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Die Autorin

Prof. Dr. Brigitte Dorst, Dipl.-Psych., Psychotherapeutin in eigener Praxis, Jung’sche Psychoanalytikerin und Lehranalytikerin am C. G. Jung-Institut Stuttgart, ist in den Bereichen Psychotherapie, Supervision, Beratung und in der Weiterbildung tätig.

Brigitte Dorst

Therapeutisches Arbeiten mit Symbolen

Wege in die innere Bilderwelt

3., aktualisierte Auflage

Verlag W. Kohlhammer

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3., aktualisierte Auflage 2022

Alle Rechte vorbehalten

© W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart

Gesamtherstellung: W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart

Print:

ISBN 978-3-17-040330-7

E-Book-Formate:

pdf:        ISBN 978-3-17-040331-4

epub:     ISBN 978-3-17-040332-1

 

Inhalt

 

 

 

  1. Geleitwort
  2.  
  3. Ingrid Riedel
  4. Einleitung
  5.  
  6. Teil I Theoretische Grundlagen der Symbolarbeit
  7. 1 Einführung in die Symbolpsychologie
  8.  
  9. 1.1 Symbole in der Alltagswelt
  10. 1.2 Was sind Symbole?
  11. 1.3 Der tiefenpsychologische Zugang zu Symbolen
  12. 1.4 Symbole und Archetypen
  13. 1.5 Symbole und ihre existentielle Bedeutung
  14. 1.6 Symbole in der Therapie
  15. 1.7 Zugänge zur Symbolerfahrung und -deutung
  16. 1.8 Übungen zur Symbolisierung
  17. 2 Alte und neue Symbole
  18.  
  19. 2.1 Die Universalität von Symbolen
  20. 2.2 Symbole in der Alltagssprache
  21. 2.3 Das Labyrinth – ein altes Wegsymbol
  22. 2.4 Das Auto – ein modernes Selbstsymbol
  23. 2.5 Tiersymbolik
  24. 2.6 Das Element Wasser
  25. 2.7 Zahlensymbolik: Die Zahl Dreizehn
  26. 3 Das Menschenbild der Analytischen Psychologie
  27.  
  28. 3.1 Ich und Selbst, persönliches und kollektives Unbewusstes
  29. 3.2 Werde der/die du bist – das Konzept der Individuation
  30. 3.3 Individuation, Identität und Kohärenz im Zeitalter der Postmoderne
  31. 3.4 Sinnsuche und Spiritualität
  32. 3.5 Die Schattenproblematik
  33. 3.6 Die therapeutische Beziehung
  34. 4 Symbole und Symbolarbeit in Gruppen
  35.  
  36. 4.1 Zur Bedeutung von Selbsterfahrungs- und Therapiegruppen
  37. 4.2 Der Archetyp der Gruppe
  38. 4.3 Gruppenpsychotherapie auf der Basis der Analytischen Psychologie
  39. 4.4 Symbolische Ausdrucksformen in Gruppen
  40. 4.5 Gruppen als Erfahrungsräume der Individuation
  41. Teil II Methoden der Symbolarbeit
  42. 5 Traumsymbole und Traumarbeit
  43.  
  44. 5.1 Bedeutung und Sinn des Träumens
  45. 5.2 Das Traumverständnis C. G. Jungs
  46. 5.3 Funktionen des Traums aus Sicht der Analytischen Psychologie
  47. 5.4 Subjektstufige und objektstufige Trauminterpretation
  48. 5.5 Das Verstehen von Träumen
  49. 5.6 Träume als Wegweiser
  50. 5.7 Albträume und Angstträume
  51. 5.8 Traumbeispiele
  52. 5.9 Traumarbeit in Gruppen
  53. 5.10 Wie man Träume besser erinnern kann
  54. 6 Arbeit mit Märchen
  55.  
  56. 6.1 Märchen als Lebenshilfe
  57. 6.2 Tiefenpsychologische Zugänge zu Märchen
  58. 6.3 Märchenbeispiele und ihre Deutung
  59. 6.4 Aschenputtel – aus der Trauer zurück ins Leben
  60. 6.5 Rumpelstilzchen – der Leistungskomplex der Vatertöchter
  61. 6.6 Die gute Stiefmutter – Heilung von frühen Traumatisierungen
  62. 6.7 Wie man Märchen entschlüsseln kann
  63. 6.8 Was man mit Märchen alles machen kann
  64. 7 Geschichten als Medizin – Der Prinz, der glaubte ein Truthahn zu sein und andere Weisheitsgeschichten
  65.  
  66. 7.1 Die heilsame Kraft der Geschichten
  67. 7.2 Geschichten für die therapeutische Arbeit
  68. 8 Imagination als Zugang zur inneren Bilderwelt
  69.  
  70. 8.1 Imagination und Phantasie
  71. 8.2 Aktive Imagination
  72. 8.3 Entspannungsanleitungen zur Vorbereitung
  73. 8.4 Praktische Hinweise zur therapeutischen Arbeit mit Imaginationen
  74. 8.5 Beispiele aus der therapeutischen Praxis
  75. 8.6 Übungen zur Imagination
  76. 8.7 Wirkungen der Imagination
  77. 9 Symbole malen und gestalten
  78.  
  79. 9.1 Malen – mit sich selbst experimentieren
  80. 9.2 Wirkfaktoren des therapeutischen Malens
  81. 9.3 Anregung zum Malen und zur Motivfindung
  82. 9.4 Hinweise zum Verständnis von Bildern
  83. 9.5 Beispiele von Bildern aus der Therapie
  84. 9.6 Bilder in der Sprache
  85. 9.7 Malen und Gestalten in Gruppen
  86. 10 Symbolarbeit mit einzelnen Gegenständen
  87.  
  88. 10.1 Sinnerfahrung mit Symbolen und Ritualen
  89. 10.2 Stein-Meditation
  90. 10.3 Ein Feuer-Ritual zur Befreiung
  91. 10.4 Fragebogen zur Symbolik des Wassers
  92. Nachwort
  93.  
  94. Literatur
  95.  
  96. Personenverzeichnis
  97.  
  98. Stichwortverzeichnis
  99.  

 

 

 

Geleitwort

Ingrid Riedel

Brigitte Dorst ist ein sehr anregendes Buch gelungen, das Freude weckt, sich mit Symbolen auseinanderzusetzen, und Lust macht, mit ihnen zu arbeiten.

