Erneuerbare
Energien

zum Verstehen
und Mitreden

Christian Holler
Joachim Gaukel
Harald Lesch
Florian Lesch

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Copyright © 2021 C. Bertelsmann

in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH,

Neumarkter Str. 28, 81673 München

Redaktion Anne Tucholski

Gestaltung / Satz Manuel Lorenz, Anna Lino Roeßle

Illustrationen / Umschlaggestaltung Charlotte Kelschenbach

Fotografien Adina Huber

Bildbearbeitung Reproline Mediateam GmbH, Unterföhring

ISBN 978-3-641-28496-1
V003

www.cbertelsmann.de

Denjenigen, die Energie in die
Diskussion gebracht haben,
freitags und an anderen Tagen.

Inhalt

Einstieg

Vorwort

Energie!

Energieverbrauch

Die wichtigsten erneuerbaren Energiequellen – mit Steckbrief und Bewertung

Sonne

Biomasse

Wind

Wasserkraft

Wellen

Gezeiten

Geothermie

Weitere Aspekte und Fazit

Weitere Energiequellen

Energiespeicher

Kernenergie – Kernspaltung und Kernfusion

Was bedeutet das alles für uns?

Danke!

Vorwort

Wie die Zeiten sich doch ändern. Früher kam der Strom einfach aus der Steckdose. Wie er in die Steckdose kam, hat uns nicht wirklich interessiert. Wenn überhaupt, dann war der Gedanke: „Die machen das schon!“ Die, das waren und sind die großen Energieunternehmen mit ihren großen Kraftwerken. Wenn man überhaupt etwas von der Stromproduktion wahrnahm, dann waren das die weiß qualmenden Riesenschornsteine der Kraftwerksanlagen. Und natürlich die großen und kleinen Überlandleitungen. In den Dörfern und Städten sieht man davon aber schon lange nichts mehr. Alles ist unterirdisch, unsichtbar. Die Stromversorgung geschieht durch Stromkabel. Und so wie das Erdgas durch Pipelines und unsere Abwässer durch unterirdische Kanalsysteme fließen, erreicht uns die höchste Form von Energie, die elektrische Energie, eben auch durch den Untergrund. Ein Kabel dockt ans Haus an, erscheint als Metallwurm von unten im großen Zählerkasten und versorgt alle Haushalte unter demselben Dach. Alles, was wir an grundlegenden Energien und Rohstoffen brauchen, wird unsichtbar geliefert, und unsere Abfälle verschwinden ebenso ins Unsichtbare.

Doch diese Zeiten sind vorbei! Noch nicht ganz, aber wir alle müssen dafür sorgen, dass der sorglose Umgang mit Energie und Rohstoffen ein schnelles Ende findet. Denn unser Planet meldet sich durch zahlreiche Erscheinungen, die unser aller Dasein bedrohen. Wir haben ihn zu einer globalen Abfallhalde gemacht, zu Lande, zu Wasser und in der Luft. Das fällt jetzt auf uns zurück. Es fällt uns auf die Füße. Fossile, Jahrmillionen alte Energien in Form von Kohle, Öl und Gas haben uns zwar gewärmt und bewegt, aber eben auch die Luft so verändert, dass die Erde heute ständig wärmer wird. Und genau darauf reagiert die Natur, und zwar auf ganz natürliche Weise: Die Eisflächen schrumpfen, die Permafrostböden tauen auf, die Meeresspiegel steigen, die Ozeane werden saurer, die Dürren immer länger und die Regenfälle stärker. Die Wetterextreme werden extremer, und die mittleren Temperaturen steigen und steigen. Ebenso die Konzentration an Treibhausgasen, die diese Erwärmung verursachen. Das Schlimme: Wir haben diesen Wandel ausgelöst!

