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Dargestellte Personen auf den Titelbildern stehen mit dem Roman in keinem Zusammenhang.
ISBN: 978-3-74098-716-9
»Hoffentlich haben Sie gut aufgepaßt, Mister Parker«, sagte Agatha Simpson, während sie munter weiterging. »Die Gratisproben werden mein Budget spürbar entlasten«, freute sie sich.
»Mylady pflegen immer eine sorgfältige Haushaltsführung und die einschlägigen Angebote des Handels genau zu prüfen«, erwiderte Josuah Parker anerkennend. »In Zukunft decke ich meinen Bedarf nur noch bei günstigen Gelegenheiten«, kündigte die ältere Dame an. »Irgendwo wird immer ein Laden eröffnet.«
Der Butler wurde einer weiteren Antwort enthoben. Sie hatten einen flachen Anbau, der wohl diverse Lager- und Kühlräume des Supermarkts barg, passiert, als ein älterer Mann ihnen förmlich über den Weg stolperte.
»Ich muß mich doch sehr wundern.« Lady Agatha musterte den Gestürzten indigniert und schüttelte heftig den Kopf.
»Möglicherweise hat die Schwäche bestimmte Ursachen«, vermutete Parker und griff nach der Schulter des Gestrauchelten. Überrascht zog er die Hand zurück, aber Mylady bückte sich schon und berührte den Hals des Unbekannten.
»Der Mensch ist ja eiskalt!« wunderte sie sich und sah Parker verdutzt an. »Welche Erklärung habe ich dafür?«
»Über eine solche könnte man vielleicht besser etwas später nachdenken, Mylady«, schlug Parker vor. »Wenn Mylady gestatten, wird man den Gentleman in den Privatwagen meiner bescheidenen Wenigkeit schaffen, um ihm Gelegenheit zum Aufwärmen zu geben. Möglicherweise möchten Mylady auch einige klärende Worte in Shepherd’s Market mit ihm wechseln.«
»Das ist allerdings richtig«, nickte sie und strich sich nachdenklich übers Kinn. »Ich spüre, hier bahnt sich ein neuer Fall an.«
»Dem kann und muß man voll und ganz zustimmen«, bestätigte Parker, während er den Mann mühelos aufhob und zum hochbeinigen Wagen brachte. »Mylady werden das Geheimnis dieses seltsamen Schwächeanfalls umgehend lüften.«
»Es war kein Zufall, daß dieser Mann ausgerechnet mir über den Weg lief, Mister Parker«, war die ältere Dame überzeugt. »In seiner Not hat er instinktiv erkannt, daß ich die einzige bin, die ihm helfen kann.«
»Myladys Wirkung auf die Umwelt ist und bleibt bemerkenswert«, äußerte sich der Butler hierzu ein wenig mysteriös und schloß das ehemalige Londoner Taxi auf, um den unerwarteten Gast vorsichtig im Fond zu betten.
*
»Sir Arthur Trumper?« überlegte Lady Agatha, nachdem sie von Parker über die Identität ihres Gastes aufgeklärt worden war. »Irgendwie kommt mir der Name bekannt vor.«
Der Butler hatte den unterkühlten Neuankömmling zunächst mit einem Grog versorgt und ihm dann ein heißes Bad eingelassen. Als perfekter Vertreter seiner Zunft hatte sich der Butler dann der Kleidung des Gastes angenommen und sie gereinigt und gebügelt. Bei dieser Gelegenheit war ihm zufällig die Brieftasche des älteren Mannes in die Hände geraten und hatte ihn über dessen Identität informiert.
»Mister Trumper ist der Inhaber jener Supermarkt-Kette, deren neue Filiale Mylady besuchten«, frischte Parker das Gedächtnis seiner Herrin auf.
»Richtig, Mister Parker, Trumper Supermarkets, ich wußte doch, daß ich diesen Namen kenne«, nickte sie bestätigend. »Und warum befand er sich in diesem Zustand, Mister Parker, konnten Sie das auch schon herausfinden?«
»Mister Trumper war bislang noch nicht in der Lage, hierüber Auskunft zu geben«, gab der Butler gemessen zurück. »Man hofft, daß ihm das heiße Bad zu einer Besserung verhilft und er danach in der Lage ist, Myladys Fragen zu beantworten.«
»Draußen war es den ganzen Tag über sehr warm«, rekonstruierte sie und sah den Butler nachdenklich an. »Weshalb war der Mann dann so stark unterkühlt, Mister Parker?«
»Eine überaus interessante Frage, Mylady«, sagte Parker. »Möglicherweise hielt sich Mister Trumper im Kühlhaus seines neueröffneten Supermarktes auf und zog sich dort seine Unterkühlung zu.«
»Ein Unfall, Mister Parker?« Lady Agatha schüttelte abwehrend den Kopf, eine solche Erklärung konnte und wollte sie nicht dulden. Ein Unfall hätte keiner intensiveren Aufklärung bedurft und ihren Einsatz überflüssig gemacht. Aber genau darauf legte sie großen Wert.
Ihre Enttäuschung währte nicht lange. Sir Arthur Trumper erschien in der Halle und deutete vor Agatha Simpson eine Verbeugung an.
»Ich muß mich bei Ihnen bedanken, Mylady. Ihre rasche Hilfe hat mich wahrscheinlich vor ernsthaften gesundheitlichen Problemen bewahrt.«
»Das war doch wohl selbstverständlich, mein lieber Pumper«, lächelte sie liebenswürdig. »Bitte nehmen Sie Platz und erklären Sie mir, was mit Ihnen passierte. Ich hoffe, Sie können mir eine interessante Geschichte erzählen.«
»Trumper, Mylady«, korrigierte der Gast mit flüchtigem Lächeln. »Mein Name ist Trumper, nicht Pumper.«
»Aber das macht doch nichts, dafür können Sie ja nicht«, zeigte sie sich großzügig und nahm die Namenskorrektur nicht weiter übel. »Mister Parker wird Ihnen sofort einen Rum gegen eine eventuelle Erkältung servieren, und ich werde mich solidarisch erklären, schließlich sind Erkältungskrankheiten ansteckend. Jetzt sollten Sie mir endlich erzählen, was mit Ihnen passiert ist, mein Lieber!«
Sir Arthur Trumper nahm lächelnd von Parker den Rum entgegen und wartete höflich, bis die Gastgeberin ihm zugeprostet und ihr eigenes Glas an die Lippen gesetzt hatte.
