Viertes Capitel

Die Steinmuscheln. – Der Fluß an seiner Mündung. – Die Kamine. – Fortsetzung der Nachforschungen. – Ein Wald grüner Bäume. – Vorrath an Brennmaterial. – Man erwartet die Ebbe. – Von der Höhe der Küste. – Eine Ladung Holz. – Die Rückkehr zum Ufer.

Der Reporter sagte zu dem Seemann, daß er ihn an dieser Stelle erwarten solle, wo er ihn wieder aufsuchen werde, und ohne einen Augenblick zu verlieren, stieg er das Ufer in derselben Richtung hinan, die einige Stunden vorher der Neger Nab eingeschlagen hatte. Dann verschwand er schnell hinter einem Vorsprung der Küste; so sehr trieb es ihn, etwas vom Ingenieur zu erfahren.

Harbert hatte ihn begleiten wollen.

»Bleib' hier, mein Sohn, sagte der Seemann zu ihm. Wir müssen eine Lagerstätte für die Nacht herrichten und sehen, ab wir etwas Solideres für die Zähne austreiben können, als jene Muscheln. Unsere Freunde werden sich bei ihrer Rückkehr stärken wollen. Jeder bleibe bei seiner Sache.

– Ich bin bereit, Pencroff, antwortete Harbert.

– Schön, versetzte der Seemann, so wird sich Alles machen; nur mit Methode. Wir sind müde, frieren und haben Hunger. Es handelt sich also darum, ein Obdach, Feuer und Nahrungsmittel zu finden. Der Wald enthält Holz, Nester und Eier; so werden wir nur noch eine Hütte zu suchen haben.

– Nun gut, sagte Harbert, so will ich eine Grotte in diesen Felsen suchen und werde gewiß eine entdecken, in der wir uns Alle verkriechen können.

– So sei es, erwiderte Pencroff! An's Werk, mein Junge.«

Beide gingen am Fuße der hohen Mauer hin auf dem Sande, den das fallende Wasser in breiter Fläche frei gelegt hatte; doch statt sich nach Norden zu wenden, schlugen sie die Richtung nach Süden ein. Wenige hundert Schritte von der Stelle, wo sie aus Land gekommen waren, hatte Pencroff beobachtet, daß die Küste einen schmalen Spalt bildete, der seiner Meinung nach die Mündung eines Flusses darstellen mußte. Einerseits erschien es von Wichtigkeit, sich vorläufig in der Nachbarschaft trinkbaren Wassers niederzulassen, andererseits lag die Möglichkeit nicht fern, daß Cyrus Smith von der Strömung nach dieser Gegend getrieben worden sei.

Die hohe Mauer stieg wie erwähnt gegen dreihundert Fuß hoch empor, aber überall, selbst an ihrer Basis, die das Meer bedeckte, theilte kein Einschnitt das Gestein, der als Wohnung benutzbar gewesen wäre. Die steile Mauer bestand aus hartem Granit, dem die Wellen nichts anzuhaben vermochten. Auf dem Gipfel wimmelte es von einer ganzen Welt von Wasservögeln, darunter vorzüglich verschiedene Arten von Handfüßlern mit langen, zusammengedrückten und spitzigen Schnäbeln –, sehr lautes Federvieh, das über die Erscheinung eines Menschen kaum erschreckte und wahrscheinlich zum ersten Male in seiner Einsamkeit gestört wurde. Unter jenen Vögeln erkannte Pencroff mehrere »Labbes«, eine Seemövenart, welche man auch Strandjäger nennt, und daneben kleine gefräßige Möven, die in kleinen Löchern des Granits nisteten Ein Flintenschuß mitten in diese Vogelheerde hätte gewiß eine große Anzahl niedergestreckt, doch um zu schießen, mußte man zunächst ein Gewehr haben, das sowohl Pencroff als Harbert abging. Uebrigens sind diese Vögel kaum eßbar und selbst ihre Eier von sehr widrigem Geschmack.

Da meldete Harbert, der einige hundert Schritte weiter nach links gegangen war, daß er einige mit Algen überkleidete Felsen gefunden habe, welche die Fluth wenige Stunden später wieder bedecken mußte. An diesen Felswänden hingen zwischen Varecbüscheln eine Menge zweischaliger Muscheln, die für halbverhungerte Leute gewiß nicht zu verachten waren. Harbert rief also Pencroff, der eiligst herzulief.

»Ah, da sind Miesmuscheln, rief der Seemann, sie ersetzen die uns fehlenden Eier.

– Nein, solche sind es nicht, antwortete der junge Harbert, nach genauer Betrachtung der an dem Felsen haftenden Schalthiere, das sind Steinmuscheln.

– Sind sie eßbar? fragte Pencroff.

– Vollkommen.

– Nun, auch gut, so verzehren wir Steinmuscheln.«

Der Seemann konnte sich auf Harbert verlassen.

Der junge Mensch war in der Naturgeschichte gut bewandert und hatte schon von jeher eine wahre Leidenschaft für diesen Zweig des Wissens. Sein Vater hatte ihn auf diesen Weg geleitet, indem er ihm von den besten Lehrern in Boston Unterricht ertheilen ließ, welche dem intelligenten und fleißigen Kinde sehr zugethan waren. Seine Eigenschaft als Naturkundiger sollte übrigens noch manchmal in Anspruch genommen werden und bei seinem ersten Auftreten täuschte er sich nicht.

Diese Steinmuscheln bestanden aus langen Schalen und hingen gleichsam traubenweise am Gestein. Sie zählen zu jenen Familien von Mollusken, welche sich selbst in die härtesten Felsen einbohren, und ihr Gehäuse lief in zwei Spitzen aus, eine Anordnung, die sie von der gewöhnlichen eßbaren Muschel unterscheidet.

Pencroff und Harbert verspeisten eine ziemliche Anzahl dieser Steinmuscheln, welche sich im Sonnen schein halb öffneten, wie Austern, und fanden, daß sie einen sehr pfeffrigen Geschmack hatten, was sie jeden Mangel an Gewürz vollständig vergessen ließ.

Ihr Hunger war also vorläufig gestillt, nicht aber der Durst, der nach dem Genusse dieser von Natur gewürzten Schalthiere nur zunahm. Jetzt galt es, bald Trinkwasser aufzufinden, was einer so auffällig zerklüfteten Gegend kaum fehlen konnte. Nachdem Pencroff und Harbert vorsichtiger Weise einen reichlichen Vorrath an Steinmuscheln eingesammelt, den sie in ihren Taschen und Taschentüchern unterbrachten, kehrten sie nach dem Fuße des Hochlandes zurück. Zweihundert Schritte weiterhin gelangten sie nach jenem Einschnitte, von dem Pencroff voraus geahnt, daß ein wasserreicher Fluß durch ihn fließen müsse. Hier schien die Gesteinmauer durch irgend welchen mächtigen plutonischen Vorgang gespalten zu sein. Am Ufer dehnte sich eine kleine Bucht aus, die nach dem Lande zu in einen sehr spitzen Winkel auslief. Der Wasserlauf maß daselbst gegen hundert Fuß Breite, und seine Ufer stiegen höchstens zwanzig Fuß hoch an. Der Fluß drang unmittelbar zwischen die Granitmauer ein, welche sich stromaufwärts zu erniedrigen schien; dann bildete jener einen scharfen Winkel und verschwand eine halbe Meile weiter in einem Gehölz.

