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Kiss my Girl

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Nadine Wilmschen

 

© 2022 Romance Edition Verlagsgesellschaft mbH

8700 Leoben, Austria

 

Covergestaltung: © Nadine Kapp

Titelabbildung: © Look Studio

Lektorat: Stefanie Lasthaus

Korrektorat: Romance Edition

 

ISBN-Taschenbuch: 978-3-903278-84-4

ISBN-EPUB: 978-3-903278-85-1

 

www.romance-edition.com

Prolog

 

That day,

she was amazed to discover

that when he was saying »As you wish«,

what he meant was, »I love you.«

And even more amazing was the day she realized

she truly loved him back.

William Goldman – The Princess Bride

 

 

Columbus – Ohio

 

An einem Samstag abserviert zu werden, war dramatischer als an einem Montag, Dienstag oder Donnerstag.

 

Es tut mir leid Hannah, aber ich denke, wir sollten uns nicht mehr sehen.

 

Mit Patricks Nachricht hatte sich meine Planung für das Wochenende in Luft aufgelöst. Die Sache mit uns war erst ein paar Wochen alt und nie ernst gewesen, doch von ihm eine Stunde vor unserem Treffen versetzt zu werden, gefiel mir trotzdem nicht. Ich würde ihm keine Träne hinterherweinen. Vielmehr hatte mein Stolz einen empfindlichen Dämpfer bekommen.

Es war kurz nach elf und bereits stockdunkel. Auf meinem Weg zum Tipsy Cow kamen mir nur noch wenige Fußgänger entgegen. In den letzten Tagen waren die Temperaturen merklich gefallen und ich fror erbärmlich in meinen für dieses Wetter völlig unpassenden Klamotten.

Die Rüstung für den heutigen Abend bestand aus meinem kürzesten Rock, einem schwarzen, halbtransparenten Top, unter dem mein BH durchschimmerte, und kniehohen Stiefeln. Meine dunklen Locken hatte ich geglättet, um sie danach in perfekte Wellen zu verwandeln. Ein riesiger Aufwand, der das ungewollte Chaos auf meinem Kopf in gewolltes Chaos verwandelte. An normalen Uni-Tagen schminkte ich mich nur wenig. Meist reichten mir Wimperntusche und Lipgloss. Heute hatte ich jedoch tief in die Make-up-Wunderkiste gegriffen. Meine braunen Augen wurden durch einen dramatischen Lidstrich betont und ich trug knallroten Lippenstift.

Wer in eine Schlacht zog, musste auf alles vorbereitet sein. Und ich war vorbereitet. Immer.

Langsam bahnte ich mir einen Weg durch die dicht gedrängten Menschenmassen im Tipsy Cow bis zur Theke. Am Wochenende war es hier immer brechend voll, weil es die einzige Bar war, die annehmbare Musik spielte, annehmbare Preise hatte und in annehmbarer Entfernung zum Campus lag. Wer mitten in der Nacht betrunken ins Freie stolperte, hatte es nicht weit bis zu seinem Wohnheim – und wer jemanden aufriss und mit nach Hause nahm, ebenfalls nicht.

»Was darf’s sein?« Zu meiner Überraschung war ich schneller an der Reihe, als ich angenommen hatte.

»Ein Old Fashioned.«

»Ausweis?«

Ich war fast jedes Wochenende hier und der Typ hatte mir schon unzählige Drinks gemixt, ohne zu kontrollieren, wie alt ich war. Als ich ihm meinen Ausweis unter die Nase hielt, sah er nicht einmal genau hin. In Sekundenbruchteilen widmete er sich wieder den Flaschen und Gläsern vor sich.

Um zehn Dollar ärmer und einen Old Fashioned reicher umrundete ich die Tanzfläche. Aus den Boxen dröhnte Stripped von Shiny Toy Guns, einer dieser Songs, die man so laut hören musste, bis die Ohren schmerzten und man nichts mehr fühlte außer dem Beat. Ich schloss die Augen, nippte an meinem Drink und atmete die raue Melodie ein. Deswegen war ich hergekommen. Um zu trinken, mich zu verlieren und vielleicht jemanden zu finden, der keine Enttäuschung wie Patrick war.

»Hey.« Ein warmer, verschwitzter Körper drängte sich von hinten unangenehm gegen mich. Die Hände des Kerls lagen plötzlich auf meinen Armen und wanderten langsam nach oben, ehe ich auch nur einen Ton sagen konnte. »Bist du allein hier?«

Ruckartig wirbelte ich zu ihm herum. »Hat deine Mom dir nicht beigebracht, dass man Frauen nicht einfach ungefragt anfasst?«

Augenblicklich nahm er seine Finger von mir. Die meisten dieser Kerle waren nur mutig, solange man den Mund hielt. Sobald man ihnen deutlich zu verstehen gab, wie unangebracht man ihre Anmache fand, zogen sie den Schwanz ein. Nur wenige waren hartnäckiger, doch auch die hatte ich immer erfolgreich loswerden können.

»Warum so kratzbürstig?« Sein schiefes Grinsen wirkte aufgesetzt. Ich war mir sicher, dass er es vor dem Spiegel geübt hatte. Dabei war diese Show nicht einmal nötig. Der ungehobelte Kerl war attraktiv. Groß, kurze dunkle Haare, hübsche Augen, akzeptable Wangenknochen.

»Warum so aufdringlich?« Ich nippte an meinem Old Fashioned, und wie es zu erwarten gewesen war, starrte der Typ auf meine Brüste. Manchmal war es fast zu einfach.

»Ich wollte nur Hallo sagen.«

»Mit deinen Fingern?«

Es war offensichtlich, dass er nicht wusste, was er darauf erwidern sollte. Nach einer kleinen Ewigkeit, in der er mein Dekolleté betrachtete, streckte er die Hand aus. »Ich bin Trevor.«

»Trevor, ich gebe dir jetzt einen guten Tipp, der deine Chancen bei Frauen erheblich steigern dürfte. Wir stehen nicht drauf, wenn uns ein betrunkener Kerl ungefragt begrapscht.« Seine Augen wurden mit jedem meiner Worte größer. »Und weil du es bist, gebe ich dir sogar noch einen zweiten Tipp. Wenn du flachgelegt werden willst, hilft dir Freundlichkeit weiter. Die freundlichen Jungs haben Erfolg, nicht die mit dem schlechten Aftershave und den noch schlechteren Manieren.« Damit ließ ich ihn stehen und drängte mich an tanzenden Paaren vorbei in Richtung der zweiten Bar, die der ersten genau gegenüber lag.

Ich stockte, als mein Blick auf ein wohlbekanntes Gesicht fiel. Ausgerechnet der Typ, der völlig immun gegen all meine Flirtversuche in der Vergangenheit gewesen war, lehnte mit einem Bier in der Hand an der Bar. Ben Preston war keine zehn Meter von mir entfernt in ein Gespräch mit einem Kerl vertieft, den ich aus einem meiner Seminare kannte. Dave, David ... oder so ähnlich.

Noch hatte Ben mich offenbar nicht bemerkt, sodass ich ihn ungestört beobachten konnte. Blond, blauäugig, stets gut gelaunt, angehender Kinderarzt und seit einer Weile sogar Veganer. Ich würde darauf wetten, dass er als kleiner Junge Pfadfinder gewesen war und in einer hässlichen Polyester-Uniform älteren Damen über die Straßen geholfen oder Katzen aus Bäumen gerettet hatte. Das würde zu ihm passen.