»Ich kann immer noch nicht so recht glauben, was mir zugestoßen ist, Mylady«, seufzte der Supermarkt-Boß und fuhr sich mit einem blütenweißen Tuch über die Stirn. »Dürfte ich übrigens Ihr Telefon benutzen, ich müßte dringend mit der Polizei sprechen.«
»Das dürfte kaum nötig sein, mein Lieber«, wehrte Lady Agatha ab und schüttelte den Kopf. »Ich werde oft von Scotland Yard hinzugezogen, wenn schwierige Fälle anstehen. Nunja«, sie lächelte süffisant, »unter uns gesagt, der Yard wird ganz allgemein überschätzt.«
»Was Sie nicht sagen!« Sir Arthur setzte sein Glas ab und musterte die Hausherrin. »Dann sind Sie also ein weiblicher Sherlock Holmes, wie?!«
»Durchaus, mein Lieber«, behauptete sie nicht ganz unbescheiden und hob die Hände. »Mister Parker wird Ihnen das gerne bestätigen.«
»In der Tat sind Myladys Erfolge auf dem Gebiet der Verbrecherbekämpfung sensationell und suchen ihresgleichen«, pflichtete Parker seiner Herrin bei.
»Ist ja nicht zu fassen!« Sir Arthur staunte immer mehr und strahlte förmlich. »Wenn das so ist, Mylady, werde ich tatsächlich Sie um Ihre Hilfe in diesem Fall bitten, wobei ich natürlich die dabei entstandenen Kosten tragen würde, versteht sich.«
»Das wird im Prinzip nicht nötig, sein, mein Lieber«, wehrte Lady Agatha ab. »Aber gut, wenn Sie darauf bestehen, können Sie Mister Parker nachher einen Scheck geben.«
»Ich habe leider keine bei mir, Mylady, aber mein Sekretariat wird Ihnen umgehend einen zustellen«, bedauerte Sir Arthur. »Überhaupt hat diese vermaledeite Geschichte viel mit Schecks zu tun.«. Er seufzte tief und nahm einen herzhaften Schluck aus seinem Glas.
»Das sollten Sie mir näher erklären, mein Lieber«, forderte die Hausherrin und beugte sich interessiert vor. »Mister Parker wird Ihnen dann anschließend sagen, was ich davon halte.«
»Stellen Sie sich vor, meine Liebe, man hat mich in mein eigenes Kühlhaus gesperrt und gezwungen, große Barschecks auszustellen«, empörte sich Sir Arthur. »Während ich mir fast den Tod holte, haben die Gangster meine Schecks eingelöst und sind mit dem Geld über alle Berge. Und wenn Ihnen die Einlösung der Schecks verweigert worden wäre, hätte man mich einfach erfrieren lassen. Wie finden Sie das?«
Trumper sah Lady Agatha anklagend an und nahm einen neuen Schluck aus seinem Glas.
»Einfach faszinierend«, erklärte die ältere Dame und beugte sich animiert vor. »Ich meine natürlich, faszinierend abstoßend, mein Lieber! Wirklich nicht zu fassen, worauf die Gangster heutzutage kommen. Und wie entkamen Sie dem Tiefkühlhaus?«
»Man hat nach Einlösung der Schecks die Tür geöffnet und mich herausgelassen«, berichtete Sir Arthur. »Gleich darauf haben Sie mich entdeckt und mit in ihr Haus genommen, Mylady.«
»Zum Glück, mein Lieber, zum Glück!« Agatha Simpson rieb sich die Hände und bezog die Äußerung offenbar auf die erfreuliche Tatsache, daß ihr wieder mal ein neuer Fall zugespielt worden war. Sie lehnte sich im Sessel zurück und schloß nachdenklich die Augen. Mylady sah bereits die Gangster vor sich, wie sie in einem Kühlhaus auf eisigem Boden lagen und um Gnade flehten. Die ältere Dame hatte die erklärte Absicht, den neuen Fall mit aller Energie zu verfolgen und die Ganoven ihrer gerechten Strafe zuzuführen. Vorher allerdings sollten die Burschen noch ein wenig abgekühlt werden, beschloß sie mit hintergründigem Lächeln.
*
»Das darf doch wohl nicht wahr sein.« Kathy Porter, die mit Mike Rander aus der Anwaltskanzlei in der nahen Curzon Street herübergekommen war, sah Lady Agatha entgeistert an, nachdem die passionierte Detektivin ihre farbige Schilderung beendet hatte.
»Das ist ja wohl nicht zu fassen.« Mike Rander, der verblüffend an einen bekannten James-Bond-Darsteller erinnerte, schüttelte den Kopf. »Nicht zu glauben, was sich Gangster so alles einfallen lassen.«
»Eine in der Tat bemerkenswerte und recht vielversprechende, neue Methode, Sir«, bemerkte Parker gemessen. »Solcherart behandelte Opfer dürften kaum willens und in der Lage sein, die Ausstellung der gewünschten Schecks zu verweigern.«
»Mir könnte sowas natürlich nicht passieren«, ließ sich die Hausherrin vernehmen. »Abgesehen davon, daß mich die Strolche niemals in ein Kühlhaus bekämen, würde ich unter keinen Umständen Schecks ausstellen! So kalt könnte mir gar nicht sein, daß ich mein gutes Geld leichtfertig an Ganoven verschwende.« Sie nickte und war felsenfest überzeugt, auch in einer solchen Situation nicht weich zu werden.
