Zum Buch

Was denken Frauen* über Sex? Was erfüllt sie? Was hätten sie lieber nicht erlebt? 51 Frauen* stehen Rede und Antwort, Frauen* jeden Alters, aus allen Teilen der Welt und allen gesellschaftlichen Schichten. Neben heterosexuellen, bisexuellen und lesbischen Frauen kommen pansexuelle und trans Frauen zu Wort ebenso wie nicht-binäre Menschen. Sie erzählen von Selbstachtung, Scham und Schmerz, Body Positivity, Lust und Tabus. Entstanden ist ein einzigartiges Dokument von sexueller Selbstentdeckung und dem sich wandelnden Verständnis von Sexualität. Innovative Künstler*innen runden die Texte mit ihren Illustrationen auf ganz besondere Weise ab.

Zur Autorin

Lucy-Anne Holmes, Autorin, Schauspielerin und Aktivistin, hat bereits mehrere Bücher veröffentlicht, die in zahlreichen Ländern erschienen sind. Sie initiierte erfolgreich die No-More-Page-3-Kampagne gegen die »Oben ohne«-Fotos auf Seite 3 der Boulevardzeitung The Sun. Dafür wurde sie von der BBC zu einer der wichtigsten Frauen des Jahres 2014 ernannt. Lucy-Anne Holmes lebt mit ihrer Familie in der Nähe von London.

Beim Sex habe ich mir oft den Kopf zerbrochen, ob ich etwas falsch oder richtig machte, aber es schien selten einen Unterschied zwischen beidem zu geben.

– melodie

Melodie

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GROSSBRITANNIEN

Bevor ich anfing, selbst Sex zu haben, dachte ich, es sei diese absolute Wahnsinnssache. Nach dem, was ich darüber gelesen und von anderen gehört hatte, erwartete ich mir etwas Spektakuläres. Ich machte mir keine Vorstellung davon, wie schräg das Ganze in echt sein würde.

Mein Ex-Freund war fast immer derjenige, der die Initiative ergriff. Das war ganz okay für mich. Mir ist es lieber, wenn mein Partner die Dinge in die Hand nimmt. Normalerweise fing es mit leichten Berührungen am Busen an und, wenn ich Glück hatte, unten an meiner Vulva. Wenn er besonders abenteuerlustig drauf war, machten wir es in der Dusche. Sex in der Dusche klingt in der Theorie immer super, aber bei glitschigen Oberflächen und Körpern muss man ständig aufpassen, dass man nicht ausrutscht – ganz zu schweigen davon, dass einem richtig kalt wird, wenn man außerhalb des Duschstrahls ist!

Er fingerte mich in allen Stellungen, außer wenn ich auf dem Rücken lag, was mir jedoch am liebsten ist. Es gelang ihm nie, meine Klitoris ausfindig zu machen. Einmal dachte ich mir, ich helfe ihm einfach mal dabei, also schob ich seinen Finger an die richtige Stelle, damit er merkte, wo sie sich befand. Er streifte sie genau zwei Mal, rutschte dann wieder weg und rubbelte an meinen Vulvalippen herum. Er merkte überhaupt nicht, dass er nicht mehr an meiner Klitoris war. Ich musste wirklich lachen.

Manchmal kam es mir so vor, als wolle er mich eher untersuchen, statt lustvollen Sex mit mir zu haben. Es war offensichtlich, dass er nicht wirklich wusste, was er tat, und die meiste Zeit lag ich da und dachte: »Meine Güte, ist das plump, können wir bitte endlich zur Sache kommen?« Wahrscheinlich wäre es eine schönere Erfahrung gewesen, wenn er beim Vorspiel wirklich drauf geachtet hätte, was ich mag und was nicht. Wie mit einem Presslufthammer bearbeitet zu werden, tut nie gut.

