ANGIE THOMAS

Aus dem amerikanischen Englisch

von Henriette Zeltner-Shane

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.

Sollte diese Publikation Links auf Webseiten Dritter enthalten, so übernehmen wir für deren Inhalte keine Haftung, da wir uns diese nicht zu eigen machen, sondern lediglich auf deren Stand zum Zeitpunkt der Erstveröffentlichung verweisen.

Die Arbeit der Übersetzerin am vorliegenden Text wurde vom Deutschen Übersetzerfonds gefördert.

Copyright © 2021 by Angela Thomas

All rights reserved including the rights of reproduction in whole or in part in any form.

Die amerikanische Originalausgabe erschien 2021 unter dem Titel »Concrete Rose« bei Balzer + Bray, an Imprint of HarperCollinsPublishers, New York.

© 2021 cbj Kinder- und Jugendbuchverlag in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH, Neumarkter Straße 28, 81673 München

Alle deutschsprachigen Rechte vorbehalten

Aus dem amerikanischen Englisch von Henriette Zeltner-Shane

Lektorat: Antje Steinhäuser

Umschlaggestaltung: Geviert, Grafik & Typografie

Umschlagmotive: Cathy Charles

Umschlagdesign: Jenna Stempel-Lobell

he • Herstellung: AJ

Satz: KompetenzCenter, Mönchengladbach

ISBN 978-3-641-26831-2
V002

www.cbj-verlag.de

Für all die Rosen, die aus Beton wachsen. Blüht weiter.

I. Teil

KEIMEN

Did you hear about the rose that grew from a crack in the concrete?

Tupac Shakur, »The Rose that Grew from Concrete«

KAPITEL 1

Auf der Straße gibt es Regeln.

Die sind nirgends aufgeschrieben und man findet sie auch in keinem Buch. Das sind ganz selbstverständliche Dinge, die man weiß, sobald die eigene Momma einen aus dem Haus lässt. Ungefähr so, wie man ja auch weiß, wie man atmet, ohne dass es einem jemand sagt.

Wenn es dazu ein Buch gäbe, stünde da ein ganzes Kapitel über Streetball drin. Und die wichtigste Regel würde ganz oben in fetten Großbuchstaben stehen:

LASS DICH NICHT VOR EINEM FINE GIRL FERTIGMACHEN, VOR ALLEM NICHT, WENN ES DEIN GIRL IST.

Aber genau das tu ich. Lass mich vor Lisa fertigmachen.

»Ist okay, Maverick«, ruft sie von einem Picknicktisch. »Du schaffst das!«

Ganz ehrlich? Ich schaffe gar nichts. King und ich haben null Punkte, Dre und Shawn elf. Noch einer und sie haben gewonnen. So breitschultrig, wie King ist, möchte man meinen, er könnte den schlaksigen Shawn blocken. Aber der zieht an ihm vorbei, als wäre er gar nicht da. Er postet ihn auf, wirft Jumpers vor seiner Nase und all so was. Die Homies an der Seitenlinie flippen aus, während King wie ein Idiot dasteht.

Ich kann King nicht böse sein. Nicht bei dem, was heute los ist. Ich bin auch nicht gerade bei der Sache.

Es ist einer von diesen perfekten Augusttagen, an denen die Sonne richtig hell scheint und es trotzdem nicht zu heiß ist, um Streetball zu spielen. Der Rose Park ist voller King Lords in unseren Farben, Grau und Schwarz – wirkt so, als wären alle Homies gekommen, um ein Spiel dazwischenzuschieben. Nicht dass King Lords eine Ausrede bräuchten, um in den Rose zu kommen. Das ist unser Territorium. Wir machen hier Geschäfte, chillen und lassen uns auf dem Court fertigmachen.

Ich überlasse Dre den Ball.

Er grinst extra breit. »C’mon, Mav. Willst du dich vor deinem Girl so schlagen lassen? Lisa hätte an deiner Stelle spielen sollen.«

»Ooooh«, kommt es von den Seitenlinien. Dre hat mir noch nie etwas durchgehen lassen, nur weil ich sein jüngerer Cousin bin. Er haut mir Körbe rein, seit ich groß genug bin, um einen Ball zu halten.

»Mach dir lieber Sorgen darüber, dass du vor deinen Girls fertiggemacht wirst«, sage ich. »Keisha und Andreanna werden nach der Sache hier nicht mehr mit dir angeben wollen.«

Noch mehr »Oooohs«. Dres Verlobte Keisha sitzt mit Lisa an dem Picknicktisch und lacht. Sie hält Dres Tochter Andreanna auf dem Schoß.

»Hör sich einer den Trash-Talk von Li’l Homie an«, sagt Shawn und grinst mit seinen Gold Grills.

»Wir sollten ihn Martin Luther King nennen, weil er einen Traum hat, wenn er denkt, er könnte gewinnen«, sagt Dre.

»I have a dream«, versucht Shawn wie MLK zu klingen, »that one day, you may step on this court and get a goddamn point!«

Die Homies lachen. Aber ehrlich gesagt könnte Shawns Scherz noch viel lahmer sein, und sie würden trotzdem lachen. So läuft das, wenn du Crown der King Lords oder Cäsar von Rom bist. Dann tun die Leute, was man von ihnen erwartet, um es sich mit dir nicht zu verderben.