»Ich weiß nicht, Mylady«, wiegelte Kathy Porter ab. »Ich könnte mir durchaus vorstellen, daß diese Methode auch Hartgesottene weich werden läßt.«
»Mich nicht, Kindchen, mein Wort darauf!« Lady Agatha winkte energisch ab und schüttelte den Kopf. »Alles ist eine Frage der Selbstbeherrschung, weiter nichts.«
»Hoffentlich kommen Sie nicht in die Verlegenheit, Ihre Selbstbeherrschung beweisen zu müssen«, kommentierte Mike Rander. »Ich wünsche Ihnen bestimmt nicht, als Eiszapfen Verwendung zu finden.«
»Dazu wird es nicht kommen, mein lieber Junge«, verkündete die Detektivin selbstbewußt. »Ich werde diesen Gefrier-Gangstern das kalte Handwerk legen, und zwar umgehend.«
Bevor sie weitersprechen konnte, schlug das Telefon an. Parker begab sich gemessenen Schrittes zum Apparat.
Er nahm ab, meldete sich formvollendet und hörte einen Augenblick schweigend zu. Dann tastete seine Rechte unter eine Platte und drückte einen dort verborgen angebrachten Knopf, der eine Tonaufzeichnungsanlage in Gang setzte und gleichzeitig die Stimme des Anrufers über diverse Lautsprecher in den Raum übertrug.
»Könnten Sie möglicherweise noch mal Ihr Anliegen wiederholen, Sir?« bat der Butler, während er sich zu seiner Herrin umwandte und durch eine Verneigung um Verständnis für die Maßnahme bat.
Lady Agatha richtete sich auf und nickte, während sie sich etwas vorbeugte und auf die Lautsprecherstimme konzentrierte.
»Hier spricht der Eisbär«, verkündete eine Männerstimme und lachte amüsiert. »Ich bin doch recht bei einer gewissen Lady Agatha Simpson, oder?«
»In der Tat, Sir.« Parkers Stimme klang höflich und gelassen wie stets, obwohl auch er den Namen des Anrufers als ein wenig ungewöhnlich empfand.
»Und Sie sind dieser komische Butler, der den alten, schrottreifen Schlitten fährt, stimmt’s?« Der Anrufer lachte erneut und fuhr mit eindringlicher Stimme fort: »Hören Sie gut zu, Mann, und merken Sie sich, was ich Ihnen jetzt erkläre. Es ist sehr wichtig, denn wenn nicht alles so läuft, wie ich es wünsche, könnte es ihrer Lady verdammt schlecht gehen, kapiert?«
»Könnten Sie etwas deutlicher werden, Sir?« bat Parker, ohne eine Miene zu verziehen. Als hochherrschaftlichen britischen Butler erschütterte ihn grundsätzlich nichts.
Lady Agatha hatte sich aus ihrem Sessel gestemmt und war neben Parker getreten. Sie hatte die Fäuste in die Hüften gestemmt und machte einen angeregten Eindruck, wie ihre funkelnden Augen und die über die Lippen huschende Zunge zeigten.
»Ich hab sie beide am Vormittag beobachtet, draußen auf dem Parkplatz hinter dem Supermarkt«, fuhr der unbekannte Anrufer fort. »Sie haben einen älteren Mann eingeladen, der etwas unterkühlt war. Sie haben also gesehen, in welchem Zustand sich der arme Teufel befand. Genauso wird es Ihrer Lady gehen, wenn sie nicht meinen Anweisungen folgt. Sie steht nämlich ebenfalls auf der Liste!«
»Die welcher Art ist, Sir?« erkundigte sich Parker gemessen.
»Ganz einfach«, erläuterte der sogenannte Eisbär bereitwillig. »Ich habe die vermögenden Leute hier in London aufgelistet und werde sie der Reihe nach um eine kleine Spende bitten. Eigentlich ist Ihre Lady noch nicht dran, aber da sie nunmal zufällig mitbekommen hat, wie ich arbeite, ziehe ich sie halt vor.«
»Mylady wird dies sicher zu würdigen wissen«, vermutete Parker. »Könnten Sie etwas deutlicher werden, was Ihr Anliegen betrifft?«
»Aber klar doch, Mann. Hören Sie gut zu: Ihr Lady wird mir einen Barscheck über hunderttausend Pfund ausstellen, sie hat’s ja wie ich erfahren habe. Diesen Scheck werde ich durch einen Boten, der nicht weiß, um was es geht, morgen früh abholen lassen. Ein weiterer Bote wird den Scheck einlösen und das Geld an einem von mir festgelegten Ort deponieren. Das ist eigentlich schon alles.«
»Sie haben eine Forderung gegen Mylady, die Ihren Wunsch nach besagtem Scheck rechtfertigt, Sir?« fragte der Butler ungerührt.
»Eher eine Begründung, Mann«, lachte der sogenannte Eisbär, »nämlich die: Kommt Ihre Chefin meiner Forderung nicht nach oder kommt sie auf den Einfall, den Scheck sperren zu lassen, landet sie wie der Supermarkt-Mensch in einem Kühlhaus und wird zu einem Eiszapfen verarbeitet! Klar?«
»Durchaus, Sir. Gestatten Sie aber meiner bescheidenen Wenigkeit eine weitere Frage: Weichen Sie nicht von Ihrem bewährten Prinzip ab, den Scheckaussteller während des Einlösevorgangs solange tiefgekühlt zu verwahren, um Ihrem Anliegen einen gewissen Nachdruck zu verleihen und sich ein bemerkenswertes Maß an Sicherheit zu verschaffen?«
»Sehr richtig, Mann, aber ich denke, in diesem Fall kann ich mir das leisten. Ich meine, die alte Dame wird doch vernünftig sein, nachdem sie den Supermarkt-Heini gesehen hat, oder? Ich kann mir nicht vorstellen, daß ’ne alte Schachtel die Nerven hat, sich da noch zu sträuben.«
Agatha Simpson schnaufte empört auf und riß Parker den Hörer aus der Hand. Der Ausdruck hatte sie herausgefordert und ihr Blut in Wallung gebracht.