Mit Oralsex wurde ich genau ein Mal von ihm bedacht, und es war schrecklich. Er hörte immer wieder damit auf, um kaltes Wasser zu trinken, und legte dann wieder los. So eine kalte Zunge fühlt sich überhaupt nicht gut an! Ich war viel zu unsicher; ich wusste nicht, was die adäquate Reaktion darauf war. Ich hab ihm ein paarmal einen geblasen. Hin und wieder mag ich das, aber ich muss in der Stimmung dazu sein, damit es mir auch wirklich Spaß macht, ansonsten fühlt es sich bloß wie eine lästige Pflicht an.

Er hat vor dem Vögeln immer Gleitgel verwendet. Der Sex selbst war okay; manchmal war es schmerzhaft, vor allem beim Eindringen. Das Gleitgel half. Nach all dem andern Quatsch fühlte sich die Penetration gut an.

Einmal wäre mittendrin beinahe seine Mutter hereingeplatzt. Er zog sich hektisch an, um die Tür aufzumachen, während ich mich unter der Decke verstecken und so tun musste, als wäre mir kalt. Es war mitten im Sommer. Sie hat garantiert gemerkt, was los war, aber glücklicherweise hat sie nichts gesagt.

Als er es dann endlich hatte, war mir schon die Lust vergangen, also saß ich da, und wir unterhielten uns verlegen, bis er mich wieder losgebunden hatte.

Ich hatte noch nie einen Orgasmus, damals mit ihm nicht und seitdem auch nicht. Ich weiß nicht, warum. Auch so was wie Selbstbefriedigung funktioniert bei mir nicht. Ich versuche, mir einzureden, dass das bei manchen Menschen einfach so ist oder dass es daran liegt, dass ich noch nicht die richtige Art und Weise für mich herausgefunden habe, aber es verunsichert mich schon ziemlich. Ich mach mir Sorgen, dass irgendetwas mit mir nicht stimmt.

Ich wurde als Jugendliche nicht groß über Sex aufgeklärt. Mit ungefähr vierzehn faszinierte mich das Thema BDSM, und tatsächlich lernte ich durch die BDSM-Community am meisten über Sex. Beim Lesen in öffentlichen Foren begriff ich, was »einvernehmlich« beim Sex wirklich bedeutet, nämlich, dass man lustvoll zustimmt, anstatt nur einfach zu nicken oder »na gut« zu murmeln. Ich erfuhr auch viel über solche Dinge wie Ansteckungsgefahren und wie leicht etwas schiefgehen kann. Dank dieser Community wusste ich, dass ich nach dem Sex pinkeln sollte, als ich mit achtzehn dann aktiv wurde. Und auch was ein Harnwegsinfekt ist, als ich zum ersten Mal einen hatte. Somit wusste ich, dass bei mir nichts falsch ist, und auch, was ich dagegen tun konnte.

Unser Safeword war »rot« – darauf hatten wir uns geeinigt, als wir anfingen, Sex zu haben, auch wenn wir es letztendlich nie gebrauchten. Ich dachte, es wäre peinlich, über so etwas zu reden, aber das Gespräch war dann eigentlich total unaufgeregt und locker. Meistens hatten wir ganz normalen Nullachtfünfzehn-Sex, aber er besorgte auch ein richtiges Bondage-Seil und versuchte einmal, daraus eine Art Geschirr für mich zu knoten. Er rief ein YouTube-Tutorial auf, und ich saß nackt da, während er immer wieder im Video nachsah, wie er das Seil richtig anlegen musste.

Als er es dann endlich hatte, war mir schon die Lust vergangen, also saß ich da, und wir unterhielten uns verlegen, bis er mich wieder losgebunden hatte.

Beim Sex habe ich mir oft den Kopf zerbrochen, ob ich etwas falsch oder richtig machte, aber es schien selten einen Unterschied zwischen beidem zu geben.

