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© eBook: GRÄFE UND UNZER VERLAG GmbH, München, 2022
© Printausgabe: GRÄFE UND UNZER VERLAG GmbH, München, 2022
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Projektleitung: Anita Zellner
Lektorat: Gabriele Linke-Grün
Korrektorat: Annette Baldszuhn
Bildredaktion: Petra Ender, Natascha Klebl;
Covergestaltung: ki 36 Sabine Krohberger Editorial Design, München
eBook-Herstellung: Viktoriia Kaznovetska
ISBN 978-3-8338-8428-3
1. Auflage 2022
Bildnachweis
Coverabbildung: Kathrin Königl
Fotos: Jürgen Feder, Kathrin Königl, stock.adobe.com
Syndication: www.seasons.agency
GuU 8-8428 02_2022_02
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Aus Nordchina stammt der bis zu 30 Meter hohe Chinesische Götterbaum.
Unkraut nennt man Pflanzen, deren Vorzüge nur noch nicht erkannt worden sind.
Ralph Waldo Emerson (1803 – 1882)
Es geschah am 21. August 2017 – ich war gerade fünfzehn Minuten vom Nachtlager in meinem Auto vor der sehr steilen Wittenbergener Elbtalkante im Hamburger Westen erwacht. An diesem sonnendurchfluteten Morgen galt es eigentlich eine Botanik-Exkursion für etwa 20 Personen vorzubereiten. Da passierten zwei für mich bis heute unvergessliche Dinge: Erstens just in diesem Moment fuhr haushoch das 2004 in Dienst gestellte und 345 m lange Kreuzfahrtschiff Queen Mary 2 an »meinem« Elbestrand auf der Fahrt zum Hamburger Hafen an mir vorbei. Und zweitens köpfte ein ganz offensichtlich fehlgeleiteter Mit-Morgenausschwärmer vor mir einige der gerade prächtig blühenden Wald-Engelwurze! Diese Pflanzenart kannte er offensichtlich überhaupt nicht. Ich sprach ihn an – besser, ich stellte ihn zur Rede!
Besagter »Pflanzenfreund« war auf der Jagd nach neophythischen Riesen-Bärenklauen, die er »erlegen« wollte, um die einheimische Pflanzenwelt vor der Ausbreitung der fremden Einwanderer zu schützen. Ganz abgesehen davon, dass Riesen-Bärenklaue küstennah überhaupt nicht häufig sind und dass es sich bei dieser Art hier um eine alte Heil-, Salat- und Würzpflanze handelt. So ein Unsinn mal wieder gerade von denjenigen, die sich nie wirklich informieren und nur irgendwelchen Sündenböcken hinterherhechten, selbst in hiesiger Pflanzenwelt.
Was gibt es da zum Teil für ein Bohei um diese Neubürger in unserer heimischen Pflanzenwelt. Aggressiv wären sie, nur kompromisslos, konkurrenzlos, unangepasst, giftig – und ja, auf sogenannte Schwarze Listen gehörten nicht wenige! Unerklärlich negativ besetzt, mit schlechtem Ruf, ja sogar richtig gefährlich … Leute, bleibt doch mal gelassen! Alles hat seine Gründe! Der Mensch verändert(e) unsere natürlichen Lebensgrundlagen gerade in den letzten 50 Jahren noch einmal massiv. Diese Übersiedler nutzen das nur aus. Sie spielen ihre Stärken aus, setzen nach, kämpfen sich durch, fassen neu Fuß, samen sich aus, ja – sie breiten sich auch mal aus.
Wir werden die Neophyten vielleicht noch brauchen, ganz bestimmt sogar, wenn das so weitergeht mit dem Raubbau der Natur auf dieser Welt. Diese niedlichen bis robusten, bescheidenen bis auch mal brachialen, besonders angepassten bis opportunistischen, oft nützlichen bis nur scheinbar unbrauchbaren, mal kleckernden und dann auch mal klotzenden neuen Gewächse. New Wave unter Pflanzen ist schon lange das Motto, uns fiel das nur kaum auf. »Plants for Future« sind das, ich bin mir da ganz sicher. Sie werden in Siedlungen und draußen unsere Wunden heilen, sie werden verbinden, vernähen, zudecken, gleichzeitig duften, ernähren, Schönheiten zulassen. Zumindest Sauerstoff produzieren, C02 und Staub binden tun sie schon mal alle. Was alles sehr wichtig wäre …
Dieses Buch ist also eine dicke Lanze für unsere plantaren Migranten, ein Plädoyer für Artenvielfalt, wieder eins für Biodiversität, ein Aufklärer gegen manch kruden Gedanken, auch gegen unnützen Aktivismus, ja, eine Antwort auf den Klimawandel. Gut für jeden von uns und für mich, der bereits sogar von – zugegeben auch mal andere Pflanzen verdrängenden – Neophyten regelrecht gerettet wurde. Am 6. August 2016 war das zum Beispiel, auf dem Gelände des riesigen Güterbahnhofs in Leipzig –total abgeschieden, nichts zu essen und nichts zu trinken. Ich wollte dafür partout nicht extra das Gelände verlassen! Was bot sich da an? Von der großen Palette an Neophyten futterte ich dort über Stunden prallste und süßeste Beeren der Armenischen Brombeere vom Kaukasus, zum Nachtisch gab es Sprossen von Verschiedensamiger Melde aus Westasien. Obst und Gemüse sozusagen auf dem Gleisparkett. Nur das, was man kennt, kann man nutzen, gegebenenfalls dann auch schützen. Kann man ein- und zuordnen, gegebenenfalls auch gerne mal vorwarnen.
