Cover

Grenzenlos

Buch

Der Dunkelelf Drizzt Do’Urden und seine Freunde kämpfen an allen Fronten, um das Zwergenkönigreich Gauntlgrym gegen die anrückenden Dämonenhorden zu verteidigen. Die Zwergenfestung ist stark, und König Bruenor kann auf schlagkräftige Verbündete zählen. Doch im Hintergrund zieht die Spinnengöttin Lolth selbst die Fäden. Ihre Dienerinnen hetzen zwei unbesiegbare und unsterbliche Kreaturen auf Drizzt und seinen Vater, um so König Bruenors beste Kämpfer zu beseitigen. Es ist ein Kampf, den nicht einmal der sagenumwobene Dunkelelf überleben kann …

Autor

R. A. Salvatore wurde 1959 in Massachusetts geboren, wo er auch heute noch lebt. Bereits sein erster Roman »Der gesprungene Kristall« machte ihn bekannt und legte den Grundstein zu seiner weltweit beliebten Romanserie um den Dunkelelf Drizzt Do’Urden. Die Fans lieben Salvatores Bücher vor allem wegen seiner plastischen Schilderungen von Kampfhandlungen und seiner farbigen Erzählweise.

Die Legende von Drizzt bei Blanvalet:

Menzoberranzan

Die Dunkelelfen · Die Rache der Dunkelelfen · Der Fluch der Dunkelelfen

Das Eiswindtal

Der gesprungene Kristall · Die silbernen Ströme · Der magische Stein

Das Vermächtnis des Dunkelelfen

Das Vermächtnis · Nacht ohne Sterne · Brüder des Dunkels · Die Küste der Schwerter

Pfade der Dunkelheit

Kristall der Finsternis · Schattenzeit · Die Rückkehr der Hoffnung

Die Söldner

Der schwarze Zauber · Der Hexenkönig · Die Drachen der Blutsteinlande

Die Klingen des Jägers

Die Invasion der Orks · Kampf der Kreaturen · Die zwei Schwerter

Übergänge

Der König der Orks · Der Piratenkönig · Der König der Geister

Niewinter

Gauntlgrym · Niewinter · Charons Klaue · Die letzte Grenze

The Sundering – Die Gefährten

Das Buch der Gefährten

Die Nacht des Jägers · Der Aufstieg des Königs · Die Vergeltung des Eisernen Zwerges

Die Heimkehr

Meister der Magie · Meister der Intrige · Meister des Kampfes

Generationen

Zeitenlos · Grenzenlos

Weitere Titel in Vorbereitung

Außerdem: Erzählungen vom Dunkelelf

Besuchen Sie uns auch auf www.instagram.com/blanvalet.verlag und www.facebook.com/blanvalet.

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Roman

Deutsch
von Imke Brodersen

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Die Originalausgabe erschien 2019 unter dem Titel »Boundless

A Drizzt Novel (Generations 2)« bei Harper Voyager, New York.

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.

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Copyright der Originalausgabe © 2019
by Wizards of the Coast LLC

Published by arrangement with Harper Voyager,
an imprint of HarperCollins Publishers, LLC.

FORGOTTEN REALMS, NEVERWINTER,
DUNGEONS & DRAGONS, D&D, WIZARDS OF THE COAST
and their respective logos are trademarks of Wizards
of the Coast LLC in the U.S.A. and other countries.

© 2019 Wizards of the Coast LLC. Licensed by Hasbro.

Published in the Federal Republic of Germany
by Blanvalet Verlag, München

Copyright der deutschsprachigen Ausgabe © 2022
by Blanvalet in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH,
Neumarkterstr. 28, 81673 München

Redaktion: Alexander Groß

Covergestaltung: Isabelle Hirtz, Inkcraft
nach einer Originalvorlage von Harper Voyager

Coverdesign: Richard L. Aquan

Covermotiv: Aleksi Briclot

HK · Herstellung: sam

Satz und E-Book-Konvertierung: GGP Media GmbH, Pößneck

ISBN 978-3-641-26653-0
V001

www.blanvalet.de

Für Diane.
Und für Julian, Camillo, Dominic, Charlie und Owen, die nächste Generation, während die wunderbare Reise weitergeht.

Dramatis Personae

In der Vergangenheit … nur Drow

Haus Do’Urden

Oberin Malice Do’Urden: Die kampflustige, junge Anführerin von Haus Do’Urden, ehrgeizig und unersättlich. Fest entschlossen, eines Tages in der Hierarchie der knapp achtzig Häuser von Menzoberranzan so weit aufzusteigen, bis sie einen Sitz im Herrschenden Konzil erhält, der nur den acht führenden Häusern zusteht.

Zaknafein Do’Urden: Früher Waffenmeister von Haus Simfray. Bei der Schlacht, in der sein Haus unterging, wurde Zaknafein entführt und der unersättlichen, ehrgeizigen Oberin Malice übergeben. Er dient ihr als Waffenmeister und Liebhaber. Dank Zaknafein gilt Haus Do’Urden als echte Bedrohung für viele höherrangige Häuser.

Lehnsherr Rizzen Do’Urden: Der offizielle Gefährte von Malice. Vater von Nalfein. Die ehrgeizige Malice hält ihn für unglaublich mittelmäßig.

Nalfein Do’Urden: Ältester Sohn von Malice. Nalfein ist genau das, was von einem Vater wie Lehnsherr Rizzen zu erwarten ist.

Briza Do’Urden: Älteste Tochter von Malice. Ungewöhnlich groß und breit, sehr mächtig.

Haus Xorlarrin

Oberin Zeerith Xorlarrin: Mächtige Anführerin des Vierten Hauses der Stadt.

Horoodissomoth Xorlarrin: Hauszauberer und ehemaliger Lehrmeister von Sorcere, der Drow-Akademie für arkane Magie.

Kiriy Xorlarrin: Priesterin der Lolth, Tochter von Zeerith und Horoodissomoth.

Haus Simfray:

Oberin Divine Simfray: Herrscherin über ihr kleines Haus.

Haus Tr’arach

Oberin Hauzz Tr’arach: Verstorbene Oberin ihres kleinen Hauses.

Duvon Tr’arach: Sohn von Oberin Hauzz. Waffenmeister des Hauses. Will sich unbedingt bewähren.

Daungelina Tr’arach: Älteste Tochter von Oberin Hauzz und Erste Priesterin des Hauses.

Dab’nay Tr’arach: Tochter von Oberin Hauzz. Steht seit dem Fall ihres Hauses vorerst im Dienst von Jarlaxle.

Haus Baenre

Oberinmutter Yvonnel Baenre: Auch als Yvonnel die Ewige bekannt. Oberinmutter Baenre ist unangefochtenes Oberhaupt nicht nur des Ersten Hauses, sondern von ganz Menzoberranzan. Auch andere Familien können ihre Oberinnen zwar als Oberinmutter ansprechen, aber als »die Oberinmutter« der Stadt gilt Yvonnel Baenre. Sie ist die älteste lebende Drow und hat diese Machtposition schon länger inne, als sich jeder andere Bewohner der Stadt erinnern kann.