Illustration von © Natalie Krim

Ich sehe Zahlen und Farben, wenn ich einen Orgasmus habe.

white tulip

White Tulip

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japan

Das letzte Mal, dass ich Sex hatte, war vor einem halben Jahr mit einem Freund mit gewissen Vorzügen.

Wir hatten Drinks in einem Izakaya. Er meinte: »Lass uns noch zu mir gehen.« Und ich sagte: »Klingt gut.«

Auf seinem Sofa schauten wir uns tief in die Augen, und dann küsste er mich. Ich wollte einerseits, dass es richtig langsam geht, aber andererseits auch richtig schnell zu dem Teil kommen, bei dem er in mich eindringt.

Er zog mir den BH aus; es war total erregend. Ich bin sehr stolz auf meinen Busen.

Ich sagte: »Die hast du vermisst, stimmts?«

Er meinte: »O ja, und wie!«

Aber ich ließ ihn meine Brüste nicht anfassen. Er versuchte es, und ich wehrte ab: »M-mh, noch nicht!« Ich mag solche Spielchen; wenn er es sich verdienen muss, dann bemüht er sich mehr, mich zu beeindrucken. In seinem Kopf würde es so ablaufen: Klamotten runter, bisschen fummeln, lecken und dann Sex. Aber nicht mit mir! Da muss er sich schon mehr einfallen lassen. Das macht das Ganze spontaner. Ich mag ganz viel Vorspiel – Küssen, Kuscheln, Küsse am Hals, Berührungen, all die Dinge, die Spaß machen –, dadurch entsteht eine Verbindung, durch die zwei Menschen eins werden.

Ich fing an Sachen zu machen, von denen ich weiß, dass er sie mag: Ich spielte an seinen Ohren herum, saugte daran und kniff ihn in die Nippel. Als er es kaum noch aushalten konnte, bettelte er: »O mein Gott, bitte, lass mich dich anfassen.« Und ich sagte: »Okay, jetzt kannst du machen, was du willst.«

Es gefiel mir richtig gut, wie er an meinen Brüsten herumspielte. Ich habe sehr empfindliche Nippel. Ich dachte: Verdammt, das fühlt sich vielleicht gut an!

Am meisten hasse ich es, wenn Kerle versuchen, das nachzumachen, was sie in Pornos sehen. Das fühlt sich überhaupt nicht gut an. Wenn er also in den Pornostarmodus verfällt, sage ich: »Hey, Junge, komm mal wieder runter!«

Beim Sex ist es wichtig, dass man herausfindet, was einem gefällt, aber man ist auch eine Inspiration für den Menschen, mit dem man Sex hat.

Ein Typ hat mir beigebracht, wie man Blowjobs gibt. Anstatt einfach nur wahllos überall herumzulecken, gibt es da eine bestimmte Stelle, ein umgedrehtes Herz oben am Schaft, wo es sich für ihn richtig gut anfühlt. Also sorge ich dafür, dass ich diesen Punkt erwische.

Ich wollte ewig nicht, dass mich jemand leckt. Frauen pinkeln, kacken und haben ihre Periode da unten; man hört von Pilzinfektionen, Ausfluss und seltsamem Geruch und Geschmack. Doch dann traf ich jemanden, der sagte: »Bitte, ich will das.« Also meinte ich: »Okay, aber auf deine Verantwortung.« Es war der WAHNSINN. Seitdem bin ich da sehr offen: Wie ich dir, so du mir. Gleiches Recht für alle!

Wenn ich ihn lange genug scharfgemacht habe und er mich, dann mag ich es, wenn sein Penis ganz nah ist und mit einem Stoß in mir sein könnte, er es aber noch ein bisschen hinauszögert.

Es mag abgedroschen klingen, aber ich will, dass japanische Frauen sich darüber klar werden, dass es ihr Leben ist, ihr Körper und dass sie ihr Schicksal selbst bestimmen dürfen.

Ich mag es total, wenn er in mich eindringt. Es ist eine körperliche Verbindung, heiß und erotisch, aber für mich ist da auch immer ein bisschen Befangenheit dabei; es ist sehr persönlich, und man gibt sich irgendwie preis.

