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Herstellung und Verlag: Books on Demand GmbH, Norderstedt

ISBN 978-3755-745846

© Köln 2021 Frank Mühlenbeck

c/o Mühlenbeck Consulting

Horbeller Str. 31

50858 Köln

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Grafikdesign: Adelita-Carmen Vasioiu

Vielen Dank für Anregungen und Korrekturen

Danke!

Bedanken möchte ich mich an allererster Stelle bei meinen Eltern auch dafür, dass Sie mir als Kind die Möglichkeit gegeben haben, Karate zu lernen.

Meiner Frau Nicole und meinen Kindern Mailin und Amia danke ich dafür, dass sie mir die Zeit schenken, mein Karate weiterzuentwickeln.

Danke an meine Wegbegleiter im Karate, die mich sowohl aus der Perspektive des Meisters als auch aus der Perspektive des Schülers geformt haben:

Shihan Tokio Funasako

Shihan Kyoshi Ogawa

Ludwig Binder

Jörg Kerschek

Christian Wedewardt

Alcis Szabo-Reiss

Karsten Oberländer

Harald Zschammer

Udo Püschel

Reza Maier

Ingo Maier

Rainer Goll

Richard Wenzel

Andreas Simon

Marko Niederhaus

Peter Alt

Danke auch an meine weiteren Karate-Trainingspartner aus dem ASV Köln

Inhalt

  1. Der schlimmste Angriff auf mein Leben
  2. Warum Karate tödlich ist
  3. Vom Karate zum Karate-Code
  4. Die Entschlüsselung des Karate-Codes
  5. Die Vollendung des Karate-Codes
  6. Epilog: Wie der schlimmste Angriff auf mein Leben endete

1. Der schlimmste Angriff auf mein Leben

Es geschah auf der Rückfahrt einer durchfeierten Partynacht in Köln, als der mit Narben übersäte etwa dreißigjährige Mann in der Bahn gegenüber anfing zu randalieren. Es war eine kalte Winternacht und der Mond schaute nur selten durch die fast vollständig grauschwarze Wolkendecke.

„Was guckst Du mich an?“ Die Augen des Mannes verengten sich immer mehr zu einer angsteinflößenden Fratze. „Ich mach Dich platt, Alter!“ schnaubte er, stand auf und kam auf mich zugelaufen. Meine Beine waren schwer und ich konnte in diesem Moment nicht klar denken. Aber wie war ich überhaupt in diese Situation gekommen?

