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© 2021 cbj Kinder- und Jugendbuchverlag
in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH,
Neumarkter Str. 28, 81673 München
Vermittelt durch die Literaturagentur im Verlag der Autoren,
Frankfurt am Main
Alle Rechte vorbehalten
Umschlaggestaltung: Geviert GbR, Grafik & Typografie
Umschlag- & Innenillustrationen: Daniel Stieglitz
ah · Herstellung: EM
Satz: Uhl + Massopust, Aalen
ISBN 978-3-641-25744-6
V002
www.cbj-verlag.de
Vorwort Probleme, nichts als Probleme
Kapitel 1 Ein ganz mieser Anfang
Kapitel 2 Gratulation, es ist ein Vollidiot!
Kapitel 3 Noch mal Gratulation, auch der Taschenriese ist ein Vollidiot!
Kapitel 4 Der Problemzwerg
Kapitel 5 Mutter gegen Taschenriese
Kapitel 6 Dann mal gute Nacht!
Kapitel 7 Der Beginn einer wunderbaren Feindschaft
Kapitel 8 Der Taschenriese im Marmeladenglas
Kapitel 9 Eine ultrabeschnackte Sportstunde
Kapitel 10 Lügen, Lügen, Lügen und dazu … ein paar Lügen
Kapitel 11 Bekloppt oder nicht bekloppt, das ist hier die Frage!
Kapitel 12 Der Beginn einer wunderbaren Freundschaft
Kapitel 13 Was alle (außer mir) schon immer über Taschenriesen wissen wollten
Kapitel 14 Die Suche nach dem Hünenfels
Kapitel 15 Reine Zufälle und sleine Reinfälle
Kapitel 16 Sooooooooo schlimm!
Kapitel 17 Das Einsatzkommando »Taschenriese«
Kapitel 18 Natürlich nicht!
Kapitel 19 Streit mit Bossi
Kapitel 20 Niemals, auf gar keinen Fall, unter keinen Umständen – und schon geht’s los!
Kapitel 21 Mama Mia
Kapitel 22 Die Düsterklamm
Kapitel 23 Berg- bzw. Zwergrettung
Kapitel 24 Die Taschenriesen
Kapitel 25 Der Weg nach Hause
Kapitel 26 Scherz lass nach!
Zuerst eine kleine Frage: Welche der folgenden Aussagen trifft am ehesten auf dich zu?
Also bei mir traf bis zu meinem Umzug ins Voralpenland ganz klar a) zu. Seit der Begegnung mit der Zahnfee dann natürlich b). Und jetzt, mit dem bescheuerten Taschenriesen, habe ich wirklich Angst, dass ich kurz vor c) stehe.
Stell dir mal vor, wie furchtbar das wäre! Nicht unbedingt wegen der außergewöhnlichen Dinge (zum Beispiel ist ein leuchtender Hintern bestimmt praktisch, wenn das Fahrradlicht defekt ist, und auch die fünfzehn zusätzlichen Opas wären gar nicht so schlecht, wenn man mal an Weihnachten richtig viele Geschenke haben will …).
Nein, ich meine etwas anderes. Wenn dir die ganze Zeit solche Sachen passieren, nimmt dir das doch irgendwann keiner mehr ab. Dann berichtest du begeistert von deinem neuesten Wahnsinnsabenteuer, deine Zuhörer sehen dich aber nur skeptisch an und sagen gelangweilt: »Toll, jetzt ist dir das also auch noch passiert.«
Warum ich dir das überhaupt erzähle? Weil hier mein neuestes Wahnsinnsabenteuer kommt. Und wehe, du sagst danach »Toll, jetzt ist dir das also auch noch passiert« oder bezweifelst auch nur ein einziges Wort über den beknackten Taschenriesen, bloß weil ich dir davor zufälligerweise mal von einer dicken Fee erzählt habe.