Einer von den Jungs schreit: »Lasst euch von denen nicht fertigmachen, Li’l Don und Li’l Zeke!«

Es spielt keine Rolle, dass mein Pops schon seit neun Jahren im Knast sitzt und Kings Pops fast genauso lange tot ist. Sie gelten immer noch als Big Don, früher The Crown, und seine rechte Hand Big Zeke. Das macht aus mir Li’l Don und aus King Li’l Zeke. Anscheinend sind wir noch nicht alt genug, um unter unseren eigenen Namen zu laufen.

Dre lässt den Ball aufspringen. »Was hast du zu bieten, Cuz?«

Er spielt nach rechts. Ich folge ihm und pralle direkt gegen Shawns Brust. Sie machen einen Pick-and-Roll. Dre hängt mich ab, und King verfolgt ihn, sodass Shawn ungedeckt ist. Shawn springt Richtung Korb. Dre wirft den Ball hoch und –

Goddamn! Shawn versenkt den Ball vor King.

»What!«, schreit Shawn, während er noch am Korb hängt. Dann springt er runter und tauscht mit Dre den Handschlag, den die beiden schon seit ihrer Kindheit draufhaben.

»Die sollten sich nicht mit uns anlegen!«, sagt Shawn.

»Hell nah!«, sagt Dre.

Das darf ich mir jetzt bis in alle Ewigkeit anhören. Noch in dreißig Jahren wird Dre mir damit kommen: »Erinnerst du dich noch, wie ihr gegen mich und Shawn keinen einzigen Punkt gemacht habt?«

King drischt den Ball gegen den Beton. »Shit!«

Er nimmt es sich echt zu Herzen, wenn er verliert.

»Hey, chill«, sage ich. »Beim nächsten Mal werden wir sie –«

»Die haben euch so richtig fertiggemacht!«, lacht P-Nut, einer der Homies. Er ist so ein kleiner Kerl mit dichtem Bart und bekannt für seine große Klappe. Deshalb hat er all die Narben im Gesicht und am Hals.

»Wir hätten schon längst aufhören sollen, dich Li’l Don zu nennen. Du bist ja eine Schande für die OGs, wenn du so spielst.«

Die anderen Homies an der Seitenlinie lachen.

Ich beiße die Zähne zusammen. Solche Sticheleien sollte ich gewohnt sein. Eine Menge Idioten aus der Gegend sagen, dass ich nicht so tough wie mein Pops bin, nicht so street und in nichts so gut wie er.

Dabei haben die keinen Schimmer davon, was ich insgeheim mache. »Ich bin meinem Pops ähnlicher, als du denkst«, erkläre ich P-Nut.

»Darauf wär ich jetzt nicht gekommen. Aber beim nächsten Mal sollte sich der Big Boy da beim Spielen genauso reinhängen wie beim Essen.«

King kommt auf P-Nut zu. »Oder ich könnte dich stattdessen fertigmachen.«

P-Nut macht einen Schritt auf ihn zu. »Was willst du, Penner?«

»Whoa, whoa, whoa!«, sage ich und zerre King zurück. Er wird richtig schnell handgreiflich. »Chill!«

»Yeah, beruhigt euch«, sagt Shawn. »Ist nur Streetball.«

»Hast recht, hast recht. My bad, Shawn«, sagt P-Nut mit erhobenen Händen. »Ich kann ein bisschen tempramentös sein.«

Tempra-was? Ich schwöre, dass P-Nut sich Wörter ausdenkt, um smart zu klingen.

Wenn ich mir Kings geblähte Nasenflügel ansehe, hab ich das Gefühl, ihm geht es um mehr als nur Streetball. Er schüttelt mich ab und marschiert durch den Park davon. Shawn, Dre und alle anderen sehen mich an.

»Er hat ’ne Menge um die Ohren, das ist alles«, murmle ich.

»Yeah«, stimmt Dre zu und meint dann mit gesenkter Stimme zu Shawn: »Du erinnerst dich doch an die Sache mit ihm, Mav und diesem Mädchen, von der ich dir erzählt habe, oder? Das wird heute geklärt.«

»Keine Ausreden, Dre. Er explodiert jedes Mal«, sagt Shawn. »Entweder kriegt er seine Wut in den Griff oder er kriegt was ab.«

Mit anderen Worten, eine Abreibung verpasst. So halten die Big Homies uns Li’l Homies auf Linie. Dazu muss man wissen, dass es bei den King Lords verschiedene Ebenen gibt. Da sind die Youngins, Bad-Ass-Jungs aus der Middle School, die schwören, dass sie als Nächste dran sind. Die machen, was immer wir anderen ihnen sagen, dass sie machen sollen. Dann sind da Li’l Homies wie ich, King und unsere Boys Rico und Junie. Wir kümmern uns um die Aufnahmen in die Gang, ums Anwerben und verkaufen Gras. Die Nächsten sind die Big Homies wie Dre und Shawn. Die verkaufen härteren Stoff, sorgen dafür, dass wir anderen kriegen, was wir brauchen, gehen Bündnisse ein und verpassen jedem eine Abreibung, der aus der Reihe tanzt. Wenn wir Beef mit den Garden Disciples, der Gang von der East Side, haben, kümmern sie sich normalerweise darum. Schließlich gibt es noch die OGs, Original Gangsters. Erwachsene Kerle, die schon lange dabei sind. Die beraten Shawn. Das Problem ist, dass hier auf der Straße nicht mehr viele OGs übrig sind. Die meisten wurden eingebuchtet, wie mein Pops, oder sind tot.