Es begann damit, dass ich in Köln am Rudolfplatz in die Bahn einstieg. Leicht alkoholisiert und müde schwebte mein Blick von einem Sitz zum nächsten durch die Bahn. Schräg gegenüber auf einer Viererbank saß ein Mann Mitte zwanzig, der wütend auf seinem Smartphone herumtippte und immer wieder laute Beschimpfungen ausstieß, die ich nicht alle verstehen konnte. Just in dem Moment, in dem ich ihn anschaute, trafen sich unsere Augen. Ich dachte mir nichts weiter und schaute auf die anderen Sitze, die fast alle leer waren. Offenbar hat sich der Mann bereits bei den anderen Mitreisenden so beliebt gemacht, dass sie einen Sitzplatz wählten, der einen genügend großen Sicherheitsabstand bietet. Seine Augen verharrten aber auf mir. Ohne ihn weiter anzuschauen fühlte ich, wie er mich von oben bis unten musterte. Kurze Zeit später schaute ich ihn wieder an – seine tief dunkel unterlaufenen Augen waren fast schwarz, über dem rechten Auge hatte er eine etwa 5 Zentimeter lange Narbe und über dem Mund zeichnete sich ein leichter Lippenbart ab. Die Bahn hielt an und unterbrach unseren Blickkontakt, als ein junger Student einstieg und sich nichtsahnend in das Viererabteil setzte, dass bereits der Aggressor für sich beanspruchte. „Alter, verpiss Dich“, raunzte er dem Studenten zu. Verwirrt stand er auf, verdrehte die Augen nach oben und ging in die entgegengesetzte Ecke des Bahnwagons, wo sich bereits ein paar weitere Fahrgäste hingesetzt haben. Ich konnte nicht anders, als meinen Kopf über dieses schlechte Benehmen zu schütteln. Das war offenbar der letzte Schritt, der das Fass zum Überlaufen brachte. Er fühlte sich persönlich beleidigt und warf ein paar Hasstiraden auf mich ab. Ich ging nicht weiter auf seine verbalen Angriffe ein, konnte mich aber nicht seinen Augen entziehen. Die Bahn hielt ein weiteres Mal und der Student sowie 5 weitere Mitreisende stiegen aus. Ein junges Studentenpaar stieg auf Höhe der Universität ein und setzte sich in sein Abteil. Der mit Rasterlocken sympathisch wirkende Junge betrachtete den Mann, der auf dem Platz schräg gegenüber saß. „Was glotzt Du mich an?“ fauchte er ihn an. Doch der Junge reagierte nicht darauf. „Ey, ich rede mit Dir“ schrie er ihn an. Ein paar Schrecksekunden später fuchtelte er nervös mit seiner Hand in der Hosentasche. Schließlich hatte er wohl gefunden was er suchte und zog es aus der Tasche heraus. Hämisch grinste er zu dem Studentenpaar rüber und schaute dann wieder konzentriert auf den Gegenstand. Er glitzerte, da er den weissgelben Lichtschein der Bahnbeleuchtung reflektierte. Es war ein kleines verdrecktes rotes Schweizer Taschenmesser, dass er aufklappte. Auf einmal überkam ihn ein hysterischer Lachanfall. Sein Hals kippte nach hinten und er lachte laut, dabei überschlug sich seine Stimme wie die einer Hyäne. Wieder nach vorn gedreht, schaute er auf das Messer. Ohne seinen Kopf zu bewegen, drehten sich seine Augen immer wieder zu dem Pärchen. Er klappte auch die anderen Teile des Messers nach außen. Den Weinflaschenöffner streckte er dem Pärchen entgegen und deutete an seinem Bein an, wie er den Öffner in seinen Oberschenkel drehen würde. Das Pärchen war mit der Situation überfordert. Geschockt und mit kalkweissem Gesicht zog die Studentin ihren Freund Richtung Ausgang, ohne den Blick von dem lachenden Typ abzuwenden. Sichtlich genoss er seine Überlegenheit. Als sich die beiden vor den Ausgang stellten, stand auch der Mann auf. Er rief ihnen „Feiglinge“ hinterher, als die Bahn stehen blieb und das Paar mit hoher Geschwindigkeit die Bahn und die Haltestelle verließ. Immer noch mit seinem Schweizer Messer bewaffnet ließ er sich in den Stuhl zurücksinken und scannte mit seinen Rabenaugen die noch anwesenden Bahngäste. Dabei drehte er seine Augen zwei mal so weit nach oben, dass nur noch der weiße Augapfel zum Vorschein kam. Womöglich hatte er Drogen konsumiert, die langsam ihre Wirkung entfalten sollten. Jetzt klappte er alle Komponenten des Messers wieder ein. Bis auf das Messer selbst. Die Klinge war ungefähr 4 Zentimeter lang. Je nachdem wo man damit einen Menschen treffen würde, kann das Ausmaß von leichten Verletzungen bis zum Tod reichen.

Neben einem älteren Pärchen am Ende des Wagons saßen nur noch der Mann und ich in der Bahn. Das hatte er offenbar gemerkt. Die Augen des Mannes verengten sich immer mehr zu einer angsteinflößenden Fratze. „Ich mach Dich platt, Alter!“ schnaubte er, stand auf und kam auf mich zugelaufen. Was sollte ich tun?

In solchen Situationen fühlen sich die meisten Menschen hilflos. Leider war ich schon mehrfach in solchen oder ähnlichen Lagen. Meine allererste Begegnung, an die ich mich erinnere, war in der Grundschule. Auf dem Schulhof mussten sich die Kinder am Ende der Pause immer in Zweierreihen aufstellen, um dann von den Lehrern in die Schulräume geführt zu werden. Als ich mich aufstellen wollte, beanspruchte ein türkisches Kind einer Parallelklasse meinen Platz. Der Junge war noch einen halben Kopf kleiner als ich und ich sah es nicht ein, meinen Platz kampflos aufzugeben. Außerdem erschien mir der Junge nicht kräftig oder gefährlich. Was innerhalb der nächsten Sekunden passierte, kann ich nur noch ungefähr widergeben. Als der türkische Grundschüler trotz meiner Worte nicht von meinem Platz gehen wollte, schubste ich ihn ein Stück zur Seite. Dabei packte er mich und warf mich über seine Schulter auf den harten zementierten Boden des Schulhofs. Erst schlug mein Kopf auf, dann der Rest meines Körpers. Ich wusste nicht, wie mir geschah und ich schaute von unten auf die Facette des Jungen, hinter dem die Sonne schien und der auf einmal viel größer wirkte. Mein Kopf und mein Rücken schmerzten und ich hatte ein paar Kratzer im Gesicht. Außerdem rollte mir eine Träne das Gesicht herunter, während ein paar andere Jungen zusammen mit dem türkischen Schüler über mich lachten.

