Robert Lorenz

Traumafabrik

Hollywood im Film

 

 

 

Inhaltsverzeichnis

Titel

Vorspann

What Price Hollywood? (1932)

A Star Is Born (1937)

It Happened in Hollywood (1937)

Sunset Blvd. (1950)

Singin’ in the Rain (1952)

The Star (1952)

The Bad and the Beautiful (1952)

A Star Is Born (1954)

The Big Knife (1955)

The Goddess (1958)

What Ever Happened to Baby Jane? (1962)

Inside Daisy Clover (1965)

The Legend of Lylah Clare (1968)

The Day of the Locust (1975)

The Last Tycoon (1976)

Nickelodeon (1976)

Fedora (1978)

S.O.B. (1981)

Sunset (1988)

Postcards from the Edge (1990)

The Player (1992)

What Just Happened (2008)

The Artist (2011)

Abspann

Literatur

Credits

Impressum neobooks

Vorspann

„Hollywood was another planet. Everything looked different, smelled different, tasted different.“ (Evans, Robert: The Kid Stays in the Picture, New York 2013 [1994], S. 37) Hollywood wurde „Traumfabrik“, Dream factory, getauft, was zu der Aussage von Elia Kazan, dem Regisseur einiger der größten Hollywoodfilme, passt: „Hollywood is […] an art organized as an industry.“ (Kazan, Elia: A Life, New York 1988, S. 250.) „Tinseltown“ ist ein anderer Kosename für die Stadt, in der die größten Filmstudios der Geschichte entstanden und Menschen zu Überlebensgröße anwachsen konnten. Sie entwickelte sich zum Mythos, hat mit extravaganten Kinogebäuden wie „Grauman’s Chinese“ oder dem „Pantages Theatre“ eine faszinierende Architektur hervorgebracht – als Kinos mit ihren palastartigen Ausmaßen noch regelrechte Tempel der Lichtspielunterhaltung waren. Und mit weltbekannten Gesichtern wie jenen von Charlie Chaplin, Marilyn Monroe oder James Dean hat sie eigene Ikonen erschaffen.

Die charismatische Aura Hollywoods entfaltete schon früh ihre Wirkungskraft; so schrieben die Geschwister Erika und Klaus Mann auf ihrer USA-Reise in den späten 1920er Jahren: „Die Atmosphäre von Hollywood hat, bei aller Ödigkeit, viel Faszinierendes, sie zieht an, saugt auf, nimmt gefangen. Man verliert das Gefühl für die Zeit, wie im Zauberberg, sie entgleitet, ohne daß man wüßte, welchen Inhalt sie hatte.“ (Mann, Erika/Mann, Klaus: Rundherum. Abenteuer einer Weltreise, Reinbek bei Hamburg 2017 [Berlin 1929], S. 31.)

Als 1913 der damals 32-jährige Cecil B. DeMille in Los Angeles ankam und in einer gelben Scheune nahe einem Filmlabor sein Quartier aufschlug, gab es dort bereits mehrere Filmbetriebe. Die Jesse L. Lasky Feature Play Company – das Unternehmen von DeMille, Lasky und Samuel Goldfish (der sich später Goldwyn nannte), aus dem wenig später Paramount Pictures hervorging – war allerdings bald schon das älteste noch existierende Studio, da die anderen kleinen Firmen in den üblichen Turbulenzen einer Gründerzeit relativ rasch wieder verschwanden. Hollywood als geografischer Ort, der von dem mentalen, ikonologischen schon bald überstrahlt wurde, war da gerade Los Angeles einverleibt worden.