Meine Lieblingsstellung ist, wenn ich oben auf einem Mann sitze und wir uns ansehen. Meine Brüste sind direkt vor seinem Gesicht, und er kann mit ihnen anstellen, was er will. Und auch unsere Gesichter sind nah genug, also können wir uns auch küssen. Es gibt mir ein Gefühl der Kontrolle.

Ich sehe Zahlen und Farben, wenn ich einen Orgasmus habe. Wenn ich es mir selber mache, sehe ich eine Drei oder eine Sechs und kühle Farben – Blau, Lila, Grün, manchmal auch Weiß. Aber wenn es mit einem Partner ist, sind es eher Orange-, Rot- oder Pinktöne, und ich sehe eine Sieben oder eine Acht. Ich glaube, dass ich unterbewusst die Intensität messe.

Wenn ich in meiner Freundschaft Plus Sex habe, ist das eigentlich immer ein schönes Erlebnis. Aber ich hatte auch schon negative Erfahrungen mit anderen Männern.

Einmal, noch an der Universität, habe ich in einem Club diesen Typen kennengelernt. Wir gingen zusammen in ein Love Hotel. Er meinte, ich könne mich ausruhen, weil ich am nächsten Morgen früh rausmusste, doch dann nutzte er die Tatsache aus, dass ich schlief. Es war eine Vergewaltigung. Ich wurde schwanger. Ich habe das Kind nicht behalten, weil ich nicht die finanziellen Voraussetzungen dafür hatte. Ich ging in eine Klinik.

Damals glaubte ich, dass es meine Schuld war. Ich wurde den Gedanken nicht los, dass, wenn ich nur nicht in diesem Club gewesen und mit diesem Mann mitgegangen wäre oder bloß rechtzeitig aufgewacht und die Situation unter Kontrolle gebracht hätte, ich diese schwierige Entscheidung nie hätte treffen müssen. Aber nachdem ich sehr lange daran gekaut hatte, wurde mir bewusst, dass das unfair mir selbst gegenüber war, dass ich das Opfer war und dass, wenn ich mir das ewig selbst vorwerfen und mich damit quälen würde, der Täter gewonnen hätte. Da begann ich, die Kontrolle über meine Sexualität wiederzugewinnen.

Es mag abgedroschen klingen, aber ich will, dass japanische Frauen sich darüber klar werden, dass es ihr Leben ist, ihr Körper und dass sie ihr Schicksal selbst bestimmen dürfen.

Illustration von © MariNaomi

Alles, was ich über Sex weiß, habe ich mir selbst beigebracht.

cal

cal

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GROSSBRITANNIEN

Ich identifiziere mich selbst nicht als Frau, aber sehr wohl mit den Frauen dieser Welt.

Sex hat eine große Bedeutung für mich, und ich bin sicher, das ist auch bei anderen trans Personen so. Wir lassen andere auf so intime Weise an unseren Körpern teilhaben. Es ist ein emotionaler Raum. Und es ist einer der wenigen Bereiche, wo ich das Gefühl habe, so wahrgenommen zu werden, wie ich bin.

Ich bin gerne der große Löffel, aber anfangs ergreife ich nicht die Initiative. Ich glaube, das ist so eine Sache bei Butch-Frauen oder eher männlichen Personen; für uns ist Scham ein Riesenthema, und ich möchte keine toxische Männlichkeit ausleben oder Frauen so behandeln, wie ich es oft bei heterosexuellen Männern gegenüber Frauen beobachte.