Eine Abreibung von den Big Homies ist kein Witz. Ich kann King nicht so ins Messer laufen lassen.

»Ich rede mit ihm«, sage ich zu Shawn.

»Besser wär’s«, sagt er und dreht sich dann zu den anderen. »Wer will sich als Nächstes auf diesem Court fertigmachen lassen? Ich setz einen G drauf!«

King ist schon fast aus dem Park draußen. Ich muss sprinten, um ihn einzuholen. »Dawg, du kannst doch nicht so auf die Leute losgehen. Oder willst du uns Ärger einhandeln?«

»Ich lass mich von keinem dissen, Mav«, knurrt King. »Und mir ist scheißegal, ob das ein Big Homie ist.«

Ich werfe einen Blick zurück zu den Basketballplätzen. Wir sind weit genug weg, sodass Shawn und die anderen mich nicht hören. »Wir müssen cool bleiben, schon vergessen?«

Seit sechs Monaten dealen King und ich hinter den Rücken der Big Homies. Wie schon gesagt können Li’l Homies nur Gras verticken, aber damit macht man längst nicht so viel Kohle wie mit dem anderen Zeug. Und noch dazu müssen wir das meiste an Shawn und die anderen abgeben, weil die uns mit Stoff versorgen. Eines Tages beschloss King, nebenher sein eigenes Ding zu drehen und sich seinen eigenen Zulieferer zu suchen. Ziemlich bald holte er mich an Bord. Seither sind unsere Taschen prall gefüllt.

Sollten Shawn und die anderen das je rauskriegen, sitzen wir tief in der Scheiße. Das ist fast so schlimm, als würden wir ihnen ihr Revier streitig machen. Aber hey, meine Momma hat zwei Jobs. Da sollte sie mir nicht noch Sneakers und Klamotten kaufen müssen, wenn sie schon genug damit zu tun hat, dass wir ein Dach über dem Kopf behalten. Ganz ehrlich.

»Lass P-Nut oder sonst irgendwen doch sagen, was zum Teufel sie wollen«, meine ich zu King. »Wir machen unser Ding und nur darauf müssen wir uns konzentrieren. A’ight?«

Ich halte King die Hand hin. Zuerst starrt er sie nur an, und ich weiß nicht, ob das wegen Shawn und P-Nut oder wegen dieser anderen Sache zwischen uns ist.

Endlich klatscht er ab. »Yeah, a’ight.«

Ich ziehe ihn an mich und klopfe mit meiner Faust auf seinen Rücken. »Mach dir wegen der anderen Sache keine Sorgen. Das wird so laufen, wie es soll.«

»Das wird mich so oder so nicht umhauen. It is what it is.«

Das Gleiche sagt er auch dazu, dass seine Eltern umgebracht wurden, als er elf war, und zu allem, was er in verschiedenen Pflegefamilien erlebt hat. Ich würde mal sagen, wenn er es dabei belassen will, kann ich das auch.

Er verlässt den Park und ich gehe zu Lisa zurück. Sie sieht total gut aus. In einem Shirt, das ihren Bauchnabel sehen lässt, und Shorts, die mich auf Gedanken bringen.

Ich stelle mich zwischen ihre Beine. »Wir haben einen Dreck gespielt, was?«

Lisa legt die Arme um meinen Hals. »Ihr könntet Training gebrauchen.«

»Wie ich schon sagte, wir spielen einen Dreck.«

Sie lacht. »Vielleicht, aber du bist mein Dreck.«

Sie küsst mich und sorgt dafür, dass ich alles andere vergesse.

So war es mit Lisa von Anfang an. Entdeckt habe ich sie bei einem Basketball-Spiel als Freshman. Ihr Team machte die Mädchen von der Garden High fertig. Ganz ehrlich, sie spielt wirklich besser als ich. Damals war ich eigentlich dabei, um meinem Freund Junie bei seinem Spiel zuzuschauen, das nach ihrem stattfand. Aber Lisa fiel mir auf. Sie konnte spielen, und zwar verdammt gut. Und sie hatte eine scharfe Figur. Kann nicht leugnen, dass mir das sofort aufgefallen ist.

Sie schaffte diesen Korbleger, und ich brüllte: »Hell yeah, Shorty!« Da schaute sie mit ihren hübschen braunen Augen in meine Richtung und lächelte. Ich wollte unbedingt mit ihr reden. Es dauerte eine Weile, bis sie mir eine Chance gab. Aber seit sie das getan hat, läuft was zwischen uns.

Verdammt, ich hab’s richtig verkackt. Weil ich daran denken muss, was ich getan habe, höre ich auf, sie zu küssen.

»Was ist los?«, fragt sie.

Ich spiele mit ihren Braids. »Nichts. Ärgere mich nur, weil ich vor dir verloren habe.«

»Daddy hat dich besiegt!«, sagt Andreanna.

Es geht doch nichts über eine Dreijährige, die sich über dich lustig macht. Andreanna sieht aus wie Dre, was bedeutet, sie sieht aus wie ich. Denn alle sagen, dass Dre und ich praktisch Zwillinge sind. Unsere Mommas sind Schwestern und unsere Dads Cousins. Von daher ergibt es schon Sinn, dass wir die gleichen großen Augen, buschigen Augenbrauen und den gleichen dunkelbraunen Teint haben.

