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Rob: Club der Dichten Dichter 3
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Die Handlung und alle handelnden Personen sind frei erfunden. Jegliche Ähnlichkeit mit lebenden oder realen Personen wäre rein zufällig.
Valentins Glas stand noch auf dem Tisch. Ein Tropfen Schaum lief an der Innenseite hinunter, zäh und weiß wie Zuckerguss vereinte er sich mit der Schicht am Boden. Valentin selbst war vor über einer Minute aus dem Pub gestürmt. Warum, das hatte Rob nicht ganz kapiert. Anscheinend war er wütend. Dabei war der Kleine doch nie wütend.
Langsam lehnte er sich in seinem Stuhl zurück und sah in die Runde. Stumme Gesichter in einer lärmerfüllten Bar voll Gelächter und Gläserklirren. Milan, Eva, Jannik, Luisa und Zebulon schwiegen. Die durchgetretenen Bodendielen des Hemingways knarrten, als die Kellnerin sich näherte.
»Was war denn mit dem los?«, fragte sie und nahm den Fünfeuroschein an sich, den Valentin auf die zerkratzte Tischplatte geschleudert hatte.
»Keine Ahnung«, sagte Rob. »Er ist sauer, dass sein Mitbewohner auf ihn steht oder so. Beziehungskrempel.«
Ausgerechnet Zebulon sah ihn ungläubig an. Zebulon, der nie eine Beziehung gehabt hatte, so lange Rob denken konnte. Und sie kannten sich schon mindestens fünf Jahre lang. Leider.
»Du fragst, was passiert ist?«, knurrte Zebulon. Seine schiefergrauen Augen verdunkelten sich. »Valentin ist ein Vollidiot, das ist passiert. Sein Mitbewohner liebt ihn und er ist zu blöd, um zu kapieren, dass er ihn auch liebt. Deshalb zickt er herum und flüchtet wie ein Kleinkind.«
»Wer benimmt sich hier wie ein Kleinkind?« Eva verdrehte die Augen. Die ältere Krimiautorin nahm ihre Bierflasche auf und schenkte Zebulon einen mitleidigen Blick. »Warum hast du den Kleinen angebrüllt?«
»Kein Grund.«
»Weil Zebulons Ex ihn angerufen hat. Das ist der Grund.« Rob lächelte. Irgendetwas nagte an ihm, und seinen Kollegen zu ärgern, war der schnellste Weg, das zu verdrängen. »Zebulon, erzähl mal was von deinem Ex. Ich weiß gar nichts über den. Nur, dass du dich benimmst, als hätte dich ein Kaktus gefistet, sobald der sich meldet.«
»Nein.« Zebulon blickte in sein glutenfreies IPA und grunzte. Die straßenköterblonden, ausgebleichten Strähnen hingen ihm ins Gesicht und sein Bart wirkte, als hätte er eine tagelange Wüstenwanderung hinter sich. Die gebräunte Haut verstärkte den Eindruck noch. Zebulon hätte wie ein Surfer wirken können, wenn der ewig genervte Gesichtsausdruck nicht gewesen wäre.
»Komm schon.« Rob beugte sich zu ihm hinüber. Etwas erregte seine Aufmerksamkeit: er selbst. Im Spiegel über der Bar sah er sein Antlitz und nahm sich einen Moment, seinen muskulösen Körper und die kunstvoll frisierten Haare zu bewundern. Immerhin einen ordentlichen Frisör konnte er sich leisten. Also, das konnte er nicht, aber der Frisör war ein alter Freund von ihm und gab ihm einen Rabatt. »Zebulon. Ich kann mir nicht vorstellen, wie dein Ex aussieht. Ist der wie du, nur schön? Habt ihr euch auf einer Unterwassertrommeltour in Papua-Neuseeland oder so kennengelernt?«
»Das wüsstest du wohl gern.« Zebulon verzog das Gesicht. »Du Geografie-Legastheniker.«
»Och.« Rob hatte nicht wirklich geglaubt, heute etwas über Zebulons mythischen Exfreund herauszufinden. Aber es machte Spaß, ihn zu nerven. Überhaupt machte es Spaß, Leute zu nerven. »Milan, wie ist das Familienleben? Kannst du schon Windeln wechseln?«
»Ja.« Milans Granitgesicht regte sich nicht. Der nahm sein Pils und trank, als hätte er nicht gerade eine absolute Widerwärtigkeit von sich gegeben.