Die Graukresse ist eine hervorragende Bienenfutterpflanze, die Straßen und Böschungen säumt.
Auch ich finde, in Naturschutzgebieten muss man beispielsweise Japanische Staudenknöteriche nicht wuchern lassen (sofern noch zurückdrängbar). Erwähnter Riesen-Bärenklau muss in wenigen Jahren nicht am Klarwasserbach seelenruhig von zehn auf Hunderte Exemplare anwachsen. Inzwischen kommen wir aber bei ihm oder beim Drüsigen Springkraut vom Himalaya um Lichtjahre zu spät. Ob sich dieses doch hübsche, ja essbare Zeug nun mit Brennnesseln, Hopfen, Rohr-Glanzgras, Schilf, Weiden oder Zaun-Winde duelliert, da bin ich eher entspannt. Kinder von Traurigkeit sind sie nämlich alle nicht.
Neue Pflanzenarten wanderten ab 1492 mit der Entdeckung Amerikas und der danach einsetzenden Erkundung des Seewegs nach Ostasien ein. Unsere wichtigsten Neubürger, alle fest eingebürgert. Kräuter flach wie ein Handteller oder bis zu vier Meter hoch. Gerade schwer angesagt, groß in Mode, teils in aller Munde. Viele davon durchaus absichtlich zuerst in Haus- und Botanische Gärten geholt, weil zunächst schön anzusehen, dann aber achtlos als Abfälle in die Pampa entsorgt. Auf jeden Fall ein Grund, eingefahrene Standpunkte und alte Gewohnheiten zu überdenken, neue Naturentwicklungen und veränderte Artenzusammensetzungen zu akzeptieren. Und ja, auch wieder mal (m)eine Liebeserklärung: Dieses Buch soll Neugierde wecken, Vorurteile abbauen und Wissen erhöhen. Dahin möchte ich Sie bringen, zu neuen Ufern, zu den 111 bedeutendsten Neophyten in Deutschland – von den Küsten im Norden bis zum Alpenrand im Süden.
Ihr Jürgen Feder
Der Hasen-Klee ist an seinen weidenkätzchenartigen Blüten leicht zu erkennen.
Nicht selten gibt es kleine Duelle, wer wann und wo erstmals eine neue Pflanzenart entdeckt. Das wird dann mehr oder weniger groß publiziert, denn so was muss doch die Welt erfahren!« … Ja, richtig, aus der großen weiten Welt kommen sie zu uns, die Neubürger, sogar per Schiff. Braucht doch nur jemand noch Samen an den Schuhen aus Venedig oder Brotkrümel aus Rio im Gepäck zu haben. Blinde Passagiere auf der Suche nach neuen Ländern, nach anderen Kontinenten. Ihre Dokumentation war früher regelrecht Volkssport, schenkt man den vielen Publikationen – besonders zwischen 1860 und 1930 – über allerlei unbekannte Pflanzenneulinge in Gruben, Güterbahnhöfen, Häfen und Müllkippen Glauben. Und es gab dies alles auch schon bedeutend eher – wenn nicht sogar gleich nach den letzten Eiszeiten.
Dynamik in der Natur war immer schon Trumpf, wer zuerst kam, der mahlte zuerst. Das ewige Gesetz des Zuerstdagewesenen, der Schnellere gewinnt, ständiger Wettbewerb um allerbeste Plätze. Denken Sie nur an unsere über 300 Arten der Äcker (Segeralflora). Von denen viele erst nach der Zurückdrängung der weiten Waldlandschaften zu uns kamen, mit dem Ackerbau aus dem Südosten Europas. Stets populär und geliebt-attraktiv, selbst Acker-Rittersporn, Klatsch-Mohn und Kornblume, oder viel weniger präsent Acker-Haftdolde, Frauenspiegel, Gelber Günsel und Venuskamm: Alle auch nicht ursprünglich, sondern Alteinwanderer.
Die punktierte Nachtkerze bietet vielen Insekten reichlich Nahrung.