So kann unsere Antwort darauf nur sein: Raus aus allem, was Kohlenstoff in die Atmosphäre treibt. Keine Verbrennung mehr von Kohle, Öl und Gas, sondern hinein in die erneuerbaren Energien. Aber werden Sonne und Wind unsere Stromproduzenten der Zukunft sein, oder gibt es Alternativen? Wie viel Fläche werden wir für erneuerbare Energien einsetzen müssen? Wird eine Reise durch das Deutschland der Zukunft eine Reise durch große Windparks, große Fotovoltaik- und Solarthermie-Anlagen sein, unter deren Kollektoren die Landwirtschaft auch in heißen Sommern hohe Erträge bringt? Oder wird die Energiewende ganz anders aussehen?

Egal, welche Vision Realität wird, in jedem Fall braucht es dazu die Hilfe und Unterstützung aller Menschen! Die Energiewende hin zu erneuerbaren Energien und ihr positiver Einfluss auf den Klimaschutz sind Schlüsselmomente für die zukünftigen Generationen. Dabei haben wir keine Zeit zu verlieren: Heute müssen die richtigen richtungsweisenden Entscheidungen getroffen werden. Aber damit da auch alle mitgehen können, müssen alle wissen, wovon die Rede bei dieser Veränderung ist. Ohne falsche Versprechen zu machen, mit Klarheit und physikalischen Argumenten erklären wir, was erneuerbare Energien können und was nicht. Und was unsere Worte nicht schaffen, das erklären die Grafiken. Viel Vergnügen! Und machen Sie mit!

Energie!

Sie verbrauchen Energie! Gerade jetzt! Ohne dass Sie irgendetwas tun, verbraucht Ihr Körper 2000 Kilokalorien am Tag, einfach nur, um Sie am Leben zu halten. Wenn Sie versuchen, diesen Text zu lesen und zu verstehen, verbrauchen Sie schon etwas mehr Energie, und wenn Sie gleich im Internet recherchieren, ob diese Behauptungen wirklich stimmen, verbrauchen Ihre Suchanfragen auf den globalen Servern noch ein bisschen mehr Energie. Wie viel, das können Sie ebenfalls im Internet herausfinden, was allerdings, wie gesagt, wieder Energie verbraucht.

Energie ist Leben

Energie wird für alles, was auf der Erde und im Universum stattfindet, benötigt. Das Universum ist ein Spielplatz der Energie. Ohne sie gäbe es keine Bewegung, keine Strahlung, keinen Gedanken, nichts. Energie ist der Anfang von allem. Auch und gerade für uns Menschen, denn wir sind Energiefresser.

Wie grundlegend Energie für uns ist, können wir an unserer eigenen Definition von Leben erkennen. Als „lebend“ bezeichnen wir, was mit seiner Umgebung stoffwechselt, um sich selbst, seinen Körper und dessen Funktionen aufrechtzuerhalten. Ein Lebewesen tauscht Luft, Wasser und Nährstoffe mit der Umwelt aus. Ein Lebewesen ist dabei eine Art „Durchlauferhitzer“, denn es nutzt die Energie, die in den Verbindungen von Atomen und Molekülen steckt, hält sich so am Leben und gibt Abfallstoffe ab. So lebt es. Als „tot“ bezeichnen wir etwas, das aufgehört hat, Energie auf diesem Weg auszutauschen. Es zerfällt dann wie ein welker Blumenstrauß in seine Bestandteile. Leben ist Energie im Fluss. Alles andere an Materie ist unbelebt.

Aber nicht nur für die natürlichen Kreisläufe, auch für die enormen Bewegungen unseres globalen Wirtschaftskreislaufs sind gigantische Energiemengen vonnöten. Unsere Schiffe, Flugzeuge und Fahrzeuge, unsere Maschinen, unsere Landwirtschaft, unsere Häuser, unsere Elektronik – alles braucht Energie, um zu funktionieren. Und um diesen Bedarf zu decken, nutzen wir vor allem die Jahrmillionen alten Energiespeicher der Erde – Kohle, Öl und Gas – und verändern dadurch unseren Planeten.

