Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über www.dnb.de abrufbar.
ISBN 978-3-7557-7178-4
© 1945-1948, Horst Käthner
© 2021, herausgegeben von A. und N. Schramm
Herstellung und Verlag: Books on Demand GmbH, Norderstedt
Einband: Norbert Schramm
Liebe Leserin, lieber Leser,
nach dem Tod unseres Vaters, Horst Käthner, fanden wir in seinem Nachlass drei Notizbücher. Da diese alle in Stenografieschrift geschrieben sind, konnten wir nur anhand der lesbaren Jahreszahlen schlussfolgern, dass es sich um Aufzeichnungen aus der Zeit seiner Kriegsgefangenschaft handeln musste.
Es vergingen viele Jahre bis wir Frau Christel Heinze gefunden haben und sie gewinnen konnten, uns die Aufzeichnungen zu übersetzen. Der Erhaltungszustand der Notizbücher ist teilweise sehr schlecht und nur mit sehr viel Mühe zu entziffern. Hinzu kommt, dass jeder Mensch, der Steno schreibt, eine andere Handschrift führt und auch eigene Abkürzungen verwendet. Somit ist es nicht verwunderlich, dass manche Stellen nicht gelesen und entziffert werden konnten. Diese fehlenden Stellen sind mit Auslassungspunkten (…) gekennzeichnet. Wir haben einzelne Wörter, die im Satzzusammenhang vermutlich gemeint sind, in Kursivschrift eingefügt.
Wir danken Frau Heinze sehr herzlich für ihre Arbeit, denn inzwischen hat sie alle drei Notizbücher übersetzt.
Von den ca. 3,3 Millionen deutschen Soldaten, die in sowjetische Gefangenschaft gerieten, kehrten knapp 2 Millionen nach Deutschland zurück. Alle anderen (39 %) sind in den Lagern ums Leben gekommen oder gelten bis heute als verschollen. Insgesamt gerieten bis Kriegsende etwa 5,7 Millionen Rotarmisten in deutsche Kriegsgefangenschaft, die 3,3 Millionen von ihnen nicht überlebten (42%).
Als nachgeborene Generation haben wir schlimmstenfalls die Nachwirkungen des Zweiten Weltkrieges gesehen und nur wenig Entbehrungen erfahren müssen. Umso mehr ist es uns ein Bedürfnis, das die persönlichen Aufzeichnungen unseres Vaters nicht in Vergessenheit geraten und seine Erinnerungen der Nachwelt erhalten bleiben.
Mögen die persönlichen Schilderungen den Lesern die Sinnlosigkeit aller Kriege und die Grausamkeiten aller Kriegsbeteiligten lebhaft vor Augen führen.
Thomas Käthner, Annegret Schramm geb. Käthner und Norbert Schramm
Februar 2020
Am 08.02.1926 wurde ich in Mühlhausen in Thüringen geboren. Mein Vater, Bäckermeister Paul Kätner, meine Mutter die Schneidermeisterin Traude Grete Käthner, geborene Runge. Meine ersten beiden Lebensjahre verliefen ohne besondere Vorkommnisse. Mit zwei Jahren wegen Wucherungen in der Nase operiert. Mit fünf Jahren machte ich meine erste große Reise nach Paris. Hier arbeitete mein Vater als Monteur für die Mühlhausener Strickmaschinenfabrik Walther & Co. Nach einem halben Jahr fuhren wir wieder nach Deutschland zurück.
Mit sechs Jahren kam ich in die Schule. Mein erster Lehrer in der Grundschule war Herr Bez.
Ich erreichte die Klassenziele leicht. Mit 10 Jahren kam ich in die Mittelschule.
Gleichzeitig wurde ich 1936 in das Deutsche Jungvolk aufgenommen. In der Mittelschule blieb ich bis zum Jahr 1942. Machte meine Abschlussprüfung und bestand alle Lehrfächer mit Ausnahme von Musik mit „gut". Gerade das hat mich sehr geärgert, denn ich hatte in allen Jahren in Musik „gut". Ich bin nicht unmusikalisch, denn ich hatte von 1937 bis 1942 Klavierunterricht bei Frau Mickel. Im ersten Jahr hatte ich große Fortschritte zu verzeichnen, denn ich konnte bereits Noten und auch schon Klavier spielen.