Neophyten (von griech. neos = neu, phyton = Pflanze) sind neben unseren ganz ursprünglichen Pflanzenarten, den sogenannten Indigenen (Idiochorophyten), und den schon vor 1492 etablierten Alteinwanderern, den Archaeophyten (von griech. archaeo = alt, phyton = Pflanze) die dritte wichtige Säule der heimischen Flora. Archaeophyten und Neophyten werden in ihrer Gesamtheit als Agriophyten bezeichnet (von griech. agrios = einwandernd).
Zu den Indigenen zählen etwa Besenheide, Breit-Wegerich, Edelweiß, Sand-Birke, Stiel-Eiche und Sumpfdotterblume. Sie waren von Anfang an da. Archaeophyten sind z. B. zahlreiche Ackerbegleitarten (Segetalpflanzen), die vor allem aus Süd- und Südosteuropa zu uns gelangten. Hier können Acker-Hahnenfuß, Acker-Senf, Kornrade, Persischer Ehrenpreis und Saat-Mohn genannt werden.
Bei den erst ab 1492 mit der Entdeckung Amerikas übergesiedelten Gewächsen unterscheiden wir die eingebürgerten Neophyten, die sich inzwischen ohne direktes Zutun von Menschen halten, und die unbeständigen Spezies. Letzere sind die sogenannten Ephemerophyten (von griech. ephemeros = vorübergehend).
Das Thema dieses Buches sind nur die in Deutschland knapp 400 fest etablierten Wanderpflanzen ab 1492. Zum weiten Heer der unbeständigen Pflanzen zählen weitere fast 2000 Arten – etwa Bauerntabak, Dill, Koriander, Orientalischer Mohn, Persischer Klee, Sigesbeckie, Staudenblume, Wehrloser Stechapfel oder Weißer Senf.
Deutschland liegt bekanntermaßen in der Mitte Europas. Es grenzen hier mit neun Ländern so viele an wie an sonst kein anderes in Europa. Von Osten nach Westen, von Norden nach Süden, als Transitland sind hier die Türen und Tore sperrangelweit offen. Es kann nach Lust und Laune emigriert und immigriert werden, und das schon immer.
Selbst ausgerüstet mit Küsten, Mittel- und Hochgebirgen, bietet Deutschland im Herzen dieses Kontinents für ehrgeizige Wanderpflanzen zwischen dem sommerkühlen Schleswig im Norden und dem sommerheißen Markgräfler Land im Südwesten eine ganze Palette an Möglichkeiten der Migration, der Anpassung und der Einnischung.
Eine Daseinsberechtigung hat jede neue Pflanze, wir müssen jetzt nur das Beste daraus machen. Mit diesem Thema nun ganz konkret befasst, fielen mir auf einer Autofahrt Ende Juli 2020 von München in die Alpen und von da über Augsburg, Mannheim, Mainz, Gießen, Münster wieder zurück nach Bremen etwa 140 »Neophyten« ein, alle im Laufe dieser sieben Tage auf einem großen Zettel auf dem Beifahrersitz notiert.
Zu Hause stellte sich dann heraus, dass einige der Pflanzen doch schon vor 1500 zumindest in Teilbereichen Deutschlands fest neubeheimatet sind, wie etwa Mittleres Barbarakraut, Gewöhnliche Osterluzei, Gewöhnliches und Mauer-Glaskraut, sodass ich etwa 20 wieder streichen musste. Blieben jetzt noch 120 für die anvisierten 111 Neophyten in diesem Werk übrig. So war es nur ein kurzes Abwägen, bis ich zum endgültigen Ergebnis kam.
Maßstab bei meiner Auswahl ist eine repräsentative Abfolge quer durchs Land – von den Küsten bis zu den Alpen, von ganz im Westen bis ganz in den Osten – sowie eine möglichst große Bandbreite an Biotoptypen – genauer gesagt 20 an der Zahl. Und zusätzlich möglichst auch immer nur ein einziger Vertreter einer jeden Gattung.
Alle auch Laien bekannten, alle dominanten, alle wichtigen pflanzlichen Marschierer sind berücksichtigt – bereits ab dem 16. Jahrhundert ihrer ersten Verwilderung bis sogar noch in die 1990er-Jahre des letzten Jahrhunderts. Also bis hin zu allerletzten Turbozündern wie Klebriger Alant, Meerfenchel und Verschiedensamige Melde. Erwartungsgemäß finden sich von Äckern, Bahnrändern, Flussufern, Straßen und Wäldern mehr Neophyten als etwa von Sandgruben, Teichen oder Wiesen. Sortiert ist das Ganze für alle Lebensräume, in alphabetischer Reihenfolge der wissenschaftlichen Namen.
Unberücksichtigt bleiben demzufolge zahllose Neophyten, oft beschränkt auf auch nur einzelne Bundesländer. Maßstab für die Auswahl ist nur ein beständiges Neophytendasein in ganz Deutschland.