Gromph Baenre: Oberinmutter Baenres ältestes Kind. Erzmagier von Menzoberranzan, höchstrangiger Mann der Stadt und in den Augen vieler der mächtigste Zauberer im gesamten Unterreich.

Dantrag Baenre: Sohn von Oberinmutter Baenre. Waffenmeister ihres Hauses. Gilt als einer der größten Krieger der Stadt.

Triel, Quenthel und Sos’Umptu Baenre: Drei Töchter von Oberinmutter Baenre. Priesterinnen der Lolth.

Weitere wichtige Drow:

K’yorl Odran: Oberin von Haus Oblodra, das für seine Beherrschung der seltsamen Gedankenmagie, Psionik, bekannt ist.

Jarlaxle: Schurke ohne Haus und Gründer von Bregan D’aerthe, einer Söldnerbande, die unauffällig Dienste für diverse Drow-Häuser erledigt, vor allem aber auf den eigenen Vorteil bedacht ist.

Arathis Hune: Stellvertreter von Jarlaxle und herausragender Assassine. Wie viele andere Mitglieder von Bregan D’aerthe nach dem Zusammenbruch seines Hauses zur Bande gestoßen.

In der Gegenwart … viele Völker.

Drizzt Do’Urden: Geboren in Menzoberranzan, vor der Bosheit der Stadt geflohen. Drow-Krieger, Held des Nordens, einer der Gefährten der Halle.

Catti-brie: Menschenfrau, Frau von Drizzt. Auserwählte der Göttin Mielikki. In der arkanen und heiligen Magie bewandert. Gefährtin der Halle.

Regis alias Spinne Paraffin: Halbling. Mann von Donnola Topolino. Anführer der Halblingstadt Rebenblut. Gefährte der Halle.

König Bruenor Heldenhammer: Achter König von Mithril-Halle, Zehnter König von Mithril-Halle, Dreizehnter König von Mithril-Halle, heute König von Gauntlgrym, einer uralten Zwergenstadt, die er mit seiner Zwergensippe zurückerobert hat. Gefährte der Halle. Adoptivvater von Wulfgar und Catti-brie.

Wulfgar: Geboren im Elchstamm im Eiswindtal. Der große Mann wurde von Bruenor in der Schlacht gefangen genommen und wuchs als Adoptivsohn des Zwergenkönigs auf. Gefährte der Halle.

Artemis Entreri: Ehemaliger Erzfeind von Drizzt. Mensch und Assassine, dem Drow-Krieger möglicherweise im Kampf gewachsen. Gehört heute zu Jarlaxles Bande, Bregan D’aerthe, und betrachtet Drizzt und die anderen Gefährten der Halle als seine Freunde.

Guenhwyvar: Magischer Panther, Begleiterin von Drizzt, wird von der Astralebene zu ihm gerufen.

Andahar: Magisches Einhorn, das Drizzt als Reittier herbeirufen kann. Im Gegensatz zu Guenhwyvar, die lebendig ist, ist Andahar ein rein magisches Wesen.

Lord Dagult Nieglut: Statthalter von Tiefwasser und Lordprotektor der Stadt Niewinter. Gutaussehender, ehrgeiziger Mensch.

Penelope Harpell: Anführerin der exzentrischen Zaubererfamilie Harpell. Schützt von ihrem Landsitz aus, dem Efeu-Herrenhaus, die Kleinstadt Langsattel. Penelope ist eine mächtige Zauberkundige, die Catti-brie unterweist und gelegentlich Stelldicheins mit Wulfgar hat.

Donnola Topolino: Halbling. Frau von Regis. Anführerin der Halblingstadt Rebenblut. Sie stammt aus Aglarond, weit im Osten, wo sie einst eine Diebesgilde leitete.

Inkeri Margaster: Adlige aus Tiefwasser. Gilt als Oberhaupt des Hauses Margaster von Tiefwasser.

Alvilda Margaster: Cousine von Inkeri. Ebenfalls Adlige aus Tiefwasser.

Brevindon Margaster: Inkeris Bruder, weiterer Adliger aus Tiefwasser.

Großmeister Kane: Mensch und Mönch, der seine sterbliche Hülle transzendiert hat und ein Wesen jenseits der Materiellen Ebene geworden ist. Kane ist Großmeister der Blumen im Kloster der Gelben Rose im fernen Damara. Als Freund und Mentor hilft er Drizzt, auf seinem turbulenten Weg endlich seinen Frieden zu finden.

Dahlia Syn’dalay (Dahlia Sin’felle): Eine große, schöne Waldelfe mit blauen Augen. Ihr Erscheinungsbild ist ebenso überraschend wie ihre brillante Kampfkunst. Eine Zeitlang war Dahlia mit Drizzt zusammen. Heute ist sie die Gefährtin von Artemis Entreri, und gemeinsam finden die beiden einen besseren Weg als jeder für sich allein.

Thibbledorf Pwent: Der kampfgestählte Zwerg ist in seiner scharfkantigen Stachelrüstung eine wandelnde Waffe. Seine Treue ist ebenso legendär wie der Gestank, der von ihm ausgeht. Seine schier selbstmörderischen Angriffe starteten stets mit dem Schrei: »Mein König!« Er ist in den Tiefen von Gauntlgrym bei der Rettung von König Bruenor umgekommen. Da er jedoch von einem Vampir getötet wurde, war dieser Tod nicht das Ende, und so spukt Pwent als verfluchtes, unglückliches Wesen durch die tiefsten Tunnel von Gauntlgrym, wo er seinen ewigen Hunger jenseits des Zwergenreichs mit Goblins stillt.

Die Brüder Felsenschulter, Ivan und Pikel: Ivan Felsenschulter ist ein in Ehren ergrauter Veteran vieler magischer und weltlicher Schlachten. Als Kommandant von Bruenors Wachen in Gauntlgrym hat der Zwerg eine Vertrauensposition inne.

Deutlich exzentrischer als Ivan ist sein Bruder Pikel. Er hat grüne Haare und betrachtet sich als Druiden (Duu-dad). Pikel unterstützt Donnola Topolino beim Anlegen erstklassiger Weinberge in Rebenblut. Sein begrenzter, schwer verständlicher Wortschatz unterstützt das täuschend unschuldige Auftreten dieses ziemlich mächtigen Zwergs.

Kimmuriel Oblodra: Ein mächtiger Drow-Psioniker, der mit Jarlaxle zusammen Bregan D’aerthe leitet. Er ist das logische Gegenstück zum emotionalen Jarlaxle, was Jarlaxle bewusst ist.

Unsterbliche

Lolth, Herrin des Chaos, Dämonenkönigin der Spinnen, Königin der Dämonennetzhöllen: Die mächtige Dämonin Lolth herrscht als einflussreichste Göttin der Drow besonders über die größte Drow-Stadt, Menzoberranzan, die wegen der Ergebenheit ihrer Bewohner auch als die Spinnenstadt bezeichnet wird. Die Herrin des Chaos macht ihrem Namen alle Ehre, indem sie ihre Anhänger stets auf Neue schockiert und ihre wahren Pläne unter dem Netz anderer Intrigen verhüllt, die offensichtlicher und verständlicher erscheinen. Ihr eigentliches Anliegen ist das Chaos.