»Was, echt? Mit Babykacke drin und so?«
»Ne, mit Goldstücken drin. Was dachtest du denn?«
»Aber ist das nicht«, Rob überlegte, »total zum Kotzen?«
»Muss halt sein, ab und zu.« Milan zuckte mit den Achseln. »Jules hilft mir.«
Was hatte die Liebe aus dem armen Kerl gemacht? Einst hatte Rob ihn bewundert. Milan war wie er gewesen: ein Raubtier, immer auf der Jagd. Schöne Männer, schneller Sex … Ja, vor allem nach schönen Männern und schnellem Sex. Und nun war er mit einem Langweiler zusammen und Teil einer öden Patchworkfamilie. Armer Teufel.
»Ich hoffe, ihr verwendet Stoffwindeln«, sagte Zebulon, der alte Jute-Jesus. »Weißt du, wie viel Kilo Müll täglich durch die Windelindustrie produziert werden? Ich war in Jimbaran am Strand und bin durch die Dinger gewatet. Die wurden da angeschwemmt wie Quallen, dabei war es vor Jahren noch ein echtes Naturparadies!«
»Haaach, also seid ihr jetzt eine richtige Familie«, seufzte Luisa. Ihr rundes Gesicht glänzte vor Glück. »Muss das schön sein.«
Jannik, ihr Freund, nahm panisch einen Schluck Bier. Eva schaute, als würde sie das alles nichts angehen. Sie waren nur noch zu sechst, seit Valentin seinen Tobsuchtsanfall gehabt hatte.
Milan zuckte mit den Achseln. Aber er wagte es, zu lächeln.
Rob schüttelte unmerklich den Kopf. »Okay, weg von Windelkack- und Familienthemen. Ich krieg sonst Ausschlag. Eva, wie läuft's mit dem Doppelmord?«
»Schlecht. Hab heute kaum 1000 Wörter geschrieben.« Sie neigte den Kopf. »Ick würde nachher weitermachen, aber ick muss morgen früh aufstehen. Wir besuchen Harriets Eltern.«
»Ich dachte, du hasst die beiden?« Rob hatte ganz deutlich gehört, dass sie die beiden verdorrten Arschkrampen nie wiedersehen wollte.
»Ja, dit tue ich.« Sie seufzte. »Aber Harriet will sie besuchen, also …« Sie wedelte mit den schlanken Fingern. »Ick habe keine Wahl.«
»Doch, hast du. Sag Nein.«
Sie lachte. »Robbel, du hast keine Ahnung, wie dit läuft, oder? Wenn ick jetzt nicht mitkomme, leide ick da noch Jahre drunter. Wenn Harriet den beiden Trollen alleine gegenübertreten muss … Ne, da bringe ick es lieber jetzt hinter mich. Mit ein bisschen Glück streiten sie sich wieder und wir müssen ein halbes Jahr nicht hin.«
»Ehrlichkeit reinigt die Seele«, sagte Zebulon. Was auch immer das bedeutete. »Du musst ehrlich zu Harriet sein. Ihr deine Bedürfnisse mitteilen. Man sollte seinen Partner nie zu etwas zwingen, zu dem er nicht bereit ist.« Ach, das meinte er. »Sag ihr einfach, dass du nicht mitkommst, weil du ihre Eltern hasst.«
Eva lachte erneut. »Ja, klar. Dit müsste ick ihr mal sagen. Dann könnte ick eine lustige Mordszene schreiben.«
Zebulon wirkte schockiert. »Eva, das ist nicht witzig.«
»Echt? Finde ick schon.« Sie kicherte. »Ne, so einfach ist dit leider nicht. Ick will meine Frau behalten, also komme ick zu ihren entsetzlichen Eltern mit und lächle.«
