Die Symbol- und Gefühlssprache der Schwerkranken

Erica Maria Meli


ISBN: 978-3-96861-223-2
1. Auflage 2021
© Aquamarin Verlag GmbH

Umschlaggestaltung: Annette Wagner

Aquamarin Verlag GmbH, Voglherd 1, 85567 Grafing
www.aquamarin-verlag.de

Alle Rechte vorbehalten

Inhalt


 

 

Vorwort

 

Dieses Buch von Erica Meli, das Sie jetzt in den Händen halten, hat mich tief beeindruckt. Ich wünsche mir, dieses Buch nicht nur in Ihren Händen, sondern in den Händen aller zu sehen, die Antworten auf die beiden großen Fragen nach dem Sinn des Lebens oder der Bedeutung des Sterbens suchen.

 

Ich war jahrelang Krankenhauspfarrer und habe nicht nur Erwachsene, sondern auch viele sterbende Kinder begleiten dürfen.* Was ich in diesen Jahren erlebt habe, hat mich für immer geprägt und zu dem Menschen gemacht, der ich jetzt bin.

 

Selbstverständlich war es meistens äußerst schmerzlich, wenn ein Kind oder ein Erwachsener sich vom irdischen Leben verabschieden mussten. Dennoch darf ich festhalten, dass ich gerade von diesen sterbenden Kindern oder den Schwerstkranken so viele wunderbare Geschenke bekommen habe, dass ich mich noch immer als reicher Mensch fühle!

 

Ich habe es immer wieder erlebt, dass ich mit den Augen der Sterbenden hinter die Grenze des Todes schauen durfte und von dort tiefe Einsichten, trostreiche Gefühle, einzigartige Einsichten und eine alles übersteigende Liebe mitbringen durfte. Ich habe dann oft gedacht: Ich möchte gerne jedem Menschen, der zuhören möchte, darüber berichten, welche tiefen Einsichten Sterbende gewinnen, unabhängig von allen körperlichen und seelischen Schmerzen und von den Ängsten, die sie vielleicht anfangs erfüllen mögen. Jeder müsste doch das tröstliche Wissen empfangen, was diese Einsichten und Erkenntnisse vermitteln.

 

Aber mit welcher Sprache soll man davon erzählen? All das, was Sterbende “hinter der Grenze” erschauen und an höherer Erfahrung gewinnen dürfen sowie an alles umfassender Liebe erleben, lässt sich kaum oder nur ungenügend in menschlicher Sprache ausdrücken. Wie will man deutlich machen, dass das Lächeln, das manche Sterbende im Moment der Berührung von einer überirdischen Liebe auf ihr Gesicht gezaubert bekommen, ein Geschenk ist, das man niemals mehr im Leben vergisst? Welche Worte soll man wählen, um zum Ausdruck zu bringen, dass das Sterbezimmer sich oft wie ein Tempel anfühlt, erfüllt von einem heiligen Segen, den man zwar spüren, aber nicht sehen kann? Wie lässt sich vermitteln, dass Sterbende manchmal Engel an ihrem Bett stehen sehen, die ihr Gesicht voller Glück aufleuchten lassen?

 

Von einigen dieser berührenden Erlebnisse erzählt dieses Buch von Erica Meli. Deshalb wünsche ich Ihnen, es mit einem offenen Herzen zu lesen. Lassen Sie sich davon berühren; dann kann es ein verborgenes Wissen in Ihrem innersten Wesen erwecken. Aus diesem Wesenskern heraus werden Sie dann das Mysterium des Sterbens, des großen Übergangs, mit neuen Augen sehen.

