Sidonie Hellénon, geboren in Martinique, Hausangestellte bei einer jüdischen Familie in Bordeaux, wird 1943 verhaftet und nach Ravensbrück deportiert. Aus Gesprächen mit Überlebenden und historischen Recherchen rekonstruiert Michèle Maillet die Erlebnisse einer schwarzen Frau im Konzentrationslager.
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Michèle Maillet arbeitete in Frankreich als Fernsehansagerin und lebt heute als Schauspielerin, Journalistin und Schriftstellerin in Paris und Martinique. 1991 wurde die Autorin mit dem französischen Antirassismus-Preis ausgezeichnet.
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Schwarzer Stern
Mit einem Nachwort zur Neuausgabe von Peter Martin
Aus dem Französischen von Bettina Schäfer
E-Book-Ausgabe
Unionsverlag
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Die Originalausgabe erschien 1990 bei Éditions Bourin, Paris.
Die deutsche Erstausgabe erschien 1994 im Orlanda Frauenverlag, BerlinOriginaltitel: L’Étoile Noire (1990)
© der deutschen Übersetzung by Orlanda Verlag GmbH, Berlin
© by Unionsverlag, Zürich 2021
Alle Rechte vorbehalten
Umschlag: Andrea Vumbaca (Alamy Stock Photo)
Umschlaggestaltung: Peter Löffelholz
ISBN 978-3-293-31116-9
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Für Blanchette,
für meinen Vater
Kein schöneres Gedenken
Gibt es ein schöneres Gedenken
dieser Vergangenheit,
offen
und vollendet zugleich,
als die Zärtlichkeit,
die unendliche Zärtlichkeit,
die überleben lässt …
LEON GONTRAN DAMAS,
Pigments – Névralgies
Tür auf! Schnell! … Los! Schnell! Frau Sidonie! Öffnen Sie!«
Zuerst ein dumpfes Klopfen, dann hartes Hämmern an der Tür, vermutlich Fausthiebe und Tritte oder Stöße mit dem Gewehrkolben gegen das Holz. Als die Schläge einen Moment aufhören, setzen Geschrei und Gebrüll wieder ein.
Nur ein paar Sekunden, dann fahre ich aus meinem Halbschlaf auf und bin schon auf den Beinen. Im Hinausgehen schließe ich die Schlafzimmertür hinter mir. Ich laufe in die Küche ans Fenster und werfe einen Blick hinaus. Und verstehe nicht ganz …
Sie wirken wie Schatten im Park, aber ich erkenne sie.
Mechanisch fahre ich mir mit beiden Händen über das Gesicht, wie immer, wenn jemand an die Tür klopft, und beeile mich zu öffnen. Sie stoßen mich nach drinnen und bauen sich mitten in der Küche vor mir auf. Vier Soldaten in schweren Stiefeln und Uniform und zwei Zivile in Regenmänteln.
Ich gehe auf sie zu, sie stellen sich mir entgegen, ich weiche zurück. Einer der beiden in Zivil schreit: »Los, los!« Darauf verstummt er. Aller Augen richten sich auf mich. Die Soldaten starren mich entgeistert an, dann brechen sie plötzlich in lautes Gelächter aus. Ich fange an zu zittern. Ich höre Worte, ohne sie zu verstehen: »Negerin! Eine Negerin! Frau Sidonie eine Negerin. Unglaublich!«
»Los, Jude!«
In diesem Augenblick begreife ich die aberwitzige Situation: Razzia! Das hier ist eine Razzia, und mich halten sie für eine Jüdin. Eine schwarze Jüdin. Und sie fragen sich, ob das sein kann. Jetzt mache ich zum ersten Mal den Mund auf, beinahe gelassen und selbstsicher: »Nicht Jude. Katholikin. Ich bin katholisch.«
Wie zum Beweis, aber ganz unwillkürlich kommt eine Handbewegung aus mir – das Kreuzzeichen –, und ich bete zur Jungfrau Maria. In meinem Schlafzimmer brennt immer noch die Kerze vor ihrem Bildnis.
»Jude, Negerin, tut nichts. Dieselbe Schweinerei!« Einer der Zivilen hat gesprochen. Ich erahne den Sinn der Worte, die ich undeutlich verstehen kann: Jüdin, Schwarze, Schwein. Dieselbe Schweinerei, dieselbe Sippschaft. Solches Gerede ist mir schon hier und da zu Ohren gekommen. Ich habe nie besondere Aufmerksamkeit darauf verschwendet. Aber ich merke, dass es mir nichts nützen wird, auf die Religion zu pochen. Das Schlagwort, das von Mund zu Mund geht, hinter vorgehaltener Hand, heißt nicht »Glaube«, sondern »Rasse«.
