Zum Buch:

Sacha ist 16, sie isst kein Fleisch und erledigt alles zu Fuß. Ihr größtes Problem ist der drohende Untergang der Welt und dass sie in ihrer Familie die Einzige ist, die etwas dagegen unternimmt. Ein anderes großes Problem ist ihr Bruder Robert, 13, ein hochbegabter, die Schule schwänzender Einstein-Fan und eine geniale Nervensäge. Ihre Mutter und ihr Vater haben Probleme miteinander, und dann ist da noch das Virus und der Lockdown …. So weit die Gegenwart.

In der Vergangenheit verbringen ein anderer Bruder und eine andere Schwester einen wunderschönen Sommer, obwohl sie wissen, dass die Zeit gegen sie arbeitet …

Eine Geschichte über Menschen, denen große Veränderungen bevorstehen. Sie sind eine Familie und glauben doch, Fremde zu sein. Wo beginnt die Familie? Und was verbindet Menschen, die glauben, nichts miteinander gemein zu haben? – Der Sommer.

»Das grandiose Finale eines herrlichen, ineinander verschlungenen Quartetts.« The Telegraph

Zur Autorin:

Ali Smith wurde 1962 in Inverness in Schottland geboren und lebt in Cambridge. Sie hat mehrere Romane und Erzählbände veröffentlicht und zahlreiche Preise erhalten. Sie ist Mitglied der Royal Society of Literature und wurde 2015 zum Commander of the Order of the British Empire ernannt. Ihr Roman »Beides sein« wurde 2014 ausgezeichnet mit dem Costa Novel Award, dem Saltire Society Literary Book of the Year Award, dem Goldsmiths Prize und 2015 mit dem Baileys Women’s Prize for Fiction. Mit »Herbst« kam die Autorin 2017 zum vierten Mal auf die Shortlist des Man Booker Prize und stand in Deutschland auf der SWR-Bestenliste, »Frühling« wurde auf die ORF-Bestenliste gewählt. In Großbritannien waren alle Bände des Jahreszeitenquartetts Bestseller.

Zur Übersetzerin:

Silvia Morawetz, mehrfach mit Stipendien ausgezeichnete Übersetzerin, hat u. a. Steven Bloom, Paul Harding, James Kelman, Joyce Carol Oates und Anne Sexton ins Deutsche übertragen.

Ali Smith

Sommer

Roman

Aus dem Englischen
von Silvia Morawetz

Luchterhand

Die Originalausgabe erschien 2020 unter dem Titel Summer bei Hamish Hamilton, einem Imprint von Penguin Random House Ltd., London.

Virginia Woolf, Zwischen den Akten, übersetzt von Adelheid Dormagen © S. Fischer Verlag GmbH, Frankfurt a. M. 1999


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Copyright © der Originalausgabe 2020 Ali Smith

Copyright © der deutschsprachigen Ausgabe 2021 Luchterhand Literaturverlag in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH, Neumarkter Straße 28, 81673 München

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Berechtigte Ansprüche mögen bitte dem Verlag gemeldet werden.

Umschlaggestaltung: buxdesign | München, unter Verwendung einer Illustration von © Ruth Botzenhardt

Satz: Uhl + Massopust, Aalen

ISBN: 978-3-641-22300-7
V001

www.luchterhand-literaturverlag.de

facebook.com/luchterhandverlag

für meine Schwestern
Maree Morrison
Anne MacLeod

meine Freunde
Paul Bailey
Bridget Hannigan

nicht zu vergessen
meine Freundin
Sarah Daniel

und für
meine Heidelbeerfreundin
Sarah Wood

Es war eine Sommernacht, und sie redeten in dem großen Zimmer, die Fenster offen zum Garten hin, über die Senkgrube.
Virginia Woolf

Herr, erhalte mein Gedächtnis frisch!
Charles Dickens

Wie tief die Dunkelheit auch sei, wir müssen das Licht selbst mitbringen.
Stanley Kubrick

Ich dachte mir, dieser Mensch, er oder sie, brächte mich in ein Land, sonnig, hoch oben, wo Glück, wusste ich, nur ein Augenblick war, Feuer, leise knisternd im Kamin, das allen Kummer zu Asche verbrennt, wenn das ginge, der Rest Schlacke, um den wir trauern, wenn Särge so schrecklich nüchtern versinken in Rauch, in Getöse, in Licht, in nahezu nichts. Dieses nicht ganz Nichts, ich preise es, schreibe es.
Edwin Morgan

Sie ist warm!
William Shakespeare

Eins

Alle sagten: und?

Wie bei und, weiter? Wie bei Achselzucken oder was soll ich da deiner Meinung nach tun? oder das ist mir so was von scheißegal oder find ich gut, mir soll’s recht sein.

