BIBLIOGRAFISCHE INFORMATIONEN DER DEUTSCHEN NATIONALBIBLIOTHEK:

DIE DEUTSCHE NATIONALBIBLIOTHEK VERZEICHNET DIESE PUBLIKATION IN DER DEUTSCHEN NATIONALBIBLIOGRAFIE;
DETAILLIERTE BIBLIOGRAFISCHE DATEN SIND IM INTERNET ÜBER www.dnb.de ABRUFBAR.

© 2021 Henning Müller

HERSTELLUNG UND VERLAG:

BoD – Books on Demand GmbH, Norderstedt

ISBN 9783755787693

INHALTSÜBERSICHT

A. Grundlagen der Prüfung

Bei elektronischen Posteingängen obliegt auch im elektronischen Rechtsverkehr die Form- und Fristprüfung dem juristischen Entscheider. Dabei gehen die prozessrechtlichen Regelungen zum elektronischen Rechtsverkehr als lex specialis stets den Formanforderungen für schriftliche Dokumente vor, auch wenn das Dokument im Gericht ausgedruckt und in den Geschäftsgang gegeben wird.1

Gem. § 130a ZPO2 können elektronische Dokumente über das Elektronische Gerichts - und Verwaltungspostfach (EGVP) oder einen sicheren Übermittlungsweg gem. § 130a Abs. 4 ZPO bei Gericht eingereicht werden. Die Vorschrift bezieht sich nach ihrem Wortlaut explizit nicht nur auf schriftformbedürftige Dokumente, sondern auf sämtliche Einreichungen (schriftl ich einzureichende Auskünfte, Aussagen, Gutachten, Übersetzungen und Erklärungen Dritter).

Während

In beide Fällen muss die Einreichung unter Nutzung eines durch die Rechtsverordnung gem. § 130a Abs. 2 Satz 2 ZPO (ERVV) zugelassenen Dateiformats erfolgen. Gem. § 2 Abs. 1 ERVV ist als Dateiformat grundsätzlich PDF-Datei zugelassen. Falls eine sachgerechte bzw. qualitätserhaltende Umwandlung in PDF nicht möglich ist, kann (neben der Bild-PDF-Datei) auch eine Bilddatei im Format TIFF mitübersandt werden.

Bis 31.12.2021 gilt gem. § 2 Abs. 1 ERVV, dass die PDF-Datei in druckbarer, kopierbarer und, sowie technisch möglich, durchsuchbarer Form zu übermitteln ist. Überwiegend wurde in der Rechtsprechung angenommen, dass es s ich insoweit um echte Formvorschriften handelt.

Ab 1.1.2022 gilt gem. § 2 Abs. 2, 3 ERVV nur noch, dass die PDF-Datei den in den ERVB4 bekanntgemachten Standards entsprechen soll. Die weiteren Formanforderungen stellen damit nur noch einen Rahmen dar, bei dessen Einhaltung der Einreicher die Gewähr hat, dass das elektronische Dokument von der Justiz bearbeitbar ist. Es ist daher aus Einreichersicht empfehlenswert, diese Vorgaben einzuhalten. Formanforderung ist aber ab 1.1.2022 nur noch die Bearbeitbarkeit; kann daher das Gericht faktisch und zumutbar mit dem Dokument umgehen, ist die elektronische Form mit einer auch gegen § 2 Abs. 2, 3 ERVV verstoßende PDF gewahrt.


1 Anders jüngst aber BGH, 8. Mai 2019 – XII ZB 8/19; zuvor BGH, Beschl. v. 18. März 2015 – XII ZB 424/14; Köbler, AnwBl 2015, 845, 846; kritisch hierzu Müller, AnwBl 2016, 27; ders. FA 2019, 198, 199 ff.; ders, eJustice-Praxishandbuch, 6. Aufl., 2021, S. 104 ff.

2 In der Fassung ab 1.1.2018; entsprechendes gilt für die wortgleichen §§ 65a SGG, 55a VwGO, 52a FGO, § 46c ArbGG, § 32a StPO.

