Martin Buber

Gott finden, heißt den Weg finden, der ohne Grenze ist. Begegnung mit einem Hüter der Menschlichkeit

Johannes Clausner


ISBN: 978-3-86191-222-4
1. Auflage 2021
© Crotona Verlag GmbH und Co. KG, Kammer 11, D-83123 Amerang

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Umschlaggestaltung: Annette Wagner

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Inhalt

Einleitung

Als die Fortführung der »Martin Buber Werkausgabe« (MBW) nach der Veröffentlichung von knapp einem Drittel der geplanten Bände an fehlenden finanziellen Mitteln zu scheitern drohte, erklärte die Israelische Akademie der Wissenschaften diese im Jahr 2012 zu einem »in hohem Maße wichtigen Projekt« und förderte von da an ihren Fortgang. Daher gelang es letztlich, die epochale 26-bändige Ausgabe im Jahr 2020 fertigzustellen. So sind die Worte eines der bedeutendsten Menschen des 20. Jahrhunderts nunmehr fast vollständig für die Nachwelt erhalten.

Zu seinen Lebzeiten war Martin Buber eine höchste um­strittene Persönlichkeit. Er ließ sich in kein religiöses oder politisches Schema einordnen, sondern ging un­er­schro­cken und unermüdlich seinen eigenen Weg. In einer sehr persönlichen Einordnung charakterisiert er sich in seiner unnachahmlichen Art folgendermaßen: »Soweit meine Selbst­erkenntnis reicht, möchte ich mich einen atypischen Men­schen nennen.« (MBW 12, 471) Niemand hätte ihn treffender beschreiben können.

Inzwischen ist mehr als ein halbes Jahrhundert ver­gangen, seit Buber diese Erde verlassen hat, und sein Bild bekommt, aus dem Abstand der Zeit heraus be­trach­tet, immer beeindruckendere Züge. Während viele seiner einst berühmten Zeitgenossen längst vom gnädigen Schat­ten der Geschichte verhüllt sind, leuchtet sein Werk immer strahlender auf, längst befreit von Zeitgeist und ver­gänglicher Aktualität.

Einer seiner Herausgeber, der Amerikaner Michael Fish­bane, trifft Bubers Intention und die Ursache für seine nachhaltige weltweite Bedeutung außergewöhnlich gut, obwohl er ihm befremdlicherweise einen falsch ver­stan­denen »Romantizismus« unterstellt: »Für Martin Buber sind große Werke wie die Bibel authentische Urkunden der menschlichen und religiösen Wirklichkeit, die ihrer lite­rarischen Abfassung stets vorausgeht. Diese etwas ro­mantische Überzeugung, dass die zentrale Erfahrung, die einem Text zugrunde liegt, in allen seinen späteren Wiedergaben bewahrt bleibt und von einem disziplinierten und aufmerksamen Leser auch in späteren Zeiten durch­drungen werden kann, ist eine Grundvoraussetzung seiner Arbeit.« (MBW 13.1., 35) Fishbane scheint hier Bubers innere Gewissheit etwas anzuzweifeln, denn sein Hinweis auf die Romantik zielt ganz offensichtlich nicht auf eine ganzheitliche Weltsicht, wie sie etwa Novalis, der große Dichter der Romantik, in seinen Werken anzuwenden pflegte. Buber steht aber ganz in dieser Tradition, wenn er davon ausgeht, die »zentrale Erfahrung« eines Textes bleibe über die Zeitalter erhalten.

Die Textauswahl dieses Bandes fühlt sich genau dieser Aussage verpflichtet. Buber wirkt weit über seine Zeit hinaus, weil das von ihm Erfahrene und Erlebte selbst über-zeitlich war. Es war auch nicht mehr jüdisch, christ­lich oder existenzialistisch, sondern es war im tiefsten Sinne menschlich. So dürfte eine Auswahl seiner Texte, wie sie nachstehend vorgelegt wird, sein Anliegen auch nicht verkürzt darstellen, sondern seiner eigenen In­tention zutiefst entsprechen. »Die Wahrheit des Wortes, das wahrhaft gesprochen wird, ist in ihren höchsten Formen, so im Gedicht und ungleich mehr noch so in dem botschaftsartigen Spruch, der aus der Stille über eine zerfallende Menschenwelt niedergeht, unzerlegbare Einheit.« (MBW 12, 33)

Wie dramatisch zutreffender ist Bubers Hinweis über eine »zerfallende Menschenwelt« erst heute. Die Anony­mi­sierung und Digitalisierung führt im ersten Viertel des 21. Jahrhunderts zu einer Entmenschlichung, die Bubers innerste Intention, die Begegnung von Ich und Du, in ihrem Wesenskern zu zerstören droht.

