Armin Grunwald, Jürgen Kopfmüller

Nachhaltigkeit

3., aktualisierte und erweiterte Auflage

Campus Verlag Frankfurt /
New York

Über das Buch

Nachhaltige Entwicklung ist zu einem verankerten Leitbild in Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und Öffentlichkeit geworden, welches die Diskussionen über die künftige Entwicklung der Menschheit bestimmt. Es geht im Kern um die Suche nach einem gerechten Zivilisations- und Wirtschaftsmodell, das der Verantwortung gegenüber allen heute und künftig lebenden Menschen gerecht wird, das mit der Begrenztheit der natürlichen Ressourcen verträglich ist und das gleichzeitig Entwicklungsperspektiven offenhält. Das Buch gibt einen umfassenden und systematischen Überblick über die Hintergründe des Leitbilds »Nachhaltigkeit«, über aktuelle Konzepte zu seiner Definition, Messung und Realisierung sowie über politische und gesellschaftliche Strategien auf institutionellen Ebenen.

Vita

Prof. Dr. Armin Grunwald ist Leiter des Instituts für Technikfolgenabschätzung und Systemanalyse (ITAS) am Karlsruher Institut für Technologie (KIT).

Jürgen Kopfmüller, Dipl.-Volksw., ist Koordinator der Querschnittsaktivität »Nachhaltige Entwicklung« am Institut für Technikfolgenabschätzung und Systemanalyse (ITAS).

Inhalt

Vorwort zur dritten Auflage

1.Hintergrund und Überblick

2.Entstehungsgeschichte und wesentliche Meilensteine

2.1Ursprünge des Leitbilds nachhaltiger Entwicklung

2.2Internationale Debatten über Umwelt und Entwicklung

2.3Die Brundtland-Kommission

(a) Verantwortung für zukünftige Generationen

(b) Verantwortung für gegenwärtig lebende Menschen

2.4Der Weltgipfel von Rio und die Folgen

2.5Die Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen (SDGs)

3.Randbedingungen und Megatrends

3.1Menschenrechte und Demokratie

3.2Urbanisierung

3.3Globalisierung

3.4Digitalisierung

3.5Bevölkerungsentwicklung und demografischer Wandel

Folgen für die Transformation

4.Die großen Kontroversen nachhaltiger Entwicklung

4.1Theoriefragen nachhaltiger Entwicklung

4.2Die Dimensionen der Nachhaltigkeit und ihre Gewichtung

(1) Vorrang der Umweltdimension

(2) Mehrdimensionale Konzeptionen

(3) Integrative Nachhaltigkeitskonzeptionen

4.3Starke oder schwache Nachhaltigkeit?

4.4Nachhaltigkeit und Wirtschaftswachstum

5.Nachhaltige Entwicklung konkret: messen – bewerten – handeln

5.1Nachhaltigkeitsbewertung: Kernelemente und Herausforderungen

Indikatoren und ihre Funktion

Herausforderungen für das Arbeiten mit Indikatoren

Methoden und Instrumente

Nachhaltigkeitsbewertung als integrativer Prozess

5.2Indikatortypen und -systeme in der Praxis

5.3Die Messung von gesellschaftlichem Fortschritt jenseits von Wachstum

5.4Grundlegende Analysemethoden: Modelle und Szenarien

5.5Die Nachhaltigkeitsprüfung: Gesetze und Politik auf dem Prüfstand

5.6Handlungsstrategien: Herausforderungen und Ansätze

Effizienz, Suffizienz, Konsistenz

Integrative Strategieansätze

Partizipation und Kooperation

Reflexivität

6.Gesellschaftliche Handlungsfelder

6.1Ernährung

Herausforderungen

Maßnahmen

6.2Wohnen und Bauen

Herausforderungen

Maßnahmen

6.3Mobilität

Herausforderungen

Maßnahmen

6.4Energie

Herausforderungen

Maßnahmen

6.5Klimawandel

Herausforderungen

Maßnahmen

6.6Wasser

Herausforderungen

Maßnahmen

6.7Arbeit

Herausforderungen

Handlungsoptionen

6.8Landwirtschaft

Herausforderungen

Maßnahmen

7.Politische Umsetzungsebenen

7.1Die lokale Ebene

7.2Nationale Nachhaltigkeitsstrategien: Das Beispiel Deutschland

7.3Die Europäische Union

7.4Die Vereinten Nationen

7.5Das Modell »Global Governance«

8.Nichtstaatliche Akteure

8.1Unternehmen

Wege zum verantwortlichen Unternehmen

Nachhaltigkeitsberichterstattung

Elemente einer Unternehmenskultur der Nachhaltigkeit

8.2Konsumenten

8.3Zivilgesellschaft

9.Wissen als Ressource

9.1Wissen für nachhaltige Entwicklung

9.2Forschung

9.3Bildung

9.4Technik und Innovation

10.Rezeption und Verbreitung

10.1Nachhaltigkeit als öffentliches Thema

10.2Wahrnehmung in den Weltreligionen

10.3Auf dem Weg zu einer Kultur der Nachhaltigkeit

11.Thesen zur Nachhaltigkeitstransformation

Abkürzungen

Literatur

Vorwort zur dritten Auflage

Auch die zweite Auflage unserer Einführung in die Nachhaltigkeit war nach einigen Jahren vergriffen. Der Bedarf nach einführender Literatur in diesem Bereich ist also nach wie vor klar erkennbar. Mit der erstaunlichen Begriffskarriere des Nachhaltigkeitsleitbilds ist gleichzeitig die einschlägige Literatur stark angewachsen. An Büchern zu einzelnen Aspekten der Nachhaltigkeit, etwa in den Bereichen Wohnen/Bauen, Mobilität oder Energie, besteht genauso wenig ein Mangel wie an theoretischen Darstellungen. Dieses reichhaltige Informationsangebot ist in der Regel auf Fach- und Expertenkreise1 zugeschnitten. Weil jedoch das Interesse an und das Engagement für Nachhaltigkeit weit über diese Kreise hinausreicht und idealerweise alle Menschen umfassen sollte, haben wir uns zur Erarbeitung einer dritten Auflage entschlossen.