Nach etwa zwei Jahren ließen meine Erfolge im Klavierspielen nach, da ich durch die viele Schularbeit nicht mehr Zeit genug hatte zum Üben. Ich musste den Unterricht bei Herrn Richter aufgeben, da mein Vater annahm, ich würde dort keine größeren Fortschritte machen. Oft habe ich die Klavierstunden mit Tränen in den Augen verlassen. Es waren nicht Tränen der Angst, sondern Tränen der Wut, weil ich Stücke so und so viel Mal aufbekam. Es war mir durch die Schularbeiten nicht mehr möglich, die ganzen Themen durchzuarbeiten. Da Richter dann nur noch gegen mich war, stieß er bei mir auf vollkommene Ablehnung. Im letzten halben Jahr meiner Schulzeit gab ich dann den Unterricht auf. Wenn ich Schulkinder hätte, würde ich das nicht machen, denn es kann möglich sein, dass ein Jugendlicher leicht die Lust an irgendeiner Sache verlieren kann; dann zu Herrn Siegfried. Der Unterricht war von meiner Mutter sehr gut gedacht, störte aber sehr mein Selbstvertrauen in die Schule, noch dazu, da ich dann Herrn Siegfried als Hauptschullehrer in der Schule bekam. Ich habe jedenfalls bis zu meinem 16. Lebensjahr viel zu tun gehabt und hatte sehr wenig freie Zeit. Ich habe das auch sehr vermisst, denn ich hatte für das Spielen auf der Straße nie viel Interesse gehabt. Sonnabends ging ich immer in meinen Garten zum Ruhen und sonntags ging ich immer mit meinen Eltern aus. Dadurch kam ich mit Mädchen fast nicht zusammen. Das war für die Schule gut, hat aber auch Auswirkungen auf mein künftiges Leben gehabt, indem ich den Mädchen ziemlich schüchtern gegenüberstand. Ich habe auch wenig Freunde gehabt. Bei uns in der Straße wohnte z. B. nur ein Junge und der hieß Herbert Rost. Als ich in die Mittelschule kam, verzog er nach Gotha.
Ich machte meine Schulaufgaben oft mit meinem Schulkameraden Arthur Franke aus der Grünstraße. Ich selbst habe als Kind immer allein gelebt und so brauchte ich auch niemanden, der sich mit mir abgab. Ich streifte gern allein mit dem Fahrrad am Nachmittag durch den Wald oder fuhr mit dem Fahrrad zu den Steingräben1. Noch heute ist es eine der schönsten Erholungen für mich, Heilkräuter in der freien Natur zu sammeln.
Kurz vor Weihnachten 1941 musste ich mich auch für die Berufswahl entscheiden. Ich konnte gut schreiben und war für Büroarbeiten gut zu gebrauchen. Dies erzählte meine Mutter einer Kundin von ihr, der Frau … Diese schlug vor, dass ich bei der Stadtverwaltung eintreten sollte. Sie sprach mit ihrem Mann. Der schlug mir dann vor, davon Abstand zu nehmen und mich bei der Finanzverwaltung zu bewerben. Er hatte Beziehungen zum Herrn Kiesow vom Finanzamt Mühlhausen. Er holte sich die nötigen Unterlagen und dann schrieb er meinen Lebenslauf. Ich besorgte mir Zeugnisabschriften. Ich musste dann meine Bewerbungsschreiben machen und bekam Bescheid, dass ich mich am 1. April 1942 im Finanzamt Mühlhausen melden sollte. Nach 14 Tagen wurde ich zum ORR2 geladen, der mich mit einem Schreiben bekannt machte, in dem stand, dass ich mich acht Tage später auf der Reichs-Finanzschule Meersburg am Bodensee zu melden hatte.
Ich bekam sofort einen Schrecken und noch mehr wie ich meine Mutter. Sie wollte mich natürlich noch solange bis ich eingezogen wurde bei sich haben. Aber ich musste mich sofort entscheiden und schließlich zog ich meinen Beruf vor. Ich fuhr voller Erwartung nach Meersburg3, denn es war ja mein erstes Studium auswärts.
Der Hausmeister bereitete mir schon durch seine unhöfliche Art etwas Unbehagen. Ich kam mit ganz Unbekannten zusammen.
Ich habe auch später immer wieder festgestellt, dass es besser ist – mit Ausnahmen – mit Unbekannten zusammenzukommen, wenn keiner vom anderen etwas weiß als umgekehrt. Außerdem ist dann niemand da, der einzelne begangenen Fehler später breittragen kann. Das habe das immer wieder festgestellt und es hat sich auch immer wieder bewahrheitet.