Da wir denselben Freundeskreis hatten, begegneten wir uns regelmäßig. Obwohl er mit seinem Good-Boy-Charme eigentlich nicht mein Typ war, ging mir irgendetwas an ihm unter die Haut.

Dieses Gefühl war jedoch sehr einseitig. Meistens ignorierte Ben mich, was mich nur noch zusätzlich anstachelte. Auch wenn ich mir dessen voll bewusst war, konnte ich nichts dagegen tun. Ich wollte ihn aus dem Konzept bringen. Nur einmal.

Anfangs hatte ich versucht, mit ihm zu flirten. Ich war nicht einmal davor zurückgeschreckt, ihm meine Telefonnummer mehr oder weniger aufzudrängen. Mein Aufhänger war eine gemeinsame Vorlesung gewesen und das eindeutig zweideutige Angebot, mir seine Mitschriften leihen zu wollen. Gemeldet hatte er sich nie. Was okay war. Immerhin entsprach er absolut nicht meinem Beuteschema. Langweilige Nerds in Comic-Shirts sollten mich nicht interessieren. Heute war es Spiderman. Wer zur Hölle ging in einem Spiderman-Shirt am Wochenende aus? Ben Preston. Niemand sonst.

Ich straffte die Schultern, setzte mein zuckersüßestes Lächeln auf und machte mich auf den Weg zum anderen Ende der Bar, um Hallo zu sagen – und um Ben vielleicht eine Reaktion zu entlocken, indem ich ihm meine knapp bedeckten Brüste unter die Nase hielt. Wenn ich schon einmal so aufgetakelt war wie seit Monaten nicht mehr, musste ich das ausnutzen.

»Dave? Hi.« Bens Begleitung warf mir einen verunsicherten Blick zu, als ich mich mit einem strahlenden Lächeln neben ihn stellte. »Was machst du denn hier?«

»Mein Name ist Daniel.«

»Daniel. Natürlich.« Kein Dave. Verdammt. Ich war mir so sicher gewesen. »Schön, dich hier zu treffen.«

Daniel-Dave nickte, bevor er nach seiner Bierflasche griff und einen großen Schluck daraus trank. Bud Light. Wie langweilig. Aber das passte. Selbst Bens Freunde waren Spießer.

»Hast du Lust zu tanzen?«

Bei meiner Frage verschluckte sich Daniel-Dave und hustete. Als er wieder zu Atem kam, war seine Gesichtsfarbe ein ungesundes Krebsrot. »Ich gehe mal eben ...« Er stellte sein Bier ab und ließ mich stehen. Im selben Moment spürte ich, wie mir jemand auf die Schulter tippte.

Ich musste mich nicht umdrehen, um zu wissen, wer das war. Immerhin hatte ich ihn mit voller Absicht nicht beachtet. In Gedanken zählte ich langsam bis zehn, ehe ich mich umdrehte. »Benjamin, ich habe dich gar nicht gesehen.«

Wir wussten beide, dass diese Lüge größer war als der Mount Everest. Er kommentierte sie jedoch genauso wenig wie die Tatsache, dass ich ihn Benjamin nannte. Niemand sonst tat das. Ben hasste diesen Namen, und genau deswegen benutzte ich ihn, wann immer ich konnte.

Trotz meiner kleinen Provokation war sein Gesichtsausdruck neutral. Er schien weder besonders erfreut noch verärgert darüber zu sein, mich zu sehen. »Bist du mit Grace hier?«

Natürlich galt seine erste Frage seiner besten Freundin. Sie war wie die Schwester, die er nie gehabt hatte – das behaupteten jedenfalls beide. Sie kannten sich ewig, und obwohl Grace mittlerweile mit Bens Bruder Noah zusammen war, hatte das ihrer Freundschaft nicht geschadet.

»Nope. Bin allein hier.«

Bei meiner Antwort bildete sich eine tiefe Falte auf seiner Stirn. »Ganz allein?«

»Du kennst die Definition von allein, oder?« Ich bereute meine harschen Worte, kaum dass ich sie ausgesprochen hatte. Er hatte es nicht verdient, dass ich ihn ohne Grund anfuhr. Aber auch das gehörte zum Kapitel Ben Preston. Sobald es um ihn ging, reagierte ich irrational und nicht wie ich selbst.

Anstatt sich über die unterschwellige Beleidigung seiner Intelligenz zu ärgern, wirkte er ... besorgt. Und das stachelte mich nur noch mehr an. »Du bist mit Dave hier?«

»Daniel.«

»Was?«

Bens Mundwinkel zuckte verdächtig. »Sein Name ist Daniel. Nicht Dave.«

»Habe ich doch gesagt.« Natürlich hatte ich das nicht. Doch einen Fehler vor Ben zuzugeben, war definitiv keine Option.

»Ich bin mit Dave hier, ja. Bis letztes Semester haben wir uns ein Zimmer im Wohnheim geteilt.«

Das musste die erste persönliche Information gewesen sein, die Ben jemals mit mir geteilt hatte. »Ich dachte, er heißt Daniel.«

»Dave passt besser zu ihm.« Ben nahm grinsend einen Schluck aus seiner Bierflasche.

»Sollen wir Dave sagen, dass wir ihn umgetauft haben?« Neben Ben wurde ein Hocker frei, den ich mir schnell sicherte, bevor mir jemand zuvorkommen konnte. Sitzgelegenheiten waren im Tipsy Cow rar und heiß begehrt.

»Sag du es ihm.«

»Ich?« Was war das denn für ein seltsamer Vorschlag? »Wieso sagst du es ihm nicht selbst?«

Ben lehnte noch immer an der Theke und mir somit genau gegenüber. Als er die Bierflasche erneut ansetzte, konnte ich ungehindert beobachten, wie sich sein blödes Nerd-Shirt um seinen Bizeps spannte. Warum trainierte dieser Kerl? Typen wie er saßen in meiner Vorstellung den ganzen Tag in dunklen Kellern und spielten irgendwelche Computerspiele.

»Dave ist fast erstickt, weil du ihn gefragt hast, ob er mit dir tanzen will. Du darfst ihn sicher nennen, wie du möchtest.« Nichts in seinem Tonfall ließ darauf schließen, dass er etwas dagegen hätte, falls Daniel-Dave mich attraktiv fand. Es war Ben offensichtlich herzlich egal. Mit einem großen Schluck leerte ich mein Glas.

»Er ist nicht mein Typ.«

»Hm. Wer ist denn dein Typ, Hannah?«

Als Ben meinen Namen aussprach, lief mir ein Schauer über den Rücken. Bei ihm klang er zärtlich wie eine Liebkosung.

Kopfschüttelnd verjagte ich diesen Gedanken. Das musste ich mir eingebildet haben. »Ich bin hier, um das herauszufinden.«

Er ließ seinen Blick zum ersten Mal an diesem Abend über mich und mein Outfit wandern. »Verstehe.«

Ben schaffte es, sein Missfallen mit diesem einen Wort sehr deutlich auszudrücken. Keine Ahnung, wie er das anstellte, doch ich fühlte mich ertappt und verurteilt zugleich. Wenn ich hier war, um jemanden aufzureißen, ging ihn das rein gar nichts an.

»Tust du das, ja?« Meine Erwiderung klang schrecklich zickig.