Da die Dynamik thematischer Entwicklungen und neuer Akteurskonstellationen im Feld der Nachhaltigkeit weiterhin groß ist, wie z. B. die jüngste »Fridays for Future«-Bewegung zeigt, konnte die erforderliche Überarbeitung nicht nur in einer reinen Aktualisierung bestehen. Darüber hinaus sind einige Themen neu hinzugekommen. Insbesondere sind Trends wie Urbanisierung oder Digitalisierung, die Debatte um das Anthropozän, die Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen, die Nachhaltigkeitsbewertung, die Begriffe Resilienz und Vulnerabilität, Reallabore sowie Theoriefragen der Nachhaltigkeit hinzugekommen. Auch reale bzw. mögliche Effekte der Corona-Pandemie werden angesprochen. Mit der vorliegenden dritten Auflage liegt damit wieder ein hoch aktueller, verglichen mit der zweiten Auflage deutlich erweiterter Text vor.

Gleichzeitig haben wir das Literaturverzeichnis auf den neuesten Stand gebracht und erheblich erweitert. Gerade in dem komplexen Feld der Nachhaltigkeit, in dem im Rahmen eines Überblicks viele Teilthemen nur gestreift werden können, stellt eine Auswahl von Literatur zu bestimmten Themen den Schlüssel zur vertieften Befassung dar.

Wir danken Sylke Wintzer und Miriam Miklitz ganz herzlich für die kompetente und engagierte Unterstützung in der Endbearbeitung des Textes und der Prüfung des Literaturverzeichnisses.

Karlsruhe, Oktober 2021

Armin Grunwald und Jürgen Kopfmüller

1.Hintergrund und Überblick

Das Leitbild der nachhaltigen Entwicklung (sustainable development) hat sich in den vergangenen dreißig Jahren weltweit zu dem zentralen Begriff für die Debatten über die zukünftige Entwicklung der Menschheit entwickelt. Dies gilt gleichermaßen für Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und zunehmend auch die Öffentlichkeit. Nachhaltige Entwicklung bezeichnet einen Prozess gesellschaftlicher Veränderung, während der Begriff der Nachhaltigkeit (sustainability) das Ende eines solchen Prozesses, also einen Zustand beschreibt. In diesem Band werden wir vorwiegend den Begriff nachhaltige Entwicklung verwenden. Nach der heute überwiegend akzeptierten Definition ist nachhaltige Entwicklung dann realisiert, wenn sie

»die Bedürfnisse der Gegenwart befriedigt, ohne zu riskieren, dass künftige Generationen ihre eigenen Bedürfnisse nicht befriedigen können« (Hauff 1987: 46).

Sie zielt darauf, Gesellschaft und Wirtschaft so zu gestalten, dass die Lebenssituation der heutigen Generation verbessert wird und gleichzeitig die Lebenschancen künftiger Generationen zumindest nicht gefährdet werden, dass also wesentliche soziale, wirtschaftliche und natürliche Grundlagen erhalten bleiben. Nachhaltige Entwicklung ist somit kein ausschließlich wissenschaftlich bestimmbarer Begriff, sondern ein gesellschaftlich-politisches und damit normatives Leitbild.

In ethischer Hinsicht hat nachhaltige Entwicklung ein doppeltes Fundament: Einerseits besteht sie in der aktiven Übernahme von Zukunftsverantwortung für zukünftige Generationen. Hierbei geht es um eine – eher statische – Erhaltung von natürlichen und kulturellen Ressourcen im Interesse zukünftiger Generationen, was vorsorgendes Handeln erfordert. Andererseits spielt die Gerechtigkeit unter den heute Lebenden im Sinne der Verteilungsgerechtigkeit eine gleichrangige Rolle. Dabei steht – dynamisch – die nachhaltige Entwicklung der Gesellschaft mit dem Ziel der Verbesserung der Situation vieler heute lebender Menschen im Mittelpunkt. Diese Dualität zieht sich durch sämtliche Diskussionen zur nachhaltigen Entwicklung hindurch und führt immer wieder zu Kontroversen und politischen Konflikten.

In den letzten Jahren sind die Begriffe der Vulnerabilität und Resilienz stärker in der Nachhaltigkeitsdiskussion präsent geworden, aber auch darüber hinaus, so z. B. in der Corona-Pandemie. Während Vulnerabilität die Anfälligkeit von Systemen wie Regionen, Organisationen oder Gesellschaften gegenüber äußeren Störungen bedeutet, wird unter Resilienz die Fähigkeit dieser Systeme verstanden, auch unter Einfluss von Störungen stabil zu bleiben und die Störungen letztlich zu überwinden. Bezogen auf die oben genannte Dualität der Nachhaltigkeit fokussiert Resilienz eher auf den Erhalt von Systemen, weniger auf ihre Entwicklung.

Das Leitbild der nachhaltigen Entwicklung ist auf der politischen Ebene programmatisch weltweit anerkannt. Die Suche nach Kriterien, Leitlinien und Umsetzungsstrategien für eine nachhaltige Entwicklung ist zu einem zentralen Thema der nationalen und internationalen Umwelt-, Forschungs- und Entwicklungspolitik geworden. Auf der UN-Konferenz für Umwelt und Entwicklung (UNCED) 1992 in Rio de Janeiro (»Erdgipfel«) verpflichtete sich die internationale Staatengemeinschaft, das Leitbild in konkrete Politik auf nationaler und globaler Ebene umzusetzen. Dies wurde in zahlreichen Folgekonferenzen und Aktivitäten der Vereinten Nationen für viele Themen konkretisiert, so z. B. für den Umgang mit dem Klimawandel und den Schutz der Biodiversität, zuletzt vor allem durch die 2015 verabschiedeten Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen. Nationale Nachhaltigkeitsstrategien befinden sich mittlerweile in vielen Ländern in der Umsetzung. In Deutschland trat im Jahre 2002 die deutsche Nachhaltigkeitsstrategie in Kraft (Bundesregierung 2002). Vergleichbares gilt in der Folge auch in den meisten Bundesländern. Auf regionaler und lokaler Ebene existiert seit 1992 weltweit eine Fülle von Lokalen Agenda 21-Initiativen.