»Jetzt hören Sie mir mal gut zu, Sie komischer Eisheiliger oder wie immer Sie sich nennen. Ich werde Sie ausfindig machen und Ihnen die Hammelbeine lang ziehen. Anschließend friere ich Sie ein, damit Sie selbst mal merken, wie das ist. Haben Sie mich verstanden, Sie Subjekt?«
Einen Moment war es am anderen Ende der Leitung still, dann meldete sich der ›Eisbär‹ wieder, dessen Stimme deutlich an Forschheit verloren hatte, dafür aber ein wenig gereizt klang.
»Na schön, wie Sie wollen, Lady, aber beschweren Sie sich nicht über die Folgen«, brüllte er und warf den Hörer auf die Gabel.
»Was sage ich dazu«, beschwerte sich die Hausherrin und sah sich indigniert um. »Dieser Lümmel wagt es, einfach aufzulegen, obwohl ich noch gar nicht fertig mit ihm bin.«
»Ein bedauerlicher Verfall der guten Sitten«, bestätigte Parker und legte seinerseits den Hörer auf, den ihm seine Herrin reichte. »Immerhin dürften Mylady jetzt wissen, wie Myladys neuer Gegner sich zu nennen beliebt.«
»Eisbär, lächerlich, Mister Parker!« grollte sie und ließ sich wieder in ihrem Sessel nieder. »Ich werde diesem Subjekt das Fell über die Ohren ziehen. Lassen Sie sich dazu etwas Hübsches einfallen, Mister Parker!«
*
Die vier jungen Männer machten einen unverfänglichen Eindruck und schienen voll in ihr Ballspiel vertieft zu sein. Sie hatten sich die schmale Zufahrtsstraße ausgesucht, die von dem kleinen Vorplatz in Shepherd’s Market in Richtung Innenstadt führte, und jagten schreiend hinter dem Ball her.
»Ach ja, Mister Parker, das ist der Übermut der Jugend«, seufzte Agatha Simpson entsagungsvoll und lehnte sich bequem in ihrem Sitz zurück. Sie saß im Fond von Parkers hochbeinigem Monstrum und war auf dem Weg zu ihrer Stamm-Videothek, wo sie noch einige spannende Streifen für das bevorstehende Wochenende ausleihen wollte. Mylady gedachte in absehbarer Zeit ein aufsehenerregendes Drehbuch zu schreiben und studierte die erforderliche Technik intensiv anhand von Videofilmen.
Parker verzichtete auf eine Antwort und horchte auf seine innere Alarmanlage, die sich unüberhörbar meldete. Als er seinen Privatwagen in die Zufahrtsstraße steuern wollte, passierte es: Der Ball schoß quer über die Straße auf Parkers hochbeiniges Monstrum zu, flog gegen die Windschutzscheibe, prallte zurück und verschwand hinter einem dichten Gebüsch am Straßenrand.
Die vier Kicker starrten einen Augenblick hinter ihrem Ball her, dann setzte sie sich wie auf ein geheimes Kommando hin in Bewegung und kamen näher.
Der vorderste Freizeitsportler hatte das ehemalige Taxi erreicht und legte seine Hand auf den Griff der Fahrertür, um sie aufzureißen. Parker hatte dies jedoch geahnt und die Zentralverriegelung betätigt.
Der Fußballer, der bei näherem Hinsehen nicht mehr so jung wie aus größerer Entfernung wirkte, starrte auf die sich widerspenstig gebende Klinke und schüttelte verärgert den Kopf. Dann nahm er die andere Hand zu Hilfe und rüttelte zweihändig am Türgriff.
Die übrigen drei Männer hatten sich ebenfalls eingefunden und umringten Parkers Gefährt. Sie hatten sich auf die diversen Türen verteilt und rüttelten vereint.
»Ist das etwa ein Überfall, Mister Parker?« erkundigte sich Lady Agatha und blickte empört nach draußen. Sie nickte dem Mann, der sich an ihrer Tür abmühte, wohlwollend zu und schenkte ihm plötzlich ein strahlendes Lächeln, das den Störenfried irritierte.
»Davon sollte man ausgehen, Mylady«, gab Parker würdevoll zurück. »Die Herren Fußballer dürften sich hier keineswegs zufällig eingefunden haben, sondern von einem gewissen Eisbär geschickt worden sein.«
»Er wird also bereits nervös«, freute sich die energische Lady. »Das wundert mich nicht, Mister Parker, er wird inzwischen wissen, mit wem er es zu tun hat und bereut wahrscheinlich schon, sich mit mir angelegt zu haben.«
»Myladys Name wird in der ganzen Unterwelt gefürchtet«, stimmte Parker seiner Herrin zu, während er einen Hebel auf dem reichhaltig ausgestatteten Armaturenbrett betätigte. »Auch der sogenannte Eisbär wird noch erfahren müssen, daß Myladys abschreckender Ruf in der kriminellen Szene nicht zu Unrecht besteht.«
»Wie recht Sie haben, Mister Parker!« freute sich Agatha Simpson. »Und jetzt sollten Sie diese Lümmel etwas aufmuntern, wenn ich bitten darf.«
»Myladys Wunsch geht unverzüglich in Erfüllung.« Parker hatte durch das Umlegen des Hebels die bordeigene Übertragungsanlage eingeschaltet, die eine Verständigung der Wageninsassen mit Außenstehenden ermöglichte, ohne daß die Scheiben heruntergelassen oder die Türen geöffnet wurden.
Ein unsichtbar am Wagenboden angebrachter Lautsprecher übertrug Parkers Stimme ins Freie.
»Kann man den Herren behilflich sein?« wandte er sich an den Mann neben seiner Tür, der wütend zu ihm hereinstarrte.
»Sie haben absichtlich unseren Ball mit Ihrem Wagen in die Büsche befördert. Machen Sie das Fenster auf, damit wir über Schadenersatz reden können, Mann!« forderte der aufgebrachte Pseudo-Sportler neben der Fahrertür des hochbeinigen Monstrums.
»Eine Verständigung ist auch ohne direkten Kontakt möglich«, lehnte Parker dieses Ansinnen höflich ab. »Darf man davon ausgehen, daß die sportliche Betätigung der Herren nur ein Vorwand war, um sich im Auftrag eines gewissen Mister Eisbär mit Mylady und meiner bescheidenen Wenigkeit anzulegen?«
»Eisbär? Wer soll das denn sein? Was für ein seltsamer Name?« wunderte sich der Freizeitsportler und tat so, als würde er sich abwenden. Eine Sekunde später wirbelte er herum und hielt einen kurzläufigen Revolver in der Hand, dessen Mündung gegen die Scheibe an Parkers Seite gepreßt würde.