Okay, nicht alle sagten es. Ich spreche von gängigen Redensarten wie das machen doch alle. Ich meine, damals, zu dem Zeitpunkt, hörte man diese abschätzige Äußerung dauernd; sie war so was wie ein Lackmus. Ungefähr in der Zeit kam es in Mode, so zu tun, als interessierte einen das nicht. Es kam auch in Mode zu behaupten, diejenigen, die es interessierte oder die sagten, es interessiere sie, seien ent­weder hoffnungslose Loser oder wollten sich nur aufspielen.

Als wäre das schon ewig her.

Ist es aber nicht – es ist nur ein paar Monate her, dass man Leute, die ihr ganzes oder fast ihr ganzes Leben in diesem Land gelebt hatten, festnahm und mit Abschiebung bedrohte oder gleich abschob: und?

Und dass eine Regierung ihr eigenes Parlament in eine Zwangspause schickte, weil sie nicht das gewünschte Ergebnis bekam: und?

Dass so viele durch ihre Wahlentscheidung Leute an die Macht brachten, die ihnen direkt in die Augen schauten und sie anlogen: und?

Dass ein Kontinent brannte und ein anderer schmolz: und?

Dass die Mächtigen überall auf der Welt anfingen, Menschen aufgrund von Religion, ethnischer Herkunft, Sexualität, intellektuell oder politisch abweichender Meinung herabzusetzen: und?

Doch nein. Stimmt. Das sagten nicht alle.

Bei weitem nicht.

Millionen von Menschen sagten es nicht.

Millionen und Abermillionen, im ganzen Land und auf der ganzen Welt, sahen das Lügen, sahen, wie übel Menschen und dem Planeten mitgespielt wurde, und erhoben die Stimme, auf Demonstrationen, bei Protesten, bei Wahlen, in Wort und Schrift, mischten sich ein, im Radio, im Fernsehen, in den sozialen Medien, Tweet um Tweet, Seite um Seite.

Woraufhin diejenigen, die wussten, was für eine starke Waffe es ist, einfach nur und? zu sagen, es im Radio, im Fernsehen, in sozialen Medien, Tweet um Tweet, Seite um Seite sagten: und?

Ich meine, ich könnte mein ganzes Leben lang aufzählen, mich dazu äußern und anhand von Quellen und Diagrammen, Beispielen und Statistiken darlegen, was, wie die Geschichte verdeutlicht, geschieht, wenn wir gleichgültig sind und welche Folgen die politische Förderung der Gleichgültigkeit hat, was jeder, der das in Abrede stellen will, im Handumdrehen wieder vom Tisch wischen kann mit einem kleinen:

und?

Also.

Stattdessen hier etwas, was ich mal gesehen habe.

Es ist ein Bild aus einem Film, vor ungefähr siebzig Jahren in Großbritannien gedreht, nicht lange nach Ende des Zweiten Weltkriegs.

Der Film wurde in London von einer jungen Künstlerin gedreht, die aus Italien nach London kam, als die Stadt sich wie viele andere wieder aufrappeln musste in diesen fast ein Menschenalter zurückliegenden Jahren, nachdem überall auf der Welt zehnmillionenfach Menschen allen Alters vor ihrer Zeit gestorben waren.

Es ist das Bild eines Mannes mit zwei Koffern in der Hand.

Er ist schmächtig, jung, ein verstörter, vorsichtiger Mensch, schmuck mit Hut und Jackett, leichtfüßig, aber kein Bruder Leichtfuß; auch wenn er nicht zwei Koffer trüge, trägt er unverkennbar an einer Last. Ernst und mager, tief in Gedanken und schrecklich konzentriert zeichnet er sich gegen den Himmel ab, weil er auf dem sehr schmalen Sims balanciert, der um ein Backsteingebäude verläuft, und dort einen wilden Freudentanz aufführt, die kaputten Dächer Londons hinter sich; nein, genauer, die Dächer sind weit unter ihm.

Wie macht er das, so schnell gehen, ohne von der Ge­bäude­kante zu stürzen?

Wie kann das, was er tut, so ungestüm und dabei so anmutig sein, so bezwingend und zugleich so unbekümmert?

Wie macht er das, die beiden Gepäckstücke so durch die Luft schwenken und dabei im Gleichgewicht bleiben? Wie kriegt er das hin, in dem Tempo unmittelbar neben einem jähen Abgrund entlanglaufen?

Warum wagt er alles?

Es wäre sinnlos, Ihnen ein Standbild oder ein Foto davon zu zeigen. Das Bild lebt davon, dass es sich bewegt.

Mehrere Sekunden dauert dieser verrückte Drahtseilakt, bei dem er ausgelassen und fröhlich über der Stadt tänzelt, viel zu schnell im Zickzack an der Dachkante entlangrennt, die nur einen Backstein breit ist.

Also: