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Über dieses Buch:

Venedig im Jahre 1815. Die Nachricht verbreitet sich wie ein Lauffeuer in der Lagunenstadt: Die stolze Donna Silvana Iserbrook wird gezwungen, mit ihren Kindern ins ferne Hamburg zu ziehen, die Heimat ihres verstorbenen Mannes. Doch dort wird sie nicht von allen mit offenen Armen empfangen: Zwar will Justus Iserbrook, der Patriarch einer reichen Gewürzhändlerfamilie, Silvana zu seiner Nachfolgerin machen, doch es gibt viele, die der jungen Italienerin dies weder zutrauen noch gönnen. Um das Vermächtnis ihres Mannes zu ehren und das Erbe ihrer Kinder zu retten, nimmt Silvana die Herausforderung an – und ahnt nicht, welchen erbitterten Gegner sie in Robert Iserbrook finden wird, dem jüngeren Bruder ihres Mannes und schwarzen Schaf der Familie …

Über die Autorin:

Christa Kanitz (1928–2015) studierte Psychologie und lebte in der Schweiz und Italien, bis sie sich in Hamburg niederließ. Sie arbeitete als Journalistin für den Südwestfunk und bei den Lübecker Nachrichten; 2001 begann sie in einem Alter, in dem die meisten Menschen über den Ruhestand nachdenken, mit großem Erfolg, Liebesromane und historische Romane zu schreiben, die sie sowohl unter ihrem richtigen Namen als auch unter dem Pseudonym Christa Canetta veröffentlichte.

Christa Kanitz veröffentlichte bei dotbooks die Romane »Die Liebe der Kaffeehändlerin«, »Violas Traum« und die Trilogie »Die Venezianerin«, »Die Tochter der Venezianerin« und »Das Vermächtnis der Venezianerin«.

Unter ihrem Pseudonym Christa Canetta veröffentlichte sie bei dotbooks die Romane »Eine Liebe in Frankreich«, »Das Leuchten der schottischen Wälder«, »Schottische Engel«, »Schottische Disteln«, »Die Heideärztin« und »Die Heideärztin unter dem Kreuz des Südens« (die letztgenannten Romane sind auch als Sammelband unter dem Titel »Eine Landärztin zum Verlieben« erhältlich).

Ebenfalls bei dotbooks erschienen die Romane »Jenseits der Grillenbäume«, »Im Land der roten Erde« und »Sommerwind über der Heide« aus dem Nachlass von Christa Kanitz: Drei unvollendete Romane, denen ihre Töchter – darunter die erfolgreiche Autorin Brigitte D’Orazio – gemeinsam den letzten Schliff verliehen und die nun unter dem Namen von Christa Kanitz‘ Enkeltochter Virginia veröffentlicht wurden.

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eBook-Neuausgabe Dezember 2021

Copyright © der Originalausgabe 2006 LangenMüller in der F. A. Herbig Verlagsbuchhandlung GmbH, München

Copyright © der Neuausgabe 2021 dotbooks GmbH, München

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Titelbildgestaltung: Wildes Blut – Atelier für Gestaltung Stephanie Weischer unter Verwendung mehrerer Bildmotive von shutterstock sowie dem Foto »1864 P.Z. Germany, Hamburg, Fleet Deichstrasse, ca. 1890-1906« from the Photochrom Print Collection at the Library of Congress.

eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH (ts)

ISBN 978-3-96655-874-7

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Christa Kanitz

Die Venezianerin

Die Gewürzhändlerinnen-Saga
Band 1

dotbooks.

Kapitel 1

Justus und Clemens, Erben der Gewürzgroßhandlung Iserbrook & Co., gingen über den Großneumarkt und sahen sich die Parade des Hamburger Stadtmilitärs an. Wie an jedem Sonntagnachmittag, an dem sich Clemens in der Stadt aufhielt, gestatteten sich die beiden Brüder einen Spaziergang, um gegenseitige Erfahrungen auszutauschen, die Neuerungen der Stadt zu betrachten und über Vor- und Nachteile der Politik zu diskutieren.

»Wenn ich diese Soldaten sehe, zweifle ich an der Richtigkeit der Entfestung unserer Stadt«, sinnierte Clemens, »die können nie und nimmer Hamburg verteidigen.«

»Aber sie geben sich alle Mühe«, lachte Justus. »Schau dir die schmucken Dragoner in ihren roten Röcken an, das Einzige, was mir daran gefällt, sind die gelben Lederhosen und die Pferde.«

»Achtzehnhundert Infanteristen, neunzig Kanoniere, und alle miteinander angeworbene Söldner in weißen Beinkleidern, die taugen wirklich nur für Paraden und Festumzüge.«

»Ich möchte wissen, wer unsere Stadt im Ernstfall verteidigt, jetzt nach der Schleifung unserer gesamten Befestigungsanlagen«, erwiderte Justus, ernst geworden.

»Die Politiker wollen Neutralität demonstrieren und hoffen, durch die Öffnung der Stadt ohne Wehranlagen und Befestigungswälle der Besatzung durch Kriegsparteien zu entgehen.«

»Und dennoch rücken die feindlichen Heere unbeirrt immer näher. Die Dänen stehen vor der Tür und die Franzosen sind auch nicht mehr weit. Dabei hat die Stadt den Franzosen große Geldbeträge gezahlt, um sich Freiheit und Selbstständigkeit zu erkaufen.«

»Ich glaube, die Franzosen nehmen das Geld, lachen über unsere Dummheit und besetzen die Stadt sobald wie möglich.« Justus nahm den Zylinder ab und wischte sich mit einem Leinentuch den Schweiß von der Stirn. »Heiß ist es wieder einmal unter der steifen schwarzen Seide«, stöhnte er, »in London tragen die Herren in ihrer Freizeit karierte Tweedmützen, die sind bestimmt viel angenehmer.«

»Du würdest zu einer Komikfigur, wenn du in Hamburg so herumläufst.«

»Ich weiß.«

»Apropos Engländer. Wenn die Franzosen hier einrücken, ist es mit unserem Englandhandel vorbei, das weißt du, nicht wahr?«

»Wir müssen nach neuen Wegen suchen. Darüber wollte ich heute sowieso mit dir sprechen.« Clemens wusste, wovon er redete. Er war derjenige der beiden Brüder, der die Welt bereiste, die Gewürzlieferanten in Übersee beaufsichtigte und die Lageristen in den fernen Verschiffungshäfen kontrollierte. Er sorgte für die einwandfreie Ware, für die das Großhandelsunternehmen Iserbrook bekannt war, und für die Pünktlichkeit und Sorgfalt der Schiffstransporte.