»Hier ist ja Wasser und dort Holz! rief Pencroff, nun sieh', Harbert, jetzt fehlt blos noch das Haus!«

Das Wasser des Flusses war schön klar. Der Seemann überzeugte sich, daß es bei niedrigem Wasserstande, d.h. während der Zeit der Ebbe, süß sei. Nach Feststellung dieser gewichtigen Punkte suchte Harbert, freilich erfolglos, nach einem Zufluchtsorte. Ueberall erschien die Mauer glatt, eben und steil.

Nur an der Mündung des Wasserlaufes hatte der Gesteinschutt nicht eine Grotte, aber eine Anhäufung von gewaltigen Felsenstücken gebildet, denen man in Ländern mit Granitgebirgen nicht selten begegnet und die den Namen »Kamine« führen.

Pencroff und Harbert drangen ziemlich tief zwischen diesen Felsen in sandigen Gängen ein, denen auch das Licht nicht abging, da es durch die Lücken eindrang, welche die Granitstücken, von denen sich manche nur wie durch ein Wunder im Gleichgewicht hielten, frei ließen. So gut wie die Lichtstrahlen fand aber auch der Wind, – ein wahrer Corridorzug – Eingang und mit dem Winde die scharfe Kälte von Außen. Doch glaubte der Seemann, daß man durch Verstopfung einiger dieser Zwischengänge mittels eines Gemisches von Sand und Steinen diese »Kamine« zur Noth wohnlich einrichten könne. Ihre geometrische Form ähnelte dem typographischen Zeichen &, das in Abkürzung »und« oder »et caetera« bedeutet. Schloß man den oberen Ring dieses Zeichens, durch welches der Süd- und Westwind hereinblies, ab, so mußte es gelingen, den unteren Theil nutzbar zu machen.

»Das ist jetzt unsere Aufgabe, sagte Pencroff, und wenn wir Mr. Smith jemals wiedersehen, so wird er aus diesem Labyrinthe schon etwas zu machen wissen.

– Wir sehen ihn wieder, Pencroff, rief Harbert, und wenn er zurückkommt, muß er eine erträgliche Wohnung vorfinden Sie wird das von der Zeit an sein, sobald wir hier links einen Herd errichten, und darüber dem Rauche einen Ausweg lassen.

– Das muß sich ausführen lassen, mein Sohn, erwiderte der Seemann, und diese Kamine – denn Pencroff behielt den Namen mit Vorliebe bei –, sollen unsere provisorische Wohnung abgeben. Zuerst werden wir aber für Brennmaterial zu sorgen haben. Mir scheint auch, das Holz wird nicht ganz ungeeignet sein, jene Oeffnung zu verschließen, durch welche der Teufel jetzt seine Trompete bläst!«

Harbert und Pencroff verließen die Kamine, wendeten sich um die Ecke und stiegen das linke Ufer des Flusses hinan. Die Strömung in diesem war ziemlich schnell und führte einige abgestorbene Bäume mit sich. Bei steigender Fluth, von der schon die Anzeichen eintraten, mußte das Wasser wohl eine beträchtliche Strecke zurückgetrieben werden. Der Seemann dachte sofort daran, daß man Ebbe und Fluth zum Transport schwerer Gegenstände werde gebrauchen können.

Nach einem Wege von einer Viertelstunde kamen der Seemann und der junge Mensch an einem scharfen Winkel an, mit dem sich der Fluß nach links wendete. Von dieser Stelle aus setzte sich sein Lauf durch einen Wald mit prächtigen Bäumen fort. Trotz der vorgeschrittenen Jahreszeit prangten diese Bäume noch in ihrem grünen Gewande, denn sie gehörten zu jener Familie der Coniferen, welche in allen Gegenden der Erde, sowohl unter nördlichen Klimaten, als auch in den heißen Zonen vorkommen. Der junge Naturforscher erkannte sie genauer als »Deodars«, eine im Himalayagebirge sehr häufig auftretende Art von überaus angenehmem Geruche. Zwischen diesen schönen Bäumen befanden sich einige Fichtengruppen, deren dichter Schirm sich weit ausbreitete. Mitten unter dem hohen Grase fühlte Pencroff, daß er auf dürre Zweige trat, welche laut knackend zerbrachen.

»Schön, junger Mann, sagte er zu Harbert, wenn mir auch die Namen der Bäume nicht bekannt sind, so weiß ich doch, daß sie zur Kategorie des ›Brennholzes‹ gehören, und für jetzt liegt uns das zunächst am Herzen.

– Versehen wir uns mit Vorrath!« erwiderte Harbert, der sich sofort an's Werk machte.

Das Einsammeln war nicht schwierig, da man nicht einmal Zweige von den Bäumen zu brechen brauchte, denn überall lagen große Mengen dürren Holzes umher. Wenn auch Brennmaterial nicht fehlte, so ließen doch die Transportmittel viel zu wünschen übrig. Bei seiner großen Trockenheit mußte das Holz schnell verbrennen, und wurde es deshalb nöthig, eine beträchtliche Menge desselben nach den Kaminen zu befördern, wozu das nicht hinreichte, was etwa zwei Menschen fortzutragen vermochten. Harbert hatte auf diesen Umstand aufmerksam gemacht.

»Ei nun, mein Junge, meinte der Seemann, so werden wir auf ein Mittel denken müssen, dieses Holz fortzuschaffen. Man muß für Alles ein Mittel finden. Wenn wir eine Karre oder ein Boot hätten, wäre die Sache ja sehr schnell erledigt.

– Aber wir haben ja schon den Fluß! warf Harbert ein.

– Richtig, versetzte Pencroff. Der Fluß ist für uns ein Weg, welcher sogar selbst geht, und die Holzflöße sind nicht umsonst erfunden.

– Nur läuft unser Weg aber, bemerkte Harbert, jetzt gerade in umgekehrter Richtung, da die Fluth noch steigt.

– So werden wir nur zu warten haben, bis sie wieder fällt, entgegnete der Seemann, und dann soll sie unser Heizmaterial mit nach den Kaminen führen. Komm, wir wollen unseren Lastzug vorrichten.«

Von Harbert gefolgt, begab sich der Seemann nach dem scharfen Winkel, den der Waldsaum mit dem Flusse bildete. Beide schleppten, jeder nach seinen Kräften, eine Ladung Holz, zu Bündeln vereinigt, herbei. Auch am Ufer fanden sich eine Menge trockener Zweige, mitten zwischen den Gräsern, in welche sich wahrscheinlich noch nie eines Menschen Fuß verirrt hatte. Pencroff ging sogleich daran: seinen Lastzug in Ordnung zu bringen. Eine hervorspringende Spitze des Ufers, an der sich das Wasser stieß, erzeugte eine Art stillstehenden Wirbels. In diesen brachten der Seemann und der junge Mensch einige größere und dickere Stämmchen, die sie mit Lianen verbanden. So entstand Etwas wie ein Floß, auf welchem der Holzvorrath nach und nach aufgestapelt wurde, der mindestens die Kräfte von zwanzig Mann beansprucht hätte. Binnen einer Stunde war diese Arbeit gethan, und die Holzladung, an improvisirten Tauen festgebunden, erwartete den Eintritt der Ebbe.