2021 am mittleren Main oberhalb von Würzburg vor Echtem Mädesüß und Blut-Weiderich
So haben sich vor allem in den letzten 60 Jahren viele einheimische, auch sehr seltene Pflanzenarten urplötzlich in Deutschland aufgemacht und ihr Areal erheblich erweitert – aus bis heute teilweise ungeklärten Gründen. Hier nur kurz zu erwähnen sind von Bahnanlagen Dolden-Spurre, Dreifinger-Steinbrech, Mäuseschwanz-Federschwingel und Großer Bocksbart. Von Straßenrändern Gewöhnlicher Salzschwaden, Krähenfußblättriger Wegerich, Platthalm-Binse, Salz-Schuppenmiere und Schutt-Kresse. Von Kanälen Erz-Engelwurz oder Sumpf-Gänsedistel, von Pflasterflächen Gelbweißes Ruhrkraut. Von Gärten und Rasen Behaartes Schaumkraut, Bleiche Vogelmiere und Knäuel-Hornkraut.
Alle letztendlich berücksichtigten Neulinge gelangten per Bahn, Lkw oder Schiff zu uns. Sie kamen mit Boden oder zunächst durch Ansaaten, überbrückten weite Entfernungen aus fernen Ländern als mitgebrachte und hier kultivierte Zierpflanzen, klebten als Samen und somit als extrem blinde Passagiere im Vogelgefieder oder an unseren Schuhsohlen.
Manche Neophyten wurden zunächst feldmäßig angebaut und büxten dann aus, wieder andere waren zunächst unerkannte Mitbringsel mit Forstgehölzen oder fremden Getreidesorten. Viele davon sind auffallend licht-, nährstoff-, trockenheits- und wärmeliebend, besitzen zahlreiche Samen und/oder unduldsames Wurzelwerk (Rhizome). Demzufolge letztendlich unschlagbare Kombinationen, aktuell gravierend genau unsere veränderten Lebensbedingungen widerspiegelnd.
Die Täuschende Nachtkerze zählt zu den erfolgreichsten Neophyten überhaupt.
Insgesamt verteilen sich unsere wichtigsten 111 Neophyten auf 46 Familien. Gleich 20 davon sind Korbblütler (Asteraceae), 12 zählen zu den Kreuzblütlern (Brassicaceae), je sechs Neophyten sind Süßgräser (Poaceae), Rosengewächse (Rosaceae) und Rachenblütler (Scrophulariaceae). Dem gegenüber schicken 29 Familien nur je einen Kandidaten ins Rennen. Es gibt auch besonders »neophytenaffine« Gattungen wie die Melden (Atriplex, gleich acht Neophyten) oder die Beifüße (Artemisia), nach Möglicheit werden am Ende auch noch einige weitere kurz erwähnt.
So kommen an breiten Flüssen Einjähriger und Zweijähriger Beifuß fast immer als Duo vor. In Ostdeutschland an Autobahnen und Bundesstraßen gar nicht selten findet sich gleich ein Neophyten-Quartett aus Glanz-, Langblättriger, Tataren- und Verschiedensamiger Melde. Andererseits blieben doch sonst so artenreiche Familien wie die Sauergräser (Cyperaceae), Geißblatt- (Caprifoliaceae) und Hahnenfußgewächse (Ranunculaceae) ganz ohne Quereinsteiger.
Hier zu sehen ist das einheimische Bitterkraut (gelb) und der Natternkopf (blau).
Kurzum, ein extrem spannendes Thema zum wichtigen Zukunftskomplex »Artendiversität und Florenwandel«. Mich nun seit über 35 Jahren faszinierend, ständig weiter in rasanter Veränderung und sicher auch noch in Zukunft manche Überraschung bereithaltend. Für viele Gleichgesinnte schon immer das florale Salz in der Suppe – ob zu Lande, zu Wasser oder aus der Luft.
Um es hier noch einmal ganz explizit zu erwähnen: Als Folge unseres jetzt schon Jahrtausende währenden Raubbaus an der Natur, im Rahmen des menschengemachten Klimawandels, der ewigen Überdüngung – gerade auch aus der Luft – sind Hunderte unserer ureigenen Spezies voll im Vorwärtsdrang. Sie drängeln, überwuchern und geilen sich dadurch regelrecht auf!
Wer es noch immer nicht bemerkt hat: Wir verahornen nämlich gerade (so viel Jungwuchs gibt es alljährlich)! Wir verbrennnesseln und vergierschen schon länger, jetzt verbarbarakrauten, verefeuen, verfingerhirsen, vergundermannen, verkompasslattichen, verfederschwingeln, verlabkrauten, vermäusegersten, verrainkohlen und vertaubtrespen wir, was das Zeug hält. Jetzt habe ich einfach mal ein paar ganz neue deutsche Begrifflichkeiten kreiert. Wie können sie alle nur? Nein, diese Einwanderer werden regelrecht dazu angestiftet, müssen sogar, sie sollen es sogar. Wir waren und sind nur deren ewige Handlanger und Steigbügelhalter.
