Buch

Weihnachten steht vor der Tür, und Laurel McCullough könnte wirklich ein paar gute Nachrichten gebrauchen. Sie und ihr Mann wünschen sich von ganzem Herzen ein Baby, doch dieser Traum scheint ihnen verwehrt zu bleiben. Zu allem Überfluss mussten die beiden bei Laurels geliebter Großmutter Helen einziehen, denn die alte Dame benötigt mehr und mehr Hilfe im Alltag. Doch weil Wunder in der magischen Dezemberzeit nie weit entfernt sind, klingelt es eines Tages an der Tür. Und dort steht … Mrs. Miracle, eine freundliche, energische alte Dame. Sie ist Expertin für Familien, die Hilfe brauchen. Und als das Fest der Liebe langsam näher rückt, schöpfen auch Laurel und Zach wieder Hoffnung …

Autorin

Debbie Macomber begeistert mit ihren Romanen Millionen Leserinnen weltweit und gehört zu den erfolgreichsten Autorinnen überhaupt. Wenn sie nicht gerade schreibt, ist sie eine begeisterte Strickerin und verbringt mit Vorliebe viel Zeit mit ihren Enkelkindern. Sie lebt mit ihrem Mann in Port Orchard, Washington, und im Winter in Florida.

Von Debbie Macomber bereits erschienen

Winterglück · Frühlingsnächte · Sommersterne · Herbstleuchten · Rosenstunden · Leise rieselt das Glück · Das kleine Cottage am Meer · Schneeflockenträume · Liebe mit Meerblick

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DEBBIE MACOMBER

ROMAN

Deutsch von Nina Bader

Die Originalausgabe erschien 2019 unter dem Titel »A Mrs. Miracle Christmas« bei Ballantine Books, an Imprint of Random House, a division of Penguin Random House LLC, New York.

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Copyright © der Originalausgabe 2019 by Debbie Macomber

This translation published by arrangement with Ballantine Books, an imprint of Random House, a divison of Penguin Random House LLC.

Copyright © der deutschsprachigen Ausgabe 2020 by Blanvalet Verlag in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH, Neumarkter Straße 28, 81673 München.

Redaktion: Ulrike Nikel

Umschlaggestaltung: www.buerosued.de

Umschlagmotiv: © living4media/Jalag/Szczepaniak, Olaf

Satz: KompetenzCenter, Mönchengladbach

KW · Herstellung: sam

ISBN: 978-3-641-26435-2
V002

www.blanvalet.de

Weihnachten 2019

Liebe Freunde,

meine Leser haben sich schon immer gerne zu Wort gemeldet, und ich weiß das zu schätzen. Ihr lasst mich wissen, was ihr denkt. Eure Kommentare inspirieren mich und machen mir Mut. Mrs. Miracle hat in den späten Neunzigern erstmals die Bühne betreten und sofort die Herzen der Leser gewonnen. Drei Filme folgten. Trotzdem habt ihr mir mitgeteilt, dass ihr mehr möchtet. Diese Story ist das Ergebnis eurer Bitte.

Einige der mir am häufigsten gestellten Fragen lauten, wo ich die Inspirationen für meine Geschichten hernehme – wo die Ideen herkommen. Meistens entspringen sie dem Leben oder stammen von Menschen, die ich getroffen habe. Die Idee zu diesem Buch nahm Gestalt an, als ich Beth Broday traf, die Frau meines Filmagenten. Beth erzählte mir von dem langen, schwierigen Weg bis hin zur Adoption ihrer Tochter. Ihre Geschichte trieb mir Tränen in die Augen. Später lernte ich Liberty Lee kennen, die Tochter, die auf so wundersame Weise in ihr Leben getreten war. Es war die Sache mit dem Wunder, die meine Aufmerksamkeit geweckt und meine Fantasie angeregt hat. So kam es zu dem Buch, das ihr gleich lesen werdet. Ich hoffe, ihr freut euch, Mrs. Miracle wiederzubegegnen. Und nur zum Spaß habe ich ein bisschen Einmischung seitens Shirley, Goodness und Mercy mit hineingebracht! Und ich wünsche, dass meine speziellen Engel etwas Zauber und ein Lächeln in euer Weihnachtsfest bringen.

