DR. MED. MICHAEL LEHNERT
HÄNDE GUT,
ALLES GUT
Meine Tipps für gesunde
und bewegliche Hände
ZU BEGINN EIN PAAR WORTE ZUM VERSTÄNDNIS
Einleitung
Die Fibonacci-Formel – Mathematik im Gelenk
DIE SINNLICHE HAND – KNOCHEN, MUSKELN, SEHNEN, NERVEN UND HAUT
Der Alleskönner Hand
Knochen
Muskeln
Sehnen
Nerven
Haut
DIE ZEHN GRÖSSTEN GEFAHREN FÜR DIE HÄNDE – UND WAS SIE DAVOR BEWAHRT
Katze
Maus
Smartphone
Matratze
Feuerwerk
Avocado
Seife
Bälle
Hitze
Kälte
WENN HAND UND FINGER KRANK SIND
Karpaltunnelsyndrom – wenn die Finger nicht mehr aufwachen
Springender Finger – wohin und warum?
Gute Brüche, schlechte Brüche
Daumenaplasie – einer fehlt
Arthrose im Daumensattelgelenk – der galoppierende Schmerz
Arthrose im Fingergelenk – dicke Probleme
Überbein – Volksmund oder Volkskrankheit?
Morbus Dupuytren – mit Nadeln zur Heilung
Das RSI-Syndrom – Schutz des Körpers vor uns selbst
Die zweite Meinung – manchmal die erste Wahl
BLEIBEN SIE FINGERFERTIG! PRAKTISCHE UND SINNVOLLE HANDHELFER-ÜBUNGEN FÜR JEDEN TAG
Sie haben die Gesundheit Ihrer Hände selbst in der Hand
Übung: Die Fingerwanderung
Übung: Die Fingerstreckung
Übung: Fausttraining
Übung: Die 90-Grad-Beugung
Übung: Das O
Übung: Der Scheibenwischer
Übung: Die Handspreizung
Übung: Die Handkippe
Übung: Die Fallhand
Übung: Die Drehhand
ZEHN THERAPIEN, NACH DENEN SIE GREIFEN SOLLTEN, BEVOR DAS SKALPELL NACH IHNEN GREIFT
Die Diagnose
Akupunktur
Osteopathie
Blutegel
Faszientherapie
Stoßwellentherapie
Homöopathie
Kältekammer
Antioxidantien
Tape
Orthesen
EIN GLÜCKLICHES HÄNDCHEN ODER: WIE ICH WURDE, WER ICH BIN
Dass ich heute Handchirurg bin, ist ganz sicher Zufall
PRAKTISCHE ÜBUNGSSEQUENZEN FÜR JEDE SITUATION
Danksagung
Register
Impressum
Es sind zweimal 27 Knochen, dazu jeweils rund 30 Muskeln und außerdem unzählige Bänder, die mich bereits mein halbes Leben lang an die Hände fesseln. Hände anderer Menschen sind die ständigen Begleiter meines Berufsalltags. Sie lassen mich einfach nicht mehr los.
Handanatomie
Ich bin seit rund 30 Jahren Arzt, mein Fachgebiet und meine besondere Leidenschaft ist die Handchirurgie. Und wenn ich alle diese Jahre auf eine Erkenntnis reduzieren sollte, die auf alle meine Patienten zutrifft, dann ist es diese: Jedem Menschen sind seine Hände unglaublich wichtig. Vor mir sitzen immer wieder Patienten, die zu mir sagen: »Mein Bein können Sie haben, aber retten Sie bitte meine Hand …« Ich kann diese Menschen verstehen.
Natürlich ist diese Bitte relativ zu sehen. Jeder Mensch lebt besser mit seinen Beinen. Aber es ginge auch ohne. Fehlen die Hände oder ist ihre Funktion eingeschränkt, wird das Leben schon schwieriger. Wohl deshalb bin ich seit geraumer Zeit in Hände verliebt. Ich verliebe mich auch in Frauen, und selbstverständlich liebe ich meine Kinder. Aber die längste Beziehung meines bisherigen Lebens habe ich zu den Händen, sowohl zu meinen eigenen als auch zu denen anderer Leute. Das mag für den einen oder anderen komisch klingen, für mich und alle, die mich kennen, ist das ganz normal.