Die damals noch nahezu kleinstädtisch-ländliche Region lockte mit ihrem einzigartigen Klima und ihrer vielseitigen Topografie die frühen Filmentrepreneur:innen an: „[T]hey had God-given light for more than twelve hours a day, 360 days in the year, as well as every known type of landscape from snow to desert, from arid plains to spectacular mountains and everything in between“ (Olivier, Laurence: Confessions of an Actor. The Autobiography, London 2002 [1982], S. 209), beschrieb der zeitweilige Hollywoodimmigrant Laurence Olivier die örtlichen Vorzüge. „It [Hollywood] was a pleasant, intimate place – everybody knew everybody“ (Allan Dwan zit. nach Bogdanovich, Peter: Who the Devil Made it, New York 1997, S. 81), erinnerte sich Allan Dwan, einer der Regiepioniere. „And it was rural – hardly any traffic to speak of – orange groves and lemon groves everywhere; not many houses and no big buildings. It was just a small town.“ (Allan Dwan zit. nach Bogdanovich 1997, S. 82.) In Windeseile transzendierte Hollywood vom geografischen zum mentalen Ort, wurde zum Synonym für die US-amerikanische Filmbranche, später dann zum Antagonisten unterschiedlichster Strömungen, von der Nouvelle Vague über die British New Wave bis zum New Hollywood-Kino.

Als Ursprungsort weltweit vertriebener Filmunterhaltung eroberte sich Hollywood schnell einen Platz in der Öffentlichkeit. Und ganz konform mit den Gesetzen der modernen Massenmedien fielen die Blicke in dieser Arena vor allem auf die Verfehlungen, die sich das Hollywoodvölkchen regelmäßig leistete. Das in den 1960er Jahren zunächst verbotene, zehn Jahre später wiederaufgelegte Buch „Hollywood Babylon“ von Kenneth Anger war ein boulevardeskes Kompendium teilweise, vermutlich sogar größtenteils ausgedachter Skandalgeschichten, das Hollywood als lasterhaften Ort von maroder Moral zeigte. Blickt man auf die Schilderungen jener Menschen, die in Hollywood gelebt, seine Werte und Gesellschaft hautnah miterlebt haben – Regisseure, Stars, Produzenten –, dann sind es tatsächlich oft Erzählungen von Niedertracht, Leid und Untergang. Viele Hollywoodbewohner:innen kamen aus ärmlichen oder allenfalls bescheidenen Verhältnissen, ehe sie in Los Angeles reich und berühmt wurden. Aber in unzähligen Fällen schien sich ihr privates Unglück lediglich zu verlagern oder aufzuschieben. Die soziale Mobilität, die Hollywood ermöglichte, war jedenfalls oft genug bloß ein Unglücksmoratorium. Eine Zeit lang ließ sich kommod im Reichtum schwelgen, ließen sich die Edeletablissements, Sportwagen und Strandhäuser genießen; aber bei etlichen Stars und Mächtigen überwog doch am Ende das Unheil, folgten Scheidungen, Bankrotte, Selbstmorde.

Hollywood präsentierte sich als abenteuerlicher Möglichkeitsraum, konnte sich aber auch schnell zum mentalen Gefängnis entwickeln, das seinen Insassen freilich eine komfortable Haft gestattete. „In this town, it’s not how you perceive yourself, it’s how others perceive you“ (Robert Aldrich zit. nach Petit, Chris/Combs, Richard: Interview with Robert Aldrich (1977), in: Miller, Eugene L./Arnold, Edwin T. (Hg.): Robert Aldrich. Interviews, Jackson 2004, S. 125–142, hier S. 139), resümierte (und warnte) der Regisseur Robert Aldrich (1918–83), der oft als Hollywoodaußenseiter apostrophiert worden ist, sich dem System mit seinen Zwängen und Routinen, so oft es ging, entzog, aber nichtsdestotrotz dort seine Karriere begonnen und auch für die großen Studios gearbeitet hatte. Einen dieser Zwänge brachte einmal die 1934 geborene Shirley MacLaine, die eine der langlebigsten Hollywoodkarrieren vorzuweisen hat, auf den Punkt: „Everyone in Hollywood wants to be appealing to large masses of people, particularly the bosses.“ (MacLaine, Shirley: My Lucky Stars. A Hollywood Memoir, New York u.a. 1996, S. 126.)