Wie gesagt, können sich meine Leser jederzeit gern mit mir in Verbindung setzen. Ich lese jede Nachricht und nehme sie mir zu Herzen. Ihr könnt mich über meine Website, bei Twitter, Instagram oder Facebook erreichen.

Wenn ihr mir schreiben wollt: Meine Adresse lautet P. O. Box 1458. Port Orchard, WA 98366.

Mit warmen Feiertagsgrüßen

Debbie Macomber

Für Beth Broday und Joel Gatler, die mich zu

dieser Geschichte inspiriert haben.

Und für ihre wunderbare Tochter

Liberty Lee.

1. Kapitel

Als Laurel McCullough nach Hause kam, parkten zwei Streifenwagen mit flackerndem Blaulicht in der Einfahrt. Und als ob das nicht gereicht hätte, um ihr Herz rasen zu lassen, sah sie auch noch ihre Großmutter aufgewühlt auf der vorderen Veranda stehen, die Hände ringen und sich ängstlich nach allen Seiten umblicken.

Die junge Frau hielt an, sprang aus ihrem Auto und stolperte die Treppe hoch.

»Nana«, rief sie und lief auf ihre Großmutter zu.

Sowie deren Blick auf die Enkelin fiel, schlug sie die Hände vor den Mund und senkte verlegen die Augen.

»Laurel, oje, oje«, stammelte sie. Ihre Schultern sackten nach unten. »Es tut mir leid. Ich habe einen schrecklichen Fehler gemacht.«

»Officer, was geht hier vor?«

»Sind Sie Laurel Lane? Und das ist Ihre Großmutter?«

»Ja, aber mein Ehename ist Zach McCullough.«

»Es tut mir so leid«, wiederholte Helen. Sorgenfalten durchzogen ihr Gesicht. »Als ich von meinem Schläfchen aufgewacht bin, war ich durcheinander und habe mir Sorgen gemacht, weil du aus der Schule noch nicht zurück warst, deshalb habe ich die Polizei gerufen.«

»Ihre Großmutter hat angegeben, ihre zehnjährige Enkelin sei nicht von der Schule nach Hause gekommen«, erklärte der freundliche Beamte.

Laurel schluckte ihren Schreck hinunter. Nana hatte seit einiger Zeit geistig nachgelassen. Es gab Kleinigkeiten, an die sie sich nicht mehr erinnern konnte, und dies hier war der zweite ernstere Vorfall innerhalb einer kurzen Zeitspanne.

»Wie Sie sehen, bin ich etwas älter als zehn«, erwiderte sie. »Es tut mir leid, dass wir Sie unnötig bemüht haben. Meine Großmutter ist im Moment ein bisschen verwirrt. Ich war zehn, als ich zu ihr gezogen bin.«

»Kein Problem, Miss. Wir sind froh, dass wir es nicht mit einer Entführung zu tun haben.«

Nachdem sie den Beamten noch ein paar Fragen beantwortet hatte, führte Laurel ihre Großmutter behutsam ins Haus zurück und setzte sie in ihren Lieblingssessel.