Da bis zu dieser Zeit noch einige Stunden verstreichen mußten, beschlossen Pencroff und Harbert, die höheren Uferberge zu besteigen, um einen ausgedehnteren Ueberblick über die Umgegend zu gewinnen.

Gerade zweihundert Schritte hinter der Flußbiegung verlief sich das Granitgebirge, das mit einigen Schutthaufen von Felsstücken endigte, in einem sanften Abhange nahe dem Saume des Waldes, wobei es fast eine natürliche Treppe darstellte. Harbert und der Seemann stiegen also daselbst in die Höhe. Dank ihren kräftigen Knieen erreichten sie den Gipfel in wenig Minuten und begaben sich nach der einen Ecke, welche die Mündung des Flusses bildete.

Oben angelangt, galt ihr erster Blick dem Ocean, über den sie unter so furchtbaren Umständen daher geflogen waren. Im Inneren bewegt, betrachteten sie den nördlichen Theil der Küste, an dem die Katastrophe stattgefunden haben mußte.

Dort verschwand Cyrus Smith. Mit den Augen suchten sie, ob nicht irgendwo ein Theil des Ballons, an den ein Mann sich anklammern könnte, noch umherschwimme. Nichts! Das Meer dehnte sich als endlose Wasserwüste vor ihnen aus Auch am Ufer sahen sie Niemand, weder den Reporter, noch Nab Möglicher Weise befanden sich diese Beiden in solcher Entfernung, daß man sie nicht bemerken konnte.

»Mir sagt eine innere Stimme, rief Harbert, daß ein so unerschrockener Mann, wie Mr. Cyrus, nicht wie der erste Beste ertrunken ist. Er muß irgendwo an's Ufer gekommen sein. Nicht wahr, Pencroff?«

Der Seemann schüttelte betrübt den Kopf. Er hoffte nicht mehr, Cyrus Smith je wieder zu sehen, wollte aber Harbert nicht alle Hoffnung rauben, und sagte:

»Ohne allen Zweifel, unser Ingenieur ist der Mann dazu, sich dann noch durchzuhelfen, wenn alle Anderen zu Grunde gingen!« ...

Dabei faßte er das Küstenbild mit größter Aufmerksamkeit in's Auge. Vor ihm dehnte sich das sandige Ufer, das rechts von der Flußmündung mit einer Reihe von Klippen bekränzt war. Die noch halb unter Wasser stehenden Felsen glichen einer Gesellschaft großer Amphibien, die sich in der Brandung tummelten. Ueber der Grenze dieser Risse hinaus glitzerte das Meer im Strahle der Sonne. Im Süden schloß eine scharf vorspringende Spitze den Gesichtskreis, und konnte man deshalb nicht erkennen, ob das Land sich noch in derselben Richtung weiter fortsetzte oder sich nach Südost wendete, wodurch dieser Küstenstrich zu einer sehr verlängerten Halbinsel geworden wäre. An der Nordseite der Bucht konnte man das Ufer weithin verfolgen, das sich in langer, mehr rundlicher Linie verlief. Dort erschien dasselbe flach, eben, ohne schroffen Rand und mit breiten Sandbänken eingefaßt, die zur Zeit der Ebbe zu Tage lagen.

Pencroff und Harbert wandten sich hierauf nach Westen. In dieser Richtung traf ihr Blick zunächst auf einen hohen Berg mit schneebedecktem Gipfel, der sich in der Entfernung von sechs bis sieben Meilen erhob. Von seinem ersten Abhang aus bis auf zwei Meilen vom Ufer erschien er dicht mit Holz bestanden, dessen immergrüne Blätter weit ausgedehnte, herrliche Flächen bildeten. Von dem Rande des Waldes bis an die Bergkante hin unterbrachen nur ganz ungeordnete Gruppen von Bäumen die Hochebene. Zur Linken sah man wohl da und dort die Gewässer des kleinen Flusses schimmern und hatte es den Anschein, als ob seine Schlangenwindungen bis nach den Widerlagern des Bergriesen führten, aus denen wahrscheinlich seine Quelle entsprang. An der Stelle, wo sie ihre Holzladung gelassen, zwängte sich sein Lauf erst zwischen die Granitmauer hinein. Am rechten Ufer stiegen die Wände steil und glatt in die Höhe, während sie am linken allmäliger abfielen, sich in einzelne Felsen, diese in loses Gestein und diese endlich in Strandkiesel zertheilten, welche bis zur Ecke der Küste reichten.

»Sind wir nur auf einer Insel? sagte der Seemann halb für sich.

– Auf jeden Fall scheint sie sehr ausgedehnt zu sein, antwortete der junge Mann.

– Eine Insel, so groß sie auch sein mag, bleibt doch immer eine Insel!« bemerkte Pencroff.

Die wichtige Frage entzog sich freilich noch der Entscheidung. Das Land selbst, ob nun Festland oder Insel, schien recht fruchtbar, bot einen freundlichen Anblick und war reich an verschiedenen Producten.

»Das ist ein Glück, meinte Pencroff, und in unserer Lage können wir der Vorsehung noch recht dankbar sein.

– Ja, Gott sei gelobt!« fügte Harbert hinzu, dessen frommes Herz des Dankes voll war für den Schöpfer aller Dinge.

Lange Zeit überschauten Harbert und Pencroff die Gegend, in welche sie ihr Schicksal verschlagen hatte, und doch blieb es trotzdem sehr schwierig zu sagen, wie sich ihre nächste Zukunft gestalten würde.

Dann kehrten sie zurück und folgten etwa dem südlichen Kamme des Granitplateaus, der aus einer langen Reihe sonderbar geformter Felsen bestand. Dort nisteten in Erdlöchern einige hundert Vögel. Als Harbert über die Steine sprang, kam eine ziemliche Anzahl derselben zum Vorschein.

»Sieh, rief er, das sind weder Seemöven, noch Wasserschwalben!

– Und was denn? fragte Pencroff; meiner Treu, man könnte sie für Tauben halten.

– Gewiß, aber das sind wilde, sogenannte Felstauben, entgegnete Harbert, ich erkenne sie an den zweimal schwarz gestreiften Flügeln, an den weißen Schwanzfedern und dem aschgrauen Gefieder. Da nun die Felstauben eßbar sind, so müssen wohl ihre Eier ganz vorzüglich munden, und vorausgesetzt, daß sie noch solche in den Nestern ließen ...

– Würden wir diesen keine Zeit lassen, auszukriechen, höchstens in Form von Omelettes, fiel ihm Pencroff fröhlich in's Wort.

– Worin willst Du aber Eierkuchen backen, fragte Harbert, etwa in Deinem Hute?

– Sehr gut, erwiderte der Seemann, doch ein solcher Hexenmeister bin ich nicht. Wir werden uns demnach mit gesottenen Eiern begnügen müssen, und ich stehe Dir dafür, mein Junge, daß ich auch die härtesten nicht verachten werde!«

Pencroff und der junge Mensch suchten nun aller Orten und fanden wirklich in kleinen Aushöhlungen eine Menge Eier. Einige Dutzend von diesen fanden im Taschentuche des Seemannes Platz, und da die Zeit herankam, in der das Wasser wieder sinken mußte, begaben sich dieser und Harbert nach dem Flusse hinab.