Buber, so tiefsinnig und intellektuell er gewesen sein mag, blieb in seinem Herzen immer ein frommer Chassid, der in der menschlichen Gemeinschaft in Ehrfurcht und De­mut den Lobpreis Gottes leben wollte. In seinen Er­in­nerungen »Mein Weg zum Chassidismus« schildert er ein lange zurückliegendes persönliches Erlebnis, das ihn vielleicht besser beschreibt als jegliche philosophische Einordnung. »Der Palast des Rebbe in seiner effektvollen Pracht stieß mich ab. Das Bethaus der Chassidim mit seinen verzückten Betern befremdete mich. Aber als ich den Rebbe durch die Reihen der Harrenden schreiten sah, empfand ich »Führer«, und als ich die Chassidim mit der Thora tanzen sah, empfand ich »Gemeinde«. Damals ging mir eine Ahnung davon auf, dass gemeinsame Ehrfurcht und gemeinsame Seelenfreude die Grundlage der echten Menschengemeinschaft sind.« (MBW 17, 44)

Diese Menschlichkeit blieb Buber zeit seines Lebens erhalten. Sie war wohl auch die Grundlage, dass ihm aus aller Welt und aus allen Gesellschaftsschichten eine sich nie erschöpfende Woge der Zuneigung entgegenschlug. Er fand auch, trotz einer schier übermenschlichen Arbeitslast, immer wieder Zeit, mit jungen Menschen zu sprechen und sich ihrer ganz persönlichen Nöte anzunehmen. Bezeichnend dafür ist die Begegnung mit Yael Dayan, der Tochter von Israels berühmtem General Moshe Dayan. Dominique Bourel, der Verfasser einer meisterhaften Bio­graphie über Buber, überliefert diese sie nachhaltig prä­gende Begegnung, wie sie Yael berichtet: »Er empfing uns Sechzehnjährige wie gleichaltrige Freunde und unterhielt sich ernsthaft mit uns zwei Stunden lang in seinem Arbeitszimmer und im Garten seines Hauses, erklärte, der Weg zum Glauben sei gefühlsmäßig, und die Liebe zum Mitmenschen und die schöpferische Arbeit werde uns auch zum Glauben leiten. Er beantwortete unsere gewiss naiven und kindischen Fragen geduldig und liebevoll, als ob wir die Ersten wären, die je mit solchen Fragen gerungen hätten. In meinem Gedächtnis sind keine genauen Zitate von Bubers Worten haften geblieben, die Begegnung war aber ein ungewöhnliches Erlebnis, etwa wie ein Besuch bei einem Propheten und Lehrmeister, von dem ein allgemeiner Gefühlseindruck zurückbleibt, aber keine Details aus dem Gespräch.«*

Diese mit der jugendlichen Unschuld eines reinen Herzens geschriebenen Worte treffen auf berührende Weise das Leben jenes Mannes, den nicht wenige – bis hin zu seinem äußeren Erscheinungsbild – als einen Verkünder des WORTES empfanden. Manchen schien er tatsächlich wie ein Prophet aus ferner Zeit zu sprechen; aber in Wirklichkeit verdeutlicht jene Charakterisierung nur, dass Buber etwas Zeitloses umgab. Dieses Zeitlose gilt es einzuholen, zu bewahren und weiterzugeben. Es ist jene Botschaft von Buber für kommende Generationen, welche in jedem Einzelnen auf neue, je einmalige Weise dazu beiträgt, das Geheimnis von MENSCHLICHKEIT zu enthüllen.

So soll auch dieses Buch nicht allein als Lektüre dienen, sondern es möge über sich selbst hinausweisen und zum GESPRÄCH anregen, in genau jenem Sinne, wie der große Martin Buber sein eigenes Wirken verstanden wissen wollte.

»Ich muss es immer wieder sagen: Ich habe keine Lehre. Ich zeige nur etwas. Ich zeige Wirklichkeit, ich zeige etwas an der Wirklichkeit, was nicht oder zu wenig gesehen worden ist. Ich nehme ihn, der mir zuhört, an der Hand und führe ihn zum Fenster. Ich stoße das Fenster auf und zeige hinaus.

Ich habe keine Lehre, aber ich führe ein Gespräch.« (MBW 12, 471)

 

 


 

* Dominique Bourel, Martin Buber, Gütersloh 2017, S.633