F. Schütz

Ein kleiner Androide


Dahingeflogenen Tagen, als ich noch träumen und unbeschwert Bücher lesen konnte, gewidmet.


Inhalt

  1. Titelbild
  2. Titel
  3. Widmung
  4. Vorwort
  5. 1. Auf dem Hügel
  6. 2. Pechtag auf der Fabrik
  7. 3. Der kleine Androide erwacht
  8. 4. Die Suche beginnt
  9. 5. Haben Roboter Hunger?
  10. 6. In der Wildnis
  11. 7. Auf der Lauer
  12. 8. Gefunden
  13. 9. Alarm auf der Fabrik
  14. 10. Eine neue Bekanntschaft
  15. 11. Daniel liest
  16. 12. Shetlandponys
  17. 13. Die Großmutter berichtet
  18. 14. Weitere Spiele
  19. 15. Ist das Licht erloschen?
  20. 16. Die gefährliche Reise
  21. 17. Das Schloss Mount Castle
  22. 18. Neue Freundschaft
  23. 19. Das Geheimnis wird gelüftet
  24. 20. Eine Entdeckung
  25. 21. Die Großmutter erkrankt
  26. 22. Weitere Funde
  27. 23. Die Entscheidung
  28. 24. Die Vorbereitung
  29. 25. Der Tag des Gerichtes
  30. 26. Sic
  31. 27. In der Falle
  32. 28. Elly übernimmt Verantwortung
  33. 29. Eine Eingebung
  34. 30. Im Museum
  35. 31. Elly handelt
  36. 32. Die Mauer
  37. 33. Frei
  38. Anmerkungen

Vorwort

Eine parallele Welt, die manchem in Träumen durchschimmert, würde auf den ersten Blick, wie zu erwarten, befremdlich ausfallen. Dennoch könnte man, wenn man wolle, eine schmerzliche Ähnlichkeit mit dem uns bekannten Weltkreis erkennen.

Die vorliegende Traumserie erzählt von dem Schicksal der Menschheit in einer verhängnisvollen Zeit. Ein Zeitlauf, der zunächst aussichtslos erscheint. Da – der erste Traum – die Bewohner des verborgenen Planeten Ereade treten auf die Bühne.


1. Auf dem Hügel

Ein milder und freundlicher Tag kündigte sich an. Die große schöne Villa auf dem Hügel, im klassischen Stil mit Kolonnaden und in weißen und rosa Farben gehalten, erwachte langsam zum Leben. In eigentlichem Sinne aufwachten nur die Großmutter und ihr Enkel, richtiger gesagt Urenkel.

Die anderen, – die Roboter, – markierten lediglich die Ruhe. Die Pause wurde mit Wartung, Laden der Batterien, Anschauen der Seifenoper-Serien und Kontrolle seitens des Supercomputers gefüllt. Der Großrechner – Super Intelligence Computer – wurde oft verkürzt nach drei ersten Großbuchstaben benannt. Die bewundernden als auch nach Originalität heischenden Journalisten haben die Fassung [sic!]1,2 lanciert. Die pragmatischen Berichterstatter haben nur den Buchstaben »S« groß ausgeschrieben. Die letztgenannte Schreibweise »Sic« setzte sich wegen der Bequemlichkeit durch – niemand wollte mit der Umschalttaste lange hantieren, um drei Großbuchstaben zu produzieren. Da die Androiden nie des Schlafes bedurften, übergingen sie am Morgen ohne viel Federlesen zu ihren täglichen Obliegenheiten. Es war eine kleine Armee – Verwalter des Hauses, Koch, diverse Diener, mehrere Gärtner, eine Menge Landarbeiter, um nur die wenigsten zu nennen. Zur Villa gehörten riesige Ländereien, eine Gärtnerei mit zusätzlichen Treibhäusern, Pferde- und Viehställe. Das wollte alles bedient werden. Aber im Ergebnis waren die auf dem Hügel praktisch autonom.

»Großmutter, hörst du, Großmutter, Isaac will mir meine Frage nicht beantworten!«, wie ein Windstoß war der Enkel ins Arbeitszimmer der Großmama hereingeplatzt.

»Henry, mehrmals habe ich dich schon gebeten, sei nicht so wild«, ließ die Großmutter von einem großen Buch ab. Sie tat es gar nicht energisch, sondern etwas leise und trotz des frischen Morgens eher müde. »Ich bin nicht mehr so jung, deine Schnelligkeit zu verkraften.« »Was für eine brennende Frage hast du gehabt?«, fügte sie im sachlichen Ton hinzu.

