Über das Buch
Der Berliner Bezirk Neukölln steht seit etlichen Jahren für Armut, Arbeitslosigkeit, Gewalt, Verwahrlosung, Selbstjustiz, Autoritätsverlust und Staatsverachtung. Doch seit der Corona-Pandemie haben sich die Zustände um ein Vielfaches verschlimmert. Denn nach Sonderausgaben in Milliardenhöhe, bleibt kein Cent mehr für die Finanzierung sozialer Projekte. Falko Liecke arbeitet seit mehr als einem Jahrzehnt als Stadtrat für die Bereiche Jugend, Gesundheit und nun Soziales. Er kämpft seit 2009 gegen die soziale Misere an, wird jedoch massiv verbal und körperlich angefeindet: von gewaltbereiten Extremisten, Clan-Mitgliedern und dem linken Milieu. Keinem CDU-Mann wird so häufig die Rassismus-Keule um die Ohren gehauen wie Liecke. Und das nur, weil er die Missstände offen anspricht.
Über den Autor
Falko Liecke (* 30. Januar 1973 in Berlin) ist ein deutscher Kommunalpolitiker, seit 2009 arbeitet er in diversen Funktionen im Berliner Brennpunktbezirk Neukölln: als Stadtrat für Bürgerdienste und Gesundheit bzw. Jugend und Gesundheit und stellvertretender Bezirksbürgermeister. Liecke ist ein führendes Mitglied der CDU Berlin und seit 2015 Kreisvorsitzender der CDU Neukölln; seit 2019 ist er auch stellvertretender Landesvorsitzender der Partei.
FALKO LIECKE
BRENNPUNKT
DEUTSCHLAND
Armut, Gewalt, Verwahrlosung
Neukölln ist erst der Anfang
Vollständige E-Book-Ausgabe
des in der Bastei Lübbe AG erschienenen Werkes
Originalausgabe
Copyright © 2022 by Bastei Lübbe AG, Köln
Außenlektorat: Ulrike Strerath-Bolz
Umschlaggestaltung: Kristin Pang
Einband-/Umschlagmotiv: © Annette Hauschild/OSTKREUZ
eBook-Erstellung: two-up, Düsseldorf
ISBN 978-3-7517-1859-2
luebbe.de
lesejury.de
Wer wie ich seit mehr als fünfundzwanzig Jahren Kommunalpolitik im Berliner Bezirk Neukölln macht, ist durch nichts mehr zu überraschen. Möchte man denken. Ich kenne die Verwahrlosung in einer Stadt, die zwar einen sozialen Anspruch hat, aber oft schon an einfachster Hilfe für Obdachlose, Flüchtlinge oder einsame Senioren scheitert. Ich kenne den offenen Drogenhandel in den Grünflächen und U-Bahnhöfen, den menschenunwürdigen Konsum schwerster Betäubungsmittel in Parks und Hauseingängen mit all seinen schrecklichen Auswirkungen auf suchtkranke Menschen, Anwohner und Stadtbild. Ich kenne die krasse Kriminalität arabischstämmiger Clans und verabscheue den Herrschaftsanspruch, der mit ihrem Proll-Gehabe und damit einhergehenden Auftreten auf unseren Straßen klarmachen will: »Wir sind Chef hier!«. Das sind sie nicht und werden es nie sein. Und als Jugendstadtrat kenne ich die teils brutale Gewalt, mit der schon Kinder und Jugendliche aufwachsen, von der sie geprägt werden und die sie als einziges ihnen bekanntes Zeichen von Stärke auf der Straße an andere weitergeben.
Mit welcher Selbstverständlichkeit ich am 31. August 2020 auf offener Straße von mehreren Mitgliedern des bundesweit bekannten Al-Zein-Clans angepöbelt und bedroht wurde, hat mich aber dennoch kalt erwischt. Kleine Kinder waren das. Kinder, die offenbar schon in jungen Jahren ihren Versagerbrüdern nacheifern und keinerlei Hemmungen vor offener Androhung von Gewalt haben.
Ich war bei einer Parteiversammlung am gerade frisch eingeweihten Leuchtturm der Neuköllner Bildungspolitik: dem Campus Rütli. Unmittelbar vor der Veranstaltung kamen vor der nagelneuen, aber schon mit verschiedensten Tags und zweifelhaften Kunstwerken beschmierten Quartiershalle drei Männer im Alter von fünfundzwanzig bis dreißig Jahren um die Ecke. Sie riefen meinen Namen, fragten aufgeregt und mit szenetypischen Droh- und Machtgebärden, warum ich ihnen die Kinder wegnehmen wolle, und kamen immer näher. Sie seien ja stolze Mitglieder des Al-Zein-Clans und wollten wissen, ob sie denn auch alle kriminell seien. Offenbar war ihnen das Titelblatt einer Berliner Boulevardzeitung von vor knapp einem Jahr noch in guter Erinnerung. Auch wenn ich bezweifle, dass sie mehr als die Schlagzeile »Nehmt den Clans die Kinder weg« gelesen oder verstanden hatten.