Eskavidne und Yiccardaria: Diese Yochlol-Dämoninnen sind weniger mächtig und dienen Lolth als persönliche Zofen. Beide sind so gewieft und einfallsreich, dass Lolth ihnen bei ihren Besuchen bei den Drow viel Freiheit gewährt, damit sie alles hinreißend durcheinanderwirbeln.

Prolog

Das Jahr des Wiedererstandenen Zwergenvolks,
Zeitrechnung der Täler 1488

Regis hörte das Keuchen seines armen Ponys, aber er wagte nicht, langsamer zu reiten, denn die Schatten in den Schatten waren nicht weit – schwarze, ungeschlachte Wesen, brodelnd vor Bosheit und schwelender Wut.

Dämonen. Der ganze Wald war voller Dämonen.

Der Halbling suchte einen Weg durch die Bäume und trieb den armen Knurrbauch unablässig weiter. Hinter dem nächsten Felsen führte der Pfad in Richtung Süden auf eine Lichtung. Verstört registrierte Regis, wie stark sein braun-weißer Pinto schwitzte.

Immerhin konnte er jetzt eine kurze Pause einlegen, wenn auch nur, weil Showithal Terdidy, einer der Anführer der Grinsenden Ponys, von der anderen Seite auf die Lichtung geritten kam.

»Wo ist Doregardo?«, fragte Regis, als er seinen Freund erreichte.

Showithal nickte zurück zu dem Weg, von dem er kam. »Da kommen wir nicht durch«, sagte er. »Der Wald wimmelt nur so von Dämonen.«

»Und sie ziehen alle in dieselbe Richtung«, ergänzte Regis.

Showithal nickte. »Doregardo geht davon aus, dass ein größerer Plan dahintersteckt. Und dass die Monster von Rebenblut wissen«, teilte er Regis mit. »Allen Meldungen zufolge, die über unsere Linie laufen, schlagen sie einen großen Bogen und dürften dann alle auf einmal auf die Stadt losgehen.«

»Dann müssen wir vor ihnen da sein«, befahl Regis. »Macht alle kehrt und reitet um euer Leben. Beziehungsweise um das Leben von allen in Rebenblut!«

»Aber die Höfe … die Weiler …«

Regis schüttelte den Kopf. »Da kommt ihr niemals an. Und selbst wenn es euch gelänge, würdet ihr die Dämonen nur zu neuen Opfern führen. Die Bauern werden sie hören. Die leben schon immer hier draußen in der Wildnis. Sie werden sich verbarrikadieren. Ihr müsst nach Rebenblut. Ihr alle.«

»Wir alle, Spinne Paraffin«, betonte Showithal.

Regis schüttelte erneut den Kopf. »Tiefwasser muss davon erfahren«, erklärte er. Diese Worte fielen ihm unglaublich schwer. Er hätte nichts lieber getan, als umzukehren und nach Rebenblut zurückzugaloppieren, um sich mit seiner geliebten Donnola und dem braven Knurrbauch über die Loren nach Gauntlgrym in Sicherheit zu bringen. Aber das konnte er nicht. Nicht jetzt.

Nicht in diesem Leben.

In seinem früheren Leben war Regis das Anhängsel gewesen, das seinen geliebten Gefährten der Halle oft den Sieg erschwert hatte, anstatt ihnen zu helfen, ihre Ziele zu erreichen – so jedenfalls sah er das. Damals, vor all den Jahren, war Regis der unbedeutendste jener Helden gewesen. Dieses Mal hatte er bei seiner Wiedergeburt beschlossen, es anders zu machen. Er wollte keine Last sein. Er wollte ein Held sein, der sich der Freundschaft von Drizzt, Bruenor, Catti-brie und Wulfgar als würdig erwies.

Daher wusste er, was er zu tun hatte. Er musste nach Tiefwasser reiten, in die prächtige Krone des Nordens, die einflussreichste und mächtigste Stadt von Faerûn. Die Fürsten von Tiefwasser konnten den Ansturm der Dämonen zurückwerfen, und deshalb musste Regis zu ihnen.

»Wenn du nach Tiefwasser willst, reitest du nicht allein!«, beschloss Showithal und lenkte sein Pony neben Knurrbauch.

»Du informierst die Grinsenden Ponys, dass sie nach Rebenblut zurückmüssen«, befahl Regis. »Das ist ebenso wichtig.«

Geräusche im Wald ließen beide zwischen die Bäume spähen.

Dämonen.

»Los!«, befahl Regis und verpasste dem Pony von Showithal einen so kräftigen Klaps auf die Flanke, dass es einen Satz machte. Dann wendete er Knurrbauch und galoppierte in die Dunkelheit auf der anderen Seite davon.

Während er zwischen den Bäumen hindurchstob, folgten ihm schwere Schritte, und über ihm summte es im Blätterdach.

»Ich weiß, mein Freund«, flüsterte er dem armen Knurrbauch ins Ohr. »Dieses Stück noch, dann darfst du dich ausruhen.«

Er glaubte selbst nicht daran. Knurrbauch würde alles geben, ja, aber ihm war klar, dass er sein schönes blauäugiges Pony wahrscheinlich buchstäblich zu Tode reiten würde.

Andererseits hatte er keine Wahl.

Sie waren überall. Sie waren über ihm und sogar unter ihm, wie er entsetzt feststellte, als seitlich plötzlich der Boden aufbrach, riesige Scheren mit Leichtigkeit Baumwurzeln durchtrennten und ein massiger Dämon aus der Erde kroch. Mit langen Sätzen nahm ein breitschultriger, vierarmiger Glabrezu die Verfolgung auf, der das Tempo von Knurrbauch problemlos halten konnte.

Dicht hinter Regis folgte ein geierartiger Dämon, der halb flog, halb rannte.

Knurrbauchs Atmung wurde immer mühsamer, und Regis wusste, dass er diesem Dämon nicht mehr lange entfliehen konnte.

Dennoch sagte er störrisch: »Nein«, senkte den Kopf tiefer und trieb sein erschöpftes Tier zu einem halsbrecherischen Tempo an. Er hoffte nur, dass sie nicht an einem Baum landen würden.

Showithal Terdidy hielt Doregardo für den besten Halblingreiter aller Zeiten, und dies wurde gerade aufs Neue bestätigt: Mühelos lenkte Doregardo den schwarzen Hengst durch das Gewirr der Bäume, ohne bei Hindernissen oder Dickicht nennenswert langsamer zu werden. Jede Biegung sah er rechtzeitig voraus, lehnte sich in die Kurve und trieb sein Pony, dem er voll vertraute, vorwärts. Dass dieses Tier ihm ebenfalls vertraute, war unverkennbar.

