Über dieses Buch

Zwei Familien leben in der Kleinstadt, die eine hinduistisch, die andere muslimisch. Ein wohl ausgewogenes Gleichgewicht aus Respekt und Achtung bestimmt das Leben zwischen den Plantagen, bis sich das Gespenst der Intoleranz daran macht, dieses Leben zu zerstören.

Beeindruckend thematisiert Zaidi Vorurteile, Hassreden und Gewaltausbrüche.

Annie Zaidi, geboren 1978 in Allahabad, Indien, veröffentlicht Romane, Essays, Lyrik, Kurzgeschichten und Dramen. Für ihr Werk wurde sie mit dem Hindu Playwright Award und dem Nine Dots Prize ausgezeichnet.

Dieses Buch gibt es in folgenden Ausgaben: E-Book (EPUB) – Ihre Ausgabe, E-Book (Apple-Geräte), E-Book (Kindle)

Mehr Informationen, Pressestimmen und Dokumente finden Sie auch im Anhang.

Annie Zaidi

Anstiftung zum Mord

Roman

Aus dem Englischen von Gerhard Bierwirth

E-Book-Ausgabe

Draupadi @ Unionsverlag

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Impressum

Dieses E-Book des Draupadi-Verlags erscheint in Zusammenarbeit mit dem Unionsverlag.

Originaltitel: Prelude to a Riot

© by Annie Zaidi 2019

Alle Rechte vorbehalten

Umschlaggestaltung: Reinhard Sick

ISBN 978-3-293-31112-1

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Version vom 11.10.2020, 12:43h

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Für meinen »eklauta« Bruder Aman, der auch »laakhon mein ek« ist.

Er ist einer, von denen die Welt mehr benötigt.

Die Personen des Romans

Appa
Eigentümer eines mittelgroßen Landguts
Devaki
Appas Tochter
Vinny
Appas Sohn und Erbe
Bavna
Vinnys Ehefrau und Mutter zweier halbwüchsiger Töchter
Saju
Devakis Ehemann und Freund von Abu
Garuda
Sozialkundelehrer am örtlichen Gymnasium
Kadir
Besitzer der ›Royal-Konditorei‹, der ältesten in der Stadt
Mariam
Köchin in Dadas Haushalt, die nebenher auch als Masseuse arbeitet
Dada
Eigentümer eines mittelgroßen Landguts
Abu
Dadas Enkelsohn
Fareeda
Dadas Enkeltochter
Yashika
Klassenkameradin und beste Freundin von Fareeda
Deepika
Fareedas Klassenkameradin
Mommad
Wanderarbeiter
Majju
Mommads Neffe

Garuda kämpft sich mit seiner Klasse 10-B durch die mittelalterliche Geschichte

Wenn ein Kerl erst einmal seinen Hintern sicher auf einem großen Stuhl platziert hat, ändert er auch seinen Namen entsprechend. Er braucht dabei einen Namen von kosmischer Strahlkraft. So etwas wie: Das Licht der Welt. Oder: Die über der Welt schwebende Mondblume. Oder: Der Herr der Himmel. Oder: Der Grausame. Oder: Die Göttliche Flamme. Oder: Die Perle des Ozeans. Oder einfach: Das Universum Höchstpersönlich.

Das Problem mit diesem Burschen war allerdings, dass er nicht genug Phantasie hatte. Er klang immer nur wie irgendeiner von den anderen braunen Burschen. Vielleicht hat er sich auch genauso wie die gefühlt. Sein Vater war ein ganz gewöhnlicher Soldat gewesen, einer von denen, die sich hochgedient hatten, Typ Sklave seit Generationen.

Nein, nicht doch, kein richtiger Sklave. Nur einer, der sich Dienstgrad um Dienstgrad hochgearbeitet hatte. Ein ganz normaler Mann, mit anderen Worten. Auf diese Art und Weise sind schon viele neue Dynastien entstanden. Auch Könige brauchen jemanden, dem sie trauen können, oder? Und aus naheliegenden Gründen trauen sie ihren eigenen Familienmitgliedern am wenigsten. Erinnert ihr euch noch an Ajatshatru-Bimbisara aus dem Altertum? Wisst ihr das noch?

Ach, keine gute Frage, Garuda. Frage niemals eine 10-B nach dem Stoff vom letzten Semester.

Also weiter! Dieser Bursche Hyder war ein tüchtiger Kämpfer. Ein Herz wie ein Tiger. Und dazu noch mit einem erstklassigen Verstand. Woher wir das wissen? Ja nun, wenn er weniger intelligent und weniger nützlich gewesen wäre – seht es mal so, letztlich geht es doch immer darum, ob einer für den König nützlich ist, und er war sehr nützlich. Warum hätte man ihn sonst einstellen sollen? Warum hätte man ihn sonst befördern sollen? Nur so? Die herrschende Schicht braucht immer ein paar Emporkömmlinge als Generäle. Aber am Ende begreift der Bursche, worum es geht. Er fängt an zu denken: So ist das also, der König kommt ohne mich nicht zurecht. Was bedeutet, dass eigentlich ich König sein müsste. Also sorgt er dafür, dass er machtmäßig dem König gleichgestellt ist. Dann tritt sein Sohn sein Erbe an.

Der hatte nie eine Schule von innen gesehen, nichtwahr. Konnte nicht mal lesen. Aber er hatte das wilde Herz und die soldatische Intelligenz seines Vaters. Damals wurde ständig heftig gekämpft. Nicht so wie heute – wo hoch oben was fliegt und das ganze Land bombardiert. Zivilisten, Frauen, Kinder, Hunde, Katzen, Raupen, alles. Tatsache ist, dass man heutzutage nicht einmal mehr oben drüber fliegen muss. Man drückt nur noch einen Knopf, und die Rakete erledigt den Rest. Wer braucht heute noch Mut, um in den Krieg zu ziehen?

Nächstes Jahr werden sie eure Studiengebühren erhöhen. Habt ihr das gewusst? Für klimatisierte Klassenzimmer. Damit ihr alle nicht in dieser Hitze verschmort. Was sie machen, wenn der Strom ausfällt, weiß ich allerdings auch nicht. Eure Schule wird jetzt international. Habt ihr schon davon gehört? International mit einem großen »I«.

Wahrscheinlich brauchen sie dafür zwei Weiße fürs Lehrerkollegium. Sonst nimmt ihnen keiner das »international« ab. Und eure Eltern werden auch ein weißes Gesicht sehen wollen, wenn sie schon diese saftigen Gebühren bezahlen sollen. Schwarze Gesichter reichen da nicht. Botswana kann ja auch nicht als »international« gelten. Chinesische Gesichter könnten aber ein Risiko darstellen. Eure Eltern können doch Nepal nicht von China unterscheiden. Ich auch nicht. Diese Völker in den Grenzregionen. Man kann einen Nepali von einem Chinesen nicht vom Äußeren her unterscheiden. Mir wäre es allerdings lieber, sie würden eher nepalesische Lehrer als amerikanische oder japanische einstellen.

Wisst ihr, wie bestimmte Arten von Fäulnis bei Früchten wirken? Von außen sieht die Frucht ganz in Ordnung aus. Dann fängst du an zu essen. Die Fäulnis spürst du aber erst, wenn sich etwas Harsches-Bitteres auf deiner Zunge bildet. Das meine ich. Die Weißen sind weg und haben uns so zurückgelassen, dass wir von innen heraus faulen.

Es gibt viel, was uns einschränkt: Bank, Pult, Tafel, Rohrstock. Sie haben uns beigebracht, wie dressierte Hunde ›Sitz‹ zu machen. Gib Pfötchen, schüttelʼ das Händchen, braves Hündchen. Sitz, Platz! Setzʼ dich nicht jeden Tag woanders hin. Die Weißen mochten keine Unordnung. Wir Braunen, wir sind da komplizierter. Chaos macht uns nichts aus. Oder Menschenmengen oder Krach. Nicht nur an Feiertagen. Wir leben sozusagen vom Chaos. Ohne Verkehrsregeln. Kühe, Esel, Affen. Wir lassen alles gelten. Was wir aber nicht gelten lassen, ist Veränderung. Soziale Veränderung.

Versteht ihr den Unterschied? Veränderung ist kein Abfallprodukt von Unordnung. Und Veränderung ist auch nicht nur vorübergehend. Damit werden neue Stellungen angestrebt, möglicherweise sogar auf Dauer. Es geht also um Veränderung versus Trägheit. Statik versus Dynamik. Darüber müsst ihr doch schon alles in Physik gelernt haben.

Um das mal an einem Beispiel zu erläutern, nehmen wir mal deine Familie, Fareeda. Bevor sie konvertiert sind, sind sie vielleicht irgendetwas anderes gewesen.

Ja, schon gut. Ihr kamt also möglicherweise den ganzen langen Weg auf Schiffen von Arabien hierher. Wer weiß das schon? Aber vor dem siebten Jahrhundert sind sogar in Arabien schon Leute konvertiert. Hier, eine neue Religion, hier ein neuer Messias. Den Leuten gefiel das oder sie spürten, dass die Winde der Macht auf einmal aus einer anderen Richtung wehten. Also veränderten sie sich so, dass sie die Winde im Rücken hatten, dass die neuen Winde ihre Segel füllten. Dann gingen sie auf Reisen, und das Gleiche geschah überall in der ganzen Welt. Ob vor tausend Jahren oder vor vierhundert Jahren. Und Könige haben Schlachten gewonnen, klar doch. Kennt ihr das Wort »Eiferer«?

Wo habt ihr euer Taschenwörterbuch? Nein, nicht jeder muss es nachgucken. Deepika, bitte siehʼ du es nach, ich buchstabiere: E-i-f-e-r-e-r. Und lies es der Klasse vor.

Es ist nun allerdings so, dass die Leute, auch wenn sie sich dem Glaubenseifer eines neuen Königs unterworfen haben, nicht so leicht wieder die werden, die sie mal waren, wenn dieser König stirbt oder entthront wird. Wieso?

Kommt es vielleicht daher, dass die Leute entdeckt haben, dass in ihrem neuen Glauben auch etwas Wertvolles steckt? Oder liegt es daran, dass sie nicht länger wegen der paar Gesten der Anerkennung von dem alten System auf den Knien liegen wollen? Oder ist es nicht einfach so, dass sie herausgefunden haben, dass es keine Rolle spielt, ob sie so oder so sind?

Kurzum. Der entscheidende Punkt ist: Die Oberen, die Herrschenden mögen keine Veränderungen. Die weißen Herrscher hat man aus dem Land geworfen, aber noch immer sitzen alle kastenmäßig auf den Plätzen, die man ihnen zugewiesen hat. Einige von euch haben Hunderte Hektar Landbesitz. Eure Vorfahren hat man damals mit Land belohnt. Generationen von Königen, egal ob braune oder weiße, haben sie damit gehätschelt. Sogar die, die ohne die Hilfe von Söldnern ihre Hintern nicht auf ihren Thronen halten konnten, haben Land als Belohnung verteilt oder als Strafe wieder eingezogen. Ihr glaubt, ihr hättet euer Land aufgrund eurer Fähigkeiten geerbt? Wie viele von euch würden eine Prüfung für Landwirte bestehen?

In zehn Minuten ist die Stunde zu ende. Du brauchst nicht auf die Uhr zu schauen, Yashika. Das machst du jetzt schon zum dritten Mal.

Was ich sagen will, ist, dass ihr lernen müsst, Bambus zu flechten. Für Handfächer aus Bambus. Ventilatoren, Klimageräte, Generatoren sind schon schön, aber es gibt keine 24-Stunden Elektrizitätsversorgung. Jedenfalls nicht für alle. Die meisten von euch, sechzig Prozent dieser Klasse, bekommen nur zwei Stunden Strom am Tag. Das wird noch zehn Jahre so gehen.

Ihr glaubt mir nicht? Ich soll es euch mit Brief und Siegel geben? Kein Problem. Kommt in zehn Jahren zurück zu Meister Garuda und sprecht mit ihm.

Zuerst werden sie Diesel rationieren. Strom wird richtig teuer werden. Ihr werdet heiraten und drei Kinder kriegen, jeder. Da gibt es nichts zu giggeln. Ihr werdet Mühe haben, noch sauberes Wasser zu finden. Habt ihr noch nichts vom neuen Klimawandel-Imperialismus gehört?

Darüber werden wir im Erdkundeunterricht reden. Jetzt sind wir im Geschichtsunterricht. Wenn die Schule erst einmal International ist, werdet ihr andere Lehrer in Erdkunde, Geschichte und Sozialkunde bekommen. Die werden das dann aber nicht mehr Sozialkunde nennen, sondern Anthropologie und Politikwissenschaft. Für den Augenblick aber erwartet man von euch, dass ihr euch eher sozial als politisch aufführt.

Wenn wir vor dreihundert Jahren nur gescheit genug gewesen wären, uns unter einem starken braunen Führer zu vereinigen, hätten wir die imperialistische Attacke zurückschlagen können. Dann hätte der auch dafür gesorgt, dass wir unseren Reichtum bei uns behalten. Dann hätte der auch bessere Waffen herstellen lassen. Und dann hätte der auch keine braunen Soldaten über die sieben Meere geschickt, um dort für die Freiheit der Weißen zu kämpfen. Mit dem Herz eines Tigers, das schon, aber eben auch mit viel Verstand.

Die Bücher auf! Seite 147! Fareeda! Bitte, lies die beiden ersten Absätze vor.