Wie Hände funktionieren, hat mich schon immer fasziniert. Immer schon, immer noch und immer wieder. Es ist beispiellos, wie die Natur diese vielen einzelnen anatomischen Bausteine in Harmonie und Präzision zusammenführt. Dabei drückt die Hand so unendlich viel über den Menschen aus. Wir können mit den Händen sprechen, ohne auch nur ein Wort zu sagen. Wir können mit den Händen sehen, auch dann, wenn wir nicht blind sind und unsere Hände deshalb besonders geschult sind. Wir können mit unseren Händen Emotionen ausdrücken und tun das meistens auch, ohne es zu wissen. Unsere Hände sind viel mehr als nur zehn Finger. Für all ihre Fähigkeiten muss die Hand gesund sein.
Hände sagen auch ziemlich viel über einen Menschen aus. Es gibt Untersuchungen, die belegen, dass man anhand der Finger Rückschlüsse auf den Charakter ziehen kann. Wie gepflegt die Hände sind und in welchem Zustand, welche Proportionen sie haben, lässt ebenfalls deutliche Schlussfolgerungen auf den Menschen, zu dem sie gehören, zu. Denn wer seine Hände vernachlässigt, wird sicherlich auch sonst nicht sonderlich auf seinen Körper achten.
Das Schlimmste, das wir unseren Händen antun können, ist, sie nicht zu mögen. Dass wir die Balance zwischen natürlicher Unreinheit und unnatürlicher Hygiene nicht finden. Denn wir können die Hautflora so sehr stören, dass wir über unsere Hände krank werden.
Fast genauso schlimm ist es für mich, wenn ich sehe, wie sehr wir das Einsatzgebiet unserer Hände vernachlässigen. Wir benutzen im Alltag nur noch rund 30 Prozent des Bewegungsumfangs unserer Hände. Viele ihrer Fähigkeiten sind heute Luxus. Wir haben das Tasten und das Spüren verlernt. Und wir verlieren immer mehr an Handkraft, weil wir den Händen immer weniger abverlangen. Tragen, schieben, greifen, halten – das alles gibt es ja in unserem Alltag kaum noch. Das Leben ist für unsere Hände zu leicht geworden.
Wir erledigen alles mit dem Handy, es soll unser Leben erleichtern, doch selbst das Smartphone wird uns mittlerweile immer öfter zu schwer. Früher saßen wir stundenlang mit dem Telefonhörer in der Hand oder meinetwegen auch zwischen Schulter und Ohr eingeklemmt auf dem Sofa. Ich gebe zu, Letzteres hat keinem Orthopäden gefallen, aber egal. Einen Telefonhörer über eine halbe oder ganze Stunde oder sogar über mehrere Stunden in der Hand zu halten, war eine gewisse Art von Training. Doch schon das ist heute vielen zu schwer, obwohl die Smartphones immer leichter werden. Was tun wir also? Wir nehmen das Handy nicht mehr in die Hand, sondern telefonieren lieber mit unseren Bluetooth-Kopfhörern oder stellen die Gespräche auf Lautsprecher. Und unsere Hände? Werden immer schwächer.
Nehmen wir ein anderes Beispiel.
Viele Patienten kommen zu mir und sagen, dass sie ihre Jalousien nicht mehr hoch- und runterziehen können. Oder ihre Fenster und Wasserhähne nicht mehr öffnen oder schließen. Warum nicht? Ganz einfach: Weil sie es verlernt haben. Die Handkraft vieler Menschen lässt bedenklich nach. Dabei sind unsere Hände und besonders ihre Kraft so wichtig. Die Möglichkeiten unserer Hände, im Speziellen die Fähigkeit, unseren Daumen um die anderen Finger herumzuführen – wir nennen das opponieren –, unterscheidet uns letztlich vom Affen. Nicht nur in der Politik ist die Opposition alles – auch bei der Hand!
Und für Hände habe ich mich entschieden. Die Handchirurgie ist in meinen Augen auch deswegen so spannend, weil man sich als Arzt den im Laufe des Lebens erworbenen Erkrankungen seiner Patienten ebenso wie ihren plötzlichen Verletzungen widmen kann. Schon nach kurzer Zeit in meinem Beruf konnte ich Menschen mit teilweise oder ganz abgetrennten Gliedmaßen helfen. Leben zu retten ist ja schön und gut. Aber den Alltag meiner Patienten zu erleichtern, ist auf Dauer sichtbarer und befriedigender. In der Notaufnahme Finger wieder anzunähen, wurde eines meiner Hobbys. Und zwar nicht nur in der Silvesternacht. Übrigens: Wer sich mit Knallkörpern oder einer Kreissäge eines Fingers oder gleich mehrerer beraubt, dem ist nicht immer gut zu helfen. Bei dieser Art von Verletzungen – egal ob unverschuldet oder selbst zugefügt – sind die Traumata in den Blutgefäßen oft so stark, dass selbst der versierteste Chirurg keinen erfolgreichen Behandlungsverlauf und schon gar keinen Erfolg garantieren kann.