Auch in der Wirtschaft hat das Leitbild der nachhaltigen Entwicklung zumindest Fuß gefasst (Osranek 2017, Fussler 1999). Trotz erheblicher Fortschritte in den vergangenen Jahren und der prinzipiellen Bedeutung, die eine breite Mehrheit der Unternehmenslenker dem Leitbild beimisst, sind Nachhaltigkeitsstrategien und ein daran orientiertes strategisches Management und Berichtswesen nur bei einer Minderheit der Unternehmen Realität (Kiron et al. 2017). Stattdessen dominiert bei vielen eine auf Kostenaspekte fokussierte ökonomische Logik. Gewerkschaften betonen demgegenüber die soziale Dimension der nachhaltigen Entwicklung, etwa die zentrale Rolle der Arbeit sowie der Chancengleichheit und der gerechten Verteilung des gesellschaftlichen Wohlstandes. Auf internationaler Ebene wurde der World Business Council of Sustainable Development (WBCSD) gegründet.

Parallel dazu dient das Leitbild auch in vielen zivilgesellschaftlichen Gruppen als Orientierung. Global arbeitende Nichtregierungsorganisationen betätigen sich als Warner und Mahner, genauso wie sich auf regionaler und lokaler Ebene Bürgerinitiativen und Einzelpersonen engagieren. Der Begriff der nachhaltigen Entwicklung ist einerseits ohne Globalisierung kaum denkbar, denn sonst wäre das Interesse für die Entwicklung der Menschheit als Ganzer nicht entstanden. Andererseits wird vor dem Hintergrund der Kritik an bestimmten Formen und Folgen der Globalisierung versucht, Globalisierungsprozesse im Sinne nachhaltiger Entwicklung zu gestalten (z. B. Perlas 2019, Koch 2017, Pilchhöfer 2010). Teilweise knüpfen diesbezügliche Diskussionen an kapitalismus- und globalisierungskritische Positionen an. So hat sich als Gegengewicht zum jährlich stattfindenden Weltwirtschaftsforum in Davos erstmals 2001 ein Weltsozialforum etabliert, um der Einseitigkeit eines rein ökonomischen Blicks auf Globalisierung entgegenzuwirken.

Auch kirchliche Gruppen sind weltweit für eine nachhaltige Entwicklung engagiert. In religiös motivierten Ansätzen spiegelt sich die erwähnte Dualität der Nachhaltigkeit zwischen Erhalt und Entwicklung. Nachhaltigkeit wird zum einen als »Bewahrung der Schöpfung« verstanden, zum anderen steht die Vision einer gerechten Weltordnung im Sinne eines lebenswerten Lebens für Alle und damit der Entwicklungsgedanke im Mittelpunkt, wie sie etwa der Idee eines »Weltethos«, einer verbindenden normativen Ebene zwischen den Weltreligionen oder der katholischen Soziallehre entsprechen. Auch in den anderen Weltreligionen wie Buddhismus und Islam wird über nachhaltige Entwicklung nachgedacht.

Dass dieser Begriff in so kurzer Zeit zentral für viele, vormals getrennt geführte Debatten rund um den Globus geworden ist, ist auf den ersten Blick erstaunlich. Ein wesentlicher Grund für diese Begriffskarriere dürfte darin liegen, dass das Leitbild auf problematische Entwicklungstrends der Weltgesellschaft Bezug nimmt. Im Nachhaltigkeitsbegriff drücken sich einerseits die Sorgen vieler Menschen um die zukünftige Entwicklung im globalen Maßstab aus. Andererseits steht nachhaltige Entwicklung gleichzeitig als ein normatives Leitbild auch konstruktiv für Bemühungen um eine Verbesserung der Lebensverhältnisse. Es greift also das Unbehagen im Sinne eines »so kann es nicht unbegrenzt weitergehen« auf und transformiert es in die konstruktive Suche nach Möglichkeiten zur Umsteuerung. Hier zeigt sich eine zweite Dualität des Leitbilds: Zum einen stellt es eine Reaktion auf bestehende Probleme dar, zu denen die globale Umwelt- und Entwicklungsproblematik genauso gehören wie Arbeitslosigkeit, Armut, Migration und mangelnde öffentliche Sicherheit. Zum anderen werfen Bemühungen zur Bewältigung dieser Probleme unausweichlich Fragen nach gesellschaftlichen Zielvorstellungen und Visionen für die Zukunft bis hin zu positiven Zukunftsentwürfen einer gerechten Gesellschaft und des »guten Lebens« auf.

Allerdings wurde lange auch wissenschaftlich und öffentlich Kritik am Leitbild der nachhaltigen Entwicklung vorgebracht. Nachhaltigkeit sei eher eine rhetorische Floskel, die inhaltlich wenig oder gar nichts aussage, lade zum Missbrauch geradezu ein, da jeder Akteur in seinem Handeln einen Aspekt finde, der als nachhaltig verkauft werden könne, sei vom Anspruch her überladen und letztlich eine bloße Illusion von vermeintlichen Gutmenschen. Um diese Kritik ist es leise geworden. Wissenschaftliche Diagnosen, Handlungsansätze und politische Umsetzungen haben unzweifelhaft zu einer Konkretisierung des Nachhaltigkeitsleitbilds geführt. Die vielen immer wieder von Journalisten, aber auch von Wissenschaftlern vorgebrachten Diagnosen, die Nachhaltigkeitsthematik sei politisch oder öffentlich »tot« (vgl. das Schlagwort der »sustainability fatigue« – Nachhaltigkeitsmüdigkeit; Onisto 1999), hat sich als voreilig erwiesen. Kritik richtet sich heute weniger auf den Begriff der Nachhaltigkeit, sondern adressiert ihre vielfach schleppende Umsetzung. Bei allen verbleibenden Konflikten über den richtigen Weg scheint es dennoch so zu sein, dass der Begriff der nachhaltigen Entwicklung sich auf eine vielfach geteilte Diagnose einer zurzeit eben nicht nachhaltigen Entwicklung der Weltgesellschaft stützen kann, also auf eine sehr wohl »harte« Diagnose bestehender Probleme.

