ISBN: 978-3-96861-288-1
1. eBook-Auflage 2022
© Aquamarin Verlag GmbH
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„Wo Liebe ist, kann Leid nicht sein.“
Krishnamurti
Martin Buber sah das Wesen des Menschlichen in der „Gemeinschaft“ erfüllt. Jedes Ich ist auf das Du, auf das Gegenüber ausgerichtet. Wenn die Begegnung mit dem Du erschwert oder gar unmöglich gemacht wird, droht dem Einzelnen die Gefahr der Isolierung – und damit der Erkrankung. Es geht also darum, wieder die Liebe zum Mitmenschen in den Mittelpunkt zu rücken und damit mehr Menschlichkeit zu ermöglichen.
Wir leben allerdings in einer irritierenden Zeit, in der die Mitmenschlichkeit auf erschreckende Weise gelitten hat. Noch nie waren die verschiedenen Gesellschaften, außer vielleicht während der beiden Weltkriege, so sehr von Angst bestimmt wie zu Beginn der „Zwanzigerjahre“ des 21. Jahrhunderts. Blickt man auf den Marktplätzen der Städte in maskierte Gesichter, so springt einen die dahinter verborgene Angst geradezu unvermittelt an. In allen Nachrichten, vom Fernsehen, über das Radio, die Printmedien bis hin zu den unüberschaubaren Netz-Beiträgen: Überall wird Angst verbreitet! Wir hätten uns nie vorstellen können, einmal ein „Angstfeld“ mit derartiger Macht in allen Bereichen des menschlichen Lebens so massiv wirken zu sehen. Hier offenbart sich eines der „Heilungsgesetze“, die wir an anderer Stelle thematisiert haben: „Dasselbe ist Denken und Sein.“1
Die ununterbrochene Prägung des menschlichen Denkens durch eine Angst einflößende Berichterstattung hat dazu geführt, dass verstörte Menschen hastig ihre Einkäufe durchführen, ständig bemüht, Kontakte zu anderen zu vermeiden. Kinder verstecken sich hinter ihren Müttern, wenn sie auf ihren bis dahin besten Freund treffen, weil „der ja ansteckend sein kann“. Wir kennen Berichte aus erster Hand von Kinderärzten, die uns die wahrhaft erschreckenden Veränderungen in der kindlichen Psyche auf dramatische Weise geschildert haben. Wenn Martin Buber recht hat, dass „alles wahre menschliche Leben Begegnung ist“, dann herrscht auf der Erde seit fast zwei Jahren kein wahrhaft menschliches Leben mehr. Man kann sich unschwer vorstellen, was diese Situation für die Gesundheit der Menschen bedeutet. Fehlende Nähe führt zu fehlender Menschlichkeit – und dann zu fehlender Liebe. Eine lieb-lose Gesellschaft jedoch wird erkranken. Zuerst an der Seele, danach auch im Körper.