 

Erica Meli ist eine gelernte Krankenschwester, und ihr gelingt das fast Unmögliche, dieses Große Geheimnis offenbar werden zu lassen. Sie erzählt in einfachen Bildern und Worten, die jeder verstehen kann, was sie mit Sterbenden erlebt hat. Aber wie war es ihr möglich, dafür die richtigen Worte zu finden? Wie gelangte sie zu dem Verständnis dessen, was ihr die sterbenden Menschen anvertrauten? Darauf gibt es nur eine Antwort: Es war möglich durch die Liebe, die sie im Herzen trägt und mit der sie die Schwerstkranken in ihrem Hospital einhüllte. Diese Liebe schuf ein Feld der Geborgenheit, in dem sich die Betreffenden sicher genug fühlten, um sie an ihren Erfahrungen teilhaben zu lassen. So vermochte sie auch die Bilder und Gleichnisse zu entschlüsseln, die ihr mitgeteilt wurden. Sie nennt es schlicht und einfach „eine Verständigung über das Gefühl”, aber es ist eher „eine Verständigung über die allumfassende Liebe”!

 

Die Sterbenden erspüren sofort, ob Verwandte, Freunde oder andere Besucher sie mit Liebe einhüllen – oder nicht. Sie spüren das, weil sie in der letzten Phase ihres irdischen Lebens bereits eine höhere Ebene berühren, weil sie die höhere Liebe umfängt. Nur wo diese Liebe waltet, finden sich auch die Worte, um Tiefstes auszusprechen. Durch ihre Liebe hat Erica Meli den Raum und das Vertrauen geschaffen, um zu hören, was die Sterbenden ihr in ihren letzten Stunden noch mitteilen wollten. Deshalb ist dieses Buch in der Sprache der Liebe geschrieben.

 

Erica Meli erzählt auch über ganz persönliche Erfahrungen, etwa über den Tod ihres jüngeren Bruders. Auch ihn begleitete sie bis über die Grenze in die nächste Welt; und nach seinem Tod blieb eine innige Verbindung bestehen. Die Liebe stirbt nie! Liebende bleiben immer verbunden, auch wenn sie in unterschiedlichen Sphären oder Welten leben. In dieser Verbindung wird eine höhere Wirklichkeit erlebbar.

 

Ich war beim Lesen dieses Textes immer wieder bewegt über diese Erfahrung vom Großen Geheimnis des Lebens. Es ist ein immer wiederkehrendes Wunder; und diese Verwunderung ist der Geburtsort der Liebe. Deshalb darf ich vielleicht sagen: Dieses Buch fördert und verstärkt die Liebe in unseren Herzen! Ein Buch, das dies vermag, ist mehr als ein Buch: Es ist ein Geschenk des LEBENS an das Leben!

 

Hans Stolp

 


* Hans Stolp hat ein berührendes Buch eines sterbenden Kindes veröffentlicht (dt: Bleib, mein goldener Vogel, Amerang 2011).

 

Einleitung

 

In diesem Buch geht es darum, Unsagbares, Unaussprechliches verstehen zu lernen. Eine Geheimsprache, die Sterbende oft benützen. Wir nennen sie Symbolsprache, weil die Schwerkranken sich oft in Bildern oder Symbolen ausdrücken. Ihre Gedanken werden nicht mehr klar in Worte gefasst, wie dies in der realen Wirklichkeit üblich ist. Ihre Botschaften können nicht mehr eins zu eins übersetzt werden. Es muss eine Brücke geschlagen werden zwischen der geistigen und der realen Welt. Symbole können solche Brücken bilden. Sehr oft sind es Kleinigkeiten, in denen große Botschaften versteckt sind.

Zwischen der Symbolsprache von sterbenden und demenzkranken Menschen in der Endphase gibt es gewisse Parallelen. Wenn wir versuchen, deren Sprache zu verstehen, so ist in beiden Fällen ein ähnliches Muster erkennbar. Die inneren Prozesse, die ein Demenzkranker durchlebt, gleichen denen eines Menschen in der Sterbephase.

Die Symbolsprache der schwer kranken Menschen hat mich schon immer tief berührt. Unsagbares verstehen zu können, heißt nichts anderes, als zu erkennen, was mit den Symbolen gemeint ist. Wenn eine Kommunikation über die Sprache nicht mehr möglich ist, gibt es zum Glück noch andere Ausdrucksweisen. Den Menschen in der terminalen Phase fehlen oft die Worte. Sie benutzen Bilder, Symbole oder Gefühle, um dennoch verstanden zu werden. In diesem Buch möchte ich einen Einblick verschaffen in die Art und Weise der Verständigung. Es geht in diesem Buch darum, eine nicht vom Verstand geleitete Sprache zu erkennen. Also weg vom Verstand – hin zur Wahrnehmung.