Ohne Energie würden nicht nur die meisten Annehmlichkeiten wegfallen, wie eine heiße Pizza am Abend vor dem Fernseher oder die Urlaubsreise, sondern auch Grundlegendes wie Autofahren und ein warmes Wohnzimmer.

Unser Lebensstandard hängt von Energie ab

Könnten wir nicht einfach auf einen Großteil der Energie verzichten und die Welt so vor dem drohenden Klimawandel bewahren?

Überlegen Sie sich doch einmal, was von Ihrem täglichen Leben ohne Energie übrig bleiben würde. Bei der Mobilität ist es offensichtlich: Autofahren, Fliegen, Reisen ins Ausland würden natürlich sofort wegfallen. Aber selbst in einem Fahrrad steckt sogenannte „graue Energie“ für die Produktion von Stahl und Carbon, für den Gummi, den Transport zum Fahrradladen etc.

Was ist mit unserer Ernährung? Die Tomate oder der Salat im Winter, eine Avocado oder Mango, auch Bananen oder Orangen wären in unseren Breitengraden unbekannt. Tiefkühlpizza – undenkbar. Fleisch – eine Sonntagsausnahme.

Und was ist mit Fernsehen, Computer und Handy? Fehlanzeige! Hier ist es weniger der Betrieb als die Herstellung all dieser Geräte, die viel Energie verschlingt. Wohlig geheizte Häuser im Winter mit fließend (warmem) Wasser ebenso. Auch unsere moderne Medizin mit ihren Medikamenten und Operationstechniken hängt von Energie ab. Und regelmäßig neue Kleidung für die unterschiedlichsten Anlässe? Es würde fast nichts übrig bleiben!

Die Qualität unseres Lebens bemessen wir aber nun einmal anhand von Reisen, anhand der Anzahl und Qualität von Dingen wie Autos und Häusern, anhand von Gesundheit, Komfort und anhand von Geld, das widerspiegelt, welche Menge an Konsumgütern und Dienstleistungen wir erwerben können. Die Höhe unseres Lebensstandards hängt auf Gedeih und Verderb von Energie ab – ob wir es wahrhaben wollen oder nicht.

Wie konnten wir nur so abhängig werden von Energie?

Die Entwicklung menschlicher Kulturen ist ohne die Erschließung immer neuer Energiequellen nicht denkbar. Jäger und Sammler haben ihren Energiebedarf noch aus der Umgebung gedeckt, ohne größer in die Natur einzugreifen. Aber schon die Landwirtschaft der ersten Hochkulturen zähmte manche Energieform, wie die Wasser- oder Windkraft, und hat die Biomasse intensiv ausgebaut, um Nahrung für Mensch und Arbeitstier sowie Holz zum Kochen und Heizen zu produzieren.

Im Zuge der Industrialisierung vor rund 200 Jahren begann der Mensch, mit dem Einsatz von Maschinen noch stärker völlig neue Energiequellen zu nutzen: Wir machten uns an die Energiespeicher unseres Planeten heran. Kohle, Öl und Gas wurden aus der Erde geholt, denn diese Rohstoffe besitzen eine besonders hohe Energiedichte, die durch aufwendige Verfahren in den Raffinerien sogar noch weiter konzentriert werden kann. So können diese Rohstoffe Flugzeuge vom Boden abheben lassen und Automobile beschleunigen. Zugleich können sie in elektrische Energie verwandelt werden, die höchste Form von Energie, die wir kennen, weil sie über weite Strecken verteilt und für fast alles eingesetzt werden kann.

Es ist dieser elektrische Strom, der unsere Computer, Kühlschränke und Klimaanlagen, unsere Smartphones, Tablets und Fernsehapparate erst möglich macht. Die Jäger vor 10000 Jahren dagegen hatten keine Gadgets und gingen noch zu Fuß. Selbst die meisten Menschen des 19. Jahrhunderts waren noch Fußgänger ohne GPS. Aber weil inzwischen immer mehr Menschen einen modernen, energieaufwendigen Lebensstil genießen, nimmt der Verbrauch an Energie immer weiter zu, und wir tragen erheblich dazu bei.