Das wäre echt fies. Vor allem, weil ich doch selbst davon überzeugt gewesen war, dass ich nach der Feengeschichte meine Ruhe vor Lenas ganzem magischen Unfug haben würde. Für mich waren das in letzter Zeit nämlich wirklich genug Katastrophen für den Rest meines Lebens gewesen:
Mein ausgeschlagener Zahn, als ich mich endlich mit den Jungs aus meiner Klasse angefreundet hatte (inzwischen habe ich übrigens eine Kinderkrone bekommen. Schau mal, wie bezaubernd mein Lächeln nun wieder ist!), dann die nervige Zahnfee, die hinter mir her war, weil sie den Zahn brauchte, um wieder in ihr Feenreich zu kommen, und schließlich Lena, die ich für die Klassenwahnsinnige gehalten hatte (was sie auch ist), die sich dann aber als Expertin für magische Wesen entpuppte und mir dabei geholfen hat, meine Fee wieder loszuwerden. Nicht zu vergessen das Feuer im Vereinsheim der Wildschweine, als Lena dort eingebrochen war, um der Zahnfee den Zahn zu holen, und von den Jungs gerettet werden musste.
Da hätte ich, wenn es nach mir gegangen wäre, nicht unbedingt schon zwei Wochen später einen Taschenriesen an der Backe haben müssen. War aber so. Da konnte man wohl nichts machen.
Schon kurz nachdem ich ihn gefunden hatte, ist mir der kleine Schwachkopf gewaltig auf den Senkel gegangen. Wenn ich daran zurückdenke, platzt mir immer noch fast der Schädel …
Für meine Verhältnisse begann die Bekanntschaft mit dem Taschenriesen gar nicht so schlecht. In der Pause eines Fußballspiels entdeckte ich auf dem matschigen Platz neben dem Vereinsheim ein kleines Männchen im Gras. Ein winziges Augenpaar mit buschigen Brauen glotzte mich entsetzt an und schien vor Schreck vollständig erstarrt zu sein. Ich drehte mich zu meinen Mitspielern um, die nur einige Meter hinter mir standen. Auf keinen Fall durften Bossi und die Wildschweine etwas davon mitbekommen!
(Falls du dich nicht mehr erinnern kannst: Die Wildschweine sind natürlich keine
echten Wildschweine, sondern der Haufen Jungs, mit denen ich meine Nachmittage verbringe, wenn Lena mich nicht gerade dringend für ihre magischen Forschungen braucht.)
»Was ist denn los?«, rief Bossi, der bemerkt hatte, dass bei mir irgendwas im Gange war, und auf mich zukam.
Ich musste blitzschnell handeln, ohne groß nachzudenken. Das Männchen sah so verloren aus, dass ich es nicht einfach da stehen lassen konnte. Also schnappte ich mir den Zwerg und stopfte ihn in meine Hemdtasche. Dann tat ich so, als wollte ich weiterspielen, täuschte aber nach wenigen Schritten eine schlimme Verkrampfung in der Wade vor.
»Was ist mit dir?«, rief Hosenmann aus dem Tor.
»Krampf«, jammerte ich.
»Oje«, gab sich Beule besorgt und stützte mich beim Gehen.
»Männer! Ein medizinischer Notfall«, brüllte Bossi, und alle kamen angelaufen.
Da nun die ganze Truppe im Kreis um mich stand, deckte ich meine Hemdtasche mit der hohlen Hand ab.
Dummerweise witterten die Wildschweine nun die Chance für eine ihrer berühmten Rettungsaktionen und machten Pläne, wie sie mich verarzten und nach Hause transportieren wollten. Ich konnte sie gerade noch abwimmeln, indem ich behauptete, es wäre schon wieder besser und ich müsste nur vorsichtig auftreten. Ich bedankte mich artig für ihren Einsatz, verabschiedete mich und hinkte, bis ich außer Sichtweite war. Dann sprintete ich los.
Außer Atem pochte ich wenige Minuten später an die Tür des Hexenhauses von Lena und ihrer Mutter.
Bitte sei da, bitte sei da, bitte sei da, betete ich, während ich schnaufte wie ein Walross und ungeduldig darauf wartete, dass man mir aufmachte.