»Ich weiß gar nicht, was in mich gefahren ist.« Helen stöhnte und legte die Hände an die Wangen. »Es ist mir so peinlich.« Sie schlang die Arme um sich, als müsste sie sich an der Gegenwart festhalten und die Vergangenheit hinter sich lassen. »Ich habe auf die Uhr geschaut, und du warst nicht zu Hause, und plötzlich warst du wieder zehn Jahre alt. Da war ich mir ganz sicher, dass dir etwas Schlimmes zugestoßen sein musste. Was ist bloß los mit mir?«, klagte sie. »Wie konnte ich etwas so Dummes tun? Werde ich allmählich verrückt?«

Laurel kniete sich vor sie hin. »Natürlich bist du nicht verrückt, Nana. Du hast nichts falsch gemacht.«

»Die Beamten kamen sofort und waren so nett. Deshalb fühle ich mich ganz schrecklich, dass ich ihnen solche Umstände gemacht habe.« Sie blickte auf; ihr schien ein Gedanke gekommen zu sein. »Ich sollte ihnen vielleicht Plätzchen backen, um mich dafür zu entschuldigen, dass ich ihre Zeit verschwendet habe.«

»Es ist vorbei. Ich bin jetzt zu Hause, und alles ist gut.«

Laurel machte Tee, um ihre Großmutter zu beruhigen und setzte sich neben sie, um weiter tröstend auf sie einzureden.

Ihre Gedanken überschlugen sich, während sie überlegte, wie sie mit dieser jüngsten Situation umgehen sollte. Letzte Woche hatte sich die alte Dame in der Nachbarschaft, in der sie seit über fünfzig Jahren lebte, verlaufen. Sie war nach draußen gegangen, um die Post hereinzuholen, und hatte bemerkt, dass Browser, der neue Welpe der Nachbarin, aus deren Garten entwischt war. Daraufhin war sie ihm gefolgt, um ihn zurückzubringen, und hatte den Heimweg nicht mehr gefunden. Schließlich hatte die Nachbarin sowohl den Hund als auch Helen entdeckt und die sichtlich aufgeregte Großmutter zurück nach Hause geführt.

Insgesamt wirkte Nana blass und verängstigt. »Der Arzt hat gesagt, dass das passieren wird. Das ist alles ein Teil davon, unter Demenz zu leiden, oder?«

Laurel nickte. Die Demenz war in den letzten paar Monaten merklich schlimmer geworden. Mittlerweile war es so weit, dass sie ihre Großmutter nicht gerne alleine ließ. Aber was blieb ihr anderes übrig? Ihre finanziellen Mittel waren beschränkt. Sie konnte nichts anderes tun, als zu beten, dass sie und Zach, ihr Mann, einen Weg fanden, mit Nanas neuen Problemen fertigzuwerden.

»Du hast genug um die Ohren«, fuhr Nana fort. »Ich möchte dir nie zur Last fallen.«

»Das wirst du bestimmt nie, du hast dich stets hintangestellt.«

Laurel schob ihren Tee beiseite, kniete sich vor Helen hin, wie sie es als Kind getan hatte, legte den Kopf in ihren Schoß und grübelte über die neueste Entwicklung nach. Sie wusste nicht, was sie tun sollte.

»Ich habe für dich gebetet, weißt du«, sagte die Großmutter und strich sanft über das Haar der Enkelin.

Sie war eine richtige Betschwester, dachte Laurel, während sie selbst inzwischen so ziemlich jegliche Hoffnung aufgegeben hatte. Beispielsweise glaubte sie nicht mehr daran, dass ihr Traum, ein Kind zu bekommen, je wahr würde. Mittlerweile war es eine schmerzliche Enttäuschung, mehr nicht. Wie es aussah, sahen das Schicksal und der liebe Gott kein Baby für sie vor.

»Schätzungsweise sollte ich lieber für dich ein paar Gebete sprechen«, erklärte Nana und griff nach der Hand ihrer Enkelin. »Gott hält ein Baby für dich bereit. Das spüre ich in meinem Herzen. Gib die Hoffnung also nicht auf.«

Laurel lächelte. Ihre Nana verstand sie einfach nicht. Sie und Zach hatten eingesehen, dass es ihnen nicht bestimmt war, Kinder zu haben. Und seitdem sie sich mit der Situation abgefunden hatten, waren sie bereit, nach vorn zu schauen und keinen weiteren Versuch mehr zu unternehmen, der sie nichts als enttäuschen würde. Und je eher Nana akzeptierte, dass Kinder kein Teil ihres Lebens sein würden, desto besser. Am besten war es, wenn sie die Möglichkeit eines Kindes gar nicht mehr erwähnte. Was sie leider nicht tat.