Um die Symbolkraft einordnen und verstehen zu können, braucht es eine tiefe Verbindung zum sterbenden Menschen. Diese Patienten befinden sich immer wieder in anderen Bewusstseinsebenen, Ebenen, die nur sie erreichen können. Mit Sensibilität und Empathie ist es den Begleitern und Begleiterinnen manchmal möglich, in das Sterbeerlebnis des Schwerkranken einzutauchen. Den inneren Prozess, den die Sterbenden durchlaufen, können wir nicht ganz nachvollziehen, weil wir noch an die irdische Ebene gebunden sind. Doch die Sterbenden senden uns Botschaften und Signale, die wir deuten und erkennen können, wenn es denn sein darf.

Ein klassisches Beispiel, das ich mir immer wieder gerne in Erinnerung rufe, ist das Erlebnis mit einer todkranken Patientin: Ich musste einmal Käfer von ihrer Bettdecke entfernen. Sie waren für die Schwerkranke so real, dass sie sich von ihnen bedroht fühlte. Sie hat mit dem Finger auf die Bettdecke gezeigt, wo sie anscheinend krabbelten. Ich musste sie einsammeln. Ihre Angst war groß, also habe ich getan, was sie wollte. Als nichts mehr auf der Bettdecke war, fragte ich: „Soll ich diese Käfer jetzt vernichten?“ Sie antwortete: „Nein, das darfst du nicht tun. Weißt du, diese Käfer werden wundervolle Schmetterlinge.“ Ihre Aussprache war so klar und deutlich, dass ich erkennen konnte, sie meinte es ernst. Jetzt erst habe ich begriffen, was sie ausdrücken wollte. Erst jetzt verstand ich, dass diese Patientin in ihrem Transformationsprozess steckte und eine andere Realität wahrnahm. Die Käfer, die sie angriffen und bedrohten, waren Symbole ihrer unheilbaren Krankheit; und diese Frau wusste genau, dass bald alles besser werden und sie sich, wie die Käfer, zum Schmetterling wandeln würde.

Eine andere Sterbende berichtete mir, als sie aufwachte, sie habe nicht geschlafen. Sie sei bei der lieben Frau gewesen. Auf meine Frage, ob sie diese Frau kenne, antwortete sie mir: „Ich kenne sie nicht, doch sie kennt mich. Es ist so schön bei ihr, so viel Liebe ist da.“ Ein von innen her kommendes Strahlen auf ihrem Gesicht hat mir bestätigt, dass diese Frau eine spirituelle Erfahrung machen durfte.

In diesen Beispielen geht es oft nicht um den Sachverhalt, sondern vielmehr darum, wo der Sterbende in seinem Sterbeprozess gerade ist und was für ihn die Realität darstellt. Viele Dinge, die nachfolgend berichtet werden, mögen aus der Sicht der normalen Realität und des gesunden Menschenverstandes etwas zu fantastisch und unwirklich erscheinen. Doch solche außergewöhnliche Realitäten finden sich wieder in den Erfahrungsberichten von einigen Sterbebegleitern und Angehörigen. Es spielt keine Rolle, ob diese Wirklichkeiten mit dem Verstand einzuordnen sind. Sie basieren schließlich nicht auf der Verstandesebene und können somit auch nicht auf dieser Ebene begriffen werden. Doch wenn wir versuchen, zu akzeptieren ohne zu analysieren oder zu hinterfragen, haben wir den Schlüssel zum Verstehen gefunden.

ES IST, WIE ES IST – nicht mehr und nicht weniger.

Ich wünsche mir, dass durch diese Geschichten Unsagbares erkannt wird. Dazu können die Symbolsprache und der Ausdruck über die Gefühle wertvolle Dienste leisten.