Die Problemorientierung als zentrale Motivation der Nachhaltigkeitsdiskussion zeigt sich in den in industrialisierten Ländern häufig thematisierten globalen Ressourcen- und Umweltproblemen. Auf die Endlichkeit und absehbare Erschöpfung vieler für die Industriegesellschaft lebenswichtiger Rohstoffe, wie z. B. fossiler Energieträger, seltener Metalle für die digitale Technik und Phosphor als Düngemittel, wird immer wieder hingewiesen. Beispielsweise durch die Steigerung der Effizienz ihrer Nutzung kann ihre zeitliche Reichweite teils beträchtlich vergrößert und können damit Ressourcen im Sinne der Zukunftsverantwortung geschont werden. Die Begrenztheit der landwirtschaftlichen Nutzfläche ist vor allem aufgrund der Nutzungskonkurrenzen zwischen Nahrungsmittelproduktion und der Nutzung von Biomasse für die Energiegewinnung ins Bewusstsein gerückt. In Bezug auf die Länder der »Dritten Welt« sind existenzielle Probleme, häufig als Nichterfüllung der elementaren Grundbedürfnisse (»basic needs«) in Form von Hunger, Fehlernährung und Armut, die mangelnde Versorgung mit sauberem Trinkwasser und Energie sowie Probleme der medizinischen Grundversorgung, nach wie vor von herausragender Dringlichkeit. Insbesondere die Sicherung der Welternährung hat angesichts der weiter zunehmenden Weltbevölkerung und des Klimawandels neue Aktualität erlangt.

Die Grenzen der Belastbarkeit der natürlichen Umwelt durch Emissionen und Abfall, häufig unter dem Stichwort der planetaren Grenzen (»planetary boundaries«) diskutiert, sind vielfach erreicht, teils längst überschritten (Rockström et al. 2009). Die Gefährdung der langfristigen Verfügbarkeit von sauberem Trinkwasser, die Verschmutzung der Ozeane, der dramatische Verlust an Biodiversität, das Mikroplastik-Problem oder die Gefährdung von Böden und ihrer Fruchtbarkeit sind wesentliche Probleme von globalem Ausmaß. Sie betreffen lebenswichtige Umweltgüter, auf die alle Menschen ein Anrecht haben, und die daher auch als »global commons« bezeichnet werden (Ostrom 1990). Als ein übergreifendes Thema beansprucht insbesondere die Klimaproblematik weltweit seit den 1980er Jahren politische, wissenschaftliche und öffentliche Aufmerksamkeit. Bisherige Ansätze zur Reduktion der Emission von Treibhausgasen wie Kohlendioxid, Stickoxiden und Methan sind auf globaler Ebene bislang nicht erfolgreich gewesen. Angesichts dieser Misserfolge und immer deutlicher sichtbar werdender Effekte des Klimawandels wächst der Druck zum Handeln, wie etwa von der globalen »Fridays for Future«-Bewegung in den Vordergrund gestellt. Die Diagnose des gegenwärtigen Zeitalters als »Anthropozän« (Crutzen/Stoermer 2000), in der der Mensch mit seiner Lebens- und Produktionsweise zur dominanten Einflussgröße auf dem Planeten geworden sei und entsprechend große Verantwortung habe, spiegelt diese Notwendigkeiten wider.

Soziale Herausforderungen wie Hunger, Armut, Bevölkerungszunahme, Migration und Perspektivlosigkeit in Teilen der »Dritten Welt« bilden die zweite große – und vor allem in den Entwicklungsländern mit nachhaltiger Entwicklung verbundene – Problemgruppe. Auch Arbeitslosigkeit, mangelnde öffentliche Sicherheit, Gesundheitsrisiken, Bildungsdefizite, die Zukunft der sozialen Sicherungssysteme, Staatsverschuldung, Folgen der Globalisierung, die Rolle der internationalen Finanzmärkte, Chancengleichheit oder auch Probleme regionaler Identitäten und Kulturen werden unter Nachhaltigkeitsaspekten diskutiert. Vielfach werden globale Umweltprobleme und globale soziale wie auch wirtschaftliche Probleme unter dem Begriff Globaler Wandel zusammengefasst (Kopfmüller 2003, WBGU 1996), wobei viele dieser Probleme sich wechselseitig beeinflussen.

Nachhaltige Entwicklung betrifft damit das Verhältnis von menschlicher Wirtschaftsweise, den sozialen Grundlagen einer Gesellschaft und den natürlichen Lebensgrundlagen von der lokalen bis zur globalen Ebene. Mit dem Leitbild sind Gestaltungsaufgabe und -anspruch in einer Komplexität verbunden, die einmalig in der Menschheitsgeschichte ist: Die Menschheit bzw. Weltgesellschaft »als Ganzes« wird zum Objekt von bewusster Gestaltung. In diesem Rahmen sind Steuerungsleistungen auf lokaler, regionaler, nationaler und globaler Ebene erforderlich, beispielsweise zur Frage, ob das Nachhaltigkeitsleitbild in Verfassungen aufgenommen werden solle. Die jeweiligen Akteure sind dabei konfrontiert mit der Ungewissheit und Unvollständigkeit des Wissens über die komplexen natürlichen und gesellschaftlichen Systeme und ihre Wechselwirkungen, mit dem Vorliegen teils unvereinbarer und von verschiedenen Interessen dominierter Bewertungen, mit der Begrenztheit ihrer Steuerungsfähigkeit sowie mit der Vielfalt und Konfliktträchtigkeit der vorgeschlagenen Maßnahmen für mehr Nachhaltigkeit.

Der Weg hin zu einer nachhaltigen Entwicklung stellt daher einen ethisch orientierten Such-, Lern- und Erfahrungsprozess dar. Das Vorliegen nur lückenhaften Wissens und provisorischer Bewertungen liefert allerdings angesichts der realen Problemlagen keinen Grund, nachhaltigkeitswirksames Handeln zurückzustellen. Handeln ist auch ohne vollständiges und sicheres Wissen möglich – und oft aus Vorsorgegedanken heraus auch nötig. Die Bewältigung dieser Herausforderungen – in so konkreten Bereichen wie Energie, Mobilität, Landwirtschaft, Klimaschutz, kommunale Planung, Zukunft der Sozialversicherungssysteme oder demografischer Wandel – erfordert allerdings neue und zum Teil tiefgreifende Maßnahmen, die Bereitschaft zur Veränderung sowie neue Denk- und Herangehensweisen, die sich zum Teil erst in Umrissen abzeichnen und häufig noch ausgesprochen kontrovers sind. Es gilt, den Weg in Richtung auf eine nachhaltige Entwicklung zum einen als Management-Problem zu verstehen, in dem es um klare Ziele, zweckdienliche Maßnahmen und ein Monitoring ihrer Effekte geht. Zum anderen bedarf dieser Weg jedoch auch der ständigen Vergewisserung in Bezug auf das weitere Vorgehen und Prioritätensetzungen, vor allem angesichts von Zielkonflikten und der nicht abschließend festlegbaren Pfade zu nachhaltiger Entwicklung (Grunwald 2016a).