Um dieser furchtbaren Entwicklung entgegenzuwirken, sind die nachfolgenden Ausführungen entstanden. Wir haben über mehrere Jahrzehnte hinweg immer wieder mit Heilern und Heilerinnen zusammenarbeiten dürfen, und über alle menschlichen Unterschiede und Behandlungsweisen hinweg waren sich alle einig: Die Liebe ist der Schlüssel zur Heilung! Die Schweizerin Renée Bonanomi hat dies sehr grundlegend formuliert: „Die Liebe sucht diejenigen Aspekte eines Menschen, die noch leiden, die noch mit Erwartungen und Illusionen besetzt sind. Die Liebe wirkt an diesen Stellen wie ein Spiegel, um sie zu erkennen, zu benennen und ins höhere Selbst zu integrieren. Durch die Liebe löst sich das dichte Schmerzhafte und Verkrampfte, es wird weich und fließend. Das Bewusstsein erweitert sich durch die Liebe.“2 Man könnte unschwer an dieser Stelle das Wort „Illusionen“ durch „Ängste“ ersetzen, um auf die aktuelle Lage einzugehen. Wer sich aus dem begrenzenden und das Leben einschränkenden „Angstfeld“ befreien will, kann dies nur, indem er sich wieder in die Liebe begibt. „Durch die Liebe entfalten sich Verständnis und Empathie zu den anderen Menschen. Man weiß, dass jeder nur nach seinem Bewusstseinszustand handeln kann und nicht anders. Diese tiefe Erkenntnis aus der Liebe heraus heilt alle Projektionen, Beschuldigungen und Erwartungen. Die Liebe heilt alle Verletzungen und Seelen-Schmerzen bei sich und bei den anderen. … Die Liebe weiß längst, dass alles richtig ist, wie es ist.“3
Es gilt dabei trotzdem, in allen seinen Handlungen achtsam zu sein. Das tiefe Wissen um die absolute göttliche Weisheit und Liebe, die über allem wacht und in allen Geschehnissen waltet, darf nicht zu einem passiven Quietismus führen. Die göttliche Liebe ist auf Werkzeuge angewiesen, um sich auf der Erde manifestieren zu können. Jeder Einzelne ist immer wieder aufgerufen, sich als Werkzeug zur Verfügung zu stellen. Auch die geringste Tat, vom Gießen der Blumen der Nachbarin bis zum Hochtragen der schweren Einkaufstaschen einer alten Dame, fällt darunter. Liebe kennt kein „klein“ und auch kein „groß“. Wahre Liebe kennt kein Subjekt oder Objekt mehr, sie verschenkt sich an alle Wesen in gleichem Maße, und sie liebt ohne ein „Warum“. Sie offenbart ihre innere Ewigkeit und kennt kein Gestern und kein Morgen. Sie ist ganz im Jetzt gegenwärtig, und in diesem Jetzt ist sie stets neu.
Krishnamurti hat immer wieder betont, dass die Liebe eine „lebendige Gegenwart“ ist. Sie ereignet sich, sie geschieht. Darum kann man, wenn man dieses Mysterium verstanden hat, nicht mehr sagen: „Ich will lieben.“ In seinem unsterblichen Meisterwerk „Einbruch in die Freiheit“ wird dies in einzigartiger Klarheit in Worte gefasst: „Der Liebe zu begegnen, ohne sie zu suchen, ist der einzige Weg, sie zu finden; man muss ihr unbeabsichtigt begegnen und nicht durch Anstrengung oder Erfahrung. Sie werden entdecken, dass eine solche Liebe zeitlos ist. Solche Liebe ist sowohl persönlich als auch unpersönlich. Sie gehört dem einen wie den vielen. Sie ist wie eine duftende Blume; Sie können ihren Duft wahrnehmen oder an ihr vorübergehen. Diese Blume ist für jeden da und besonders für den einen, der sich die Zeit nimmt, ihren Duft innig einzuatmen und sie mit Entzücken anzuschauen. Ob man ihr im Garten ganz nahe ist oder weit entfernt, für die Blume ist es das Gleiche, weil sie voll des Duftes ist und ihn für jeden verströmt.
Liebe ist immer neu, frisch und lebendig. Sie hat kein Gestern und kein Morgen. Sie ist jenseits der gedanklichen Unruhe. Nur der unschuldige Mensch weiß, was Liebe ist, und der unschuldige Mensch kann in einer Welt leben, die ohne Unschuld ist.“4
Aus dieser inneren Kraft heraus ist wahre Heilung möglich. Zuerst für sich selbst, dann auch für andere. Wer diese Liebe in sich gefunden hat, der wird sich unmittelbar berufen fühlen, sie in die Welt, an seine leidenden Erdengeschwister weiterzureichen. Daher haben sich im Umfeld Krishnamurtis immer wieder Heilungen ereignet, manchmal sogar ohne sein aktives Mitwirken. Liebe geschieht. Heilung geschieht. Wenn ein „Ich“ dazwischen tritt, im Sinne etwa von „ich will heilen“, geht die Unschuld verloren. Das Mysterium tritt in den Hintergrund. Es mag sich trotzdem Heilung einstellen, weil „Gott auch auf krummen Linien gerade schreibt“, aber das Eigentliche, das nicht mit Worten Beschreibbare, tritt in den Hintergrund.