Gibt es also den optimalen Unfall?
Ja! Ich empfehle guillotinenartige Verletzungen. Dabei handelt es sich um einen glatten Schnitt mit wenig Gewebstraumatisierungen. Finger, die einem auf diese Weise abhandengekommen sind, lassen sich wunderbar wieder annähen. Patient glücklich, Chirurg glücklich, Hand glücklich. Wem hingegen ein Böller in der Hand losgegangen ist, hat häufig mehr Probleme. Diese Patienten sind häufig alkoholisiert und selten einsichtig. Aber noch einmal: Wir können sowieso nicht alle Patienten heilen. Die Medizin kann den Patienten sowieso nicht heilen. Heilen kann nur der Körper – sich selbst. Wir Ärzte können die Dinge auf den Weg bringen, mehr nicht.
Ich erinnere mich heute noch an meine allererste Patientin in der Handchirurgie. Sie war eine junge Frau, ich war ein junger Arzt, wir wollten beide mehr, als möglich war. Beim Überklettern eines Zaunes ist sie mit einem Ring daran hängen geblieben. Verletzungen dieser Art passieren leider sehr häufig – verheirateten wie unverheirateten Frauen gleichermaßen. Und die Größe des Ringes spielt auch keine Rolle. Bei einer sogenannten Ringverletzung wird der Finger häufig im Mittelgelenk amputiert, weil die Weichteile ausgerissen sind. Im Deutschen gibt es eigentlich keine richtige Bezeichnung für diese Verletzung. Die Engländer nennen es Deglovement, also handschuhartiger Abriss. Das finde ich bei aller Brutalität und Grausamkeit der Verletzung eine sehr sanfte Umschreibung der Lage.
Wenn eine junge Frau, sie war vielleicht 23 Jahre alt, ihren Ringfinger verliert und noch dazu unverheiratet ist, bricht verständlicherweise Panik aus. Doch bei aller Empathie muss ein Arzt in diesem Fall sagen: Das wird nichts. In diesem Fall waren die Verletzungen so stark, die Gefäße so beeinträchtigt, dass man sie nicht reparieren und den Finger nicht retten konnte. Ich habe es dennoch versucht. Und ich habe es bereut. Es hat nicht geklappt. Es waren dramatische Szenen. Der Finger musste schließlich doch amputiert werden.
Ich habe dieses Schicksal lange nicht vergessen können.
Und wahrscheinlich erinnere ich mich auch Zehntausende Patienten später noch an diese eine Frau, weil sie eben »meine Erste« war. Weil Notfall, Behandlung, Hoffnung und Niederlage so nah beieinanderlagen.
Von Anfang an hat mir der Sport geholfen, diese Erlebnisse zu verarbeiten und die dazugehörigen Bilder zu vergessen. Später waren es dann die Momente in der Familie, meine Kinder, die mir den notwendigen Rückhalt gegeben haben. Meine Kinder haben mich zusätzlich sensibilisiert für alles, was einem im Leben passieren kann. Ich erinnere mich immer noch an die Momente im Kreißsaal, als die Gynäkologen mich baten, die Hände meiner Söhne anzusehen, um festzustellen, ob alles in Ordnung ist.
Obwohl Hände für mich aus verständlichen Gründen omnipräsent sind, gebe ich Menschen auch außerhalb meiner Praxis immer noch mit großer Begeisterung die Hand. Den Arzt in mir kann ich dabei freilich nicht ausschalten. Wenn ich also einen kleinen Finger oder einen Ringfinger von meinem Gegenüber unangekündigt oder überraschend in meiner Handinnenseite spüre, weil er sich nicht richtig bewegt, dann gerate ich oft zumindest in meinen Gedanken in Versuchung, eine Kurzdiagnose zu stellen oder zu fragen, ob ich mir die Sache vielleicht mal ansehen solle. Ich beobachte ebenso mit großer Leidenschaft, wie und mit welchen Fingern Leute in ihr Smartphone tippen. Diese kleinen Episoden des Alltags regen meine diagnostischen Fähigkeiten immer wieder an. Ein anderes Beispiel: Ich merke bei Begrüßungen relativ schnell, ob Menschen an den Händen übermäßig schwitzen. Auch das ist ein Thema, das viele Patienten beschäftigt und worunter sie leiden. Meist können oder müssen diese Hände dann auch behandelt werden.