Wieder ging er nicht auf meine Frage ein. Stattdessen zeigte er auf einen Kerl am anderen Ende der Theke. »Was ist mit dem da vorne?«

»Zu groß.« Der Typ überragte mich mindestens um einen Kopf, wenn nicht mehr.

»Und er?« So unauffällig wie möglich nickte er in Richtung eines Mannes schräg hinter mir.

Ben hatte Geschmack, das musste man ihm lassen. Unter normalen Umständen hätte ich den Kerl vielleicht angesprochen. Doch nicht heute. »Zu blond.«

»Zu blond?«

»Jap. Ich mag dunkelhaarige Männer.« Gleich würde mich der Blitz treffen, weil ich so schamlos log wie selten zuvor. Es waren schon immer die blonden Surfertypen gewesen, bei denen ich schwach geworden war.

»Das wird schwieriger als gedacht. Wir brauchen neue Getränke.« Sein Bier war mittlerweile leer. Ohne zu fragen, ob ich überhaupt noch etwas trinken wollte, besorgte er in Rekordgeschwindigkeit ein neues Bud Light für sich und einen weiteren Old Fashioned für mich.

Als die Getränke vor uns standen, sah er mich erwartungsvoll an. »Um dir zu helfen, brauche ich mehr, womit ich arbeiten kann. Wie muss der perfekte Kerl für eine Nacht sein, Hannah?«

Da war er wieder, der Schauer, der mir zuverlässig über den Rücken lief, wenn er meinen Namen aussprach. Ob ich Ben dazu bringen konnte, mir eine Tonaufnahme davon zu machen? »Du willst jemanden für mich aussuchen?«

»Nein«. Lachend schüttelte er den Kopf. »Aufreißen musst du ihn schon selbst, aber ich dachte, ich mache mich nützlich und sehe mich für dich um.«

»Das ist schräg.«

»Du hast Dave verscheucht, also habe ich Zeit.« Als er die Flasche erneut ansetzte, stellte ich mir vor, wie es wäre, seine Lippen zu küssen. Ben wollte mich nicht, das hatte er mehrfach sehr deutlich gezeigt, doch das hinderte mich nicht daran, von seinen Lippen und anderen Körperteilen zu fantasieren.

»Also, wie soll er sein, Hannah?«

Das machte er doch mit Absicht. In den letzten zehn Minuten hatte er meinen Vornamen öfter ausgesprochen als in den vergangenen zwei Jahren. Durch unseren gemeinsamen Freundeskreis trafen wir uns, wenn jemand Geburtstag hatte, zu Filmabenden oder einfach zum gemeinsamen Mittagessen in der Mensa. Ich erinnerte mich nicht daran, wann Ben mich zuletzt direkt angesprochen hatte. Das musste Monate her sein.

»Hannah?« Er riss mich aus meinen Gedanken, die sich natürlich um ihn gedreht hatten. Wie sie das viel zu oft taten. »Wie soll er sein?«

»Zielstrebig, erfolgreich und charismatisch.«

»Klingt, als würdest du jemanden zu einem Vorstellungsgespräch einladen wollen. Das ist nicht sehr romantisch.«

»Wer sagt, dass ich romantisch bin?« Nach Romantik stand mir nicht der Sinn. Romantiker verbrachten Wochen, Monate, manchmal Jahre damit, auf den einen Menschen zu warten. Mein Bruder war so einer und hatte ewig gebraucht, bis er es mit seiner Freundin auf die Reihe bekommen hatte. Mit solchen Dingen wollte ich mich nicht aufhalten.

»Der da vorne neben den Boxen.«

Ich folgte Bens Blick. Der Typ war groß, gut gebaut, dunkelblond und hatte ein nettes Lächeln. »Nope. Er trägt einen Hoodie.«

»Und ein Hoodie ist falsch, weil ...?«

»Sehe ich aus, als würde ich zu einem Typen in einem Hoodie passen?« Ich benahm mich wie ein wandelndes Klischee. Widersprüchlich, affektiert und vor allem furchtbar oberflächlich. Doch selbst wenn ich gewollt hätte, hätte ich nichts dagegen tun können. Ben löste dieses Verhalten in mir aus, ohne sich anzustrengen.

Er zuckte lediglich mit den Schultern. »Keine Ahnung.«

Um meine Hände zu beschäftigen und nicht wieder wie die größte Oberzicke zu antworten, nippte ich an meinem Old Fashioned und betrachtete Ben über den Rand meines Glases hinweg.

Er war seit einer kleinen Ewigkeit von seiner Ex-Freundin getrennt. Seitdem hatte es in seinem Leben keine andere Frau gegeben. Das hatte Grace jedenfalls erzählt, und wenn jemand gut über Bens Liebesleben informiert war, dann seine beste Freundin. »Und was ist mit dir?«

Ben sah mich fragend an. »Was soll mit mir sein?«

Ungeduldig tippte ich im Rhythmus der Musik mit den Fingerkuppen gegen mein Glas. »Warum bist du hier?«

»Um mit Dav... Daniel zwei oder drei Bier zu trinken. Was man halt so samstags macht.« Er tat, als würde er sich nach seiner Begleitung umsehen. »Aber er kommt wohl nicht mehr zurück.«

»Es ist nicht meine Schuld, wenn er dich sitzen lässt.« Meine Stimme klang schneidender, als ich es beabsichtigt hatte.

»Das habe ich auch nicht behauptet.« Ein Lächeln schlich sich auf seine Lippen, das meine Knie weich werden ließ. Dieses Lächeln wog leider sämtliche schrecklichen Nerd-Shirts auf, mit denen er sich verunstaltete. Wenn er lächelte, war er der attraktivste Mann, der mir jemals begegnet war.

Dennoch – oder vielleicht auch genau deswegen – machte seine stoische Ruhe mich wahnsinnig. Immer wenn ich in seiner Nähe war, fühlte ich mich wie der dümmste Mensch auf Erden. Ich war aufgeregt, sagte Dinge, die ich nicht so meinte, und war einfach nicht ich selbst. »Soll ich dir auch jemanden aussuchen?« Ohne auf seine Antwort zu warten, ließ ich meinen Blick durch den Raum schweifen. »Was ist mit ihr da vorne?« Ein paar Meter von uns entfernt tanzte eine niedliche Rothaarige zu den Klängen von Where you are von The Score.

»Nicht mein Typ.«

»Du hast nicht einmal hingesehen.«

»Muss ich nicht.« Ben zwinkerte mir lässig zu.

»Wenn du nicht hinsiehst, kannst du nicht wissen, ob du sie attraktiv findest.« Dieses Gespräch war absolut lächerlich und ich hörte mich immer mehr wie ein trotziges Kind an.

»Sie ist nicht automatisch mein Typ, nur weil sie vielleicht hübsch ist.«

»Ich geb’s auf.« In einer viel zu dramatischen Geste warf ich die Hände in die Luft. »Dabei wollte ich dir nur helfen, damit du ohne Dave nicht allein bleibst.«

Ben trat einen Schritt auf mich zu, sodass uns nur noch wenige Zentimeter voneinander trennten. Mein Herz schlug augenblicklich viel zu schnell und mein Mund fühlte sich staubtrocken an. So nah waren wir uns noch nie gewesen. Ich müsste mich auf meinem Hocker nur ein winziges Stück nach vorn beugen, um ihn zu berühren.