Massenhafter Meerfenchel – 2020 am »Kringel« auf der Insel Helgoland beobachtet.
Als ein Eldorado für Neophyten gelten die deutschen Küsten nun nicht gerade, sieht man mal von den Großstädten und von den Häfen ab. Einfach viel zu widrig sind hier die Verhältnisse. Zwar bringen die vielen Schiffe sowie die Flüsse aus dem Hinterland ständig scheinbar geeignete Kandidaten heran, aber letztendlich bleiben viele potenzielle Stellen dann doch unbesetzt. Begrenzend an der Nordsee sind Ebbe und Flut sowie der ständige Wind. An der Ostsee widrig ist die steile Kliffküste. Und ewiger Wellenschlag prägt beide deutschen Küstenabschnitte.
Die extrem hohe Dynamik von Sedimentation (Ablagerung), aber auch von Abrasion (Abtragung) tun ihr Übriges. Hier kommen also nur Eindringlinge zum Zuge mit sehr großem Vorwärtsdrang, mit Nehmerqualitäten, mit hohem pflanzlichem Selbstbewusstsein, mit hohem Samenpotenzial oder griffigem Durchwurzelungsvermögen – am besten mit allem zugleich. Pantoffelhelden oder Weicheier sind hier absolut fehl am Platz, obwohl die pure Pflanzengröße augenscheinlich gar keine Rolle spielt. Dafür sind die Standorte hier sehr variabel: Von kalkreich bis nährstoffreich über extrem trocken bis lange überschwemmt reicht die Angebotspalette. Salzangereichert ist es dabei fast überall – je näher zum Wasser, desto saliner wird es. Aus dem vorhandenen Artenspektrum habe ich sieben Neophyten ausgesucht, von denen Sie die besonders »stalkende« Kartoffel-Rose ganz bestimmt schon kennen.
Die leuchtend gelben Blüten der Laugenblume sind von Juli bis September zu bewundern.
Cotula coronopifolia
Familie der Korbblütler
(Asteraceae)
Tatsächlich unverwüstlich ist der allererste Protagonist, die Krähenfußblättrige Laugenblume (Cotula coronopifolia), nun nicht gerade. Das liegt an der für diese Art aus Südafrika kaum furchteinflößenden Wuchshöhe von nur 5 bis 25 Zentimetern. Attribute wie aggressiv, insistierend, offensiv, unduldsam oder ungehobelt passen hier ganz und gar nicht. Wirklich sperrig ist bei ihr nur der Name, in Ostfriesland auch liebevoll, kurz und passend »Knoopje« genannt. Da kommen wir der Sache auch schon ganz nahe – wie leuchtend gelbe Knöpfe strecken sich die bis zu 12 Millimeter breiten, nur aus Röhrenblüten aufgebauten Blütenköpfe von Juli bis September zur Seite und nach oben.
Sperrig wie der Name ist vielleicht seine kompakte Verzweigung, oft in Rotbraun. Die fleischigen Blätter der einjährigen Pflanze sind länger als breit, lanzettlich, fiederteilig bis tiefer gezähnt. Und das Dollste: Wo die Krähenfußblättrige Laugenblume wächst, wächst sie dann auch sehr gerne – das zeigt sie oft durch große Anteilnahme auf schlickigen, selten sandigen, nassen, gerne auch kurzzeitig meeresüberspülten, vollsonnigen Stellen. Und vorher wuchs da wahrscheinlich gar nichts, ein echter Lückenbüßer, ein pflanzlicher Opportunist also – und dagegen kann nun wirklich niemand etwas haben. Das alles aber nicht überall an unseren Küsten, aber doch ziemlich regelmäßig.
Hotspots von Knoopie liegen z. B. ganz namenspassend an der Unterems, insbesondere in der Stadt Emden, am Dollart, auf Langeoog, südlich von Bremerhaven an der Unterweser, an der Außenelbe, an der Förde von Eckernförde (Schlei), auf Fehmarn (2020 viel im Westen beim Örtchen Orth) und zwischen Wismar sowie Rügen.
Im nahen Binnenland ist dieser Halophyt dagegen gar nicht mehr zu finden, etwa auf alten Gänseangern – hier liegen aber die Anfänge ihrer Geschichte. Und über die wissen wir besonders gut Bescheid: Erstmals in Europa sah 1749 der Arzt Paul Heinrich Möhring aus Jever die Krähenfußblättrige Laugenblume im tiefen Ostfriesland – bei Riepe Ochtelbur und Bangstede im heutigen Landkreis Aurich.