Ein ganzer Schwarm Dämonen jagte Doregardo, darunter auch etliche, die er sehr geschickt von Showithal abgelenkt hatte. Doregardo würden sie nicht erwischen, glaubte Showithal.

Niemand erwischte den großen Doregardo von den Grinsenden Ponys.

Als er sein Pony bergab in die nächste Baumgruppe lenkte, waren ihm die Dämonen auf den Fersen. Trotz seiner Zuversicht hielt Showithal den Atem an und verzog das Gesicht, als die Bäume heftig in Bewegung gerieten und er das Knurren, Kreischen und Brüllen der Dämonen vernahm.

Aber da kam Doregardo auch schon seitlich herausgaloppiert. Bisher hatten er und sein Pony keinen Kratzer davongetragen, soweit Showithal das sehen konnte, und momentan hatte er die Verfolger abgeschüttelt. Der Kampf im Wald hingegen ging weiter.

Trotz der verzweifelten Lage musste Showithal Terdidy lächeln. Doregardo hatte die Dämonen gegeneinander gehetzt, und jetzt fielen die chaotischen Wesen mit Zähnen und Klauen übereinander her.

Als die beiden sich kurz darauf auf einer Lichtung wiedertrafen, war klar, dass Doregardo ihnen wertvolle Zeit verschafft hatte.

»Die ganze Truppe ist nach Rebenblut umgekehrt«, teilte Doregardo seinem Stellvertreter mit. »Wir haben keine Verluste, aber das wird nicht lange so bleiben.«

»Es sind einfach zu viele«, stimmte Showithal zu.

Wie aufs Stichwort gerieten die Büsche hinter ihnen in Bewegung, und gleich darauf brachen zwei groteske Dämonen auf die Lichtung. Die beiden Halblinge waren jedoch schon wieder in Bewegung. Doregardo ließ Showithal, der direkt auf die ferne Siedlung zupreschte, einen Vorsprung, während er selbst im Wald im Zickzack ritt.

Aber es tauchten immer mehr Schatten an ihren Flanken auf, und über ihnen summte es lautstark. Trotz aller Anstrengungen und aller taktischen Manöver von Doregardo wussten die beiden, dass sie in großen Schwierigkeiten steckten, als sie sich ein Stück weiter auf einem breiten Weg wiedersahen. Bald darauf erreichten sie gemeinsam die nächste Lichtung. Inzwischen verstanden sie das Ausmaß ihres Problems.

»Es werden andere durchkommen«, sagte Doregardo düster zu seinem Freund.

»Wir schaffen das!«, beharrte Showithal.

Doregardo nickte, war aber offenkundig nicht überzeugt. Showithal erging es ähnlich, denn inzwischen waren die Schatten vor ihnen und bewegten sich rechts und links zwischen den Bäumen.

»Also dann«, sagte Doregardo. »Du in gestrecktem Galopp. Kopf runter und vorwärts! Ich beschäftige unsere fiesen Verfolger. Grüß mir Spinne und Lady Donnola, ja?«

Er trieb sein Pony an, kam aber nicht weit, denn Showithal griff ihm in die Zügel und hielt ihn zurück.

Doregardo sah ihn fragend an.

»Wenn du sie ablenkst, werden sie mich letztlich doch erwischen«, sagte Showithal. »Das weißt du selbst. Nur Doregardo schafft es nach Rebenblut. Und nur allein.«

»Es werden auch andere schaffen«, beharrte Doregardo.

»Möglich. Aber willst du das Risiko eingehen? Wie viele werden sterben, wenn niemand sie warnt?«

»Dann warn du sie. Ich komme nach.«

»Nein«, sagte Showithal leise. »Reite du. So schnell du kannst.«

»Ich verschaffe dir einen Vorsprung.«

Die beiden Halblinge waren ihr Leben lang Freunde gewesen und seit Jahrzehnten Waffenbrüder. In dem langen Blick, den sie jetzt wechselten, lagen Freundschaft und brüderliche Liebe.

Und Akzeptanz.

»Los«, sagte Showithal.

Doregardo schüttelte wieder den Kopf.

»Sonst verschwendest du meine Tapferkeit!«, warnte Showithal.

Doregardo wollte antworten, doch es gab nichts mehr zu sagen. Er ging nicht davon aus, dass auch nur einer von ihnen den Wald lebend verlassen würde. Aber wenn jemand mit etwas Vorsprung eine gewisse Chance hatte, dann natürlich er. »Ich hoffe, Regis-Spinne schafft es nach Tiefwasser«, sagte er.

»Ich hoffe, Doregardo schafft es nach Rebenblut«, erwiderte Showithal. »Und ich hoffe, er bringt Lady Donnola und all die anderen hinter König Bruenors mächtigen Toren in Sicherheit.«

»Also bis dann, alter Freund!«, sagte Doregardo. »Wir sehen uns in Gauntlgrym. Daran werden die Dämonen sich die Zähne ausbeißen.«

Showithal nickte, fand aber nicht die Kraft zu einer vernehmlichen Antwort. Er ließ die Zügel los und verpasste Doregardos Schwarzem noch einen Klaps, als dieser an ihm vorbeitrabte.

Doregardo gab ihm die Sporen, und Showithal Terdidy zog sein Schwert.

Gegen die gewaltigen Monster, die in den Schatten lauerten, erschien ihm seine Waffe kläglich.

So sei es.

Trotz der Verfolger musste Regis sein Pony an dem steilen Abhang zügeln. Mit der rechten Hand griff der Halbling nach der Handarmbrust an seinem Hals und sah sich wiederholt um, denn er erwartete jeden Moment den Angriff eines riesigen Dämons. Er wusste, dass sie ganz in der Nähe waren, aber bisher war kein Angriff erfolgt.

Als das Gelände ebener wurde, atmete er erleichtert auf, bog um einen Felsen und ließ Knurrbauch weitergaloppieren.

Doch hier kannte Regis sich nicht aus. Er ritt aufs Geratewohl drauflos, und der Weg entpuppte sich als Sackgasse. Die Bäume vor ihm waren wie eine unüberwindbare Mauer. Er konnte nirgendwohin.

Regis zügelte sein Pony und fuhr herum. Er hatte nur zwei Möglichkeiten: umkehren oder Knurrbauch verlassen und zu Fuß in den Wald fliehen.

Jetzt tauchten an dem Felsen nicht weit hinter ihm zwei Monster auf: der riesige Dämon mit den vier Armen und der Hundeschnauze, der dreimal so groß war wie der Halbling, und ein zweiter, nicht viel kleinerer, der an eine absurde Kreuzung eines großen Zweibeiners mit einem Bussard erinnerte.

Regis dachte an seine kleinen Waffen und war sich sicher, dass jedes dieser Monster ihn auch allein in Stücke reißen konnte.