»Aber ich bin gerade nicht allein, oder?« Vielleicht spielte mir mein Gehirn einen Streich, aber ich hätte schwören können, dass seine Stimme eine Oktave tiefer klang.

»Nein, bist du nicht.« Vermutlich wurde meine Antwort von der Musik verschluckt. Sie war nur ein Flüstern in einer viel zu lauten Bar. Doch unsere Umgebung hatte ich komplett ausgeblendet. In diesem Moment gab es nur Ben, seine himmelblauen Augen und diese Lippen, die ich küssen wollte.

Er tippte sich mehrmals an die Brust, bevor er seine Finger wieder um den Hals der Bierflasche schloss. »Wie fällt dein Urteil aus?«

Mein Urteil? Vielleicht verwirrte mich die plötzliche Nähe zu ihm, aber ich hatte keine Ahnung, wovon er sprach. »Was meinst du damit?«

Lächelnd wiederholte er die Geste und tippte sich erneut auf eine Stelle kurz über seinem Herzen. »Was sagst du zu diesem Kerl? Zu blond? Zu groß? Zu klein? Falsche Klamotten? Was passt nicht?«

Alles. Und gleichzeitig nichts. Ben Preston war rational betrachtet der letzte Mann auf Erden, mit dem ich jemals etwas anfangen sollte. Er machte nicht den Eindruck, jemanden für eine Nacht oder eine kurze Affäre zu suchen. Es wäre unvernünftig, sich auf ihn einzulassen. Was mein Verstand sagte, war dem Rest meines Körpers jedoch vollkommen egal. Ich wollte ihn küssen, bis uns beiden die Luft wegblieb. Bis die Welt um uns herum verschwamm und es nur noch ihn und mich gab.

Ben betrachtete mich weiterhin fragend und beinahe neugierig. Eine Antwort war ich ihm noch schuldig.

So unauffällig wie möglich räusperte ich mich, obwohl ich auf einer Entfernung von wenigen Zentimetern nicht viel vor ihm verbergen konnte. Kein Räuspern und auch nicht die Sehnsucht in meiner Stimme. »Meinst du das ernst?«

Natürlich tat er das nicht. Es war nur ein blöder Spruch gewesen, um mich aus der Fassung zu bringen. Ich versuchte, mich innerlich gegen seine Antwort zu wappnen. In den letzten zwei Jahren hatte er mich unzählige Male abblitzen lassen, er würde seine Meinung nicht plötzlich ändern.

»Jap. Sag mir, was mit mir nicht stimmt, Hannah. Was sind meine Fehler?«

Mit einem Mal wurde mir klar, warum er mir diese Frage stellte. Er wusste, wie anziehend ich ihn fand. In der Vergangenheit hatte ich ihm das viel zu oft viel zu deutlich gezeigt. »Ich habe keine Lust auf diese Spielchen.«

»Du kannst mir glauben, mir geht es genauso.« Anstatt wieder den dringend benötigten Abstand zwischen uns zu bringen, überbrückte er auch die letzte Distanz. Seine Knie stießen gegen meine Beine, sein Atem tanzte warm über meine Haut. »Was hältst du davon, wenn wir aufhören zu spielen?«

Mein Puls rauschte in meinen Ohren und all meine Sinne waren nur noch auf Ben fokussiert. Auf Ben und die Hoffnung, die Situation nicht falsch zu deuten. »Du meinst ...?«

Er nickte. »Ja.«

»Das willst du nicht.« Was zur Hölle tat ich da? Endlich hatte ich ihn dort, wo ich ihn haben wollte, und dann versuchte ich, ihm die Sache auszureden? Was stimmte nicht mit mir?

»Oh doch.« Sein Blick senkte sich auf meine Lippen. »Du hast keine Ahnung, wie lange schon.«

»Guter Witz.« Ich boxte ihm sanft gegen die Schulter. »Fast wäre ich darauf reingefallen.«

Als ich meine Hand zurückzog, schlossen sich seine Finger blitzschnell darum. »Hannah.« Die Intensität, mit der er meinen Namen aussprach, ließ mir den Atem stocken. »Nicht. Keine Spielchen.«

»Was willst du von mir, Benjamin?« Ich war das Mädchen, das gern spielte. Das unfassbar gut darin war. Seit Jahren. Das Mädchen, das nicht mehr wusste, wer es vorher gewesen war.

»Einen ehrlichen Kuss.«

Instinktiv schüttelte ich den Kopf. »Das geht nicht.« Ehrliche Küsse krochen in dein Herz, nisteten sich dort ein und ließen sich nicht mehr abschütteln. Ehrliche Küsse waren gefährlich.

»Okay.« Ben straffte die Schultern und zog sich ein Stück zurück. »Dann suche ich jetzt Dave und du reißt dir jemanden auf, wie du es geplant hast.«

Die Vorstellung von unverbindlichem Sex sorgte für ein dumpfes Gefühl in meinem Magen. Ich wollte nicht irgendeinen gesichtslosen Typen mit nach Hause nehmen, dessen Namen ich am nächsten Tag vergessen hatte. Nicht mehr. Diesen Plan hatte Ben mir gründlich verdorben.

Ohne darüber nachzudenken, oder vielleicht auch, weil ich zu viel nachgedacht hatte, griff ich nach seinem Shirt und zog ihn wieder näher an mich heran. Bevor er protestieren konnte, presste ich meine Lippen auf seine.

Ben brauchte nur eine Millisekunde, ehe er seine Hände an meine Wangen legte, wie das sonst nur Männer in Filmen taten.

Meine Finger klammerten sich in sein Spiderman-Shirt, als ich seine Zunge spürte, die ganz sacht meine Unterlippe nachfuhr. Die Menschen um uns herum verschwammen zu einem undurchsichtigen Nebel und Ben wurde zu meinem einzigen Lichtpunkt. Er überließ mir die Führung, wie es nur die wenigsten Kerle über sich brachten. Hätte ich ihn nicht vorher schon unwiderstehlich gefunden, wäre es spätestens jetzt so weit gewesen. Ihm endlich so nah zu sein, ließ den Puls in meinen Ohren rauschen und Gänsehaut breitete sich von meinen Armen über meinen ganzen Körper aus. Mir war kalt und heiß zugleich.

Ich ließ sein Shirt los und fuhr mit den Fingern in seinen Nacken. Ben seufzte leise, als ich seine warme Haut im Takt unseres Kusses streichelte, mich dabei noch enger an ihn drückte. Gleichzeitig biss ich sanft in seine Unterlippe. Ich küsste ihn mit all den aufgestauten Gefühlen der letzten zwei Jahre und mit der neuen Erkenntnis, dass Ben Preston wusste, wie man ein Mädchen um den Verstand brachte. Nichts hieran erinnerte an einen ersten Kuss. Wir küssten uns, als hätten wir nie etwas anderes getan.

Nach einer kleinen Unendlichkeit löste er sich von mir, legte die Stirn an meine und verschränkte seine Arme hinter meinem Rücken. Bei jedem anderen hätte ich gegen so viel Gefühlsduselei protestiert, doch ein Teil von mir wollte genau das. Solange Ben mich festhielt, konnte ich die leise Stimme in meinem Kopf ignorieren, die mir zuflüsterte, dass ich mich von ihm fernhalten sollte.