»Schluß jetzt mit dem blöden Gerede«, kündigte er an und grinste hinterhältig. »Jetzt reden wir Fraktur, Mann! Runter mit der Scheibe, aber ’n bißchen dalli, oder es knallt, klar?«
»Durchaus, Sir. Sie drückten sich mit bewundernswerter Klarheit aus«, stimmte Parker ihm zu und lüftete höflich seine Melone. Im Rückspiegel sah er, daß auch die anderen Fußballer inzwischen Waffen in Händen hielten und damit ins Innere des Wagens zielten. Ihre Mienen verhießen nichts Gutes.
»Dürfte man mit einem Hinweis dienen, Sir?« fragte Parker, ohne sich aus der Ruhe bringen zu lassen.
»Fenster runter oder Türen auf! Nichts sonst«, forderte der Mann neben seiner Tür. »Mach schon, Opa, wenn dir dein Leben lieb ist, ich hab ’n nervösen Zeigefinger, und meinen Kumpeln geht’s ähnlich.«
»Sie sollten sich deshalb in acht nehmen, Sir«, erklärte Parker gemessen. »Meine Wenigkeit ist bestrebt, Sie und Ihre Begleiter vor körperlichen Schäden zu bewahren.«
»He, was soll das, Mann, was redest du da fürn Unsinn?« wollte der Mann wissen und tippte mit der Mündung seiner Waffe mehrmals gegen die geschlossene Scheibe.
»Es steht Ihnen natürlich frei, auf Mylady und meine bescheidene Wenigkeit zu schießen«, ließ sich der Butler höflich vernehmen. »Allerdings dürfte dies unangenehme Folgen in Form von Querschlägern haben. Die Scheiben bestehen aus Panzerglas, welches mit Sicherheit den Geschossen Ihrer Waffen gewachsen ist.«
»Panzerglas?« Der Mann neben Parkers Tür musterte den Butler stirnrunzelnd und sah sich unschlüssig nach seinen Kumpanen um.
Die Freizeit-Kicker beschlossen, Parkers Aussage zu überprüfen und drehten ihre Waffen um.
Sie hieben mit den Kolben gegen die Seitenscheiben des ehemaligen Londoner Taxis und mußten einsehen, daß der Butler sie keineswegs falsch informiert hatte.
Die zu Schlaginstrumenten umfunktionierten Waffen prallten zurück und unterzogen sich dabei die Handgelenke ihrer Halter einer gewissen Belastungsprobe. Die vier Männer stöhnten unisono und sahen ein, daß sie den Scheiben des seltsamen schwarzen Kastens nicht gewachsen waren.
Die Kerle steckten ihre Waffen wieder ein und stürzten sich wie auf ein geheimes Kommando hin erneut auf die Türklinken des hochbeinigen Monstrums.
Auf diesen Moment hatte der Butler nur gewartet. Seine schwarzbehandschuhte Linke glitt über das mehr als reichhaltig ausgestattete Armaturenbrett und legte dort einen unscheinbar aussehenden Hebel um.
Daraufhin tat sich Erstaunliches. Die jungen Männer, deren Hände sich um die Türklinken des schwarzen Wagens krampften, schrien entsetzt auf und warfen die Beine in die Luft. Ihre Körper zuckten konvulsivisch zu einer geheimnisvollen, stimulierenden Melodie, die jedoch nur sie allein hören konnten. Die Burschen bogen sich, verrenkten die Glieder und stöhnten leidenschaftlich.
Lady Agatha blickte aus dem Fenster und beobachtete wohlwollend die Bemühungen des jungen Mannes neben ihr, zur Unterhaltung beizutragen.
»Sehr schön, Mister Parker«, freute sie sich. »Der kleine Trick ist doch immer wieder sehr wirkungsvoll, finden Sie nicht auch?«
»In der Tat, Mylady.« Parker wußte natürlich, wovon seine Herrin sprach. Der ›kleine Trick‹, den sie erwähnt hatte, bestand in einer recht simplen technischen Vorrichtung, die es dem Fahrer des hochbeinigen Monstrums ermöglichte, die Türklinken unter Strom zu setzten.
Es handelte sich dabei im Prinzip um jenes System, wie es auch auf dem Land verwendet wurde, um unternehmungslustigen Rindern die Grenze ihrer Weiden anzuzeigen. Der dabei eingesetzte Gleichstrom war selbstverständlich ungefährlich, erzeugte jedoch starke und unangenehme Impulse, die jedes Lebewesen, das damit in Berührung kam, nachhaltig zur Ordnung rief.
Das empfanden auch die vier jungen Hobby-Fußballer. Sie hatten sich inzwischen für eine neue Trainingseinheit entschieden und hüpften mehr oder weniger gleichmäßig auf und ab, wobei ihre Bewegung allerdings noch einer gewissen Koordination bedurften. Dazu stießen sie spitze Schreie aus und machten alles in allem einen aufgekratzten Eindruck.
»Das sieht schon recht ordentlich aus, Mister Parker«, fand Lady Agatha. »Ich habe den Eindruck, daß die Herren ein wenig müde werden. Sie können doch sicher noch etwas mehr Saft geben, nicht wahr?« erkundigte sie sich hoffnungsvoll und mit einem gewissen Anflug von Schadenfreude in der Stimme.