»Du hättest mich anfeuern sollen.« Ich kitzle Andreanna. Kichernd zappelt sie auf Keishas Schoß. »Nicht deinen Daddy.«

»Yeah, und wie sie ihren Daddy anfeuern sollte«, sagt Dre, der gerade herüberkommt. Er schnappt sich Andreanna und wirbelt sie wie ein Flugzeug herum. So wie er bringt sie einfach keiner zum Lachen.

»Kommt ihr alle auf die Party heute Abend?«, fragt Lisa.

Shawn schmeißt eine Hausparty, wie er es am Ende des Sommers immer macht.

»Du weißt doch, dass Dre nicht mehr auf Partys geht«, sagt Keisha.

»Nah, verdammt. Wir werden einen Riesenspaß haben. Stimmt’s, Baby Girl?« Dre küsst Andreanna auf die Wange.

»Dang, Mann. Es ist Freitag Abend«, sage ich. »Da kannst du doch nicht zu Hause bleiben.«

Was soll’s, so ist Dre. Er geht nirgendwo mehr hin. Seit er Andreanna hat, ist er total anders. Er hat aufgehört, Party zu machen und abzuhängen. Ich glaube, er würde sogar aufhören, ein King Lord zu sein, wenn er könnte.

Aber bei den King Lords kommt man nicht einfach raus. Außer man nimmt in Kauf, am Ende tot oder fast tot zu sein.

»Ich bin, wo ich sein will«, sagt er und lächelt Andreanna an. Dann sieht er mich an. »Bist du sicher, dass du auf die Party willst?«

Dre weiß, was sich heute entscheidet. Die Sache, die mein Leben verändern könnte. Das Problem ist, Lisa weiß davon nichts. Kann ihm nur raten, dass er den Mund hält.

»Bin mir sicher«, sage ich.

Dre starrt mich so eindringlich an, wie ein großer Bruder das mit einem kleinen Bruder macht, der nichts Gutes im Sinn hat. Das nervt und ich fühle mich sofort beschissen.

Lieber schaue ich Lisa an. »Uns hält ja nichts davon ab, auf die Party zu gehen. Ich brauche noch eine, bevor übernächste Woche die Schule wieder anfängt.«

Lisa legt die Arme um meinen Hals. »Das stimmt. Überleg doch mal, in einem Jahr sind wir schon auf dem College und gehen auf all die Partys dort.«

»Fa’sho.« Die Partys sind der Hauptgrund, warum ich aufs College gehen würde. Falls ich gehe. Bin mir noch nicht sicher. »Auf der Party heute Abend werden alle auf dich schauen, wenn du damit ankommst.«

Ich ziehe die Kette aus meiner Tasche. Der Anhänger besteht aus dem Namen Maverick in Schreibschrift. Er ist aus echtem Gold und mit kleinen Diamanten rundherum. Ich kenne einen Typ in der Mall, der hat ihn mir letzte Woche gemacht.

»Oh mein Gott!« Lisa schnappt nach Luft, als sie die Kette in die Hand nimmt. »Die ist wunderschön.«

»Okay, Mav«, sagt Keisha. »Ich sehe, du gibst Kohle für dein Girl aus.«

»Hell yeah, verdammt. Du weißt, wie ich bin.«

»Solche Ketten kosten ganz schön was«, sagt Dre. »Wo hast du die Kohle dafür her?«

Dre weiß nicht, dass ich mit King was anderes als Gras deale, und so soll es auch bleiben. Es brauchte lange, bis ich ihn so weit hatte, dass er mich überhaupt Gras verkaufen ließ. Obwohl Dre selbst dealt, kam er mir ewig mit so einem Mist wie »Mach, was ich sage, nicht, was ich mache«. Ich hab ihm erklärt, dass ich Ma helfen will, und irgendwann hat er nachgegeben. Er lässt mich aber immer nur so viel verkaufen, dass ich ein oder zwei Rechnungen bezahlen kann. Wenn er rauskriegt, was ich mit King am Laufen habe, wird das übel für mich enden.

»Ich hab hier und da ein paar Jobs in der Hood gemacht, wie immer«, lüge ich. »Und genug gespart, um sie zu kaufen.«

»Also, ich liebe sie«, sagt Lisa. Sie weiß, was ich mache. Jetzt hilft sie, das Thema zu wechseln. »Danke.«

»Für dich mach ich alles, Baby Girl.« Ich küsse sie wieder.

»Iiih! Macht so was nicht vor meinem Baby.« Dre hält Andreanna die Augen zu, was Keisha zum Lachen bringt. »Sonst kriegt sie einen Schaden fürs Leben.«

»Wenn sie noch keinen Schaden davon hat, in dein Gesicht zu gucken, wird sie klarkommen«, sage ich, als ein rostiger Datsun auf dem Parkplatz hupt.

Eines der Fenster fährt runter, und dieser muskulöse, relativ hellhäutige Typ schreit raus: »Lisa! Komm schon!«

Stöhnend verdreht sie die Augen. »Echt jetzt?«

Das ist ihr großer Bruder Carlos. Der mochte mich noch nie. Als ich Lisa das erste Mal zu Hause angerufen hab, verhörte er mich, als wäre er die Polizei. »Wie alt bist du? Auf welche Schule gehst du? Was für Noten hast du? Bist du in einer Gang?« Lauter Sachen, die ihn nichts angehen. Als er mich dann sah, trug ich Grau und Schwarz, womit klar war, dass ich ein King bin. Da guckte der Idiot so hochnäsig, als wäre ich ein Käfer unter seiner Schuhsohle. Die Sommerferien verbringt er zu Hause, obwohl er schon aufs College geht, und ich kann’s kaum erwarten, dass er wieder dahin verschwindet.