Einer in Zivil zeigt auf meine Schlafzimmertür. »Wer ist da drin?«
Mir fallen die Kerze und das Heiligenbild wieder ein. Ich antworte einfach: »Das ist mein Schlafzimmer.«
Gleich daneben, die andere Tür. Er geht hin. Seine Hand schließt sich um den weißen Porzellanknauf. Aus meinem tiefsten Innern löst sich ein wortloses Gebet, flehentlich und verzweifelt. Dass er nur den Griff nicht herumdreht, nicht diese Tür da öffnet! Er wendet sich zu mir um. Ich bin sicher, dass er meine Angst spürte, mich durchschaut hat. Er weiß, dass ich innerlich bete, diese Tür soll geschlossen bleiben.
Jetzt steht sie offen. Ein Rechteck aus fahlem Licht hebt sich vom Fußboden ab. Die Küchenlampe leuchtet nur bis zum Esstisch und lässt das übrige Zimmer im Halbdunkel.
Der Mann dringt in den Raum ein, tastet seitlich am Türrahmen entlang nach dem Lichtschalter. Aus und vorbei. Er hat ihn gefunden und drückt darauf. Etwas muss jetzt geschehen, ich muss retten, was noch zu retten ist. Ich halte nicht länger an mich, stürze auf ihn zu und fange an zu reden. Ich suche nach Worten. Dabei merke ich, wie ungeschickt ich bin und dass ich, anstatt ihn abzulenken, ins offene Messer laufe: »Die Kinder, die gehören nicht zu mir. Besuch. Ferien. Ich kenne sie nicht.«
Er geht zum Bett hinüber, ich folge ihm. Nur zwei dunkle Mulden in den Kissen sind zu sehen, alles Weitere ist unter den Decken geborgen. Das Bettzeug fliegt zurück, und zwei kleine braune Köpfe tauchen auf: Nicaise und Désiré, meine Zwillinge. Sie sind wach wie am helllichten Tag, ein wenig erstaunt und beinahe lustig. Als ich sehe, wie sie sich aufsetzen, wird mir die Offensichtlichkeit meiner Lüge bewusst: Wer wird denn glauben, dass sie nicht zu mir gehören? Wie sonst ist ihre Hautfarbe zu erklären?
Die beiden Gesichtchen vor mir rühren mich an, ich werde ganz zärtlich gestimmt. Der Mann neben dem Bett ist sicherlich in keiner vergleichbaren Stimmung: »Auch die Kinder! Auf, los!«
Die Uhr in der Küche schlägt vier. Bis jetzt hatte ich keine Vorstellung davon, wie spät oder früh es sein könnte. Ich muss gestern Abend angezogen auf meinem Bett eingeschlafen sein. Oft nutze ich die Ruhe am Abend, um zu nähen, und nicke dabei manchmal über meiner Arbeit ein.
Aber heute ist die Nacht für alle vorbei. Im ersten Stock höre ich Gebrüll. Wieder dieselben Worte: »Los! Schnell, schnell!« Das Getrampel schwerer Stiefel, und Waffen, die an Wände schlagen. Sie haben das ganze Schloss gestürmt. Monsieur Dubreuil und seine Frau werden sie mitnehmen … Es ist wohl, was ich dachte: eine Razzia. Und ich werde mit den anderen zusammengeworfen.
Wieso? Warum denn eine Razzia in diesem stillen Winkel bei Bordeaux?
Gestern beim Einkaufen hörte ich, dass ein deutscher Offizier zusammengeschlagen worden war. Ich hätte mir denken können, dass das Folgen haben würde, Repressalien, und dass »Exempel statuiert« würden, wie es hieß. Ich hätte meine Koffer packen und wegfahren sollen, meine Kinder wegbringen. Ich hätte … was? Was tun sollen? Wohin gehen?