Die Umsetzung der Nachhaltigkeitsidee ist auf umfangreiches wissenschaftliches und lebenspraktisches Wissen angewiesen. Die Wissenschaften sind gefordert, zur Konkretisierung von Nachhaltigkeit, zur Diagnose von Nachhaltigkeitsproblemen und zur Entwicklung geeigneter Therapien beizutragen. Nachhaltige Entwicklung ist bereits Thema in vielen Studiengängen an Universitäten und Fachhochschulen und gehört zum festen Inventar nationaler, europäischer und internationaler Forschungsprogramme. Ebenso findet nachhaltigkeitsrelevante Forschung in größerem Umfang in Unternehmen statt. Darüber hinaus gibt es weitergehende Bestrebungen, die verschiedenen Perspektiven und Erkenntnismöglichkeiten der Wissenschaft im Sinne einer »Wissenschaft für Nachhaltigkeit« (science for sustainability) inter- und transdisziplinär zu bündeln, d. h. wissenschaftliches und nicht wissenschaftliches Wissen zu integrieren. In diesem Zusammenhang, ebenso in Bezug auf die ethischen Fundamente der Nachhaltigkeit, wird eine Vielfalt theoretischer Perspektiven auf nachhaltige Entwicklung diskutiert, auch wenn eine übergreifende und anerkannte Theorie der Nachhaltigkeit bislang nicht vorliegt und möglicherweise auch nicht erwartbar ist.

Nachhaltige Entwicklung ist auch zu einem Thema der öffentlichen Diskussion geworden, wenngleich es sich aufgrund der inhärenten Komplexität zumindest für eine massenmediale Behandlung eher schlecht eignet. Persönliche Lebensstile zur Umsetzung des Nachhaltigkeitsleitbilds im privaten Bereich wurden entwickelt und haben sich in einigen (vor allem westlichen) Ländern mittlerweile in beträchtlichen Anteilen der Gesamtbevölkerung verbreitet. Der Begriff des »nachhaltigen Konsums« spielt hierbei eine wichtige Rolle. Eine offene Frage ist, ob es auf diese Weise gelingt, eine »Kultur der Nachhaltigkeit« in Bezug auf Lebensstile und Konsumverhalten bei einer Mehrheit der Menschen zu etablieren.

Aufbau des Buches

Der dargestellten Tatsache, dass das Thema der nachhaltigen Entwicklung in den letzten Jahren auch weit über den wissenschaftlichen Raum hinaus an Bedeutung gewonnen hat, ist der Bedarf an einem umfassenden, gleichwohl handlichen Überblick geschuldet. Das vorliegende Buch folgt der Idee, dass Konkretisierung und Umsetzung des Leitbilds nachhaltiger Entwicklung gemäß der geschilderten Dualität zwischen Erhaltung und Entwicklung erfolgen, um zu Problemlösungen im Lichte des Leitbilds zu gelangen.

Die Darstellung der Motivationen, über nachhaltige Entwicklung nachzudenken, erfolgt im Spiegel der geschichtlichen Entwicklungen, die diesen Begriff in seiner heutigen Form geprägt haben und in denen sich grundlegende ethische Anforderungen wie Verantwortung für heute lebende Menschen wie auch zukünftige Generationen herausgebildet haben (Kapitel 2). Der Weg zu einer nachhaltigen Entwicklung muss Randbedingungen und Megatrends wie etwa Urbanisierung und Globalisierung sowie die Bevölkerungsentwicklung in Betracht ziehen (Kapitel 3). Die Umsetzung selbst bedarf einer Reihe von Schritten, deren Gesamtheit als Operationalisierung des Leitbilds bezeichnet wird. Sie basiert auf – vielfach kontroversen – theoretischen und konzeptionellen Grundlagen und Entscheidungen, etwa im Hinblick auf die Gewichtung der Erhaltung der Funktionsfähigkeit der natürlichen Umwelt relativ zu anderen Entwicklungsaspekten oder die Rolle des Wirtschaftswachstums (Kapitel 4). Dem Brückenschlag in die konkrete Praxis hinein dient der Schritt, nachhaltige Entwicklung durch Analysemethoden erforschbar sowie durch Indikatoren »messbar« und bewertbar zu machen, um darauf Strategien einer Annäherung an Nachhaltigkeit aufzubauen, sie auf ihre Beiträge zur nachhaltigen Entwicklung hin zu bewerten und geeignete Instrumente der Umsetzung zu entwickeln (Kapitel 5). Die Umsetzung von Überlegungen und Maßnahmen zu einer nachhaltigen Entwicklung findet zu großen Teilen in zentralen gesellschaftlichen Handlungsfeldern wie Energie, Ernährung oder Wasser statt (Kapitel 6). Nachhaltige Entwicklung als hoch komplexe Gestaltungsaufgabe bedarf dabei des abgestimmten Vorgehens auf den verschiedenen politischen Ebenen (Kapitel 7) und des engagierten Einsatzes und der Zusammenarbeit vieler gesellschaftlicher Akteure (Kapitel 8). In allen Schritten von der Diagnose bis hin zur Therapie von Nachhaltigkeitsdefiziten spielt die Bereitstellung von Wissen, Bildung und technischen, institutionellen sowie sozialen Innovationen eine große Rolle (Kapitel 9). Für die Präzisierung und Umsetzung des Nachhaltigkeitsleitbilds ist seine öffentliche Wahrnehmung bedeutsam (Kapitel 10). Das Buch schließt mit zwölf Thesen, die aus unserer Sicht die für die erforderliche Transformation essenziellen Schritte benennen (Kapitel 11).

2.Entstehungsgeschichte und wesentliche Meilensteine

Die Geschichte des Begriffs nachhaltige Entwicklung kann bis in das 18. Jahrhundert zurückverfolgt werden (2.1). In den 1970er Jahren setzten, teils in dieser Tradition, internationale und themenübergreifende Debatten über Umwelt und Entwicklung ein (2.2). Als das »Geburtsjahr« nachhaltiger Entwicklung im heutigen Verständnis gilt das Jahr 1987 mit der Veröffentlichung des Berichts der Kommission für Umwelt und Entwicklung der Vereinten Nationen (Brundtland-Bericht), in dem die wesentlichen und bis heute anerkannten Definitionen und ethischen Anforderungen formuliert wurden (2.3). Die UN-Konferenz für Umwelt und Entwicklung in Rio de Janeiro 1992 (»Erdgipfel«), der bis heute weitere vergleichbare Konferenzen gefolgt sind, stellt den wichtigsten Meilenstein der politischen Verankerung des Nachhaltigkeitsleitbilds dar (2.4). Zentrales Ereignis der letzten Zeit war die Verabschiedung der Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen (2.5).

