A E R Y N
»Dachtest du wirklich, du könntest mich besiegen?«, tönt Marcellus, mein heutiger Gegner, bevor er neben mir ausspuckt. »Ich habe schon ganz andere als dich auseinandergenommen. Dich werde ich ebenfalls zerquetschen!«
Ich war unachtsam. Anders kann ich mir nicht erklären, wie es ihm gelungen ist, mich zu überrumpeln.
Heute ist kein guter Tag. Das habe ich schon gemerkt, als ich den ersten Schritt in die Arena gesetzt habe. Das Blut in meinen Adern kribbelt und brennt. Das wird böse enden, wenn ich diesen Kampf nicht so schnell wie möglich hinter mich bringe. Doch offenbar habe ich meinen heutigen Gegner unterschätzt.
Ich springe zurück auf die Füße. »Versuchs doch«, zische ich, als ich einem weiteren seiner Schwerthiebe ausweiche.
Unbarmherzig brennt die Mittagssonne des etureischen Reiches auf mich herab. Jeder meiner Atemzüge ist erfüllt von Staub und Hitze, doch ich ringe nach Luft, ganz gleich wie sehr es in meinem Hals kratzt.
Mit dem linken Arm halte ich den hölzernen Schild vor mich, der etwa halb so groß ist wie ich, um einen Angriff meines Gegners zu parieren. Ich fühle den Aufprall seines Schwerts gegen meinen Schild bis hinauf in die Schulter, aber ich weiche keinen Schritt zurück.
Zurückzuweichen bedeutet Schwäche. Schwäche bedeutet Tod.
Und ich werde weder heute noch morgen oder übermorgen in dieser verdammten Arena sterben.
Die Finger meiner rechten Hand umklammern den rauen Schwertgriff so fest, dass es beinahe wehtut. So gut es geht, versuche ich das heiße Blubbern in meinen Adern zu ignorieren. Es ist ausgeprägter als gewöhnlich, doch ich darf nicht zulassen, dass es die Oberhand gewinnt.
Erneut lässt mein Gegner einen Schwerthieb auf meinen Schild niedergehen. Die Menge um uns herum stöhnt gelangweilt und erschrocken gleichermaßen auf. Ich kann nie sagen, ob sie sich darüber freut, dass mir nichts geschehen ist, oder danach lechzt, mich blutüberströmt im Staub der Arena liegen zu sehen.
Als Marcellus den Arm für eine weitere Attacke hebt, lasse ich den Schild sinken, tauche unter seinem schlecht ausgeführten Hieb hindurch und mache einen Schritt zur Seite. Nun habe ich alle Zeit der Welt, seine ungeschützte Flanke anzugreifen.
Noch vor wenigen Stunden rumorte ein ungutes Gefühl in meinen Eingeweiden, als ich auf die Tafel blickte, an der die heutigen Kampf-Paare angekündigt wurden. Marcellus ist ein Koloss von einem Mann und fast doppelt so breit wie ich. Er ist ein Etureer, der jedoch unehrenhaft aus dem Heer entlassen wurde und seitdem sein Glück als Gladiator versucht. Bisher hat er sich außergewöhnlich gut geschlagen; ich habe einige seiner Kämpfe gesehen. Mehrmals durchschlug er die Schilde seiner Kontrahenten oder überrollte sie schlicht mit seiner Größe und Kraft.
Doch all diese Muskeln und die Körpergröße haben einen Preis: Seine Angriffe mögen so kraftvoll sein, dass mir beinahe die Schulter birst, aber Marcellus benötigt mehr Zeit, um seine Muskelberge zu bewegen. Zeit, die ich nutzen kann, ihm auszuweichen und anzugreifen, wenn seine Deckung unten ist.
Mir gelingt ein Schwertstreich unterhalb seiner Rippen, der ihn vor Schmerzen aufheulen und die Menge um uns herum vor perfider Freude jubeln lässt.
Ich liebe ihr Jubeln genauso sehr, wie ich es verabscheue.
Es vibriert in mir, bringt mein Blut dazu, noch schneller zu pulsieren. Schneller und immer schneller, bis ich das Gefühl habe, nicht mehr Herr über meinen Körper zu sein. Bis ich nur noch handele, statt nachzudenken.
Die Kämpfe, in denen das passiert, sind die schlimmsten, denn sie versetzen mich in einen Rausch, bis ich mich selbst nicht mehr erkenne, und sie enden immer in einem Blutbad.
Ich stehe kurz davor, mich ein weiteres Mal diesem Rausch hinzugeben. Etwas lockt mich. Etwas, was schon viel zu lange in mir eingesperrt ist. Es lodert in mir, wie ein nie versiegendes Feuer.