All diese Geschichten schienen im Grunde so weit weg, das alles betraf uns nicht. Heute Nacht betrifft es uns. Bis zu dem Moment, als laut an die Eingangstür gehämmert wurde, passierten solche Sachen nur anderen. Plötzlich ist mein eigenes Leben bedroht und das meiner Kinder. Und das Leben der Dubreuils. Ich wusste, dass Madame Dubreuil Jüdin ist. Doch es ist mir abstrakt geblieben. Anderen vielleicht nicht. Vielleicht sind die Dubreuils denunziert worden? Sicher, sie gehört einer anderen »Rasse« an als ich, doch in meiner Umgebung treffe ich immer nur auf Menschen einer anderen »Rasse« als meiner, so gesehen …
Monsieur und Madame Dubreuil habe ich sehr gerne. Sie sind immer sehr nett zu mir gewesen. Dennoch habe ich mit alldem nichts zu tun. Und meine Kinder auch nicht. Sie können meine Kinder nicht mitnehmen.
Nicaise und Désiré sind aufgestanden und zittern vor Kälte und Müdigkeit, aber sie lächeln. Ich helfe ihnen beim Anziehen, und währenddessen sage ich immer wieder zu den Soldaten und Zivilen: »Ich bin keine Jüdin. Katholisch. Französin. Martinikanerin. Aus Martinique …«
Ihre einzige Antwort besteht in wiederholtem »Negerin« und Lachen. Sie geben mir Zeichen mit der Hand, ich soll mich beeilen und meine Sachen packen.
Meine Sachen packen. Wohin fahren wir überhaupt? Und für wie lange? Mein Blick heftet sich an die vertrauten Gegenstände in der Küche: an den Wasserhahn, den ich vor zwei Tagen alleine repariert habe, das ordentlich an die Wand geklappte Geschirrgestell, und vorne auf dem Tisch das Buch, über dem mein Sohn Désiré beinahe jeden Abend einschläft.
Dann ging alles sehr schnell. Keine Zeit zum Nachdenken. Eine Tasche, und Sachen für mich und die Kinder schnell hineingepackt. Noch ein kurzer Blick in mein Zimmer, das im Unterschied zur Küche ganz allein mir gehört: das Foto meiner Mutter vor unserem Haus, weit weg, auf der Insel, ein alter Stich mit naiver Handkolorierung, auf dem eine martinikanische Landschaft zu sehen ist, und auf dem Bett der schöne Madrasüberwurf und darauf meine Näharbeit – ein Kleid, das ich heimlich angefangen habe, für Nicaise’ sechsten Geburtstag im März. In der Ecke das Bildnis der Heiligen Jungfrau. Ich blase die Kerze aus. Was soll ich mitnehmen? Dinge, die uns am Leben erhalten? Dinge, die die Erinnerung wachhalten? Etwas zum Beten? Etwas zu essen?
»Schnell, schnell!«
Worte wie Knüppelhiebe. Alles geht so schnell, dass wir im Handumdrehen draußen vor den Lastwagen stehen. Im Park sind gleich mehrere vorgefahren. Es ist sehr kalt in dieser Dezembernacht.
Die Motoren laufen, und zwei Deutsche mit Maschinengewehren bewachen uns beim Einsteigen. Als sie mich und die Kinder herankommen sehen, fangen sie an zu lachen: »Eine Negerin! Schwarz wie die Nacht!« Und immer, wenn sie den Mund aufmachen, kommt eine kleine fahle Wolke heraus. Der Park wirkt in der Dunkelheit erschreckend viel kleiner als sonst. Ich helfe den Kindern hinauf auf den Lastwagen.
Für einen Moment halte ich inne, sehe die tragische Ironie, die Ungeheuerlichkeit dieser Geste: Ich helfe ihnen auch noch dabei, ins Ungewisse abzureisen, einem Schicksal entgegen, das ich noch mehr für sie als für mich fürchte. Aber schon höre ich wieder das »Schnell! Schnell!«, und mir bleibt keine Zeit mehr zum Nachdenken.
Ich versuche, die hellen Flecken, die Gesichter all derer, die schon unter der Lastwagenplane sitzen, zu erkennen. Weder Monsieur noch Madame Dubreuil sind auszumachen. Vielleicht mussten sie in ein anderes Fahrzeug steigen. Ihre Gegenwart hätte mich beruhigt. Ich hätte sie gebeten, den Deutschen zu sagen, dass ich katholisch bin, und sie hätten sich für mich eingesetzt. Sie haben mich immer respektiert, mich und alles, was mich mit meiner Insel verbindet. Madame Dubreuil sprach oft mit mir über die Antillen und bat mich manchmal, sie in die Geheimnisse der kreolischen Kochkunst einzuweihen, die ich von meiner Mutter gelernt habe.
