Anmerkungen

  • 1 Geheime Polizei im englischen Sinne detectiv police, die für die Entdeckung von Verbrechern im Geheimen thätige Polizei. Anm. d. Übers.

  • 2Anmerkung von Franklin Blake. Miß Clack kann sich über diesen Punkt vollkommen beruhigen.In ihrem Manuskript so wenig wie in irgend einem andern Manuskripte, die in meine Hände gelangen, soll irgend etwas hinzugefügt, verändert oder entfernt werden. Gleichviel was für Ansichten der eine oder andere der Schreibenden aussprechen mag, was für Eigenthümlichkeiten der Behandlung des Stoffs die Erzählungen, welche ich jetzt sammle, charakterisieren und im literarischen Sinn vielleicht entstellen mögen, nirgends wird auch nur eine einzige Zeile verändert oder weggelassen werden. Als echte Dokumente gehen sie mir zu und als echte Dokumente werde ich sie, mit der Beglaubigung von Leuten versehen, welche die Wahrheit der Thatsachen bezeugen können, aufbewahren. Es bleibt mir nur noch hinzuzufügen, daß die »Hauptperson« in Miß Clack’s Erzählung im gegenwärtigen Augenblick so glücklich ist, nicht nur den beißendsten Ergüssen von Miß Clacks Feder Trotz bieten, sondern sogar den unbestreitbaren Werth dieser Ergüsse für die Erkenntnis von Miß Clacks Charakter anerkennen zu können.

  • 3Anmerkung von Franklin Blake. — Das arme Mädchen ist vollständig im Irrtum. Ich hatte sie gar nicht bemerkt. Meine Absicht war gewiß, durch das Gebüsch zu gehen. Da ich mich aber in demselben Augenblick erinnerte, daß meine Tante mich vielleicht zu sehen wünschen werde, nachdem ich von der Eisenbahn zurückgekommen war, änderte ich meinen Sinn und ging in’s Haus.

Erster Band

Prolog

Die Erstürmung von Seringapatnam (1799.)

(Auszug aus einem in einem Familien-Archiv aufbewahrten Bericht.)

I.

Ich richte diese in Indien geschriebenen Zeilen an meine Verwandten in England.

Der Zweck derselben ist die Gründe darzulegen, aus welchen ich mit meinem Vetter, John Herncastle, gebrochen habe. Die Zurückhaltung, welche ich bis jetzt in dieser Angelegenheit beobachtet habe ist von einigen Gliedern meiner Familie, an deren guten Meinung mir viel gelegen ist, falsch ausgelegt worden. Ich ersuche dieselben, nicht eher ein Urtheil über meine Handlungsweise zu fällen, bis sie meine Erzählung gelesen haben werden, und ich gebe hiermit mein Ehrenwort darauf, daß was ich im Begriff stehe niederzuschreiben, die volle Wahrheit und nichts als die Wahrheit enthält.

Die Veruneinigung zwischen meinem Vetter und mir entstand bei Gelegenheit eines großen Ereignisses, bei welchem wir Beide betheiligt waren, der Erstürmung von Seringapatnam unter General Baird am 4. Mai 1799.

Um die Vorgänge, auf die es ankommt, klar zu machen, muß ich einen Augenblick bei der der Erstürmung vorangehenden Zeit und den Erzählungen verweilen, welche in unserm Lager über die in dem Palast von Seringapatnam aufgehäuften Schätze von Gold und Edelsteinen kursierten.


II.

Eine der abenteuerlichsten unter diesen Geschichten bezog sich auf einen gelben Diamanten, einen in den Annalen Indiens berühmten Edelstein

Nach der ältesten darüber bekannten Tradition befand sich der Stein in dem Stirnband des vierarmigen indischen Gottes, welcher als Personifikation des Mondes betrachtet wird.

Zum Theil wegen seiner eigenthümlichen Farbe, zum Theil in Folge eines Aberglaubens, nach welchem der Stein den Einflüssen der Gottheit, die er schmückte, unterliegen, und mit dem Zu- und Abnehmen des Mondes einen erhöhten oder verminderten Glanz erhalten sollte, bekam derselbe den Namen, unter welchem er noch heute bekannt ist: Der Mondstein.

Ein ähnlicher Aberglaube soll, wie ich gehört habe, einst im alten Griechenland und Rom geherrscht haben, jedoch nicht wie in Indien, in Bezug auf einen dem Dienste eines Gottes geweihten Diamanten, sondern in Bezug auf einen nicht ganz durchsichtigen Halbedelstein, der auch dem Einfluß des Mondes unterliegen sollte und gleichfalls vom Monde seinen Namen erhielt, unter welchem er den Sammlern noch in unsern Tagen bekannt ist.

Die Schicksale des gelben Diamanten beginnen mit dem elften Jahrhundert der christlichen Zeitrechnung.

Um jene Zeit durchzog der mohammedanische Eroberer Mahmoud von Ghizni Indien, nahm die heilige Stadt Somnauth ein und beraubte den seit Jahrhunderten berühmten Tempel, das Ziel der indischen Pilger, das Wunderwerk des Orients, seiner Schätze.

Von allen in diesem Tempel verehrten Gottheiten entging der Mondgott allein der Raubgier der mohammedanischen Eroberer. Von drei Brahminen gerettet, wurde die unverletzte Gottheit, die den gelben Diamanten an ihrer Stirn trug, bei nächtlicher Weile nach der zweiten heiligen Stadt Indiens, nach Benares gebracht. Hier wurde der Mondgott in einem neuen Heiligenschrein, in einer mit Edelsteinen geschmückten Halle unter einem von goldenen Pfeilern getragenen Dach aufgestellt und angebetet. Hier erschien, als der Schrein vollendet war, »Wischnu, der Erhalter« den drei Brahminen in einem Traum.

Der Gott hauchte mit seinem göttlichen Atem den Diamanten auf der Stirn des Mondgottes an und die Brahminen knieten nieder und verbargen ihr Antlitz in ihren Gewändern. Gott Wischnu befahl, daß der Mondstein von nun an bis an das Ende der Tage Nacht und Tag abwechselnd von drei Priestern bewacht werden solle.

Und die Brahminen vernahmen sein Wort und beugten sich vor seinem Willen. Der Gott verkündete dem verwegenen Sterblichen, der sich an dem geheiligten Edelstein vergreifen würde, und allen seinen Angehörigen und Nachkommen, die nach ihm in den Besitz desselben gelangen möchten, sicheres Verderben. Und die Brahminen ließen diese Verkündigung über den Eingangsthoren des Tempels in goldenen Buchstaben anbringen.

Jahrhunderte vergingen und noch immer bewachten durch alle Generationen hindurch Nachfolger jener drei Brahminen ihren unschätzbaren Mondstein Nacht und Tag.