»Wir sterben zusammen, Knurrbauch«, sagte er, als die beiden sich langsam näherten. Sie hatten sich offenkundig abgestimmt und achteten darauf, ihm keinen Raum zu lassen, um an ihnen vorbeizustürmen und durchzubrechen. »Ich wüsste keinen tapfereren Weggefährten, mit dem ich diese letzten glorreichen Momente teilen wollte. Auf sie!«

Knurrbauch bäumte sich auf und wieherte, wie um seine Worte zu unterstreichen, und als das Pony wieder auf allen vieren stand, setzte Regis zum Sturmangriff an.

Dann aber stockte er und zog kräftiger an den Zügeln, um seinen schwitzenden Freund zurückzuhalten, denn die Dämonen wandten sich unvermittelt gegeneinander.

Das Geierwesen – ein Vrock – fuhr so plötzlich herum, dass es gegen seinen Begleiter taumelte, als es mit einem schrillen Kreischen hochhüpfte, mit seinen flügelartigen Armen wedelte und mit voller Wucht auf dem vierarmigen Monster landete. Dort oben riss es gewaltsam den Kopf nach vorn, um dem Dämon seinen spitzen Schnabel ins Fleisch zu hacken. Es zielte auf den Hals und hätte beinahe getroffen – womit der Kampf sofort zu Ende gewesen wäre. Aber der Glabrezu drehte sich gerade weit genug um, um dem Vrock die Schulter zuzuwenden. Sofort umschlossen seine zwei Scherenarme den Vrock, während der viel schwerere Glabrezu seine Drehung fortsetzte. Das brachte nicht nur seinen Angreifer, sondern auch ihn aus dem Gleichgewicht. Beide fielen zu Boden, wo sie wild um sich schlagend herumrollten, schlugen, bissen und hackten. Und die schrecklichen, großen Scheren schnappten und rissen tiefe Wunden in den Vrock, aus denen grüne Galle und schwarzes Blut spritzten.

Regis wusste nicht, was das zu bedeuten hatte. Ja, Dämonen waren extrem chaotisch und dafür berüchtigt, dass sie alles töteten, auch andere Dämonen. Aber eine so plötzliche Wende hatte er keinesfalls erwartet. Immerhin standen ein dicker Halbling und ein dickes kleines Pony als bequeme Mahlzeit vor ihnen.

Er war so geschockt, dass er zunächst zu keinerlei Reaktion fähig war, während die beiden Dämonenriesen voller Inbrunst aufeinander einschlugen. Die erschreckenden Geräusche, die seine Verfolger dabei von sich gaben, ließen ihn allerdings wiederholt zusammenzucken, und Knurrbauch tänzelte mit angelegten Ohren nervös zurück. Als erfahrener Reiter erkannte Regis, dass sein armes Pony kurz vor dem Zusammenbruch stand, wenn nicht vor Erschöpfung, dann vor Angst.

Das riss den Halbling aus seiner Benommenheit. Er beugte sich vor und redete beruhigend auf sein Tier ein. »Komm, Knurrbauch«, sagte er. »Ganz ruhig. Wir reiten einfach vorbei.«

Schritt für Schritt trieb er sein Pony in weitem Bogen vorwärts. Falls Ponys auf Zehenspitzen laufen könnten, tat Knurrbauch genau dies.

Regis würdigte die kämpfenden Dämonen keines Blickes. Er hielt sich gebückt, flüsterte Knurrbauch weiter ins Ohr und blieb bereit, das Pony erneut anzuspornen. Genau das kam ihm in den Sinn, als er und sein Tier plötzlich erschrocken zusammenfuhren. Regis richtete sich auf, weil Knurrbauch entsetzt und mit hochgerissenem Kopf zurückscheute, denn vor ihm flog eine dunkle Gestalt über den Weg.

Die Gestalt – der Vrock – prallte gegen einen Baum, wickelte sich halb darum, rutschte am Stamm herunter und begann zu rauchen, als das tote Wesen durch alle Existenzebenen wieder ins Höllenfeuer zurücksank.

In diesem Moment richtete sich der Glabrezu zu seiner vollen Größe auf. Er war verletzt, aber ausgesprochen lebendig. Und ausgesprochen wütend.

Der Dämon kam auf den Weg zurück und breitete alle vier Arme aus, als sollte der Halbling es nur wagen, an ihm vorbeizustürmen.

Regis wusste, dass er es nicht schaffen würde. Er könnte abspringen und angreifen, um seinem braven Pony eine Chance zu lassen.

Aber wo sollte Knurrbauch hin?

»Wir kämpfen, mein tapferes Ross«, sagte er laut. Er versuchte, Zuversicht auszustrahlen, und stieß seinen Degen in die Luft. »Für Knurrbauch, für Rebenblut, für die Gefährten der Halle!«

Als Doregardo sein panisches Tier wieder im Griff hatte, lag bereits ein ganzes Stück zwischen ihm und Showithal. Er hatte seinen Freund aus den Augen verloren, während sein Pony durch die Bäume gestürmt war, eine Anhöhe erklommen hatte und auf der anderen Seite wieder hinuntergelaufen war. Jetzt zügelte der Anführer der Grinsenden Ponys es mit fester Hand, worauf sein Reittier zitternd zum Stehen kam. Dann versetzte er es mit festem Beinschluss und perfekter Kontrolle wieder in Galopp.

Pferd und Reiter wären beinahe über den Haufen gerannt worden, als Showithals Pony vorbeijagte.

Sein reiterloses Pony.

Erst da nahm Doregardo die qualvollen Schreie hinter sich wahr. Sie stammten von seinem Freund. Er trieb sein Pony an, hetzte davon, kam aber bei einem letzten, verzweifelten Schrei erneut zum Stehen.

Die Freundschaft in ihm verlangte, Showithal beizustehen.

Sein Verantwortungsbewusstsein forderte ihn auf, zu seinen Leuten zu reiten, um den Rückzug zu koordinieren und alle erreichbaren Verbündeten zu warnen.

Und Doregardo war Lady Donnola verpflichtet. Daher blieb ihm keine Wahl. Rebenblut musste gewarnt werden, sonst würden Hunderte sterben.

»Wir sehen uns auf den grünen Wiesen des Himmelsbergs, mein Freund«, flüsterte er in den Nachtwind und galoppierte weiter in Richtung der Halblingstadt.

Trotz seiner Trauer begriff Doregardo, wie richtig die Entscheidung gewesen war, als ihn die Nachtwache von Rebenblut bemerkte und freundlich grüßte. Niemand wusste von der anrückenden Dämonenarmee!

»Alarm! Alarm!«, riefen die Halblinge schließlich. Ihr Ruf wurde in alle Richtungen weitergegeben, und bald gingen überall in den Häusern die Kerzen an.

Doregardo ritt direkt zu Lady Donnolas hübschem Haus weiter, dessen Herrin ihn bereits an der Tür begrüßte.

»Wir können nicht gegen sie kämpfen!«, rief er noch vor jeder förmlichen Begrüßung. »Wir müssen nach Gauntlgrym, sonst werden wir alle sterben!«

»Sie?«

»Dämonen, Herrin! So eine Horde habe ich noch nie gesehen. Nicht einmal die Lieder der Barden künden davon. So viele Dämonen wie einst die Drachenschwärme, die zur Zeit des Hexenkönigs Vaasa in Schutt und Asche gelegt haben.«

Lady Donnola, die Doregardos Hang zur Übertreibung natürlich kannte, zog zweifelnd die Augenbrauen hoch.