Es war ein Uhr Mittags geworden, als sie an dessen Biegung wieder anlangten. Schon wechselte die Strömung, welche man benutzen mußte, um die Holzladung zu tragen. Pencroff fiel es gar nicht ein, seinen Lastzug so ganz allein, ohne Leitung hinabtreiben zu lassen, er konnte sich auf demselben aber auch nicht mit einschiffen, um zu steuern. Um Taue und Stricke darf ein Seemann jedoch nie in Verlegenheit sein, und schleunigst drehte Pencroff aus einer Menge trockener Lianen einen mehrere Klafter langen Strick zusammen. Derselbe wurde an dem Hintertheile des Flosses befestigt, während der Seemann das andere Ende in die Hand nahm und Harbert mittels einer langen Stange das Ganze in der Strömung erhielt. Die Sache ging nach Wunsch. Die schwere Holzladung, die der Seemann an dem Ufer hinschreitend dirigirte, folgte auf dem Wasser. Die Steilheit des Uferrandes ließ nicht befürchten, daß dieselbe an der Seite auffahre, und in kaum zwei Stunden war die Mündung, nur wenige Schritte von den Kaminen, erreicht.

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Fünftes Capitel

Häusliche Einrichtung. – Eine wichtige Frage. – Das Zündhölzchen-Etui. – Nachsuchung am Strande. – Des Reporters und Nab's Rückkehr. – Ein einziges Streichhölzchen! – Das lodernde Herdfeuer. – Die erste Mahlzeit. – Die erste Nacht auf dem Lande.

Nach Entladung des Flosses wendete Pencroff seine erste Sorge der Wohnbarmachung ihres Aufenthaltsortes zu, indem er die Lücken ausfüllte, durch welche der Wind von allen Seiten Eingang fand. Sand, Steine und durcheinander liegende Zweige verschlossen nebst angefeuchteter Erde alle unnöthigen Oeffnungen und trennten die oberen Theile des Felsenhausens von den größeren unteren ab. Zur Abführung des Rauches und zur Erzeugung des nöthigen Zuges sparte man nur einen engen, gewundenen Gang an der Seite aus. So entstanden etwa drei oder vier Zimmer, wenn man dunklen Höhlen, die kaum wilden Thieren genügt hätten, diesen Namen geben darf. Doch war man darin im Trockenen und konnte wenigstens in der größten, mittleren Abtheilung auch aufrecht stehen. Dabei bedeckte ein seiner Sand den Fußboden; kurz, Alles in Allem genügte dieser vorläufige Wohnplatz bis zur Auffindung eines besseren.

Pencroff und Harbert plauderten während ihrer Arbeit.

»Vielleicht haben unsere Gefährten, meinte Harbert, doch einen besseren Zufluchtsort entdeckt?

– Das ist wohl möglich, antwortete Pencroff, doch im Zweifelsfalle mußt Du Dich nie auf Etwas verlassen. Besser eine Sehne zu viel am Bogen, als gar keine!

– O, rief Harbert, wenn sie nur Mr. Smith wiederfinden und zurückbringen, so können wir schon dem Himmel dankbar sein.

– Ja, sagte Pencroff, es steht fest, das war ein ganzer Mann.

– Das ›war‹ einer ...? fragte Harbert, verzweifelst Du, ihn je wieder zu sehen?

– Davor behüte mich Gott!« antwortete rasch der Seemann.

Die Arbeit wurde bald zu Stande gebracht, und Pencroff erklärte sich sehr zufrieden mit dem Erfolge.

»Nun können unsere Freunde zurück kommen, sagte er, sie werden ein hinlängliches Obdach finden.«

Jetzt war nur noch der Herd in Stand zu setzen und eine Mahlzeit zu bereiten; eine sehr leichte und einfache Arbeit. Auf den Erdboden der ersten Abtheilung zur Linken und unter dem roh hergestellten Rauchfange wurden große, glatte Steine aufgerichtet. Die Wärme, welche trotz des abziehenden Rauches noch übrig blieb, mußte voraussichtlich hinreichen, eine erträgliche Temperatur zu unterhalten. Auf den Herd schichtete der Seemann einige Holzscheite nebst dünneren Aestchen auf und brachte den übrigen Vorrath an Heizmaterial in einem anderen Nebenraume unter.

Noch beschäftigte sich der Seemann damit, als Harbert ihn fragte, ob er Streichhölzchen habe.

»Gewiß, erwiderte Pencroff, und das ist ein Glück, denn ohne Streichhölzchen oder Zündschwamm möchten wir schön in Verlegenheit sein.

– O, wir könnten uns doch Feuer verschaffen, wie es die Wilden thun, durch Aneinanderreiben zweier trockener Holzstücke.

– Das versuche einmal, mein Sohn, und Du wirst sehen, daß Du damit nicht weiter gelangst, als Dir fast die Arme zu zerbrechen.

– Und doch ist jene Art und Weise auf den Inseln des Stillen Oceans ganz gebräuchlich. – Das bestreite ich nicht, erwiderte Pencroff, doch ist anzunehmen, daß die Wilden entweder ganz besondere Kunstgriffe oder ein eigenthümliches Holz dabei anwenden, denn mehr als einmal habe ich den Versuch erfolglos wiederholt. Ich gestehe doch, daß ich die Zündhölzer vorziehe. Wo ist aber mein Etui?«

Pencroff suchte sein Feuerzeug, das er als leidenschaftlicher Raucher stets bei sich führte, in allen Taschen; – vergebens. Weder in der Jacke noch in den Beinkleidern fand sich das Gewünschte.

»Das ist fatal, ja, noch mehr als fatal! sagte er mit einem Blicke auf Harbert. Das Etui hab' ich offenbar aus der Tasche verloren. Aber hast Du nicht einen Feuerstahl oder sonst etwas Passendes bei Dir, Harbert?

– Nein, Pencroff!«

Sich kräftig die Stirn reibend und gefolgt von dem jungen Manne lief der Seemann hinaus, und Beide suchten mit größter Sorgfalt auf dem Sande, an den Felsen und längs des Flußufers, aber ohne Erfolg. Das aus Kupfer gefertigte Etui hätte ihren Blicken nicht entgehen können.

»Pencroff, fragte da Harbert, solltest Du das Feuerzeug nicht mit aus der Gondel geworfen haben?

– Das hatte ich weislich bleiben lassen, erwiderte der Seemann. Wenn man indeß so durchgeschüttelt wird, wie wir, kann ein so kleines Ding wohl unbemerkt abhanden kommen. Auch meine Tabakspfeife hat dasselbe Schicksal gehabt! Verdammtes Schächtelchen, wo magst Du stecken?

– Nun, eben weicht das Meer zurück, sagte Harbert, wir wollen nach der Stelle laufen, an der wir strandeten.«

So wenig Wahrscheinlichkeit es für sich hatte, das Kupferbüchschen wieder zu finden, welches die Wellen während der Fluth gewiß mit den Strandkieseln umhergerollt haben mußten, so wollte man doch auch diesen Versuch nicht unterlassen. Harbert und Pencroff begaben sich also schnell nach der von den Kaminen etwa zweihundert Schritte entfernten Stelle.

Dort suchten sie unter den Ufersteinen und zwischen den einzelnen Felsstücken, aber ohne jedes Resultat. War das Feuerzeug hier verloren gegangen, so mußten die Wellen es wohl mit entführt haben. Je weiter sich das Meer zurückzog, desto weiter dehnte der Seemann seine Nachforschungen aus, ohne etwas zu finden. Unter den jetzigen Umständen war dieser Verlust gewiß sehr empfindlich und für den Augenblick unersetzlich.