Es war im Beginn des achtzehnten Jahrhunderts unserer Zeitrechnung, als der Groß- Mogul Aurungzebe regierte. Auf sein Gebot entlud sich aber plündernde Raubgier über die der Anbetung Brahma’s geweihten Tempel. Die heilige Stätte des vierarmigen Gottes ward durch das Abschlachten gottgeweihter Thiere geschändet, die Bildnisse der Gottheit zertrümmert und der Mondstein wurde von einem höheren Offizier der Armee Aurungzebes geraubt. Außer Stande, ihren verlorenen Schatz mit offener Gewalt wieder zu erlangen, beschlossen die den Edelstein bewachenden Priester, demselben zu folgen und ihrem Wächteramt in einer Verkleidung treu zu bleiben.

Wieder vergingen Jahrzehnte. Der Offizier, welcher die Tempelschändung verübt hatte, war elend umgekommen, der Mondstein ging, seinen Fluch mit sich führend, von einer gottlosen mohammedanischen Hand in die andere über, und noch immer lagen die Nachfolger der drei Priesterwächter durch allen Wechsel von Ort und Zeit ihrem Wächteramte ob und harrten des Tages, wo es Wischnu dem Erhalter gefallen werde, ihr geheiligtes Juwel wieder in ihre Hand zu geben.

Die Jahre vergingen vom Beginn bis zum Ende des achtzehnten Jahrhunderts, der Diamant gelangte in den Besitz des Sultans Tippo Saib von Seringapatnam der ihn als Verzierung in den Griff eines Dolches setzen und diesen als eines der schönsten Stücke in seiner Waffenkammer aufbewahren ließ.

Auch jetzt wußten die Priesterwächter ihr heimliches Amt bis in den Palast des Sultans wahrzunehmen. In dem Gefolge Tippo Saib’s befanden sich drei Offiziere von unbekannter Herkunft, die sich durch das vorgebliche Bekenntnis des Islam das Vertrauen ihres Herrn zu gewinnen gewußt hatten, und diese drei Männer bezeichnete das Gerücht als die drei verkleideten Priester.


IV.

Ich möchte keinen Zweifel darüber bestehen lassen, daß das, was ich hier über meinen Vetter niedergeschrieben habe, nur für die Familie bestimmt ist, — es wäre denn, daß Umstände eintreten sollten, welche die Veröffentlichung nothwendig erscheinen lassen würden. Herncastle hat mir nichts gesagt, was mich zu einer Anzeige bei unserm General berechtigen konnte. Mehr als einmal ist er von Denen, die sich seines zornigen Ausbruchs vor der Erstürmung erinnern, wegen des Diamanten geneckt worden; aber wie sich leicht denken läßt, hat seine eigene Erinnerung an die Umstände, unter denen ich ihn in der Schatzkammer getroffen habe, hingereicht, ihm Schweigen aufzuerlegen. Wie es heißt, beabsichtigt er eingestandenermaßen, um meine Nähe zu vermeiden, in ein anderes Regiment einzutreten. Wie dem auch sei, so kann ich mich nicht entschließen, sein Ankläger zu werden, und zwar aus guten Gründen. Denn wenn ich auch die Sache veröffentlichen wollte, so würde ich zur Unterstützung meiner Anklage nur moralische Beweise beibringen können. Ich habe nicht nur keinen Beweis dafür, daß er die beiden Männer in der Thür umgebracht hat, ich kann auch nicht einmal beweisen, daß er den Dritten, in der Schatzkammer selbst, getödtet, denn ich kann nicht behaupten, daß ich mit eignen Augen die That habe begehen sehen. Ich habe zwar die Worte des sterbenden Indiers gehört, wenn aber diese Worte als der Ausbruch einer irren Phantasie erklärt werden sollten, so wäre ich außer Stande, dieser Behauptung aus eigner Wissenschaft zu widersprechen. Unsere beiderseitigen Verwandten mögen sich selbst ihre Ansicht über meine Mittheilung bilden und selbst entscheiden, ob die Abneigung, die ich jetzt gegen Herncastle empfinde, gut oder schlecht begründet ist.

Obgleich ich der phantastischen indischen Sage über den Edelstein keine Art von Glauben beimesse, so muß ich mich doch, bevor ich schließe, zu einer andern Art von Aberglauben in dieser Angelegenheit bekennen.

Ich bin überzeugt oder bilde mir ein, wie man es nun nennen will, daß das Verbrechen sein eigenes Verhängnis in sich trägt. Ich halte mich nicht nur von Herncastles Schuld fest überzeugt, sondern ich bin auch Phantast genug, zu glauben, daß er, wenn er den Diamanten behält, seine That noch bereuen wird, und daß, wenn er sich des Diamanten entäußert, Andere es bereuen werden, ihm denselben abgenommen zu haben.


Die Erzählung.

Erste Periode:

Der Verlust des Diamanten

(1848).

Von Gabriel Betteredge, Haushofmeister im Dienste Lady
Julia Verinder’s, berichtete Ereignisse.

Erstes Kapitel.

Im ersten Theil von Robinson Crusoe auf Seite 129 steht zu lesen:

»Jetzt sah ich, wiewohl zu spät ein, wie thöricht es sei, etwas zu unternehmen, bevor man die Kosten berechnet und bevor man sich vergewissert hat, daß man die Kraft besitzt, das Unternommene durchzuführen.«

Noch gestern fiel mir diese Stelle beim Öffnen von Robinson Crusoe in die Augen, und diesen Morgen, 21. Mai 1850, kam Mylady’s Neffe, Herr Franklin Blake, und hatte die folgende kurze Unterhaltung mit mir.

»Betteredge,« begann Herr Franklin »ich habe mit unserm Advokaten über einige Familien-Angelegenheiten gesprochen, und neben andern Dingen kam auch das vor zwei Jahren geschehene Verschwinden des Familien-Diamanten aus dem Hause meiner Tante in Yorkshire zur Sprache. Der Advokat ist der Meinung, die ich theile, daß der ganze Vorgang im Interesse der Wahrheit so bald wie möglich zu Papier gebracht werden sollte.«

Da ich nicht sogleich merkte, worauf er hinaus wollte, und es ein für allemal um des lieben Friedens Willen für richtig halte, mich auf die Seite der Advokaten zu stellen, so sagte ich: »Der Meinung bin ich auch.«

Herr Franklin fuhr fort: »In dieser Diamantengeschichte,« sagte er, »sind schon unschuldige Personen, wie Sie wissen, verdächtigt worden. Es ist zu fürchten, daß in Ermangelung eines Berichts über die Thatsachen, auf welchen sich unsere Nachkommen berufen können, auch künftig das Andenken unschuldiger Personen verunglimpft werden möchte. Aus diesen Gründen sollte diese unsere sonderbare Familiengeschichte niedergeschrieben werden und ich glaube, Betteredge, der Advokat und ich haben die rechte Art, wie es mit dem Aufzeichnen zu halten sein würde, gefunden.«

Ohne Zweifel sehr angenehm für Beide, nur sah ich noch nicht ein, was ich mit der Sache zu thun haben könnte.