Ich habe meinen Gegner unterschätzt, weil ich seine fehlende Größe mit fehlender Kraft gleichgesetzt habe. Tatsächlich hat er mich nicht unterschätzt. Er hat meine eigene Kraft dazu genutzt, mich auf den Boden zu befördern.

Natürlich lies mich von diesem Moment an nicht mehr in Ruhe, woher der Junge diese Kräfte hatte, wenn es denn überhaupt Kräfte waren. Ein paar Tage später erfuhr ich, dass er einen Kampfsport namens Judo betrieb. Eine der wesentlichen Techniken des Judo ist es, die Kraft des Gegners zu nutzen, um sich zu verteidigen. Das war also der Grund, warum mich der Junge trotz fehlender Größe besiegen konnte – weil ich auf ihn zugelaufen bin und meine Kraft genutzt habe, um ihn zu schubsen. Er hat meine Schubkraft verlängert und mich damit besiegt.

Von da an wollte ich Judo lernen. Übrigens wurde uns der vermeintliche Angreifer ein paar Tage später als neuer Mitschüler meiner Klasse vorgestellt. Ich war dementsprechend begeistert. Mit der Zeit habe ich mich aber mit ihm angefreundet.

Einige Jahre später hatte ich ein weiteres sehr unschönes Erlebnis. Ich war etwa 13 Jahre alt. Es ereignete sich in einem Kino, wenn man von einem Kino sprechen wollte. Eigentlich war es das alte Schultheater, das einmal in der Woche Donnerstag Abends zu einem Kino umfunktioniert wurde und einen aktuellen Film zeigte. Es lief „Stirb langsam“, der Film, der Bruce Willis bekannt machte, jedenfalls für mich. Eigentlich waren wir noch nicht alt genug, aber man konnte das Theater durch eine Hintertür des Schulgebäudes betreten, so dass man nicht an den offiziellen Kassen vorbei musste. Als der Film startete und das Theater nicht mehr beleuchtet war, schlichen wir in den Saal und wählten die vorletzte Sitzreihe. Leider saß in der letzten Reihe eine Gruppe von stadtbekannten Pöblern, die 16 Jahre alt waren. Offenbar empfanden sie Spaß dabei, einem meiner Freunde von hinten immer wieder gegen den Kopf zu watschen. Wir konnten uns nicht offiziell beschweren, da wir sonst mit unserem jungen Alter aufgefallen wären. Mir fiel nichts anderes ein als einen abschätzigen Blick nach hinten zu werfen, der ausdrücken sollte, dass diese Pöbeleien doch sehr kindisch sind. Für mich war der Fall damit erledigt, was sich leider später als falsche Einschätzung erwies, und just in diesem Augenblick startete der Film. Die Pöbler ließen von meinem Freund ab und alle verfolgten begeistert den Film. Als der Abspann begann und die Aula noch im Dunkeln lag, schlichen wir wieder über den Ausgang zurück ins Schulgebäude und gelangten zu unseren geparkten Fahrrädern, die auf dem Hinterhof der Schule standen. Es war mittlerweile stockdunkel und wir machten uns auf den Heimweg.