Es gibt Gespräche, die ich mit den Menschen, mit denen ich schlafe, führen muss. Das erste ist:

»Ich bin nicht-binär, ›they/them‹* ist mein Pronomen. Ich möchte nicht, dass du feminine Bezeichnungen wie schön oder hübsch für mich verwendest.«

Wenn ich die ersten Male Sex mit jemandem habe, dann einfach nur mit meinem Körper, wie er ist. Nachdem wir drei- oder viermal miteinander geschlafen haben, beginne ich das Gespräch darüber, einen Strap-on-Dildo zu benutzen. Viele queere Frauen benutzen einen Strap-on, aber ich nenne ihn »Schwanz« und sehe ihn nicht als Sexspielzeug. Viele, mit denen ich zusammen war, sind von Männern sehr verletzt worden, und ich will immer ein sicherer Ort für die Menschen sein, mit denen ich zusammen bin – Wörter und Aussagen wie »Schwanz« oder »Lass uns ficken« können verstörend auf sie wirken.

Mein Lieblingsschwanz hat ein lilafarbenes Glitzerwirbelmuster. Er ist aus einem gummiartigen Material und hat eine recht große Spitze. Ich schnalle ihn mir unter einer Hose um, die vorne eine kleine Tasche hat. Wenn jemand meinen Schwanz berührt, fühlt es sich für mich an, als würde ein Teil von mir berührt.

Wenn ich jemanden abschleppe, habe ich eher härteren Sex – man schaut ja niemandem tief in die Augen, den man gerade erst kennengelernt hat –, aber den besten Sex habe ich, wenn echte Gefühle im Spiel sind, wenn es ganz innig und vertraut ist und wir uns richtig viel Zeit lassen – mindestens zweieinhalb Stunden. Dann will ich die Person richtig scharfmachen und ihr zeigen, wie sehr ich sie liebe, und mich um sie kümmere, ohne Worte. Aber ich schaue ihr auch gerne tief in die Augen, wenn ich sie berühre, und sage ihr, dass ich sie liebe oder was mir an dieser Stelle ihres Körpers besonders gefällt. Und ich mag es auch, wenn man mir sagt, dass ich gut aussehe.

Manchmal fragt sie* aber auch einfach: »Kannst du mich ficken?«

Ich fange immer mit etwas ganz Sanftem an, wie einem Kuss. Von außen wird einem ständig vermittelt, dass Sex hart und schnell sein muss, aber wenn man richtig angetörnt ist, kann auch schon die kleinste Berührung echt viel bewirken. Ich küsse meine Partner*innen gerne auf die Wange, Stirn, die Nase oder das Kinn. Ich will sie spüren lassen, dass ich jeden Teil von ihnen liebe. Ich küsse sogar ihre Arme, Schultern und Waden – nur mit Füßen hab ich’s nicht so, die mag ich nicht küssen!

Wenn jemand richtig erregt ist, dann ist es nicht nur die Vagina, dann wird der ganze Bereich drumherum super reizempfänglich. Der entscheidende Trick ist, dass ich die Person lange überall küsse, außer auf ihre Klitoris. Ich küsse die Vulvalippen, die Seiten, die Hüften. Wenn ich sie dann später auf die Klitoris küsse, soll es sich wie ein großer Moment anfühlen. Vielleicht hab ich sie schon lang genug heißgemacht, aber dann küsse ich noch mal ihre Oberschenkel.

Manchmal, wenn wir Sex haben, sage ich: »Das würde sich für mich gut anfühlen, was hältst du davon?«

Manchmal fragt sie* aber auch einfach: »Kannst du mich ficken?«

Dann lege ich mich auf sie*, oder sie* setzt sich auf mich, und wenn ich meinen Strap-on anhabe, nehme ich sie* von hinten. Es reibt an meiner Klit und fühlt sich echt gut an, aber es ist auch anstrengend, ein richtiges Work-out.

Alles, was ich über Sex weiß, habe ich mir selbst beigebracht. Früher habe ich Sachen über Sex in Online-Magazinen für queere Frauen wie Scarleteen oder Autostraddle gelesen. Darin geht es nicht nur rein um Sex, sondern eher um Respekt, Einfühlsamkeit, das Achten von Grenzen, den Austausch darüber, was okay ist und was nicht und was einen anmacht. Ich denke, das ist es, was guten Sex ausmacht, und nicht, dass man hundert verschiedene Stellungen kennt.