Peter Allmend lässt in seinem gleichnamigen Buch eine Weise namens „Elision“ zu Wort kommen, die auf ähnliche Weise wie Krishnamurti über das große Mysterium der Liebe spricht:
„Die LIEBE ist so unendlich tiefer, schöner, geheimnisvoller und mächtiger, als du es auch nur im Entferntesten erahnen kannst.
Die Liebe ist der Ursprung allen Seins. Wir sind alle aus dieser QUELLE der LIEBE herausgeflossen und bleiben ihr unauflöslich verbunden.
Liebe ist das Einzige in deiner Welt wie auch in meiner, was wir nicht wollen können. Auch wenn du dir die größte Mühe gibst, es liegt nicht in deinem Vermögen, lieben zu wollen.
Die Liebe kommt zu dir als Geschenk. Du hast nicht einmal darum gebeten. Plötzlich tritt sie in dein Leben. Du weißt nicht, woher sie gekommen ist noch wohin sie geht. Du kannst sie willkommen heißen, du kannst mit ihr leben und glücklich sein – doch du kannst sie nicht festhalten. Und dennoch bleibt sie immer bei dir.
Liebe ist Gnade. Oder sollte ich sagen: Gnade ist Liebe? Wenn du einmal vom Geheimnis, vom Geschenk, von der Gnade der Liebe berührt wurdest, wirst du niemals wieder derselbe sein, der du davor warst.“5
Die vorstehend skizzierten Gedanken waren leitend für uns, um dem Geheimnis der Liebe im Umfeld von Krankheit und Heilung nachzugehen. Es wird sich zeigen, dass, weit mehr als man vermuten möchte, auch beim Heilungsgeschehen der Liebe eine entscheidende Rolle zukommt. Zumeist sind es Menschen, die sich bei der Behandlung einer Krankheit begegnen. Diese Menschen stehen in einer Beziehung zueinander, die entweder heilsam oder unheilsam ist. Gelegentlich mag sie sich sogar gefühllos, ohne irgendeine innere Beteiligung vollziehen. Krankheit ist ein „Aus-der-Ordnung-Gefallen-sein“. Liebe stellt in letzter Konsequenz diese Ordnung wieder her. Ohne Liebe sprechen wir nur von einer „Reparatur“, mit Liebe sprechen wir von einer wahrhaften Heilung des Menschen.
Der amerikanische Arzt und Theologe Jeffrey Rediger kleidet dieses Heilungsgeheimnis in seinem sehr lesenswerten Buch „Geheilt!“ in einen einzigen bemerkenswerten Satz: „Die Liebe berührt und heilt etwas, was für Medikamente unerreichbar ist.“6
Begeben wir uns also gemeinsam auf die Suche nach dem, „was für Medikamente unerreichbar ist“!
1 Peter & Katarina Michel, Zwölf Gesetze der Heilung, Grafing 2011, S. 69 ff.
2 Katarina Michel/Renée Bonanomi, Heilung geschieht im Bewusstsein, Grafing 2015, S. 87
3 Ebd., S. 89
4 Krishnamurti, Einbruch in die Freiheit, Grafing 2002, S. 102
5 Peter Allmend, Elision, Grafing 2014, S. 148 f.
6 Jeffrey Rediger, Geheilt!, München 2020, S. 82
„Denken Sie nicht, dass Sie die Krankheit sind.
Es wäre vielmehr wichtig, sich zu sagen:
„Ich habe eine Krankheit.““
Dora Kunz