»Erinnerst du dich an die biblische Hannah?«, ermahnte Nana sie. »Sie wünschte sich sehnlichst ein Kind, und Gott schenkte ihr Samuel.« Noch andere Geschichten von Frauen fielen ihr ein, die mit Unfruchtbarkeit zu kämpfen gehabt hatten. »Da war noch Elisabeth, die Mutter von Johannes dem Täufer.«

»Ja.«

»Und Rachel.«

»Ja, Nana, du hast mir diese Geschichten schon öfter erzählt«, erwiderte Laurel geduldig, dachte jedoch bei sich, dass in der Bibel immer Frauen vorkamen, die imstande gewesen waren, Kinder zu bekommen.

Ihre Großmutter strich Laurel zärtlich über den Kopf. »Verlier den Glauben nicht, Liebes.«

Es war zu spät. Aus den Augen der jungen Frau rannen Tränen, die sie hastig wegzwinkerte. Auf eine Enttäuschung war die nächste gefolgt, jede künstliche Befruchtung war gescheitert, hatte Enttäuschungen und finanzielle Kosten mit sich gebracht und am Ende dazu geführt, dass Laurel sich von ihrem Traum, jemals ein Kind zur Welt zu bringen, zu verabschieden bereit war.

Immerhin waren sie und ihr Mann gezwungen gewesen, um die Klinikkosten abzuzahlen, bei ihrer Großmutter einzuziehen. Es war die einzige Möglichkeit, mit ihrem Geld hinzukommen und eine Win-win-Situation für alle Beteiligten zu erreichen.

Als die Versuche mit der künstlichen Befruchtung nicht zum Erfolg führten, hatten sich Laurel und Zach an eine Adoptionsagentur gewandt und dort intensive Gespräche geführt, die damit endeten, dass sie auf eine Warteliste gesetzt wurden. Eine sehr lange Liste. Tatsächlich wurde ihnen mitgeteilt, dass es mehrere Jahre dauern konnte, bevor sie ein Baby zugeteilt bekamen. Jahre. Und während Monat für Monat, Jahr für Jahr verstrich, wurde ihnen klar, dass ihre Chancen, als Eltern für ein Kind ausgewählt zu werden, stetig sanken.

Die geringe Hoffnung, an die Laurel sich geklammert hatte, schmolz zu einem winzigen Funken zusammen, und nach Jahren der Versuche und Jahren der Träume, die wieder und wieder zerplatzten, stellte sie fest, dass Hoffnung und Glaube praktisch verschwunden waren.

Dabei liebten sie und Zach Kinder über alles. Sie würden gute Eltern abgeben, und trotzdem war es ihnen nicht vergönnt, eigene Kinder zu haben. Laurel verstand das nicht. Warum wurde von allen Menschen ausgerechnet ihnen das verwehrt, wonach sie sich am meisten sehnten? Es war unfair. Falsch. Vernichtend.

An diesem Tiefpunkt angelangt, hatte Zach ein Pflegekindprogramm in Erwägung gezogen, bei dem man ihnen fast sofort ein Neugeborenes zusprach, einen Jungen. Jonathans leibliche Mutter war drogenabhängig und das Kind ihr deshalb entzogen worden. Die ersten Wochen waren höllisch gewesen, denn das zu kleine, untergewichtige Baby hatte unaufhörlich geschrien.

Laurel und Zach hatten den kleinen Jonathan von ganzem Herzen geliebt, und speziell Zach ging wundervoll mit dem anstrengenden Baby um und verlor nie die Geduld. Und der Kleine reagierte auf die sachten Berührungen und nahm ihn als geduldigen und liebevollen Vater.

Ein Traum schien wahr zu werden.