»Dies ist leider nicht möglich, man hat bereits die höchstverträgliche Stromstärke eingespeist«, bedauerte Parker höflich. »Möglicherweise wollen Mylady die Herren jedoch in Shepherd’s Market einem eingehenden Verhör unterziehen, um Näheres über ihre Auftraggeber zu erfahren?«
»Nun gut, Mister Parker, warum eigentlich nicht? Aber ich sage Ihnen gleich, ich habe nicht die Absicht, die Lümmel tagelang durchzufüttern. Ich werde sie kurz, aber eindringlich befragen. Danach werden sie wieder an die frische Luft gesetzt. Sie wissen, mein Haushaltsbudget ist begrenzt, ich kann mir Gäste im Grund überhaupt nicht leisten.«
»Man wird diesem Umstand Rechnung zu tragen wissen und die Herren sofort nach Myladys Verhör in die Freiheit entlassen«, versprach Parker, während er den bewußten Schalter erneut betätigte und damit die Stromversorgung der Türklinken unterbrach.
Die Kerle sanken erschöpft neben dem Wagen auf den Boden und gaben sich einem kleinen Schwächeanfall hin.
Sie merkten nicht mehr, daß der Butler ausstieg und sie mit zähem Klebeband versorgte, wie es in der Industrie zum Verschließen von Kartonagen verwendet wurde. Dieses Band legte sich ausgesprochen liebevoll um Fuß- und Handgelenke und bewahrte die entnervten Kicker vor unbedachten Bewegungen.
*
»Das is Freiheitsberaubung, dafür geh’n Sie und die komische Lady in ’nen Bau«, beschwerte sich einer der Hobby-Fußballer, nachdem Parker den Lunch serviert hatte. Die vier Gefangenen hielten sich in einem kleinen, sehr ansprechend eingerichteten Appartement auf, das noch eine Etage unter den eigentlichen Kellerräumen des altehrwürdigen Fachwerkhauses in Shepherd’s Market lag.
Dieses tiefe Kellergeschoß war nach den sehr speziellen Plänen des Butlers eingerichtet worden, der dazu eigens einen Handwerkertrupp aus Südeuropa hatte einfliegen lassen. Nur wenigen Eingeweihten war die Existenz dieser unterirdischen Anlage überhaupt bekannt.
»Die Interpretation Ihrer Anwesenheit dürfte nicht ganz zutreffend sein, Sir«, bemerkte der Butler, während er sich davon überzeugte, daß alles in Ordnung war und es an nichts fehlte. »Betrachten Sie sich als Gäste des Hauses, die Myladys Einladung freudig gefolgt sind. Dies dürfte entschieden zutreffender sein, Mister Markham.«
»Sie kennen mich?« wunderte sich der Mann und vergaß umgehend, noch mal auf das Thema ›Freiheitsberaubung‹ einzugehen. »Woher wissen Sie meinen Namen?«
»Nachdem Sie einen kleinen Schwächeanfall erlitten hatten, erlaubte sich meine Wenigkeit, Ihnen Erste Hilfe angedeihen zu lassen, Sir. Dabei muß Ihnen die Brieftasche entfallen sein, so daß man gezwungen war, Ihre Identität zur Kenntnis zu nehmen.«
»Sie haben mich gefilzt, Mann, das is ’ne Schweinerei«, beschwerte sich Tony Markham, wie der Mann laut Führerschein und Ausweis hieß, und funkelte den Butler wütend an.
»Sie sollten sich Ihrem Essen widmen, Sir, dessen Qualität möglicherweise bei Temperaturverlust leiden könnte, wenn man darauf hinweisen darf«, empfahl Parker ungerührt.
»Das wird Ihnen noch leid tun, Mann, das garantiere ich Ihnen«, knurrte Markham und attackierte ein Stück Fleisch so heftig, daß es über den Rand des Tellers rutschte und auf dem Tisch liegenblieb.
»Sie bauen dabei möglicherweise auf die Unterstützung des sogenannten Eisbären?« erkundigte sich Parker höflich. »Diese Hoffnung könnte sich indessen als trügerisch erweisen, Sir.«
»Wieso denn?« wollte einer der anderen wissen, dessen Papiere ihn als einen gewissen Jim Hancock ausgewiesen hatten. »Warum sollte uns der nicht aus der Patsche helfen, he?«
»Halt die Klappe, du Idiot, merkst du nich, wie der uns ausschnüffelt?« fuhr ihn Markham an. »Jetzt weiß er, für wen wir arbeiten, dank deiner Dämlichkeit.«
»Das wußte man ohnehin, Sir«, stellte der Butler klar. »Die Verbindung zwischen Ihnen und dem sogenannten Eisbären ist einfach zu offensichtlich.«
»Blödsinn, Mann, das saugen Sie sich doch alles aus ’n Fingern«, ereiferte sich Tony Markham. »Sie wissen nix, das is doch sonnenklar.« Er nickte eifrig und sah seine ›Kollegen‹ beifallheischend an, aber die verzichteten auf eine Bestätigung und widmeten sich lieber ihrem Essen.
»Lassen Sie uns gehen, Mann, oder ’s gibt jede Menge Ärger.«
»Mylady hat hinsichtlich Ihrer werten Personen bereits eindeutige Entscheidungen getroffen«, bedauerte Parker. »Eine umgehende Freilassung gehört nicht dazu. Seien Sie aber versichert, daß man alles tun wird, um Ihnen Leid zu ersparen.«
»Mir wird schlecht«, meldete sich der Mann, der bislang noch nichts gesagt hatte, zu Wort. Er hieß Gene Walters und galt innerhalb des Quartetts als der hartgesottenste.
Bevor Parker antworten konnte, wurde die Tür des kleinen Appartements aufgestoßen. Lady Agatha trat schwungvoll ein. Sie schien bester Laune zu sein und sprühte vor Tatendurst.
»Nun, Mister Parker, haben meine lieben Gäste ihre Henkersmahlzeit genossen?« dröhnte sie mit ihrer baritonal gefärbten Stimme. »Ich habe einiges vor, fangen wir also an!«
*
»Wußten Ihre Gäste Interessantes zu berichten?« erkundigte sich am Abend Mike Rander, der sich stets ein wenig lässig gebende Anwalt und Vermögensverwalter der Lady. Er war mit Kathy Porter zum Dinner aus der nahen Curzon Street herübergekommen und hatte gespannt Agatha Simpsons außerordentlich farbiger Darstellung der Szene mit den vier jungen Männern gelauscht, als diese an den Türklinken von Parkers Privatwagen gymnastische Übungen absolvierten. Die Hausherrin wollte gerade dazu übergehen, ihr Verhör zu schildern, als Josuah Parker die Gedecke abtrug.