Pencroff verhehlte seinen lebhaften Unwillen nicht. Die Stirne in Falten gezogen, sprach er kein Wort. Harbert versuchte ihn mit der Bemerkung zu trösten, daß die Zündhölzer doch vom Meere durchnäßt und vorläufig unbrauchbar sein würden.

»Nein, nein, mein Junge, antwortete der Seemann, jene befanden sich in einem kupfernen Büchschen mit bestem Verschlusse! Was sollen wir aber nun beginnen?

– Wir werden schon noch ein Mittel finden, uns Feuer zu verschaffen, tröstete ihn Harbert. Bei Mr. Smith oder Mr. Spilett wird es nicht so knapp hergehen, als jetzt bei uns.

– Kann wohl sein, erwiderte Pencroff, inzwischen bleiben wir aber ohne Jener, und unsere Gefährten werden bei ihrer Rückkehr nur ein sehr mageres Abendbrod finden.

– Es ist aber ganz unmöglich, sagte lebhaft Harbert, daß sie weder Zündschwamm, noch Streichhölzchen hätten!

– Das möchte ich nicht beschwören, entgegnete der Seemann. Nab und Mr. Smith sind keine Raucher, und Mr. Spilett wird weit eher sein Notizbuch, als eine Zündholzschachtel bis zuletzt aufgehoben haben.«

Harbert gab keine Antwort. Der Verlust des Etuis war offenbar ein bedauerlicher Zufall. Nichts destoweniger beharrte der junge Mensch bei dem Glauben, daß sie auf die eine oder die andere Weise noch das nöthige Feuer erhalten würden. Der erfahrenere Pencroff, der sonst doch niemals in Verlegenheit kam, theilte diesen guten Glauben nicht. Jedenfalls blieb ihnen vorläufig nichts Anderes übrig, als Nab's und des Reporters Rückkunft abzuwarten. Auf das in Aussicht genommene Gericht harter Eier mußte man freilich verzichten, und die bevorstehende rohe Fleischdiät erschien ihnen gar nicht besonders verlockend.

Vor der Heimkehr sammelten Beide noch, für den Fall, daß sie sich wirklich ohne Feuer behelfen mußten, einen weiteren Vorrath an Steinmuscheln und schlugen dann schweigend den Weg nach ihrem Zufluchtsorte ein.

Die Augen auf den Boden geheftet, suchte Pencroff noch immer sein verlorenes Büchschen. Er ging sogar das linke Ufer des Flusses von dessen Mündung bis nach der Stelle hinauf, an der die Holzladung angebunden gelegen hatte. Er bestieg die Hochebene, durchlief sie nach allen Richtungen, suchte in dem hohen Grase am Saume des Waldes – Alles, Alles vergeblich.

Es mochte gegen fünf Uhr Abends sein, als Harbert und er nach den Kaminen zurückkehrten, und es ist selbstverständlich, daß alle Höhlen darin bis in die finstersten Ecken umgewühlt wurden, bevor man jedes weitere Nachsuchen aufgab.

Gegen sechs Uhr, gerade als die Sonne sich hinter den höheren Bergzügen im Westen verbarg, meldete Harbert, der an dem flachen Ufer umherschwärmte, die Rückkehr Nab's und Gedeon Spilett's.

Sie kamen allein! – Dem jungen Menschen preßte es schmerzlich die Brust zusammen. Des Seemanns Ahnung hatte also nicht getrogen, der Ingenieur Cyrus Smith war nicht aufgefunden worden!

Als der Reporter näher kam, sank er lautlos auf ein Felsstück nieder. Erschöpft von der Anstrengung und halbtodt vor Hunger fehlten ihm die Kräfte, ein Wort zu sprechen.

An Nab's Augen sah man, wie er geweint hatte, und immer noch verriethen seine Thränen, die er nicht zurück zu halten vermochte, daß ihm alle Hoffnung geschwunden war.

Später berichtete der Reporter über die angestellten Versuche, Cyrus Smith wieder zu finden. Etwa acht Meilen weit waren Nab und er längs der Küste hingelaufen, also noch weit über die Linie hinaus, in welcher der Ballon zum vorletzten Male aufstieß, mit welchem Stoße ja der Ingenieur sammt seinem Hunde verschwand. Das flache Ufer war wüst und leer, keine Spur, kein Fußtapfen zu sehen. Kein neuerdings gewendeter Kiesel, kein Zeichen im Sande, kein Eindruck von Schritten zeigte sich. Offenbar besuchter kein Mensch diesen Theil der Küste. Das Meer dehnte sich ebenso einsam, wie das Ufer, und wenige hundert Schritte von letzterem entfernt mußte der. Ingenieur sein Grab gefunden haben.

Da erhob sich Nab und rief mit einer Stimme, welche seine Gefühle von Hoffnung verrieth:

»Nein, nein! Er ist nicht todt! Nein, das kann nicht sein! Er! Niemals! Ich, oder jeder Andere, ja! Aber er nicht! Er war ein Mann, sich in jeder Lage zu helfen!«

Dann verließen ihn einen Augenblick die Kräfte.

»Ach ich kann nicht mehr!« murmelte er.

Harbert eilte zu ihm.

»Nab, redete ihm der junge Mann zu, wir werden Euren Herrn ja wieder finden! Gott schenkt ihn uns noch einmal! Aber für jetzt leidet Ihr an Hunger. Eßt ein wenig, ich bitte!«

Mit diesen Worten nöthigte er dem Neger einige Hände voll Muscheln auf, freilich eine dürftige, kaum hinreichende Speise.

Seit vielen Stunden hatte Nab Nichts zu sich genommen, aber auch jetzt schlug er es ab. Ohne seinen Herrn konnte oder wollte er eben nicht leben.

Gedeon Spilett verschlang einige Mollusken und legte sich am Fuße eines Felsstückes in den Sand. Er war zum Tode erschöpft, aber ruhig.

Da näherte sich ihm Harbert und faßte seine Hand.

»Mr. Spilett, sagte er, wir haben ein Obdach gefunden, wo es Ihnen mehr gefallen wird, als hier. Die Nacht bricht schon herein. Kommen Sie, um auszuruhen. Morgen werden wir sehen ...«

In diesem Augenblick kam auch Pencroff auf ihn zu und fragte im trockensten Tone, ob er nicht zufällig ein Zündhölzchen bei sich habe.

Der Reporter blieb stehen, durchsuchte seine Taschen, fand das Gewünschte aber nicht und sagte:

»Ich habe keine mehr und werde wohl alle mit ausgeworfen haben ...«

Als Pencroff hierauf an Nab dasselbe Verlangen stellte, erhielt er die nämliche Antwort.

»Verflucht!« fuhr der Seemann auf, der diesen Kraftausdruck nicht nieder zu würgen im Stande war.

Der Reporter hörte es und fragte:

»Es ist wohl kein Streichhölzchen zur Hand?

– Kein einziges, und folglich auch kein Feuer!