»Tu es nicht.«

Seine Bitte traf mich völlig unvorbereitet. »Was soll ich nicht tun?«

»Such dir keinen anderen. Nicht heute.« Er legte seine Lippen so zärtlich auf meine, als wäre ich aus Porzellan. Als wäre ich kostbar. »Nimm mich stattdessen mit nach Hause.«

Mein Hals war wie zugeschnürt. Selbst unter größter Anstrengung hätte ich kein Wort herausbekommen. Ich schüttelte den Kopf, um im nächsten Moment zu nicken. Es wäre falsch. Falsch, weil es sich so richtig anfühlte.

Er küsste mich auf die Nasenspitze und ich wollte augenblicklich in Tränen ausbrechen. Stattdessen schüttelte ich noch einmal den Kopf, etwas weniger heftig als zuvor.

»Nur eine Nacht. Nicht mehr.« In seinen Augen fand ich die Sehnsucht, die auch in seiner Stimme lag. »Danach sprechen wir nie wieder darüber.«

»Eine Nacht, mehr kann ich dir nicht bieten.« Exakt diese Worte hatte ich in der Vergangenheit schon zu anderen Männern gesagt, doch noch nie hatte ich mich dabei wie eine Lügnerin und Heuchlerin gefühlt.

Ben nickte. »Einverstanden.«

»Zu dir oder ...?« Der Rest meiner absoluten Klischeefrage wurde von Bens Lippen erstickt, die sich auf meine legten.

Erst nachdem er mich erneut so leidenschaftlich geküsst hatte, bis die Welt um uns herum verschwamm, antwortete er mir. »Zu dir. Meine Heizung und das warme Wasser sind ausgefallen. Das passiert leider ständig und ...«

Auch dieser Satz blieb unvollendet. Weil ich ihn einfach noch einmal küssen musste. Weil die Realität meine Vorstellung um ein Hundertfaches übertraf. Weil ich das Gefühl hatte, zu sterben, wenn ich es nicht tat.

 

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»Leise.« Ich griff nach Bens Hand und zog ihn hinter mir her in den Flur der kleinen Wohnung, die ich mir mit meinem Bruder teilte. »Adam ist vielleicht noch wach.«

»Und er hat was gegen Sex?«

»Natürlich nicht.« Ich drehte mich zu Ben um, legte die Hände in seinen Nacken und stellte mich auf die Zehenspitzen. Langsam küsste ich mich von seinem Hals bis zu seinem Schlüsselbein und wieder zurück.

»Du denkst, er hätte ein Problem damit, wenn er wüsste, dass wir beide ...« Für Ben war das Thema Adam anscheinend noch nicht beendet.

»Hätte er nicht.«

»Na dann.« Ben ließ die Wohnungstür krachend ins Schloss fallen.

Entgeistert sah ich ihn an. »Was zur Hölle soll das? Jetzt weiß nicht nur Adam, dass ich zuhause bin, jetzt weiß es der ganze Block.«

Bens Antwort war lediglich ein Schulterzucken, bevor er mich mit einem solch leidenschaftlichen Kuss daran hinderte, weiterzusprechen, dass ich vergaß, warum ich überhaupt wütend gewesen war.

Seine Hand schob sich von meiner Hüfte weiter nach oben unter mein Top. Als er beinahe meinen BH berührte, stoppte ich ihn. »Schlafzimmer.«

»Wo?« Er murmelte die Frage gegen meine Lippen, während seine Finger in gleichmäßigen Kreisen über meinen Rippenbogen fuhren. Bis zum heutigen Tag hatte ich nicht gewusst, wie sensibel ich an dieser Stelle war. Wie sehr mich diese unschuldige Berührung erregte, war erschreckend und aufregend zugleich.

»Zweite Tür rechts.«

Kaum hatte ich den Satz ausgesprochen, griff Ben nach meiner Hand und steuerte zielstrebig mein Zimmer an. Wir hatten die Tür noch keine Sekunde hinter uns geschlossen, da machte er da weiter, wo er eben aufgehört hatte. Dieses Mal schob er beide Hände unter mein Top und ließ sich auch nicht von meinem BH aufhalten. Seine Finger umschlossen meine Brüste und sein Mund legte sich erneut auf meinen.

Von Ben geküsst zu werden, war besser, als ich es mir jemals ausgemalt hatte. Seine Haut jedoch gleichzeitig auf meiner zu spüren, war fast zu viel. Meine Sinne hatten Mühe, all die Empfindungen gleichzeitig zu verarbeiten. In diesem Moment wollte ich nur eines: Ben in meinem Bett; und das am besten nackt.

Ohne mich von ihm zu lösen, navigierte ich uns so gut wie es mir möglich war zu meinem Bett. Heute Morgen war ich zu faul gewesen, es zu machen, weswegen die Decken und Kissen chaotisch darauf verteilt waren.

Ich stieß mit den Beinen gegen den Rahmen, und bevor ich mich versah, lag ich auf dem Rücken und Ben neben mir. Eine Ecke meines Notizbuchs bohrte sich unangenehm in mein Bein, sodass ich mich zur Seite drehte, es hervorzog und vorsichtig auf den Boden legte. Diesem Ding durfte nichts passieren, immerhin bewahrte es meine größten Geheimnisse.

»Licht.« Er flüsterte das Wort gegen mein Schlüsselbein, als er seine Lippen tiefer wandern ließ. »Ich will dich sehen.«

Blind tastete ich nach der Nachttischlampe, fand sie nach einer kurzen, frustrierenden Suche und schaltete sie ein.

»Das ist besser.« Er hielt in der Bewegung inne, sah mir in die Augen und für einen Herzschlag stand die Welt still. Auch wenn das hier nicht der richtige Moment dafür war, schlich sich ein Lächeln auf meine Lippen, das Ben mit dem nächsten Atemzug erwiderte.

Ich hob den Oberkörper an, zog mir mein Top über den Kopf und öffnete den Verschluss meines BHs. Ben beobachtete jede meiner Bewegungen, als ich die schwarze Spitze abstreifte.

Meine Brüste waren okay. Nicht besonders groß, nicht besonders klein, sie passten zu mir. Doch je länger er mich einfach nur betrachtete, ohne mich anzufassen oder etwas zu sagen, desto nervöser wurde ich. Es war eine seltsame Mischung aus Erregung und Panik, die sich in mir ausbreitete. Ich wollte mit Ben schlafen. Schon seit meiner ersten Begegnung mit ihm, war mir dieser Gedanke immer wieder durch den Kopf geschossen. Vielleicht würde meine Vernarrtheit aufhören, wenn wir es einmal getan hatten. Wenn wir einmal Sex gehabt hatten, konnte ich dieses Kapitel endlich abhaken und mich nicht mehr wie eine Idiotin benehmen, sobald er in meiner Nähe auftauchte. Doch insgeheim wusste ich, wie falsch ich mit dieser Annahme lag – und dieses Gefühl verstärkte sich nur noch, als er sich zu mir herunterbeugte und mich küsste, als hätten wir alle Zeit der Welt. Als hätten wir nicht nur diese eine Nacht.

Ich spürte seine Finger erneut an meinen Brüsten. Federleichte Berührungen, die mich in den Wahnsinn trieben. Mein Zeitgefühl hatte ich vollständig verloren. Es kam mir wie eine kleine Ewigkeit vor, in der wir unsere Lippen nicht einmal zum Luftholen voneinander lösten und er meine Brustwarzen massierte.