Dienstbeflissen schickte er einige Exemplare davon zum berühmten Pflanzenpapst Professor Carl von Linné nach Uppsala in Schweden. Der sie dann auch 1763 in seinen »Species plantarum« auf Seite 1257 aufführte: »Cotula coronopifolia habitat in Aethiopia, nunc in Frisia inundatis prope Emden. Moehringio teste«, ist da zu lesen (wobei »Aethiopia« hier unklar bleibt – zitiert aus van Dieken 1970: 260). So ging es damals bei uns los, wobei die Krähenfußblättrige Laugenblume heute als weltweiter Neophyt gilt, ein Kosmopolit also.
So sah ich dieses goldige Schätzchen auch schon mehrfach auf Mallorca (Albufera). Und Linné ließ sich auch nicht lumpen. Zum Dank verewigte er Möhring in einer häufigen, allerdings unscheinbaren Hecken- und Waldflanze, der Dreinervigen Nabelmiere (Moehringia trinervia).
Van Dieken übermittelt leider nicht auch noch ob sich Möhring nun ob seiner Verewigung darüber gefreut hat oder, ob er sich eher etwas gegrämt hat, dass Linné keine attraktivere Pflanzenart für ihn fand. Fest steht, weitere, allerdings unbeständige Vorkommen in ganz Ostfriesland, z. B. auf Borkum und Norderney, heute auf Langeoog, säumten dann den Laugenblumen-Weg, der einzigen Art von weltweit 55 dieser so erhabenen Gattung. So richtig was können kann die Krähenfußblättrige Laugenblume nicht, bis auf gut aussehen und in der Vegetationsperiode im Brackwasser den Boden festzuhalten. Da sie sich auch auf kurzwüchsigen, pfützenreichen Rinderweiden hält, könnte die eine oder andere Pflanze aber doch auch mal in einem übereifrigen Kuhmaul landen.
Der essbare, besonders vitaminreiche Meerfechel besiedelt die Küstenfelsen Helgolands.
Crithmum maritimum
Familie der Doldenblütler
(Apiaceae)
Eine der wirklich jüngsten Errungenschaften an pflanzlichen Neulingen in Deutschland ist der adrette, bis 40 Zentimeter hohe, ausdauernde Meerfenchel (Crithmum maritimum), den es erst seit dem Jahr 2001 auf Helgoland gibt. Ein Draufgänger ist er schon, kennt man ihn von Mallorca an der Biscaya oder in der Bretagne, wo sonst fast gar nichts wachsen will. Als Küstenfelsenart ist er auf Helgoland nicht nur am Drücker, sondern wie ich in diese Insel regelrecht verliebt.
Fast schon häufig hat er neben dem Hafengelände und kleinflächig unweit der Jugendherberge sich den sogenannten Kringel hinter den berühmt-bunten Hummerbuden ausgesucht. Da hockt dieses spritzige Exponat in igelartigen Halbkugeln massenhaft voll in der Gischt bei Sturmfluten. Entweder in schnöden Betonritzen der Küstenbefestigung des Unterlandes wie auch in steinernen Rinnen hinauf zu Beginn des Roten Felsens.
Ein Augenschmaus zunächst in Blaugrün (Blätter, Sprosse) und dann von August bis Anfang Oktober zur Blütezeit in Grün- bis Gelblich. Und wie dieses Gewächs, übrigens weltweit einzige Art seiner Gattung, zerrieben duftet … Eine perfekte Mischung aus Minze und Zitrone, zudem extrem vitaminreich (der Name hält also, was er verspricht!). Ich kaue da ständig drauf rum, wenn ich denn per Schiff von Bremerhaven aus eine gut dreistündige Anfahrt in Kauf genommen habe. Dann kann ich es immer kaum erwarten, mir diesen stark verzweigten, so widerstandsfähigen Gesellen mit den vielen Dolden anzutun.
Schon in der Antike wurde der Meerfenchel als Heil- und Nahrungspflanze geschätzt. Als hochwertiger Vitamin-C-Lieferant nahm man ihn gern auf langen Seereisen mit, unter anderem, um dem gefürchteten Skorbut (Mundfäule), einer Vitaminmangelkrankheit, vorzubeugen. Besonders wenn sie roh gegessen werden, wirken die dicken, fleischigen, ähnlich wie Kapern schmeckenden Blätter des Meerfenchels appetitanregend und stärken den Organismus. Als Aufguss von frischen Pflanzen hat der Meerfenchel eine blutreinigende und harntreibende Wirkung. In der Küche verwendet man ihn in Salaten, als Vorspeise oder als Beilage.
Viele der durchaus nicht wenigen Tagestouristen auf Helgoland, auch die Inselbahn dreht hier direkt ihre Kurven, beachten diesen Neophyten überhaupt nicht. Sie starren derweil aufs Meer mit seinen riesigen Beton-Tetrapoden zum Inselschutz oder eben hinauf auf den Felsen mit Inselkirche, Leuchtturm und rot-weißen Funkmasten. Dafür habe ich nun gar keinen Blick – mir geht es nur um diesen früher in England auch gesammelten und in die Industriegebiete als Gesundnahrung verfrachteten, frostempfindlichen Wander- und Sonderling.