»Was will der hier?«, frage ich.

»Momma hat ihn gebeten, Schulzeug mit mir zu besorgen«, sagt Lisa. »Ich brauche noch ein paar von diesen hässlichen Uniformen für die Saint Mary’s.«

»Hey, in den karierten Röcken wirst du total heiß aussehen.«

Lisa versucht, nicht zu lächeln, was mich zum Lächeln bringt.

»Wie auch immer, die Röcke sind trotzdem hässlich.« Sie springt vom Tisch. »Aber ich gehe besser mal, bevor der Oberschnüffler eine Szene macht.«

Lachend nehme ich ihre Hand. »Komm, ich begleite dich.«

Sie verabschiedet sich von Keisha und Dre, dann geht sie mit mir durch den Park. Carlos starrt mich die ganze Zeit böse an. Was für ein Hater.

Lisa und ich bleiben neben seinem Wagen stehen. »Ich komme dich um acht abholen«, sage ich.

»Dann sehen wir uns um Viertel nach.« Sie grinst. »Du bist doch nie pünktlich.«

»Nah, heute Abend komme ich pünktlich. I love you.«

Als ich das zum ersten Mal zu ihr gesagt hab, bin ich fast ausgeflippt. Noch nie hatte ich vorher einem Mädchen gesagt, dass ich es lieben würde. Aber ich hatte vorher auch noch nie eine Lisa.

»I love you too«, sagt sie. »Pass auf dich auf, okay?«

»Ich geh nirgendwohin. So leicht wirst du mich nicht los.«

Lächelnd gibt sie mir einen flüchtigen Kuss. »Ich nehm dich beim Wort.«

Ich mache ihr noch die Beifahrertür auf. Carlos starrt mich so was von grimmig an. Als Lisa grad nicht hinschaut, zeige ich ihm den Mittelfinger.

»Warum machst du solchen Stress?«, fragt Lisa ihn, und ich höre Carlos noch was von wegen Gangs-Park sagen, als er schon losfährt.

Sie sind vielleicht eine Minute weg, als ein alter Camry mit Schiebedach auf den Parkplatz biegt. Früher hat Ma noch einen Lexus gefahren. Den haben die Feds kassiert, als sie Pops hochgenommen haben.

»Oh-oh!«, ruft P-Nut. »Li’l Don kriegt Ääääärger. Seine Momma rückt zum Disziplitieren an.«

Zum Diszipli-was?

Scheiß auf P-Nut. Ich mache die Beifahrertür auf. »Hey, Ma.«

»Hey, Ba–« Sie hält sich die Nase zu. »Verdammt, Junge! Du stinkst! Warum miefst du so?«

Ich rieche an mir selbst. So schlimm ist es auch wieder nicht. »Hab Streetball gespielt.«

»Hast du dabei mit Schweinen gekämpft? Herrgott noch mal! Die werden die Klinik räumen.«

»Wenn wir noch schnell zu Hause vorbeifahren, könnte ich duschen –«

»Dafür haben wir keine Zeit, Maverick. Wir sind um zwei mit Iesha und ihrer Momma verabredet. Jetzt ist es schon Viertel vor.«

»Oh.« Mir war nicht klar, dass mein Leben sich vielleicht schon so bald ändern wird. »My bad.«

Ma hört mir wohl an, dass meine Stimmung umgeschlagen ist. »Wir müssen der Sache auf den Grund gehen. Das verstehst du doch, oder?«

»Ma, was soll ich machen, wenn –«

»Hey«, sagt sie, und ich sehe sie an. »Egal, was passiert: I’ve got you.«

Sie streckt mir ihre Faust entgegen.

Ich grinse. »Du bist zu alt für einen Faustcheck.«

»Zu alt? Boy, please! Ich musste immerhin meinen Ausweis vorzeigen, als ich letzten Samstag mit Moe aus war. Ha! Wer ist jetzt zu alt?«

Ich lache, während sie den Motor anlässt. »Du. Du bist zu alt.«

»Hey, wartet mal!«, ruft da Shawn. Er kommt über den Parkplatz gerannt und läuft auf Mas Seite vom Wagen. »Muss doch der Queen Whaddup sagen. Wie geht’s Ihnen, Mrs. Carter?«

»Hey, Shawn«, sagt Ma. »Kommst du klar?«

»Yes, Ma’am. Passe auf Ihren Sohn auf.«

»Gut«, sagt Ma, aber diesmal klingt ihre Stimme gedämpft.

Keine Mutter will ihren Sohn in einer Gang sehen, aber tot will sie ihren Sohn auch nicht sehen. Pops hat sich auf der Straße so viele Feinde gemacht, dass ich jemand brauche, der mir Rückendeckung gibt. Dre hat Ma klargemacht, dass ich in die Gang muss. Ich hab das mit den King Lords sowieso im Blut. Mas Brüder sind dabei, genau wie Pops und seine Cousins. Für uns ist das so eine Art Fraternity.

Ma hält mich allerdings für einen Associate, also für jemand, der sich nur zur Gang bekennt, ohne zu dealen oder irgendwie mitzuarbeiten. Sie meint, diese ganze King-Lord-Sache wäre zeitlich begrenzt. Das hat sie mir immer eingeschärft – ich soll meinen Highschool-Abschluss machen und dann woanders aufs College gehen, damit ich von dem ganzen Mist wegkomme.