Die Lastwagen setzen sich in Bewegung und rollen aus dem Park hinaus. Kieselsteine knirschen unter den Reifen. Dann fängt die glatte Straße an, ein paar Minuten später müssen wir schon im nächsten Vorort von Bordeaux sein. Wir halten an. Wieder das Gebrüll. Der Lastwagen wird aufgerissen, und weitere Personen steigen ein. Die Soldaten stoßen und drücken uns nach hinten wie Vieh.
Ich versuche, meine Kinder zu schützen, die zwischen den Erwachsenen kaum Luft bekommen. Sie haben seit dem Aufstehen noch kein Wort gesagt. Ich weiß, dass sie abwarten, bis wir allein sind, um ihre Fragen zu stellen. Immer heben sie, was sie zu sagen haben, für unsere vertrauten Momente auf. Meine armen Kleinen, wenn ich nur wüsste, wann wir wieder für uns sein werden. Aus ihren Blicken spricht mehr Neugier als Angst.
Ein erneuter Halt. Und wieder Abfahrt. An den Kurven, den Richtungswechseln, an den Zonen aus Licht und Schatten, die durch die Plane schimmern, versuche ich, unsere Route abzulesen. Das La-Bastide-Viertel, die Stadtkirche. Weiter unten stelle ich mir die Garonne vor, ein stiller Fluss im Winter, bis zu den Frühjahrsstürmen. Und die Häuser am Ufer, die sich im Wasser spiegeln – eine chinesische Tuschezeichnung. Ich versuche, mich zu orientieren. Mir scheint, wir befinden uns auf der Nationalstraße 10. Aber warum? Wohin fahren wir nur?
Meine Blicke und die einer Frau, die beim letzten Halt eingestiegen ist, begegnen sich. Ihre Augen stellen dieselbe wortlose Frage. Dennoch wendet sie sich ab. Ich kenne diese Frau, und sie kennt mich. Oft wechselten wir ein paar Worte, wenn wir in einem Laden zusammentrafen. Heute tut sie, als hätte sie mich noch nie gesehen. Ich frage mich, wen sie eigentlich nicht wiedererkennen will: Sidonie, die Frau mit der schwarzen Hautfarbe, oder Sidonie, die Haushälterin einer Jüdin?
Kein Mensch im ganzen Wagen sagt ein Wort, und doch bin ich sicher, dass wir uns gerade jetzt nötig brauchten. Seit ich hier drinnen bin, halte ich Ausschau nach einem bekannten Gesicht, nach einem wohlwollenden Blick, ein paar leisen Trostworten oder Erklärungen. Aber diese Frau, die mich kennt, bleibt stur wie alle, die von nichts wissen wollen. Empörung regt sich in mir. Gewiss ist das jetzt vielleicht nebensächlich, aber eine Frage drängt sich mir immer wieder auf: Warum ignoriert mich diese Frau? Weil ich nur eine Hausangestellte bin? Weil sie sich nicht mit einer »Negerin« kompromittieren will?
Im Augenblick bin ich eine Französin wie sie und von den Deutschen verhaftet wie sie. Ja, Französin, ganz und gar, Blutstropfen für Blutstropfen. Mein Vater war Franzose und Weltkriegsteilnehmer. Er starb an den Spätfolgen seiner Kriegsverletzungen; zu viel Blut war auf französischem Boden vergossen worden. Auch einer meiner Onkel kam um, weil er Franzose war. Beerdigt im Massengrab von Douaumont. Und bei mir zu Hause, im Frankreich auf der anderen Seite des Ozeans, da kannten wir die Geschichte der Schlacht von Verdun auswendig. Oder die Kämpfe um den Wald bei Caures, wo mein Onkel Thémistocle 1916 fiel … Und was macht mein Onkel Armand seit der Besetzung Frankreichs? In Sainte Lucie, im Süden der Insel, hat er sich an die Spitze der Widerstandsbewegung gesetzt. Vom 18. Juni 1940 an, als einige wenige TSF-Sender den Aufruf des General de Gaulle brachten, sind fast alle Männer mit den erstbesten Booten zu den englischen Inseln aufgebrochen. Viele von ihnen sind vermisst, von starken Strömungen oder vom Sturm hinausgetrieben worden, wie mein Bruder Remy …
Inzwischen schlafen die Kinder, eingezwängt zwischen Koffern und Knien von Erwachsenen. Sie werden hin und her geschüttelt, und dieser Anblick schneidet mir noch mehr ins Herz als die Erinnerungen an die Vergangenheit oder die Gleichgültigkeit dieser Frau, die mich einfach nicht mehr kennen will.