Für Symbole zu interessieren gelingt ihr nicht zuletzt dadurch, dass sie deren Bedeutung für den Menschen bewusst macht: Wo Symbole auftauchen, entsteht nämlich zugleich Bedeutung, Sinn-Deutung, Sinn – ob es nun um Träume, Imaginationen, Gestaltungen der Kunst, der Religion oder der Politik geht.

Wo hingegen Symbole fehlen, wo die symbolisierende Einstellung des Menschen zu seinem Leben blockiert ist, die beispielsweise in der Rose ein Symbol der Liebe, im Meer ein Symbol der Unendlichkeit erkennen könnte, da gerät der Mensch in eine Sinnarmut, ja Sinnleere. Solche innere Leere kann krank machen. Wenige Psychologen und Psychotherapeuten sahen diesen Zusammenhang so klar wie C. G. Jung: als ein »Leiden der Seele, die ihren Sinn nicht gefunden hat« (GW 11, § 497). Von daher ist es nur folgerichtig, dass Brigitte Dorsts Symbolverständnis vor allem auf der Psychologie C. G. Jungs basiert, die sie hier in großen Zügen und seltener Anschaulichkeit umreißt.

Um therapeutisches Arbeiten mit Symbolen geht es in diesem Buch, und therapeutisch zu arbeiten heißt hier vor allem, mit Symbolen zu arbeiten, damit die Patientinnen und Patienten – aus dem Unbewussten schöpfend – Bedeutung und Sinn für ihr Leben wiederfinden können. Bei der Arbeit mit Symbolen geht es aber, so betont Brigitte Dorst, nicht nur um Therapie, sondern vor allem um die Erweckung der in jedem Menschen schlummernden schöpferischen Impulse und damit um Entwicklung und Individuation überhaupt. So ist dieses Buch nicht nur für therapeutisch Arbeitende – und gewiss nicht nur für Therapeuten aus der Schule C. G. Jungs – relevant, sondern auch für alle diejenigen, die für die kreativen Impulse aus dem Unbewussten, für die Ressourcen aus der Tiefe der Psyche, wach und offen sind, die sie aufgreifen und mit ihnen arbeiten möchten, auch im weiteren pädagogischen, sozialtherapeutischen und erwachsenenbildnerischen Bereich.

Hierfür stellt Brigitte Dorst eine wahre Fülle praktischer Anregungen bereit. Sie verdeutlicht anschaulich – anhand von Fallbeispielen und mit Hilfe von Übungen –, wie die Arbeit mit Symbolen im Zusammenhang mit Träumen, Imaginationen, Märchen, Weisheitsgeschichten und auch mit dem bildnerischen Gestalten bzw. Malen aus dem Unbewussten geschehen kann.

Eine Besonderheit des Buches und ein Vorzug gegenüber bisherigen Darstellungen der Arbeit mit Symbolen liegt darin, dass die dargestellten Methoden auch für die Arbeit mit Gruppen gedacht und in dieser Hinsicht erprobt sind. Das gelungene Kapitel über die Symbolarbeit mit und in Gruppen stellt eine unentbehrliche Ergänzung zu solchen Veröffentlichungen dar, die die Möglichkeiten von Symbolarbeit nur im Rahmen der Einzeltherapie behandeln.

Es gehört zu den besonderen Vorzügen dieses Buches, die es so hilfreich für die Praxis machen, dass es die tiefenpsychologische Arbeit mit Symbolen in ihrer ganzen möglichen Bandbreite darstellt – und dies mit so anregenden Beispielen und Modellen, dass man verlockt ist, einige sogleich im eigenen Praxisfeld auszuprobieren.

Nicht zuletzt tut die klare, bildhafte Sprache wohl, mit der Brigitte Dorst auch anspruchsvolle Gedankengänge vermittelt, so dass das Buch gewiss über die fachlich Geschulten hinaus auch für solche Leserinnen und Leser hilfreich ist, die den Zugang zu Symbolen für sich selbst und für den eigenen Umgang mit Träumen oder Imaginationen gewinnen und ausprobieren wollen.

Ob am heute allgegenwärtigen Symbol des Autos oder am uralten Symbol des Labyrinths: An vielen Beispielen zeigt Brigitte Dorst auf, was Symbole sind, wie sie für therapeutische und Selbsterfahrungsprozesse genutzt werden können und was sie für die Sinnfindung in unserem Leben bedeuten.

 

 

Einleitung

 

Denn wo Gefahr ist,

wächst das Rettende auch.

HÖLDERLIN

Seit Beginn des Jahres 2020 hat die weltweite Corona-Krise alle Lebensbereiche beeinflusst, natürlich auch die therapeutische Arbeit. Verunsicherungen, Ängste, existenzielle Krisen und andere Auswirkungen dieser Pandemie werden andauern – darauf müssen wir uns einstellen. Wichtige stabilisierende Faktoren sind weggefallen, vor allem unmittelbare menschliche Nähe, Berührungen, Umarmungen. Zahlreiche Studien zu den psychischen Folgen der Pandemie belegen für Erwachsene und besonders auch für Kinder und Jugendliche enorme negative Auswirkungen.

Für den Alltag der therapeutischen Arbeit gibt es durch den Einsatz der neuen Medien eine Reihe von Veränderungen: Online-Sprechstunden über Videokonferenz-Systeme wie Skype, Teams oder Zoom lassen uns eintreten in den häuslichen Lebensbereich der Patientinnen und Patienten. Das Themenspektrum der Psychotherapie wird stärker bestimmt von den Veränderungen im Alltag der Patienten sowie von den äußeren und inneren Auswirkungen der Pandemie auf die Psyche. Die bisherigen Formen des Selbst- und Weltverständnisses sind in Frage gestellt.

Psychotherapie hat die Aufgabe, Hilfestellung zur psychische Stabilisierung zu geben, besonders auch in Zeiten kollektiver Verunsicherung. Zum Repertoire der Resilienz stärkenden Mittel gehört hier auch der reiche Schatz an inneren Bildern und Symbolen (Dorst, 2018). Diese durch die verschiedenen Methoden der Symbolarbeit zu erschließen, ist die Hauptintention auch der 3., aktualisierten Auflage dieses Buches. Es basiert ja, wie in den ersten Kapiteln deutlich wird, auf dem Welt- und Menschenbild der Analytischen Psychologie C. G. Jungs, das ein besonderes Verständnis von Phänomenen im Bereich des kollektiven Bewussten und Unbewussten, zu denen die Symbole zählen, ermöglicht (Dorst, 2020). In der therapeutischen Arbeit mit inneren Bildern und Symbolen könnte sich vielleicht ein Wort von Hölderlin als zutreffend erweisen: »Denn wo Gefahr ist, wächst das Rettende auch« – vor allem auch durch die heilenden Kräfte der Psyche und aus den Bildern des kollektiven Unbewussten. Offen bleibt dabei, was wir alle noch zu lernen haben für die Gestaltung unseres Zusammenlebens mit allen Mitlebewesen, für unsere Beziehung zur Natur und Mitwelt.

In den letzten Jahren habe ich bei zahlreichen Psychotherapiekongressen und in Fort- und Weiterbildungskursen mit Kolleginnen und Kollegen zusammengearbeitet, die aus verschiedenen therapeutischen Schulen und Richtungen kamen und neugierig und interessiert waren an den therapeutischen Möglichkeiten der Analytischen Psychologie. Sobald sie sich auf den Weg der Selbsterfahrung einließen, war das Ergebnis immer wieder, dass sie für ihre persönliche Lebenssituation Anregungen und Impulse mitnahmen und zugleich sich angeregt und bereichert fühlten durch die Zugangswege zur Welt der Psyche, die die Analytische Psychologie und zunächst einmal ihr Begründer, C. G. Jung, gebahnt haben.

Diese Erfahrungen sind der Hintergrund dieses Buches. Es lädt Psychotherapeutinnen und -therapeuten verschiedener Richtungen ein, die Welt des Symbolischen, ihre Phänomene und ihre heilsamen Wirkungen zur Erweiterung des eigenen Repertoires kennenzulernen.

Von C. G. Jung stammt der Hinweis: »In religiösen Dingen kann man bekanntlich nichts verstehen, was man nicht innerlich erfahren hat« (GW 12, § 15). Ich denke, dass dieser Satz nicht nur für religiöse und spirituelle Erfahrungen gilt, sondern für Erfahrungsdimensionen der seelischen Innenwelt insgesamt.

Für mich ist die heilende Kraft der inneren Bilder immer noch geheimnisvoll, auch wenn wir inzwischen mehr wissen über ihre hirnphysiologischen Grundlagen und neuronalen Verschaltungsmuster. »All das, was im Lauf der Evolution des Lebendigen an Erkenntnissen gewonnen worden ist, wurde auf unterschiedlichen Ebenen in Form innerer Bilder festgehalten und an die jeweiligen Nachfahren weitergegeben. Das Leben ist also immer auch ein innere Bilder generierender Prozess«, so der Neurobiologe Gerald Hüther (2004, S. 43).

In diesem Buch geht es also um therapeutisch wirksame Prozesse, die lebendige Bilder generieren, und zugleich um eine Psychologie der Bewusstseinserweiterung und Selbsterkenntnis, um den Zugang zu den Tiefen der Psyche.

Das Buch gliedert sich in zwei Teile: Im ersten Teil geht es um eine Einführung in die Symbolpsychologie auf der Basis der Analytischen Psychologie. Dabei sollen die ersten beiden Kapitel Zugänge zum Symbolerleben eröffnen. Dazu werden neben grundlegenden theoretischen Einführungen Übungen zur Symbolisierung für die Selbsterfahrung angeboten sowie verschiedene alte und neue Symbole wie Labyrinth, Auto und Beispiele aus der Zahl- und Tiersymbolik in einigen wichtigen Aspekte ihrer Bedeutungsvielfalt beschrieben.

Für tiefenpsychologische Anfänger ist das dritte Kapitel als Hilfe gedacht. Es beschreibt in Kürze das Menschenbild der Analytischen Psychologie. Die Analytische Psychologie C. G. Jungs ist neben der Individualpsychologie Alfred Adlers eine der drei grundlegenden tiefenpsychologischen Richtungen. Manches an Jungs Schriften und Aussagen fällt in die Kategorie des Zeitbedingten. Einige seiner Begriffe und Erkenntnisse sind dagegen heute zum selbstverständlichen Allgemeingut geworden, z. B. die Konzepte Extraversion und Introversion. In manchen Gedanken und Erkenntnissen war Jung seiner Zeit voraus und wird erst heute verstehbar. Und natürlich ist die Analytische Psychologie nicht bei Jung stehengeblieben, sondern von ihren Vertreterinnen und Vertretern ständig weiterentwickelt worden. Auch die therapeutischen Arbeitsweisen der Analytischen Psychologie müssen dem jeweiligen psychologischen Wissensstand entsprechen, z. B. heute Bezug nehmen auf die Forschungsergebnisse der Neurowissenschaften. Dieses Kapitel zum Menschenbild der Analytischen Psychologie wurde in der 2. Auflage um das wichtige Schattenkonzept und Erläuterungen zur therapeutischen Beziehung erweitert.

Selbsterfahrung und therapeutische Arbeit sowie Ausbildung geschehen heutzutage vielfach in Gruppen. Gruppen waren und sind für uns Menschen ein Lebenselement, Orte vielfältiger Erfahrungen und Lernprozesse. Das Kräftefeld von Gruppen hat mich in meiner Arbeit als Gruppendynamikerin immer besonders fasziniert. Der Archetyp der Gruppe ist nach meinem Verständnis in allen Formen menschlicher Gemeinschaften wirksam. Gruppen sind für heutige Menschen bedeutsame Erfahrungsräume von Individuation, dem lebenslangen menschlichen Entwicklungs- und Reifungsprozess. Daher erläutere ich im vierten Kapitel Grundlagen für ein gruppendynamisch-jungianisches Verständnis von Gruppen.

Mit diesem Hintergrundwissen können sich der Leser und die Leserin an den zweiten Teil des Buches wagen: an die Selbsterfahrung und praktische therapeutische Arbeit mit Symbolen.

In jedem Kapitel sind kurzgefasste theoretische Verstehensgrundlagen, Beispiele, Übungen und Anleitungen zur vertiefenden Selbsterfahrung zu finden. Im Einzelnen geht es um Traumsymbole und Traumarbeit, um die therapeutische Arbeit mit Märchen, darum, wie man Märchen entschlüsseln und was man mit Märchen alles machen kann; es geht um Weisheitsgeschichten als Therapeutikum, um Imagination und Phantasie als Zugang zur inneren Bilderwelt und um das kreative Malen und Gestalten von Symbolen.

Das Buch richtet sich zunächst an diejenigen, die therapeutisch arbeiten und/oder sachkundig Selbsterfahrungsprozesse anleiten und begleiten. Es wendet sich aber auch an Menschen, die auf ihrem eigenen Weg der Individuation nach vertiefenden Anregungen und Hilfestellungen suchen.

Es ist mir eine Freude, die tiefenpsychologischen Erfahrungsschätze der Analytischen Psychologie den Leserinnen und Lesern zur Verfügung zu stellen und so einen Teil meiner eigenen Erfahrungen weiterzugeben. Das Buch will ein Beitrag sein für eine weiter zu entwickelnde integrative Psychotherapie, bei der die einzelnen heutigen Schulen und Richtungen in einen wechselseitig anregenden, korrigierenden und die eigenen Sichtweisen erweiternden Dialog eintreten.

Ein Wort noch vorweg zur Sprache: Als Psychologin weiß ich um die fatalen Auswirkungen einer androzentrischen Sprache auf das Bewusstsein von Frauen und Männern. Konventionelle Gründe und ein Hinweis auf sprachliche Vereinfachung können dies nicht länger rechtfertigen. Gewiss ist es stilistisch manchmal weniger elegant und auch umständlich, in einer geschlechtergerechten Sprache zu schreiben, die Männer und Frauen sichtbar macht und benennt. Ich habe mich dafür entschieden, sowohl weibliche als auch männliche Sprachformen im freien Wechsel zu benutzen, um ständige lästige Doppelnennungen zu vermeiden. Ich gehe davon aus, dass aufgeklärte Leserinnen und Leser damit klarkommen, wenn einmal von Psychotherapeutin und Klient, dann von Analytiker und Patientin die Rede ist.

Jung hat von Therapeutinnen und Therapeuten gefordert, mit jedem Menschen einen eigenen Weg zu suchen entsprechend seinem Leiden, seinen Störungen und seinen Heilungspotentialen, die so oft darauf warten, über die Sprache des Symbolischen angeregt zu werden. In diesem Sinne ist die Therapie im Rahmen der Analytischen Psychologie ein ressourcenorientiertes Verfahren.

 

 

 

 

Teil I

Theoretische Grundlagen der Symbolarbeit

 

 

 

1

Einführung in die Symbolpsychologie

Nicht nur für den Psychotherapeuten,

der seelische Störungen zu beheben sucht,

sondern für jeden,

der mit sich selbst in Berührung kommen möchte,

ist es wichtig, die Symbolsprache verstehen zu können.

ERICH FROMM

1.1       Symbole in der Alltagswelt

Viele Menschen sind verwundert, wenn sie im Alltag auf heftige Gefühlsreaktionen von Menschen im Umgang mit Symbolen treffen, sei es angesichts der Begeisterung, mit der Fans die Insignien ihres Fußballvereins tragen, oder im ideologischen Streit über Kopftuch tragende Musliminnen in Schulen oder wenn mit Hass und Abscheu Nationalfahnen feindlicher Mächte bei politischen Demonstrationen öffentlich zerrissen und verbrannt werden. All dies zeigt eindrücklich, dass Symbole mehr sind als bloße Zeichen. Zu den Hauptmerkmalen von Symbolen gehört ihr »Aufgeladensein« mit seelischen Energien.

Zur Verdeutlichung zwei kleine Alltagsszenen:

Sie kommen von der Arbeit nach Hause und finden vor Ihrer Wohnungstür einen Blumenstrauß. Erfreut werden Sie ihn aufnehmen, den Duft der Blüten riechen, und, wenn er ohne Karte ist, werden Sie versuchen zu erraten, wer Ihnen die Blumen als Symbol des Dankes, der Zuneigung, Verehrung, als Wunsch nach einer aufblühenden Beziehung o. Ä. übermittelt hat. Sie selbst sind vermutlich überrascht, erfreut, geschmeichelt und fühlen sich in Ihrem Selbstwertgefühl bestätigt.

Ganz anders eine Symbolerfahrung am nächsten Morgen: Sie nähern sich Ihrem Arbeitsplatz und sehen, dass die Außenwand des Gebäudes mit Hakenkreuzen beschmiert ist. Auch dieses Symbol weckt Emotionen: z. B. Zorn, Empörung, Verunsicherung, Hilflosigkeit und Angst.

Das ist gemeint mit dem Satz: Symbole sind emotional aufgeladen.

Viele Symbole unserer Alltagswelt sind uns so vertraut, dass wir nicht weiter über sie nachdenken, wenn sie im Jahresablauf auftauchen, etwa Zimtsterne zu Weihnachten oder bunte Eier zu Ostern. Dennoch haben sie uralte kulturelle Bedeutungen: Das Weihnachtsgebäck z. B. in Form von Sternen, Halbmonden und Sonnen geht zurück auf die Feier der Wintersonnenwende, auf das Wissen der Menschen der Frühzeit über die kosmische Bedeutung des 21. Dezembers, die Wintersonnenwende, die rituell gefeiert wurde und aus dem keltischen und germanischen Brauchtum in die christlichen Advents- und Weihnachtsbräuche übernommen wurde. Auch der Osterfeuer-brauch geht zurück auf alte Rituale, den Winter mit Feuer zu vertreiben, dem Symbol für die im Frühling wiederauferstandene Kraft der Sonne, und die Ostereier sind natürlich zum Frühjahrsfest passende Fruchtbarkeitssymbole.

Ganz selbstverständlich beobachten wir in den Nachrichten, wie Politiker ehrenvoll auf dem roten Teppich, der eigens für sie ausgerollt wurde, empfangen werden – warum aber muss es ein roter Teppich sein und kein blauer oder grüner oder weißer? Die kostbare Farbe Rot, Purpurrot, gewonnen aus dem Saft der seltenen Purpurschnecke, stand früher nur den Königen zu und denjenigen, die besonders geehrt werden sollten. Zeitlich noch weiter zurück verweist der rote Teppich auf die im matriarchalen Symbolsystem sakrale heilige Farbe Rot, die Farbe des Blutes, vor allem des weiblichen Blutes, und des Lebens (Voss, 1998).

Wir schütteln einander zur Begrüßung die Hand – und bedienen uns dabei einer uralten symbolischen Geste, die deutlich machen soll, dass wir unbewaffnet, mit leeren Händen, d. h. nicht in feindlicher Absicht auf einen Fremden zugehen, sondern in freundlichen Kontakt treten wollen.

Symbole und symbolische Handlungen strukturieren als tagtägliche Rituale unser Leben, machen Interaktionen und Lebensvollzüge sinnhaft und bedeutungsvoll. Auch viele Alltagsgegenstände haben nicht nur eine zweckrationale Seite, sondern ihr spezifischer Symbolwert macht Aussagen über die Person. Was ist z. B. Ihr liebstes Möbelstück in Ihrer Wohnung? Was sagt Ihr alter Schreibsekretär über Sie aus?

Alle wichtigen Ereignisse unseres Lebens werden begleitet und gestaltet von orientierenden Symbolen und symbolischen Handlungen: Denken Sie z. B. an Verlobungs- und Trauungszeremonien, Geburtstage, Beerdigungsrituale und Trauerfeiern oder auch an Examensprüfungen. Auch neue Erfindungen und Gegenstände unserer sich rasch verändernden technischen Welt erlangen schnell symbolische Bedeutung, sind mit spezifischen Hinweisen und Botschaften aufgeladen: Das Handy, der Organizer sind nicht einfach nur Gebrauchsgegenstände, sondern zugleich Alltagssymbole, die den Status ihres Besitzers, seine technische Fortschrittlichkeit, seine Bedeutung in einem beruflichen Kontext symbolisieren sollen. Dies ist anschaulich zu studieren bei einer Zugfahrt im Intercity, und zwar an der Art, wie diese Objekte von ihren Besitzern öffentlich präsentiert werden. Ebenso sind in manchen Firmen der eigene Parkplatz, der Dienstwagen, der große Schreibtisch mit Chefsessel, das Anmelderitual über die persönliche Sekretärin, die einen Termin vergibt, bedeutungsvolle Statussymbole.

Doch nicht erst bei Erwachsenen sind Alltagsgegenstände symbolisch besetzt. Die Kuscheldecke und der Einschlafteddy haben für kleine Kinder eine unverzichtbare Bedeutung. Bei Schulkindern und Jugendlichen erlangen bestimmte Labels von Jeans, T-Shirts und Taschen eine spezifische Bedeutung für In-Sein und Zugehörigkeit zur Peergroup. Und selbst das Motto »No Logo«1 hat bereits wieder Symbolwert für eine Haltung der Aufgeklärtheit und kritischen Konsumverweigerung.

Was also ist das Besondere und Merkwürdige an Gegenständen und Handlungen, die zu Symbolen werden? Warum finden Millionen Menschen die Bücher von Dan Brown2 und Joanne K. Rowling3 so spannend? Sie entführen in die Welt des Symbolischen, in magische und mythische Bilderwelten. Die Symbolsprache dieser Bücher schafft offensichtlich Zugang zu vergessenen, vernachlässigten Erlebnisbereichen und Ausdrucksformen der Psyche.

1.2       Was sind Symbole?

Das Wort »Symbol«, abgeleitet von griech. »symbállein – zusammenwerfen, zusammenhalten«, bedeutet »Erkennungszeichen«. Ursprünglich bestand ein solches Erkennungszeichen, z. B. ein Ring oder eine Tontafel, aus Bruchstücken, die zusammengefügt ein Ganzes ergaben und so die Zusammengehörigkeit und Verbundenheit zwischen Verwandten, Freunden und Boten, die diese vorweisen konnten, zum Ausdruck brachten und erkennbar machten.

Seit dem 18. Jahrhundert meint der Begriff »Symbolik« die sinnbildliche Bedeutung oder Darstellung von etwas Geistigem. Ein Symbol ist somit ein sichtbares Zeichen einer nicht sichtbaren Wirklichkeit, mit der es in einem inneren Bezug steht. »Beim Symbol sind also immer zwei Ebenen zu beachten: In etwas Äußerem kann sich etwas Inneres offenbaren, in etwas Sichtbarem etwas Unsichtbares, in etwas Körperlichem das Geistige, in einem Besonderen das Allgemeine« (Kast, 1990, S. 19 f.). Symbole sind Bedeutungsträger. Sie bringen etwas zusammen, das eine Ganzheit bildet: ein äußeres Bild und einen Sinnkontext.

Die Grundfunktion der Symbole ist es, vielfältige Aspekte einer sehr komplexen Realität zusammenzufassen. Mit Hilfe von Symbolisierungen konstruiert der Mensch seine Wirklichkeit und vermag ihr Sinn zu verleihen. »Das Symbol ist ein ›Bild‹, dem unser Geist Sinn zuschreibt«, so definieren auch die Psychoanalytiker Benedetti und Rauchfleisch (1988, S. 214) ein Symbol. Die bilderproduzierende Psyche »setzt uns ins Bild« über innere Zustände, Motive und Vorgänge, erweitert so über das Symbolerleben die Selbsterfahrung des Menschen und gibt Hinweise für das Selbst- und Weltverständnis. Symbole wirken auf das Denken und Fühlen, auf Wahrnehmung, Phantasie und Intuition, sie verbinden Bewusstes und Unbewusstes. Menschliche Bewusstwerdung vollzog und vollzieht sich durch das Medium der Symbolik.

Vieles kann zum »sýmbolon« werden, zum Zusammenklang von etwas Vorder- und Hintergründigem. Wenn ein Zeichen, ein Objekt, eine Handlung einen inneren Sinn- und Bedeutungsgehalt hat, wird es zum Symbol. So wurde ein Ortsname wie Auschwitz zu einem hochkomplexen Symbol für den Holocaust.

»Jedes Zeichen, jede Verhaltensweise, jede menschliche Aktivität, die von der Absicht her auf anderes verweisen, gewinnen symbolischen Wert« (Spineto, 2003, S. 15). Ein Symbol ist also ein Sinnbild; es entsteht, indem ein äußeres Objekt mit einem geistigen Inhalt, einem Sinn und einer Bedeutung zusammengebracht wird. Diese Fähigkeit, der Welt und ihren Dingen Sinn zu verleihen, ist die spezifisch menschliche Fähigkeit der Symbolisierung. Sie ist eine der höheren Ich-Leistungen, die sich im Prozess der menschlichen Bewusstseinsentwicklung herausgebildet hat und die der Psyche einfach innewohnt. Es ist uns »angeboren«, Innen und Außen zusammenzubringen, die Welt in inneren Bildern zu erleben. Schon die frühen Höhlenmalereien und die archäologischen Funde aus der prähistorischen Zeit zeugen davon (Gimbutas, 1998). »Von allen Lebewesen, die im Lauf der letzten Jahrmillionen auf der Erde entstanden sind, ist der Mensch die einzige Lebensform, der es gelungen ist, einen ständig sich vergrößernden Schatz an selbst entworfenen Bildern über die Beschaffenheit der Welt und über seine eigene Beschaffenheit anzusammeln und von einer Generation zur nächsten weiterzugeben«, so der Hirnforscher Gerald Hüther (2004, S. 30).

Das Denken in Bildern ist eine urtümliche Bewusstseinsform. Ehe die Menschen begannen, in Begriffen zu denken, erlebten und dachten sie ihre Welt in Bildern. Bildhaftes Denken ist aber nicht nur eine frühe Entwicklungsstufe des menschlichen Bewusstseins, sondern die bildliche Repräsentationsfähigkeit ist ein Kodierungssystem des Gehirns, das mit anderen Systemen in Wechselwirkung steht. Innere Bilder sind hochkomplexe neuronale Verschaltungsmuster zwischen den Nervenzellen im Gehirn. »Immer dann, wenn eine solche Verschaltung aktiviert wird, entsteht ein bestimmtes Erregungsmuster, das sich auf andere Bereiche ausbreiten und auf diese Weise das Denken, Fühlen und Handeln eines Menschen in eine bestimmte Richtung lenken kann«, so beschreibt Hüther (2004, S. 16) die inneren Bilder.

Auch Zeichen haben, wie Symbole, einen geistigen Bedeutungsgehalt; dieser ist jedoch willkürlich und durch Übereinkunft entstanden. Anstelle von Messer und Gabel könnten genauso gut auch ein Teller und eine Tasse auf den Autobahnhinweisschildern das Zeichen für Raststätten sein. Die sogenannte Symbolleiste im Computerprogramm ist also genau genommen eine Zeichenleiste, deren einzelne Zeichen auf Übereinkunft und Setzungen basieren – die auch anders sein könnten. Symbole sind hingegen nicht einfach durch Übereinkunft in ihrer Bedeutung veränderbar. Zeichen sind eindeutig, Symbole vieldeutig. Symbole haben geheimnisvolle, manchmal tiefgehende Wirkungen.

Diese Wirkmächtigkeit von Symbolen ist rational nicht fassbar. »Die Symbolsprache ist eine Sprache, in der innere Erfahrungen, Gefühle und Gedanken so ausgedrückt werden, als ob es sich um sinnliche Wahrnehmungen, um Ereignisse in der Außenwelt handelte. Es ist eine Sprache, die eine andere Logik hat als unsere Alltagssprache, die wir tagsüber sprechen, eine Logik, in der nicht Zeit und Raum die dominierenden Kategorien sind, sondern Intensität und Assoziation« (Fromm, 1980, S. 14). Die Symbolsprache ist nach Fromm die einzige Universalsprache, die die Menschheit im Verlauf ihrer Geschichte entwickelt hat. Man muss diese Sprache verstehen, wenn man die Bedeutung von Träumen, Mythen, Märchen und Kunstwerken erfassen will.

1.3       Der tiefenpsychologische Zugang zu Symbolen

Im Verständnis der Analytischen Psychologie C. G. Jungs sind Symbole Projektionsträger für unbewusste seelische Inhalte. Wenn etwa im Traum der Baum zu verdorren droht, so kann dies ein Hinweis auf eine innere seelische Not des Träumers oder der Träumerin sein. Symbole sind chiffrierte, dem Bewusstsein zugängliche und zu verstehende Aussagen des Unbewussten und tragen als Bilder Botschaften an das Bewusstsein heran. So können sie auch als Symptome über den Körper Hinweise auf psychische Problemlagen und Konflikte geben.

Alle Formen von Symbolarbeit dienen der Bewusstseinserweiterung, sie lassen die unbewussten Bedeutungsaspekte eines Symbols, z. B. eines Traumsymbols, ins Bewusstsein treten. Warum berühren uns manche Träume, Bilder und Märchengeschichten so tief? Ihre Symbole mobilisieren und entbinden psychische Energie in Form von Gefühlen. Sie verdichten, veranschaulichen, wecken u. U. frühere Erfahrungen und Erinnerungen; sie sind mit Erwartungen, Hoffnungen oder auch Ängsten und Befürchtungen verbunden, mit Liebe und Hass. Sie fördern den Dialog zwischen Bewusstem und Unbewusstem über das Erleben der Gefühle.

Der psychotherapeutische Zugang zu Symbolen steht in der Analytischen Psychologie vor allem unter der Fragestellung, welche Hinweise zur gegenwärtigen Situation, zur lebensgeschichtlichen Problematik, zum Selbstverständnis eines Menschen und zu seiner Entwicklung die in seinem persönlichen Erleben auftretenden Symbole geben. »Das Symbol, in dem sich die persönlichen Bilder der Seele objektivieren, ist ein Mittel der Daseinserhellung [. . .]« (Rosenberg, 1984, S. 35). Symbole sind Schlüssel zu den Tiefenschichten der menschlichen Existenz. Sie verbinden Bewusstes, Vorbewusstes, Unbewusstes und Überbewusstes. Sie sind zugleich Wegweiser auf dem Weg der Selbstwerdung, der Individuation – ein zentrales Konzept4 der Analytischen Psychologie.

Zugänge zur inneren Welt der Bilder und Symbole zu schaffen und sie für Prozesse der Heilung und Selbstwerdung zu aktivieren, ist ein wesentlicher Teil der Arbeitsmethoden der Jung’schen Psychotherapie.

1.4       Symbole und Archetypen

Was Symbole so emotional (= bewegend) auflädt, geht im Jung’schen Verständnis auf die Strukturdominanten der Psyche, die Archetypen, zurück.

Wörtlich ist »Urbild« die Übersetzung des Wortes »Archetyp« (griech.: arché = Anfang; typós = Prägung, Einschlag). Der Jung’sche Begriff Archetyp ist oft missverstanden worden. Im Jung’schen Verständnis sind Archetypen vor allem Wirkkräfte des kollektiven Unbewussten, die als Strukturelemente und formgebende psychische Energie an sich unanschaulich und gestaltlos sind. Sie werden erschlossen aufgrund ihrer Wirkungen und Erscheinungsformen in Bildern. Diese Bilder sind nicht zeitlos, sondern historischen Wandlungen und Variationen unterworfen. Weltbilder, Mythen, Religionen, Kunst, Literatur, Märchen, Träume und Phantasien sind Zeugnisse der Wirkkräfte und Leitbildfunktion der Archetypen.

Archetypen werden auf der psychischen Ebene vor allem in Bildern und Symbolen erfahrbar, die Zugang zu den Tiefenschichten der Psyche ermöglichen. Vor allem im therapeutischen Bereich ist es in den letzten Jahren zu einer Wiederentdeckung des anschaulichen bildhaften Erlebens gekommen. Imaginative Verfahren werden heute in den verschiedensten Therapieformen angewandt, u. a. auch in der Traumatherapie (etwa: Reddemann, 2006). Es gehört aber vor allem zu den fundamentalen Erkenntnissen der Analytischen Psychologie C. G. Jungs, dass sich die innere Welt des Menschen vor allem in Bildern erfassen lässt.

Da mit dem Archetypischen also Bildvorstellungen verbunden sind, sprach Jung zunächst auch von Urbildern, betonte aber später immer wieder den Unterschied zwischen Archetypen und Urbildern:

»Ich begegne immer wieder dem Mißverständnis, daß die Archetypen inhaltlich bestimmt, das heißt eine Art unbewußter, Vorstellungen‹ seien. Es muß deshalb nochmals hervorgehoben werden, daß die Archetypen nicht inhaltlich, sondern bloß formal bestimmt sind, und letzteres nur in sehr bedingter Weise. Inhaltlich bestimmt ist ein Urbild nachweisbar nur, wenn es bewußt und daher mit dem Material bewußter Erfahrung ausgefüllt ist. Seine Form dagegen ist [. . .] etwa dem Achsensystem eines Kristalls zu vergleichen, welches die Kristallbildung in der Mutterlauge gewissermaßen präformiert, ohne selber eine stoffliche Existenz zu besitzen. Letztere erscheint erst in der Art und Weise des Anschließens der Ionen und der Moleküle. Der Archetypus ist an sich leeres, formales Element, das nichts anderes ist als eine, facultas praeformandi‹, eine a priori gegebene Möglichkeit der Vorstellungsform« (Jung, GW 9/I, § 155).

Aktuelle neurobiologische und genetische Forschungen stützen Jungs Erkenntnisse über archetypische Muster (z. B.: Eccles & Popper, 2005; Damasio, 2000).

Archetypen als unanschauliche Faktoren präformieren menschliche Vorstellungen und Erfahrungen. Ihr In-Erscheinung-Treten in Form von Bildern und Symbolen wird nicht selten als Begegnung mit mächtigen, numinosen, energiegeladenen Gestalten erfahren; bei entsprechender »Durchlässigkeit« können solche Erfahrungen in Träumen, Imaginationen, meditativem und spirituellem Erleben neue Kräfte zur Lebensgestaltung freisetzen.

Jeder Archetyp als Faktor bestimmt einen an sich unendlichen Formbereich möglicher Bilder. Je bewusstseinsferner, desto allgemeiner verfließen sie zu Grundprinzipien. Je bewusstseinsnäher, desto differenzierter und persönlicher beeinflusst sind die jeweiligen Erscheinungsbilder, die immer existentielle Aussagen über die Conditio humana sind, so z. B. in den archetypischen Bildern der Mutter, des Vaters oder im Archetyp des Kindes, in Motiven des Wachstums und des Lebenswegs als Baum, Weg, Labyrinth, in Themen wie Liebe und Einsamkeit, Geburt, Wandel und Tod, in Landschaften als Ausdruck von Seelenstimmungen, z. B. im Symbol der Wüste, in den Elementen Feuer, Wasser, Luft und Erde als Ausdruck psychischer Energien. Auch die Farben haben ihre spezifische Symbolik, z. B. das Schwarz der Trauer, das Grün in der Bedeutung von Hoffnung oder das Rot der Leidenschaft. Ebenso elementar sind z. B. Kreis und Viereck als weibliche und männliche Formsymbolik. Auch Zahlen wie z. B. die Sieben, die Zwölf oder die Dreizehn haben jeweils spezifische symbolische Bedeutungen, die unser kulturelles Leben prägen: die sieben Wochentage, die zwölf Monate, die gefürchtete »Unglückszahl« Dreizehn.

Die Sprache der archetypischen Gestaltungen hat ihre eigene Grammatik, die nicht den Gesetzen formaler Logik folgt, sondern den Regeln der Analogie, der assoziativen Verknüpfung, der Polarität, der zyklischen Einkreisungen, des pars pro toto. Sie ist psychodynamisch, d. h. Zustände wie Spannung, Ergriffensein, Beruhigung sind mit evoziert, ebenso Emotionen wie Angst, Freude, Glück und Trauer sowie Sinn- und Werterleben.

Kurz gefasst sind Archetypen also ein Bereitschaftssystem der Psyche im Bereich des kollektiven Unbewussten, welches die Fähigkeit besitzt zum Hervorbringen innerer Bilder und Symbole, die energetisch geladen sind und mit einer gewissen Eigenständigkeit wirksam werden können. Jung schreibt über die Archetypen: »Mir scheint, als ob man ihre Entstehung gar nicht anders erklären könne, als daß man annimmt, sie seien Niederschläge stets sich wiederholender Erfahrungen der Menschheit« (GW 7, § 109). Er geht letztlich davon aus, dass die Archetypen

»in der Eigenart des lebendigen Systems überhaupt begründet und somit schlechthin Lebensausdruck sind, dessen Sosein weiter nicht mehr zu erklären ist. Die Archetypen sind, wie es scheint, nicht nur Einprägungen immer wiederholter typischer Erfahrungen, sondern zugleich auch verhalten sie sich empirisch wie Kräfte oder Tendenzen zur Wiederholung derselben Erfahrungen. Immer nämlich, wenn ein Archetypus im Traum, in der Phantasie oder im Leben erscheint, bringt er einen besonderen ›Einfluß‹ oder eine Kraft mit sich, vermöge welcher er numinos, resp. faszinierend oder zum Handeln antreibend wirkt« (GW 7, § 109).

Die Analytische Psychologie sieht es als ihre Aufgabe an, die Quellen des Symbolischen zu erschließen und neu und zeitgemäß zu interpretieren, den Strom der Überlieferung weiterfließen zu lassen und ebenso neue Erscheinungsbilder der Archetypen dem heutigen Verständnis nahezubringen.