»Wir müssen zu einem Termin«, erklärt sie Shawn. »Pass hier draußen auf dich auf, Baby.«

»Yes, Ma’am.« Shawn sieht mich an und nickt. »Viel Glück, Li’l Homie.«

Ich nicke zurück.

Als Ma vom Parkplatz fährt, sehe ich die Homies noch im Seitenspiegel. Sie spielen total sorglos auf den Basketballcourts weiter. Ich wünschte, so könnte es für mich auch wieder sein.

Aber stattdessen bin ich unterwegs zum Krankenhaus, um herauszufinden, ob Kings Sohn in Wirklichkeit von mir ist.

KAPITEL 2

In der Klinik, wo es die kostenlose Gesundheitsversorgung gibt, ist für einen Freitagmorgen echt was los. Alle, die in Garden Heights wohnen, gehen lieber hierhin als ins Bezirkskrankenhaus. Von da kommt man selten gleich wieder nach Hause. Ein Mann auf Krücken telefoniert irre laut über den Münzapparat. Wahrscheinlich, damit wir alle hören, dass er eine Mitfahrgelegenheit braucht. Komischerweise ist die ältere Frau im Rollstuhl gleich neben uns davon noch nicht aufgewacht. Ein Mädchen, ungefähr in meinem Alter, rennt ihrem verrotzten Kleinkind hinterher und ruft irgendwas auf Spanisch.

Verrückt, sich vorzustellen, dass ich in ein paar Jahren so was Ähnliches tun könnte.

Diese ganze Situation ist ein bisschen kompliziert. King hat dieses Homegirl Iesha. Sie ist nicht seine Freundin, nah. Aber sie machen viel miteinander rum, wenn ihr versteht, was ich meine. Iesha ist bekannt dafür, dass sie mit vielen Typen rummacht. No disrespect, aber so ist es nun mal.

Vor ungefähr einem Jahr hat Lisa mit mir Schluss gemacht, nachdem Carlos behauptete, er hätte mich mit einem anderen Mädchen reden gesehen. Eine fette Lüge, aber aus irgendeinem Grund hat Lisa dem Idioten geglaubt. Ich war total fertig deshalb und bin zu King nach Hause. Er meinte dann, Iesha sollte mich auf andere Gedanken bringen. Zuerst war ich mir nicht sicher, weil es mir falsch vorkam. Fast wie Fremdgehen. Aber nachdem Iesha und ich in Fahrt kamen, vergaß ich, was richtig und falsch war.

Irgendwann riss dann das Kondom.

Jetzt sitze ich im Krankenhaus und warte auf die Ergebnisse des DNA-Tests für Ieshas drei Monate altes Baby.

Mas Beine wollen nicht stillhalten. Als würde sie am liebsten aus dem Wartebereich weglaufen. Sie schaut auf ihre Armbanduhr. »Die sollten schon längst hier sein. Maverick, hast du in letzter Zeit mit Iesha gesprochen?«

»Letzte Woche mal.«

»Gott im Himmel. Das Mädchen wird uns noch allen zu schaffen machen.«

Ma quatscht dauernd mit Gott. Normalerweise so was in der Art wie »Herr, bewahre mich davor, diesem Jungen eine runterzuhauen«. Aber ich find’s gut, dass sie jetzt ausnahmsweise mal über jemand anderen mit ihm spricht.

Sie behauptet, vor lauter Stress meinetwegen wäre sie frühzeitig gealtert. Die Haare trägt sie in Fingerwaves, und ein paar sind schon grau, obwohl das mit achtunddreißig noch nicht so sein sollte. Nicht meine Schuld. Kommt von den vielen Überstunden. Tagsüber sitzt Ma an der Rezeption von einem Hotel und abends putzt sie Büros. Ich sage ihr immer: »Eines Tages werd’ ich für dich sorgen.«

Dann lächelt sie und sagt: »Sorg erst mal für dich selbst, Maverick.«

Seit Wochen hieß es jetzt: »Sorg für deinen Sohn.« Sie ist überzeugt, dass ich sein Daddy bin.

Ich nicht. »Weiß gar nicht, warum wir das machen«, brumme ich. »Der ist nicht von mir.«

»Warum? Weil du nur einmal mit dem Mädchen zusammen warst?«, fragt Ma. »Mehr braucht es nicht, Maverick.«

»Sie schwört, dass er Kings Baby ist. Sie haben ihn sogar nach King benannt.«

»Yeah, aber wem sieht er ähnlich?«, sagt Ma.

Maaaann … a’ight. Damit hat sie mich. Als King Junior auf die Welt kam, sah er keinem ähnlich. Für mich sehen sowieso alle Neugeborenen wie Aliens aus. Nach ein paar Wochen sahen seine Augen, seine Nase und seine Lippen aus wie meine. Absolut nichts von King. Das Baby sieht nicht mal wie Iesha aus.

Deshalb hat King aufgehört, sich überhaupt noch mit Iesha abzugeben. Sie will ihm beweisen, dass ich nicht der Vater bin, und hat mich gebeten, einen DNA-Test zu machen. Deshalb sitzen wir hier. Wenn ich nicht das größte Pech der Welt habe, kann das Baby gar nicht von mir sein.

Der Pager, den ich an der Hüfte trage, geht los. Auf dem Display erscheint Mr. Wyatts Nummer. Er wohnt nebenan. Ich mähe jede Woche den Rasen vor seinem Haus. Wahrscheinlich will er, dass ich es heute mache. Ich muss ihn später zurückrufen.