Als eines der traurigsten Beispiele für das Ausmaß von Erfolg und Scheitern dient ausgerechnet der erste Gigant der Filmgeschichte, D.W. Griffith. Der 1875 in Kentucky geborene Regisseur, Sohn eines Südstaatenoffiziers und ehemaliger Fahrstuhlführer in einem Kaufhaus, gilt als einer der einflussreichsten Filmemacher:innen überhaupt, auf seine Projekte gingen bahnbrechende Innovationen zurück, Techniken wie das Close-up, die unmittelbar in das kinematografische Standardrepertoire übergingen. Mit Produktionen wie „The Birth of a Nation“ (1915) erklomm der Film als künstlerisches Werk und Unterhaltungsprodukt ein völlig neues Niveau. Aber gerade Griffith, der Avantgardist des modernen Kinos, war auch eines seiner ersten prominenten Opfer. Bei dem epischen Stummfilmspektakel „Intolerance“ (1916) mit seinen kolossalen Kulissen und tausenden Statist:innen fielen Vision und Größenwahn zusammen. Mitr diesem Film verschaffte sich Griffith zwar Respekt, aber verschuldete sich hoch. Als auch später der Publikumserfolg ausblieb, wollte niemand mehr mit Griffith drehen. Der Regisseur, der die Grundpfeiler des Hollywood eingezogen hatte, das ihn nun fallen ließ, ruinierte sich im Alkohol und starb 1948 als verbitterter Trunkenbold.

Etliche Filme, viele davon in Hollywood produziert, blicken auf diesen sagenumwobenen, mythischen Ort an der US-amerikanischen Westküste, auf unterschiedliche Hollywoodepochen und -aspekte. Sie zeigen, dass sich Hollywood so wichtig nimmt, aus sich selbst ein eigenes Subgenre zu machen – den Hollywood-Film (Filme über Hollywood im Unterschied zu Hollywoodfilmen: Filmen aus Hollywood). Viele dieser Filme sind nicht nur für sich allein schon sehenswert – künstlerisch beeindruckend, packend erzählt oder cineastisch relevant –, sondern werden es spätestens, sobald man die zahlreichen Facetten beleuchtet, die sie mit dem „echten“ Hollywood verbinden.

Die kalifornische Filmindustrie spezialisierte sich von Beginn an auf den menschlichen Eskapismusbedarf. Hollywood entführte die Zuschauerinnen und Zuschauer:innen in ferne Länder, Zeiten, Szenarien; und weil die zivile Luftfahrt gerade erst ihren Anfang nahm, musste Hollywood all diese Orte lokal verfügbar machen – was zu den gigantischen Kulissengeländen führte, auf denen ganze Welten im Kleinformat entstanden. Durch seine kommerzielle Ausrichtung und, damit verbunden, die künstlerische Sensorik seiner Filmemacher:innen war Hollywood auch immer ein Indikator. Hollywoodproduktionen haben eine sehr straffe Intention, viel Geld zu verdienen. Diese Absicht impliziert die Notwendigkeit, die Bedürfnisse und Sehnsüchte der Menschen zu ergründen, zu kennen. Insofern lagert in Hollywoodfilmen oftmals eine mutmaßliche Publikumsmentalität, die sowohl etwas über die Schöpfer:innen als auch das anvisierte Publikum dieser Filme zu erzählen weiß. Regisseur:innen und Drehbuchschreiber:innen sind tendenziell hochkreative Köpfe, die Stimmungen, Mentalitätskonjunkturen, die Lage der US-amerikanischen Seele zu spüren meinen und diese Eindrücke in ihren Filmen verarbeiten.