»Wir haben gewisse Thatsachen zu berichten,« fuhr Franklin fort, »und wir haben gewisse bei diesen Thatsachen betheiligte Personen, die im Stande sind, diesen Bericht zu machen Von dieser einfachen Sachlage ausgehend, meint der Advokat, wir sollten alle der Reihe nach von der Geschichte des Mondsteins niederschreiben was Jeder erlebt hat, und weiter nichts. Der Bericht muß damit anfangen, zu erzählen, wie der Diamant zuerst in die Hände meines Onkels Herncastle gelangt ist, als er vor fünfzig Jahren in der englischen Armee diente. Diese einleitende Erzählung besitze ich schon in Gestalt eines alten Familiendokuments welches die nöthigen Details nach der Aussage eines Augenzeugen enthält. Das nächst zu Berichtende ist: wie der Diamant vor zwei Jahren in das Haus meiner Tante in Yorkshire kam und wie er wenig mehr als zwölf Stunden später wieder verloren ging. Kein Mensch weiß so gut wie Sie, Betteredge, was zu jener Zeit im Hause vorging. Sie müssen also die Feder in die Hand nehmen und die Geschichte erzählen.«

So erfuhr ich, was ich persönlich mit der Diamantengeschichte zu thun habe. Wenn man wissen will, wie ich mich unter diesen Umständen bei der Sache benahm, so will ich nur bemerken, daß ich that, was jeder Andere an meiner Stelle wahrscheinlich gethan haben würde. Ich erklärte mich bescheidentlich der mir zugedachten Aufgabe durchaus nicht gewachsen und war mir dabei vollkommen bewußt, daß ich die Aufgabe sehr gut würde lösen können, wenn ich nur meine Talente in Bewegung setzen wollte. Jetzt ist es zwei Stunden her, daß mich Herr Franklin verlassen hat. Kaum war er aus der Thür, als ich mich an mein Schreibpult setzte, um meinen Bericht zu beginnen. Und da sitze ich nun die ganze Zeit, trotz aller meiner Talente, und weiß mir nicht zu helfen, und sehe ein, was Robinson Crusoe auch eingesehen hatte, wie ich oben angeführt habe, wie thöricht es sei, etwas zu unternehmen, bevor man die Kosten berechnet und sich vergewissert hat, ob man die Kraft besitzt, das Unternommene durchzuführen. Ich bitte wohl zu bedenken, daß mir die Stelle grade gestern, also einen Tag ehe ich meine jetzige Arbeit leichtsinniger Weise übernommen habe, zufällig in die Augen gefallen ist, und erlaube mir die Frage, wenn das nicht Prophezeiung ist, was denn.

Ich bin nicht abergläubisch, ich habe meiner Zeit eine Masse von Büchern gelesen, ich bin ein Gelehrter auf eigene Faust. Obgleich ich über siebzig bin, so ist mein Gedächtnis noch frisch und sind meine Beine noch rüstig. Man nehme es daher gefälligst nicht als die Behauptung eines unwissenden Menschen hin, wenn ich sagte, daß es kein zweites Buch wie Robinson Crusoe gibt. Seit Jahren habe ich dies Buch gewöhnlich mit einer Pfeife Tabak im Munde zu Rathe gezogen und habe in allen Lagen des Lebens einen erprobten Freund in der Noth darin gefunden. Wenn ich schlechter Laune bin: Robinson Crusoe, wenn ich Rath brauche: Robinson Crusoe, in vergangenen Tagen, wenn mein Weib mich plagte und jetzt, wenn ich einen Schluck zu viel genommen habe: Robinson Crusoe; ich habe sechs Robinson Crusoe’s mit angestrengtem Lesen in meinem Dienst verbraucht. An Myladys letztem Geburtstage schenkte sie mir ein siebentes Exemplar. Bei dieser Gelegenheit trank ich einen Schluck zu viel und Robinson Crusoe brachte mich wieder in Ordnung. Das Exemplar kostet vier Schillinge sechs Pence, ist blau gebunden und mit einem Titelkupfer versehen.

Dies sieht aber nicht aus wie der Anfang zu einer Geschichte des Diamanten, nicht wahr? Ich schwatze Gott weiß was und gerathe Gott weiß wohin. Ich will ein neues Blatt Papier nehmen, wenn’s dem Leser gefällig ist, und von Frischem anfangen.


Zweites Kapitel.

Eben habe ich von Mylady gesprochen Nun wäre der Diamant nie in unser Haus gekommen, wo er verloren ging, wenn er nicht Myladys Tochter geschenkt worden wäre, und Mylady’s Tochter hätte nie das Geschenk bekommen können, wenn Mylady sie nicht mit Schmerzen geboren hätte. Wenn wir daher mit Mylady anfangen, so können wir ziemlich sicher sein, unsere Erzählung früh genug zu beginnen, und eine solche Sicherheit ist wahrhaftig beim Beginn einer Arbeit, wie sie mir auferlegt ist, schon ein großer Trost.

Wer etwas von der feinen Welt weiß, hat gewiß von den drei schönen Fräulein Herncastle gehört. Fräulein Adelaide, Fräulein Caroline und Fräulein Julia, welche letztere die jüngste und nach meiner Meinung die beste von den drei Schwestern war, und ich hatte Gelegenheit es zu beurtheilen, wie man gleich sehen wird. Ich trat in die Dienste ihres Vaters, des alten Lords, der uns Gottlob bei dieser Diamantengeschichte nichts angeht. Er hatte die schärfste Zunge und das schlimmste Temperament, die mir bei irgend einem Menschen, hoch oder niedrig, je vorgekommen sind. Ich trat also, wie gesagt, in die Dienste des alten Lord als Page zur Aufwartung der drei jungen Damen, als ich fünfzehn Jahre alt war. Da blieb ich, bis Fräulein Julia den verstorbenen Lord Verinder heirathete. Ein vortrefflicher Mann, der nur Jemanden brauchte, der ihn zu nehmen wußte, und unter uns gesagt, er fand Jemanden, der das verstand, und was mehr ist, er gedieh und wurde dick und fett dabei, und lebte glücklich und starb zufrieden, von dem Tage an, wo Mylady mit ihm zur Kirche ging, um ihn zu heirathen, bis zu dem Tage, wo er seinen letzten Atemzug aushauchte und sie seine Augen für immer schloß.

Ich habe vergessen zu sagen, daß ich mit der jungen Frau nach ihres Gatten Haus und Gütern hierher zog. »John,« sagte sie zu ihm, »ich kann ohne Gabriel Betteredge nicht fertig werden.« »Mylady,« antwortete er, »ich auch nicht.« Das war seine Art, mit ihr zu verkehren, und so kam ich in seinen Dienst. Mir war es ganz einerlei, wo ich hinkam, so lange ich nur mit meiner Herrin zusammen war.

Als ich sah, daß Mylady sich für ländliche Arbeiten, für die Meiereien und dergleichen interessierte, interessierte ich mich auch dafür, umso mehr, als ich selbst der siebente Sohn eines kleinen Pächters war. Mylady stellte mich unter den Gutsverwalter und ich gab mir Mühe und erwarb mir Zufriedenheit und wurde dafür auch befördert. Nach Verlauf einiger Jahre sagte Mylady, wenn ich nicht irre an einem Montag: »John, Dein Gutsverwalter ist ein dummer alter Mann, gib ihm eine gute Pension und setze Gabriel Betteredge an seine Stelle.« Am Dienstag sagte Sir John: »Mylady, ich habe dem Gutsverwalter eine gute Pension ausgesetzt und habe Gabriel Betteredge seine Stelle gegeben.« Man hört leider genug von Eheleuten, die schlecht mit einander leben, hier haben wir ein Beispiel vom Gegentheil, welches Einigen zur Warnung und Andern zur Ermuthigung dienen mag. Unterdessen will ich in meiner Geschichte fortfahren.