»Isaac sollte mir sagen, wo mein Papa geblieben ist.«

Ein Schatten fiel auf Henry. Eine angenehme Stimme sagte: »Ich habe erklärt, dass ich nichts dergleichen sagen darf.«

In der Tür stand Henrys Mentor Isaac. Wie alle Androiden hatte er einen menschenähnlichen Bau, aber laut Gesetz durfte ein Mensch in gar keinem Fall mit einem Universalroboter verwechselt werden. Dieser musste leicht als Maschinenwesen erkennbar sein. Das Unterscheidungsmerkmal waren zwei kurze Antennen, die aus dem Kopf ragten und ein bisschen an zwei Hörner erinnerten. Es hätte auch eine einzige gereicht, aber das Teil war so wichtig, dass die Zweite als Sicherung gegen einen Ausfall diente. Eine Kopfbedeckung durfte ein Roboter nicht tragen.

»Gib Ruhe, Henry.« »Isaac wird solche Fragen niemals beantworten«, klärte die Großmutter Henry auf. »Dafür bin ich zuständig.«

»Wie, ich habe dich schon gefragt«, begehrte Henry auf. »Ich war klein, kann mich jedoch an meinen Papa erinnern. Er trug mich auf seinen Armen und tröstete, als ich hinfiel und mich sehr heftig stieß. Er schaute mich liebevoll an, aber seine Augen waren traurig.«

»Isaac, machen Sie bitte die Tür zu und kehren ins Studierzimmer zurück«, befiel die Großmutter.

Der Angeredete nickte leicht mit dem Kopf und verschwand.

»Henry, ich habe dir schon früher klar gemacht, dass du für diese Frage noch zu jung bist. Also gedulde dich demnächst.« »Ich habe für dich eine Aufgabe«, setzte sie die Ansprache fort. »Ich fühle mich heute nicht wohl und daher nicht kräftig genug, die Kerze am Abend zu wechseln. Da diese Ehre und Pflicht nur den Menschen vorbehalten ist, übernimm es bitte für heute.«

»Großmutter, ich mache es gerne!«


Am späteren Abend, die Dämmerung brach schon an, betrat Henry den Innenhof und eilte zu einem in den Himmel ragenden, aber schmalen turmartigen Gebäude. Es gab im Inneren des Turmes sowohl einen Aufzug als auch eine Wendeltreppe. Henry wählte den Fahrstuhl, um schneller fertig zu werden, da er wegen Dunkelheit ein wenig Furcht hatte. Als der Aufzug stoppte, benutzte der Junge die Wendeltreppe und kam in ein hohes rundes Zimmer, das blendend weiße Wände hatte. In allen Himmelsrichtungen besaß es mehrere emporschauende schmale Fenster. Henry ersetzte die große Kerze in der Mitte des Raumes, die auf einem Postament stand und in die Zimmerfenster leuchtete, durch Mitgebrachte. Danach gebrauchte er eine fest eingebaute steile Leiter, die Handleisten bot und für einen Menschen breit genug war. Am Dach angekommen, löste Henry die Fixierung, schob die gleitende Luke nach vorne und trat auf die Aussichtsplattform. Die Öffnung war an drei Seiten mit gebogenen Geländern geschützt, um sich an diese zu stützen. Henry blickte zuerst kurz auf die sich ins Dunkel hüllende Villa, sich an die Balustrade haltend und wandte sich dann der Flagge zu. Die Fahne, welche ein längliches, rot gefärbtes Kreuz am weißen Hintergrund abbildete, wurde von dem schwachen Wind nur mild gerührt. Die Nacht war klar, daher schaute Henry zielstrebig nach Norden. Auf dem gegenüber liegenden Hügel in der sehr weiten Ferne wähnte er ein schwaches Licht zu sehen.

Hinunter stieg Henry mithilfe der Wendeltreppe ab. Schön war es, die Stufen im schnellen Tempo durchzulaufen. Wenn man das rasch genug tat, bekam man einen Eindruck, als ob man fliege. Unten angelangt, spurte Henry zur Großmutter und meldete: »Fertig!« »Ich glaube, das Nachbarlicht wieder gesehen zu haben.«

»Danke, Henry. Es freut mich, dies zu hören. Aber täusche dich nicht, es ist sehr weit.«


2. Pechtag auf der Fabrik

Es versteht sich mittlerweile von selbst, dass die Roboter auch von Nämlichen gefertigt werden. Die erste Generation der Universalroboter wurde aber von den Ingenieuren geplant und hergestellt, die zweite von den Technikern entwickelt und von Roboterlinien produziert. Für die Entwicklung der dritten Robotergeneration wurde der Superrechner Sic gebaut. Seit seiner Fertigstellung projektierte er die autonomen vernetzten Roboter. Diese wiederum ließ er von den spezialisierten Roboteranlagen erzeugen. Der Großrechner verwaltete und erweiterte auch sich selbst.