»Showithal ist tot, Herrin«, teilte Doregardo ihr traurig mit. Showithals Pony stand erschöpft und verloren nicht weit entfernt.

»Wo ist Regis?«, fragte sie eilig.

»Er wollte unbedingt weiter nach Tiefwasser.«

»Aber du sagtest …«, begann sie mit brüchiger Stimme.

Doregardo verstand ihren resignierten Tonfall, denn sie wussten beide, dass Regis sich kaum von einem Vorhaben hätte abbringen lassen, das für den Bestand von Rebenblut derart wichtig war. »Wir können nicht kämpfen«, versicherte Doregardo. »Wir können sie nicht aufhalten. Nach Gauntlgrym, ich bitte dich. Beten wir, dass König Bruenors Streitmacht diese Horde aufhalten kann.«

»Du zweifelst an der Macht von Gauntlgrym?«, fragte Donnola verwundert.

Ohne zu antworten, saß Doregardo mit versteinertem Gesicht auf seinem Hengst.

»So viele?«, fragte Donnola.

»Wir müssen hier weg, Herrin. Bitte! Versuch gar nicht erst, sie aufzuhalten.«

Donnola gab die Nachricht an ihre Leibwächter und von dort an die Stadtwache weiter. Im Nu sprach sich der Rückzug nach Gauntlgrym in der gesamten Stadt herum. Die Halblinge nahmen, was sie tragen konnten, und liefen zum Tunneleingang zur Zwergenstadt, wo immer eine Lore bereitstand und eine zweite schnell aus den Tiefen des Berges herbeigerufen werden konnte.

Auf Donnolas Anweisung ritt Doregardo dorthin, um an dieser entscheidenden Engstelle die Flucht zu organisieren.

Inzwischen trafen auch andere Mitglieder der Grinsenden Ponys und der Kniebrecher aus den umliegenden Bergen und Wäldern in der Stadt ein. Viele dieser Haudegen waren bei Gefechten mit der Dämonenhorde verwundet worden. Wer noch Beistand leisten konnte, half den anderen Halblingen, die Loren zu besteigen, und schickte sie auf die dunkle Fahrt nach Gauntlgrym, sobald im anderen Tunnel die Lichter der Gegenbahn zu erkennen waren.

Mit ihren Kindern, aber auch mit Haustieren, Vieh, Pferden und natürlich ihren Schätzen strömten die Familien zu den Loren, und trotz der kurzen Vorwarnzeit schien die Evakuierung reibungslos zu verlaufen.

Dann jedoch trug der Wind Dämonengeheul heran, und ein lautes Surren erfüllte die Luft, als ein Schwarm fliegender Chasme auf die Siedlung herabstieß.

Doregardo brüllte Befehle, die seine Kämpfer und Kämpferinnen nach allen Seiten weitergaben.

»Flugmonster!«, schrie jemand.

»Ruft die Truppe zusammen!«, erwiderte Doregardo entschlossen. »Wir kämpfen bis zum letzten Mann, damit unsere Freunde fliehen können.«

Kein Grinsendes Pony und kein Kniebrecher zuckte bei diesem Befehl mit der Wimper, denn schließlich verstand sich Doregardos Entscheidung von selbst. Ohne Murren formierten sie sich.

Entlang der gesamten Linie legten die Ponys die Ohren an, als die schwarze Wolke der Chasme über dem nächsten Berg auftauchte und den Sternenhimmel verdüsterte. In diesem Augenblick fürchtete Doregardo, dass der Großteil des Dorfes den Angriff nicht überleben würde.

Dieses Gefühl verstärkte sich, als eine zweite dunkle Wolke auftauchte, diesmal unmittelbar über ihnen, aus der grelle Blitze hervorzuckten.

»Was ist das für dämonische Magie?«, schrie einer der Halblinge.

»Quatsch!«, erklang eine schroffe Antwort, die Doregardo und die Wachen zur Lore zurücksehen ließ. Dort starrte ihnen ein alter Zwerg entgegen. »Das ist bloß mein Brüderchen«, erklärte Ivan Felsenschulter, als es zu donnern begann.

Ein starker Wind kam auf, der den fliegenden Dämonen direkt ins Gesicht blies und ihren Ansturm verzögerte. Die Blitze aus der Wolke schlugen nicht wahllos ein, sondern zielten direkt auf den Schwarm.

»Brüderchen«, sagte Ivan Felsenschulter mit stolzem Lächeln, wobei er Pikels ungewöhnliche Sprechweise imitierte.

Gerade rollte die zweite volle Lore in die Dunkelheit des Berges hinab. Die dritte, die parallel dazu von unten anrückte, war mit Zwergenkriegern aus der Sippe Heldenhammer besetzt, die sofort heraussprangen und eine Verteidigungslinie bildeten, hinter die sie die Flüchtlinge lotsten.

Angesichts der Disziplin seiner Reiter und ihrer mutigen Nachbarn schwoll Doregardo stolz das Herz. Er fasste neuen Mut, obwohl er wusste, dass ihnen schon bald eine verzweifelte Schlacht bevorstand, denn die magische Wolke würde den Dämonenschwarm nicht vollständig zurückhalten können.

Ein Trupp Heldenhammers mit schweren Armbrüsten stürmte vor Doregardos Kavallerie und bezog dort Stellung. Präzise gingen alle zugleich auf ein Knie und ließen dabei genug Platz, um je ein Pony hindurchzulassen. Dann hoben sie die Waffen und zielten auf die Bedrohung am Himmel. Am rechten Ende der Linie, unweit von Doregardo, gab die Zwergenkommandantin den Befehl, noch zu warten.

Trotz der großen Gefahr grinste Doregardo bei ihrem Anblick. Er war sich nicht sicher, ob es Faust oder Furie war, Tannabritches oder Mallabritches. Jedenfalls war sie eine der Zwillingsköniginnen von Gauntlgrym. Eine Gemahlin von König Bruenor, die sich hier draußen an der Front persönlich einer Horde Dämonen stellte.

Die Chasme kamen näher. Dann raste der nächste Blitz mitten in den Schwarm, riss einige Chasme in Fetzen und versengte vielen anderen die Flügel, sodass sie trudelnd abstürzten. Aber Pikels Wolke löste sich bereits auf, und es waren noch immer viele Dämonen übrig.

»Schießt!«, schrie die Kommandantin der Zwerge, und ihre Schützen feuerten mit schweren Bolzen in den Nachthimmel, immer mehrere auf dasselbe Ziel, weil die kampferprobten Heldenhammers sich gut abgestimmt hatten. Ein Dutzend weitere Chasme fiel vom Himmel.

»Laden!«, erscholl der nächste Befehl, auch wenn viele schon dabei waren.

»Für Königin Mallabritches!«, rief ein Zwerg neben Doregardo, womit ihre Identität geklärt war.