Am nächsten Tag sprach mich ein guter Freund an und erzählte, dass einer der Pöbler meinen Namen herausgefunden hat und mich nun töten wolle. Im ersten Moment klang es einfach nur lächerlich, aus so einem Vorfall eine solche Tat abzuleiten. Aber je mehr ich darüber nachdachte und je mehr ich über diesen Pöbler erfuhr, desto mulmiger war mir zumute. Er war als Schläger bereits stadtbekannt und war auch an Brutalität kaum zu über-bieten, zumal er bereits den Krieg kennenlernen musste und eine gänzlich andere Einstellung zum Leben hatte als ich. Zudem war er einen Kopf größer und ein paar Jahre älter. Da ich wusste, wo er wohnte, veränderte ich fortan als erstes meinen Schulweg. Doch mit der Zeit schränkte ich mich immer häufiger ein. Alle Veranstaltungen und Partys, auf denen er hätte theoretisch auftauchen können, mied ich. Je mehr ich mich einkerkerte, desto mehr wuchs in mir der Wunsch, auszureißen. Es konnte doch nicht sein, dass mich eine Person dermaßen in meinem noch so jungen Leben einschränkt.

Der Film Karate Kid war für meine Kindheit sehr prägend, auch wenn der junge Ralph Macchio, der den Karate Kid der 80iger spielte, zu Beginn mehr Prügel einstecken musste als ich. Ich habe diesen Film hunderte Male gesehen und mich immer mehr mit ihm identifiziert. Als die Fortsetzung der Karate Kid Filme in Form der Netflix-Serie Cobra Kai startete, war meine Freude verständlicherweise sehr groß. Nicht nur, dass meine Kindheits-Idole es zurück in die Filmindustrie schafften. Zusätzlich erhält Karate eine neue Bekanntheit in der Gesellschaft, da diese Serie sowohl von den älteren Generationen als auch von den Jugendlichen sehr gern gesehen wird. Neben den Karate Kid Filmen der 80iger studierte ich auch andere Kampf-Filme von Bruce Lee und Jackie Chan, die mich ebenfalls begeisterten. Schließlich entschied ich mich dazu, neben Judo, was ich zu diesem Zeitpunkt bereits ein paar Jahre lernte, auch mit Karate zu beginnen.

2. Warum Karate tödlich ist

In meiner ersten Karate-Stunde lernte ich von meinem damaligen Trainer Udo, was Karate bedeutet. Es steht für „leere Hand“. Erst viel später erfuhr ich jedoch, welche tiefe Bedeutung der leeren Hand innenwohnt. Karate entstand auf der Hauptinsel der japanischen Inselgruppe der Ryūkyū-Inseln, genau genommen auf Okinawa. Bereits im 15. Jahrhundert pflegte die Insel einen regen Schiffshandel mit China. Daraus entstanden Beziehungen und Freundschaften. Die Chinesen hatten bereits den Kung-Fu Kampfstil in den Shaolin-Klostern entwickelt. Man vermutet, dass einige chinesische Familien den Bauern auf Okinawa die Kampfkunst vermittelt haben. Die Landwirte auf Okinawa hatten diese Kampfkunst mit eigenen Kampfkünsten verbunden und daraus entstand Karate. Die „leere Hand“ hatte deshalb eine so wichtige Bedeutung, weil die Bauern um ihr Leben fürchteten und keine Waffen besaßen. Die Könige verboten zu diesen Zeiten dem Volk den Besitz jeglicher Waffen, um Aufstände und Unruhen in der Bevölkerung zu unterbinden. Das Waffenverbot ging so weit, dass nicht einmal der Besitz eines Küchenmessers erlaubt war. In jedem Dorf gab es nur ein einziges Küchenmesser, das auf dem Dorfplatz am Brunnen befestigt und streng bewacht wurde. Im Gegensatz zur Bevölkerung durften aber die kaisertreuen Beschützer – die Samurai - Waffen tragen. Und nicht nur das – sie durften auch im Rahmen der so genannten Schwertprobe ihre Waffen einsetzen und testen – an Leichen, Tieren und an Bauern. Soweit also der arme Bauer auf seinem Feld arbeitete und ein Samurai vorbeiritt, lauerte für den Bauern immer die Gefahr des tödlichen Schwertes.

Um sich gegen die Samurai zu wappnen, entwickelte sich das Karate, dass die Aufgabe hatte, mit einer einzigen Technik den Gegner zu töten. Daher wird im Karate die leere Hand eingesetzt, um Gegner mit und ohne Waffe so schnell wie möglich auszuschalten.

