Der Familienschild

Unfern des in unsern Tagen so bekannt gewordenen Forts Ham in der Picardie lag im siebzehnten Jahrhundert eine Burg, oder besser, eine Art ritterlichen Manoirs, das den Namen Moyencourt führte. Es war von einer Waldebene umgeben, die bis an die Ufer der Somme zwischen Amiens und Peronne gen Norden sich dehnte und südlich in die Gegend von Noyon hinauszog; und wenn nicht durch die Natur befestigt, hatte es doch seine schützenden Vorrichtungen gegen die Besuche ungeladener Gäste in einer starken Ringmauer mit zinkengekrönter Brustwehr und einem breiten Graben, der die Gebäude, Höfe und schmalen Gärtchen der Besitzung umschloß. Moyencourt sah mit einem Air heruntergekommener Aristokratie in die stillen Holzungen hinaus; Zugbrücke, Tor, Wappen und Giebel prangten noch mit allem Stolze der Seigneurie, aber verwittert und von Moosausschlägen übergrünt, und auf dem Hofe hatte eine höchst bürgerliche Wirtschaft Holzvorräte aufgehäuft, einen Verschlag für eine Ziege angebracht und eine Schar Hühner aufgezogen. Auch erinnerten sich die ältesten Leute nicht, daß Moyencourt von seiner Herrschaft bewohnt worden sei; sie lebte seit undenklichen Zeiten auf Chateau Mussard in der Bretagne und ließ einen in den Unruhen der Fronde zum Invaliden geschossenen Diener unter dem stolz klingenden Titel eines Seneschall auf dem entlegenen Gute hausen.

Dieser Seneschall von Moyencourt, Adhemar Derepont oder Faineant, wie ihn der Witz der Dörfler in dem keine zwanzig Minuten vom Manoir entfernten Örtchen nannte, hatte in dem verlassenen Gebäude, für dessen Erhaltung nichts mehr verwandt wurde, dessen meiste Grundstücke und Zubehörungen schon seit den Zeiten der Jungfrau Johanna als antichretische Hypothek dienten, wenig Mühewaltung und ein gar bequemes Leben; eigentlich hatte er gar nichts zu tun und dazu einen Knecht, »der ihm half«. Bei dem Tätigkeitstriebe, den man als charakteristisches Merkmal französischer Art zu nennen pflegt, hätte eine solche Stellung Adhemar unerträglich sein müssen; aber er wußte durch eine besondere glückliche Gemütsanlage sich zu trösten und manche bescheidene Freude der harmlosesten Art in seinem Amte zu finden. Denn erstens hatte der Seneschall den ganzen Tag über Zeit, sich lediglich als den Repräsentanten des très-noble et très-puissant seigneur, Gaston Gervais Gilbert Seroy, Baron de Mussard de Moyencourt zu betrachten, und darin lag für den alten Frondeur ein so erhebendes Gefühl, daß er nicht umhin konnte, ihm sehr oft Worte zu geben und dabei auf den uralten Glanz des Hauses de Mussard überzugehen, welches eigentlich aus Isle de France stamme und von dem Austrasier Maussadus sich herschreibe, so einer der Ritter gewesen, auf deren Schultern, in einem silbernen Schilde stehend, Dagobert II. vor allem Volke zum König erhoben sei. Zweitens verstand Adhemar den glücklichen Fund einer kleinen Arbeit so gut zu benutzen, daß jedesmal mindestens eine Woche verfloß, bis er sie ganz vollendet erklärte, und François, sein Gehülfe, der gähnend hinter ihm zu stehen pflegte, der Empfehlungen von Ruhe, Bedachtsamkeit und reiflicher Überlegung zu und bei jedem Dinge überhoben war.

»Der Vormittag wird morgen darüber hingehen, daß ich das große Messer schleife, und am Nachmittage werde ich mit Gottes Hülfe wohl mit dem Schärfen der Axt fertig«, sagte Adhemar, als beide eines Abends in der Kammer des Seneschalls vor einem Kamine saßen, dessen Flammen trotz des Frühlingswetters verschwenderisch aus der ihnen auf Diskretion zur Benutzung überlassenen Holzung um Moyencourt genährt wurden. »Wir können dann übermorgen zum Werke schreiten.« »Mit Gottes Hülfe«, sagte François, indem er eine vor ihm stehende Mäusefalle, die er eine halbe Stunde lang betrachtet hatte, mit dem Fuße auf die andere Seite drehte, um an dieser seine tiefsinnig schweigsamen Beobachtungen fortzusetzen. »Vorausgesetzt«, fuhr Adhemar fort, »daß du morgen mit der Reparatur der Mäusefalle, welche du nachgerade für nötig hältst, zu Ende kommst.« »Es war in der Woche vor Weihnachten, daß ich die letzte fing«, sagte François mit einem Seufzer, »seitdem haben sie jede Nacht den Speck herausgefressen!« »Und ferner vorausgesetzt«, sprach Adhemar, »das Wetter bleibt gut, damit du dich nicht erkältest, François, wenn du den Draht aus dem Dorfe zu holen gehst.« François fuhr mit der breiten Hand sacht über seine zufallenden Wimpern. »Geh jetzt zu Bette, François!« sagte Adhemar. »Der müde Arbeiter ist der Ruhe wert. Steh nicht so früh wieder auf wie heute! Die Jugend muß sich ausschlafen. Als ich in deinem Alter war, da mußt' ich Winter und Sommer um vier zu den Pferden in den Stall; ich weiß aus Erfahrung, wie beschwerlich und unangenehm das frühe Aufstehen ist, und wollte, du glaubtest mir aufs Wort, Francois, und bliebest liegen.«