Frei von Diagnosen bin ich also nie. Da ist sicher immer auch ein bisschen Spaß dabei – ich erfasse mein Gegenüber einfach gern.
Umgekehrt muss ich auf meine eigenen Hände auch sehr aufpassen. Ich vermeide alles, was meinen Händen schaden könnte. Werkzeuge nehme ich nur mit größter Vorsicht in die Hand. Nicht, weil ich zwei linke Hände hätte. Aber ein Schlag daneben mit dem Hammer, eine falsche Bewegung mit dem Hobel, und die Folgen für meine Finger wären unkalkulierbar und ich im schlimmsten Fall handlungs- und berufsunfähig. Ich persönlich würde mit über 50 auch nicht mehr anfangen, auf ein Snowboard zu steigen. Die Brüche an den Händen, die man bei einem Sportunfall erleiden kann, wären in meinem Beruf weder Hals- noch Beinbruch, sondern im schlimmsten Fall Karriereabbruch. Und ich gebe zu, dass, wenn es denn mal vorkommt, ich aufpasse, die Tür nur so zuzuschlagen, dass meine Finger nicht dazwischengeraten.
So weit, wie mein berühmter Kollege Prof. Sauerbruch es mit den nach ihm benannten Handprothesen gebracht hat, habe ich es bislang noch nicht geschafft, denn es gibt keinen Lehnert-Schnitt und auch keine Lehnert-Hand. Es gibt nicht einmal einen Lehnert-Finger.
Und, ganz ehrlich, ich wollte mir für meinen Platz in der Medizingeschichte auch keine Hand abhacken. Jedoch, und darauf bin ich etwas stolz, kann ich für mich in Anspruch nehmen, eine minimalinvasive Operationstechnik für die sogenannte Dupuytren’sche Erkrankung der Hand vorangetrieben zu haben. Guillaume Dupuytren (1777–1835) war ein französischer Kollege, der 1831 seinen Studenten erstmals von dieser Erkrankung des Handbindegewebes berichtete – und die Krankheit der Einfachheit halber direkt nach sich selbst benannte. Der Volksmund nennt diese Erkrankung auch Aktentaschen- oder Kutscherkrankheit. Sie trifft jedoch alle Berufsgruppen und gar nicht mal so wenige Menschen.
Unter dieser Erkrankung versteht man eine Wucherung des Fasziengewebes unter der Haut der Handinnenfläche und der Finger, die eine starke Bewegungseinschränkung mit sich bringt – mit der Folge, dass man die Finger nicht mehr strecken kann. Früher musste man während einer Operation die Hand komplett aufschneiden, was einen sehr langen Heilungsverlauf und starke Schmerzen nach sich zog. Schon in den 1940er-Jahren wurde erstmals eine Operation mit einer Nadelstichtechnik ausprobiert. Die Methode hat sich damals aus verschiedenen Gründen nicht durchgesetzt.
Vor etwas mehr als zehn Jahren habe ich daran angeknüpft – und konnte damit seither sehr gute Ergebnisse erzielen. Ich musste allerdings viele Operationen an der offenen Hand vornehmen, um sie jetzt an der geschlossenen Hand zu beherrschen. Denn diese Technik in der Hand eines unerfahrenen Chirurgen ist sehr gefährlich. Ein Schnitt, der auch nur einen Millimeter danebengeht, kann einen Nerv verletzen und im schlimmsten Fall größere Operationen nach sich ziehen.
Wenn ich es überschlage, habe ich seither ungefähr 160 000 Menschen behandelt. Das wären, hätte ich die Patienten immer beidseits behandelt, 320 000 Hände und 1 600 000 Finger. Und ich bin dessen immer noch nicht müde. Ich habe noch immer Freude an meinem Beruf und bin neugierig auf mehr. Mich herauszufordern, ist nicht schwer, denn jeder Fall ist anders und jeder Fall ist neu.
Warum ich jetzt auch noch ein Buch schreibe, fragen Sie sich also?