»Sie kennen doch Mister Parker, mein lieber Junge, der Mann neigt immer wieder zu Rücksichtnahme und Gefühlsduselei gegenüber Gangstern«, beschwerte sie sich und schüttelte resignierend den Kopf. »Er hat wieder mal verhindert, daß ich diese Strolche so richtig ins Gebet nehmen konnte.«
»Schon wieder, Mylady?« wunderte sich Kathy Porter und zwinkerte Mike Rander vergnügt zu. Sie kannte das leidige Problem und hörte immer wieder gern, wenn sich die Hausherrin darüber ausließ. »Was hat der gute Parker denn diesmal angestellt?« schloß sich Mike Rander an und zwinkerte dem Butler zu, der gerade in die große Wohnhalle zurückkam und sich daran machte, die Gläser nachzufüllen.
»Ich hatte mir etwas besonders Hübsches ausgedacht«, grollte Lady Agatha nachträglich. »Aber nein, Mister Parker hatte wieder seine üblichen Skrupel!«
»Und was hatten Sie geplant, Mylady?« erkundigte sich Mike Rander grinsend. Er kannte Myladys Einfallsreichtum in Sachen Verhörtechnik und wurde nicht enttäuscht.
»Nun ja, ich wollte die Lümmel ein bißchen einfrieren«, lächelte Lady Agatha versonnen. »Ich dachte, das wäre zu diesem Fall besonders passend.«
»Und wie wollten Sie das anstellen, Mylady?« Kathy Porter hatte ihr Glas abgestellt und beugte sich etwas vor, um nichts zu verpassen.
»Erzählen Sie bitte weiter, Mister Parker«, forderte die Hausherrin den Butler auf. »Ich rege mich sonst nur wieder über die entgangene Chance auf.« Sie ergriff ihr Glas, das ein vorbeugendes Mittel gegen Grippe enthielt und zu acht Zehntel aus Rum und einem geringen Rest Tee bestand, und nahm einen herzhaften Schluck.
»Mylady hatte zu diesem Zweck bereits eine der großen Tiefkühltruhen ausgeräumt, die man erst kürzlich anläßlich der Eröffnung eines Elektro-Fachmarkts sehr günstig erstanden hatte«, berichtete Parker. »Mylady gedachte, die Herren nacheinander in besagter Truhe zu deponieren, und ihnen das Frösteln zu lehren, wie sie ankündigte.«
Mike Rander sprang auf und zog sein Taschentuch aus der Hosentasche, um kräftig zu hüsteln. Er tarnte damit einen mittelschweren Lachanfall, der ihm bei Parkers Bericht zu schaffen machte. Auch Kathy Porter sah sich genötigt, aufkommende Heiterkeit zu verbergen und erhob sich, um sich ans Fenster zu begeben und interessiert hinauszusehen.
»Ich entsinne mich, Sie haben erst vor kurzem drei Riesentruhen erstanden«, bemerkte Mike Rander schließlich, der sich gefangen hatte und seinen alten Platz wieder einnahm.
»Sehr richtig, mein lieber Junge, das war ein außerordentlich günstiger Kauf, an dem ich einfach nicht vorbeigehen konnte«, trumpfte die Hausherrin auf und nickte energisch.
Seit geraumer Zeit studierte sie täglich die Händler-Angebote, um sich bei verlockenden Offerten mit Parker auf den Weg zu machen und zuzuschlagen. Dabei kam es ihr darauf an, zu günstigen Preisen zu kaufen, gleich, ob sie den betreffenden Gegenstand nun brauchte oder nicht. Auf diese Art hatte sie bereits ein ansehnliches Warenlager erworben, das Parker in den Kellerräumen gesammelt hatte.
»Und Mister Parker war dagegen?« wunderte sich Kathy Porter und schüttelte ihrerseits den Kopf, um Lady Agatha zu animieren.
»Unverständlich, die Skrupel, die Mister Parker hartgesottenen Totschlägern gegenüber an den Tag legt«, regte sich die Hausherrin künstlich auf. »Dabei hatte ich den ersten Lümmel schon in die Truhe gehievt.«
»Einfach so, Mylady?« wunderte sich Mike Rander. »Hat er keine Schwierigkeiten gemacht?«
»Nun ja, natürlich hat sich das Subjekt geziert«, erinnerte sich die Detektivin und lachte. »Aber ich habe den Kerl dann doch überredet, in die Truhe zu steigen. Zwar hat er geschrien, aber das hat man nicht mehr gehört, nachdem ich den Deckel geschlossen hatte.«
»Puh, das muß ja grauslich gewesen sein«, schüttelte sich Kathy Porter bei dem Gedanken, in einer dunklen Gefriertruhe zu sitzen.
»Und was passierte dann?« erkundigte sich Mike Rander gespannt.
»Mister Parker hatte den Stecker herausgezogen«, empörte sich Lady Agatha nachträglich. »Ich hatte die Truhe auf Tiefsttemperatur eingestellt, und dann zieht man einfach den Stecker heraus und sabotiert mein Verhör.« Die ältere Dame schüttelte indigniert den Kopf und warf dem Butler einen mißbilligenden Blick zu.
Parker zeigte bei der Anschuldigung keinerlei Gefühlsregung. In seinem glatten, unbewegten Gesicht rührte sich kein Muskel. Er verneigte sich formvollendet vor seiner Herrin und bat sie mit höflicher Stimme um Entschuldigung. »Ein peinliches Versehen, Mylady, das man aufrichtig bedauert«, erklärte er. »Meine Wenigkeit muß versehentlich den Stecker aus der Dose gezogen haben. Ein alter, müder und relativ verbrauchter Mann bittet um Nachsicht.«
»Sabotage, Mister Parker, nichts sonst«, grollte die Lady und hob ihren Zeigefinger. »Aber gut, ich werde Ihnen noch mal verzeihen.«
»Mylady sind einfach zu gütig«, bedankte sich der Butler. »Man hofft, sich Myladys Gnade würdig zu erweisen.«
»Schon gut, Mister Parker, Sie wissen ja, ich bin nicht nachtragend«, erklärte sie erstaunlich friedfertig und winkte ab. »Zum Glück haben die Lümmel mich förmlich angebettelt, mir alles erzählen zu dürfen.«
Sie lächelte versonnen und verschränkte die Arme über der Brust. »Allerdings habe ich auch Mister Parker angewiesen, eine Schaufensterpuppe zu präparieren und bereitzuhalten. Und die Dame hat voll eingeschlagen, kann ich sagen!«
»Wie das?« wollte Kathy Porter wissen, die bereits ahnte, wie es weitergegangen war.