Nachdem das Messer geschliffen und die Axt geschärft war, beschloß Adhemar an einem Morgen, der ihm in jeder Hinsicht durch seine Heiterkeit, Windstille und anmutigen, nicht zu grellen Sonnenschein passend und förderlich schien, an das so reiflich vorbereitete Werk zu gehen. Er trat aus der Halle von Moyencourt auf den Perron der hohen Haustreppe hinaus, legte sein Gerät auf die Balustrade und glättete sein langes, schwarzes Tuchwams, das eine vom Halse bis zum Knie laufende dichte Reihe silberner Knöpfe zierte; und nachdem noch die Gürtelspange fester geschnallt war, ließ er sein schmal geschlitztes, ins Grünliche schillernde Auge über den fast dreieckigen Burghof gleiten. Er kehrte mit der befriedigenden Überzeugung zurück, daß alles gut und in gewohnter Unordnung war. François saß in einem Winkel auf einem Haufen zerklaubten Holzes und schien aus dem bloßen Gefühle des Daseins und der Einwirkung des vortrefflichen Wetters die Empfindung von Heiterkeit und allseitiger Zufriedenheit mit seinem Zustande zu schöpfen, in welcher er zu dem blauen Himmel und den gewundenen Röhren der hohen Essen hinaufblickte. Er erhielt den Befehl, eine Leiter hervorzubringen. Es wäre Verleumdung, zu behaupten, daß nun mehr als eine halbe Stunde noch verflossen, ehe man hätte inne werden können, worin Adhemars Vorhaben eigentlich bestanden.

Ungefähr um so viel Zeit jedoch mochte der Zeiger an der Uhr im Torturme weiter gerückt sein, als die hagere, lange Gestalt des Seneschalls mit ihrem Gesichte vom entschiedensten Henry-Quatre-Typus endlich die Höhe der Leiter einnahm, welche auf den Perron der Haustreppe gestellt war und unter dem Wappenschilde über der Tür sich anlehnte. Unten stand François und stützte sie zu größerer Sicherheit mit der ungemessenen Breite seines Rückens, indem er den Hühnern zuschaute, die in einem Haufen Kehrsand sich badeten und von Zeit zu Zeit langsam den Kopf zur Seite neigte, so oft Adhemar oben eine Moosflocke von den Quartieren des Steinwappens auf seinen breiten Strohhut fallen ließ. Denn das Unternehmen des Seneschalls war kein anderes, als das Moos, den Steinbruch und die Wucherpflanzen, so seit Jahren auf den Feldern, Fluchten und Zimieren dieses heraldischen Prachtstücks sich eingenistet hatten, zu entfernen, den Kolonisationsversuchen der Schwalben und Spatzen, die über und unter demselben sich angesiedelt, ein gewaltsames Ende zu setzen, und endlich eine junge Fichte, welche von irgendeinem vagabundierenden Finken im Keime dorthin verpflanzt sein mochte und fröhlich jetzt in die heitere Luft aufstieg, mit der Axt abzuhauen. Zugleich benutzte Adhemar die Gelegenheit, von den Staffeln herab wie ex cathedra den Reichtum seiner genealogischen und heraldischen Kenntnisse zu entfalten, indem er die Bedeutung des Familienwappens nach bestem Wissen und Verstehen auseinanderzusetzen sich bemühte.

»Hab' ich nicht gesagt, François, daß, wenn ich dies untere Feld vom Moos gereinigt, von oben nach unten laufende Striche zum Vorschein kommen würden? Nun sieh! Das bedeutet einen roten Schild. Merke dir das, François, damit man nicht sage, du habest nutzlos so lange mit dem alten Derepont zusammengelebt. Solche Striche bedeuten rot.« »Rot!« sagte François, ohne aufzublicken. »Nichtsdestoweniger«, nahm der Seneschall wieder das Wort, »bist du ein äußerst dummer Mensch, wenn du sagst, dieser Schild mit den von oben nach unten laufenden Strichen sei rot. Du mußt sagen: »Er ist gueule«. Das ist der rechte Ausdruck.« François schien nichts dagegen einzuwenden zu haben, ob der Schild rot, gueule oder aschfarben sei; nach einer guten Weile aber warf er den Kopf in den Nacken und fragte: »Wenn nun aber die Striche von unten nach oben laufen?« Der Seneschall wandte sich auf seiner Leiter um, steckte sein Messer in den Gurt und sah verwundert in das auf einer der Staffeln liegende, zu ihm emporschauende Haupt des Knechtes. »Von unten nach oben? Ja, das ist freilich eine Frage, um einen verwirrt zu machen. Ich denke, es ist am besten, du sinnst selbst darüber nach.« Er fuhr in seiner Arbeit fort. »Dies ist der Helm für das Feld von Gueule; das Zimier besteht aus zwei Adlerflügeln. Merke dir das, François!«

»Adlerflügeln«, sagte François.

»Nichtsdestoweniger wärst du nicht viel besser als ein Dummkopf, wenn du sagst Adlerflügel, François: du mußt sagen »Fluchten«.«

»Aber zum Henker, Messire Adhemar, ihr führt ja die Leute irre mit euren Flügeln und Fluchten!«