Ich machte dann im März 1943 die Finanzanwärter (Finanzverwalter)-Prüfung mit dem Ergebnis „fast gut". Ich bin mit einer mündlichen Prüfung mit Themen drangekommen, die ich gut beherrscht habe. Auch die schriftlichen Arbeiten verliefen zu meiner vollkommenen Zufriedenheit. Die Arbeit in AO4 schrieb ich mit 1,75, die in Buchführung mit 2,00, die in EST5 mit 2,25. Dadurch hat sich dann das Mittel etwas nach unten verschoben, so dass ich nicht zu einer reinen 2,00 kam.
Ich fuhr dann nach Hause und meine Eltern, wie auch ich, freuten sich des Wiedersehens.
Ich hatte damals einen Tadel meiner Eltern erwartet und zeigte nicht ganz sicher mein Zeugnis mit 2,25, aber meine Mutti lobte mich sofort und dafür bin ich ihr sehr dankbar. Ich hatte dann noch vier Tage frei und musste mich dann auf dem Finanzamt (FA) Erfurt melden. Ich wäre gern in Mühlhausen geblieben, aber das war nicht möglich, weil Mühlhausen kein Ausbildungs-Finanzamt war.
Ich kam etwas später im FA Erfurt an. Die anderen waren bereits untergebracht. Da schickte mich der OF und Inspektor Finanzwesen zu einer Firma, da ich mich dort bei einem Herrn Kirchheim melden sollte. Der saß in einem Sessel und die Angestellten waren ziemlich diensteifrig. Mir gefiel dieser Beruf als Betriebsprüfer tadellos, obwohl sehr viel Können dazu gehört. Und ich muss noch sehr viel lernen, bis ich es so weit gebracht habe wie Herr Kirchheim. Dann nahm ich am 13. Juli meinen Urlaub.
Ich bekam am selben Tag meine Einberufung zum RAD6 nach Unterweißbach und ich fuhr mit meinen Eltern nach …berg in Urlaub und von dort aus in kurzer Hose direkt zum RAD.
Hier musste man sich natürlich erst sehr umstellen auf den ganzen militärischen Dienstbetrieb. Doch nach einigen Wochen gefiel es mir ganz gut und wir waren nur ein paar Wochen im RAD, dann hieß es plötzlich, alle Arbeitsmänner vom Jahrgang 1926, die keine Freiwilligen waren, wurden von der … geholt und mussten sich sofort fertig machen. Die fuhren mit …feldmeister Hildebrand bis nach … in Westfalen.
Hier wurden sie zusammen mit anderen Arbeitsmännern des Jahrgangs 1926 zu einer neuen Einheit zusammengestellt. Die Abteilung bestand nur aus Arbeitsmännern, zusammengestellt zu einer Flakbatterie.
Ich war zuerst E37 am Kdo 408. Nach kurzer Zeit wurde ich zum Lehrgang zur FA5 IV … geschickt. Hier machte ich einen Lehrgang als B4 - B59 mit. Ich schaffte ihn gut. Ich habe mit Sonntags-Urlaubsschein Fahrten zur Zugspitze und nach Garmisch-Partenkirchen gemacht. Dann kamen wir wieder zurück nach … Hier war Höhenzahl10 0 m in der …
1 Trockentäler und Steingräben prägen die Muschelkalk-Landschaften um Mühlhausen. Sie zählen zu den be-eindruckendsten Karstlandschaften Thüringens.
2 Oberregierungsrat
3 Stadt am Bodensee (Baden-Württemberg)
4 Abgabenordnung
5 Einkommensteuer
6 Reichsarbeitsdienst („Alle jungen Deutschen beiderlei Geschlechts sind verpflichtet, ihrem Volk im Reichsarbeitsdienst zu dienen.”)
7 Zu jedem Flak-Batteriegefechtstand gehörte neben dem Batteriechef der Messoffizier und der Messtruppführer, die eine Messstaffel führen – mit E1-Entfernungsmesser, E2-Seitenwinkelmesser und E3-Höhenmesser.
8 Kdo 40 = Kommandogerät 40; Koordinatenrechner für XYZ-Koordinaten
9 Bezeichnungen für Bedienungsleute – B4 ist der Kursübermittler, B5 bedient die Schalterstellungen
10 Höhenzahlen = Höhenangaben auf Geländekarten in Metern; beziehen sich auf Normal-Null (NN)
08.02.1945 | Mein Geburtstag in Fort Waldersee11. Alles gesund. |
12.02.1945 | Verwundet vor Fort Bonin12 |