Und ob es nicht viel besser wäre, wenn ich meine Zeit nicht am Computer verbringen, sondern stattdessen lieber mehr Patienten behandeln würde? Nein, das wäre nicht besser. Obwohl – und das möchte ich an dieser Stelle ganz klar sagen – ein Buch niemals einen Arztbesuch ersetzen kann. Trotzdem kann ein Buch im Idealfall helfen. Zwar ist, wie gesagt, jeder Patient, jede Hand und somit jeder neue Fall anders. Aber vieles, was ich im Alltag erlebe, ist auch immer gleich oder ähnelt sich. Und ganz besonders oft sind das die Fragen der Patienten. »Kann ich selbst noch etwas tun?« und »Was soll ich lesen?« sind nur zwei Beispiele.
Die Patienten kommen meist mit Ängsten und Sorgen zu mir. Ich nehme sie ihnen im Gespräch gerne ab, wenn ich es kann, aber ich möchte Ihnen die meisten dieser Ängste eigentlich schon im Vorfeld nehmen. Denn leider ist es im Praxisalltag oft so, dass für den einzelnen Patienten – aus welchen Gründen auch immer – wenig Zeit bleibt. Umgekehrt erwartet der Patient aber immer mehr von mir als Arzt. Idealerweise müsste die Beziehung zwischen Arzt und Patient über die konkrete Behandlung und den Zeitpunkt der Genesung hinausgehen und dort enden, wo wir heute von Coaching sprechen. Jeder Patient kann jeden Tag etwas für seine Hände tun. Auch wenn es auf den ersten Blick nicht so aussieht: Am wichtigsten für unsere Hände sind die Muskeln, die bis in den Unterarm reichen. Und die können und müssen trainiert werden, damit unsere Hände gesund bleiben. Insgesamt werden unsere Hände von über 15 Muskeln gesteuert. Schon eine winzige muskuläre Schwäche kann das gesamte Gleichgewicht unserer Hände außer Kraft setzen. Denn die Hand ist nur dann eine funktionierende Einheit, wenn alle Muskeln funktionieren.
Ich möchte mit diesem Buch auf keinen Fall den Besuch beim Arzt ersetzen, sondern ich möchte Ihnen ein Basiswissen vermitteln. Ich möchte aufklären, ich möchte zur Prävention anregen, ich möchte Ängste nehmen. Ich möchte meinen Patienten einen Teil meines Wissens an die Hand geben. Und auch physisch in die Hand geben. Ich hatte die Vision von einem Handbuch für Hände. Denn, was wir alle viel zu oft vergessen.
Unsere Hände sind die Werkzeuge unseres Lebens, wir brauchen sie bis zu unserem letzten Atemzug.
Es wird Sie nicht verwundern, das Folgende ausgerechnet »aus meiner Feder« zu lesen: Unsere Hand ist ein Wunder. Ein technisches, ein funktionelles und ein ästhetisches. Und ich finde, man muss sie nicht erst mit dem Skalpell öffnen, um zu dieser Erkenntnis zu gelangen. Und am allerschönsten ist: Um dieses Wunder zu verstehen, muss man nicht einmal zwingend über medizinisches Grundwissen verfügen. Es reichen schon ein paar Grundkenntnisse in der Mathematik.
Vielleicht erinnern Sie sich an Leonardo Fibonacci?
Nein? Dann darf ich Ihnen ein wenig auf die Sprünge helfen. Leonardo Fibonacci, oft auch Leonardo von Pisa genannt, war einer der bedeutendsten Mathematiker und Rechenkünstler seiner Zeit. Er lebte von 1170 bis irgendwann nach 1240, sein genaues Todesdatum lässt sich auch mit den besten mathematischen Formeln nicht exakt errechnen. Fibonacci reiste viele Jahre um die Welt und machte sich insbesondere mit der arabischen Mathematik vertraut.
Dass wir heute von ihm wissen, liegt auch an seinem damals verfassten Rechenbuch Liber abaci (1202/1228), aus dem wir noch heute die sogenannte Fibonacci-Formel und den daraus abgeleiteten Goldenen Schnitt kennen. Ich will Sie nicht überanstrengen, deshalb fasse ich mich kurz: In seiner berühmten Formel beschreibt Fibonacci im Grunde nichts anderes als die Struktur und Form der Nautilusschnecke. Nicht mehr und nicht weniger. Sie haben so eine Schnecke ganz sicher schon einmal gesehen. Ihre Schönheit ist so einzigartig, dass man sie eigentlich nie wieder vergessen kann, wenn man sie einmal vor Augen oder sogar in seinen Händen hatte. Falls Sie sich nicht erinnern können – gucken Sie einmal schnell bei Google nach, bevor Sie weiterlesen. Danach wissen Sie jedenfalls ganz sicher, welche Schnecke ich meine.