Und es ist genauso zerstörerisch.
Als ich erneut das Schwert hebe, um einen weiteren Hieb auszuführen, rammt Marcellus mir mit voller Wucht seinen Schild gegen die linke Seite. Ich werde zurückgeschleudert. Als ich hart im Staub der Arena lande, wird mir sämtliche Luft aus den Lungen gepresst. Unzählige Steinchen kratzen über meine Haut, die zum größten Teil unbedeckt ist.
Meine Seite pulsiert vor Schmerzen, doch ich rappele mich so weit auf, dass ich zu meinem Schild kriechen kann. Er liegt einige Meter entfernt, aber zum Glück habe ich das Schwert nicht losgelassen.
Ein Schatten fällt auf mich, und bevor ich reagieren kann, tritt mir Marcellus in den Bauch. Ich gebe ein Röcheln von mir, ehe ich wieder zurück in den Staub falle.
Obwohl jede Bewegung wehtut, zwinge ich mich zurück auf die Füße, um keinen erneuten Treffer zu erleiden – schneller diesmal, sodass sein erneuter Angriff ins Leere läuft.
Marcellus keucht vor Anstrengung und der ganze Schweiß auf seinem Gesicht und der Brust rührt garantiert nicht von der glühenden Hitze. Ich muss ihm nur noch ein paarmal ausweichen, bis er erschöpft zu Boden sinken wird. Diese Taktik hat sich schon bei vielen Gegnern seines Kalibers bewährt, auch bei denen, die von Kopf bis Fuß gepanzert waren.
Seinen nächsten Hieb pariere ich und bin überrascht über die Kraft, die er noch hat. Schnell stelle ich einen Fuß zurück, um nicht das Gleichgewicht zu verlieren, während er die Klinge gegen meine drückt und sein Gesicht nur ein Stück von meinem entfernt ist.
»Es wird mir Ehre einbringen, eine Vantyr besiegt zu haben«, knurrt Marcellus.
»Träum weiter!«, grolle ich und stoße ihn zurück.
Ich habe kaum genug Zeit, einen anderen Stand zu wählen, da geht er wieder auf mich los.
Ich komme nicht umhin, ihn für sein Durchhaltevermögen zu bewundern. In der Vergangenheit wurde ich Gegnern zugeteilt, die bereits nach einer Minute ihre Waffe von sich geworfen haben, weil sie nicht gegen mich antreten wollten.
Doch Marcellus lässt mehrmals sein Schwert auf mich niedersausen und ich habe Mühe, seine Angriffe weiter zu parieren. Ich weiche ihnen aus, lasse mich zurücktreiben und sehe Siegesgewissheit in seinem Blick aufglimmen.
Freu dich nicht zu früh, raune ich in Gedanken.
Endlich hat er mich so weit zurückgetrieben, dass ich an meinem verlorenen Schild angelangt bin. Seinen nächsten Hieb pariere ich und stoße ihn mit aller Kraft zur Seite, sodass Marcellus beinahe das Gleichgewicht verliert. Ich nutze die Sekunden, die er benötigt, um wieder einen sicheren Halt im heißen Arenasand zu finden, indem ich meinen Schild aufhebe und ihn um meinen linken Unterarm schnalle.
Die Siegessicherheit verschwindet aus seinem Blick und macht nackter Angst Platz, als ich ihn meinerseits zurücktreibe und ihm immer wieder kleinere, aber nicht minder schmerzhafte Schnitte an Armen, Händen und jedem Körperteil zufüge, den meine Klinge erreicht. Nach wenigen Minuten blutet Marcellus aus unzähligen Wunden, die zwar nicht bedrohlich sind, ihn aber, gemeinsam mit der Schnittwunde an der Seite, in seinen Bewegungen einschränken.
Nach einem weiteren Angriff zieht er seinen Schild zu langsam hoch, sodass ich ihm meinen gegen das Gesicht rammen kann. Vor Schmerzen aufheulend lässt er das Schwert fallen und presst die freie Hand gegen die Nase, aus der eine wahre Blutfontäne schießt.
Das Jubeln der Menge ist ohrenbetäubend, ehe es zu einem Singsang wird. Sie rufen meinen Namen, wieder und wieder.
»Aeryn! Aeryn! Aeryn!«
Ihre ekstatischen Rufe befeuern das Brennen in meinen Adern nur noch weiter, bis ich es kaum noch aushalte – ein fast vergessenes Gefühl längst vergangener Tage. Ich dränge es zurück, denn wenn ich mich ihm hingebe, werde nur ich lebend diese Arena verlassen. Und den Kampf habe ich auch so gewonnen.
Die Kämpfe von uns Gladiatoren dienen fast immer nur der Unterhaltung. Die Menge liebt es, wenn Blut fließt, aber zu Todesfällen kommt es selten. Meistens sind sie eigener Dummheit geschuldet. Oder der anwesende Senator ist der Meinung, dass Köpfe rollen sollen.
Das kam innerhalb der letzten fünf Jahre, die ich in der Arena kämpfen musste, bereits öfter vor. In Marcellus’ Sinn hoffe ich, dass sein Herr genügend Gold bezahlt hat, um den heute anwesenden Senator milde zu stimmen. Zeigt er am Ende unseres Kampfes mit dem Daumen nach unten, bleibt mir jedoch nichts anderes übrig, als Marcellus zu töten.
Flüchtig werfe ich einen Blick auf die Empore in den Zuschauerrängen, die mit einem bunten Baldachin überspannt ist. Von hier aus sehen diese feisten Politiker zwar alle gleich für mich aus, aber ich versuche trotzdem in der Miene des heutigen Senators zu erkennen, wie er sich entscheiden wird.
Mit einem Schwertstreich gegen sein Bein bringe ich Marcellus nun dazu, in die Knie zu sinken. Ich kicke seine Waffe außerhalb seiner Reichweite und setze ihm meine Klinge an den Hals, ehe ich wieder zu den Zuschauerrängen aufschaue.
Ich hoffe wirklich, dass der Senator Milde walten lässt. Es ist mir zuwider, andere Gladiatoren zu töten. Mir genügt es, sie im Staub vor mir knien zu sehen.
Der Senator streckt den Arm aus und belässt ihn für einen theatralischen Moment in dieser Geste, bis auch der letzte jubelnde Zuschauer verstummt und gespannt auf die Entscheidung des Staatsmannes harrt. Ich wünschte, er würde sich verdammt noch mal beeilen, damit ich mir endlich den Staub, das Blut und die roten Schlieren abwaschen kann, die meine Haut bei jedem Kampf zieren müssen. Und damit ich aus dieser verdammten Sonne herauskomme.
Mit jeder Sekunde des Wartens ebbt das brennende Gefühl in meinen Adern etwas mehr ab, verschwindet aber nicht gänzlich. Tage wie diese, an denen das Brodeln meiner einstigen Kraft nicht ganz versiegen will, machen mich rastlos. Aber aus Erfahrung weiß ich, dass das Gefühl verschwindet, sobald ich die Arena hinter mir lassen kann.
Was hoffentlich bald ist.
Als ich schon drauf und dran bin, die Entscheidung für den Senator zu fällen, zeigt er mit dem Daumen nach oben und ich lasse von Marcellus ab.
Das Jubeln der Menge erfüllt die Arena und ich gebe mich, als badete ich darin, als es über mich brandet. Es hat mich viele Monate gekostet, den Zuschauern das vorzuspielen, was sie sehen wollen: eine siegreiche Gladiatorin, die sich für die Unterstützung aus den sicheren Rängen bedankt.
Durch meine Kämpfe und vor allem meine Siege habe ich mich zum Liebling des Volkes entwickelt. Eines Volkes, das ich mit jeder Faser meines Herzens verabscheue. Und doch bin ich abhängig von seiner Gunst und seinen Launen.
Marcellus nutzt den Augenblick, um besiegt aus der Arena zu schleichen. In ein paar Wochen wird das Los wieder auf uns beide fallen und wir werden uns erneut gegenüberstehen, denn heute haben wir der Menge einen guten Kampf geboten. Ich glaube jedoch nicht daran, dass der Ausgang des zukünftigen Kampfes ein anderer sein wird als heute. Ich hatte ausreichend Zeit, um seine Angriffsabläufe zu studieren.
Huldvoll verbeuge ich mich zu allen Seiten. Der Applaus und die Rufe meines Namens werden nicht leiser, dennoch bleibe ich nicht stehen, sondern eile auf einen der zahlreichen Ausgänge zu.
Als ich die Gänge unterhalb der Zuschauerränge betrete, schließt sich ein Gatter hinter mir und sogleich werde ich von zwei muskulösen Männern umringt, während ein dritter die Spitze seines Speers auf mich richtet, damit ich nicht auf dumme Gedanken komme. Ohne Widerstand reiche ich den Männern Schild und Schwert. Erst danach wird mir erlaubt weiterzugehen, wobei sich stets mindestens einer der Wärter hinter mir hält.