Anzunehmen ist, dass er mithilfte von Vögeln auf Helgoland anlandete, im Gefieder oder an den Füßen. Dreizehenmöwe, Tordalk, Trottellumme und der ganz oben am Felsrand brütende, fast handzahme Basstölpel sind auf Deutschands einziger Felsen- und Hochseeinsel nämlich ebenso ganz neue Brutvogelarten (sogenannte Neozoen). Wahrscheinlich zieht der Meerfenchel auch noch weiter nach Nordosten. Er tauchte kurzzeitig schon auf einer Nordfriesischen Insel auf.
Dort, wo fast nichts gedeiht, wächst der Tataren-Lattich mit seinen herrlichen blauen Blüten.
Lactuca tatarica
Familie der Korbblütler
(Asteraceae)
Von unseren sieben Lattich-Arten ist der tadellose Tataren-Lattich (Lactuca tatarica) einziger Neuling und dies seit 1900. Im Sport so erfolgreich, würde man »Rookie« zu ihm sagen. Ein »Rookie« (aus dem Englischen = Neuling, Anfänger) ist ein im Profisport noch unerfahrener, aber talentierter Sportler. Denn wie seine Namen schon verraten, ist der Tataren-Lattich auf Wanderschaft aus Richtung Osten und deshalb aktuell in Deutschland auf Usedom, auf Rügen und längs der vorpommerschen Küste am häufigsten. Er hat es in sich, weniger aufgrund seines bis einen Meter hohen Wuchses, vielmehr von Juli bis Anfang September wegen zahlreicher blauer bis violettblauer Zungenblüten. Für mich wie eine Wegwarte im Pudersand, im lebhaften Kontrast an den Stränden von Nord- und Ostsee. Auch er hat kaum einen Angstgegner, denn er wächst da, wo fast nichts gedeiht, sieht man mal vom Strandroggen ab.
Halt geben dieser intensiven, aber keineswegs drängeligen Pflanze kräftige Rhizome, die im lockeren, angesalzenen Boden bis einen Meter tief hinabsteigen können. Etwas Tritt scheint dieser Pflanze nicht zu schaden, wie ich an der Unterweser bei Dedesdorf, auf Harriersand und auf der Strohauser Plate sowie mehrfach auf Usedom sehen konnte.
Da wächst diese kahle Pflanze mit ihren blaugrünen, unten grob eingeschnittenen Blättern auch mal zwischen Liegedecken unbedachter Badegäste. Ganz nach Lattichart, übrigens zählt auch unser Kopfsalat zu dieser Gattung, enthalten die Blätter dieses Neophyten stark flüssigen Milchsaft. Er ist scharf, aber wie die gesamte Pflanze nutzbar als Würzpflanze. Aber vorsichtig, nicht zu viel davon verwenden: bitter, bitterer, am bittersten, Tataren-Lattich muss man sagen …
Auch an der Flensburger Förde, an der Schlei, in Hamburg und in großem Bestand an der Bremer Getreidemühle ist der Tataren-Lattich zu finden. Und in Bremen habe ich mal nachgefragt, hier wurde jahrzehntelang Getreide aus Russland umgeschlagen, passt also, ein Boatpeople also. Selbst im Binnenland gibt es erste Nachweise, etwa an der Spree und im Süden von Sachsen-Anhalt. Hier wohl eher unbeständig, bestimmt auf Bahngelände oder in Abbaugebieten, bei Importen aus dem Osten weiß man das nämlich nie so genau.
Die hellvioletten Blüten der Kartoffel-Rose strömen einen betörenden Duft aus.
Rosa rugosa
Familie der Rosengewächse
(Rosaceae)
Waren die ersten drei Novizen eher von schleichender Natur, hat die Kartoffel-Rose (Rosa rugosa) aus Nordostasien (China, Japan, Kamtschatka) bei uns eingeschlagen wie eine Bombe – zumindest auf sandigen Böden in Norddeutschland. Steigbügelhalter bei diesem pflanzlichen Rabauken war allerdings ganz klar der Mensch, zuerst 1854. Und ich muss sagen, die Kartoffel-Rose ist ein echter Plagegeist! Bei einer Skala von eins bis zehn liege ich als Neophyten-Fan insgesamt bei neun. Dieser Wucherer kommt sympathiemäßig bei mir dagegen nur auf eins – nun gut, sagen wir auf eins Komma fünf wegen auffallender Blüten in Hellviolett bis manchmal Weiß von Juni bis August, betörenden Duftes sowie der abgeflachten, großen Hagebutten … Unbedrängt kann diese Rose bis 3 Meter hoch werden und alles unter sich begraben, was nicht niet- und nagelfest ist. Eine echte Strafe als Gärtner bei manueller »Unkrautbeseitigung«. Dabei machen ihr Schnitt, Tritt und Wind überhaupt nichts aus. Ja gerade deshalb hat man sie auf den Nordseeinseln und an sandigen Küsten im großen Stil ausgepflanzt. Einerseits zur Sandbefestigung und andererseits zur Besucherlenkung – tatsächlich geht hier so schnell auch niemand durch. Dafür sorgen schon die massenhaft unterschiedlich langen, groben bis feinen Stacheln, die bis hoch zu den Blütenköpfen reichen. Und eh man sich’s versah, hatte man ganze Hektar von dem Zeug, weshalb man sich heute sogar eines Baggers bedienen muss, um sie dann doch wieder loszuwerden.
