Die männliche Mutter

Gerade in einer der besten Reden, die einer der berühmtesten Prediger von der Kanzel hielt, war es, in welcher der junge Baron von Biederfeld seine Augen auf das junge, sittsame Fräulein von Bergen warf. Die Kirchen dienen sehr oft zum Gottesdienste der Liebe, und die beiden jungen Leute sahen sich hier öfter; er ging ihr nach, wenn sie die Kirche verließ, und fand jedesmal Gelegenheit, ihr etwas Verbindliches zu sagen, oder ihr in dem Gedränge den Arm zu bieten, so daß die arme Amalie jedesmal mit einem feuerrothen Gesichte aus der Kirche in die freie Luft trat.

Ihrer Mutter, die eine sehr kluge Frau war, entgingen, trotz ihres scharfsichtigen Blickes, alle diese Kleinigkeiten, wie es denn sehr oft bei verständigen Leuten der Fall ist. Sie erhalten ihren Scharfsinn in einer ununterbrochenen Thätigkeit, und übersehen völlig eine Menge von geringfügigen Umständen, die nur gar zu oft, im Fortlaufe der Zeit, ihre klug ausgedachten Plane zertrümmern. Amaliens Mutter war eine Frau mit einer fast männlichen Gemüthsart; sie hatte in ihrer Jugend viel gelesen und gedacht, ja sich selbst mit einigen Fächern der Gelehrsamkeit bekannt gemacht; ihr Vater hatte sie früh an einen Mann verheirathet, der ihr gleichgültig war, und den sie nach der Hochzeit nur aus Pflicht und Gewohnheit liebte. Ihr waren daher alle Empfindungen der Liebe, und ihre Leiden und Freuden, unbekannt geblieben. Die Liebe ist es eigentlich, die dem edlen Charakter die letzte Vollendung geben muß; bei ihr waren, bei allen Vortrefflichkeiten, die rauhen und widrigen Ecken geblieben. Sie hatte ihre Tochter nach einem eigenen Systeme erzogen, das sie aus keinem Buche gelernt hatte; sie hatte vorzüglich gestrebt, Amalien zu ihrer Vertrauten zu machen, die ihr keinen ihrer Gedanken, nicht die unbedeutendste ihrer Empfindungen verschwiege; es war ihr auch bis in das achtzehnte Jahr ihrer Tochter gelungen, so daß das Verhältniß zwischen beiden mehr wie zwischen zwei Geschwistern war, als wie man es gewöhnlich zwischen Eltern und Kindern findet.

Aber in dieses achtzehnte Jahr fiel die merkwürdige Predigt, in welcher sich Biederfeld und Amalie zum erstenmale sahen. Wer kann die magische Kraft beschreiben oder begreifen, die so oft in einem einzigen Blick eines schönen Auges liegt? Amalie konnte dem Zuge gar nicht widerstehen, der jedesmal in der Kirche ihren Kopf dahin drehte wo BiederfeldAmalie