»Oder du lässt es«, sagte Rob. So wie er es seit Jahren ließ, jemandem so nahe zu kommen, dass er seine furchtbaren Eltern kennenlernen musste. Und es ging ihm gut damit. Flüchtige Bekanntschaften waren immer besser als jemand, der einem das Herz brechen konnte. Immer. Die Einzigen, denen er wirklich vertraute, saßen hier am Tisch. Und die verschwanden in die Beziehungshölle, einer nach dem anderen. Erst Eva, dann Jannik, sogar Milan. »Ich wette, Valentin ist bald auch verpartnert.«
»Als ob dieser Trottel das hinkriegen würde«, knurrte Zebulon. »Er ist dabei, das größte Geschenk von allen wegzuwerfen und merkt es nicht einmal.«
»Du auch, Zebulon?« Rob griff sich an die Brust. »Willst du dich etwa auch verpartnern und mich als letzten Single zurücklassen? Muss ich bald der Einzige sein, der ein ausschweifendes Sexleben und absolute Freiheit genießt?« Er schloss die Augen. »Entsetzlich.«
»So entsetzlich wie deine Prosa, du Schmonzetten-Luder«, grollte Zebulon. »Wie kannst du im echten Leben noch schwulstiger daherlabern als in deinen Romanen?«
»Was, liest du etwa meine Romane? Welche? ›Mein grausamer Milliardär‹? ›Herr ihres Herzens‹? ›Bestraft aus Liebe‹?«
Zebulons Wangen bekamen einen Grünstich. »Hör auf zu reden. Es wird nicht besser.«
»Welches hast du nun gelesen?«
»Keins. Ich habe in eine Leseprobe irgendeines deiner entsetzlichen Machwerke, die du unter einem ebenso entsetzlichen Frauennamen veröffentlichst, hineingeschaut. Und es sofort bereut.«
»Ich habe mal kurz auf deinen Blog geschaut und es noch mehr bereut. Was hast du gegen Touristen?« In jedem zweiten Satz hatte Zebulon davon geschwärmt, wie frei von dieser Plage der Menschheit die Strände der obskuren Insel des Archipels Raja Ampat waren, auf der er sich gerade aufgehalten hatte.
»Touristen zerstören alles, was gut ist.« Heiliger Zorn entflammte Zebulons Züge. »Sie zertrampeln Kulturen, kommerzialisieren unberührte Regionen und sind immer im Weg.«
»Du bist doch selbst ein Tourist«, sagte Rob.
»Das nimmst du zurück«, grollte Zebulon.
»Warum denn, Touristenboy?«
»Weil ich ein Forscher bin, du verlogenes Milliardärsschreiberlein! Ein Entdecker! Ich reise, um meinen Horizont zu erweitern, um meiner Seele Nahrung zu geben, nicht, um …«
»Ick muss dann mal los.« Eva holte das Portemonnaie aus ihrer Tasche.
»Ich auch.« Milan winkte der Kellnerin.
»Ja, gute Idee.« Jannik lächelte nervös. »Schatz?«
»Okay.« Luisa schmiegte sich an seinen Arm.
Zwei Minuten später waren sie allein. Irritiert blickte Zebulon Rob von der anderen Seite des Tisches aus an.
»Sind die wegen uns gegangen?«, fragte Zebulon.
»Nein, nur wegen dir. Wenn du zu einem Vortrag ansetzt, flüchtet halt alles.« Rob nahm einen Schluck Weizenbier. »Reiß dich mal zusammen, Zebi.«
»Wer die Wahrheit nicht verträgt, flüchtet vor ihr.« Majestätisch strich der Jutesack seinen geknüpften Leinenpulli zurecht. Der Körper darunter sah nicht einmal schlecht aus. Es war Zebulons Charakter, der ihn so unattraktiv machte.