– O, rief Nab, da müßte mein Herr zur Stelle sein, der würde bald Rath schaffen!«

Bewegungslos und doch nicht ohne Unruhe sahen sich die vier Schiffbrüchigen an. Harbert brach zuerst das Schweigen und sagte:

»Mr. Spilett, Sie sind Raucher und haben doch wohl immer ein Feuerzeug bei der Hand. Vielleicht haben Sie nur nicht gründlich nachgesehen? Bitte, thun Sie es noch einmal. Ein einziges Zündhölzchen würde uns ja genügen!«

Von Neuem durchwühlte der Reporter alle Taschen seiner Kleidung, wobei er endlich zur größten Freude Pencroff's und zum höchsten eigenen Erstaunen ein zwischen das Westenfutter gelangtes Hölzchen fühlte. Gleichzeitig mit dem Stoffe hatte er dasselbe zwar erfaßt, vermochte es aber nicht hervorzuholen. Da nur dieses einzige vorhanden war, galt es sich vor der Losstoßung des Phosphorköpfchens sorgsam zu hüten.

»Wollen Sie mich gewähren lassen?« sagte der junge Mann.

Sehr geschickt und ohne es zu zerbrechen gelang es ihm, das erbärmliche und jetzt doch so kostbare Splitterchen hervorzuziehen.

»Ein Zündhölzchen! rief Pencroff, o, das ist ebenso viel, als ob wir eine ganze Ladung solcher hätten!«

Er nahm das Hölzchen in Empfang, und Alle begaben sich nach den Kaminen zurück.

Das kleine Stückchen Holz, das man unter anderen Verhältnissen doch ganz achtlos verschwendet, verlangte hier die Anwendung der peinlichsten Vorsicht. Der Seemann überzeugte sich zunächst, ob es auch trocken sei.

»Wir sollten Papier zur Hand haben, sagte er.

– Hier ist welches«, antwortete Gedeon Spilett, der nicht ohne einiges Zaudern ein Blatt aus seinem Notizbuche riß.

Pencroff ergriff das Stück Papier, das ihm der Reporter hinreichte, und kauerte sich vor dem Herde nieder. Auf diesem wurden einige Hände voll trockener Kräuter, Blätter und Moose so unter den Holzstücken ausgebreitet, daß die Luft leichten Zugang hatte, um das Ganze in Flammen zu setzen.

Pencroff knitterte das Papier zusammen und schob es unter, suchte sich dann einen trockenen, etwas rauhen Kiesel und versuchte mit angehaltenem Athem und nicht ohne Herzklopfen das Zündhölzchen sanft darauf zu reiben.

Das erste Streichen blieb erfolglos. Pencroff hatte, aus Furcht, daß der Phosphor abspringen könnte, zu wenig aufgedrückt.

»Nein, ich kann's nicht, sagte er, mir zittern die Hände. Das Hölzchen könnte versagen ... Ich kann nicht ... ich mag nicht!« Er erhob sich und hieß Harbert seine Stelle einnehmen.

Gewiß war der junge Mensch noch nie in seinem Leben so erregt gewesen. Das Herz schlug ihm heftig. Als Prometheus das Feuer vom Himmel stahl, konnte er nicht ängstlicher ergriffen sein. Entschlossen strich Harbert mit dem Hölzchen schnell über den Kiesel. Mit leisem Knistern schlug eine bläuliche Flamme auf, die einen scharfen Rauch verbreitete. Langsam wendete Jener das Hölzchen, um es weiter anbrennen zu lassen, und hielt es dann unter das Papierbäuschchen. Dieses fing Feuer, und in wenigen Augenblicken standen die dürren Moose und Blätter in Flammen. Bald nachher knisterte auch das Holz und loderte, unterstützt durch das kräftige Anblasen des Seemanns, lustig durch die Finsterniß empor.

»Endlich! rief Pencroff. Ich bin doch in meinem ganzen Leben noch nie so aufgeregt gewesen!«

Auf den glatten Steinen des Herdes brannte das Feuer ganz nach Wunsch; der Rauch fand einen bequemen Ausweg, der Schornstein »zog«, und es verbreitete sich eine behagliche Wärme.

Dieses Feuer durfte nun freilich niemals verlöschen und mußte wenigstens etwas Gluth unter der Asche erhalten werden. Da es an Holz nicht fehlte und dessen Vorrath stets ergänzt werden konnte, so machte das nur einige Sorgfalt und Arbeit nöthig.

Pencroff trug zuerst Sorge, dieses Herdfeuer zu benutzen, und eine consistentere Mahlzeit, als sie ein Gericht Steinmuscheln gewährt, zu bereiten. Harbert holte dazu zwei Dutzend Eier herbei. Der Reporter lehnte in einer Ecke und betrachtete diese Vorbereitungen, ohne ein Wort dazu zu sagen. Ein dreifacher Gedanke beschäftigte sein Inneres. Lebte Cyrus überhaupt noch? Wenn er lebte, wo konnte er sein? Wenn er den Sturz aus dem Ballon überstand, sollte er kein Mittel gefunden haben, ein Lebenszeichen von sich zu geben? – Nab endlich streifte am Ufer hin und her und erschien nur noch wie ein Körper ohne Seele.

Pencroff, welcher Eier auf zweiundfünfzig verschiedene Weisen zuzubereiten verstand, hatte jetzt doch keine Wahl. Er mußte sich damit begnügen, dieselben in heiße Asche zu legen und hart werden zu lassen.

Nach Verlauf weniger Minuten war das geschehen und lud der Seemann den Reporter ein, an dem Nachtmahl theilzunehmen, an der ersten Mahlzeit der Schiffbrüchigen auf der unbekannten Küste. Die harten Eier schmeckten ausgezeichnet, und da das Ei fast alle zur Ernährung des Menschen nothwendigen Bestandtheile enthält, so befanden sich die Verunglückten recht wohl dabei und schöpften neue Kräfte.

O, wenn Einer von ihnen jetzt nicht gefehlt hätte! Wenn alle fünf aus Richmond entflohenen Gefangenen hier zusammen gewesen wären, unter diesem Haufen von Felsstücken, vor dem flackernden Feuer auf dem trockenen Sande, sie hätten gewiß aus überquellendem Herzen dem Himmel ihren Dank dargebracht! Aber der erfindungsreichste, der unterrichtetste von ihnen, ihr natürlicher Anführer, Cyrus Smith, fehlte ja, ach, und seine Leiche hatte nicht einmal ein Grab gefunden!

So verlief der 25. März. Die Nacht kam heran. Draußen hörte man das Pfeifen des Windes und das eintönige Rauschen der Brandung an der Küste. Die von den Wellen hin und zurück gerollten Strandsteine erzeugten ein betäubendes Geräusch.

Nachdem der pflichtgewöhnte Reporter kurz die Ereignisse des Tages, die erste Erscheinung des neuen Landes, das Verschwinden des Ingenieurs, die Auskundschaftung der Küste, die Geschichte bezüglich der Zündhölzchen u.s.w. kurz verzeichnet hatte, zog er sich in einen dunkleren Raum zurück und fiel daselbst, von der Müdigkeit überwältigt, in erquickenden Schlummer.

Auch Harbert schlief bald ein. Mit halboffenen Augen lag der Seemann neben dem Herde, den er mit reichlicher Nahrung versorgte. Ein Einziger der Schiffbrüchigen suchte keine Ruhe. Das war der untröstliche, verzweifelte Nab, der trotz der Mahnungen seiner Gefährten, sich einigen Schlaf zu gönnen, die ganze Nacht den Namen seines Herrn rufend auf dem flachen Ufer umherlief.