Doch dann wurde zwei Wochen, bevor die Pflegeadoption rechtskräftig werden sollte, Jonathans leiblicher Vater ausfindig gemacht. Er hatte von dem Baby nichts gewusst und entschieden, dass er seinen Sohn zu sich nehmen wollte. Das bedeutete, dass Laurel und Zach das Baby buchstäblich aus den Armen gerissen wurde. Vor Kummer betäubt, versank Laurel in eine tiefe Depression, die Wochen andauerte.

Es war zu viel für sie. Die gescheiterten künstlichen Befruchtungen und die endlose Warteliste der Adoptionsagentur reichten. Die junge Frau kam zu dem Schluss, dass ihr Herz keinen weiteren Kummer ertragen konnte und wollte. Es war Zeit, loszulassen und sich damit abzufinden, dass ihr Leben kinderlos verlaufen würde.

»Ich habe ja die Kinder in meiner Klasse«, murmelte sie in dem Versuch, sich selbst etwas einzureden. Grundschullehrerin zu sein, war ihre Berufung und ihr Glück, und sie freute sich jeden Tag darauf, Zeit mit den Kleinen zu verbringen, die sich so lernbegierig zeigten.

»Du bist eine großartige Lehrerin«, bestätigte Nana. »Und du wirst eine genauso fantastische Mutter sein.«

Bevor sie das zurückzuweisen vermochte, wurde die Vordertür geöffnet, und ihr Mann verkündete laut, dass er wieder zu Hause sei. Zach war Laurels Fels in der Brandung, ihre Stimme der Vernunft, derjenige, der dafür sorgte, dass sie auf dem schlimmsten Teil dieser tückischen Achterbahnfahrt nicht das Gleichgewicht verlor. Er war Computerprogrammierer und arbeitete in der Innenstadt von Seattle bei einer großen Firma.

Er zögerte, als er Laurel vor ihrer Großmutter auf dem Boden kauern sah, und suchte ihren Blick.

»Es war ein ziemlich turbulenter Tag«, erklärte sie ihm, kaum dass er zur Tür hereingeschneit war. »Hast du auf dem Weg von der Bushaltestelle hierher zufällig die Streifenwagen wegfahren sehen?« Fragend schaute sie ihn an, und als er verdutzt nickte, fügte sie hinzu: »Großmutter hat die Polizei gerufen.«

»Ich fürchte, ich bin die Übeltäterin«, gestand die alte Dame zerknirscht. »Weil ich dachte, Laurel sei gekidnappt worden.«

»Wie bitte?«, entfuhr es Zach.

»Es ist alles geklärt«, warf die Enkelin, die ihre Großmutter nicht noch weiter aufregen wollte, rasch ein. »Nichts als ein Missverständnis.«

»Ich hatte vergessen, dass sie erwachsen war«, erklärte Nana. »In meinem Kopf war sie ein Schulmädchen, von der Schule nicht nach Hause gekommen, und ich machte mir Sorgen, also rief ich die Polizei, und sie kamen wirklich … Oje, ich habe wirklich ein großes Durcheinander angerichtet, nicht wahr?«

Zach streichelte ihre Schulter und sah ihr liebevoll in die Augen. »Bist du in Ordnung? Das ist alles, was zählt.«

»Ja, ja, mir fehlt nichts. Ich komme mir so dumm vor.«

Seine Brauen zogen sich zusammen, und er wechselte einen besorgten Blick mit Laurel. »Wir wollen einfach froh sein, dass alles gut ausgegangen ist. Was gibt es zum Abendessen?«

Er sah zu seiner Frau hinüber. Die Frage war der Code, den sie vereinbart hatten, wenn sie unter vier Augen miteinander sprechen wollten.

Laurel ging Richtung Küche, und Zach folgte ihr.