Gut also, da saß ich in der Wolle, wird man sagen. Auf einem ehrenvollen Vertrauensposten mit einem kleinen eigenen Häuschen zum Wohnen, mit meiner Beaufsichtigung der Arbeiten auf den Gütern am Morgen, meiner Buchführung am Nachmittag und meiner Pfeife und meinem Robinson Crusoe am Abend; was in der Welt brauchte es mehr zu meinem Glück? Man vergesse aber nicht, was Adam sich wünschte, als er noch allein im Paradiese war, und wenn man diesen Wunsch bei Adam nicht tadelt, so darf man ihn auch bei mir nicht tadeln. Das Frauenzimmer, auf das ich meinen Blick richtete, war meine Haushälterin. Sie hieß Selina Goby. Ich finde, der selige William Cobbett hat Recht: Wenn man eine Frau sucht, muß man sehen daß sie manierlich ißt und ihre Füße fest auf den Boden setzt. Wenn sie diese Eigenschaften hat, kann man ruhig sein. Selina Goby genügte in beiden Beziehungen, was ein Grund war, um sie zu heirathen. Einen anderen Grund fand ich selbst heraus. Ich hatte Selina Goby wöchentlich für ihre Kost und Dienste etwas zu bezahlen. Wenn Selina Goby meine Frau wurde, konnte sie mir nichts für ihre Kost berechnen und mußte mir ihre Dienste umsonst leisten. Das waren die Gesichtspunkte, aus denen ich die Sache betrachtete, Ökonomie mit einem Anflug von Liebe. Ich trug die Sache, wie es meine Pflicht war, meiner Herrin vor. »Ich habe mir Selina Goby durch den Kopf gehen lassen,« sagte ich, »und bin zu der Überzeugung gelangt, Mylady, daß es billiger ist, sie zu heirathen, als sie zur Haushälterin zu haben.«

Mylady lachte laut auf und sagte, sie wisse nicht, was sie ärger finden solle, meine Sprache oder meine Grundsätze. Sie fand vermuthlich etwas bei der Sache, was nur die vornehmen Leute verstehen. Ich verstand nur so viel, daß für mich nichts im Wege sei, die Sache jetzt Selina vorzulegen, und so that ich. Und was sagte diese? Wer so fragt, muß bei Gott wenig von Frauen wissen. Natürlich sagte sie ja. Als die Zeit herankam und die Rede davon war, daß ich mir für die Feierlichkeit einen neuen Rock anschaffen müsse, fing ich an, wieder schwankend zu werden. Ich habe mich bei anderen Männern erkundigt, was sie in ähnlicher Lage empfunden haben, und sie haben mir Alle zugegeben, daß sie ungefähr eine Woche vor dem entscheidenden Tage von der Sache loszukommen wünschten. Ich ließ es nicht ganz beim Wünschen bewenden, ich machte einen wirklichen Versuch, loszukommen. Nicht, daß ich es umsonst verlangt hätte, ich war ein zu billig denkender Mann, um zu erwarten, daß sie mich umsonst loslassen würde. Entschädigung für das Frauenzimmer, wenn sie den Mann wieder losläßt, ist in England Rechtens; dieses Gesetzes eingedenk und nachdem ich mir die Sache wohl überlegt hatte, bot ich Selina Goby ein Federbett und fünfzig Shilling, um von dem Geschäft wieder abzukommen. Man wird es kaum glauben, aber es ist doch wahr: Sie war thöricht genug, meinen Vorschlag abzulehnen. Da war natürlich alle Hoffnung für mich vorbei. Ich schaffte mir den neuen Rock so billig wie möglich an und ließ mich alles Übrige so wenig wie möglich kosten. Wir waren nicht gerade ein glückliches Paar, aber auch kein unglückliches: wir waren halb das Eine und halb das Andere. Wie es kam, weiß ich nicht, aber wir waren uns immer einander im Wege. Wenn ich die Treppe hinaufgehen wollte, so konnte ich sicher sein, daß meine Frau die Treppe hinunter kam, oder umgekehrt, wenn meine Frau die Treppe hinunter wollte, so war ich im Begriff, hinauf zu gehen. So ist es einmal nach meiner Erfahrung in der Ehe.

Nachdem das Caramboliren auf der Treppe fünf Jahre lang gedauert hatte, gefiel es der allweisen Vorsehung, meine Frau von mir zu nehmen und uns so von einander zu erlösen. Ich blieb mit meiner kleinen Penelope allein übrig. Kurz nachher starb Sir John und Mylady blieb mit ihrer Tochter Fräulein Rachel allein. Ich müßte mich sehr schlecht über Mylady ausgedrückt haben, wenn ich noch zu sagen brauchte, daß meine Herrin sich meiner kleinen Penelope annahm und daß sie in die Schule geschickt und unterrichtet und ein gescheidtes Mädchen wurde. Als sie alt genug dazu war, wurde sie Fräulein Rachels Kammerjungfer. Was mich anlangt, so bekleidete ich mein Amt als Gutsverwalter ununterbrochen weiter bis zum Weihnachtstag 1847, wo eine Veränderung in meinem Leben eintrat. An jenem Tage lud sich Mylady zu einer Tasse Thee allein mit mir in meinem Häuschen bei mir ein. Sie bemerkte, daß ich von der Zeit an gerechnet, wo ich als Page zu dem alten Lord in’s Haus gekommen, mehr als fünfzig Jahre in ihren Diensten gewesen sei, und gab mir eine schöne wollene Weste, die sie selbst für mich gestrickt hatte, um mich an kalten Wintertagen damit warm zu halten.

Ich nahm dieses prachtvolle Geschenk entgegen und fühlte mich ganz unfähig, Worte zu finden, mit denen ich meiner Herrin für die mir erwiesene Ehre hätte danken können. Zu meinem größten Erstaunen aber stellte es sich bald heraus, daß die Weste kein Ehrengeschenk, sondern eine Bestechung sei. Mylady hatte herausgefunden, daß ich alt werde, bevor ich es selbst gemerkt hatte, und sie war zu mir gekommen, um mich, wenn ich so sagen darf, zu beschwatzen, meine anstrengende Beschäftigung im Freien als Gutsverwalter aufzugeben und meine Tage als Haushofmeister im Schloß in Ruhe zu beschließen. Ich wehrte mich so gut ich konnte gegen die unwürdige Zumuthung, mich zur Ruhe zu setzen. Aber meine Herrin kannte meine schwache Seite und stellte mir die Sache als eine Gefälligkeit gegen sie vor. Unsere Unterhaltung endete damit, daß ich mir die Augen wie ein alter Narr mit meiner wollenen Weste trocknete und sagte, ich wolle mir die Sache überlegen.