»Wenn es zu Blockaden kommt, sind wir vom Welthandel abgeschnitten«, seufzte er. »Und was macht unsere Niederlassung in Venedig?«

»Sie wächst, Moritz ist ein zuverlässiger Geschäftsführer. Er weiß, dass er am wichtigsten europäischen Umschlagplatz für Gewürze tätig ist.«

»Du kannst sehr zufrieden sein mit deinem Sohn. Ich beneide dich um deine Kinder.« Clemens dachte an seine Frau, die es immer abgelehnt hatte, ein Kind zu bekommen, weil sie die Mühe einer Schwangerschaft fürchtete. Zudem legte sie großen Wert auf ihre hübsche Figur. Leider hatte sie sich erst nach der Hochzeit dementsprechend geäußert. Clemens hatte damals die junge Baroness von Persau aus Potsdam geheiratet, weil er der Meinung war, adeliges Blut könnte der Iserbrook-Dynastie gut zu Gesichte stehen, und die junge Dame, begierig, reich zu sein und in einer großen Stadt zu residieren, hatte schnell und ohne Zögern seinem Antrag zugestimmt. Leider war daraus ein Fiasko geworden, das Clemens niemandem gegenüber erwähnte. Nur sein Bruder Justus wusste darum und der hütete sich, den Bruder auf dieses Malheur anzusprechen. Er liebte seinen älteren Bruder und wollte ihn mit seinen Bemerkungen nicht kränken. Also schwieg er und freute sich insgeheim über seine Vanessa, mit der er so viel Glück und drei Kinder hatte. Die Parade war beendet. Die Zuschauer zerstreuten sich. Die beiden Brüder traten den Rückweg an. Clemens, der auf Wunsch seiner Frau ein Haus am Alsterdamm mit Blick auf die Binnenalster gekauft hatte, ging missgestimmt neben dem Bruder her. Justus dagegen, zufrieden, in dem alten Patrizierhaus der Familie am Neuen Wall zu wohnen, konnte es kaum erwarten, im Salon seiner Frau den Tee einzunehmen.

Das letzte Stück des Weges führte sie über den Jungfernstieg an der Binnenalster entlang. Zahlreiche Spaziergänger schlenderten an diesem warmen Nachmittag über die eleganteste Flaniermeile der Stadt. Die Damen schritten in bodenlangen, duftigen Musselinkleidern mit Rüschen und Spitzenbesatz, Seidenschals um Hals und Schultern geschlungen und breitkrempige Hüte, in der Farbe passend zu den Kleidern, auf den wohlfrisierten Köpfen, würdig einher. Die Herren in den obligatorischen weißen Beinkleidern, die durch einen Steg am Fuß festgehalten wurden, führten ihre Damen galant am Wasser entlang. In den dunklen Fräcken mit den reichverzierten Westen über den Hemden mit den ungeliebten Vatermörderkragen, mit Spazierstock und Zylinder ausgestattet, kämpften sie gegen Sonne und Hitze.

Die Brüder betrachteten das Treiben amüsiert. »Schau mal da drüben, der Alsterpavillon. Sie haben Tische und Stühle nach draußen gestellt, aber es sitzen nur Herren dort. Sind die Plätze unter den Sonnenschutzmarkisen ein Privileg der Männer in unserer Stadt?«

Clemens lachte. »Es sieht aus wie in arabischen Ländern, wo es nur den Männern gestattet ist, öffentlich Köstlichkeiten zu genießen, auch wenn diese Köstlichkeiten meist nur aus Pfefferminztee und ein wenig Gebäck bestehen. Vielleicht halten es hanseatische Frauen für unziemlich, auf der Straße zu sitzen.«

»Na, eine Straße ist diese Flaniermeile ja nicht gerade. Die Kutschen fahren drüben vor den Häusern entlang. In Venedig sind Straßencafés selbstverständlich, da fragt kein Mensch nach Unziemlichkeiten, wenn Männer und Frauen bis gegen Mitternacht im Freien tafeln.«

»Die haben aber auch ein anderes Wetter.«

»Nicht immer, die Winter sind durchaus mit Hamburger Verhältnissen zu vergleichen. Es gibt Frost und manchmal sogar Eis auf den Lagunen. Nur die Sommer sind heißer und vor allem viel länger als bei uns.«

»Wie hat es dir eigentlich damals in der Lagunenstadt bei der Hochzeit deines Sohnes gefallen?«

»Ganz ausgezeichnet, obwohl ich mit der Wahl meines Sohnes nicht unbedingt einverstanden war. Er hätte hier eine Hanseatin heiraten und dann nach Venedig ziehen sollen.«

»Magst du deine Schwiegertochter nicht?«

»Das will ich nicht sagen, sie ist eine sehr hübsche junge Dame und kommt aus einem guten, vielleicht etwas hochmütigen Elternhaus. Aber ein wirkliches Urteil kann ich mir nicht erlauben, ich kenne Silvana ja kaum.«

»Hauptsache ist doch, dein Moritz kennt sie.«

»Ich denke, die beiden sind sehr verliebt, und hoffe nur, dass die Liebe sie nicht blind macht. Ich brauche Moritz als zuverlässigen Arbeiter und nicht als verliebten Hahnrei.«

»Seine Frau hat dir drei Enkelkinder geboren, vergiss das nicht.«

»Nein, das vergesse ich bestimmt nicht. So wie es aussieht, sind diese Kinder einmal die Erben unseres Unternehmens. Ich wünschte nur, sie wären hier in Hamburg und ich könnte einen gewissen Einfluss auf ihre Erziehung nehmen.«

»Moritz wird’s schon richten.« Clemens wusste, dass dies ein heikles Thema für Justus war, und er versuchte, ihn abzulenken. Er zeigte auf die Flaniermeile. »Schön haben die Gärtner das gemacht. Sie haben den Weg um acht Meter verbreitert und zweihundert Linden angepflanzt, endlich kann man unbehelligt von dem Verkehr hier flanieren und eines Tages werden die Bäume einen wohltuenden Schatten spenden.«

»Sogar die Hunde haben Platz zum Toben«, lachte Justus und zeigte auf ein paar Pudel und Pinscher, die noch nicht wussten, ob sie sich lieben oder beißen sollten, und mit wildem Kläffen zwischen den weit schwingenden Röcken der Damen herumtobten.

Von der nahe gelegenen St.-Petri-Kirche schlug die Glocke vier Mal. »Wir haben noch etwas Zeit, wollen wir auch einen Kaffee im Alsterpavillon nehmen? Ich habe dort noch nie gesessen und in ein paar Tagen bin ich schon wieder unterwegs.«

Justus, der im Gegensatz zu seinem fernreisenden Bruder den Handel in Hamburg führte und für den Verkauf der ankommenden Waren im Norden Europas sorgte, stimmte zu. »Wohin reist du diesmal?«

»Ich bin mit den Vanillelieferungen aus Mexiko nicht mehr zufrieden. Die Niederländer drängen sich zunehmend in unsere Geschäfte und versuchen, über Beziehungen zu den Kolonialmächten den Handel an sich zu ziehen. Ich muss mich persönlich darum kümmern, es sind heikle Situationen, die Taktik und Fingerspitzengefühl bei den Verhandlungen erfordern.«

Die Brüder nahmen an einem kleinen Tischchen Platz und bestellten Kaffee. »Möchtest du etwas essen?«