»Hussa!«, brüllten alle, und die Halblinge fielen ein.

Als die ersten Dämonen bei ihnen eintrafen, kam die Kavallerie zum Einsatz. »Zu viert!«, schrie Doregardo, worauf die Reiter mit ihren Pferden in Vierergruppen eine Diamant-Formation annahmen.

»Zielt hoch, Heldenhammers!«, befahl Königin Mallabritches. »Lasst sie nicht nach oben.«

Doregardo wusste nicht recht, was sie damit meinte, war aber zu beschäftigt, um länger darüber nachzudenken. Mit seinem eigenen Trupp griff er drei Chasme an, die sich aufbäumten und deren lange Stacheln bereits voller Blutgier zuckten.

Zwei blieben tief genug, um den Kampf mit den Halblingen aufzunehmen, aber der Dritte, auf den Doregardo zuhielt, stieg plötzlich auf, während seine Begleiter wie Vipern auf Doregardo zuschnellten.

Gekonnt riss er sein Pony herum. Den einen Chasme wehrte er mit dem Schwert ab, den anderen vertrieb sein buckelndes, auskeilendes Pony.

Und dann verstand Doregardo den Befehl der Zwergenkönigin, denn über ihm surrte eine Vielzahl Armbrustbolzen durch die Luft, tötete den aufsteigenden Dämon, sobald er weit genug über Doregardos Kopf war, und ließ ihn weisungsgemäß nicht entwischen.

Doregardos Begleiter übernahmen. Zwei von ihnen überwältigten den Chasme, den er mit seinem Schwert abgewehrt hatte, mit ihren langen Speeren. Sobald das hässliche Mischwesen aus Mensch und Insekt am Boden lag, ließen sie es von ihren gut trainierten Ponys zertreten. Auf der anderen Seite hob der Chasme, den Doregardos Pony weggetreten hatte, wieder ab, als die Gruppe heransprengte, aber er flog zu hoch, und eine Armbrustsalve der Zwerge riss ihn in Stücke.

Das war ein guter Auftakt. Aber es war nur der Anfang, das wusste Doregardo genau, und noch ehe seine Gruppe ihre Formation wieder eingenommen hatte, erfolgte der nächste Angriff. Weiter rechts riefen andere Reiter um Hilfe, wo die Kavallerie sich große Mühe gab, den schnelleren, beweglicheren Chasme standzuhalten.

Aber viele dieser Dämonen fegten über die Halblinge hinweg und stellten sich einer weiteren Salve, um näher an die Zwerge heranzukommen. Und das schafften auch genug von ihnen. Doregardo begriff, dass die Artillerieunterstützung vorbei war, als Königin Mallabritches rief: »Äxte!«

Der Halbling zog dem nächsten Angreifer sein Schwert über und konnte es gerade rechtzeitig zurückreißen, um der unerwarteten Attacke eines zweiten zu entgehen. Seine scharfe Klinge halbierte den langen Stachelschwanz des Dämons. Doregardo nutzte die kurze Atempause, um zu Mallabritches und ihren Zwergen zurückzublicken. Er bemerkte, dass trotz der schweren Gefechte überall gerade wieder eine Lore im Berg verschwand. Unmittelbar darauf erschien eine vierte Lore, die erneut mit Heldenhammer-Kriegern gefüllt war, diesmal jedoch mit der berühmten Knochenbrecher-Brigade. Die Eliteeinheit aus Schlachtenwütern sprang aus dem Gefährt heraus, ehe dieses anhielt, rannte, rollte und polterte sofort los, um sich schnellstmöglich am Kampf zu beteiligten.

Das machte Doregardo zwar neuen Mut, erschreckte ihn aber auch. Aus seiner Sicht gab es nur eine Lösung: Sie mussten den letzten fliehenden Bewohnern Deckung geben und sich dann selbst in aller Hast hinter den stärkeren Bastionen von Gauntlgrym verschanzen.

Die Schlachtenwüter jedoch machten ihrem Ruf alle Ehre und sahen nicht so aus, als wäre ihnen an einem Rückzug gelegen. Diese sturen Narren würden wahrscheinlich noch hier ausharren, wenn alle Zivilisten in Sicherheit waren. Aber das war dann ihre Sache, entschied der Anführer der Halblingreiter.

Mit seiner Diamant-Einheit wandte er sich nach rechts, wo eine Halblingfamilie – von einem Flugdämon gejagt – um ihr Leben rannte.

Als die Reiter näher kamen, bemerkte Doregardo, dass sich in der Ferne die Bäume bewegten. Die Horde war eingetroffen und brach über die Verteidiger herein. Zunächst nahten groteske Zweibeiner, die abscheulichen Manen, kleinere Dämonen, die wie eine Armee Untoter aus dem Buschwerk schwankten. Hinter und zwischen ihnen sah man hier und da ihre Meister, echte Dämonen aller Arten, die auch ohne die zahllosen Manen und Chasme nahezu unbesiegbar waren.

»Bringt sie schnell in Sicherheit!«, wies er seine drei Gefährten an.

Kaum hatten sie zwischen den Halblingen und deren Verfolgern Stellung bezogen, da lenkte ein knarrendes Geräusch Doregardos Blick wieder zum Waldrand.

Würde dort gleich ein weiterer Gegner auftauchen? Stattdessen bemerkte er eine einsame Gestalt, einen Zwerg in grüner Robe, der sich der Horde entgegenstellte und winkend einen Arm in die Luft hob. Der Zwerg rief die Gräser und Bäume zu Hilfe, begriff Doregardo, und die Pflanzen befolgten seinen Ruf!

Äste peitschten nach den Dämonen, Grasbüschel wickelten sich um die Knöchel der Manen, verlangsamten sie oder brachten sie gar zum Stehen. Einen kurzen Augenblick keimte Hoffnung auf, aber dann setzte ein gewaltiger Dämon der Druidenmagie ein Ende. Ein mächtiger Balor, der stärkste Dämon abgesehen von den Dämonenfürsten persönlich, war erschienen. Als dieser Inbegriff von Finsternis und Feuer mit dem Fuß aufstampfte, ging von diesem Punkt ein loderndes Feuer aus, das Gras und Büsche verzehrte, die es wagten, nach ihm zu greifen. Zielstrebig marschierte er auf den kleinen Zwerg zu, holte mit seiner Feuerpeitsche aus und erzeugte mit ihrem Knall tödliche Flammen.

Unmittelbar über Pikel Felsenschulter, der darunter zusammenschrumpfte, stieß die Peitsche einen riesigen Feuerball aus.

Obwohl Zwerg und Dämon weit weg waren, bekam Doregardo die Hitzewoge zu spüren. Mit Mühe blinzelte er durch den Rauch. Wo war der Zwerg?

Keine Spur von ihm. War Pikel, der Winzer von Rebenblut, der Druide mit dem grünen Daumen, der den wunderbaren Weinberg angelegt hatte, umgekommen?