Ich kenne den Weg durch die verwinkelten Gänge. Die Zuschauer sehen nur die Wege, die zu den Rängen und wieder ins Freie führen, aber das Arenagelände hat viel mehr zu bieten. Neben Waffenräumen gibt es eine Vielzahl weiterer Zimmer: Baderäume, Zimmer für private Unterhaltungen und natürlich Zellen. Als eine der kostbarsten Gladiatorinnen, über die mein Herr und Arenabetreiber Graecus verfügt, muss ich mein Dasein zum Glück nicht in einer dieser Zellen fristen, bis mein Herr gedenkt, mich nach Hause zu holen.
Aus den noch tiefer gelegenen Ebenen dringt das wütende Brüllen gefangener Raubtiere empor. Ich bin froh, dass ich noch nie gegen eine dieser ausgehungerten Bestien antreten musste, denn sie wären ein zäherer Gegner als Marcellus.
Als hinter mir ein träges Klatschen ertönt, bleiben ich und mein stummer Bewacher stehen. Ich wende mich zu meinem Herrn um und neige den Kopf, wie er es von mir erwartet.
»Siegreich wie immer«, raunt er, während er näher kommt.
Graecus ist ein älterer Mann, schätzungsweise Ende fünfzig, von untersetzter Statur und mit einem unübersehbaren Bauchansatz. Als er vor mir steht, muss ich den Blick senken, um ihm in die Augen sehen zu können, da er mir nur bis zur Nase reicht. Wie immer ist er gewandet in erlesene Kleidung, die mit Goldfäden durchwirkt ist. Graecus liebt es, seinen Wohlstand nach außen hin zu zeigen und damit die Tatsache zu überspielen, dass ihm ein hochrangiger Posten in der Politik verwehrt blieb. Stattdessen betreibt er die größte und profitabelste Arena der Hauptstadt. Täglich finden Kämpfe in ihr statt, größere wie kleinere, die zu jeder Tageszeit gut besucht sind, denn die Etureer lieben diese blutige Zerstreuung mehr als alles andere.
Graecus’ Blick wandert über mich und bleibt eine Spur zu lange an der entblößten Haut auf meinem Bauch und den Beinen hängen. Ich begrüße es, dass ich nicht in eine komplett geschlossene Lederkluft gesteckt werde, die mich in meinen Bewegungsabläufen behindert. Deshalb habe ich mich nie gegen den dunkelbraunen Lendenschurz, die hohen Stiefel und das tief ausgeschnittene und knapp unter der Brust endende Lederoberteil gewehrt. Vor jedem Kampf bemalen Sklavinnen meine bloße Haut mit unterschiedlichen Mustern in roter Farbe. Heute winden sich die Schlieren in Wirbeln um meine Beine, den Bauch, die Arme und den Hals hinauf. Doch sie sind nichts als eine billige Nachahmung der echten Verzierungen, die sich auf meiner Haut abzeichnen, sobald ich die Kontrolle über das Brennen in meinen Adern verliere. Die aufgemalten Zeichen sollen das verdeutlichen, was ich bin: eine Vantyr. Oder um es mit den Worten der Etureer zu sagen: eine gefährliche Barbarin, der ihre magische Gabe mit allen Mitteln genommen werden musste.
»Geh und ruh dich aus«, sagt Graecus, nachdem er mit seiner Bestandsaufnahme fertig ist und an mir vorbeigeht. »Du hast es dir verdient. Dein Sieg hat mich ein ganzes Stück reicher gemacht, obwohl ich immer noch nicht verstehe, wie Leute so dumm sein können, gegen dich zu wetten.«
Er gibt mir einen Klaps auf den Hintern, für den ich ihm instinktiv den Kopf von den Schultern getrennt hätte, wenn sie mir das Schwert nicht abgenommen hätten. Nun kann ich nichts anderes tun, als aufgebracht zu ihm herumzuwirbeln.
»Brauchst du sonst noch etwas?«, will er wissen, ohne sich vor meinem zweifellos wütenden Blick zu fürchten.
»Heute nicht«, sage ich.
Graecus nickt. »Wenn du deine Meinung änderst, brauchst du es nur auszusprechen.« Er kneift mir in die Wange. »Für mein bestes Pferd im Stall ist mir nichts zu teuer.«
Ich rucke den Kopf zur Seite und befreie mich so von seiner Berührung. Der Kerl neben mir spannt sich an, als erwarte er, dass ich auf Graecus losgehe. Ich hätte nicht wenig Lust dazu, aber noch weniger steht mir der Sinn danach, eine Hand zu verlieren. Das würde meine Siegeschancen bei den nächsten Kämpfen deutlich schmälern.