu sein. Dieses Wissen will ich an dich weitergeben, damit du es nicht selbst zusammentragen musst. Ich hoffe, mit meinem Buch kann ich dir dieses mühsame Stochern nach Informationen ersparen und dir den Weg zum Aktivismus ebnen.

1

Finde dein Warum

Dein Warum zu finden ist der erste Schritt zum Aktivismus

Der erste und wichtigste Schritt auf dem Weg zum Aktivismus ist, dein Warum zu finden.

Bevor wir dazu kommen, wie man eine Bewegung gründet und organisiert, musst du dir etwas Grundlegendes klarmachen: Warum bist du Aktivist:in, und wofür genau kämpfst du?

Es ist entscheidend, dass du erst einmal in dich gehst und ergründest, wofür du kämpfst, ehe du dich kopfüber ins Getümmel stürzt, und diesen Grund auf deinem ganzen Weg nie aus den Augen verlierst. Ein persönlicher Beweggrund hilft dir dabei, die richtige Richtung einzuschlagen, denn es gibt so viele Organisationen, Gründe, Gruppen und Methoden, um eine Veränderung herbeizuführen, dass man leicht die Orientierung verlieren kann.

Das Warum ist kein konkretes Ziel, sondern das, was dich im tiefsten Innern antreibt. Dein Warum ist etwas, das sich wahrscheinlich nie ändern wird, etwas, wofür du kämpfst, weil du ohne nicht leben kannst.

Es sind weder kurzfristige noch langfristige Ziele. Dein Warum ist keine Medienwirksamkeit, nicht mal die Organisation einer Demo oder das Verhindern einer Pipeline, denn konkrete Ziele ändern sich. Was ist, wenn der Bau der Pipeline gestoppt wird? Die Demo ein Erfolg war? Die Medien deinen Aktivismus gebannt verfolgen – was dann?

Jede:n Aktivist:in treibt ein Warum an. Stell es dir einmal so vor: Jede Demo, an der du teilnimmst, jede Veranstaltung, die du organisierst, jeder Artikel, den du schreibst, jeder Job, den du annimmst oder ablehnst, dient deinem Warum. Für sich genommen ist keins davon ein Ziel. Jede Kampagne, für die du dich engagierst, jede Konferenz, an der du teilnimmst und jede Rede, die du hältst, ist ein winziger Schritt, ein winziges Puzzleteil, Teil der Strategie, mit der du deinem Warum ein Stückchen näherkommen kannst.

Jede einzelne deiner Handlungen muss deinem Warum dienen. Das ist das Geheimnis zum Erfolg. So wirst du langfristig am Ball bleiben und die Veränderung erreichen, nach der du strebst.

Wenn du eines aus diesem Buch mitnehmen sollst, dann dass alle Tipps und Tricks zum Gründen und Organisieren einer Bewegung umsonst sind, wenn du dein Warum nicht gefunden hast.

Also, überleg mal, warum machst du das alles?

Warum bist du Aktivist:in geworden?

Warum engagierst du dich für eine Bewegung?

Warum willst du eine Bewegung ins Leben rufen?

Warum kämpfst du für Veränderung?

Gibt es einen Ort, den du so sehr liebst, dass du es nicht ertragen würdest, ihn zu verlieren?

Gibt es jemand Bestimmtes, für den du kämpfst? Einen einzelnen oder eine ganze Gruppe von Menschen?

Gibt es etwas, das dir oder jemandem aus deinem Umfeld passiert ist und sich niemals wiederholen soll?

Gibt es etwas, womit du lebst, was du durchmachst, das die Welt verstehen soll?

Gibt es jemanden, der:die dir gezeigt hat, dass auch du Teil eines ungerechten Systems warst, und willst du jetzt anderen dabei helfen, sich ebenfalls daraus zu befreien? Weil du oder deine Vorfahren Teil einer Kultur wart, die Unrecht und Unmenschliches zu verantworten hat, und du versuchen willst, das wiedergutzumachen?

Nimm dir Zeit, denk ganz in Ruhe darüber nach. Hetz dich nicht. Du musst dich nicht eine Woche lang allein in deinem Zimmer verschanzen und dir den Kopf zerbrechen, bis dir dein Warum eingefallen ist. Geh auf jeden Fall weiter zu Demos und Kundgebungen oder Treffen deiner Bürgerinitiative. Herauszufinden, was dich antreibt, ist normalerweise ein aktiver Prozess, der Selbstreflexion und Experimentierfreudigkeit erfordert. Du kannst zu allen möglichen Veranstaltungen gehen und ausprobieren, wofür du mit ganzem Herzen und ohne Wenn und Aber zu kämpfen bereit bist. Behalte dabei im Hinterkopf, dass dein Warum nichts Weltbewegendes oder Außergewöhnliches sein muss.