Kein Kerl hatte sich jemals so lange nur mit Küssen und meinen Brüsten begnügt. Normalerweise reduzierten sie das lästige, aber notwendige Vorspiel auf ein Minimum. Bis sie sicher waren, genug getan zu haben, um sich ein Kondom überrollen zu können und mit dem für sie interessanten Teil zu beginnen. Nicht so Ben. Er war nach wie vor komplett angezogen und machte auch keinerlei Anstalten, dies zu ändern.

Als er seine Lippen um eine Brustwarze schloss, vergrub ich den Kopf stöhnend in meinem Kissen. Ich war mittlerweile so erregt, dass kleinste Berührungen genügten, um mich erzittern zu lassen.

Ben widmete sich hingebungsvoll jedem Zentimeter meiner erhitzten Haut. Weil ich nicht einfach nur stillliegen konnte, ließ ich meine Hände immer wieder durch seine blonden Locken wandern. Zog ihn näher an mich heran, weil ich mehr wollte, und schob ihn im nächsten Augenblick von mir weg, weil die Empfindungen mich überrollten. Doch er ließ sich davon nicht beirren und setzte seine süße Folter unablässig fort.

Irgendwann hob er den Kopf und sah mich an. Unendliche Sekunden lang, in denen sich unsere Blicke miteinander verwoben. Die Intimität dieses Moments war noch schwerer auszuhalten als seine Berührungen. Nach wenigen Herzschlägen wich ich ihm aus, indem ich mich am Reißverschluss meines Rocks zu schaffen machte. Ich hatte Ben nicht mit nach Hause genommen, nur um mich von ihm ansehen zu lassen.

Mit zitternden Fingern streifte ich mir den Stoff über die Beine und lag nur noch in einem knappen, schwarzen Slip vor ihm. Wieder tat Ben nicht das, was ich erwartet hatte. Anstatt sich auszuziehen oder mich endlich dort anzufassen, wo ich ihn am meisten brauchte, griff er nach der Bettdecke, die hinter ihm lag, und breitete sie über uns aus.

Er schob ein Bein zwischen meine und öffnete mich weiter für ihn, hielt dann jedoch inne. In einer verzweifelten Geste umfasste ich seine Finger und schob sie tiefer bis zum Rand meines Slips.

»Du hast gesagt, wir haben nur diese eine Nacht.« Er sprach leise, aber bestimmt. »Gilt das nach wie vor?«

Wenn die Situation nicht so bittersüß gewesen wäre, hätte ich gelacht. Dass ich Ben nicht mehr geben konnte als ein kurzes Abenteuer, war durch die letzten Minuten nur noch bestätigt worden. »Ja.« Eine Nacht, danach würden wir vergessen, was passiert war.

»Dann lass mich dich ansehen.«

»Du siehst mich an.« Und vor dem, was du vielleicht entdeckst, fürchte ich mich. Doch das konnte ich ihm nicht sagen.

»Hannah.« Mein Name war ein Flüstern. Eine zauberzarte Liebkosung, intimer als es jede Berührung sein könnte. »Willst du das wirklich?«

»Du hast zugestimmt.« Wir hatten uns darauf geeinigt. Schneller Sex, sonst nichts.

Ben streckte die Hand aus, ließ sie über meine Wange wandern, meine Schläfe und meine Lippen. »Du bist so schön.«

Auch früher hatten mir Typen gesagt, dass ich hübsch war oder sie mich heiß fänden. Doch keiner von ihnen hatte mit seinen Worten dafür gesorgt, dass mir jegliche Erwiderung im Hals stecken blieb.

»Lass uns ausgehen.«

Wovon redete er da? »Du willst mit mir ausgehen? Jetzt?«

»Morgen. Oder übermorgen vielleicht.«

»Warum?« Er bekam den Sex, auch ohne vorher mit mir ins Kino oder in irgendeinen Club zu müssen.

»Warum nicht?«

Es gab hunderte Gründe, aus denen ich nicht mit Ben ausgehen sollte. Alles an ihm schrie danach, dass er einer von denen war, die eine feste Freundin suchten, jahrelang mit ihr zusammen waren, ehe sie sie heirateten und die statistischen eins Komma sechs Kinder mit ihr bekamen. Natürlich inklusive Haus mit weißem Gartenzaun und dem aus einem Tierheim geretteten, dicken Hund. Ihm standen all diese Dinge auf die Stirn geschrieben und leuchteten wie eine Neonreklame bei Nacht. »Du bist nicht mein Typ.« Das war die ehrlichste und zugleich feigste Antwort, die ich ihm geben konnte. Energisch griff ich nach der Bettdecke, schob sie von der Matratze, bis ich wieder fast komplett entblößt vor ihm lag, und hielt den Atem an.

Ben reagierte nicht. Weder auf meine Erklärung noch auf meinen nackten Körper. Er malte weiterhin mit einem Finger kleine Kreise auf meine Wange.

Je länger wir einfach nur so dalagen, ich nahezu nackt, er vollständig angezogen, desto frustrierter und wütender wurde ich. Immerhin war er einverstanden gewesen. »Das ist nicht fair, Benjamin.« Mit Absicht benutzte ich erneut seinen vollen Vornamen, wie ich es im Tipsy Cow getan hatte. Auch das lockte ihn nicht aus der Reserve.

»Was ist nicht fair?«

Ich hatte die Wahl, ihm zu erklären, was wir beide wussten, oder endlich zu handeln. Die Entscheidung fiel mir nicht schwer.

Ohne die Situation durch unnötige Worte noch komplizierter zu machen, als sie es sowieso schon war, richtete ich mich auf, stützte mich auf Bens Brust ab und küsste ihn. Meine freie Hand ließ ich dabei über seinen Oberkörper nach unten wandern. Am Bund seiner Jeans angekommen, öffnete ich die Knöpfe und schob meine Finger in seine Boxershorts. Ben ließ die ganze Sache nicht so kalt, wie er mir glauben machen wollte. Als ich den Beweis dafür umschloss, sog er zischend die Luft ein. Ich massierte ihn in einem langsamen, aber stetigen Rhythmus und genoss die leisen Laute, die er immer dann ausstieß, wenn ich zusätzlich mit dem Daumen über die empfindliche Spitze fuhr. Nach einigen Minuten wollte ich jedoch mehr. Ich wollte sehen, wie er unter meinen Händen die Kontrolle verlor und sie mir damit zurückgab.

Ich rutschte zum Ende des Bettes und versuchte, ihm die Jeans über die Hüften nach unten zu ziehen. Anscheinend hatte ich Bens Widerstand gebrochen, denn er half mir, ohne zu protestieren, und zog sich gleichzeitig sein Shirt über den Kopf. Der Jeans folgten seine Boxershorts, sodass er nackt vor mir lag und eindeutig nicht mehr verstecken konnte, wie erregt er war.

Bei jedem anderen hätte ich einfach ein Kondom aus dem Nachttisch genommen und auf einen Orgasmus gehofft. Doch mit Ben war nichts wie mit anderen. Selbst jetzt, wo er mit glasigen Augen schwer atmend vor mir lag, forderte er mich heraus. Ohne ein Wort zu sagen, gab er mir das Gefühl, einen Fehler zu machen. Es stand ihm ins Gesicht geschrieben, dass er glaubte, alles über mich zu wissen. Doch das tat er nicht. Das tat niemand.