Ich nahm vorsichtig die Hand von der Brusttasche meines Hemds. Sofort fing das Gekeife wieder an, das mich schon den halben Weg genervt hatte, seit der Wicht aus seiner Schockstarre erwacht war: »Das ist untragbar! Ich verlange, sofort befreit zu werden!«
Verdammte Schnacke! (Falls du dich nicht mehr erinnern kannst: »Schnacke« schreib ich, damit ich nicht »Kacke« schreiben muss.) Diese magische Begegnung lief inzwischen nicht mehr allzu gut. Ich pochte heftiger an die Tür. Was sollte ich mit dem stinksauren Winzling machen, wenn Lena nicht da war?
Geh auf, geh auf, geh auf, flehte ich die Tür an und lauschte nach drinnen.
Doch nichts war zu hören. Außer dem Zwerg, der »Diese Behandlung ist eine einzige Frechheit« schimpfte und dann zu allem Überfluss auf die Idee kam, leise loszuschreien: »Hilfe, ich werde entführt! Hilfe! Helfen Sie mir! Hallo? Entführung! Hilfe!«
Bevor du jetzt gleich zu deinem Schreibtisch rennst und mir einen empörten Leserbrief schreibst: Ich weiß schon selbst, dass man eigentlich nur laut schreien kann. Genau genommen gilt das aber nur für normalgroße Menschen. Die Physik sagt nämlich, dass wenn man einen sehrsehr kleinen Körper hat und versucht, sehrsehr laut zu schreien, insgesamt trotzdem nur ein sehrsehr leiser Ton erzeugt wird. Und komm mir nun ja nicht mit irgendwelchen laut schreienden und sehrsehr kleinen Babys! Babys sind nämlich mindestens fünfundzwanzig Mal so groß wie dieser Zwerg – also riesig!
Ich rede daher genau genommen nicht von »sehrsehr klein« sondern von »sehrsehrsehrsehrsehrsehr klein« und wollte nur nicht so oft »sehr« schreiben. Moment, weil wir das bestimmt noch häufiger brauchen werden, erfinde ich dafür gleich mal ein Wort: Ab jetzt schreibe ich statt »sehrsehrsehrsehrsehrsehr klein« einfach »slein«. Genial, oder? Das wird mir mächtig Zeit sparen.
Wo waren wir stehen geblieben? Ach ja, beim Geschrei des Winzlings.
Die Stimme, mit der er aus meiner Brusttasche um Hilfe schrie, war tief und gleichzeitig sehr hoch.
Oh Mann, fang jetzt ja nicht den nächsten Leserbrief an! Ich erklär es dir ganz schnell: Wenn du slein bist, sind doch deine Stimmbänder auch slein bzw. skurz (sehrsehrsehrsehrsehrsehr kurz). Das heißt, dass sie sehr schnell schwingen und damit einen sehr hohen Ton erzeugen. Auch wenn jemand Sleines versucht, tief zu sprechen. Schon mal einen Dreijährigen erlebt, der überzeugend einen Nikolaus mit tiefer Donnerstimme spielt? Siehst du, genau davon rede ich!
Weil die Hilferufe aus meiner Tasche kein Ende nehmen wollten, legte ich meine Hand wieder darauf, um das leise und laute und tiefe und hohe Gebrüll zu dämpfen. Langsam, aber sicher überfiel mich Panik, und ich rief verzweifelt: »Lena! Lena!«
Im nächsten Moment wurde die Tür aufgerissen und Lenas Kopf schoss mit verwuschelter roter Mähne heraus. »Was machst du denn für einen Lärm?«
»Ein Glück, dass du da bist«, japste ich.