Justus schüttelte den Kopf. »Nein danke, um fünf erwartet mich Vanessa mit Tee und Gebäck, sie wäre enttäuscht, wenn ich ihre Törtchen ablehne.«

»Sie ist eine wunderbare Frau. Ich beneide dich.«

»Wenn es zu Besetzungen durch die Franzosen und eine Blockade gegen die Engländer kommt, wird sie es als Engländerin schwer haben in Hamburg. Die Franzosen könnten, wenn es um ihre jahrelange Feindschaft mit den Engländern geht, sehr rabiat sein und ihren Ärger an den hier lebenden Engländern auslassen.«

»Du wirst deine Frau zu schützen wissen.«

»Selbstverständlich, ich könnte sie zu Johanna nach Lübeck schicken. Die Lübecker sind Fremden gegenüber sehr tolerant.«

»Sie sind auch nicht von der freien Fahrt auf der Elbe, die uns hier den Welthandel gestattet, abhängig. Wie geht es deiner Tochter und ihrem Mann?«

»Ich denke gut. Daniel bereist die ganze Ostseeküste bis hinauf nach Riga, und ich bin mit seinen Geschäften sehr zufrieden. Leider haben die beiden keine Kinder. Vielleicht liegt es an diesen vielen Reisen.«

»Oder an seinem Alter?«

»Oder an seinem Alter! Manchmal bedauere ich, dass ich diese Ehe forciert habe, aber Daniel ist ein hervorragender Gewürzhändler, und ich wollte ihn an unsere Gesellschaft binden. Und Johanna schien glücklich und einverstanden zu sein.«

»Es ist doch ganz natürlich, dass Väter sich um die Ehen ihrer Kinder kümmern. Wo kämen wir denn hin, wenn die jungen Leute sich allein überlassen blieben. Nein, nein, du hast das sehr richtig gemacht.«

Insgeheim zweifelte Justus an der Richtigkeit seines Vorgehens, aber vom Verstand her hatte er vernünftig gehandelt, und die Erfolge, die Daniel in den Geschäftsbüchern verbuchen konnte, gaben ihm recht.«

Zwei kleine Hunde sausten unter den Tischen hindurch und ein paar Frauen, die den Teeraum im Pavillon gerade verließen, kreischten erschrocken auf. Einer der Hunde verfing sich in dem Rüschenvolant eines Kleides und riss der Dame den locker geknüpften Rock von der Taille. Den bauschig-blumigen Ballon hinter sich herziehend, stob er erschrocken davon. Clemens sprang geistesgegenwärtig auf, riss sich den Gehrock von der Schulter und legte ihn der Dame um die nur noch mit einem knielangen Leinenhöschen bekleideten Hüften. Andere Männer verfolgten, mit Spazierstöcken drohend, den verwirrten Hund, der schließlich verängstigt von dem Geschrei den Seidenballon losließ und über die Straße davonrannte, wobei er fast unter die Hufe eines Kutschpferdes geraten wäre.

Justus saß derweil an seinem Tisch und lachte, bis die Tränen über seine Wangen fielen. Er wusste, dass das unschicklich war, aber er konnte sich einfach nicht zurückhalten. Endlich bildeten ein paar Damen einen Kreis um die Entblößte, einer der Männer brachte den Rock zurück, und im Schutze des Damenkreises kleidete sich die entsetzte junge Frau wieder an. Clemens kam zurück, zog den Gehrock über Hemd und Weste und setzte sich neben den erheiterten Justus. »Mein Gott, was so alles passieren kann.«

»Ich habe lange Zeit nicht mehr so gelacht. Ich muss das unbedingt Vanessa erzählen, die wird genauso viel Spaß an der Geschichte haben.«

»Du lachst und ich habe einen roten Kopf vor Verlegenheit.«

»Der steht dir aber gut«, Justus musste immer noch lachen. »Aber sag mal, wie wird deine Frau Mathilde mit den langen Trennungen von dir eigentlich fertig?«

»Sie reist viel. Mal ist sie in Potsdam bei ihrer Familie, sie liebt auch Seebäderkuren in Heiligendamm, einem Bäderdomizil der feinen Berliner Gesellschaft, oder sie fährt zu einer Freundin nach Bremen. Langeweile kennt sie nicht.«

»Hast du keine Angst, dass sie anderen Männern schöne Augen macht, wenn du so lange unterwegs bist?«

»Sie weiß, dass sie sofort gehen müsste.«

»Wie grausam sich das anhört.«

»Sie müsste mein Haus und die Stadt umgehend verlassen.«

»Weiß sie das?«

»Natürlich. Als wir vor zwanzig Jahren heirateten, haben wir darüber gesprochen und einen Vertrag verfasst. Wir sind keine Liebesbeziehung eingegangen, sondern eine Vernunftehe. Sie will den Reichtum der Iserbrooks genießen und ich will von den Beziehungen derer von Persau zum preußischen Königshaus profitieren. Oder hast du das Etikett ›Königlich-preußischer Hoflieferant neben unserem Wappen vergessen?«

»Natürlich nicht.«

»Das war sozusagen ihre Mitgift.«

Die Glocken der St.-Petri-Kirche läuteten die fünfte Stunde ein. Gleich darauf schlug es vom Turm der St.-Jacobi-Kirche fünf Mal. Justus stand auf. »Ich muss gehen. Vanessa wartet.« Er legte eine Kurant-Mark auf den Tisch und nickte dem Bediener zu, als der in der Tasche nach Schillingen zum Wechseln suchte. »Ist in Ordnung so.«

Die beiden Brüder gingen gemeinsam bis zum Ende des Jungfernstieges. Dann bog der eine nach rechts in den Neuen Wall ab und der andere nach links zum Alsterufer. »Ich melde mich, bevor ich nach Mexiko abreise«, rief Clemens seinem Bruder zu. »Mach die Bestellungen möglichst schnell fertig, damit ich reisen kann, sobald ein passendes Schiff in See sticht.«

Justus winkte ihm zu. »Die Listen liegen im Kontor. Und die Gelder auch, damit du gute Ware kaufen kannst, bevor dir ein anderer zuvorkommt.«

Ja, dachte der Jüngere: Unsere Zusammenarbeit hat sich bewährt, nur so sind wir erfolgreich. Einer arbeitet draußen, der andere drinnen, und jeder weiß vom anderen, was nötig ist, was gebraucht wird, wo es Schwierigkeiten gibt und wo neue Geschäfte auf uns warten. Wir sind eben Brüder!

Kapitel 2

Zwölf Wochen später, Clemens war zehn Tage vorher mit der ›Mariengold‹, einer Dreimastbark der Hamburger Reederei Schippken, nach Mexiko aufgebrochen, besetzten französische Militäreinheiten unter Marschall Edouard Mortier den kleinen Ort Bergedorf östlich von Hamburg. Der Senat schickte Deputierte in das Hauptquartier, die darauf hinweisen sollten, dass die Stadt sich ihre Unabhängigkeit und Neutralität vor längerer Zeit von der französischen Regierung erkauft habe. Doch der Marschall antwortete unbeeindruckt, dass er im Namen Napoleons I. die Stadt in Besitz nehmen werde, dass aber die Bewohner ohne Besorgnis leben könnten, denn die fast dreitausend Soldaten unter seinem Befehl unterlägen einer strengen Disziplin.