Es lohnt sich also, über Energie zu sprechen

Energie dominiert unseren modernen Lebensstil, auch wenn wir nur selten über sie nachdenken. In diesem Buch wollen wir genau das tun: uns mit dem Thema Energie beschäftigen. Und mit der Frage, wie wir unseren Bedarf in Zukunft decken wollen. Welche Optionen haben wir? Welche sind endlich, welche nachhaltig und welche davon sinnvoll, welche weniger sinnvoll? Welche können unseren immensen Energiebedarf wirklich decken? Oder gibt es vielleicht gar keine nachhaltigen Energiequellen, die groß genug sind, und wir alle müssen unser Leben verändern?

Energie verstehen

Zuerst möchten wir gemeinsam ein Gefühl für Energiemengen entwickeln. Stellen Sie sich vor, Sie sitzen auf einem Fahrrad und treten ordentlich in die Pedale. Und nehmen wir an, es ist ein besonderes Fahrrad, das die von Ihnen aufgewendete Energie komplett in Strom umwandelt, quasi ein Hometrainer mit Generator. Wie viel Energie könnten Sie damit an einem Tag erzeugen? Könnte man damit ein Brot toasten? Oder einen Tag lang eine Glühbirne leuchten lassen?

Fahrradfahrer für alle

Fahrradfahrer nehmen in unserem Buch die Hauptrolle ein, auf sie werden wir immer wieder zurückkommen, um ein Gefühl für die jeweilige Energiemenge zu bekommen. Und unsere Fahrradfahrer sind ziemlich sportlich, sie sitzen jeden Tag zehn Stunden auf dem Fahrrad, also mehr als einen vollen Arbeitstag, und das 365 Tage im Jahr. Ihre einzige Aufgabe ist es, Energie zu generieren, zehn Stunden am Tag, jeden Tag.

Wie viel Energie kann dieser Fahrradfahrer am Tag produzieren? Mithilfe eines Fahrradfahrers wollen wir Energie vorstellbar machen.

Wie viel Energie kann ein Fahrradfahrer an einem Tag produzieren?

Jetzt kommt die wichtigste Größe in diesem Buch: Realistisch ist es, in zehn Stunden eine Energiemenge von einer Kilowattstunde (kWh) zu erzeugen. Das heißt, pro Tag erzeugt unser Fahrradfahrer eine Kilowattstunde Energie und somit im Jahr 365 Kilowattstunden, er hat ja keinen freien Tag. Machen Sie sich keine Sorgen, wenn Sie noch kein Gefühl für die Größe dieser Energiemenge haben, das wird sich bald ändern. Kilowattstunde ist unsere grundlegende Einheit für eine handliche Energieportion.

Vielleicht sagt der eine oder die andere jetzt: Kilowattstunde kenne ich doch von der Strom- und Gasrechnung! Stimmt, man bezahlt Strom und häufig auch Gas nach Kilowattstunde, also nach im Haushalt verbrauchten Energieportionen. In Form von Strom kostet eine Kilowattstunde ungefähr 30 Cent. In Form von Gas nur ungefähr fünf Cent. Und wenn wir eine Kilowattstunde in Benzin umrechnen, landen wir bei 100 Millilitern. Ziemlich wenig, wenn man bedenkt, dass man selbst dafür zehn Stunden hart körperlich arbeiten müsste. Unser Fahrradfahrer ist also ziemlich arm, trotz schwerster Arbeit – aber dafür ziemlich fit.

Mit solchen Darstellungen wollen wir Größenordnungen verdeutlichen: Ein Fahrradfahrer, der für 10 Stunden in die Pedale tritt, kann 1 kWh Energie produzieren. In Form von Strom kostet diese ungefähr 30 Cent. Genauso viel Energie steckt in 100 ml Benzin. Bei einem Literpreis von 1,50 Euro wären das 15 Cent pro kWh.

Was kann man mit einer Kilowattstunde alles machen?