Beispielsweise ist das Warum von Natalie Mebane, einer meiner lieben erwachsenen Mentorinnen, eine Bucht in Trinidad und Tobago, in der sie einen Großteil ihrer Kindheit gemeinsam mit ihrer Familie verbracht hat. Natalie ist Aktivistin für Klimagerechtigkeit, und als ich sie fragte: »Warum engagierst du dich?«, schickte sie mir kommentarlos ein Foto dieser Bucht. Dieser geliebte Ort, der Teil ihrer Identität als karibische Frau ist, die sie mit Stolz erfüllt, ist durch den Klimawandel bedroht. Es würde ihr das Herz brechen, wenn es diesen Ort nicht mehr gäbe. Natalie sagt oft, wenn sie reich wäre, würde sie jede Sekunde ihres Lebens in dieser Bucht in Trinidad und Tobago verbringen. Dafür kämpft sie. Diese Region verliert sie nie aus den Augen, egal womit sie bei ihrer Arbeit als Initiatorin und Organisatorin konfrontiert wird.

Also, begib dich an einen ruhigen Ort, an dem du mit deinen Gedanken allein sein kannst, ohne Ablenkung und Einflüsse von außen. Schalt dein Handy aus und leg los mit deiner Selbstbefragung. Spiel das nervige Kleinkind, das pausenlos Warum fragt. Wenn du dir anfangs nur oberflächliche Antworten gibst, bohr weiter nach, frag »warum«, bis du auf den wahren Grund stößt.

Und jetzt verrate ich dir mein Warum: warum ich Aktivistin für Klimagerechtigkeit bin, warum ich meine Regierung verklage, warum ich die Stimme erhebe. Um den wunderschönen Pazifischen Nordwesten zu schützen. Dort bin ich aufgewachsen, dort lebe ich, seit ich denken kann, dort habe ich dieses Buch geschrieben, und meiner zugegebenermaßen sehr voreingenommenen Meinung nach ist es der schönste Ort der Welt. Obwohl ich in Los Angeles geboren bin, meine Mom aus Kolumbien eingewandert ist und ich vorhabe, an allen möglichen Orten in den Vereinigten Staaten zu wohnen und vielleicht sogar einige Zeit im Heimatland meiner Mutter in Südamerika zu verbringen, wird der Pazifische Nordwesten für immer mein Herzensort bleiben. Die Berge, die Hügel, der Ozean, die Flora und Fauna, die Kultur und das Leben in Seattle sind für mich das Beste auf der Welt. Mein Warum, mein innerster Antrieb, ist, den heiligen Lebensraum des Pazifischen Nordwestens zu verteidigen. Ohne die frische Luft, die gewaltigen immergrünen Nadelbäume, den salzigen Ozean, die Vögel, Lachse, Rehe, Bären, Robben, Orcas und den Geruch der Zedern, wenn es geregnet hat, könnte ich nicht leben.

Ich bin nicht religiös. Aber die Natur des Pazifischen Nordwestens um mich herum zu erleben kommt für mich am ehesten einer Art Spiritualität gleich … und die wird vom Klimawandel bedroht. Das Ökosystem des Ozeans steht vor dem Zusammenbruch, und mit ihm alles wunderbare Leben darin. Die Lachse werden weniger, Orcas sind vom Aussterben bedroht, Robben sehe ich nur noch selten, die Luft ist immer verschmutzter, die Wälder werden zerstört, und das Meer wird durch den hohen Kohlenstoffdioxidgehalt sauer, was nicht nur den Meereslebewesen schadet, sondern auch der ganzen Kultur von Seattle, die stark durch die Ozeanlage geprägt ist.

Du kannst mehrere Warums haben, die unterschiedliche Formen von Aktivismus nach sich ziehen.

Das Warum für meinen LGBTQ+-Aktivismus ist meine Erfahrung als lesbisches Mädchen in einer heteronormativen Gesellschaft (einer Gesellschaft, die Heterosexualität als Norm empfindet). Mein Warum, der Grund dafür, dass ich mich so vehement für meine queere Community einsetze, ist die Tatsache, dass ich durch die Art und Weise, wie unsere Gesellschaft Mädchen wie mich behandelt und negiert, mit Scham, Stress, Depression, Entfremdung und Angst leben musste. Ich möchte eine Welt erschaffen, in der weder ich noch irgendjemand anders so etwas durchmachen muss. Ich möchte, dass sich in dieser Gesellschaft kein queerer Jugendlicher mehr so unterrepräsentiert, unwillkommen und unerwünscht fühlt, wie es bei mir der Fall war und noch heute häufig genug ist. Ich strebe eine Welt an, in der wir vollständige Gleichheit und Freiheit erreicht haben, überall. Anders als das Warum für meinen Klimaaktivismus ist mein LGBTQ+-Aktivismus in meiner Identität und meinen persönlichen Erlebnissen begründet. Mein Antrieb ist offensichtlich und unmittelbar, weil er die Befreiung und letzten Endes auch das Überleben einer unterdrückten Gruppe, der ich angehöre, zum Ziel hat.