»Was gibt es?«
Ich kämpfte kurz mit mir und gab dann zu: »Einen magischen Notfall.«
Lena erstarrte für einen Augenblick und ballte dann die Hand zur Siegesfaust. »Yes! Ich wusste es! Habe ich dir nicht immer gesagt, dass es passieren wird?« Ihre Augen begannen zu funkeln, als sie sich umschaute. »Was ist es denn? Und wo ist es? Ist es sichtbar oder unsichtbar? Hat es magische Kräfte oder nicht? Ist es harmlos oder gefährlich? Freundlich oder unfreundlich?«
Auf dem Weg zu Lena hatte ich mir keine einzige dieser Fragen gestellt, geschweige denn jetzt eine Antwort darauf. Obwohl, eine konnte ich ihr geben: »Unfreundlich, würde ich sagen. Definitiv unfreundlich.«
Zum Beweis nahm ich die Hand von meiner Hemdtasche und lauschte zusammen mit Lena der Schimpftirade, die sofort wieder einsetzte: »Jetzt reicht es mir endgültig! Ich möchte sofort Ihren Vorgesetzten sprechen! Wissen Sie überhaupt, wen Sie hier entführen? Ich bin bei Weitem nicht irgendjemand, sondern ein Taschenriese aus dem Geschlecht der …«
Lena sah mich mit riesigen Augen und weit geöffnetem Mund an. »Wow«, stammelte sie. »Ein Taschenriese.«
»Ja«, sagte ich unsicher. »Und nun?«
»Wir folgen haargenau dem magischen Notfallprotokoll, das ich für solche Situationen entwickelt und mit dir geübt habe.« Sie musterte mich skeptisch. »Das weißt du doch noch, oder?«
»Natürlich!«, beteuerte ich, ohne mich recht an ein magisches Notfallprotokoll erinnern zu können.
»Gut, dann los!«, rief Lena und hopste mit einem freudigen Sprung ins Haus zurück. »Komm rein.«
Wir stürmten in die Küche. Weil sich Lenas Mutter seit unserer Begegnung mit der Zahnfee zunehmend um die magische Welt in den Bergen sorgte, war sie heute zu einem Treffen mit anderen Hexen gereist. Wir waren also ungestört.
Lena räumte die Spüle frei und wies mich an, mein Hemd auszuziehen und vorsichtig daraufzulegen. (Glücklicherweise hatte ich ein T-Shirt darunter. Unglücklicherweise war es das, das ich zum Abschied von meiner Astronomie-AG in Berlin bekommen hatte. Es war ein Foto meines Gesichts aufgedruckt. In großen Lettern stand darunter »Achtung! Wissenschaftsgenie«).
Lena war zu beschäftigt, um die Aufschrift zu lesen. »Das Wichtigste ist, dass wir möglichst schnell herausbekommen, was der Taschenriese bei uns will und wie wir ihm helfen können.«
Ich sah nachdenklich auf den Hemdhaufen vor mir, in dem unser Gast schnaufte, schimpfte und stöhnte und sich langsam zu bewegen begann. »Vielleicht will er gar nichts und wir müssen ihm nicht helfen«, wandte ich ohne große Hoffnung ein. Diese Möglichkeit wäre mir nach der magischen Katastrophe mit der Fee mit Abstand am liebsten gewesen.
»Luis, Taschenriesen gehören nicht hierher«, belehrte mich Lena und kramte im Hängeschrank über uns. »Die leben oben in den Bergen. Er braucht also ganz sicher unsere Hilfe.« Sie zog die zwei Helme heraus, die wir vor einer Woche während einer der zahlreichen Frühjahrsstürme aus Alufolie gebastelt hatten. Sie setzte ihren auf und hielt mir meinen hin. Ich zögerte.
»Mach schon«, drängte sie.
Weil ich den Helm immer noch nicht nahm, fing Lena an zu schimpfen. »Wir waren uns doch einig, dass wir nach dem Notfallprotokoll vorgehen, oder?«
»Ja«, murmelte ich.
»Und dazu gehört Brandschutz. Vor allem im Umgang mit magischen Hochgebirgswesen. Die sind extrem feuergefährlich. Hast du das etwa auch vergessen?«
»Ich habe überhaupt nichts vergessen!«, maulte ich, obwohl ich mich auch daran nicht so richtig erinnern konnte. Dann rupfte ich den Helm aus Lenas Hand und schraubte ihn mir auf den Schädel.