3 Fraglich ist allerdings die Rechtsfolge, wenn bei einer Übermittlung aus einem sicheren Übermittlungsweg eine ungültige Signatur angebracht ist: In Erwägung zu ziehen wäre, zu differenzieren, ob (1. Fallgruppe) die Signatur ungültig ist, weil es an der Authentizität fehlt (bspw. weil die Gültigkeit des Zertifikats abgelaufen ist) – dann wäre dieser Mangel wohl durch den sicheren Übermittlungsweg überwunden und (2. Fallgruppe), ob die Ungültigkeit auf einer fehlenden Integrität beruht (bspw. in Folge einer Manipulation) – dann wäre jedenfalls eine entsprechende Nachfrage beim Absender erforderlich.

4 Bundesweite Bekanntmachungen zum elektronischen Rechtsverkehr: www.justiz.de.

B. Aktive Nutzungspflicht des elektronischen Rechtsverkehrs

Rechtsgrundlage für die Einführung der aktiven Nutzungspflicht sind die §§ 130d ZPO, § 32d StPO, 55d VwGO, § 65d SGG, § 52d FGO, § 14b FamFG und 46g ArbGG. Danach tritt die aktive Nutzungspflicht am 1.1.2022 kraft Gesetzes an sämtlichen deutschen Gerichten ein. Sie konnte im Wege eines sog. Opt-In durch Landesrechtsverordnung – wie in Bremen (zum 1.1.2021) oder Schleswig-Holstein (zum 1.1.2020) in einzelnen Fachgerichtsbarkeiten geschehen – vorgezogen werden. Andere Bundesländer hatten von diesem sog. Opt-In allerdings keinen Gebrauch gemacht.

1. Anwendungsbereich der aktiven Nutzungspflicht

Der sachliche Anwendungsbereich der aktiven Nutzungspflicht umfasst vorbereitende Schriftsätze und deren Anlagen sowie schriftlich einzureichende Anträge und Erklärungen. Nicht umfasst ist dagegen die Vorlage von Beweismitteln – diese werden zur Erhaltung ihres Beweiswertes grundsätzlich in der Form vorgelegt, in der sie vorliegen; also durchaus auch weiterhin analog.

Der persönliche Anwendungsbereich der aktiven Nutzungspflicht erfasst ab 1.1.2022 zunächst Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte, Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihr zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse.

Zunächst nicht von der aktiven Nutzungspflicht erfasst sind dagegen zunächst die in der Arbeits- und Sozialgerichtsbarkeit häufig als Prozessvertreter auftretenden Verbände und Gewerkschaften, Rentenberaterinnen und Rentenberater, sowie nicht anwaltlich vertretene Bürgerinnen und Bürger sowie privatrechtliche Unternehmen (bspw. als Arbeitgeber in der Arbeitsgerichtsbarkeit). Ebenfalls nicht erfasst sind in einem ersten Schritt die Steuerberaterinnen und Steuerberater, die vorwiegend in der Finanzgerichtsbarkeit auftreten. Schließlich auch nicht erfasst sind weitere Personen im Umfeld eines Gerichtsverfahrens, hier bspw. Dolmetscher, Sachverständige oder ehrenamtliche Richterinnen und Richter.

Erst zum 1. Januar 2026 weitet sich durch das ERV-AusbauG die aktive Nutzungspflicht auch auf vielen andere sog. professionelle Verfahrensbeteiligte aus. Die entsprechenden Regelungen hierzu finden sich in den jeweiligen Fachgerichtsordnungen.

2. Ersatzeinreichung bei Störung des elektronischen Rechtsverkehrs

Kommt es zu Störungen des elektronischen Rechtsverkehrs, sieht das Gesetz eine Ersatzeinreichung vor, § 130d S. 2-3 ZPO5. Die Einreichung kann also auf einem beliebigen anderen prozessrechtlich vorgesehenen Wege erfolgen – per Post, Fax oder Bote.

Die Störung muss nach dem Wortlaut der Norm und ihrem Sinn und Zweck vorübergehender Natur sein. Professionelle Einreicher können sich daher nicht auf § 130d ZPO berufen, wenn ein zugelassener Übermittlungsweg noch gar nicht in Betrieb genommen oder eingerichtet worden ist6, selbst wenn dies kurz vor Eintritt der aktiven Nutzungspflicht noch in Angriff genommen, aber nicht abgeschlossen ist. § 130d S. 2-3 ZPO kann daher keine Nachlässigkeit absichern.

Die Ursache der Störung muss technischer Natur7Verschuldenrechtsmissbräuchliches Verhalten