2.1Ursprünge des Leitbilds nachhaltiger Entwicklung

Der Begriff Nachhaltigkeit tauchte erstmals Anfang des 18. Jahrhunderts in der Forstwirtschaft unter der Zielsetzung auf, ökonomische Erwägungen mit dem Faktor Natur in Einklang zu bringen (Grober 2013). Vielfach wird die Abhandlung »Sylvicultura Oeconomica« des sächsischen Oberberghauptmanns von Carlowitz aus dem Jahr 1713 als erstmalige Erwähnung genannt. Landwirtschaftliche Aktivitäten, Schiffbau sowie zunehmender Holzbedarf in Berg- und Hüttenwerken hatten in vielen Regionen zu einer Übernutzung der Wälder geführt. Angesichts der knapper werdenden Holzbestände wurde unter nachhaltiger Forstwirtschaft eine Bewirtschaftungsweise verstanden, die auf einen möglichst hohen, gleichzeitig aber dauerhaften Holzertrag der Wälder abzielte: Es sollte pro Jahr nicht mehr Holz geschlagen werden als nachwächst. Mit anderen, ökonomischen Worten bedeutet das: man soll von den Zinsen des Kapitals leben und nicht das Kapital selbst verbrauchen. Dieses ressourcenökonomische forstwirtschaftliche Prinzip kombiniert das ökonomische Ziel der maximal möglichen dauerhaften Nutzung des Waldes mit dem Erhalt der ökologischen Bedingungen seines Nachwachsens und wurde ein Vorbild für spätere Nachhaltigkeitsüberlegungen. Mit dem Konzept des maximum sustainable yield fand der Nachhaltigkeitsbegriff Anfang des 20. Jahrhunderts auch Eingang in die Fischereiwirtschaft: Das Ausmaß des Fischfangs sollte sich an der Reproduktionsfähigkeit der Fischbestände orientieren, um maximale Erträge dauerhaft erzielen zu können (Maunder 2002).

In wissenschaftlichen Ansätzen haben Überlegungen zur Beständigkeit, zur Stabilität und zu Belastungsgrenzen von Wirtschaft und Gesellschaft eine gewisse Tradition, insbesondere seit der Industriellen Revolution. In den Anfängen der Wirtschaftswissenschaften wurde dem Faktor Natur, z. B. dem Boden als Grundlage der Ernährung, eine hohe Bedeutung für die wirtschaftliche Entwicklung beigemessen. So war John Stuart Mills (1806–1873) Idee einer »stationären« Wirtschaft bzw. Gesellschaft nicht ausschließlich von ethischen und Gerechtigkeitsaspekten, sondern auch von Überlegungen geprägt, die man heute mit dem Begriff der Ressourcenschonung beschreiben würde. Am bekanntesten wurden in diesem Kontext die Überlegungen von Robert Malthus zum Zusammenhang zwischen der Bevölkerungszahl und den zur Ernährung benötigten natürlichen Ressourcen. Malthus hatte vor dem Hintergrund des seit der Industriellen Revolution starken Bevölkerungswachstums in England ein Missverhältnis zwischen der verfügbaren Ressourcenmenge und der Bevölkerungszahl diagnostiziert. Als Folge prognostizierte er Hungersnöte, Epidemien und Kriege. Diese Arbeiten werden häufig als erste systematische Abhandlungen über die Wachstumsgrenzen in einer endlichen Welt und als eine frühe Quelle der Nachhaltigkeitsdebatte interpretiert.

In dem Maße jedoch, in dem fortschrittliche Methoden in Land- und Ernährungswirtschaft eine Verbesserung der Nahrungsmittelversorgung ermöglichten und die Bevölkerungszahlen trotz steigender Konsummöglichkeiten nicht in dem vorhergesagten Maß stiegen oder konstant blieben, fand die pessimistische These von Malthus immer weniger Resonanz und galt schließlich als widerlegt. Weil der wissenschaftlich-technische Fortschritt ein unbegrenztes Wachstum zu erlauben schien, wurden natürliche Grenzen des Wachstums bis Mitte des 20. Jahrhunderts kaum thematisiert. In den Wirtschaftswissenschaften findet sich die oben genannte Idee des maximum sustainable yield erstmals in dem in den 1940er Jahren von John Hicks formulierten Einkommensbegriff (Klauer 1998): Danach ist das »Einkommen« der Teil der zur Verfügung stehenden Gütermenge, der verbraucht werden kann, ohne künftige Konsummöglichkeiten einzuschränken. Dieses Verständnis von Einkommen wurde beispielsweise bei der Berechnung des Volkseinkommens in der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung aufgegriffen und liegt auch dem Prinzip der »Abschreibung für Abnutzung« bei Sachgütern zugrunde. In der dominierenden neoklassischen Wirtschaftstheorie (Klepper 1999) blieb der Faktor Natur in der Analyse des Wirtschaftsprozesses allerdings weitgehend ausgeblendet oder wurde zumindest nicht seiner zentralen Funktion gemäß behandelt, insbesondere angesichts von Knappheiten und Begrenzungen (Rogall 2012, Daly 1999). Unter anderem deswegen war das Nachhaltigkeitsprinzip bis weit in das 20. Jahrhundert im Wesentlichen explizit auf die Forst- und Fischereiwirtschaft sowie implizit auf den steuerlichen Abschreibungsmechanismus begrenzt, während es auf alle anderen Bereiche des Wirtschaftens keinen nennenswerten Einfluss hatte.