»Man hat den Anführer der Herren aus dem Raum geführt, um ihn einer gewissen Frostbehandlung auszusetzen«, fuhr Parker fort. »Nach einigen Minuten brachte man eine Puppe in den Raum zurück, die die Kleidung des besagten Gefrierkandidaten trug und mit Eiskristallen bedeckt war, die eine Identifizierung unmöglich machte. Die Herren hielten die Puppe verständlicherweise für ihren tiefgefrorenen Kollegen und beeilten sich daraufhin, Mylady ihr bescheidenes Wissen förmlich aufzudrängen.«
»Überschlagen haben sie sich, diese Lümmel«, erinnerte sich die Hausherrin. »Nun ja, ich muß sagen, Mister Parker, das mit der Puppe haben Sie gut hingekriegt.«
»Man bedankt sich für dieses Lob, Mylady«, ließ sich Parker höflich vernehmen, dessen Idee der Einsatz der Puppe war. »Mylady bringen damit einen alten, müden und relativ verbrauchten Mann in Verlegenheit.«
»Papperlapapp, Mister Parker, man muß seine Mitarbeiter auch für kleine Dinge hin und wieder loben, das braucht jeder Mensch«, schöpfte Mylady aus dem reichen Schatz ihrer Lebenserfahrungen. »Aber«, warnte sie umgehend und hob mahnend den Finger. »Sie müssen noch viel lernen.«
*
»Moment mal, hier ist kein Zutritt für Kunden«, sagte ein kompakt wirkender Mann, während er den Butler stirnrunzelnd musterte. Der Mann trug einen ehemals weißen Kittel, der jetzt jedoch einen schmierigen Eindruck machte und große braune Flecken hatte.
Hinter Parker schwang die schwere, silbrigglänzende Metalltür in ihren Angeln und ließ etwas von der eiskalten Luft nach draußen, die in dem großen gekachelten Raum herrschte. Lady Agatha stand hinter ihrem Butler und sah sich neugierig um. Sie musterte interessiert die Schweine- und Rinderhälften, die an befestigten Haken hingen und auf ihre Weiterverarbeitung warteten.
»Mylady und meine Wenigkeit sind keinesfalls als Kunden hier«, antwortete Parker gemessen und lüftete andeutungsweise die schwarze Melone. »Mylady hat den Wunsch, sich mit Mister Daniel Rogers zu unterhalten.«
»Was woll’n ’se denn vom Boß?« erkundigte sich der Kompakte, während er ein Messer, mit dem er eine Schweinehälfte bearbeitet hatte, zur Seite legte und sich die Hände an seinem Kittel abwischte. »Ich glaub nich, daß er Zeit für euch hat, Leute.«
»Möglicherweise sollten Sie ihn der Einfachheit halber von Myladys Wunsch unterrichten«, schlug Parker vor. »Mister Rogers könnte dann selbst eine entsprechende Entscheidung treffen.«
»Na, wenn se meinen?« Der Kompakte zuckte die Achseln und schlurfte zwischen den Schweine- und Rinderhälften davon.
»Nicht uninteressant, Mister Parker«, fand Lady Agatha. »Ich frage mich, ob man mir eine Warenprobe einpacken könnte.« Sie tätschelte liebevoll ein halbes Schwein und sah es vor ihrem geistigen Auge bereits als saftigen Braten auf dem Teller.
Die Großschlachterei des Mr. Rogers war während des Verhörs der Freizeitfußballer erwähnt worden, die von Mylady mit der Aussicht auf einen Aufenthalt in ihrer Tiefkühltruhe konfrontiert worden waren. Daraufhin hatten sich die Herren beeilt, ihren Auftraggeber zu nennen und Daniel Rogers Namen förmlich hinausgeschrien.
Im Laden der Firma hatte man ihnen gesagt, daß der Inhaber wahrscheinlich im Kühlhaus anzutreffen wäre, wo er eine Lieferung an einen Supermarkt zusammenstellen wollte.
»Sie wollen mich sprechen?« Zwischen den Körperhälften tauchte ein massiger Mann um die fünfzig auf und sah ihnen aus zusammengekniffenen Augen entgegen. Der Inhaber der Großschlachterei wog gut und gern zweieinhalb Zentner und bewegte sich mit der Grazie eines Elefanten.
»So ist es, Sir«, bestätigte Parker und lüftete erneut die Melone. »Vorausgesetzt, Sie sind Mister Daniel Rogers und der Leiter dieses Betriebes hier.«
»Bin ich, Mann. Und wer sind Sie? Wie ’n Fleischeinkäufer sehen Sie nicht gerade aus.«
»Sie werden einige Fragen beantworten, junger Mann«, kündigte die Lady an. »Ich rate Ihnen nicht mit irgendwelchen Ausflüchten zu reagieren.«
Sie nickte Parker zu und verschränkte erwartungsvoll die Arme vor der Brust.
»Sie haben die Ehre und das Vergnügen, Lady Agatha Simpson vor sich zu sehen«, stellte der Butler vor. »Mylady interessiert sich für die vier jungen Herren, die sich auf Sie berufen, Sir.«
»Lady Agatha Simpson?« überlegte der Großschlachter und sah seine Besucher nachdenklich an. »Irgendwie kommt mir der Name bekannt vor, aber im Augenblick fällt mir nicht ein, in welchem Zusammenhang ich ihn gehört haben könnte.«