Nautiliusschnecke und Fibonacci Kurve
Die spannende Frage, die Sie jetzt vollkommen zu Recht stellen dürfen, ist, warum ich mich als Handchirurg für Schnecken interessiere, die nicht auf irgendeiner Speisekarte stehen. Die Antwort ist eigentlich ganz einfach: Die Struktur, besser gesagt, die Windung der Nautilusschnecke, entspricht exakt dem Bewegungsradius des Mittelgelenks aller unserer Finger. Diese besonders ausgefeilte, filigrane Art der Bewegung, die sich im Übrigen nicht nur im Schneckentempo ausführen lässt, schützt unsere Finger und dadurch auch unsere Hände vor Überlastungen. Und bei fast allen Erkrankungen der Hand, mit denen ich Sie später vertraut machen werde, entspricht der Bewegungsradius der Gelenke ab einem gewissen Zeitpunkt nicht mehr der Fibonacci-Formel. Nicht beim springenden Finger, nicht bei der Arthrose, nicht bei der Dupuytren-Kontraktur, nicht beim Bruch und erst recht nicht, wenn eine Sehne durchtrennt wird. Sie sehen also, dass die Schnecke, von der Sie sich eben noch gefragt haben, warum sie Ihnen in einem Buch zum Thema Hände über den Weg läuft, auch für Sie von Interesse sein könnte.
Aber was ist so besonders an dieser formelhaften Bewegung? Viele Menschen denken vermutlich immer noch, ihre Finger bewegten sich ganz ähnlich wie die Scharniere an unseren Türen. Also ruckartig, bei gleichbleibender Krafteinwirkung. Das tun sie aber nicht.
Der Bewegungsablauf ist viel mehr als das, und die Bewegung an sich ist sehr viel komplizierter. Wenn ich es genauer beschreiben und mich kurz fassen soll, dann kann man es so ausdrücken: Unsere Finger bewegen sich wie ein Bogengelenk. Je mehr das einzelne Gelenk in die Streckung gebracht wird, desto mehr muss die Sehne ziehen, weil der Hebel insgesamt dadurch immer länger wird.
In der Praxis bedeutet das: Stellen Sie sich vor, Sie wollen eine Dachlatte mit ausgestrecktem Arm der Länge nach anheben. Je höher Sie kommen, desto mehr Kraft müssen Sie aufwenden. Sie schaffen es, aber nicht ohne die Anstrengung zu bemerken. Im Grunde leisten unsere Finger diese Arbeit durch ihre Bewegungen ständig. Genau diesem ansteigenden Bogen entspricht auch die Fibonacci-Formel, wenn wir die Bewegung grafisch darstellen würden. Wir machen hier wirklich nur einen kurzen Ausflug in die Mathematik. Ich versuche, den Vorgang ganz einfach zu erklären.
Die Gleichung, die Fibonacci aufgestellt hat, ist – in einfachen Worten – eine unendliche Reihe aufeinander folgender Zahlen, die mit zweimal der Zahl 1 beginnt und jeweils die Summe der beiden vorangegangenen Zahlen anschließt. (In einigen Ausführungen beginnt die Reihe mit der Null, aber im Ergebnis ändert das nichts. Dies soll uns also nicht weiter interessieren.) Die Summe wird dann wieder mit der vorangegangenen Zahl addiert, sodass wir in der Theorie bis in die Unendlichkeit damit fortfahren könnten. Die Reihe läuft also folgendermaßen: 1-1-2-3-5-8-13-21 und so weiter. Jede Zahl ist die Summe der beiden vorhergehenden, sodass die Kurve zunächst langsam, dann aber immer stärker und höher ansteigt.