2.2Internationale Debatten über Umwelt und Entwicklung

Die Abhängigkeit der Menschheit von den natürlichen Grundlagen der Erde wurde erst intensiv thematisiert, als der unbekümmerte Fortschrittsoptimismus gegen Ende der 1960er und Anfang der 1970er Jahre angesichts der negativen Folgen des technischen Fortschritts und der Produktions- und Lebensstile vor allem in den Industriestaaten infrage gestellt wurde. Die Wahrnehmung der natürlichen Umwelt änderte sich radikal: Einerseits erschien sie durch den Menschen und seine Technik und Wirtschaftsweise bedroht, zunächst häufig durch lokale Umweltverschmutzung, später auch in globaler Hinsicht. Andererseits wurde deutlich, dass gerade Technik und Wirtschaft auf eine hinreichend intakte natürliche Umwelt als Produktionsfaktor angewiesen sind. Die Erkenntnis, dass die menschliche Wirtschaftsweise die Grundlagen zu zerstören drohte, auf die sie angewiesen war, wirkte zum Teil wie ein Schock.

Wesentlich dazu beigetragen hat der Bericht »Die Grenzen des Wachstums« des Club of Rome (Meadows et al. 1973). Er kam zu dem Ergebnis, dass eine Fortschreibung der damals aktuellen Trends in Bevölkerungswachstum, Ressourcenausbeutung und Umweltverschmutzung im Laufe der nächsten hundert Jahre zu einem ökologischen Kollaps und in der Folge zu einem katastrophalen wirtschaftlichen Niedergang führen müsse. Verstärkt wurde die Wirkung des Berichts durch das – eher zufällige – zeitliche Zusammentreffen mit der ersten Ölkrise 1973. Obwohl der Bericht des Club of Rome konzeptionell und methodisch sehr angreifbar ist, bewirkte er entscheidend, dass intensiver über die Zusammenhänge zwischen gesellschaftlichen Produktions- und Lebensstilen, Wirtschaftswachstum und der Verfügbarkeit bzw. Endlichkeit von Ressourcen nachgedacht wurde. Auch der 1980 erschienene Bericht »Global 2 000« an den damaligen US-Präsidenten Carter (CEQ/U.S. State Department 1980) thematisierte die Ressourcen- und Bevölkerungsproblematik und ihre wechselseitige Verknüpfung und erlangte eine vergleichsweise große Aufmerksamkeit in der öffentlichen Debatte.

Die Zunahme von Umweltbelastungen, etwa durch Emission von Schadstoffen in die Luft und in Gewässer, trug parallel dazu bei, dass Umweltaspekten in Politik und Medien größeres Gewicht beigemessen wurde. So wurde 1972 in Stockholm auf der ersten großen Umweltkonferenz der UN das Umweltprogramm der Vereinten Nationen (United Nations Environmental Programme, UNEP) gegründet. In der Folge wurden in zahlreichen Staaten eigenständige Umweltministerien geschaffen. Angesichts zunehmender Sensibilität für Umweltprobleme und erheblicher Schwierigkeiten bei ihrer Bewältigung wurde 1980 von der International Union for the Conservation of Nature (IUCN) in Zusammenarbeit mit anderen Organisationen die »World Conservation Strategy« erarbeitet (IUCN et al. 1980). Hier taucht der Begriff des Sustainable Development erstmals in einem etwas größeren wissenschaftlichen und politischen Kontext auf. Zentrale These dieser Strategie war – die Nähe zu dem forst- und fischereiwirtschaftlich geprägten Nachhaltigkeitsbegriff ist erkennbar –, dass eine dauerhafte ökonomische Entwicklung ohne die Erhaltung der Funktionsfähigkeit der Ökosysteme (vor allem der Landwirtschafts-, Wald-, Küsten- und Frischwassersysteme) nicht realisierbar sei.

Stand zunächst klar die Endlichkeit der Ressourcen im Mittelpunkt, so geriet in den 1980er und 1990er Jahren insbesondere mit dem Thema Klimawandel die »Senkenproblematik« stärker in den Blick (Michelsen 2016, SRU 2002). Auch der Club of Rome erweiterte seine Aussagen zur Ressourcenbegrenzung auf die bedrohte Ökosystemstabilität: Die natürliche Umwelt spielt für den Menschen nicht nur als Rohstofflager und Ressourcenquelle eine wesentliche Rolle, sondern auch als »Deponie« (Senke) für Abfälle und Emissionen. Aufnahme- und Verarbeitungskapazitäten der Umweltmedien Boden, Luft und Wasser sowie der Ökosysteme für Abfälle und Schadstoffemissionen sind jedoch begrenzt. Die schleichende Anreicherung von Rückständen der industriellen Produktion in Meerwasser, Grundwasser, Atmosphäre, Böden und in Lebewesen wurde zunehmend als ernsthafte Bedrohung für die Zukunft der Menschheit erkannt, mit dem Klimawandel als Hauptherausforderung (Kapitel 6.5).

Aufgrund der engen Relation zwischen dem Verbrauch von Ressourcen und entstehenden Emissionen, so etwa in der energetischen Nutzung fossiler Energieträger, müssen für umweltpolitisches Handeln in vielen Bereichen die Ressourcen- und die Senkenproblematik im Zusammenhang und jeweils unter Gesichtspunkten ihrer Begrenztheit gesehen werden. Diese äußert sich jeweils unterschiedlich: während die Begrenztheit natürlicher Ressourcen unmittelbar als Knappheit des Wirtschaftens dargestellt werden kann, führt die Begrenztheit der Aufnahmefähigkeit natürlicher Systeme für Emissionen erst indirekt zu Problemen, die dann freilich existenziell sein können, wie etwa bei einem ungebremsten Klimawandel. Beide Aspekte werden unter dem Begriff der »Planetary Boundaries« diskutiert (Rockström et al. 2009), die über die ökologischen Grenzen hinaus auch nicht ökologische Kriterien umfassen (vgl. Donut-Ökonomie, Raworth 2018). In den letzten Jahren gewinnen die Begrenztheit von Ressourcen und die Notwendigkeit ressourceneffizienten Wirtschaftens neue Bedeutung, vor allem da für neue Technologien, wie z. B. Elektromobilität, Energiespeicherung und Digitalisierung erhebliche Mengen an teils sehr seltenen Metallen benötigt werden (acatech 2017, BGR 2007). Freilich ist umstritten, wie relevant die physische Begrenztheit dieser und anderer Ressourcen wirklich ist, auch verglichen mit den Folgen ihres Abbaus (z. B. Schmidt 2019, Fücks 2011). Mangelnde Relevanz hätte z. B. Auswirkungen auf die Sinnhaftigkeit von Recycling zur Begrenzung des Verbrauchs natürlicher Ressourcen (Schäfer 2020).