»Wer dein Gelaber nicht erträgt, flüchtet«, korrigierte Rob. »Und? Manobar? Nachher?«
»Das letzte Mal, als du mich an diesen gottverlassenen Ort geschleppt hast …«
»Ja, ja, bist du auf einen Pauschaltouristen reingefallen. Du hast mir immer noch nicht gedankt, dass ich dich mitgenommen habe. Wenn ich dich nicht ab und zu in die Manobar schleppen würde, würdest du nie flachgelegt.«
»Im Gegenteil, mein Lieber.« Das »Lieber« klang irgendwie unlieb. »Ich garantiere dir, dass ich auf meinen Reisen äußerst befriedigende Abenteuer hatte.«
»Ach, echt? Ich dachte, wenn du andere Rucksackträger triffst, gibt's nur einen Schwanzvergleich, wer das entlegenste Dorf auf der am weitesten entfernten Insel gefunden hat.«
»Manchmal endet das in einem realen Schwanzvergleich.«
War das ein Witz? Und ein Lächeln? Rob richtete sich auf und grinste.
»Mensch, Zebi! Herzlichen Glückwunsch!«
»Wozu?«
»Dass du dir unter all den Leinensäcken und der Selbstgerechtigkeit einen Funken Humor bewahrt hast. Dafür geb ich dir ein Bier aus!«
»Tatsächlich.« Misstrauisch war gar kein Ausdruck.
»In der Manobar.«
»Das war ja klar.« Zebulon seufzte. »Nur, wenn du es unterlässt, dich über meine Reisen lustig zu machen.«
»Gut, dann darfst du nicht über meine Romane reden. Oder darüber, dass ich dreimal so viel schreibe wie du.«
»Worüber sollen wir dann reden?«
Sie sprachen über Valentin. Den Weg zur Bar über und auch, als sie längst drinnen standen, von wummernder Musik umgeben, männlichen Schweiß- und Deogeruch in der Nase und Bierflaschen in der Hand. Es war so laut, dass der Boden unter ihren Schuhsohlen vibrierte. Und ziemlich leer. Auf der Tanzfläche befanden sich nur drei magere Studenten und es gab sogar freie Tische. Trotzdem lehnten sie sich an die rotgestrichenen Wände und beobachteten, wie die Tänzer sich verrenkten.
»Er wirft es einfach weg«, murrte Zebulon. Nach dem dritten Bier nuschelte er bereits. Leichtgewicht. »Der Vollidiot. Wie oft verliebt man sich in jemanden, der einen auch liebt? Das ist so unwahrscheinlich, vor allem für jemanden wie Valentin …«
»Valentin ist okay«, murrte Rob. Er musste Zebulon ziemlich nah kommen, um ihn zu verstehen. War nicht so schlimm wie erwartet. Anscheinend hatte der heute keine Räucherstäbchen abgefackelt, nur irgendetwas, das nach Zartbitterschokolade roch. Etwas Dunkles, Herbes, das an Kaminfeuer erinnerte. »Valentin ist total okay, deshalb braucht er keinen Kerl, der ihm vorschreibt, was er zu tun hat.«
»Wer sagt, dass dieser Mitbewohner ihm etwas vorschreibt?« Zebulon sah ihn böse an. »Sag die Wahrheit: Wie oft warst du schon verliebt und wurdest zurückgeliebt? Ich wette, das war nicht so oft, oder? Das ist so ein Glücksfall, es ist eine Schande, dass er das wegwirft …«
»Und wie oft ist dir das passiert, bei deinen Backpacker-Schwanzvergleichen?« Rob nahm einen Schluck Bier, um den bitteren Geschmack in seiner Kehle zu betäuben. Immer, wenn er an Julius dachte, kroch der in seinen Mund.