* Im Deutschen hat sich noch kein einheitlicher Gebrauch von Pronomen für nicht-binäre Menschen durchgesetzt. Es existieren verschiedene Bezeichnungen, und nicht-binäre Menschen sagen ihr Pronomen oft einfach zu ihrem Namen dazu, neben er/sie etwa auch em, hen, x, xier u. a. (Anm. d. Red.).

Illustration von © BÁrbara Malagoli

Wenn ich Sex habe, versuche ich, das von meinem in der Vergangenheit erlebten Trauma zu trennen, was die Dinge kompliziert macht.

audrey

audrey

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usa

Sex hat mich schon immer fasziniert. Anfangs war er wie ein Mysterium, für das ich mich nicht zu interessieren hatte, also tat ich natürlich genau das.

Zum ersten Mal mit Sex in Berührung kam ich mit fünf Jahren, als ich eine unschöne sexuelle Begegnung mit einem anderen Kind hatte, etwas, von dem ich erst vor Kurzem begriffen habe, dass es Missbrauch war.

Diese Erfahrung hat Misstrauen und Angst in mir geschürt, was vielleicht der Grund dafür ist, dass ich bisher nur eine sehr begrenzte Anzahl von Partnern hatte. Mir ist bewusst: Wenn ich Sex habe, versuche ich, das von meinem in der Vergangenheit erlebten Trauma zu trennen, was die Dinge kompliziert macht.

Ich fühle mich immer am wohlsten damit, wenn ich diejenige bin, die die Option auf den Tisch bringt, weil ich dann ein Element von Kontrolle habe. Ich kann sehr subtil sein – jemandem an den Haaren herumspielen oder an seinem Hemdsaum herumnesteln –, aber auch ganz direkt: Einmal habe ich einen Typen in der Arbeit angerufen und ihm gesagt, dass er in einen Abstellraum gehen soll, damit wir Telefonsex haben können.

Ich habe nie Sex in meinem Bett oder überhaupt in meiner Wohnung. Ich bin Autorin und arbeite zu Hause, und da ist es mir wichtig, dass dieser Bereich privat bleibt und nicht zu einem Ort wird, der Erinnerungen wachruft, weil das selten gute Erinnerungen sind, wenn es um Sex geht.

Ich habe ein so schwieriges Verhältnis zu meinem Körper, dass es eine große Sache für mich ist, jemandem zu erlauben, mich zu berühren. Ein Typ wollte einmal meinen Bauch anfassen, und da fühlte ich mich so was von abstoßend, weil das der Teil meines Körpers ist, den ich am wenigsten leiden kann. Die Tatsache, dass er die Aufmerksamkeit darauf lenkte, verwandelte das Ganze in diesen riesigen lila Elefanten, der uns anstarrte, und da konnte ich überhaupt nichts mehr machen.

Früher war es mir unheimlich peinlich, wenn mich jemand oral befriedigte. Aber dann hatte ich diesen Partner, der wahnsinnig gut darin war. Das hat meine Meinung definitiv geändert. Wenn man sich darüber austauscht und es mit Bedacht gemacht wird, mag ich es mittlerweile eigentlich ganz gerne. Auch weil es zu den wenigen Momenten zählt, in denen ich mich gehen lassen und abschalten kann. Dann verliere ich mich und gebe plötzlich Geräusche von mir, die mir eigentlich gar nicht ähnlich klingen. Ich mag das Gefühl, allem zu entfliehen.