Meine Gemüthsverfassung bei dieser Überlegung, nachdem Mylady mich verlassen hatte, war wirklich schrecklich und so nahm ich meine Zuflucht zu dem Mittel, das ich in zweifelhaften und schwierigen Fällen noch nie vergebens angewandt hatte. Ich steckte mir eine Pfeife an und schlug meinen Robinson Crusoe auf. Keine fünf Minuten hatte ich in diesem merkwürdigen Buche gelesen, da stieß ich auf folgende tröstliche Stelle auf Seite 158: »Heute lieben wir, was wir morgen hassen.« Auf der Stelle sah ich, was ich zu thun hatte. Heute war ich ganz von dem Wunsche erfüllt, Gutsverwalter zu bleiben, morgen würde ich nach Robinson Crusoe’s Wort ganz anders denken. Also mußte ich, so lange ich in dieser Stimmung von »morgen« war, mich auf morgen richten, und die Sache war gethan. Nachdem mein Gemüth so beruhigt war, legte ich mich als Lady Verinder’s Gutsverwalter zu Bett und stand am nächsten Morgen als Lady Verinder’s Haushofmeister in einer ganz behaglichen Stimmung auf, die ich lediglich Robinson Crusoe verdanke.

Eben sieht mir meine Tochter Penelope über die Schulter, um zu sehen, was ich bis jetzt geschrieben habe. Sie bemerkt, daß es sehr schön geschrieben ist und Alles die reine Wahrheit, aber sie macht eine Einwendung Sie sagt, was ich bis jetzt geschrieben habe, ist durchaus nicht das, was ich schreiben sollte. Ich solle die Geschichte des Diamanten schreiben und statt dessen habe ich meine eigene Geschichte geschrieben, sonderbar genug und mir selbst unbegreiflich. Ich möchte wohl wissen, ob es den Herren, die vom Bücherschreiben leben, auch wie mir begegnet, daß ihnen mitten in ihren Erzählungen ihre eigene Geschichte in die Feder kommt. Wenn dem so ist, so kann ich mich sehr gut in ihre Lage versetzen. Einerlei, da habe ich schon wieder verkehrt angefangen, was ist nun zu thun? So viel ich sehe, nichts Anderes, als für meine Leser: nicht die Geduld zu verlieren, und für mich: die ganze Geschichte zum dritten Mal von vorne anzufangen.


Drittes Kapitel.

Auf zwei Weisen habe ich versucht, über die Art, wie ich die Geschichte gut anfangen soll, in’s Reine zu kommen; erstens indem ich mir den Kopf zerkratzt habe, was zu nichts führte, zweitens indem ich meine Tochter Penelope zu Rathe, zog, die mich auf eine ganz neue Idee gebracht hat. Penelope ist der Meinung, ich müsse die Begebenheiten von jedem Tage niederschreiben, und da anfangen, wo wir erfahren, daß Herr Franklin Blake zu einem Besuche bei uns erwartet werde, Wenn man einmal auf diese Art sein Gedächtnis auf einen bestimmten Tag fixiert hat, ist es wunderbar, wie das Gedächtnis wenn es einmal einen solchen Anstoß bekommen hat, Einem zu Hilfe kommt. Die einzige Schwierigkeit besteht darin, erst einmal die Daten festzustellen. Das will aber Penelope für mich übernehmen, aus ihrem eigenen Tagebuche zu thun, welches sie schon in der Schule zu führen angehalten wurde und das sie seitdem immer fortgeführt hat. Auf einen daraufhin von mir gemachten Vorschlag, nämlich daß sie statt meiner die Geschichte nach ihrem Tagbuche erzählen sollte, entgegnete Penelope mit einem zornigen Blick und erröthend, daß ihr Tagebuch nur für sie allein sei und daß kein lebendes Wesen außer ihr selbst jemals erfahren solle, was darin steht. Als ich sie fragte, was das zu bedeuten habe, sagte Penelopen »Dummes Zeug!« und ich sagte: »Liebesgeschichten!«

Um, nun also nach Penelopes Plan anzufangen, habe ich zu sagen, daß ich am Mittwoch den 24. Mai 1848 zu Mylady in ihr Wohnzimmer beschieden wurde.

»Gabriel,« sagte Mylady zu mir, »da sind Nachrichten, die Sie überraschen werden. Franklin Blake ist wieder da. Er ist eben eine Zeit lang bei seinem Vater in London gewesen und kommt morgen zu uns, um bis nächsten Monat bei uns zu bleiben und Rachel’s Geburtstag mit zu feiern.«

Wenn ich einen Hut in der Hand gehabt hätte, so hätte mich nur der Respekt vor meiner Herrin abhalten können, den Hut vor Freuden an die Decke zu werfen. Ich hatte Herrn Franklin nicht gesehen, seit er als Kind in unserm Hause gelebt hatte. Er war in meiner Erinnerung der herzigste Junge, der je einen Kreisel gedreht oder ein Fenster zerbrochen hat. Fräulein Rachel, die anwesend war und gegen die ich das bemerkte, erwiderte, daß er nach ihrer Erinnerung der abscheulichste Tyrann gewesen sei, der jemals eine Puppe gequält habe, und der grausamste Treiber eines erschöpften kleinen Mädchens beim Pferdspielen, den man in England finden könne. »Ich zittere vor Entrüstung und keuche vor Ermattung, wenn ich an Franklin Blake denke,« waren Rachel’s letzte Worte.

Man wird fragen, wie es kam, daß Herr Franklin die ganze Zeit von seiner ersten Jugend bis zu seinen Mannesjahren im Auslande zubrachte. Meine Antwort ist: Weil sein Vater das Unglück hatte, der nächste Erbe eines Herzogthums zu sein, ohne es beweisen zu können.

Die Sache war kurz folgende:

Mylady’s älteste Schwester heirathete den berühmten Herrn Blake, der eben so bekannt durch seinen Reichthum wie durch seinen großen Proceß war. Wie viele Jahre er die Gerichte des Landes in Anspruch nahm, um den Herzog außer Besitz und sich selbst an seine Stelle zu setzen, wie vieler Advokaten Taschen er bis zum Platzen füllte, wie viele sonst friedliche Leute er zum Streit über die Frage brachte, ob er Recht oder Unrecht habe, das Alles genau zu erzählen, würde über meine Kräfte gehen. Seine Frau und zwei von seinen drei Kindern starben, bevor die Gerichte sich entschlossen, ihn abzuweisen und ihm kein Geld mehr abzunehmen. Als Alles vorbei und der Herzog in seinem Besitz gesichert war, fand Herr Blake, daß die einzige Art, mit seinem Vaterland für die Behandlung, die es ihm habe angedeihen lassen, quitt zu werden, die sei, seinem Lande nicht die Ehre der Erziehung seines Sohnes zu Theil werden zu lassen. »Wie kann ich den Institutionen meines Landes Vertrauen schenken,« war sein Ausspruch, »nachdem ich durch diese Institutionen so schlecht behandelt worden bin.« Wenn man hinzu nimmt, daß Herr Blake alle Knaben, seinen eigenen mit einbegriffen, haßte, so wird man begreifen, daß die Sache nur aus eine Art enden konnte. Der kleine Franklin wurde aus England entfernt und nach dem herrlichen Deutschland geschickt, um Institutionen übergeben zu werden, denen sein Vater, wie er sich ausdrückte, vertrauen könne. Herr Blake selbst blieb, wohlgemerkt, ruhig in England, um für die Besserung seiner Landsleute im Parlament zu wirken und eine Darlegung seiner Proceß Angelegenheit auszuarbeiten, welche noch heute nicht vollendet ist.