Mit den autonomen Robotern ließ sich der Superrechner etwas einfallen. Die waren nicht untereinander vernetzt, sondern nur mit ihm. Sobald ein Universalroboter vor einen für ihn nicht lösbaren Aufgabe stand, forderte er vom Sic automatisch die Unterstützung an.

Um miteinander zu kommunizieren, erhielten die Androiden die geförderte Sprachausgabe. Was so schön wissenschaftlich klingt, kann man auch einfacher ausdrücken: Sie waren mitteilungsbedürftig. Um noch klarer zu sagen, – sie waren Schwätzer! Das hat Sic algorithmisch ausgetüftelt, da er erkannte, dass die Gespräche und die Gerüchte die Kontrolle erleichterten und Ressourcen schonten. Die wichtigen Ereignisse konnte man so schneller aufspüren, – man brauchte ganz wenige Feldroboter anzuzapfen. Gleichwohl führte Sic noch ein periodisches vollständiges Audit durch. Dabei wurden alle Gedächtniszellen der Roboter ausgelesen und geprüft.

Seit längeren Zeit lief die Produktion auf der Roboterfabrik auf der Sparflamme. Die Roboter drehten Däumchen und quatschten miteinander.

Heute wurde es zwei von ihnen zum Verhängnis. Als sie in einem Durchgang stoppten und einer noch den Werkzeugkasten beiseitestellte, blieb für den vorbeigehenden Supervisor wenig Platz. Der Aufseher schleuderte solche verbalen Konstruktionen, dass die zwei Schuldigen nur zuckten. Endete er mit: »Ihr, zwei verrostete Blechdosen, marsch zum Lager der alten Ersatzteile!« »Macht in der Halle alles blitzeblank. Wenn ich danach nur ein Stäubchen finde, werdet ihr in meinem Beisein jeden Zentimeter mit einem Taschentuch abputzen.« Die Roboter bestanden vorwiegend aus verschiedenen Kunststoffen. Also Blechdosen waren sie keinesfalls. Aber der ungerechte Vergleich saß. Schäumend vor Wut, die nur gespielt sein könnte, begaben sich die beiden zu ihrem vorläufigen Arbeitsplatz.

Nach einer angestrengten Arbeit kam ein Roboter zu den alten Entwicklungsständen. Als er alles ausräumte, holte er noch aus der hintersten dunklen Ecke einen Roboterrohling mit viel kleineren Abmessungen als üblich. Da er keinen Platz mehr fand, legte er den Rohling auf das stehende Förderband und machte sich mit Staubsaugen vertraut. In dieser Zeit drang der zweite Roboter zu einer noch dunkleren Ecke vor. »Es ist nichts zu sehen«, brummte er und kämpfte sich zum Schaltbrett durch. Er suchte den Schalter für die zusätzliche Beleuchtung nach der Beschriftung aus und betätigte ihn. Es passierte nichts. »Was für eine Schlamperei, die Beschriftungen stimmen nicht!«, rief er mürrisch. Die einfachste Lösung wäre, alle nach unten gedrückte Schalter der Reihe nach hochzuziehen. Das war schon ein Plan! In einer gehobenen Stimmung zog er den ersten Schalter hoch und wartete die Reaktion ab. Nach ein paar missglückten Versuchen wurde das Gewünschte erreicht, – die Zusatzbeleuchtung ging an. Mit sich zufrieden, sagte er abschätzig: »Blechdose?!« »Selbst Blechdose!« Die Spielerei mit den Schaltern hatte aber einen übersehenen Nebeneffekt. Das Förderband bewegte sich geräuschlos und schaffte in dieser kurzen Zeit, den Rohling in die Produktion auszuliefern.


Der Formling wurde an verschiedenen Stellen brav bestückt und nahm nach und nach die Ausgestaltung eines richtigen Roboters an. Endlich wurde das Arbeitsstück zu der krönenden Operation transportiert.