Ich zog mir den Slip aus, kletterte zurück auf die Matratze und warf ihm einen herausfordernden Blick zu. Ohne auf seine Reaktion zu warten, senkte ich den Kopf und umschloss seine harte Länge mit meinen Lippen.

»Fuck.« Ben klang nicht, als wäre noch viel von seiner stoischen Überlegenheit übrig. Sehr gut.

Mit dem nächsten Atemzug verdoppelte ich meine Anstrengungen. Seine Hände krallten sich auf der Suche nach Halt in meinem Kopfkissen fest. Ich beobachtete jede seiner Bewegungen mit halb geschlossenen Lidern. Dass er nicht mehr so selbstbeherrscht wie vor wenigen Minuten war, beruhigte mich und machte mich gleichzeitig an.

»Hannah.« Mein Name klang aus seinem Mund nicht mehr wie eine Liebkosung, eher wie ein unterdrückter Fluch. »Wenn du nicht aufhörst, ist das hier sehr schnell vorbei.« Im Schein der Nachttischlampe erkannte ich einen dünnen Schweißfilm auf seinem Oberkörper.

Ein letztes Mal fuhr ich mit meiner Zunge über seine Erektion, ehe ich von ihm abließ, mich nach vorn beugte, ein Kondom aus der Nachttischschublade nahm und es ihm reichte. Ohne zu zögern, riss er die Verpackung auf und rollte es sich über. »Soll ich auch?« Sein Blick glitt an meinem Körper hinab, sodass mir klar war, was er meinte.

Wortlos schüttelte ich den Kopf. Er musste sich nicht für den Blow-Job revanchieren. Ein schneller One-Night-Stand, mehr hatte das hier niemals sein sollen. So wenig Intimität wie möglich, auch wenn dieser Gedanke auf eine gewisse Art lächerlich war. Immerhin saß ich nackt auf seinen Knien.

Vorsichtig rutschte ich nach oben und positionierte mich über ihm. Ich zwang mich, seinem Blick nicht auszuweichen. Ihm ins Gesicht zu sehen, während ich ihn ganz langsam in mich aufnahm.

Ben hatte die Hände zu Fäusten geballt. Seine Augen waren halb geschlossen und er murmelte Unverständliches, als ich quälend langsam das Becken senkte.

Ich brauchte einen Moment, um mich zu sammeln und zu verarbeiten, was gerade passierte. Das war genau das, was ich gewollt hatte. Sex mit Ben. Sex, der einfach nur alltäglich sein sollte und es doch nicht war.

Ben beobachtete mich schwer atmend, ohne die Kontrolle zu übernehmen, und überließ mir den nächsten Schritt. Als ich die Wucht meiner rasenden Gedanken nicht länger ertrug, begann ich, mich auf ihm zu bewegen. Dabei stützte ich mich auf seinem Oberkörper ab, um das Gleichgewicht nicht zu verlieren.

Sex war für mich schon immer ein Mittel gewesen, um zu vergessen, doch mit Ben fühlte sich jede Sekunde wie eine neue Erinnerung an.

Ich fand einen gleichmäßigen Rhythmus, der uns beide mit jedem neuen Stoß leise keuchen ließ. Immer wieder hob ich mein Becken, um Ben mit dem nächsten Herzschlag wieder komplett in mich aufzunehmen. Seine Hände legten sich an meine Hüften, ohne sie fest zu umklammern oder meine Bewegungen zu beeinflussen. Zärtlich fuhren seine Finger wie eine federleichte Liebkosung über meine Haut und erinnerten mich daran, wie falsch und richtig zugleich es sich anfühlte, mit ihm zusammen zu sein.

Wenn es mehr gewesen wäre als ein One-Night-Stand mit einem Typen aus einer Bar, hätte ich mir Zeit gelassen. Versucht, diesen Moment bis zur unmöglichen Unendlichkeit zu verlängern, um die Intimität des Augenblicks auszukosten. Doch es war nicht mehr. Das versuchte ich mir jedenfalls einzureden.

Ohne meine Bewegungen zu unterbrechen, beugte ich mich nach vorn und steigerte das Tempo. Stöhnend schlang Ben die Arme um mich und zog mich näher zu sich heran, bis sich mein nackter Oberkörper an seinen presste. Ich vergrub den Kopf an seiner Halsbeuge, um nicht auf die dumme Idee zu kommen, ihn zu küssen, wenn ich kam. Normalerweise brauchte ich die zusätzliche Stimulation durch meine Finger oder die meines Partners. Doch mein Höhepunkt war in greifbarer Nähe. Der warme Druck baute sich immer mehr auf und ich gab mich dem Gefühl vollkommen hin, als Ben plötzlich unter mir laut aufstöhnte und erzitterte. Er flüsterte mir unzählige süße Nichtigkeiten ins Ohr, während sein Orgasmus langsam abebbte.

Als er wieder zu Atem kam und sich sein Griff um mich lockerte, rollte ich mich zur Seite und drehte ihm frustriert den Rücken zu.

»Hannah?« Ben hauchte mir einen Kuss in den Nacken. »Es tut mir leid. Das ist mir zum letzten Mal mit sechzehn passiert.«

»Hm.« Meine Antwort war ein undeutliches Brummen. Ich wollte sensibel sein, ihm sagen, dass wir es gleich einfach noch einmal tun könnten. Dass es okay war und keine große Sache. Doch ich konnte nicht. Die Unterbrechung spülte unsere kleine Sexblase wie eine Sturmflut davon und hinterließ die bittere, unschöne Realität. Meine großartige Idee, ausgerechnet mit Ben zu schlafen, hatte sich zu einem Desaster entwickelt – und das lag nicht daran, dass er zu früh gekommen war. Ich fühlte viel zu viel. Dinge, auf die ich nicht vorbereitet gewesen war.

Bens Lippen wanderten von meinem Hals zu meiner Schulter, während sich seine Hand auf meinen Bauch und von dort aus tiefer schob. »Darf ich?«

Was sollte ich dazu sagen? Ja, weil mein Körper immer noch kurz vor der Explosion stand? Oder nein, weil ich wusste, wie viel klüger es wäre, ihn nach Hause zu schicken? Egal, wofür ich mich entschied, ich sollte es schnell tun, denn im nächsten Augenblick glitt seine Hand bereits zwischen meine Beine und sein Daumen legte sich auf meine empfindsamste Stelle.

Er massierte mich auf die Art, wie er alles tat. Besonnen, effizient und mit einer Ruhe, die mich wütend machte. Vorhin hatte ich ihm die Kontrolle abgerungen, jetzt übernahm er sie wieder und brachte mich dazu, meine eigene zu verlieren. Mit einer ruckartigen Bewegung stieß ich seinen Arm weg und setzte mich auf. »Lass gut sein, das bringt nichts.«

Ben brauchte ein paar Sekunden, um seine Sprache wiederzufinden. »Du willst nicht, dass ich ...?«

Sein verletzter Gesichtsausdruck hätte mich beinahe dazu gebracht, einzuknicken. Um diesem Gefühl nicht nachzugeben, zwang ich mich zu einer Antwort, die in völligem Kontrast zu dem Feuer in meinem Inneren stand. »Ich bin keine vierzehn mehr.« So lässig wie möglich zuckte ich mit den Schultern. »Die Zeiten, in denen ich mich ungeschickt befummeln lasse, sind lange vorbei.« Ich hatte die Worte kaum ausgesprochen, da wusste ich bereits, wie unfair und gemein sie waren. Ben saß einfach nur stumm da und sah mich an. So lange, bis ich es nicht mehr aushielt, mich hinlegte und ihm erneut den Rücken zudrehte. »Das Haus ist sehr hellhörig. Mach die Wohnungstür bitte leise zu, wenn du gehst.«

Es verstrichen lange Minuten, in denen ich so tat, als wäre ich eingeschlafen. Ich hörte, wie Ben seine Klamotten zusammensuchte und sich anzog. Als er endlich fertig war und meine Zimmertür öffnete, hielt ich die Luft an. Vor Anspannung und weil ich es nicht verpassen wollte, falls er mir noch etwas zu sagen hatte. Ich spürte instinktiv, wie er kurz zögerte, bevor er die Tür hinter sich schloss.