1.5       Symbole und ihre existentielle Bedeutung

Für die Symbolpsychologie ist nicht entscheidend, in welchen Kontexten Symbole auftreten und von Menschen erfahren werden: in der Alltagswelt, in Träumen, in der Kunst, der Dichtung, Religion, in Phantasien. Die Psychologie fragt nach ihren spezifischen Wirkungen und existentiellen Bedeutungen. Wann immer Menschen Symbole gestalten und erfahren, kann die jeweilige Situation existentiellen Bezug gewinnen.

Zu Beginn einer Gruppensitzung lege ich manchmal Karten mit einer Vielfalt unterschiedlicher Motive aus und bitte die Teilnehmerinnen und Teilnehmer, intuitiv eine Karte zu wählen, die ihrer momentanen Befindlichkeit entspricht.

B. wählte das Bild einer nepalesischen Hängebrücke über einem Fluss, der tief unten in einer Schlucht fließt. So sei momentan ihre Situation: ein Promotionsprojekt, das sie viele Jahre beschäftigt habe, sei abgeschlossen, es dränge sie zu ganz neuen Ufern, ohne dass sie wisse, wie ihr Lebensweg nun weitergehe, aber es sei ein Übergang für sie; sie stehe mitten auf so einer Brücke, neugierig, ein wenig ängstlich, was auf der anderen Seite zu finden sei. Aber das Bild ermutige sie, das Alte wirklich loszulassen, sich vom Bisherigen zu trennen und etwas Neues zu wagen.

 

A. hat zum Bild einer fliegenden Möwe gegriffen. »So frei sein wie dieser Vogel, das lockt mich.« Sie fühlt sich in ihrer gegenwärtigen Beziehung gefesselt, unfrei, alles sei so langweilig und unerotisch, als hätten die Ehejahre ihre Flügel gestutzt. »Kann ich überhaupt noch fliegen, oder habe ich meine Freiheit verloren?«, fragt sie sich und fühlt sich dabei niedergedrückt, flügellahm und schwer.

 

R. hat spontan ein Baumbild gewählt, es ist eine kraftvolle alte Eiche. Er fühlt sich besonders von dem kräftigen Stamm angesprochen. R. hat eine längere Zeit der Krankheit und Arbeitslosigkeit hinter sich und baut sich eine neue Existenz auf mit einem kleinen Geschäft. »Ich bin so froh, mich wieder stabil zu fühlen, wieder Halt und Stand zu haben, nicht mehr so labil zu sein. Ja, ich spüre, wie ich wieder festen Boden habe und Standfestigkeit, darüber bin ich so froh – jetzt können vielleicht auch die Äste oben wieder neu austreiben.«

Alle drei konnten mit Hilfe des spontan und intuitiv gewählten Symbols ihren gegenwärtigen Zustand differenziert beschreiben.

Symbole sprechen Menschen ganzheitlich an, sie berühren uns gleichzeitig auf vielen Ebenen: Gefühle, Verstand, Intuition und Empfindungen werden durch Symbole aktiviert, was in entsprechenden neuronalen Erregungsmustern in der neueren Hirnforschung nachgewiesen wird (Roth, 2004; Damasio, 2000). Symbole verweisen aber auch auf Erlebensdimensionen, die nur intellektuell nicht zu erfassen sind; sie transzendieren das, was gegenständlich und durch logische Zuordnung begreifbar ist. Dies wird besonders an religiösen Symbolen deutlich wie dem christlichen Kreuz, der Symbolfigur des Propheten im Islam, an den Symbolen Yoni und Lingam im Hinduismus oder an der Verehrung von Buddhastatuen im Buddhismus. In den biblischen Gleichnissen, die Jesus erzählt, gewinnen Dinge aus der Alltagswelt religiös-symbolische Bedeutung: die verlorene Münze, der Feigenbaum, die Lilien auf dem Felde, das Öl in der Lampe oder das Senfkorn, das dem Himmelreich gleichgesetzt wird.

Auch Landschaften wie Meer oder Gebirge bedeuten für Menschen mehr als nur der Aufenthalt in einer bestimmten Gegend: Das Meer mit dem Gezeitenwechsel Ebbe und Flut lässt Menschen nachsinnen über die Rhythmen ihres eigenen Lebens; das Meer ist für viele mit der Erfahrung der Grenzenlosigkeit, der Weite und der Unendlichkeit verbunden. »Jedes Mal, wenn ich wieder am Strand stehe, befreit mich der Anblick des Meeres von aller Enge und Hektik, lässt mich zur Ruhe kommen und macht mir das Herz wieder weit«, sagt L. Für andere Menschen sind es z. B. die Höhe und Weite der Alpenlandschaft, die sie immer wieder als Befreiung aus Alltagszwängen erleben und die in ihnen Gefühle von Ehrfurcht und Berührung mit dem Numinosen wecken. Natursymbole verbinden Erfahrungen aus der realen und der spirituellen Welt und machen so die Grenze zwischen dem Immanenten und dem Transzendenten durchlässig.

Im Symbol treffen sich Welterfahrung und psychische Bedeutung: »Alles fordert Antworten und bildet in uns Antworten, und diese gestalten sich in unserer persönlichen Lebensentwicklung als Symbole«, so Lauf (1976, S. 15), und er verweist zugleich darauf, dass es immer nur Teilaspekte oder Teilwahrheiten sind, die wir von einem Symbol sehen und erfahren können. Es ist nicht möglich, ein Symbol in seiner ganzen Bedeutungsvielfalt zu erleben. Wir sind beschränkt auf persönlich relevante Anteile des Bedeutungsspektrums. Für manche Menschen wie die oben zitierte L. ist das Meer das Symbol für Weite, Entgrenzung und Ruhe. Für andere ist es das Symbol für die bedrohliche, verschlingende Naturgewalt des Elements Wasser und für lebensbedrohende Kräfte überhaupt.

Über die persönlichen Bedeutungsaspekte hinaus bilden Symbole eine Brücke zum Numinosen. »Ein Symbol ist für uns niemals ein von außen herangebrachtes Abbild von etwas, was kausal, phänomenal oder gegenständlich wäre. Es bezieht sich immer auf das diesen Kategorien Transzendente, auf das Unnennbare, Ungreifbare, Unbeschreibliche, was sich von innen her in ihm lebendig objektiviert« (Rosenberg, 1984, S. 19).

1.6       Symbole in der Therapie