Wenn wir jetzt wieder auf die Bewegung unserer Finger blicken, dann sehen wir eine vergleichbare Dynamik und an diesem kleinen Beispiel, wie kompliziert die Gelenkmechanik ist. Die Bewegung unserer Finger ist eben kein Klack-klack wie bei einer Tür, sondern eine sich aufbauende, runde Bewegung, die unserer Hand zu ihrer Funktionalität verhilft und die Kraft anders verteilt als mit einem Ruck. Die Kraft wird stetig aufgebaut und lässt auch wieder nach. Und genau auf dieser Mechanik beruht übrigens auch die Schwierigkeit, für diese Gelenke Ersatzteile, also Kunstgelenke, zu entwickeln.
Das Wunder der Bewegung unserer Finger liegt in ihrer Unvergleichbarkeit. Unsere natürliche Bewegung ist trotz modernster medizinischer Technologie und Therapie fast immer noch nicht vergleichbar mit allen künstlichen Prothesen und damit unerreicht.
Das gilt im Übrigen nicht nur für Gelenkprothesen der Finger, sondern auch für künstliche Kniegelenke. Das einzige künstliche Gelenk, von dem ich behaupten würde, dass es relativ weit an die Natürlichkeit heranreicht, ist das Hüftgelenk.
Ich hoffe, Sie verzeihen mir diesen Ausflug in die Mathematik.
Wir müssen das Thema nicht weiter vertiefen. Sie können sich natürlich stundenlang damit beschäftigen, wenn Sie wollen, und weiterführende Literatur lesen. Für viele der Erkrankungen, auf die wir später zu sprechen kommen werden, ist jedoch lediglich wichtig, dass Sie sich an die Individualität des Bewegungsablaufs Ihrer Hände erinnern.
Wenn Sie gleich denken, dass sich das, was ich im Folgenden schreibe, wie aus der Feder eines verliebten Teenagers liest, dann muss ich Ihnen sagen: Ja, Sie haben recht. Aber ich auch! Unsere Hand ist besonders sinnlich. Das liegt schon allein daran, weil sie einerseits sehr sinnlich eingesetzt werden kann und ihre Fähigkeiten außerdem so vielfältig sind: Von der Fein- bis zur Grobmotorik kann die Hand alles tun. Sie kann fühlen, sie kann tasten, sie kann greifen und etwas zurückgeben.
Präsenz der Hände im Körper
Die Hand ist, kurz gesagt, der intensivste »Ballungsraum« des Menschen. Auf der Landkarte des gesamten Körpers ist die Hand ein dicht besiedelter Stadtstaat wie Hongkong oder ein Fürstentum wie Monaco. In keiner anderen Region des Körpers findet sich auch nur annähernd diese Dichte an Nervenzellen. Zwar können andere Regionen vielleicht ähnlich viel wahrnehmen wie unsere Hände, sie sind in ihrer Wahrnehmung allerdings eher monoton oder eben sehr spezifisch strukturiert.
Ein Beispiel? Natürlich kann der Mensch durch seine Nasennerven nicht nur riechen, sondern auch schmecken oder andere Eindrücke gewinnen. Doch am Ende bleibt es eben nur der Riechnerv, der diese beschränkten Funktionen hat.
Die Hand hat also jeden Grund abzuwinken, wenn es um körperliche Konkurrenz geht. Abgesehen von den Funktionen, die uns allen sicher sofort einfallen, können wir mit unseren Händen sogar Gefühle ausdrücken. Das können zärtliche Emotionen sein, zornige, beinahe sprechende Emotionen bis hin zu Aggressionen. Es ist ein Klischee, ich weiß, aber der Blick nach Italien hilft: Unsere Nachbarn sprechen häufig mit ihren Händen, ohne auch nur ein Wort zu sagen. Und auch wir beherrschen die nonverbale Kommunikation mit unseren Händen. Denken Sie nur an den erhobenen Zeigefinger, ein Winken, das Daumendrücken auf dem Sportplatz oder auch den berühmten »Stinkefinger«.
Damit die Hand einwandfrei funktioniert, braucht sie ein Zusammenspiel verschiedener Strukturen. Diese Strukturen finden sich in der Anatomie der Hand. Die Anatomie ist die Wissenschaft von den Körperstrukturen, vom Bau des menschlichen Körpers, der bewegt werden muss. Ich spreche von den Knochen, den Muskeln, den Sehnen und den Nerven. Dieses Grundgerüst muss vor äußeren Einflüssen geschützt werden, was wiederum die Haut leistet. Diese fünf Elemente müssen perfekt miteinander korrespondieren und jeweils voll funktionsfähig sein. Die Knochen können nicht ohne die Muskeln, die Muskeln nicht ohne die Sehnen und so weiter, aber das komplette System wäre nichts ohne die Haut, die ihrerseits ohne ihren Inhalt nur ein schlaffer Sack wäre.