Auch auf Militärplätzen (Bunker-Rose), an Autobahnen und Bahnböschungen, an Schulen und Spielplätzen, in Gärten und Parks hat man diesen salztoleranten, unnachgiebigen Neophyten gepflanzt. Durch Bodenverschleppungen und durch Vögel wird sich Rosa rugosa weiter ausbreiten, auch in Häfen, auf Brachen und Industrieflächen. Wegen der krausen Blätter auch Runzel-Rose (= rugosa), zudem Dänische Rose, Dünen-Rose und Sylt-Rose genannt.
Ich schnabuliere an heißen Tagen tatsächlich von den sehr fleischigen Hagebutten, die sind richtig saftig. Aus den dicken Früchten, sie sind breiter als hoch, lassen sich Marmelade, Tee und sogar Wein herstellen. W.-D. Storl (2012: 268), der es wissen muss, nennt diesen aktuellen Störenfried auch als Mittel bei Durchfall, Gebärmutter- und Harnleiden. Kartoffel-Rose wird sie wohl wegen der ähnlichen Blattfarbe und einem gewissen Duft nach Kartoffeln genannt. Noch im Herbst ein Lichtblick, verfärben sich doch ihre Blätter dann ausdauernd quittegelb.
Aus den Hagebutten der Kartoffel-Rose lässt sich Marmelade, Tee und sogar Wein herstellen.
Die Frühlings-Braunwurz wird bis zu 70 Zentimeter hoch. Sie blüht von Ende April bis Juli.
Scrophularia vernalis
Familie der Rachenblütler
(Scrophulariaceae)
Auf der ostfriesischen Nordseeinsel Juist begegnen sich die Kartoffel-Rose und diese Frühlings-Braunwurz (Scrophularia vernalis) tatsächlich schon seit Langem, zählt Letztere doch in der Westhälfte der Insel etwa 3000 Pflanzen.
Nirgends im Nordwesten Deutschlands gibt es von dieser ehemaligen Bienenfutterpflanze, ein Export aus ostalpin-submediterranem Florenkreis, so viel davon. Es übertrifft übrige Vorkommen in Niedersachsen an Burgen und Schlössern um ein Vielfaches, etwa im Osnabrücker Raum. Schon früh im Jahr kann man auf dieser frost- und schneearmen Insel diese bis 70 Zentimeter hohe Schönheit anhand flaumig-weicher, linden- bis nesselartiger Grundblätter erkennen. Rasch steigt sie dann mit drüsig behaarten, vierkantigen Stängeln auf und zeigt von Ende April bis Juli ihre hellgelben Blüten. Mit grünlichem Einschlag, in lockeren bis dichten, lang gestielten Trugdolden. Markant dabei sind weit aus krugartigen Blütenröhren herausragende Staubgefäße.
Beste Freunde des zwei- bis mehrjährigen Neophyten auf Juist sind absterbende Schwarzholunder-Büsche, die dieser Pflanze ganz offensichtlich Nährstoffe, Tritt- und einen gewissen Windschutz bieten.
Als wärmeliebende Pflanze ist die Frühlings-Braunwurz hier unerwartet gar nicht fehl am Platz, denn die nach Süden exponierten Dünen aus (anlehmigen) Sanden nehmen rasch die ersten Sonnenstrahlen auf.
Als Zierpflanze kommt die Frühlings-Braunwurz auch weiter im Süden vor und nimmt vorlieb mit Mauerfüßen, Mauerkronen und auch breiten Mauerfugen. Hier gerne mit Behaartem Schaumkraut, Gundermann, Knoblauchsrauke, Stinkendem Storchschnabel und diversen Farnarten.
Ein Kulturrelikt also, bereits im 17. Jahrhundert als Zierpflanze eingeführt, einziger Neophyt von sechs Braunwurz-Arten im Land. Insgesamt eine konkurrenzschwache Art, die so gar nichts mit so manchen Schwerenötern, Stänkern und Superspreadern gemein hat.