Noch am gleichen Tag zogen die Truppen in Hamburg ein. Die Bürger mussten sie unterbringen und beköstigen, der Marschall beschlagnahmte das Vermögen der Stadt, und das gesamte englische Eigentum musste angezeigt werden.

Napoleon I., Sieger über die preußische Armee bei Jena und Auerstädt, kann sich endlich seinem Plan widmen, durch eine Handelssperre seinen Hauptgegner Großbritannien auszuschalten. Die Besitznahme Hamburgs ist dabei von größter Bedeutung, denn die Stadt an der Elbe ist der wichtigste Umschlagplatz englischer Waren auf dem Kontinent. Zwei Tage nach dem Einmarsch seiner Truppen in Hamburg verkündet er von Berlin aus ein totales Handelsverbot gegen England. In Hamburg werden alle englischen Waren konfisziert und britische Staatsbürger werden eingesperrt.

Justus hatte diese Entwicklung befürchtet und seine englische Frau gebeten, während der Belagerungszeit zu ihrer Tochter nach Lübeck umzuziehen. Er hatte Mietkutschen reserviert, Kisten für das Gepäck bestellt und einen Reiseweg, der nicht kontrolliert wurde, festgelegt. Aber Vanessa weigerte sich, ihren Mann zu verlassen.

»Liebster Justus, wir gehören zusammen und nichts, aber auch gar nichts und gar niemand kann mich zwingen, dich zu verlassen.«

Justus war entsetzt. »Vanessa, es heißt, alle Engländer würden Kriegsgefangenen gleich in Lager gebracht. Die Franzosen werden die Frauen wie Männer behandeln, man wird dich einsperren und quälen und zwingen, mich zu verlassen.«

»Wir haben uns bei der Hochzeit vor beinahe dreißig Jahren geschworen, in guten wie in bösen Tagen zusammenzuhalten, bis der Tod uns scheidet. Genauso soll es sein.«

»Liebling, was redest du da. Das Wort ›Tod‹ will ich aus deinem Mund nicht hören. Wir leben und so soll es bleiben. Bitte, lass dich in Sicherheit bringen. Tu es mir zuliebe. Ich brauche dich doch.«

»Im fernen Lübeck?«, versuchte Vanessa zu scherzen.

»Im fernen Lübeck lieber als in einem Lager gleich nebenan.« Nach einer langen Diskussion, in der Justus sogar damit gedroht hatte, persönlich Hamburg und sein Geschäft und damit den wunderbaren Erfolg der Gewürz-Dynastie aufzugeben, um Vanessa zu retten, willigte sie schließlich ein, für ein paar Wochen nach Lübeck umzuziehen. Dass sich die ›paar Wochen‹ zu einer sehr langen Zeit ausdehnen würden, ahnte niemand, als die Kutschen bei Nacht und Nebel am Neuen Wall vorfuhren. Justus hatte mithilfe von Freunden eine Reiseroute ausgewählt, die auf großen Umwegen die Besatzer mit ihren Spähposten und Wachen umgehen sollte. Da er seine Frau auf dieser Fahrt begleiten würde, behielt er die Reiseroute für sich und gab den Kutschern nur teilweise die Richtung an. Sie hatten in den nächtlichen Stunden die Kisten gepackt und Justus hatte darauf bestanden, dass Vanessa einige Kostbarkeiten, die sie einst aus London mitgebracht hatte, einpackte und mitnahm.

»Man erzählt, dass die Franzosen alle englischen Waren, die sie finden, vernichten. Du musst deine geliebten Erinnerungsstücke einpacken und retten.«

»Ach, mein Lieber, wo soll ich da anfangen, ich kann doch meine Sessel mit den Petit-Point-Stickereien nicht mitnehmen.«

»Nein, die wären etwas unhandlich, aber du solltest auf jeden Fall dein Wedgwood-Geschirr für fünfzig Personen einpacken. Diese fein ziselierten Teller und Tassen, an die noch Herr Wedgwood eigens Hand angelegt hat, musst du retten. Eines Tages feiern wir wieder Feste mit all unseren Freunden, dann brauchen wir diese Kostbarkeiten. Und das Silber mit deinem Familienwappen – die Franzosen würden es einschmelzen und Gewehrkugeln daraus formen.«

»Du hast recht, das kann ich nicht zulassen.«

So packten Justus und Vanessa mithilfe einer Zofe, die mit nach Lübeck reisen würde, Kisten und Koffer in aller Heimlichkeit und bevor die Besatzer die Häuser inspizierten.

Im ersten Morgenlicht des 19. November bestiegen sie die Kutschen, Vanessa mit Tränen in den Augen und Justus sehr zufrieden, wenn auch besorgt. Denn eine weite Reise mit stündlichen Gefahren stand ihnen bevor. Er setzte sich zu seiner Frau in die erste Kutsche, um die Gespanne zu dirigieren, Linda, die englische Zofe, folgte mit dem Gepäck in der zweiten Kutsche. Justus wählte den Weg über den Herrengraben zum Scharmarkt und weiter übers Eichholz zum Kuhberg und Grünersood bis zum Zeughausmarkt und zum Mullern Thor, um so weit westlich wie möglich die Stadt zu verlassen. Am Pesthof vorbei erreichten sie Altona.

Die Stadt unter dänischer Besatzung würde von den Franzosen verschont werden, und hatten sie die Dänen zwischen die Fronten geschoben, konnten sie beruhigt nach Norden und später nach Osten reisen, um nach Lübeck zu gelangen.

Die Pferde, zwei ausgeruhte Gespanne, legten ein zügiges Tempo vor und nach zwei Passkontrollen hatten sie gegen Mittag auch Altona hinter sich gelassen. Jetzt dirigierte Justus die Kutscher über Rellingen und Tangstedt nach Hasloh. Dort gab es eine Umspannstation für Pferde. Gegen Abend erreichten sie Friedrichsgabe und damit das Rasthaus, in dem sie die Nacht verbringen würden. Vanessa hatte unterwegs geschlafen, dennoch waren beide müde und durch die holprigen Wege so durchgerüttelt, dass sie kaum aussteigen und die wenigen Schritte bis zur Eingangstür gehen konnten. Justus half seiner Frau, stützte sie und hielt ihren Arm, bis sie in der Eingangshalle standen.

»Wir sind eben nicht mehr die Jüngsten«, versuchte Vanessa zu scherzen und rieb sich den schmerzenden Rücken.

»Wenn wir gut durchkommen, erreichen wir morgen Mittag Bad Oldesloe und sind abends in Lübeck.«

»Ist das nicht zu weit für die Pferde?«

»Sie werden in Oldesloe wieder umgespannt und die Straße von dort nach Lübeck ist gut ausgebaut. Wie brauchen dann keine Schleichwege zu benutzen und kommen besser vorwärts.« Vanessa nickte erschöpft. Aus der Gaststube kam der Wirt und erkundigte sich nach den Wünschen der Gäste.