Man kann zum Beispiel eine Ladung Wäsche bei 60 Grad waschen oder ein Essen kochen. Und jetzt kommts: Sie können mit einer Kilowattstunde aber nur drei Minuten lang warm duschen oder sechs Kilometer im Stadtverkehr mit einem E-Auto fahren – ziemlich wenig für zehn Stunden Fahrradfahren. Mit einem Verbrenner kommen Sie mit 100 Millilitern Benzin, also einer Kilowattstunde, sogar nur ein bis zwei Kilometer weit. Und um unsere Fragen oben zu beantworten: Sie können mit einer Kilowattstunde ungefähr eine Stunde lang Brot toasten oder eine 100-Watt-Glühbirne für 10 Stunden brennen lassen – oder eine gleich helle LED für 60 Stunden. Eine Kilowattstunde ist also eine recht handliche Energiemenge.

Was kann man mit 1 kWh alles anstellen? Im Haushalt ist sie eine typische Energiemenge für viele Dinge unseres täglichen Lebens.

Wie wollen wir die Kilowattstunde im Buch nutzen?

Um die verschiedenen Arten der Energieerzeugung untereinander oder mit unserem Energieverbrauch zu vergleichen, müssen wir alle Ergebnisse auf dieselbe Vergleichsgröße herunterbrechen. Und es müssen dabei Zahlen entstehen, die wir uns vorstellen können. Nehmen wir etwa den Energieverbrauch von ganz Deutschland oder die Energie, die alle Windkraftwerke zusammen in Deutschland im Jahr produzieren. Um diese riesigen Energiemengen besser einordnen und vergleichen zu können, wollen wir sie vereinfachen. Dafür verteilen wir die Energiemenge gleichmäßig auf alle Einwohner Deutschlands (circa 80 Millionen) und auf alle Tage eines Jahres. Das heißt, wir rechnen alles um in Kilowattstunden pro Person und Tag.

Im Buch werden Sie verschiedene Fahrradfahrer und Fahrradfahrerinnen finden, sie symbolisieren unterschiedliche Energiequellen und unseren Energieverbrauch. Aber alle sind gleich fit und produzieren jeweils 1 kWh pro Tag.

Ein Beispiel: Der Strom, den alle Windkraftwerke im Jahr 2020 in Deutschland erzeugt haben, ergibt in unsere Einheit umgerechnet 4,5 Kilowattstunden pro Person und Tag. Zum Vergleich: Der gesamte Stromverbrauch in Deutschland (inklusive dessen der Industrie) betrug 2020 ungefähr 17 Kilowattstunden pro Person und Tag, also fast viermal so viel. Das heißt, nur gut ein Viertel unseres Stromes kommt aus der Windkraft. Wichtig dabei ist aber noch ein weiterer Aspekt: Der Stromverbrauch ist nicht identisch mit unserem gesamten Energieverbrauch, weil der Großteil unserer Energie gar nicht in Form von Strom verbraucht wird, sondern durch die direkte Nutzung von fossilen Brennstoffen. Aber dazu kommen wir noch.

Um das alles noch besser zu verstehen, können wir unsere Einheit nun mit unserem Fahrradfahrer verknüpfen: Wenn Sie etwa feststellen, dass Sie eine Kilowattstunde Strom pro Tag verbrauchen oder 365 Kilowattstunden im Jahr, dann haben Sie dafür quasi einen Fahrradfahrer in Ihren Diensten, der nur für Sie arbeitet – oder Sie strampeln selbst für zehn Stunden täglich. Und wenn Sie insgesamt 100 Kilowattstunden Energie am Tag oder 36500 Kilowattstunden im Jahr verbrauchen, dann sind es 100 Fahrradfahrer, die täglich für Sie radeln – selbst geht das dann natürlich nicht mehr.

Was schätzen Sie: Wenn wir den gesamten Energieverbrauch Deutschlands (also nicht nur Strom, sondern auch Benzin, Heizöl etc.) auf uns alle gleichmäßig verteilen – sind das 20 Fahrradfahrer für jeden oder eher 100 Fahrradfahrer oder vielleicht 1000? Im nächsten Kapitel finden Sie die Antwort.