Ma sieht mich lächelnd an. »Du glaubst wohl, du bist jetzt wer, weil du einen Pager hast, was?«

Ich lache. Vor zwei Monaten habe ich mir das Ding zugelegt. »Nah, Ma. Niemals.«

»Wie läuft das Geschäft?«, fragt sie. »Wie viele Rasen mähst du inzwischen?«

Ma denkt, ich verdiene mein Geld, indem ich in der Nachbarschaft Rasen mähe. Das tue ich zwar, aber ich verdiene mehr mit dem Verkauf von Drogen. Die ganze Rasenmähersache hilft mir dabei, ihr was vorzugaukeln. Wenn sie mich dann in neuen Kicks oder Klamotten sieht, tue ich, als hätte ich die günstig an der Tauschbörse bekommen und nicht in der Mall gekauft. Ich hasse es, dass ich sie so leicht belügen kann.

»Ganz gut«, sage ich jetzt. »Ich habe so ungefähr zehn. Will versuchen, so viele wie möglich zu kriegen, bevor es kalt wird.«

»Keine Sorge, du wirst schon noch was anderes finden. Gott weiß, dass Babys Geld kosten. Dir wird schon was einfallen, damit du das hinkriegst.«

Das werde ich nicht müssen. Das Baby ist nicht von mir.

Die Tür zur Klinik geht auf und Ms. Robinson kommt rein. »Jetzt schieb schon deinen Hintern hier rein, Girl!«

Iesha taucht auf und verdreht die Augen. Über der Schulter trägt sie eine Wickeltasche und in der einen Hand eine Babyschale.

Li’l Man schläft darin. Eins seiner Fäustchen liegt neben dem Kopf, und die Augenbrauen hat er zusammengezogen, als würde er im Traum über was Schwieriges nachdenken.

»Hey, Faye«, sagt Ms. Robinson zu Ma. »Sorry, dass wir uns verspätet haben.«

Ma macht »Mmmhmm«. Kein Gutheißen, kein Vorwurf. Dann sieht sie mich an, als würde sie irgendwas von mir erwarten. Ich starre total verwirrt zurück.

»Boy, lass Iesha sich da hinsetzen«, sagt Ma.

»Oh, sorry!« Ich springe auf. Ma legt großen Wert drauf, dass ich ein Gentleman bin.

Iesha setzt sich auf meinen Platz und stellt die Babyschale vor sich auf den Boden. Schlagartig ist Ma total fasziniert.

»Ach, sieh sich einer den kleinen Mann an«, sagt sie mit einer Stimme, die so nur bei Babys klingt. »Er ist k. o., was?«

»Endlich«, sagt Iesha. »Hat mich die ganze Nacht wach gehalten.«

»Hattest ja auch sonst nichts zu tun«, meint Ms. Robinson spitz. »Miss Ich-schwänz-die-Sommerkurse-um-irgendeinem-Jungen-nachzulaufen.«

»Oh mein Gott«, stöhnt Iesha.

»Eh du dich's versiehst, wird er nachts durchschlafen«, sagt Ma. »Maverick hat erst mit fünf Monaten nachts durchgeschlafen. Als hätte er immer unbedingt wissen müssen, was um ihn rum los war.«

»Er is’ ganz genau so«, sagt Ms. Robinson und sieht mich vielsagend an.

Sie kann gucken, so viel sie will. Das macht ihn trotzdem nicht zu meinem.

Li’l Man quengelt in seiner Babyschale.

Iesha seufzt. »Was jetzt wieder?«

»Wahrscheinlich will er seinen Schnuller, Baby«, sagt Ma.

Iesha steckt ihn ihm in den Mund und schon ist er ruhig.

Ich sehe Iesha genauer an. Die Schatten unter ihren Augen sind neu. »Hilft dir jemand mit ihm?«

»Ob ihr jemand hilft?«, fragt ihre Momma so aufgebracht, als hätte ich geflucht. »Wer soll ihr denn helfen? Ich vielleicht?«

»C’mon, Yolanda«, sagt Ma. »Das ist doch für jeden eine große Verantwortung, erst recht für eine Siebzehnjährige.«

»Pah! Wenn sie sich wie eine Erwachsene aufführen will, kann sie jetzt auch wie eine Erwachsene damit klarkommen. Ganz. Alleine.«

Iesha blinzelt ein paarmal ziemlich schnell.

Plötzlich tut sie mir echt leid. »Wenn er von mir ist, dann musst du nicht mehr alles alleine machen, a’ight? Dann komme ich vorbei und helfe, wo ich kann.«

Vor fünf Sekunden sah sie noch aus, als würde sie gleich losheulen. Jetzt grinst sie mich an. »Ach ja, versprochen? Wird das deiner Freundin nichts ausmachen?«

Keine Ahnung, wie Lisa drauf reagieren wird. Ich dachte mir, wenn es nicht meins ist, braucht sie von der ganzen Sache gar nicht zu wissen. Und wenn doch …

»Mach dir um sie keine Sorgen«, sage ich zu Iesha.