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Sechstes Capitel

Das Inventar der Schiffbrüchigen. – Nichts! – Ersatz für eine Lunte – Ausflug in den Wald. – Die Flora der grünen Bäume. – Der Jacamar auf der Flucht. – Spuren wilder Thiere. – Die Kurukus. – Die Tetras. – Eine sonderbare Angelfischerei.

Das Verzeichniß der Besitzthümer dieser Schiffbrüchigen des Luftmeeres, welche nach einer scheinbar unbewohnten Küste verschlagen waren, ist leicht aufzustellen.

Außer den Kleidern, die sie zur Zeit des Unfalls trugen, besaßen sie eben gar Nichts. Auszunehmen wären höchstens ein Notiz- und Skizzenbuch, nebst einer Uhr, die Gedeon Spilett mehr aus Versehen behalten hatte; doch war keine Waffe, kein Werkzeug, nicht einmal ein Taschenmesser vorhanden. Alles hatten die Insassen der Gondel ausgeworfen, um den Ballon zu erleichtern.

Daniel Defoe's und Wiß' erdichtete Helden, ebenso wie Selkirk und Raynal, die bei Juan Fernandez und im Aucklands-Archipel gescheitert waren, sahen sich nie so sehr alles Nothwendigen beraubt. Entweder blieben ihnen reiche Hilfsquellen durch die gestrandeten Schiffe, aus denen sie Getreide, Thiere, Werkzeuge, Munition u. dergl. nachträglich bargen, oder irgend eine Seetrift versorgte sie mit den dringlichsten Lebensbedürfnissen. Nie standen sie so ganz macht-und waffenlos ihrem Schicksale gegenüber. Hier fand sich aber kein Geräth, kein Werkzeug vor. Alles mußte aus Nichts geschaffen werden.

Wäre noch Cyrus Smith bei den Verunglückten gewesen, hätte er seinen praktischen Verstand, seinen erfindungsreichen Geist in den jetzigen Umständen verwerthen können, so brauchte man wohl nicht jede Hoffnung aufzugeben! Ach, und gerade auf Cyrus Smith's Hilfe war nicht mehr zu rechnen. Die Schiffbrüchigen waren auf sich selbst und auf die Vorsehung angewiesen, welche Diejenigen nie verläßt, die ernstlich an sie glauben.

Sollten sie sich vor Allem nun an dieser Küste festsetzen ohne einen Versuch, in Erfahrung zu bringen, zu welchem Lande sie gehöre, ob sie bewohnt oder nur ein Theil einer wüsten Insel sei?

Diese dringliche Frage verlangte ihre Lösung in kürzester Frist, insofern die nächsten Maßnahmen davon abhingen. Jedenfalls sollte nach Pencroff's Ansicht aber einige Tage gewartet werden, bevor man auf größere Entfernungen auszöge. In der That mußten dazu ja Lebensmittel zubereitet, überhaupt eine kräftigendere Nahrung beschafft werden, als die bisherige aus Eiern und Schalthieren. Wenn die Kundschafter ernstere Strapazen aushalten sollten, und das vielleicht ohne schützendes Obdach, um ungestört auszuruhen, so mußten sie zuerst wieder vollständig zu Kräften kommen.

Als vorläufiges Unterkommen bewährten sich die Kamine recht gut. Feuer hatte man und etwas Gluth war unschwer zu erhalten. Muscheln und Eier lieferten der Strand und die Felsen in Ueberfluß. Vielleicht fand sich auch noch eine Gelegenheit, einige der Tauben zu erlegen, welche die Uferhöhe zu Hunderten umkreisten, ob das nun durch Stockschläge oder Steinwürfe gelang. Möglicher Weise reisten auch in dem benachbarten Walde eßbare Früchte. An Süßwasser fehlte es auch nicht, – kurz man entschied sich dahin, einige Tage lang in den Kaminen zu bleiben und sich dort auf eine weitere Untersuchung des Landes, entweder längs der Küste oder durch Eindringen in das Innere desselben, vorzubereiten.

Das letztere Project entsprach vorzüglich Nab's Wünschen. Von seinen eigenen Gedanken und Ahnungen eingenommen, hatte er gar nicht so große Eile, diesen Küstenstrich, den Schauplatz der Katastrophe, zu verlassen. Weder glaubte er an den Verlust seines Herrn, noch wollte er daran glauben. Nein, ihm erschien es unmöglich, daß ein solcher Mann auf so alltägliche Art und Weise umkommen, ertrinken solle, wenn ihn eine Sturzsee nur wenige hundert Schritte vom Ufer entführte. So lange die Wellen nicht seinen Leichnam an's Land spülten, so lange er, Nab, diesen nicht mit eigenen Augen gesehen, mit eigenen Händen betastet hätte, konnte er den Tod des Ingenieurs nicht fassen. Immer tiefer trieb diese Idee ihre Wurzeln in seinem Herzen. Vielleicht war sie nur eine Illusion, aber doch eine ganz ehrenwerthe, die selbst der Seemann zu zerstören fürchtete. Für Letzteren gab es freilich keine Hoffnung mehr, war der Ingenieur rettungslos in den Wellen umgekommen; doch gegen Nab konnte oder wollte er nicht streiten. Dieser glich dem Hunde, der nicht von der Stelle weicht, an der sein Herr gefallen, und sein Schmerz war so groß, daß er Jenen nicht lange zu überleben versprach.

Am Morgen des 26. März hatte Nab schon mit Sonnenaufgang wieder den Weg nach Norden zu eingeschlagen und die Gegend aufgesucht, in der das Meer sich ohne Zweifel über dem unglücklichen Cyrus Smith geschlossen haben mochte.

Das Frühstück dieses Tages bestand einfach aus Taubeneiern und Steinmuscheln. In kleinen Löchern am Felsen hatte Harbert Salz gefunden, das, von der Verdunstung des Meerwassers übrig geblieben, jetzt Allen sehr zu statten kam.

Nach Beendigung der Mahlzeit fragte Pencroff den Reporter, ob er Luft habe, mit in den Wald zu gehen, wo er und Harbert zu jagen versuchen wollten. In Berücksichtigung der augenblicklichen Umstände kam man indeß dahin überein, daß Einer zur Unterhaltung des Feuers und auch für den allerdings unwahrscheinlichen Fall zurückbleibe, daß Nab eine Hilfe verlange. Der Reporter ging daher nicht mit.

»Nun denn, zur Jagd, Harbert, sagte der Seemann. Munition finden wir unterwegs, und die Flinten schneiden wir uns im Walde ab.«

Als sie eben aufbrechen wollten, bemerkte Harbert, daß es sich wohl empfehle, an Stelle des mangelnden Zündschwammes irgend etwas Anderes zurecht zu legen.

»Und was denn? fragte Pencroff.

– Angesengtes Leinen, antwortete der junge Bursche, das dient zur Noth an Stelle des Schwammes.«

Der Seemann fand diese Vorsicht gerechtfertigt, sie hatte nur das Unbequeme, das Opfer eines Stücks von seinem Taschentuche nöthig zu machen. Nichtsdestoweniger handelte es sich um eine Sache von Gewicht, und bald war das großcarrirte Taschentuch Pencroff's zum Theil in Streifen angesengter Leinwand umgewandelt. Dieser leicht brennbare Stoff wurde in dem Mittelraum, in einer kleinen Aushöhlung des Gesteins und geschützt vor dem Winde und dem etwaigen Einflusse der Feuchtigkeit untergebracht.