»Wir brauchen vier Zimmer für eine Nacht und ein gutes Abendessen für fünf Personen.«

»Das mit dem Abendessen geht in Ordnung, ich sage gleich in der Küche Bescheid, aber ich habe nur zwei Gästezimmer zum Nächtigen. Wie viele Personen sollen denn untergebracht werden?«

»Meine Frau und ich in einem Zimmer mit zwei Betten, die Zofe und die Kutscher brauchen je ein Zimmer.«

»Kutscher schlafen bei uns immer im Stall bei den Pferden.«

»Ich wünsche, dass die Männer, die eine gute Arbeit geleistet haben, bestens untergebracht sind und nicht im Stall.«

»Aber die Männer werden das selbst wollen. Sie haben die Kontrolle über die Pferde und fühlen sich im Stall wohler als in einem feinen Gästezimmer.«

»Na gut«, sagte Justus schließlich widerwillig. Er war es gewohnt, dass man sich seinen Wünschen fügte, aber wenn wirklich keine weiteren Gästezimmer vorhanden waren, ließ sich die Unterbringung im Stall nicht ändern. »Na gut, aber ich wünsche mit den Männern zusammen in der Gaststube zu essen, und zwar an einem gemeinsamen Tisch.«

»Jawohl, der Herr«, der Wirt wischte sich die Hände an seiner grünen Schürze ab und griff nach den Reisetaschen der Herrschaften, die wirklich absonderliche Wünsche hatten. »Wenn Sie mir bitte folgen wollen, die Gastzimmer sind im Obergeschoss.«

Müde von der langen und unbequemen Reise folgten Vanessa, Justus und die Zofe mit dem restlichen Gepäck. Die Kisten sollten auf der Kutsche bleiben und in einer Remise über Nacht eingeschlossen werden.

Nachdem sie sich frisch gemacht hatten – zum Glück waren die Straßen jetzt im November nicht so staubig wie im Sommer –, gingen sie hinunter in die Wirtsstube. Ein paar alte Männer saßen am Tresen, rauchten ihre Pfeifen und tranken ihre Biere. Neugierig sahen sie den Fremden entgegen, bemerkten aber gleich, dass es sich um feine Herrschaften handelte, die sie nicht sofort mit Fragen über die Besetzung der Stadt, über die Blockade und das Verhalten der Franzosen bestürmen konnten. Der Wirt zeigte auf einen Tisch, der mit einem karierten Tuch bedeckt war und auf dem sich Teller und Bestecke stapelten. Während Vanessa und Justus Platz nahmen, verteilte Linda Geschirr, Messer, Löffel und Gabeln. Justus bestellte für die Frauen heißen Hagebuttentee und für die Männer Bier, und als die Kutscher die Pferde versorgt und sich draußen unter der Hofpumpe gewaschen hatten, stellte der Wirt eine große Schüssel mit Kohlsuppe auf den Tisch. »Wohl bekomm’s«, wünschte er. »Im Ofen brät ein Schinken im Teigmantel und dazu gibt’s dann Rübengemüse und diese neuartigen Kartoffeln, die jetzt überall bevorzugt werden.

»Habt Ihr diese Knollen selbst gepflanzt und geerntet?«, wollte Vanessa wissen, denn in Hamburg waren sie nicht allzu häufig auf dem Speiseplan. Die württembergische Köchin im Hause Iserbrook scheute Neuerungen, die sie nicht von daheim kannte.

»Na ja«, erklärte der Mann, »zuerst haben wir gedacht, da sind nur Blumen auf den Feldern von ein paar Bauern. Die blühten weiß und gelb und violett. Und dann hatten sie so kleine grüne Kugeln an den Ästen, aber wer die gegessen hat, dem wurde ganz schön schlecht. Und dann hat man den Bauern erzählt, die Früchte wachsen unter der Erde und schmecken sehr gut. Da haben dann alle angefangen, diese Kartoffeln zu pflanzen. Ich auch. Hat aber zwei Jahre und zwei Versuche gedauert, bis was Vernünftiges draus geworden ist. Probieren Sie nachher mal, die Leute sagen, meine schmecken am besten.« Stolz strich er sich über den beleibten Bauch. »Der Friedrich von Preußen, der Große, der hat die Leute gezwungen, diese Knollen zu essen, weil’s in den langen Kriegszeiten nichts anderes gab. Nun haben sich alle dran gewöhnt.«

Vanessa hatte aufmerksam zugehört. »Wenn Ihr wisst, wie man die Knollen zubereitet, dann schreibt mir das bitte auf. Ich habe sie schon probiert und sie haben gut geschmeckt, ich weiß nur nicht, wie man sie zubereitet.«

Der Wirt nickte. »Ich sag’s meiner Frau, die kennt sich in solchen Sachen aus.«

Das Abendessen mundete allen vorzüglich. Selbst die Kutscher, zuerst etwas befremdet vom Essen am Tisch der Herrschaften, griffen kräftig zu. Das Fleisch unter dem Teigmantel war saftig und zart rötlich, wie Vanessa es liebte, die Kartoffeln, in Scheiben geschnitten und mit Rindertalg gebraten, schmeckten delikat und sogar das Rübengemüse, mit Bratensaft übergossen, war ein Genuss. »Ich hätte nie erwartet, ein so gutes Mahl in einem so kleinen Gasthof zu bekommen«, lobte Vanessa die Frau des Wirtes, die mit hochrotem Gesicht immer wieder durch die Luke in der Küchentür schaute, um zu sehen, ob es den Gästen schmeckte.

Am Abend des nächsten Tages erreichten die Iserbrooks Lübeck. Kurz vor den Befestigungsanlagen musste Justus den Zollinspekteuren die Personalpapiere der Reisenden und der Kutscher vorweisen. Aber der Name Iserbrook war auch in Lübeck wohl bekannt, denn die Gewürz-Dynastie verhalf mit ihrem Handel auch der alten Hansestadt im Ostseeraum zu Ansehen und Reichtum.