Da, Gottlob, das wäre gethan. Mit dem alten Blake brauchen wir uns nun nicht weiter zu befassen. Überlassen wir ihn seinem Herzogthum und kommen wir endlich zu dem Diamanten.

Der Diamant bringt uns wieder zu Herrn Franklin zurück, der die unschuldige Ursache davon war, daß dieser verwünschte Edelstein in unser Haus kam.

Unser lieber Junge vergaß uns nicht im Auslande. Er schrieb uns ab und zu, bisweilen an Mylady, bisweilen an Fräulein Rachel, bisweilen an mich. Wir hatten vor seiner Abreise ein Geschäft mit einander gemacht, welches darin bestand, daß er sich von mir ein Knäuel Bindfaden, ein Messer mit vier Klingen und sieben Shilling sechs Pence lieh, die ich bis jetzt noch nicht wieder gesehen habe und wohl auch nicht wieder zu sehen bekommen werde. Seine Briefe an mich hatten hauptsächlich fernere Darlehen zum Gegenstande. Wie es ihm im Auslande ging, wie er an Jahren und Größe zunahm, erfuhr ich immer von Mylady. Nachdem er Alles gelernt hatte, was die deutschen Institutionen ihn lehren konnten, machte er den Franzosen und dann den Italienern einen Besuch. Da machten sie ihn, so weit ich es beurtheilen kann, zu einer Art von Universalgenie. Er schriftstellerte ein wenig, er malte ein wenig, er sang, spielte und komponierte ein wenig, immer glaube ich auf anderer Leute Kosten. Das Vermögen seiner Mutter, 700 Lstr. Jährlich, fiel ihm zu, als er mündig wurde, und lief ihm durch die Finger wie durch ein Sieb. Je mehr Geld er hatte, desto mehr brauchte er, in seiner Tasche war ein Loch, das keine Kunst zunähen konnte. Wohin er kam, war er wegen seines lebhaften, liebenswürdigen Wesens beliebt. Er reiste herum und lebte bald hier, bald dort, und seine Adresse, wie er sie selbst aufzugeben pflegte, war: »Europa poste restante.« Zweimal hatte er die Absicht gehabt, zu uns zum Besuche zu kommen, und beide Male stand, mit Respekt zu melden, eine unnennbare Dame im Wege und hielt ihn zurück. Sein dritter Versuch endlich gelang, wie man schon aus der Mittheilung Mylady’s gesehen hat. Am Dienstag den 25. Mai sollten wir zum ersten Mal sehen, was für ein Mann unser Herzensjunge geworden sei. Er war von guter Race, er hatte einen hohen Sinn und war nach unserer Rechnung fünfundzwanzig Jahre alt. Jetzt weiß der Leser gerade so viel von Herrn Franklin Blake, als ich von ihm wußte, bevor er wieder in unser Haus kam.

Jener Dienstag war der herrlichste Sommertag, den man sich denken kann, und Mylady und Fräulein Rachel, die Herrn Franklin nicht vor Tisch erwarteten, waren zum Frühstück zu einigen Freunden in der Nachbarschaft gefahren.

Als sie fort waren, ging ich in das für unsern Gast hergerichtete Fremdenzimmer und sah, ob Alles in Ordnung sei. Da ich um jene Zeit nicht nur Mylady’s Haushofmeister, sondern auf meinen besonderen Wunsch auch ihr Kellermeister geworden war, weil es mich verdroß, die Schlüssel zu des verstorbenen Sir John’s Keller in andern Händen zu sehen, ging ich dann in den Keller und holte ein Paar Flaschen von unserm famosen Latour herauf und stellte sie in die warme Sonne, damit sie bei Tisch die rechte Temperatur hätten.

Ich beschloß, mich selbst auch in die warme Sonne´zu setzen, weil ich wußte, daß, was für alten Rothwein gut sei, auch alten Menschen gut thue, und nahm meinen Gartenstuhl, um damit in den Hintergarten zu gehen, als ich durch einen trommelähnlichen Klang, der von der Vorderseite des Hauses her an mein Ohr drang, zurückgehalten wurde. Ich ging nach vorn und sah drei mahagonifarbene Indier in weißen leinenen Kitteln und Beinkleidern, die sich das Haus ansahen. Als ich genauer zusah, fand ich, daß die Indier kleine Handtrommeln um den Hals hängen hatten. Hinter ihnen stand ein kleiner schmächtiger, blondhaariger englischer Junge, der einen Handsack trug. Ich hielt die Kerle für umherziehende Jongleurs und den Jungen für den Träger ihrer Geräthschaften. Einer von den Dreien, der Englisch sprach und, wie ich bekennen muß, sehr feine Manieren hatte, bewies mir durch seine Mittheilungen sofort, daß meine Vermuthung richtig sei. Er bat um die Erlaubnis, vor der Herrin des Hauses seine Kunststücke machen zu dürfen. Ich bin kein Griesgram, ich amüsiere mich gern und bin der Letzte, der einem Menschen mißtraut, weil er ein bisschen dunklere Haut hat, als ich. Aber Jeder hat seine Schwäche und meine Schwäche besteht darin, daß ich, wenn ich weiß, daß Silbergeräth in der Geschirrkammer offen dasteht, augenblicklich, sobald ich eines umherziehenden Fremden mit besonders feinen Manieren ansichtig werde, an dieses Geschirr denken muß, und ich komplimentierte ihn und seine Gesellschaft vom Hause weg. Ich meinerseits kehrte zu meinem Gartenstuhl zurück und verfiel, um die Wahrheit zu gestehen, wenn auch nicht gerade in einen festen Schlaf, doch in einen dem Schlaf ähnlichen Zustand.

Auf einmal wurde ich durch meine Tochter Penelope aufgeschreckt, die angelaufen kam, als ob das Haus in Flammen stände. Und warum? Sie verlangte die sofortige Festnahme der drei indischen Jongleurs und zwar deshalb, weil sie wüßten, wen wir aus London zum Besuch erwarteten, und weil sie gewiß gegen Herrn Franklin Blake etwas Böses im Schilde führten.

Der Name Franklin ermunterte mich. Ich machte die Augen weit auf und bat meine Tochter, sich zu erklären. Es ergab sich, daß Penelope direkt aus des Pförtners Wohnung komme, wo sie mit der Tochter des Pförtners geplaudert hatte. Die beiden Mädchen hatten die drei Indier in Begleitung des Jungen aus der Pforte gehen sehen, nachdem ich sie wegcomplimentirt hatte. Die Mädchen kamen auf den Einfall, daß der Junge von den Fremden schlecht behandelt werde, so weit ich einsehen konnte, aus keinem andern Grunde, als weil der Junge hübsch und zart aussah, — und hatten sich an der inneren Seite der Hecke, welche das Gut von der Landstraße trennt, entlang geschlichen und die Fremden durch die Hecke hindurch beobachtet.