Wofür kämpfst du? Was brauchst du zum Überleben? Was wird dir genommen?

Schlag das Buch zu und nimm dir vielleicht vor dem Schlafengehen noch einen Augenblick Zeit, um dich zu fragen: »Wie sieht mein Warum aus?«

Hast du es gefunden?

Gut.

Behalte es immer im Hinterkopf.

Bastele eine Collage, zeichne es, schreib darüber, dreh ein Video für dich selbst. Umgib dich mit sichtbaren Erinnerungen daran, vor allem an deinem Arbeitsplatz. Denn ich kann dir aus eigener Erfahrung sagen, dass der Weg, der vor dir liegt, steinig werden wird.

Aber jetzt weißt du, wofür du das alles auf dich nimmst, und warum sich die harte Arbeit am Ende lohnen wird. Schnall dich an und stürz dich ins Abenteuer!

Juan David Giraldo Mendoza, 19, er/ihm und Alejandro Lotero Cedeño, 18, er/ihm

Klimagerechtigkeitsaktivisten, Fridays for Future Kolumbien

JAMIE: Wie seid ihr Aktivisten geworden?

JUAN: Der kolumbianische Staat wollte die staatlichen Schulen und Universitäten nicht mehr fördern, deshalb habe ich mich den Studierenden angeschlossen und gestreikt. Tausende von Menschen sind auf die Straße gegangen. Sogar Lehrende und Angestellte der Uni haben sich uns angeschlossen. Nachdem der Präsident von Kolumbien die Proteste vier Monate lang ignoriert hat, hat er uns endlich angehört. Andere lateinamerikanische Staaten haben uns unterstützt. Am Ende war der Druck so hoch, dass die Regierung wieder mehr Geld ins Schulsystem stecken musste. Da habe ich zum ersten Mal begriffen, wie viel Macht das Volk hat.

Danach habe ich Elizabeth Kolberts Das sechste Sterben gelesen, ein Buch über die Klimakrise. Ich habe mir das Video von Fridays for Future angeschaut, in dem Greta Thunberg zu Schulstreiks fürs Klima aufruft. Ich war völlig besessen vom Klimawandel, konnte es aber schon bald nicht mehr ertragen und bekam sogar eine Panikattacke deswegen.

Am 15. Januar 2019 saß ich als Erster in Lateinamerika, der fürs Klima streikte, vor der Gobernación de Antioquia. Kurz darauf fing Alejandro in seiner Stadt an zu streiken. Wir haben uns im Internet kennengelernt und gemeinsam Schulstreiks in vielen Teilen Kolumbiens angeregt.

JAMIE: Was war bisher die größte Herausforderung für euch als Aktivisten?

JUAN: Staatliche Gewalt gegen unsere Proteste. Die Einsatztruppe der Polizei heißt hier ESMAD (Mobile Einheit für Aufstandsbekämpfung) und versucht unsere Demonstrationen mit unterschiedlichsten Mitteln zu unterdrücken. Eigentlich haben wir in Kolumbien das Recht zu demonstrieren, aber tatsächlich sind Proteste weder angesehen noch in geschütztem Rahmen möglich. In Bogotà wurden bei einer Demonstration hundert Studierende von einem Lastwagen gehetzt.

Ein großes Problem ist die verzerrte Darstellung in den Medien. Das war bei den Universitätsstreiks ständig der Fall. ESMAD-Beamte griffen uns an und verprügelten uns, und dann haben sie es im Fernsehen so dargestellt, als wären wir die Bösen, und die ESMAD-Beamten hätten bloß ihren Job gemacht. Wir wurden von der Presse kriminalisiert, und das hat die Polizei wiederum als Rechtfertigung genommen, uns noch mehr zu drangsalieren. Der Grund für die Proteste wurde in den Medien konsequent verschwiegen. Wir wurden als »gewalttätige Kids« abgestempelt.

ALEJANDRO: Wir werden bei unseren Streiks auch immer wieder von der Polizei angegangen. Sie wollen nicht, dass wir demonstrieren. Es ist schwer, Leute auf die Straße zu bekommen, und leider kommt es oft vor, dass nur wenige bei den Streiks mitmachen, uns zuhören und sich die Krise bewusstmachen, in der wir stecken. Wenn ich nicht in der Lage wäre, mich emotional davon abzuschotten, könnte ich diese Arbeit nicht machen.