Man ließ die Reisenden ohne Gepäckkontrolle passieren. Zwischen Holstentor und den alten Salzspeichern, die wie Wächter die Zufahrt zu versperren schienen, erreichten die Kutschen die Travebrücke und gleich danach die alte Hafenstraße. Trotz der späten Abendstunde herrschte auf den Kaianlagen ein reger Betrieb. Als Vanessa sich darüber wunderte, erklärte Justus: »Viele Schiffe, die wegen der Blockade die Elbe nicht passieren und in Hamburg nicht anlegen dürfen, weichen auf andere Häfen aus. An der Nordsee ankern viele in Tönning an der Eidermündung oder in Emden und Bremen. Andere weichen bis in die Ostsee und nach Lübeck aus.« Er seufzte. »Und in Hamburg liegt die ganze Schiffsflotte untätig im Hafen fest. Der Wirtschaftsverkehr kommt zum Erliegen und wir werden schwerste Einbußen im Handel hinnehmen müssen.«

»Und keiner bremst diesen Napoleon?« Vanessa hatte Angst um die Geschäfte ihres Mannes. »Wie wird unsere Gewürzhandlung das alles überstehen?«

»Ich habe vorgesorgt«, versuchte Justus seine Frau zu beruhigen. »Ich habe so viele Gewürze gelagert wie nie zuvor, ich habe zusätzliche Lagerhäuser angemietet, und wenn niemand unsere Vorräte verrät, können wir trotz der Blockade den Handel im Inland jahrelang aufrechterhalten.«

»Wer könnte denn die Vorräte verraten?«

»Verräter gibt es immer und überall. Aber mein Lagerist war sehr vorsichtig. Er hat die Waren von fremden Arbeitern um- und ausladen lassen und die wussten nichts über den Inhalt der Kisten und wem sie gehörten.«

»Aber Justus, Gewürze riecht man meilenweit.«

»Wir haben luftdicht gezimmerte Kisten verwendet und nur Gewürze mit schwachem Aroma wie Pfeffer und Zimt und Ingwer und Kümmel ausgelagert.«

Vanessa schüttelte den Kopf. »Ich hoffe, du hast recht.« Justus nickte. »Wir müssen uns mit diesem Krieg arrangieren, mein Liebling. Er wird zwar nur noch zwischen Frankreich und England geführt und nicht mehr zwischen Napoleon und dem Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation, aber wir, obwohl wir eine Freie Hansestadt sind, stecken mittendrin.«

Nach einer kurzen Fahrt über die Kaianlagen erreichten die Kutschen die Engelsgrube und gleich darauf das vierstöckige Kontorhaus der Iserbrooks, das hier als Karenius-Haus geführt wurde. Johanna, durch einen Boten auf den Besuch vorbereitet, hatte die Zimmer für Vanessa und ihre Zofe in der ersten Etage vorbereitet. »Ich wollte nicht, Mutter, dass du die Treppen noch höher hinaufsteigen musst. Wir haben uns oben eingerichtet.«

Sie umarmte die Gäste herzlich und zeigte sehr deutlich, wie sehr sie sich über den Besuch freute. »Du bist noch nie hier gewesen, Mutter, nun sollst du dich wohlfühlen und die Zeit bei uns genießen. Daniel ist noch im Hafen, er kommt in letzter Zeit immer sehr spät nach Hause, weil es so viel zu tun gibt mit all den umgeleiteten Schiffen, aber bis zum Abendessen ist er hier, dann wird er euch begrüßen.«

Während Justus das Entladen der Kutschen beaufsichtigte und den Männern den Weg zum nächsten Stall erklärte, führte Johanna die Mutter in ihre Zimmer und zeigte der Zofe die Kammer, in der sie wohnen würde. Als die Familie schließlich beim gemeinsamen Abendessen saß, erklärte Justus, dass er bereits am nächsten Morgen mit den Kutschen zurückreisen würde. »Ich muss mich um die Hamburger Geschäfte kümmern«, und als er die enttäuschten Gesichter sah, fuhr er fort: »In diesen wirren Zeiten ist es besser, ich bin zu Hause. Ich habe gehört, dass alle Wohnungen, ja sogar die Keller und die Bodenräume als Unterkünfte für die Franzosen beschlagnahmt werden.« Vanessa sah ihn entsetzt an. »Davon hast du mir ja gar nichts gesagt, Justus.«

Ihr Mann nickte. »Hättest du dann dein Haus verlassen?«

»Nein, natürlich nicht.«

»Siehst du. Ich wusste das. Dein Leben und deine Sicherheit sind mir wichtiger als ein paar Möbel oder Stiefelabdrücke auf den blanken Dielen.«

Vanessa kämpfte mit den Tränen, aber Johanna nahm sie in die Arme und tröstete. »Solche Schäden kann man reparieren, Mutter, aber ein Leid, das dir im Lager zugestoßen wäre, könnte man wahrscheinlich nicht mehr lindern. Vater hatte sehr recht, als er dich in Sicherheit brachte.«

Nach dem Essen zogen sich Justus und sein Schwiegersohn in das Herrenzimmer zurück. Sie hatten kaum Zeit und es gab viel zu besprechen. Der alte Mann erkundigte sich nach den Geschäften und Daniel wollte wissen, wie es mit der Politik weitergehen würde.

»Wir stehen erst am Anfang eines großen Dilemmas. Die Hamburger Bürger müssen nicht nur die fremden Soldaten unterbringen, sie müssen sie auch verköstigen. Dafür gibt es genaue Vorschriften.«

»Wie denn das?«

»Jeder Soldat hat einen täglichen Anspruch auf ein halbes Pfund Fleisch, anderthalb Pfund Brot, auf Gemüse oder Reis, eine Flasche Bier und ein Glas Branntwein. Dabei haben die Hamburger kaum selbst etwas zu essen. Aus Zichorie oder gebrannten Eicheln kochen sie Kaffee, statt Zucker gibt es Sirup und als Tabak nehmen sie getrocknete Kirsch- oder Kastanienblätter. Und die wenigen Lebensmittel, die noch zu kaufen sind, werden jeden Tag teurer. Und dazu die hohe Arbeitslosigkeit, weil die Wirtschaft am Boden liegt und der Hafen vor sich hindämmert. Sogar die Kattunfabriken sind ruiniert und auch alle Zulieferer für die Schifffahrt. Ich sag’s dir, die Stadt wird in kürzester Zeit ein Armenhaus.«

»Mein Gott, das ist ja furchtbar.«

»Und ein Ende ist nicht abzusehen.«

»Hoffentlich trifft uns hier nicht das gleiche Schicksal.«

»Man munkelt, dass Napoleon die gesamte Küstenregion in die Blockade gegen England einbeziehen will und dass die drei Hansestädte dem französischen Kaiserreich einverleibt werden sollen.«

»Das darf nicht wahr werden. Was machen wir denn dann?«

»Daniel, wir müssen einfach stillhalten. Wir müssen uns ducken und auf bessere Zeiten hoffen. Sorge du für Vorräte, nicht nur im Handel, sondern auch privat. Ich habe zu spät daran gedacht. Aber allein komme ich schon durch, du aber hast ein Haus mit liebenswerten Menschen, kümmere dich um sie, ich bitte dich herzlich.«

»Ich verspreche es, du kannst dich auf mich verlassen.«

»Und noch etwas. Schränke deine Reisen ein. Ich möchte, dass du hierbleibst. Lass den Handel ruhen oder schicke Mitarbeiter auf die Reisen. Ich vertraue dir das Liebste an, was ich habe, meine Frau und meine Tochter, ich möchte, dass sie hier bei dir den Schutz genießen, den sie verdient haben, und dass sie sich geborgen fühlen. Und sollte mir etwas zustoßen …«

»Hör’ auf, das will ich gar nicht hören.«

»… und sollte mir etwas zustoßen, musst du die Leitung des Handelshauses übernehmen, bis Moritz und seine Kinder dazu fähig sind.«

»Was hast du vor?«

»Nichts, aber in Zeiten wie diesen muss man mit allem rechnen.«

Kapitel 3

Die Franzosen besetzten Hamburg, ohne auf den geringsten Widerstand zu stoßen. Befestigungsanlagen gab es nicht mehr, die Hanseaten hielten sich an ihre erkaufte Neutralität und die Bürger verkrochen sich. Die fremden Soldaten beschlagnahmten nicht nur die öffentlichen Gebäude und die Wohnhäuser, sie requirierten auch alle Lebensmittel, die sie fanden, sowie das in Hinterhöfen versteckte Kleinvieh der armen Bevölkerung in den Gängevierteln. Ja, sie scheuten nicht einmal davor zurück, die Kutschpferde der Hamburger als Schlachtvieh zu betrachten, während sie ihre eigenen Gäule in den großen Hallenkirchen der Stadt unterstellten.