Sie sahen da, daß die Kerle sich erst nach allen Seiten umsahen, um sich zu vergewissern, daß sie allein seien, dann drehten sie sich alle Drei um und blickten scharf nach der Richtung des Hauses hin. Dann kauderwelschten sie, stritten sich in ihrer Sprache und sahen sich einander an wie Leute, die ihrer Sache nicht recht sicher sind. Dann wandten sie sich an den kleinen englischen Jungen, als ob sie von ihm Auskunft erwarteten. Endlich sagte der Anführer auf Englisch zu dem Jungen: »Halt’ Deine Hand auf.« Bei diesen Worten, versicherte meine Tochter Penelope, sei es ihr gewesen, als müsse ihr das Herz im Leibe zerspringen. Ich dachte bei mir, daß ihr Corset wohl Schuld daran gewesen sein möge.

Ich sagte aber nur: »Mich schauder’s bei der Geschichte.«

NB. Frauen lieben solche Äußerungen

Weiter: Der Junge trat zurück, schüttelte mit dem Kopfe, er habe keine Lust die Hand hinzuhalten Der Indier fragte ihn darauf gar nicht unfreundlich, ob er lieber nach London zurückgeschickt und wieder dahin gebracht werden wolle, wo sie ihn in einem offenen Korbe unter freiem Himmel schlafend, als ein hungriges, verlassenes Kind gefunden hätten. Damit, scheint es, war die Schwierigkeit beseitigt. Der kleine Bursche hielt seine Hand widerwillig hin, worauf der Indier aus seiner Brusttasche eine Flasche zog und aus derselben etwas von einer schwarzen Flüssigkeit wie Tinte in die hohle Hand des Kindes goß. Der Indier berührte dabei den Kopf des Jungen, machte Zeichen in der Luft und sagte dann: »Sieh her.« Der Junge stand starr da wie ein Marmorbild und sah auf die Tinte in seiner Hand.

So weit schien mir die Sache nur wie ein Jongleurkunststück mit einer albernen Vergeudung von Tinte, und ich fing an, wieder schläfrig zu werden, als Penelopes fernere Worte mich abermals aufrüttelten.

Die Indier sahen sich nochmals nach allen Seiten um und darauf sprach der Anführer zu dem Jungen die Worte: »Sieh den englischen Herrn, der aus dem Auslande kommt.«

Der Junge sagte: »Ich sehe ihn.«

Der Indier fragte: »Kommt der Fremde heute auf dieser Straße und auf keiner anderen nach diesem Hauses?«

Der Knabe antwortete: »Der Fremde kommt heute auf dieser Straße und auf keiner anderen nach diesem Hause.«

Nach einer kleinen Pause that der Indier eine zweite Frage.

Er fragte: »Hat der englische Herr ihn bei sich?«

Der Knabe antwortete gleichfalls nach einer kleinen Pause: »Ja.«

Die dritte und letzte Frage des Indiers war: »Wird der Fremde, wie er es versprochen hat, gegen Abend hierherkommen?«

Der Junge antwortete: »Das kann ich nicht sagen.«

Der Indier fragte: »Warum?«

Der Junge entgegnete: »Ich bin erschöpft, es wird trübe und wirr in meinem Kopf. Ich kann heute nichts mehr sehen.«

Damit war das Catechisiren zu Ende. Der Anführer sagte etwas auf indisch zu den beiden Andern, indem er bald auf den Knaben, bald nach der Stadt hin wies, wo sie, wie wir nachher erfuhren, Wohnung genommen hatten. Darauf machte er wieder Zeichen über dem Kopf des Kindes, hauchte seine Stirn an und brachte ihn so plötzlich wieder zu sich. Worauf sie sich Alle nach der Stadt zu auf den Weg machten und von dem Mädchen nicht weiter gesehen wurden.

Die meisten Dinge, sagt man, tragen eine Moral in sich, wenn man nur genau zusteht. Was war die Moral von dieser Geschichte?

Die Moral war nach meiner Meinung: erstens, daß der Anführer der Gauklerbande die Dienstboten vor dem Hause von der Ankunft des Herrn Franklin hatte reden hören und das für eine gute Gelegenheit hielt, ein bisschen Geld zu machen. Zweitens, das er mit seinen Kameraden und dem Jungen zu obigem Zweck, bis sie Mylady nach Hause kommen sähen, um das Haus herumlungern und ihr dann Herrn Franklins Ankunft prophezeien wollten. Drittens: daß Penelope einer Probe ihres Hokus-Pokus, die sie wie Schauspieler vorher machten, beigewohnt habe. Viertens: daß ich gut thun werde, diesen Abend ein Auge auf das Silbergeschirr zu haben, und fünftens, daß Penelope gut thun werde, sich abzukühlen und ihren Vater in seinem Schläfchen in der lieben Sonne nicht weiter zu stören.

Das schien mir eine verständige Auffassung der Sache, wer aber die Art und Weise junger Mädchen kennt, wird es nicht überraschend finden, daß Penelope für diese Auffassung nicht zugänglich war. Nach ihrer Meinung war die Moral der Sache eine viel ernstere. Die Ernsthaftigkeit meiner Tochter machte mich Verdrießlich.

»Wozu in aller Welt braucht Herr Franklin von diesen Possen etwas zu wissen?« fragte ich sie.

»Frag’ ihn selbst,« erwiderte Penelope »und sieh zu, ob er es auch für Possen hält.«

Mit diesem Trumpf verließ meine Tochter mich. Als sie fort war, überlegte ich mir die Sache und kam zu dem Entschluß, Herrn Franklin die Sache wirklich mitzutheilen, hauptsächlich um Penelope zu beruhigen. Was zwischen ihm und mir darüber verhandelt wurde, als ich noch an demselben Tage spät ihm davon sprach, wird seiner Zeit ausführlich mitgetheilt werden. Da ich aber den Leser nicht zu spannen und später zu enttäuschen wünsche, so erlaube ich mir, bevor ich in meinem Bericht fortfahre, schon hier zu bemerken, daß man in unserer Unterhaltung über die Jongleurs nicht die Spur eines Scherzes finden wird.

Zu meiner größten Überraschung nahm Herr Franklin, wie vordem Penelope, die Sache ernsthaft. Wie ernsthaft wird man ermessen, wenn ich erzähle, daß nach seiner Ansicht mit jenem geheimnisvollen »ihn« des Indiers der Mondstein gemeint gewesen sei.


Viertes Kapitel.