Sowie sie sicher waren, dass Nana sie nicht hören konnte, verlieh er seinen Befürchtungen Ausdruck. »Was hat sich Helen um Himmels willen dabei gedacht, die Polizei zu rufen?«

»Keine Ahnung. Letzte Woche hat sie sich in ihrer eigenen Nachbarschaft verlaufen. Was sollen wir tun?«

Zach sank auf einen Küchenstuhl und faltete die Hände. »So kann es nicht weitergehen. Wir müssen jemanden ins Haus holen.«

»Und wen?«

»Irgendeinen Dienst, der auf diese Art häuslicher Pflege spezialisiert ist. Es wird Zeit, dass wir uns darum kümmern.«

Keiner von ihnen wagte es, auf die Kosten zu sprechen zu kommen. Irgendwie würde es gehen müssen. Eine Einrichtung für betreutes Wohnen wäre noch teurer und würde Nana zudem nicht gefallen. Sie fühlte sich in ihrem eigenen Heim am wohlsten, umgeben von allem, was ihr vertraut war, und von den Menschen, die sie liebte.

Laurel setzte sich auf den Stuhl gegenüber. Ihr wurde das Herz schwer, als sie eine weitere schlechte Nachricht preisgab.

»Nana hat mich letzte Woche Kelly genannt.«

Kelly war Laurels Mutter gewesen, die bei einem Unfall ums Leben gekommen war, als ihre Tochter zehn war. Sie war auf dem Eis ausgerutscht, mit dem Kopf aufgeschlagen und kurz darauf gestorben. Ihr Mann Michael reiste als Unternehmensberater durchs Land, und da er seine Arbeitsbedingungen nicht ändern konnte, hatte er Laurel widerstrebend zu ihren Großeltern in Obhut gegeben. Irgendwann heiratete er erneut und zog mit seiner neuen Frau in einen anderen Staat. Die Tochter blieb bei ihren Großeltern, dennoch blieb ihre Beziehung zueinander eng, und sie verbrachte viele Schulferien bei ihm und seiner Frau. Allerdings konnte niemand ihr die Mutter ersetzen.

»Ich werde heute Abend ein paar Pflegedienste heraussuchen und morgen früh dort anrufen, bevor die Schule anfängt«, versprach Laurel. »Wir können es nicht länger riskieren, Nana allein zu lassen.«

Die Großmutter litt an diesem Abend selbst unter ihrer Lage und zeigte kein Interesse am Essen, was sie inzwischen des Öfteren tat, und entschied sich, früh ins Bett zu gehen.

»Und was ist mit deiner Lieblingsshow?«

Nana schaute sie an, solange Laurel denken konnte, und dass sie sie jetzt verpasste, war für sie ein schlechtes Zeichen.

»Die Raterei ist mir zu verzwickt geworden. Ich war einmal gut darin, habe aber den Anschluss verloren.«

»Soll ich dir stattdessen etwas vorlesen?«

»Nein.« Erneut war Nana nicht interessiert. »Ein andermal.«

Während Zach die Küche aufräumte, half Laurel ihrer Großmutter dabei, sich für das Bett herzurichten. In der letzten Zeit schien sie mehr Schlaf zu brauchen und lag oft noch im Bett, wenn die Enkel morgens aus dem Haus gingen. Vielleicht lag das ja an den Medikamenten, die der Arzt ihr kürzlich verschrieben hatte und die angeblich unerwartete Träume nach sich zogen.

Am nächsten Tag rief Laurel den ersten Pflegedienst auf ihrer Liste an, um sich nach einer Tagesbetreuung zu erkundigen.

»Ich wünschte, ich hätte jemanden für Sie«, sagte die Frau von Caring Angels, die sich als Elise Jones vorstellte. »Leider sind alle unsere Pfleger anderweitig im Einsatz.«

»Ach herrje.« Das war nicht die Antwort, die Laurel hören wollte.

»Ich setze Ihren Namen natürlich gerne auf eine Warteliste.«

Laurel, bereits auf traurige Weise mit Wartelisten vertraut, zuckte zusammen.