Aristoteles sagte: Die Hand ist das Werkzeug der Werkzeuge. Und auch wenn der Universalgelehrte im Jahr 322 vor Christus gestorben ist, so ist seine Beschreibung unserer Hand doch immer noch die treffendste, die mir einfällt. Und auch der Vergleich stimmt noch immer. Werkzeuge sind in aller Regel besonders ausgefeilt. Wenn die Hand also das Werkzeug aller Werkzeuge ist, vereint sie in sich alles, was wir uns unter Werkzeugen vorstellen können und was sonst nur ein Teil dieser Gruppe zu leisten vermag. Die Hand ist gleichzeitig ein feiner Schraubendreher, sie kann aber auch der große Schraubenschlüssel sein. Sie ist gleichzeitig Hammer und Kneifzange. Ohne sie sind wir nur sehr bedingt einsetzbar.
Die Hand ist ein Alleskönner. Generalist und Individualist, Tante-Emma-Laden und Discounter gleichermaßen. Und sie ist der Grund dafür, warum ich an meinem Beruf auch nach über einem Vierteljahrhundert immer noch Freude habe. Im Folgenden möchte ich Ihnen das Grundgerüst unserer Hände erklären.
Das Grundgerüst der Hand besteht aus 27 Knochen. Sie sind ihr Rohbau, ihr Fundament. Sie teilen sich auf in die Abschnitte Handwurzel-, Mittelhand-, Finger- und Daumenknochen. Der Klassiker, den jeder Medizinstudent lernen muss, um sich die Namen der einzelnen Handwurzelknochen zu merken und den Sie zumindest einmal gehört haben sollten, geht so:
Es fährt ein Kahn im Mondenschein,
dreieckig um das Erbsenbein,
Vieleck groß und Vieleck klein,
der Kopf, der muss
beim Haken sein.
Handwurzelknochen
Ein Blick auf die Illustration wird Ihnen verdeutlichen, warum mich dieses Gedicht seit meiner Ausbildung begleitet. Wir beschreiben damit die Handwurzelknochen in der Reihenfolge ihres Auftretens: Kahnbein, Mondbein, Dreiecksbein, Erbsenbein, großes Vieleckbein, kleines Vieleckbein, Kopfbein und Hakenbein. Und Sie ahnen es sicher schon: Das Erbsenbein heißt Erbsenbein, nicht weil es in der Suppe so gut schmeckt, sondern weil es klein und rund ist. Es hat eine Sonderstellung. Während alle anderen Knochen im Verbund zueinander stehen, sitzt das Erbsenbein auf dem Dreiecksbein und ist in einer Sehne integriert. Diese Art der Knochen nennen wir übrigens Sesambeine, was nichts mit Brötchen oder Sushi zu tun hat. Nur, damit Sie es mal gehört haben, falls Sie jemals bei Wer wird Millionär? auf dem Stuhl landen sollten: Das größte Sesambein des Körpers ist die Kniescheibe.
Wir benötigten das Erbsenbein früher einmal als Abstützorgan. Es waren Zeiten, in denen wir noch auf allen vieren gelaufen sind. Es diente zum Schutz seiner Umgebung, weil ein Nerv in unmittelbarer Nähe verläuft. Aber dass wir rein körperlich der Erde näher waren als dem Himmel, ist bekanntlich längst Geschichte, denn wir bewegen uns schon lange im aufrechten Gang fort, sodass wir heute, wenn wir die Knochen der Hand betrachten, am ehesten auf das Erbsenbein verzichten könnten. Es passiert übrigens recht oft, dass es im Rahmen einer Arthrosebehandlung entfernt werden muss. Wir können es, wie gesagt, verschmerzen. Auf die 26 anderen Handknochen können wir allerdings nicht so einfach verzichten.
Alle diese Knochen unserer Hand sind unterschiedlichen Belastungen ausgesetzt. Biomechanisch betrachtet muss das Kopfbein den größten Kräften standhalten. Das ist im Grunde ein Witz der Anatomie, denn Sie könnten es ohne Röntgenaufnahme gar nicht sehen.
Das Kopfbein liegt genau in der Mitte der Hand. Es kann keine isolierte Bewegung vollziehen, nur im Verbund mit anderen Strukturen. Und dafür,