Es thut mir wirklich leid, den Leser bei mir und meinem Gartenstuhl aufhalten zu müssen. Ein alter Mann, der sein Schläfchen im Sonnenschein macht, ist kein interessanter Gegenstand, das weiß ich sehr gut; aber die Dinge müssen nun einmal niedergeschrieben werden, wie sie sich wirklich begeben haben und so muß ich den Leser bitten, sich’s noch eine Weile bei mir gefallen zu lassen, bis wir zu der später am Tage erfolgenden Ankunft des Herrn Franklin Blake gelangen.«

Ehe ich noch Zeit gehabt, wieder einzuschlafen, nachdem meine Tochter Penelope mich wieder verlassen hatte, wurde ich durch ein Geklapper von Tellern und Schüsseln im Domestikenzimmer aufgerüttelt und das bedeutete, daß das Mittagessen fertig sei. Da ich meine Mahlzeiten in meinem eignen Wohnzimmer zu nehmen gewohnt war, so ging mich das Mittagessen der Leute nichts an und ich legte mich wieder in meinen Stuhl zurück, nachdem ich ihnen Allen guten Appetit gewünscht hatte. Eben hatte ich meine Beine wieder ausgestreckt, als ein anderes weibliches Wesen auf mich losstürzte, diesmal nicht meine Tochter, sondern nur das Küchenmädchen Nancy. Ich war ihr mit meinem Stuhl gerade im Wege, und als sie mich bat, ich möge sie vorbeilassen, fand ich daß sie mürrisch aussah, was ich nun einmal als Vorgesetzter der Domestiken aus Prinzip niemals ohne nachzuforschen vorübergehen lasse.

»Na,« frage ich, »warum läufst denn Du vom Mittagessen fort? Was ist Dir widerfahren, Nancy?«

Sie versuchte mir ohne Antwort zu entwischen, was ich verhinderte, indem ich aufstand und sie beim Ohr ergriff. Sie ist ein hübsches rundes Ding und das Zupfen am Ohr ist meine Gewohnheit, wenn ich den Mädchen mein Gefallen an ihnen bezeigen will.

»Was ist Dir widerfahren?« fragte ich noch einmal.

»Rosanna ist wieder nicht da zum Mittagessen,« antwortete sie, »und ich soll sie holen. Alle schwere Arbeit im Hause fällt mir zu. Lassen Sie mich in Ruhe, Herr Betteredge!«

Die genannte Rosanna war unser zweites Hausmädchen. Da ich für dieses zweite Hausmädchen eine gewisse Sympathie empfand (warum, wird man gleich erfahren), und da ich aus Nancy’s Mienen die Besorgnis schöpfte, daß sie ihre Kollegin mit härteren Worten, als gerade nothwendig, herbeiholen werde, fiel mir ein, daß ich nichts Besonderes zu thun habe und daß ich ja Rosanna selbst holen und sie dabei ermahnen könnte, in Zukunft pünktlich zu sein, was sie, wie ich gewiß wußte, gut aufnehmen würde.

»Wo ist denn Rosanna?« fragte ich.

»Natürlich am Strande« antwortete Nancy mit zurückgeworfenem Kopfe. »Sie ist heute Morgen wieder einmal in Ohnmacht gefallen und hat um die Erlaubnis gebeten, ein bisschen frische Luft schöpfen zu dürfen. Ich habe keine Geduld mehr mit ihr.«

»Geh Du nur zu Tisch, mein Kind Ich habe Geduld mit ihr, ich will sie selbst holen.«

Nancy, die sich eines guten Appetits erfreute, lächelte beifällig; wenn sie beifällig lächelt, sieht sie sehr gut aus, und wenn sie gut aussieht, fasse ich sie unter’s Kinn, nicht aus Unsittlichkeit, sondern aus Gewohnheit.

Ich nahm also meinen Stock und machte mich auf den Weg nachdem Strande.

Aber nein! wir kommen immer noch nicht weiter, ich muß leider abermals innehalten; aber ich muß hier wahrhaftig erst die Geschichte des Strandes und die Geschichte Rosanna’s erzählen — denn beide stehen mit der Diamantenangelegenheit in naher Beziehung. Ich gebe mir die redlichste Mühe, meinen Bericht ohne Weitschweifigkeit abzufassen, und doch gelingt es mir so schlecht. Aber die Sache ist, daß Personen und Dinge auf so wunderliche Weise in unser Leben eingreifen und uns so, zu sagen zwingen, von ihnen Notiz zu nehmen. Aber wir wollen die Sache leicht nehmen und kurz machen. Nur noch eine kleine Geduld und wir sind mitten in unserer geheimnißvollen Geschichte.

Rosanna, um die Person der Sache voranzustellen, was dem Gebot der einfachsten Höflichkeit gehorchen heißt, war die einzige neue Magd in unserm Hause. Ungefähr vier Monate vor der Zeit, über die ich berichte, war Mylady in London gewesen und hatte dort eine Besserungsanstalt besucht, die zu dem Zwecke errichtet war, um unglückliche Frauenzimmer, nachdem ihre Gefängnisstrafe abgesessen, vor dem Rückfall zu bewahren. Als die Hausmutter sah, daß die Anstalt Mylady interessiere, machte sie sie auf ein Mädchen mit Namen Rosanna Spearman aufmerksam und erzählte ihr eine höchst klägliche Geschichte, die ich hier zu wiederholen nicht den Muth habe, denn ich mag weder mich noch meine Leser traurig stimmen. Das Kurze von der Sache war, daß Rosanna Spearman eine Diebin gewesen war, und da sie nicht zu denen gehörte, die in ganzen Gesellschaften Tausende anstatt eines Einzigen berauben, so verfiel sie dem Gesetz, und Gefängnis und Besserungshaus folgten dem Gesetz. Die Meinung der Hausmutter über Rosanna ging dahin, daß sie trotz ihres Vergehens ein seltenes Mädchen sei und nur einer Gelegenheit bedürfe, um sich des Interesses, das ihr eine christliche Dame bezeigen möchte, würdig zu zeigen. Mylady, die eine christliche Dame ist, wenn es je eine gegeben hat, sagte darauf der Hausmutter: »Ich will Rosanna Spearman eine solche Gelegenheit in meinem Dienste geben.«

Eine Woche darauf trat Rosanna Spearman als zweites Hausmädchen bei uns in Dienst. Kein Mensch erfuhr die Geschichte des Mädchens außer Fräulein Rachel und mir. Mylady, die mir die Ehre erzeigt, mich bei den meisten Dingen zu Rathe zu ziehen, fragte mich auch in Betreff Rosanna’s um meinen Rath. Da ich in letzter Zeit so ziemlich in die Gewohnheit des verstorbenen Sir John verfallen war, immer Mylady’s Meinung zu sein, stimmte ich ihr auch von ganzem Herzen in Betreff Rosanna Spearman’s bei.

Eine günstigere Gelegenheit, in ihrer Besserung zu beharren, war nie Mädchen geboten. Keiner unter den Domestiken konnte ihr ihr vergangenes Leben vorwerfen, denn Keiner wußte etwas davon. Sie bekam ihren Lohn und wurde gut behandelt wie die Andern, und von Zeit zu Zeit hatte Mylady ein freundliches Wort der Ermunterung für sie. Dafür zeigte sie sich aber auch dieser freundlichen Behandlung durchaus würdig. Obgleich sie gar nicht stark und den erwähnten Ohnmachten unterworfen war, that sie ihre Arbeit, ohne sich zu beklagen, bescheiden und gut. Aber doch wollten sich die andern dienenden Mädchen nicht recht mit ihr befreunden, ausgenommen meine Tochter Penelope, die immer freundlich, wenn auch nicht befreundet mit Rosanna war.