Sie machten Fotos und Videos von mir und redeten gleichzeitig heftig auf mich ein. Besonderen Wert legten sie darauf, dass ich zwischendurch auch ihre teuren Uhren zur Kenntnis nahm. Mehrmals wiesen sie auf die klobigen, glitzernden und recht unhandlich wirkenden Zeitmesser an ihren Handgelenken hin. Mir kam zwischenzeitlich der Gedanke, ob sie denn mit den ganzen Zahlen auf den Ziffernblättern auch etwas anzufangen wüssten, ich disziplinierte mich aber schnell wieder. Die Fehlschläge sozialdemokratischer Bildungspolitik, die Berlin in den letzten Jahrzehnten durch eine ausschließlich von der SPD geführte Bildungsverwaltung erleiden musste, waren gerade nicht mein größtes Problem.
Das Ganze sollte bedrohlich und einschüchternd wirken. Sie wollten mir verdeutlichen, wer in »ihrem« Teil von Neukölln die Ansagen macht. Und ich kann mir gut vorstellen, dass das bei anderen Menschen sehr gut funktioniert.
Bei mir nicht. Zu einem kleinen Teil aus Trotz, zum größten Teil aus dem Wissen um meine Rolle als Vertreter des Staates und der ihn tragenden Mehrheitsgesellschaft gab ich nicht klein bei. Die Stimmung wurde aggressiver, die Clanmitglieder bauten sich vor mir auf, kamen näher, pushten sich selbst immer weiter hoch, wurden kurzatmiger und bedrohlicher. Es war das Standardrepertoire einer Klientel, für die ich neben einem guten Teil Verachtung nur Mitleid empfinde.
Ein Parteifreund, von Beruf Polizist und entsprechend geübt im Auftreten, kam zufällig hinzu, sodass die Männer von mir ablassen mussten. Auf dem Rückzug keiften sie noch einige Beleidigungen, und es fiel ein Satz, der mich aufhorchen ließ: »Pass auf deine Kinder auf. In Neukölln gibt es leicht mal einen Toten.«
Direkt im Anschluss kamen mehrere Halbwüchsige von schätzungsweise acht bis zwölf Jahren auf mich zu. Mit Kettenschlössern und Steinen »bewaffnet«, warfen sie mit Beleidigungen um sich, deren Bedeutung sie meist selbst wohl nicht vollständig erfassen konnten. »Deutscher piç«1, »Hurensohn«, »Scheiß-Kartoffel«. Immerhin äußerten sie ihre Meinung über mich überwiegend in verständlicher deutscher Sprache. Zarte Knospen eines ersten Bildungserfolgs? Immer positiv denken!
Eine weitere Eskalation konnte ich zusammen mit meinen Parteifreunden verhindern, aber die Absicht war klar. Aus der Sicht der Angreifer hatten weder ein »verfickter Hurensohn« wie ich noch die CDU etwas in »ihrem« Kiez verloren. Eine Haltung, die linke Avantgarde, Clanfamilien und rechtsextremistische Brandstifter gemeinsam haben. Wir sollten uns also schleunigst »verpissen«. Später stellte sich heraus, dass auch die Kinder – alles Jungs – aus dem Al-Zein-Clan stammen.
Diese nur ungefähr zehn Minuten dauernde Szene könnte für andere eine Initialzündung, ein persönlicher Ansporn für mehr politischen Einsatz gegen Clans, Jugendkriminalität und allgemeine Verwahrlosung sein. Wieder andere würde es einfach so hinnehmen und wären dankbar, dass nicht mehr passiert ist. Al-Hamdu-li-’llah. Für mich war es nur eine weitere Bestätigung für das, was in Neukölln schiefläuft und wogegen ich seit mehr als zwölf Jahren als Lokalpolitiker kämpfe, die Hälfte dieser Zeit noch an der Seite von Heinz Buschkowsky: Clans, Jugendkriminalität, Gewalt, Autoritätsverlust, Staatsverachtung, Desintegration und allgemeine Verwahrlosung.
Die kompromisslose Gewaltbereitschaft, der grenzenlose Hass und die ins Gesicht geschleuderte Verachtung von allem, wofür unser Land steht, lässt vermutlich niemanden unbeeindruckt zurück. Für mich war das Erlebnis daher auch eine von vielen Bestätigungen, dass mein Kurs richtig ist. Und dass wir alle, die Politik, aber auch jeder Einzelne aus der Mitte der Mehrheitsgesellschaft, noch viel Arbeit vor uns haben. In Neukölln entscheidet sich Deutschlands Zukunft: Entweder wir schaffen das – oder eben nicht. Wobei Letzteres keine Option ist, die ich jemals akzeptieren würde. Aufgeben kommt für mich, selbst angesichts direkter Bedrohungen, nicht infrage.
Die Probleme in Neukölln sind so vielfältig wie seine 330.000 Einwohner aus über hundertsechzig Nationen. In jedem Politikbereich kann ich aus jahrelanger Praxis Dutzende offene Flanken aufzählen, die das Leben in diesem Brennglas der Republik prägen. Manches wird Lesern aus Köln, Dortmund, Essen, Bremen oder Frankfurt bekannt vorkommen. In ihrer geballten Wucht gibt es sie aber wohl nur in Neukölln. Einige von ihnen liegen mir besonders am Herzen. Um sie geht es in diesem Buch.
1Türkischer Sammelbegriff für »Bastard«, »Hurensohn«.