Doregardo wusste, dass er nicht einmal mehr Pikels Körper bergen konnte. Ihnen lief die Zeit davon. Er gab seiner Gruppe und den anderen das Signal zum Rückzug und galoppierte zu den Loren. Dabei schlossen sich weitere Diamant-Gruppen an, die dicht an dicht ritten und sich mit hochgereckten Speeren und Schwertern gegen alle Chasme zur Wehr setzten, die ihnen zu nahe kamen. Hinten an den Loren tobten sich die Schlachtenwüter aus, die sich auf die Dämonen warfen, um diese mit ihren messerscharfen Rüstungen so gründlich zu zerreißen, dass Königin Mallabritches die Hälfte ihrer Zwerge wieder zur Armbrust greifen lassen konnte. Die Übrigen bargen die Gefallenen – über ein Dutzend – und schleppten sie zu den Loren.

Und schon verschwand der Zug und wurde durch den nächsten ersetzt, der wieder neue Zwerge brachte. Nun bildeten die Halblinge mit den Zwergen einen Halbkreis um die Loren-Station, während die letzten Zivilisten von Rebenblut zusammen mit Lady Donnola abfuhren.

»Hier sterben wir«, rief Doregardo seinen Soldaten zu. »Lasst es einen guten Tod sein!« Er nickte Königin Mallabritches grimmig zu. »Leb wohl, gute Königin«, sagte er zu ihr.

»Pah! Soll doch meine Schwester dem König die Erben schenken«, erklärte sie, zwinkerte ihm zu und schlug mit dem Kriegshammer auf ihren Schild.

Da kamen die Manen, und die Halblinge und Zwerge mähten sie in Scharen um, aber es waren so viele Gegner, dass diese auch die zwanzigfachen Verluste leicht verschmerzen konnten.

Die nächste Loren-Bahn brachte weniger Krieger von unten, denn nun blies auch Gauntlgrym zum Rückzug.

»Ponys!«, schrie Doregardo. Der Ruf wurde weitergegeben. Auf so engem Raum waren die Ponys eine Last, aber kein Grinsendes Pony und kein Kniebrecher würde diese treuen Kameraden kampflos aufgeben. Auch die letzten stiegen nun ab und versuchten, ihre Pferde in die Loren-Bahn zu verfrachten.

Ein Pony hätte allerdings auch zu ruhigeren Zeiten nicht freiwillig eine Lore bestiegen, und jetzt, inmitten der Schlacht, erschien den Tieren dieser Vorgang gefährlicher als der Kampf gegen Dämonen.

Doregardo fiel keine Lösung ein. War sein geliebter Freund verloren? Doch während ihn diese melancholischen Gedanken übermannten, erklang über den Schlachtenlärm hinweg ein Dudelsack, dessen Melodie Waffenklirren und Dämonengekreische übertönte. Staunend sah der Halbling einen Zwerg – den einzigartigen Pikel Felsenschulter – aus einem Baum treten. Nicht hinter dem Baum hervor, sondern direkt aus dem Baum! Und er spielte erstaunlich sicher. Die Musik beruhigte die Ponys, sodass sie sich widerstandslos verladen ließen.

Im Nu war die Loren-Bahn unterwegs. Doregardo war erleichtert, dass sein Pony diesen schrecklichen Tag wohl doch überleben würde. Dann drehte er sich um und stürzte sich auf den nächsten Manen, denn ihm selbst würde wohl weniger Glück vergönnt sein.

Der Dämon reagierte mit einem eigenen Wort, einer gekrächzten Silbenkombination, die für Regis klang, als ob ein Stachelschwein über einen Riesenfrosch gerieben würde.

Am liebsten hätte der Halbling den Dämon verspottet, aber dann versuchte er nur noch vergeblich, seine Waffe festzuhalten, als das Wort der Macht des Höllenwesens sein Bewusstsein erschütterte.

Er war so benommen, dass er beinahe gestürzt wäre. Knurrbauch taumelte hilflos seitwärts.

Boshaft grinsend trat der Dämon mit dem Hundegesicht einen Schritt vor. Aber dann schlug er um sich, denn unvermittelt war die Luft von wirbelnden magischen Klingen erfüllt, einer schwirrenden Wand aus Waffen, die gnadenlos in das Fleisch des Dämons eindrangen. Seine Scheren schnappten und schlugen, und die schwebenden Schwerter klirrten und blitzten. Einige von ihnen, die beiseitegefegt wurden, lösten sich auf. Andere aber trafen gut. Blut rann an dem Glabrezu herab, ohne dass die Verletzungen ihn zurückhielten. Er ließ nicht locker, sondern kämpfte erbittert gegen die Schwerter, die immer weniger wurden, weil er sie Stück für Stück aus der Klingenwand riss.

Regis wusste nicht, was er davon halten sollte. Woher kam dieser mächtige Zauber so plötzlich? Er wusste jedoch, dass diese Hilfe nicht von Dauer sein würde. Also konnte er nur hoffen, dass der Dämon zu dem Zeitpunkt, wo er die Waffenwand durchdrang, noch schwerer verletzt sein würde. Als er sich nach einem Fluchtweg umsah, entdeckte er sie.

Sie trat hinter ihm zwischen den Bäumen hervor und erschreckte den Halbling damit dermaßen, dass er noch einmal fast vom Pferd gefallen wäre. Sie war schön und schrecklich und mächtig zugleich. Für Regis allerdings war sie in erster Linie schön.

Denn er kannte diese junge Frau, diese mächtige Drow mit dem Namen Yvonnel – die Tochter von Gromph, die Freundin von Drizzt. Deshalb überkam ihn Erleichterung. Er selbst konnte keinen Glabrezu besiegen – aber Yvonnel bestimmt.

Ohne von ihm Notiz zu nehmen, schritt sie an ihm vorbei und starrte unaufhörlich den Dämon an, der ihren Blick hasserfüllt erwiderte, während er die letzten magischen Klingen wegschlug. Seine Haut hing in Fetzen herab. Eine Schere war halbiert, beide Hände blutig.

Allerdings machte er auch nicht den Eindruck, gleich tot umzufallen.

Dennoch wurde Yvonnel nicht langsamer. »Ecanti’tu Rethnorel, desper nosferat«, sagte sie. Dann wiederholte sie diese Worte.

Der Glabrezu knurrte.

»Ecanti’tu Rethnorel, desper nosferat.«

Regis verstand kein Wort und hielt die Silben nicht einmal für die Sprache der Drow, aber er spürte ihre Macht.

Der Dämon knurrte wieder, nahm jedoch eine weniger aggressive Haltung ein.

Yvonnel blieb nicht stehen. »Ecanti’tu Rethnorel, desper nosferat«, rezitierte sie, und Regis riss die Augen auf, als er die Macht in ihren Worten wahrnahm. Es war, als käme Yvonnels Atem, der sie aussprach, von einem magischen Drachen, dessen einziger Zweck es war, einem Dämon die Lebenskraft zu rauben. Das Wort Rethnorel klang wie ein Name. Vermutlich der Name des Dämons, dachte Regis.

»Ecanti’tu Rethnorel, desper nosferat.«