Das damalige Karate war viel härter und robuster als das Karate, was heute in den meisten Karateschulen trainiert wird. Schon deshalb, weil viele Kinder ab 6 Jahren mit dem Karate beginnen, wurden die vermeintlich tödlichen Techniken aufgeweicht und zunächst einmal verschwiegen. Erst wer sich viele Jahre mit dem Karate beschäftigt, erkennt, dass die aufgeweichten Techniken am Ende doch wieder tödlich eingesetzt werden können. Karate hat viele Geheimnisse, die erst Jahr für Jahr gelüftet werden. Sehr schnell hat das Karatetraining aber den Effekt, dass man sich sicherer fühlt und selbstbewusster auftreten kann.

Auch mein Leben veränderte sich mit dem Karatetraining, so dass ich mit der Zeit wieder offener wurde und häufiger auf große Veranstaltungen in unserer Stadt ging. Mit 16 Jahren gingen immer mehr Freunde in die Tanzschule, so tat ich es ihnen nach. Eines Abends organisierte die Tanzschule eine große Feier. Wir konnten unser gesamtes Tanzschritt-Portfolio präsentieren, dass wir in den letzten Kursen erlernt haben. Kurz vor Mitternacht machte ich mich auf den Heimweg und verließ die Tanzschule. Ich schloss mein Fahrrad auf, das direkt vor der Schule geparkt war, als plötzlich aus dem Nichts der Pöbler vor mir stand. Er wartete vermutlich auf ein Mädchen, dass auch in der Tanzschule feierte. Ich schaute ihn an und er sagte kein Wort. Ich weiß nicht mal genau, ob er mein Gesicht noch zuordnen konnte, aber er zeigte keinerlei Reaktion. Ich setzte mich auf den Fahrradsattel, atmete tief durch und fuhr einfach an ihm vorbei. Mein Adrenalin war kurzzeitig an Hochverfügbarkeit nicht zu übertreffen, aber nach außen blieb ich cool und ich war auch bereit, zu reagieren, wenn er mich angegriffen hätte.

Ich war bereit.

3. Vom Karate zum Karate Code

Das Buch entstand aus einer Fülle Gedanken über das Leben und den Weg, es bestmöglich zu meistern. Karate hat mein Leben bis heute an vielen Stellen bereichert. Immer wieder entdeckte ich in über 30 Jahren Karate Aspekte, die mir halfen, die richtigen Entscheidungen zu treffen und auch schwierige Lebenssituationen zu meistern. Mit der Zeit sammelte ich die Prinzipien, die aus dem Karate stammen und Einfluss auf meinen Lebensweg nahmen. Dazu sammelte ich Ideen aus Gesprächen mit Karatekas, aus anderen Büchern, die sich mit Kampfkunst beschäftigen und aus eigenen Erfahrungen. Die größte Herausforderung bestand darin, diese Prinzipien zu einem ganzheitlichen Lebens-Code zu verdichten. Hunderte Male überdachte und veränderte ich diesen Code, bis er schließlich zu dem erwuchs, was heute in diesem Buch zu lesen und lernen ist.

Mit diesem Code ist man in der Lage, die Lehren aus dem Karate zu verstehen und auf sein eigenes Leben zu übertragen. Das Modell des Codes, dass ich in diesem Buch Schritt für Schritt erkläre, kann man dazu nutzen, um die eigenen Strategien und Ziele zu planen, umzusetzen und zu kontrollieren.

Ich werde immer mal wieder von Freunden oder in Trainings gefragt, ob ich Karate schon einmal in einer realen Situation angewendet habe. Leider war ich tatsächlich mehrere Male im Leben in bedrohlichen Situationen. Mindestens eine davon war lebensbedrohlich, dazu komme ich an späterer Stelle. Insofern ist vielleicht verständlich, warum ich meinen Fokus im Karate auf die Selbstverteidigung gelegt habe. Im Karate kann man, wenn man sich mit den Grundtechniken vertraut gemacht hat, im weiteren Verlauf entscheiden, wo man Schwerpunkte setzen möchte. Neben der Selbstverteidigung kann man sich auch auf den sportlichen Wettkampf, das so genannte Kumite konzentrieren. Alternativ wählt man die Kata. Dabei handelt es sich um einen Kampf gegen mehrere imaginäre Gegner. Eine feste Abfolge von Schritten und Techniken macht eine Kata aus. Je nach Karate-Stil lernt man im Laufe der Jahre weit über 20 Katas. Addiert man die Schritte und Techniken aller Katas und läuft diese von der ersten bis zur letzten Kata, summiert sich die Anzahl der Techniken und Schritte auf rund 1.000 Stück. Vor allem die älteren Generationen wählen die Kata und vielleicht noch die Selbstverteidigung. Das, was ich in den Karate Code eingebracht habe, leite ich meistens aus der Selbstverteidigung ab. Allerdings gibt es auch Erkenntnisse aus Kumite und aus Kata, die in den Code eingeflossen sind.