»Mach ich mir nicht. Aber du solltest dir welche machen. Die eingebildete Bitch wird dich fallen lassen, wenn sie’s erfährt.«

»Hey, red nicht so über sie!«

»Mir doch egal. Alle Mädchen an der Garden High sind scharf auf dich, und du suchst dir eine von der katholischen Schule aus, die sich für was Besseres hält. Aber alles gut. Mein Baby ist nicht von dir. Sobald wir das Testergebnis haben, bring ich es zu seinem richtigen Daddy, und wir werden ’ne richtige Familie. Wirst sehen.«

»Iesha Robinson!«, ruft die Krankenschwester.

Wir drehen die Köpfe in ihre Richtung.

Es ist so weit.

»Geh schon«, sagt Ms. Robinson zu Iesha.

Iesha steht auf und schnaubt: »Das ist so was von bescheuert.«

»Bescheuert ist, dass zwei Jungs der verdammte Vater sein können!«, schreit ihre Momma ihr nach. »Das ist bescheuert!«

Verdammt. Fetzen Ma und ich uns auch? Hell yeah. Andauernd. Aber nicht in aller Öffentlichkeit und nicht so.

Als Iesha zurückkommt, drückt sie ihrer Momma einen Umschlag in die Hand. »Ich wette, dass ich recht habe. Jede Wette!«

Ms. Robinson nimmt die Papiere heraus und überfliegt sie. Bei dem selbstgefälligen Ausdruck, den ihr Gesicht dabei annimmt, weiß ich schon, was drinsteht.

»Glückwunsch, Maverick«, sagt sie und starrt dabei ihre Tochter an. »Du bist Vater geworden.«

Shit.

»Jesus.« Ma fasst sich an die Stirn. Sie hat vorher schon gesagt, er wäre von mir. Aber Sagen und Wissen sind zweierlei.

Iesha schnappt sich die Papiere, überfliegt sie und macht ein entsetztes Gesicht. »Shit!«

»Verdammt, warum so sauer?«

»Das sollte Kings Baby sein! Ich hab keinen Bock auf dich!«

»Ich hab auch keinen Bock auf dich!«

»Maverick!«, blafft Ma mich an.

Mein Sohn in seiner Babyschale fängt an zu weinen.

Ma wirft mir einen strengen Blick zu und hebt ihn heraus. »Was ist denn los, Man-Man? Hmm?«, fragt sie, während sie ihm über den Rücken streicht. Sie muss jemand nicht lange kennen, bevor sie ihm einen Spitznamen verpasst. Jetzt schnüffelt sie in der Nähe von seinem Popo und verzieht die Nase. »Oh, ich weiß, was los ist. Wo sind die Windeln?«

»In der Wickeltasche«, murmelt Iesha.

»Schnapp dir die Tasche, Maverick«, sagt Ma. »Wir erledigen das.«

Plötzlich habe ich einen Sohn und der hat eine volle Windel. »Ich weiß nicht, wie man eine Windel wechselt, Ma.«

»Dann wird’s Zeit, dass du’s lernst. Komm.«

Ma geht in die Damentoilette und ist sich anscheinend sicher, dass ich ihr folge. Nein, verdammt.

Sie taucht wieder an der Tür auf. »Boy, c’mon.«

»Ich kann da nicht rein!«

»Hier ist doch sonst keiner. Und bis es Wickeltische im Männerklo gibt, kommst du gefälligst mit.«

Verdammt, cool ist das nicht, aber ich folge ihr. Li’l Man brüllt sich um den Verstand. Ich versteh, warum. Die Windel stinkt.

Ma reicht ihn mir, damit sie seine Tasche durchsuchen kann. »Kleider hat sie jedenfalls genug eingepackt. Mal sehen, ob auch Wickelunterlagen dabei sind. Wenn nicht – ah, da sind sie.« Ma breitet eine davon auf dem Wickeltisch aus. »Also, leg ihn drauf.«

»Was, wenn er runterfällt?«

»Wird er nicht. Genau so«, sagt sie, während ich ihn hinlege. »Jetzt knöpf seinen –«

Den Rest höre ich gar nicht mehr. Ich starre ihn einfach nur an.

Wenn ich ihn bisher angesehen habe, dann voller Ehrfurcht, dass es so was Winziges überhaupt gibt. Jetzt sehe ich ihn an, und er gehört zu mir – keine Frage.

Und das Schlimmste? Ich gehöre auch zu ihm.

Ich habe Angst. Weil ich Mist gebaut habe.

Ich bin erst seit einem Monat siebzehn und jetzt muss ich mich um einen anderen Menschen kümmern.

Der mich braucht.

Der von mir abhängig ist.

Der mich »Daddy« nennen wird.

»Maverick?«

Ma legt eine Hand auf meine Schulter.

»Du schaffst das«, sagt sie. »Ich bin auch noch da.«

Sie meint wohl nicht nur die Windel. »Okay.«

Mit ihrer Hilfe wechsle ich meine erste Windel. Als die Krankenschwester von vorher reinkommt und sieht, wie wir zu kämpfen haben – ist ja schon eine Weile her, dass Ma so was gemacht hat –, gibt sie uns ein paar Tipps. Bald ist Li’l Man sauber, quengelt aber weiter. Ma drückt ihn vorsichtig an ihre Schulter und streicht ihm über den Rücken.

»Is' ja gut, Man-Man«, tröstet sie ihn. »Alles gut.«

Er beruhigt sich. Schätze, mehr brauchte er nicht zu wissen.

Ich nehme die Wickeltasche und wir gehen zurück ins Wartezimmer. Die Babyschale von meinem Sohn steht auf dem Boden. Die DNA-Papiere liegen darin. Ms. Robinson ist weg.

Genau wie Iesha.