Es war jetzt neun Uhr Morgens. Die Witterung drohte umzuschlagen; der Wind blies aus Südosten Harbert und Pencroff gingen um die Ecke bei den Kaminen, nicht ohne einen Blick auf den Rauch zurückzuwerfen, der um eine Felsenspitze wirbelte; dann folgten sie dem linken Ufer des Flusses.

Im Walde angelangt, brach Pencroff von den ersten Bäumen zwei tüchtige Aeste, die er in Stöcke umwandelte und deren Spitze Harbert auf einem Steine nothdürftig bearbeit etc. O, was hätte man jetzt für ein Messer gegeben! Dann drangen die beiden Jäger in dem dichten Grase längs des steilen Ufers weiter vor. Von der Stelle aus, wo er sich nach Südwesten hin wendete, verengte sich der Fluß merklich und seine Ufer bildeten ein sehr schmales Bette, das die Kronen der Bäume von beiden Seiten her überdeckten. Um sich nicht zu verirren, beschloß Pencroff dem Wasserlaufe zu folgen, der sie ja stets sicher nach ihrem Ausgangspunkte zurückführen mußte. Der Weg am Ufer bot aber doch einige Schwierigkeiten: hier biegsame Zweige, die bis zur Wasserfläche hinabhingen, dort Lianen oder Dornengestrüpp, durch das man sich mit dem Stocke erst einen Pfad brechen mußte. Nicht selten schlüpfte Harbert mit der Geschmeidigkeit einer jungen Katze seitwärts in's Dickicht, doch Pencroff rief ihn schnell zurück mit der Bitte, sich nicht zu entfernen.

Aufmerksam betrachtete der Seemann die Natur der Umgebungen. Neben diesem linken Ufer dehnte sich ein ebenerer Boden, der nach dem Innern zu sanft aufstieg. Da und dort sehr feucht, nahm er fast einen sumpfigen Charakter an. Unter den Füßen glaubte man ein Netz von Wasseradern zu spüren, die durch irgend welche unterirdische Spalten sich in den Fluß ergießen mochten. Manchmal plätscherte auch ein leicht zu überschreitender Bach quer durch das Gehölz. Das gegenüber liegende Ufer erschien weit unebener, und zeichnete sich die Richtung des Thals, dessen Sohle eben der Fluß einnahm, in seinen Linien deutlich ab. Die mit etagenartig stehenden Bäumen besetzte Erhöhung bildete einen jede Aussicht beschränkenden grünen Vorhang. Auf jenem rechten Ufer vorzudringen, wäre weit schwieriger gewesen, denn von den steilen, manchmal schroffen Abhängen neigten sich oft ganze Bäume, die nur noch durch ihre Wurzeln gehalten waren, bis zum Niveau des Wassers.

Es bedarf wohl keiner Erwähnung, daß dieser Wald, ebenso wie die schon durchlaufene Küstenstrecke noch einen ganz jungfräulichen, von keines Menschen Fuß betretenen Boden zeigte. Doch fielen Pencroff Spuren wilder Thiere, die unlängst hier durchgekommen sein mußten, in's Auge, ohne daß er die Art derselben bezeichnen konnte. Einige derselben gehörten Harbert's Ansicht nach gewiß ganz furchtbaren Bestien an, mit denen man wohl noch zu thun bekommen würde; nirgends aber fand man einen Axthieb an einem Baume, Reste eines verlöschten Feuers oder den Abdruck von Schritten. Letzterer Umstand war vielleicht als ein Glück anzusehen, da es zweifelhaft blieb, ob auf diesem Stück Erde mitten im Pacifischen Oceane die Gegenwart von Menschen mehr zu wünschen oder zu fürchten sei.

Selten ein Wort sprechend kamen Harbert und Pencroff bei den großen Schwierigkeiten des Weges nur langsam vorwärts, und hatten nach Verlauf einer Stunde kaum eine Meile zurückgelegt. Bis hierher war die Jagd noch gänzlich erfolglos gewesen. Einige Vögel hüpften zwitschernd zwischen den Aesten, zeigten sich aber sehr scheu, so als ob ihnen der Anblick der Menschen eine instinctive Furcht einflöße. Unter anderem Geflügel machte Harbert in einem sumpfigen Theile des Waldes auf einen Vogel mit langem, spitzem Schnabel aufmerksam, der seinem äußeren Bau nach dem sogenannten Taucherkönig sehr ähnlich war. Doch unterschied er sich von Letzterem durch das gröbere Gefieder, das einen metallischen Glanz zeigte.

»Das muß ein ›Jacamar‹ (Glanzvogel) sein, sagte Harbert und suchte sich diesem vorsichtig zu nähern.

– Eine schöne Gelegenheit, einen Jacamar zu kosten, meinte der Seemann, wenn jener die Gefälligkeit hätte, sich braten zu lassen.«

Schon traf ein geschickt und kräftig geworfener Stein das Thier an der Flügelwurzel, reichte aber nicht hin, jenes zu lähmen, denn der Jacamar entfloh sehr hastig und war in wenigen Augenblicken verschwunden.

»Ich bin doch recht ungeschickt! rief Harbert.

– Nicht doch, mein Junge, erwiderte Pencroff, Dein Wurf war sicher, und mancher Andere hätte den Vogel wohl ganz gefehlt. Laß den Kopf nicht sinken; der Bursche läuft uns wieder in den Weg!«

Sie gingen weiter. Je tiefer sie in das Innere gelangten, desto prächtigere Bäume traten ihnen minder dicht stehend entgegen, doch keiner derselben trug eßbare Früchte. Vergebens suchte Pencroff nach einigen der so kostbaren Palmen, die für das gewöhnliche Leben so Vielerlei bieten, und welche auf der nördlichen Halbkugel der Erde bis zum vierzigsten, auf der südlichen bis zum fünfunddreißigsten Breitengrade vorkommen. Der Wald hier bestand aber nur aus Coniferen, wie die von Harbert schon erkannten Deodars, und »Douglas« (eine Fichtenart), ähnlich den an der Nordwestküste Amerikas einheimischen, nebst prächtigen Tannen von hundertfünfzig Fuß Höhe.

Da flatterte eine Heerde kleiner Vögel mit herrlichem Gefieder und langem, schillerndem Schwanze zwischen dem Geäste auf und verstreute eine Menge ihrer nur lose sitzenden Federn, die den Boden unter ihnen mit seinem Flaume bedeckten. Harbert sammelte einige und sagte nach genauerer Prüfung derselben:

»Das sind ›Kurukus‹ (Nagevögel).

– Mir wäre ein Perlhuhn oder ein Auerhahn lieber, antwortete Pencroff; indeß, sind diese eßbar?

– O gewiß, ihr Fleisch schmeckt sogar vortrefflich, erwiderte Harbert. Wenn ich nicht irre, kann man jenen auch leicht beikommen und sie mit Stockschlägen erlegen.«

Der Seemann und der junge Mensch schlichen sich durch das Gras und bis an den Fuß eines Baumes, dessen Zweige die kleinen Vögel dicht besetzt hatten. Die Kurukus lauern in solcher Aufstellung auf Insectenschwärme, die ihnen zur Nahrung dienen. Man sah, wie ihre befiederten Füßchen die jungen Triebe, auf denen sie saßen, fest umklammert hielten.