Karate zählt neben der Kunstform auch zum Sport, und im Sport pflegen wir, uns zu duzen. Aus diesem Grund – und weil wir nun einige Zeit gemeinsam verbringen werden, nehme ich mir heraus, Dich zu duzen. Nicht nur der sportliche Aspekt, sondern auch die persönliche Nähe, die wir in diesem Buch zueinander aufbauen, soll so intensiv wie möglich sein, damit Du das Wissen nachhaltig aufnehmen und diese Beziehung ernst nehmen kannst. Ein Einwand könnte nun darin bestehen, dass nur Du mich und meine Gedanken und Systeme kennenlernst, aber ich Dich nicht. Die tatsächliche Beziehung, die Du erkennen und aufbauen wirst, ist die Beziehung zu Dir selbst – und auch dazu sollte das „Du“ besser passen als das „Sie“. Nichtsdestotrotz möchte ich nicht ausschließen, dass wir uns in diesem Leben doch noch irgendwann kennenlernen, oder vielleicht schon kennen.

Dieses Buch lässt an vielen Stellen bewusst „weiße Flächen“ zurück. Damit meine ich, dass ich nicht jede Idee bis zum Ende mit meinen Erfahrungen und Empfehlungen ausfülle. Vielmehr gebe ich Dir Inspirationen und einige Geschichten mit auf den Weg. Nutze das Buch dazu, die Flächen mit Deinen Gedanken, Ansprüchen und Zielen selbst auszufüllen. So wird der Karate-Code zu Deinem eigenen Erfolgssystem.

Ich freue mich, wenn Du mir nach dem Lesen UND Durcharbeiten des Buchs schreibst, ob es Dir gefallen und bestenfalls geholfen hat, Dich weiterzuentwickeln. Dazu kannst Du mir jederzeit eine E-Mail an frank@muehlenbeck. net schreiben. Nun aber viel Spaß und Erfolg mit diesem Buch.

4. Die Entschlüsselung des Karate-Codes

Wir wünschen uns, in allen wesentlichen Disziplinen des Lebens erfolgreich zu sein. Im Beruf streben wir meist nach einer Karriere und einem hohen Gehalt, gleichzeitig suchen wir einen Ausgleich in unserer Freizeit, die wir mit Familie und Freunden verbringen möchten. Die dritte Disziplin ist unser Körper. Ohne Gesundheit haben wir in den anderen beiden Lebensbereichen keine Chance, unsere Ziele zu erreichen und zu halten. Über den Erhalt unserer Gesundheit hinaus ist es uns heute auch wichtig, im Sport Ziele zu erreichen, schlank zu bleiben oder zu werden und bestenfalls einen muskulösen und durchtrainierten Körper unser Eigen zu nennen.

Wie schön wäre es, dauerhaft schlank zu werden, die nächste Gehaltsverhandlung mit dem Chef erfolgreich abzuschließen und die Liebe in der Beziehung für immer zu erhalten. Mit dem Karate-Code erhältst Du einen Werkzeugkasten an die Hand, mit dem Du alle drei Lebensbereiche ausfüllen und Deine Ziele erreichen kannst. Im Gegensatz zu einem klassischen Werkzeugkasten brauchst Du aber nicht nur jeweils ein passendes Werkzeug, sondern oft eine Kombination des gesamten Werkzeugkastens. In den folgenden Unterkapiteln entschlüsseln wir diesen Werkzeugkasten. Bei jedem Werkzeug veranschauliche ich Dir mit Beispielen aus dem Leben, wie Du die Faktoren des Karate-Codes anwenden kannst. Es geht nicht darum, am Ende den gesamten Werkzeugkasten jederzeit abzurufen. Vielmehr soll er für Dich eine Inspiration sein, für Dein Leben die jeweils passenden Werkzeuge und Techniken einzusetzen, um Deine Ziele zu erreichen und Dein Leben zu bereichern.