»Öfter als dir.«
»Das ist nicht schwer.«
Zebulon zögerte sichtlich. Dann nahm er einen Schluck Bier und beobachtete die Tänzer. Die legten sich richtig ins Zeug. Einer von ihnen lächelte Rob zu. Der hätte zurückgelächelt, aber er war zu genervt.
»Was?« Er schubste Zebulon an. »Was ist los? Reißt du dich gerade zusammen?«
»Wovon laberst du, Schmonzetten-Weib?«, knurrte Zebulon. »Und jetzt sag endlich, wie oft.«
»Kein Mal«, gab Rob zu. Obwohl er es einmal gedacht hatte. So sehr daran geglaubt hatte, dass es ihn dumm und unvorsichtig gemacht hatte. »Und du?«
»Einmal.« Zebulon sah zu Boden. »Ich … schätze, dass es so war.«
Rob schwieg. Er wusste nicht, was er sagen sollte. Tiefschürfende Gespräche über die Vergangenheit waren nicht seine Stärke. Oder Zebulons. Und schon gar nicht, wenn sie sie miteinander führten. »Noch ein Bier?«
»Ja, bitte.« Zebulon seufzte. Irgendetwas war anders. Valentin musste versehentlich etwas wachgerüttelt haben. Etwas Altes, Menschliches, das ab und zu hinter der arroganten Fassade hervorblitzte.
Rob beschloss, nicht darüber nachzudenken. Sie waren hier, um zu trinken und etwas Nettes für die Nacht zu finden. Der dunkelhaarige Student auf der Tanzfläche war ganz süß. Der breite ältere Kerl an dem Ecktisch allerdings auch. Rob hatte keinen festen Typ. Zebulon warf ihm sogar vor, alles mitzunehmen, was ging und vermutlich hatte er recht.
Als er mit den Bieren zurückkehrte, hatte Zebulon sich in den alten Sauertopf zurückverwandelt. »Das hat ja gedauert«, murrte er und nahm das Bier entgegen.
»Gern geschehen, Zebilein«, flötete Rob. »Die nächsten zahlst du, klar?«
»Geizkragen.«
»Pleitekragen«, korrigierte Rob und stieß mit ihm an.
»Oh, richtig.« Wieder sah Zebulon zu Boden.
Galle stieg in Robs Hals hoch. Der Mistkerl wusste Bescheid. Das hätte ihn nicht wundern sollen. Anscheinend wussten alle Bescheid, selbst die, die Julius nie kennengelernt hatten.
»Kein Mitleid«, zischte er und ärgerte sich über sich selbst. Das war vorbei. Lange vorbei. Es ging ihm wieder gut.
»Mit keinem Mitleid kann ich dienen.« Zebulon rang sich sogar ein halbes Lächeln ab und hob sein Bier. »Prost.«
»Prost.« Vielleicht war das der Grund, aus dem er Zebulon … mochte? Nein, das war das ganz und gar falsche Wort. Aber Zebulon behandelte ihn nicht wie ein rohes Ei. Nicht so mitleidig und verständnisvoll wie seine anderen Freunde. Na, außer Milan. Dem konnte man selten etwas vom Gesicht ablesen. Vermutlich waren dem schlimmere Dinge zugestoßen, als dass sein Ex ihn ausgenommen hatte.
Rob traf eine Entscheidung. »Zebi, ich habe beschlossen, heute zu saufen. Scheiß auf Erotik.«
»Scheiß auf Erotik«, sagte Zebulon aus vollem Herzen. Einen Moment lang herrschte sowas wie Einigkeit zwischen ihnen. Dann begann Zebulon wieder, sich über Valentin zu beschweren, und Rob hörte schicksalsergeben zu. Gut, dass er das Bier hatte. Und das nächste. Und das nächste.