Ressourcen- und Umweltprobleme betreffen verschiedene Weltregionen und verschiedene Bevölkerungsgruppen häufig auf sehr unterschiedliche Weise (Bullard 2007). Probleme der Umweltgerechtigkeit bestehen in der ungerechten Verteilung von Zugangs- und Nutzungsmöglichkeiten begrenzter Ressourcen wie Trinkwasser oder landwirtschaftliche Nutzfläche, aber auch in Bezug auf die Verteilung der Folgen einer übermäßigen Belastung der Umwelt (z. B. im Hinblick auf Gesundheitsgefahren oder die Folgen des Klimawandels auf gesellschaftliche Gruppen, Staaten und Weltregionen) (vgl. Kloepfer 2006).

Bereits im Rahmen der erwähnten Stockholmer UN-Konferenz 1972 wurde erstmals auf der internationalen Politikebene über die enge Verknüpfung zwischen Entwicklungs- und Umweltaspekten, insbesondere unter dem Stichwort Ecodevelopment, diskutiert, was dann später charakteristisch für den Nachhaltigkeitsbegriff werden sollte. Die gewaltigen Probleme der Entwicklungsländer, von denen viele erst nach dem Zweiten Weltkrieg von den Kolonialmächten unabhängig geworden sind, wurden immer deutlicher auch in ihren umweltschädigenden Effekten erkennbar: mangelnde wirtschaftliche Entwicklung, Staatsverschuldung, Armut, mangelnde medizinische Versorgung und katastrophale hygienische Bedingungen, Hunger, korrupte oder diktatorische politische Systeme und die für große Bevölkerungsteile weiter zunehmende Abkopplung von der Entwicklung in den Industrieländern.

Dies führte in den 1970er Jahren zu einer Fülle von Aktivitäten auf internationaler Ebene. Wichtige Akzente setzten die »Erklärung von Cocoyok«, das Abschlussdokument einer 1974 von UNEP und UNCTAD (United Nations Conference on Trade and Development) veranstalteten Konferenz, und der »Dag Hammarskjöld Report« von 1975. Darin wurde erstmals neben dem Missstand der »Unterentwicklung« auch der der »Überentwicklung«, bezogen auf verschwenderische Lebensstile in den Industriestaaten, angeprangert (Harborth 1991: 27 ff.). Auf dieser Basis setzte sich weitgehend die Erkenntnis durch, dass die von den Industriestaaten praktizierten Produktions- und Lebensstile nicht langfristig auf die übrige Welt – das heißt auf damals rund 80 % der Weltbevölkerung – übertragbar seien. Als Konsequenz wurde den Industriestaaten angesichts ihrer Verursacherrolle und der damit verbundenen Verantwortung für viele ökologische und sozioökonomische Probleme auch die Hauptlast bei deren Lösung zugewiesen. Der sogenannte »Brandt-Report« von 1980 und der darauffolgende »Palme-Report« von 1983 – beide Ergebnisse der Arbeit der Nord-Süd-Kommission der Vereinten Nationen – zählen zu den ersten internationalen Dokumenten, die diese globale Perspektive der Entwicklungsthematik auf die internationale politische Agenda brachten und entsprechende politische Handlungsvorschläge machten (vgl. zur Vertiefung: Selin/Linner 2005, Di Giulio 2003, Harborth 1991).

2.3Die Brundtland-Kommission

Vor dem Hintergrund dieser globalen Probleme im ökologischen, sozialen und ökonomischen Bereich nahm 1983 die UN-Kommission für Umwelt und Entwicklung (Brundtland-Kommission) unter dem Vorsitz der ehemaligen norwegischen Ministerpräsidentin Gro Harlem Brundtland ihre Arbeit auf. Sie hatte das Ziel, Handlungsempfehlungen zur Erreichung einer global dauerhaft durchhaltbaren Entwicklung zu erarbeiten (Hauff 1987: 1 ff.). Ihr kommt das Verdienst zu, den Begriff der nachhaltigen Entwicklung in einer kohärenten Weise formuliert und erstmals einer breiteren, auch nicht wissenschaftlichen Öffentlichkeit als globales Entwicklungsleitbild näher gebracht zu haben. Es gelang der Kommission, ein Nachhaltigkeitsverständnis zu entwickeln, das in seinen Grundlagen bis heute weltweit als geeignete Ausgangsbasis für konkretere Strategien akzeptiert wird.

In ihrem 1987 veröffentlichten Bericht »Unsere gemeinsame Zukunft« (Hauff 1987) stellte die Kommission drei Grundprinzipien in den Mittelpunkt: die globale Perspektive, die untrennbare Verknüpfung zwischen Umwelt- und Entwicklungsaspekten sowie die Realisierung von Gerechtigkeit zugleich in der intergenerativen Perspektive mit Blick auf zukünftige Generationen und in der intragenerativen Perspektive unter dem Aspekt der Verteilungsgerechtigkeit zwischen den heute lebenden Menschen. Zentrales Anliegen war, dass alle Menschen heute und in Zukunft ein menschenwürdiges Leben führen können. Die Kommission formulierte die vielfach zitierte und bis heute den meisten Arbeiten zur nachhaltigen Entwicklung zugrunde liegende Definition (WCED 1987: 43; vgl. Kapitel 1 in diesem Buch). Sie diagnostizierte die vier zentralen globalen Problembereiche Raubbau an den natürlichen Lebensgrundlagen, wachsende Ungleichheit in den Einkommens- und Vermögensverteilungen, zunehmende Anzahl in absoluter Armut lebender Menschen sowie Bedrohung von Frieden und Sicherheit. Nachhaltigkeit bedeutet daher die Bewahrung der Umwelt, Herstellung sozialer Gerechtigkeit und Gewährleistung von politischer Partizipation (Hauff 1987: 32 ff.). Dabei stehen, wie auch in der Nachhaltigkeitsdefinition der Brundtland-Kommission formuliert, menschliche Bedürfnisse im Mittelpunkt. Mit diesen Forderungen stellte die Kommission die Verantwortung des Einzelnen wie auch der Gesellschaft in den Mittelpunkt, sowohl für heute als auch für zukünftig lebende Menschen.

(a) Verantwortung für zukünftige Generationen