Als Justus Iserbrook nach einer zweitägigen Rückreise Hamburg erreichte, er musste, um Grenzstreitigkeiten zwischen französischen Besatzern und dänischen Truppen auszuweichen, wieder Umwege wählen, war sein Haus vom Keller bis zum Boden mit Franzosen besetzt. In der Hausmeisterwohnung im Souterrain lebten die Burschen der Offiziere, die ihrerseits Quartier in seinen Wohnräumen aufgeschlagen hatten, und in den Mansarden, wo die weiblichen Dienstboten ihre Kammern hatten, hausten Marketenderinnen, die den Offizieren zu Diensten waren. Außer der Mamsell waren alle eigenen Haushaltshilfen verschwunden.

Sehr ängstlich und verschreckt öffnete Luise die Haustür, als er spät am Abend klopfte. »Was ist hier los, Luise. Warum weht die Trikolore über dem Eingang. Wer feiert in meinen Wohnräumen? Was sind das für Lieder, die da so laut gesungen werden?«

»Die Franzosen haben das Haus besetzt, Herr, und alle Dienstboten sind geflohen«, flüsterte sie. »Ich habe auf Sie gewartet, deshalb bin ich noch hier, und ich muss die Besatzer bekochen, sonst hätten sie mich weggetrieben.«

Sprachlos hörte Justus ihr zu.

»Sie sollten sich hier nicht sehen lassen, Herr, man hat nach Ihnen gesucht, irgendjemand hat von Ihrer englischen Frau erzählt und sie haben im ganzen Haus nach englischen Waren gestöbert. Bitte, Herr, bleiben Sie nicht hier, man nimmt Sie gefangen, bis Sie verraten, wo Ihre Frau ist, und man will Ihr ganzes Geld, Herr.«

Jetzt flüsterte auch Justus, obwohl bei dem Lärm in den oberen Etagen bestimmt kein Wort zu verstehen war. »Was ist mit meinen Sachen, mit den Geschäftsbüchern und allen Handelspapieren im Tresor geschehen?«

»In Hamburg hat es sich herumgesprochen, dass die Franzosen alles beschlagnahmen oder alles verbrennen, sobald sie erfahren, dass ein Hamburger Kontakte zu Engländern hat. Herr Mögenberg, Ihr Kontorist aus dem Lagerhaus, und ich wir haben heimlich in der ersten Nacht alles im Kontor am Schopenstehl versteckt. Er hat die Sachen aus ihrem Büro geholt und ich habe Ihre Kleidung und alles, was man sonst noch schnell und heimlich transportieren konnte, eingepackt. Wir haben alles mit einer Mietkutsche zum Schopenstehl gebracht. Da habe ich auch eine Kammer für Sie eingerichtet, Herr. Und wenn’s recht ist, möchte ich Sie, bitte, begleiten dürfen.«

Justus war entsetzt. Nicht nur, weil man sein Haus beschlagnahmt hatte, sondern weil man ihn, den Herrn der Iserbrook-Dynastie, zu Heimlichkeiten zwang. Er war ein mächtiger Mann in dieser Stadt, weit über ihre Grenzen hinaus schätzte man seine Meinung, Senatoren baten ihn in heiklen Situationen um Hilfe, im Rathaus an der Trostbrücke hatte er einen Ehrenplatz, wenn der Senat tagte, und selbst in der Börse hatten seine Worte Gewicht. Sollte er sich nun wie ein Dieb bei Nacht und Nebel in einer Lagerhauskammer verstecken? Was hatte er verbrochen? Er war ein ehrenhafter, verlässlicher, korrekter Geschäftsmann aus einer jahrhundertealten Händlerfamilie, wie konnte man es wagen, ihn zum unbedeutenden Deppen zu degradieren?

Luise, die sehr genau beobachtete, was in ihrem Dienstherrn vorging, und die ihn seit vielen Jahren kannte, wagte seine Gedanken zu unterbrechen. »Herr, man kann gar nichts gegen die Franzosen tun. Ihr Kontorist hat gesagt, der Herr Iserbrook wird eines Tages ein Vorbild für alle sein, die das feindliche Regime überstehen. Er wird der Stadt helfen, ihre alte Würde zurückzuerlangen, aber bis dahin muss er ganz still sein und im Geheimen planen. Das hat der Herr Mögenberg gesagt.« Justus sah die Mamsell erstaunt an. Seit wann machten sich die Dienstboten und die Angestellten Gedanken um ihre Herrschaft? Seit wann geziemte es sich für das Personal, eine eigene Meinung zu haben? Er wollte aufbrausen – aber dann besann er sich. Die Leute hatten ja recht. Was hatte der Mögenberg gesagt? »Im Geheimen planen?« Das war eine vernünftige Idee. Ich bin nicht zu eitel, vernünftige Ideen zu verwerfen, dachte er, ich werde mich mit dem Kontoristen zusammensetzen, er ist ein einfacher Mann, er ist unbekannt in der Öffentlichkeit, er kann viel für mich erledigen: Stimmungen einfangen, Leute befragen, Vorgänge beobachten. Eigentlich ist es gar keine schlechte Idee, unterzutauchen und im Geheimen zu wirken. Er nickte der Mamsell zu. »Gehen wir!«

Ohne sein Heim wirklich betreten zu haben, drehte Justus dem Haus den Rücken zu und ging zurück auf den Neuen Wall. Luise zog die Tür leise ins Schloss und folgte ihm. Der Herr hatte »wir« gesagt, also ging sie mit ihm. Um den nächtlichen Patrouillen nicht in die Arme zu laufen, wählte Justus dunkle Straßen und kleine Gassen.