Das letzte Mal geweint, hatte ich vor vielen Jahren. Ich würde wegen eines unbedeutenden One-Night-Stands nicht in Tränen ausbrechen – egal wie sehr mir danach zumute war.

 

1. Kapitel

 

10 Monate später

 

Zweiundsiebzig Prozent. Verdammt. Kaum hatte Professor Dennings die Vorlesung beendet, schnappte ich mir meinen Rucksack und stürmte aus dem Saal. Ganze sechzehn Prozent zu wenig, um meinen Schnitt zu halten. Das war die schlechteste Note des Semesters, obwohl ich wie eine Wahnsinnige für die Klausur gelernt hatte.

Grundlagen der menschlichen Anatomie und Physiologie war ein Pflichtkurs, den ich nicht einfach durch eine andere Veranstaltung ersetzen konnte. Ich brauchte Bestnoten, um an der Med School der Johns Hopkins angenommen zu werden.

Frustriert machte ich mich auf den Weg in die Mensa, um Annie mein Leid zu klagen. Mittwochs aßen wir immer gemeinsam, das war mittlerweile zu einer Tradition geworden.

Sie saß bereits an unserem üblichen Tisch und tippte mit einem zuckersüßen Lächeln auf ihrem Handy herum. Wenn sie diesen Blick aufgesetzt hatte, konnte das nur eins bedeuten. »Richte meinem Bruder aus, dass er endlich seinen restlichen Kram abholen soll.«

Erschrocken und sichtlich ertappt schreckte sie hoch. »Woher weißt du, dass ich Adam geschrieben habe?«

»Meinst du die Frage ernst?«

»Nein, eigentlich nicht.« Lachend steckte sie ihr Handy weg. »Er kommt nächste Woche.«

»Dann kann er ja sein Zeug mitnehmen.« Seit er an die Cincinnati State gewechselt und aus unserer gemeinsamen Wohnung ausgezogen war, lagerten immer noch mehrere Kisten mit Klamotten in seinem ehemaligen Zimmer. Sie waren einer der Gründe, aus denen ich mir noch keinen neuen Untermieter gesucht hatte. Viel länger konnte ich meine Freiheit ohne nervigen Mitbewohner jedoch nicht genießen. Ich benötigte schlicht das Geld. Meine Eltern bezahlten zwar Miete und Studiengebühren, alle anderen finanziellen Zuwendungen hatte mein Vater wegen meiner schlechten Noten jedoch gestrichen. Seine Art, um mich zu besseren Leistungen zu motivieren.

Um meinen Kühlschrank weiterhin füllen zu können, benötigte ich einen Nebenjob. Doch für den hatte ich keine Zeit. Wenn ich meine Noten aufpolieren wollte, brauchte ich jede freie Minute zum Lernen. Es war ein Teufelskreis.

Meine Kreditkartenabrechnungen sahen daher von Monat zu Monat düsterer aus. Wenn ich die Hälfte der Miete sparen könnte, wäre das eine große Erleichterung – auch wenn ich wenig Lust auf eine fremde Person in meinen vier Wänden hatte. Aber es half nichts, ich brauchte vermutlich beides: einen Nebenjob und einen Mitbewohner.

»Hast du deinen Test zurückbekommen?«

Manchmal war es verdammt nervig, dass sich Annie jede Kleinigkeit merkte. »Jap.«

»Und?« Auf dem Tisch leuchtete ihr Handy mit einer neuen Nachricht auf. Mit einer Wahrscheinlichkeit von etwa einhundert Prozent war mein Bruder der Absender. Die beiden schrieben sich den ganzen Tag. Doch in diesem Moment galt ihre ganze Aufmerksamkeit mir. »Wie lief es?«

»War schon mal besser.«

Meine nichtssagende Antwort ließ sie unzufrieden die Nase kräuseln. »Was bedeutet das?«

»Zweiundsiebzig Prozent.«

»Shit.« Annie schlug sich die Hand vor den Mund, als hätte sie etwas Unanständiges gesagt. Da sie grundsätzlich nie fluchte, war dies in ihrer Welt vielleicht auch der Fall. »Das tut mir leid.«

»Mir auch.« Genervt und wütend über mich selbst kramte ich in meiner Tasche nach meinem Geldbeutel. »Ich hole mir was zu essen. Soll ich dir etwas mitbringen?«

Vor Annie stand bereits ein Teller mit Lasagne, wenn ich den unappetitlichen Anblick richtig deutete. Das Essen in der Mensa war nie besonders gut, aber immerhin billig. Sie winkte kopfschüttelnd ab. »Danke, ich habe genug.«

»Okay, bin gleich wieder da.« Ich steuerte die Essensausgabe an und machte dabei einen großen Bogen um die Nudeln. Meine Wahl fiel auf ein Käse-Thunfisch-Sandwich, das halbwegs genießbar aussah. Ich stellte mich an der Kasse an und wartete darauf, dass die Schlange kürzer wurde, als ich unfreiwillig Zeugin einer lächerlichen Konversation wenige Meter hinter mir wurde. Eine der Stimmen kannte ich nur zu gut. Mein Körper versteifte sich und die Frequenz meines Herzschlags verdoppelte sich augenblicklich.

»Und wie lange bist du schon Veganer? Ich finde das total faszinierend.«

»Knapp zwei Jahre.«

»So viel Selbstbeherrschung hätte ich nicht.« Es folgte ein fürchterlich künstliches Kichern. »Aber Käse darfst du essen, oder?«

»Milchprodukte sind nicht vegan.«

»Was ist mit Fisch? Das ist ja kein Fleisch.«

»Fisch esse ich auch nicht mehr.«

Am liebsten hätte ich mich umgedreht, um zu sehen, von wem Ben mit diesen seltsamen Fragen gelöchert wurde. Entweder war dieses Mädchen völlig ahnungslos, oder es versuchte mit aller Gewalt, das Gespräch nicht einschlafen zu lassen.

»Was ist mit Eiern?«

Oje. Kopfschüttelnd zog ich mein Handy aus der Tasche und versuchte, die Unterhaltung der beiden auszublenden. Seit unserer desaströsen Nacht vor zehn Monaten gelang es mir nicht, Ben vollends aus dem Weg zu gehen. Wir besuchten gemeinsam einen Kurs über organische Chemie und waren gezwungen, uns an diversen Geburtstagen zu sehen. Zuletzt war es Grace’ Zweiundzwanzigster gewesen. Wir hatten den ganzen Abend kein Wort miteinander gewechselt und einfach so getan, als würde der andere nicht existieren.