»Können Sie mir sagen, wie lange es ungefähr dauern wird, bis jemand frei ist?«

Die Frau zögerte, und im Hintergrund war das Klicken ihrer Computertastatur zu hören. Schließlich kam eine Antwort.

»Vor dem ersten Januar sehe ich leider keine Möglichkeit.«

»So lange?«

Noch ein Monat, resignierte Laurel. Alles, was sie tun konnte, war zu hoffen, dass jemand früher verfügbar sein würde. Der einzige Lichtblick bestand darin, dass sie, da Weihnachten vor der Tür stand, um die Feiertage herum eine Weile zu Hause sein würde.

»Soll ich Ihren Namen auf die Liste setzen?«

Da sie keine andere Wahl hatte, willigte Laurel ein. Nachdem sie der Frau alle wichtigen Informationen gegeben hatte, versuchte sie es bei zwei weiteren Pflegediensten, wobei diese noch längere Wartelisten als die Caring Angels hatten. Sie rief Zach an, um ihm die Neuigkeiten zu berichten.

»Was hast du erreicht?«, fragte er.

»Wir stehen auf einer Warteliste. Sie rechnen damit, dass sie uns frühestens zum ersten Januar jemanden schicken können.«

Zach machte aus seinen Bedenken keinen Hehl. »Glaubst du, sie kommt bis zu den Weihnachtsferien alleine zurecht?«

»Ich kann ja zur Not während der Mittagspause nach Hause fahren und nach ihr sehen«, bot sie an, obwohl sie nicht sicher war, wie das funktionieren sollte.

Wenn sie in einen Stau geriet und zu spät zurückkam, würde das zu größeren Problemen führen. Zumal das Personal äußerst dünn gesät war. Dass sie zudem das Weihnachtsprogramm für die Schule organisierte, machte das Ganze nicht gerade besser.

Wieso war ihr Leben bloß so kompliziert geworden, grübelte Laurel.

Egal, was passiert war, wusste sie tief in ihrem Herzen, dass sie die Bedürfnisse ihrer Großmutter nie ignorieren durfte und würde.

Als sie am Abend nach Hause kam, fand sie Nana in ihrem Lieblingssessel vor, wo sie sich eine Wiederholung der Roadshow ansah und dabei eifrig strickte. Aus alter Gewohnheit pflegte sie mindestens einmal am Tag zu Nadeln und Wolle zu greifen, doch in der letzten Zeit machte sie wenige bis keine Fortschritte mit irgendeinem Projekt. Heute machte sie zumindest einen besseren Eindruck als am Vortag.

»Du bist schon von der Schule zurück?«, wunderte sie sich.

Laurel hängte ihren Mantel auf und setzte sich zu ihr. »Woran arbeitest du gerade?«

Helen starrte einen langen Moment auf die Wolle hinunter.

»Hm, lass mich überlegen. Es fällt mir gerade nicht ein, sag, findest du die Wolle nicht wunderbar?«

Laurel tätschelte ihre Hand. »Mach dir keine Gedanken, Nana. Die Wolle ist wirklich schön und so weich.«

Sobald Zach nach Hause kam, setzten sie sich zum Abendessen in die Küche, aber kurz darauf klingelte es an der Tür.

Laurel zuckte mit den Schultern. »Ich erwarte niemanden. Du?«

»Nein«, erwiderte Zach und stand auf, um zur Vordertür zu gehen.

Eine ältere Frau stand auf der Schwelle. Sie trug einen bodenlangen Wollmantel und einen dicken Schal um den Hals. An ihrem Arm hing ein Korb, und sie lächelte breit.

»Guten Abend«, grüßte sie freundlich. »Ich bin Mrs. Miracle.«

»Mrs. Miracle«, wiederholte Zach. »Wie kann ich Ihnen helfen?«

»Nun, ich bin hier, um Ihnen zu helfen. Wie ich hörte, haben Sie einen helfenden Engel angefordert.«