Als sie die Binnenalster erreichten, sah er hinüber zum ehemaligen Haus seines Bruders. Clemens war erfolgreich von seiner Mexiko-Reise zurückgekehrt, aber als die Franzosen näher kamen und die Besetzung der Hansestadt drohte zusammen mit seiner Frau nach Berlin umgezogen. Mathilde von Persau hatte darauf bestanden, in die Nähe der Familie zu ziehen. So hatten sie kurz entschlossen das Haus in Hamburg verkauft und waren abgereist. Justus vermisste den Bruder und die Gespräche mit ihm sehr. Clemens war ein fairer Ratgeber, ein gewiefter Geschäftsmann und ein erfahrener Mitinhaber gewesen. Aber seine Ehe stand nun auf dem Spiel und die Brüder einigten sich darin, dass Clemens in diesen unruhigen Zeiten nicht ins Ausland reiste, sondern sich von Berlin aus um die Geschäfte im osteuropäischen Raum kümmerte, die unter Robert, dem zweitältesten Sohn von Justus, immer wieder ins Stocken geraten waren. Nun blieb ihm angesichts des jetzt von Franzosen besetzten Hauses nichts als die traurige Erinnerung und die Wehmut, in diesen schweren Zeiten die Nähe des Bruder verloren zu haben.

Sie gingen an der Alster entlang bis zum Alstertor, dann über den dunklen Pferdemarkt und vorbei an der Jacobi-Kirche. Das Portal mit den wundervoll geschmiedeten Eingangstüren stand offen. Im schwachen Licht einiger Stalllaternen sahen sie Hunderte von Pferden rechts und links im Mittelschiff angebunden. Das Gestühl war entfernt und zwischen den Säulen waren Futterraufen angebracht. Vor dem Altar türmten sich Heu und Stroh und zum Ausgang hinstanden leere Leiterwagen in der Kirche. Stumm vor Entsetzen blieb Justus stehen. Aber Luise drängte. »Kommen Sie, Herr, in allen Kirchen stehen Pferde, in Sankt Katharinen sollen mehr als tausend Pferde untergestellt sein, erzählt man in der Stadt. Die Kirchen haben protestiert, aber das hat nichts genutzt. Von Harburg und von Lüneburg und sogar von Hannover sind französische Truppen in die Stadt einmarschiert, die mussten ihre Pferde genauso unterbringen wie ihre Soldaten.«

Sie liefen weiter zum Speersort und dann durchs Kattrepel zum Schopenstehl. Ein heftiger Novemberwind blies vom Hafen herauf und schützte die beiden Fußgänger vor den Franzosen, denn die Soldaten, statt Patrouille zu gehen, blieben lieber in den Wächterstuben, wo Eisenöfen für Wärme und heißen Rotwein sorgten.

Ein streunender Hund durchwühlte einen Müllhaufen und knurrte die beiden Fußgänger an, als sie in seine Nähe kamen, und ein paar Ratten verschwanden lautlos, als sie Schritte hörten. Luise suchte furchtsam die Nähe ihres Herrn, blieb aber immer ein wenig hinter ihm, wie es sich für das Dienstpersonal gehörte.

Endlich erreichten sie das Lagerhaus. Bevor Justus nach seinem Schlüsselbund suchen konnte, wurde die Tür geöffnet. »Ich habe Sie erwartet«, Mögenberg stand mit einer Kerze in der Tür und hielt schützend die Hand vor die Flamme. »Kommen Sie, ich habe alles vorbereitet. In Ihrem Büro steht ein Bett, und ein heißer Rübentopf brodelt auf meinem Eisenofen. Er ist ja nicht zum Kochen geeignet, aber eine Suppe schafft er.« Er trat beiseite und verschloss danach die Tür. »Gut, dass Sie wieder da sind, Herr.«

Justus, etwas atemlos von dem langen Fußmarsch, mit seinen mehr als fünfzig Jahren war er schließlich kein junger Mann mehr, folgte dem Kontoristen in den Raum. Mit einem Lagerhausregal und einem Schrank hatte Mögenberg die hintere Hälfte des Büros abgetrennt, sodass man von dem privaten Teil nichts sah.

»Ich dachte, es ist besser so. Die Franzosen gehen hier ein und aus, die brauchen nichts von Ihrer Anwesenheit zu wissen.«

»Was? Ich soll mich in meinem eigenen Lagerhaus verstecken?«

»Es ist besser so. Wenn sich die Aufregung der ersten Zeit gelegt hat, wird Ruhe einkehren.«

»Und was wollen die Franzosen hier?«

»Gewürze natürlich. Wenn man sie höflich wie einen guten Kunden behandelt, zahlen sie sogar dafür. Stoßen sie auf Ablehnung, nehmen sie sich ohne Geld alles mit, was sie wollen.«

»Feine Sitten sind hier eingezogen, und dabei war ich nur fünf Tage fort.«

Aber Justus arrangierte sich mit diesen Sitten, ihm blieb gar nichts anderes übrig. Er führte seine Geschäfte in aller Heimlichkeit weiter, versuchte den Handel mit alten Kunden aufrechtzuerhalten und so gut wie möglich mit seinem Schwiegersohn in Lübeck und seinem Sohn Robert in Berlin zu korrespondieren.

Da die Hamburger Fuhrleute und Postkutschenbetreiber ihre Pferde vor dem Zugriff der Franzosen retten wollten und außerhalb der Stadt in Altona, Eimsbüttel und Wandsbek versteckt hielten, war es sehr schwer, vertrauenswürdige Boten zu finden. So reduzierte sich die Korrespondenz innerhalb der Familie auf das Wesentlichste. Auch die Briefe, die Justus seiner Frau schickte, waren sehr selten. Aber Justus war, trotz seiner Härte bei Verhandlungen und seiner strengen Führung im Geschäft, ein sehr gefühlsbetonter Mann, der sich nicht scheute, seiner Frau seine Zuneigung auch zu zeigen.

Einmal im Laufe der endlos langen Jahre schrieb er:

»Meine teure Vanessa, meine Worte reichen nicht aus, dir zu sagen, wie sehr ich dich liebe. Du fehlst mir so sehr, und ich vermisse dich täglich mehr. Ich bin ein Nichts ohne dich und jeder Tag, den ich ohne dich beginnen muss, ist ein verlorener Tag. Dennoch weiß ich, dass es richtig war, dich in Sicherheit zu bringen. Hier in der Stadt herrscht das Chaos, obwohl man den französischen Offizieren ein angemessenes Benehmen zugestehen muss. Aber die Soldateska ist zügellos und von den Gemeinheiten werden die Offiziere wohl kaum unterrichtet. Es gibt eine geheime Polizei, die ihre Spione überall einsetzt, um nach geschmuggelten Waren, nach Kollaborateuren und nach Engländern zu suchen. Nichts und niemand ist vor ihnen sicher. Man sperrt Hanseaten ein, um sie zu Aussagen und Geldgaben zu zwingen. Ich bin so froh, dich in Sicherheit zu wissen.

Im Rathaus gibt es eine neue, von Franzosen eingesetzte Regierung. Die Maßnahmen sind gar nicht einmal so schlecht, denn sie versuchen, das Chaos zu bewältigen, aber wir sind für die Besatzer dennoch Menschen zweiter Klasse. Die meisten wohlhabenden Bürger haben Hamburg längst verlassen, und arme Leute, die nicht genug Lebensmittel und Brennholz nachweisen können, werden aus der Stadt gejagt. Und die Orte vor den Stadttoren werden niedergebrannt, weil die Franzosen im Verteidigungsfall ein freies Schussfeld brauchen.