Der in der dunklen Ecke vergessene Rohling aus der grauen Vorzeit war ein Experimentalmodell eines Kinderroboters. Durch die geringe Statur sollte den Kleinen der leichtere Zugang zu den Androiden ermöglicht werden. Daraus folgte, dass das Elektronenhirn etwas zierlicher ausfallen müsste. Aber das bescheidenste zur Verfügung stehende Gehirn passte eine Winzigkeit nicht. Macht solcher Umstand irgendwelche Schwierigkeiten einem autonomen Roboter? Niemals! Ein wenig Druck, die Platine biegt sich und rastet mit einem Klickgeräusch ein. Allerdings hat der Klicklaut den Knacklaut übertönt. Was nützt jetzt die zweifache Ausführung der Antennen, wenn die Verbindung zwischen Antennenblock und Elektronenhirn fehlt? Der Roboter am Fließband kümmert sich um solche Sache gar nicht, er weiß, dass bei abschließenden Untersuchungen am Prüfstand alles von A bis Z durchgetestet wird.


Die uns schon bekannten Strafversetzten wurden endlich mit ihrer Arbeit fertig und einer holte gerade ein Elektrofahrzeug, um den aussortierten Schrott wegzubringen, ab. Ob in der rosigen Stimmung wegen nahender Befreiung oder aus einem anderen Grunde achtete er nicht besonders auf die Werkstraße. Dies wäre aber geboten, da das Fahrzeug sehr flott war und der bestrafte Roboter gerne den Beschleuniger nutzte. So übersah er ein nicht am rechten Platz befindliches quadratisches Stahlstück, fuhr darauf, verlor vor Überraschung die Gewalt über das Gefährt und krachte ins Förderband. Als der Roboterrettungsdienst anrückte, fand man alles schön durcheinander gemischt. »So«, sagte der Leiter des Einsatzes nach der Prüfung, »der Fahrer ist nicht ansprechbar.« »Wir bringen ihn in die Reparatur!«

»Es gibt nur ein Unfallopfer«, urteilte voreilig ein Rettungsroboter.

Ein Kollege von ihm krabbelte auf die andere Seite des Förderbandes. Von jenem Ort rief er plötzlich begeistert: »Da ist noch ein Verunglückter!« »Wahrscheinlich Beifahrer. Wurde sehr weit katapultiert!«

Der zuletzt Gefundene wurde sorgfältig aus Trümmern geborgen und zur Untersuchung hingelegt. Der Leiter beschaute den neuen Fund äußerst aufmerksam. Er meinte: »Sieht aber heil aus!« Und nach einer kurzen weiteren Prüfung: »Er ist einfach ausgeschaltet!« »Ein sehr seltener Fall.«

Klick. Der kleine Androide, – einen Namen braucht er auf jeden Fall, wie wäre es mit Robin? – erblickte zum ersten Mal die Welt.


3. Der kleine Androide erwacht

»Hör mal, Kleiner!«, sprach der Einsatzleiter. »Dein Kollege kommt in die Reparatur. Nach solcher Erschütterung ist für dich heute auch Schluss. Geh auf deine Basis.«

Robin nickte gehorsam und entfernte sich. Er wusste aber nicht, wohin er gehörte. Er verstand mehr als ein neugeborenes Kind, hatte jedoch keine Erfahrungen.

Folgendes wurde bei Inbetriebnahme eines Roboters vorgesehen. Beim ersten Einschalten sendet das Elektronenhirn eine individuelle Nummer über das drahtlose Netzwerk an den verbundenen Sic. Der Superrechner identifiziert den Roboter und ordnet ihn einem Entwurf zu. Dementsprechend wird dann das Hirn umprogrammiert und mit bestimmten Kenntnissen und Fähigkeiten ausgestattet. Diese könnten auch beliebig nachgerüstet oder abgerüstet werden, die Kontrolle war umfassend und noch wichtiger, permanent. Die Roboter fungierten als multiple verlängerte Arme des Superrechners, sobald dies aus seiner Sicht notwendig war oder die Umstände begünstigten. In regulären Abständen wurden sie vorsorglich auf den letzten zugewiesenen Stand gebracht und vergaßen so alles Persönliche. Eine Ausnahme gab es für die Roboter, die mit den Menschen kommunizierten. Ihre persönliche Erinnerungen wurden nicht angetastet, solange noch alle Personen lebten, die mit ihnen zu tun hatten. Solche Roboter wurden nur nachgerüstet.