Als Zebulon nur noch in unzusammenhängenden Tiraden schwafelte, hatte die Bar sich geleert. Die Studenten waren verschwunden und Rob hatte die Gelegenheit verpasst, einen von ihnen anzusprechen. Der Typ am Ecktisch war ebenfalls weg. Nur noch er und Zebulon hielten den Barkeeper von seinem Feierabend ab, was der ihnen mit grantigen Blicken verständlich machte.
Seufzend ergab Rob sich in sein Schicksal. Kein Sex heute Abend, nur die Ergüsse seines Backpackerkumpels und der angenehme Bierschwindel. Nicht ideal, aber ein Umstand, mit dem er leben konnte. Morgen war auch noch ein Tag.
»Und genau das ist das Problem unserer Gesellschaft: Niemand hört mehr zu! Niemand nimmt sich mehr die Zeit, auf andere zu achten, auf ihre Bedürfnisse einzugehen und …«
»Zebulon, ich glaube, der Barkeeper hat das Bedürfnis, zu schließen. Und ich habe das Bedürfnis, einen Liter Bier auszupissen und dann nach Hause zu gehen.«
»Ich auch«, grollte Zebulon. »Und dann will ich nur noch vergessen.«
»Was vergessen?«
»Alles.« Zebulon marschierte voraus zu den Herrentoiletten.
Einträchtig nebeneinander stehend füllten sie die Pissoirs, wuschen sich die Hände, trockneten sie an den Hosen ab und verließen die Bar. Kalte Frühlingsluft empfing sie und brachte ihre schweißbedeckten Arme zum Frösteln. In der Bar war es heiß gewesen. Die Straßen waren leer, nur vereinzelt stolperten Partygänger über den Asphalt. Ab und zu rauschte ein Auto vorbei. Abgase und Dönerdüfte schwängerten die Luft. Die Straßenlaternen schienen trüb auf Hundescheiße, Gestrüpp und besprühte Betonpoller. An einem der Poller lehnte eine Oma und sang ein Lied auf Fantasie-Englisch. Rob fühlte sich einsam. Furchtbar einsam. Das Gefühl war mit einem Schlag da, vielleicht, weil er zu viel an Julius gedacht hatte. Irgendetwas stimmte heute Abend nicht.
»Ich habe einen guten Whisky daheim«, sagte er, als wäre es egal.
»Schottischen Whisky?«, fragte Zebulon. »Diesen amerikanischen Fusel trinke ich nicht, wie du weißt.«
»Das weiß ich. Du bist ein offenes Buch, was das betrifft, alter Freund.« Rob seufzte. »Kommst du mit oder nicht?«
Kurzes Zögern. »Jemand muss ja auf dich aufpassen.«
»Auf mich? Warum?«
»Auf dem Weg könnte dich die Idee für eine furchtbare Milliardärs-Entführungs-Romanze anfallen. Das werde ich verhindern.«
Rob hatte ein Notizbuch voll Milliardärs-Entführungs-Ideen, aber das sagte er Zebulon nicht. Ungewohnt harmonisch torkelten sie über das Pflaster. Zebulon gähnte, stolperte und prallte gegen Rob. Wieder fiel dem der Zartbitterduft auf. Er schnupperte an Zebulons straßenköterblonden Strähnen. Im Licht der Straßenlaterne wirkten sie grau.
»Was ist das?«, fragte er. »Kann man das kaufen?«
»Was laberst du, Schnulzenschreiberling?«
»Dein Parfüm? Oder ist das irgendein Räucherstäbchen?«
»Ich schmücke mich nicht mit fremden Düften«, sagte Zebulon hoheitsvoll und stolperte schon wieder. »Pass doch auf.«
»Pass du auf.« Rob schnüffelte noch einmal an Zebulons Kragen. »Willst du mir erzählen, dass du die ganze Zeit schon so riechst?«
»Hör auf, mich zu beschnüffeln.« Zebulons Hand griff Robs Schulter und drückte ihn weg.