Meine Gefühle, wenn es darum geht, dass ich selbst jemanden oral befriedige, sind kompliziert. Schon so oft hat ein Typ versucht, meinen Kopf in seinen Schritt zu drücken. Das ist absolut nicht okay. Aber es gab auch schon Momente, da hat es mir gefallen, weil es mir wieder das gute Gefühl von Kontrolle gab; es fühlte sich gut an, weil ich es verstand, jemandem Lust zu bereiten. Aber wenn man mir sagen würde, dass ich nie wieder einen Schwanz lutschen dürfte, dann würde ich das definitiv überleben. Mein letzter fester Freund mochte es auch gar nicht, wenn ich ihm einen blies, weil er die Vorstellung nicht loswurde, dass es für eine Frau ein bisschen entwürdigend ist, und in gewisser Weise sehe ich das auch so. Aber so was ist echt selten.

Es fällt mir schwer, mich zu entspannen, wenn jemand sich in mich reinschiebt. Ich stelle mir dann unwillkürlich vor, wie jemand versucht, einen ganzen Truthahn in meine Vagina zu stopfen.

Ich bin auch nicht der größte Fan von Geschlechtsverkehr. Bei meinen besten »Sex«-Erlebnissen spielte er jedenfalls selten eine Rolle. Es fällt mir schwer, mich zu entspannen, wenn jemand sich in mich reinschiebt. Ich stelle mir dann unwillkürlich vor, wie jemand versucht, einen ganzen Truthahn in meine Vagina zu stopfen. Und wenn meine Gedanken erst mal in so absurde Richtungen gehen, bin ich raus.

Da lasse ich mich lieber stundenlang streicheln, küssen und lecken. Ich mag es, wenn sie sanft sind. Zieh nicht an meinen Haaren, krall dich nicht an meinem Hintern fest und bloß keine Klapse – nirgendwohin. Aber ich liebe es, wenn dein Mund leicht über meinen Hals oder meine Brust wandert.

Menschen, die richtig schlechte und verstörende Erfahrungen mit Sex gemacht haben, insbesondere in jungen Jahren, erleben ihn anders als diejenigen mit einer normaleren Entwicklung. Es ist schwierig, einen Partner zu finden, der dafür Verständnis hat und der jemandem, der versucht, nach einer traumatischen Erfahrung wieder eine Verbindung zu Sex aufzubauen, genug Raum zum Atmen gibt. Ich glaube, es erfordert viel innere Arbeit. Sicher, darüber reden hilft, aber letztendlich muss man den Weg zurück zum Spaß am Sex selbst für sich finden.

Illustration von © Arnelle Woker

Manchmal muss ich beim Sex plötzlich an meinen Vater denken.

salma

salma

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Libanon

Lange Zeit hatte ich Angst, meine Jungfräulichkeit zu verlieren.

Ich stamme aus einem traditionellen christlichen Dorf. Dort konnten Männer vor der Hochzeit mit so vielen Frauen schlafen, wie sie wollten, aber Frauen mussten Jungfrauen bleiben. Im Libanon wollen Männer in der Hochzeitsnacht noch heute manchmal Blut sehen, auf dem Laken, oder wie es aus dir rauskommt.

Es ist traurig, aber ich habe nie gedacht, dass der erste Sex ein wundervolles Tun zwischen zwei Menschen sein kann.

Mein erster Freund betrog mich ständig. Danach hatte ich noch einen anderen Partner, aber er war sehr übergriffig. Er war ständig eifersüchtig; alles konnte ihn aus der Fassung bringen. Ich hatte ihm ein Foto meiner Brüste anvertraut, etwas das Mädchen eben manchmal machen. Glücklicherweise hat er es selbst gelöscht, weil er meinte, er könne sich selbst nicht trauen, dass er es aus Wut nicht doch einmal teilt. Stattdessen bombardierte er mich mit Anrufen und beschimpfte mich als Hure. Es ging so weit, dass ich ihn sogar einmal in der Schule melden musste. Als er daraufhin von der Schule flog, rief er mich an und drohte mir, mich umzubringen, wenn er mich das nächste Mal sähe.