Ich hatte nicht ohne Grund so lange gezögert: Beim Bau der Helme hatte ich Lena auf lustige Art zeigen wollen, dass ihr Hokuspokus nichts und auch wirklich gar nichts mit echter Wissenschaft zu tun hatte. Im Gegensatz zu Lenas Helm war meiner daher oben mit einer extra langen magischen Antenne und zwei großen magischen Aluminium-Ohren an den Seiten verziert. Lena war sauer gewesen, aber ich hatte auf meine Extras bestanden und ihr schlau grinsend erläutert, dass ich mit der Megaantenne und den Ultraohren deutlich besser magische Wesen aufspüren könne als sie.
Jetzt grinste ich gar nicht mehr schlau, sondern malte mir unter meinem Idiotenhelm nur aus, wie behämmert ich gerade aussehen musste.
Lena schob zwei Hocker vor die Spüle, nahm auf einem Platz und legte ihren Skizzenblock vor sich. »Ich zeichne und protokolliere alles, und du befragst ihn«, sagte sie.
»Was? Warum denn bitte ich?«, zischte ich. »Du bist doch die Spezialistin. Ich habe null Ahnung von Taschenriesen.«
»Bei mir ist es auch nicht viel besser«, antwortete Lena. »Das Einzige, was ich über sie weiß, ist, dass sie die Nachkommen von Riesen sind.« Sie beugte sich zu mir rüber und flüsterte mir ins Ohr. »Sie sind zwar sehr klein, fühlen sich aber extrem groß. Es ist daher wichtig, dass man sie mit viel Respekt behandelt. Also sei ja freundlich, Luis.«
»Ich bin immer freundlich«, protestierte ich.
»Siehst du.« Lena grinste. »Und genau deshalb führst du das Gespräch.«
Wir starrten gebannt auf die sich öffnende Hemdtasche vor uns, aus der nun der kleine Mann mit buschigen Augenbrauen und Vollbart langsam seinen Kopf reckte. Auf diesem trug er etwas, das ich zunächst für eine Mütze hielt, das beim zweiten Hinsehen aber eindeutig eine Himbeere war.
Lena begann sofort, das genervte Gesicht des Taschenriesen unter seiner Himbeerhaube zu skizzieren, das von der unsanften Reise nur ein bisschen weniger grün wie sein moosgrüner Mantel mit dem aufgestellten Kragen war.
Der Taschenriese warf seinen Rucksack in die Tiefe, quetschte sich aus der Tasche und begann geschickt den Abstieg über die Nähte und Falten des Hemds bis zum Wasserhahn. Dort schulterte er seinen wohl ziemlich schweren Rucksack, taumelte zum Salz- und Pfefferstreuer und stützte sich mit durchgestreckten Armen daran ab. Der Taschenriese war genau halb so groß wie der Pfefferstreuer. Aber dafür doppelt so schlecht gelaunt.
Nach einigen tiefen Atemzügen wandte er sich mir zu und baute sich vor meinem im Vergleich zu ihm riesigen Gesicht auf. Mit zusammengekniffenen Augen musterte er mich von oben herab. (Ich weiß, dass das nach dem nächsten Widerspruch klingt, also spare dir bitte den dritten Leserbrief und lies einfach weiter, ja?)
»Fang mit der Befragung an, Luis«, befahl Lena und deutete zur Erinnerung das freundliche Begrüßungslächeln an, das ich ihrer Meinung nach immer gegenüber magischen Wesen zeigen sollte.
Zumindest an diese Übung konnte ich mich noch lebhaft erinnern. Aber nur, weil ich dabei den Eindruck gewonnen hatte, eine Grimasse wie einer zu machen, dem gerade ein Kühlschrank auf den Kopf gefallen war.
Mein Gegenüber erwiderte das doofe Kühlschrank-Grinsen nicht. Er musterte mein T-Shirt, dann wanderte sein Blick weiter zur Antenne auf meinem Kopf und den Aluohren.
Dann endlich geschah es! Der Taschenriese öffnete den Mund und sagte den historischen Satz, der unsere Beziehung für lange Zeit bestimmen sollte: »Du siehst aus wie ein kompletter Vollidiot.«