Wir werden alle Zahlen übrigens großzügig runden, denn ob wir 98 oder 100 Fahrradfahrer nehmen, spielt für unsere Abschätzungen keine große Rolle. Ob es 20 oder 100 Fahrradfahrer sind, aber schon.

Wir werden unsere Fahrradfahrer zudem dazu benutzen, die Effizienz unterschiedlicher Energiequellen miteinander zu vergleichen, zum Beispiel Fotovoltaik mit Biomasse. Dazu überlegen wir uns, wie viel Quadratmeter Fotovoltaik im Jahresdurchschnitt genauso viel Energie erzeugen wie einer unserer Fahrradfahrer, also eine Kilowattstunde pro Tag oder 365 Kilowattstunden pro Jahr, und vergleichen das mit der benötigten Fläche Ackerland, auf der Energiepflanzen wachsen. Das Ergebnis: Wir brauchen mindestens 100 Quadratmeter Ackerfläche, um dieselbe Menge an Energie zu erhalten. Unsere Fahrradfahrer sind also die Hauptpersonen in diesem Buch, mit ihnen werden wir Energiemengen verstehen können.

4 m² Fotovoltaik-Freilandfläche produzieren im Durchschnitt genauso viel Energie wie eine unserer Fahrradfahrerinnen, also 1 kWh pro Tag oder 365 kWh im Jahr. Für Biomasse benötigen wir mindestens 100 m² Ackerfläche mit Energiepflanzen, um nach einem Jahr genauso viel Energie in Form von Biomasse zu erhalten, also 365 kWh.

Übrigens, der Zeitraum der Betrachtung spielt hier eigentlich keine Rolle, er muss nur in allen Fällen gleich lang sein: vier Quadratmeter Freiflächenfotovoltaik produzieren an einem Tag im Schnitt so viel Energie wie eine Fahrradfahrerin an einem Tag und in zehn Jahren so viel wie eine Fahrradfahrerin in zehn Jahren.

Kohle- oder Atomkraftwerke als Vergleichsgröße

Manchmal möchten wir allerdings die Leistungsfähigkeit ganzer Kraftwerke miteinander vergleichen, etwa die momentane Energieproduktion eines großen Windparks im Vergleich zu einem Atomkraftwerk. Da ein Atomkraftwerk oder ein typisches Kohlekraftwerk im Betrieb so viel leistet wie zehn Millionen Fahrradfahrer, die gleichzeitig in die Pedale treten (für die Experten: ein Gigawatt oder 1,3 Millionen PS), wird die Zahl der Fahrradfahrer hier sehr groß und unverständlich. Also verwenden wir statt Fahrradfahrern lieber gleich Kohle- oder Atomkraftwerke als Vergleichsgröße.

Ein Beispiel: An einem sonnigen Tag im Sommer liefert die zurzeit in ganz Deutschland installierte Fotovoltaik zur Mittagszeit so viel Strom wie 40 Kohlekraftwerke – ein aufschlussreicher Vergleich. Aber wichtig ist dabei Folgendes: Morgens und abends liefert Fotovoltaik natürlich deutlich weniger als mittags, und nachts gar nichts. Deswegen produziert Fotovoltaik im Durchschnitt über das Jahr gerechnet nicht so viel Strom wie 40 Kohlekraftwerke, die ja rund um die Uhr laufen, sondern nur so viel Strom wie sieben Kohlekraftwerke. Fotovoltaik kann also bis zu 40 Kohle- oder Atomkraftwerke ersetzen, allerdings nicht rund um die Uhr, sondern nur mittags im Sommer bei schönem Wetter.

Okay – jetzt, wo wir Energiemengen einordnen und vergleichen können, lassen Sie uns anfangen, über unseren Energieverbrauch zu sprechen, bevor wir danach auf die erneuerbaren Energien eingehen.

Energieverbrauch