Heute arbeite ich für eine Organisation, die Frauen hilft, die unter häuslicher Gewalt leiden. Auch mein Vater verhielt sich meiner Mutter gegenüber gewalttätig, und dieses Muster wiederholte sich in meinen frühen Beziehungen.

Manchmal muss ich beim Sex plötzlich an meinen Vater denken. Als es zum ersten Mal passierte, machte mir das Angst – ich schaute meinem Partner in die Augen und sah das Gesicht meines Vaters. Das war wirklich unangenehm und beängstigend. Wenn mir das jetzt passiert, versuche ich, mich auf meinen Partner zu konzentrieren. Manchmal sage ich dann auch, dass er aufhören soll, und rede vielleicht sogar darüber, was in mir vorgeht. Ein früherer Freund hat das sehr schlecht aufgenommen, aber mein jetziger unterstützt mich bei der Verarbeitung. Unsere Beziehung basiert auf offener Kommunikation und Vertrauen, und wir versuchen, die Tabus, mit denen wir aufgewachsen sind, zu überwinden.

Wenn ich richtig Lust habe, mache ich gerne Bauchtanz für ihn. Dann habe ich einen langen Rock und einen BH an. Manchmal lasse ich den BH auch weg.

Ich mag es, wenn er mich am Hals küsst und mir nette Dinge sagt und wenn das dann dazu führt, dass er meine Brüste küsst. Wenn er mich rund um die Nippel mit der Zunge stimuliert und ganz sanft daran saugt, während er mir in die Augen schaut. Und mich dann weiter am ganzen Körper küsst, bis er zu meiner Vulva und meiner Klitoris gelangt. Ich mag Oralsex; das törnt mich richtig an und bringt mich zum Höhepunkt.

Nach dem Sex fühle ich mich entspannt oder echt hungrig und habe Lust auf Pizza. Manchmal setzt es etwas in mir frei, und ich weine. Manchmal wallt auch der Gedanke in mir auf: »Liebe ich diesen Menschen?«

Wir haben ausprobiert, wie ich mehrere Orgasmen hintereinander bekommen kann; das ist etwas, worin er mich wirklich bestärkt. Ich komme mit Cunnilingus, und dann dringt er in mich ein, und ich komme noch einmal.

Doggystyle mag ich nicht so, das erinnert mich zu sehr an Pornos, und dann fühle ich mich wie ein Objekt. Aber ich mag die Löffelchenstellung total gerne, wenn er hinter mir liegt. Ich glaube, das ist meine Lieblingsstellung. Ich mag es auch, wenn er auf dem Rücken liegt und ich mich rückwärts auf ihn setze, sodass ich zu seinen Beinen schaue, und wenn wir beide sitzen und uns eng umschlungen halten.

Manchmal stelle ich mir beim Sex vor, wie ich gerade aussehe, blicke wie von außen auf mich. Oder ich stelle mir vor, dass wir von ein paar attraktiven Männern dabei beobachtet werden. Manchmal denke ich auch an Frauen.

Ich bin bisexuell. Als ich noch ganz jung war, fand ich es toll, meine Sexualität mit anderen Mädchen zu erkunden. Zum ersten Mal passierte das, als ich acht oder neun war – eine Freundin und ich küssten uns gegenseitig auf die Nippel und berührten uns im Intimbereich. Es gab viele Mädchen in meinem Leben, mit denen ich das gerne gemacht habe. Nach ein paar Jahren erwischte mich meine Mutter einmal dabei. Ich schämte mich zwar, aber ein Teil von mir empfand es nicht als falsch. Trotzdem habe ich es danach nicht mehr getan, bis vor ein paar Jahren.

Nach dem Sex fühle ich mich entspannt oder echt hungrig und habe Lust auf Pizza. Manchmal setzt es etwas in mir frei, und ich weine. Manchmal wallt auch der Gedanke in mir auf: »Liebe ich diesen Menschen?«

ILLUSTRATION VON © NIKKI PECK