Für die USA besaß Hollywood stets eine zwiespältige Bedeutung: Einerseits galt es als unfassbarer Sündenpfuhl, als Ort der Dekadenz und Skandale, des moralischen Abgrunds; andererseits erschien es als ultimative Bestätigung des American Dream, als die weit sichtbare Verwirklichung des in der Verfassung verbürgten Rechts auf das „pursuit of happiness“. Für viele war es daher ein Sehnsuchtsort, wo sich das vage Versprechen auf Reichtum und Glück tatsächlich verwirklichen ließ. Dass dies freilich nur einem Bruchteil der Menschen gelang, die dafür nach Los Angeles kamen, ließ sich geflissentlich ausblenden. Für Schauspieler:innen schien jedenfalls das maximale Ziel darin zu bestehen, Star eines der großen Filmstudios zu werden. Gleich mehrere Filme thematisieren diesen Traum und seine Verwirklichung – aber auch, wie er in einen Albtraum umschlagen kann.

„What Price Hollywood?“ aus dem Jahr 1932 zeigt den Aufstieg einer Kellnerin zum Superstar. Er ist zugleich der Urahn der „A Star Is Born“-Filme, in dessen erster Variante eine Frau ganz und gar gemäß dem amerikanischen Traum buchstäblich von der Tellerwäscherin zur Millionärin wird. „A Star Is Born“ ist inzwischen so etwas wie das Gütesiegel einer periodischen Selbstbeschau der US-amerikanischen Unterhaltungsindustrie. Der gleichnamige Originalfilm stammt aus dem Jahr 1937; darin spielen Janet Gaynor und Fredric March das tragische Duett der gegenläufig auf- und absteigenden Stars. Nach der Neuauflage im Jahr 1954 mit Judy Garland und James Mason in den Hauptrollen folgte dann 1976 eine dritte Version – diesmal mit den seinerzeitigen Entertainment-Granden Barbra Streisand und Kris Kristofferson (der sich im Hinblick auf seinen damaligen Lebenswandel als Alkoholiker darin größtenteils selbst spielt); die Hauptfiguren wurden von der Film- in die Musikbranche versetzt; 2018 folgte dann ein Remake des Remake-Remakes mit Lady Gaga und Bradley Cooper. Die Essenz der Geschichte ist bei allem Wandel jedoch gleich geblieben:

„An ambitious girl rises to the top while the man who has supported her and adores her goes to the bottom. She never ceases to love him, despite the fact, that the relationship becomes more and more impossible. And in the great tragedy, her love survives.“ (Selznick an William Wyler, 11.11.1949, zit. nach Behlmer, Rudy (Hg.): Memo from David o. Selznick. The Creation of Gone With the Wind and Other Motion-Picture Classics – as revealed in the producer’s private letters, telegrams, memorandums, and autobiographical remarks, New York 2000, S. 430.)

Das war der romantische Nukleus, den der Produzent David O. Selznick in den frühen 1930er Jahren für seine Idee wählte, einen ernsthaften, in vielen Aspekten realistischen Film über Hollywood zu drehen, um dem Publikum auf der ganzen Welt endlich Hollywoods Vielseitigkeit zu zeigen.

Die „A Star Is Born“-Filme entführen ihr Publikum nicht nur hinter die Kulissen des Showbusiness, womit sie zeigen, welch Leid und Quälereien großem Entertainment zugrunde liegen; sondern sie machen es zu Voyeur:innen, die mit ihrem bedenkenlosen Unterhaltungskonsum, mit ihrer wechselhaften Gunst und ihren kurzlebigen Sympathien ebendieses System unterstützen, aber auch mit ihrem Interesse an Skandalen und Fehltritten, den Sujets und Bildern der Boulevardpresse, immer neue Norman Maines (so der Name des tragischen Stars in den ersten beiden Versionen von 1937 und 1954) hervorbringen. Der Blick auf die düsteren Seiten der Filmindustrie im Allgemeinen, Hollywoods im Besonderen erreicht hier zwar nicht das schonungslose Niveau des New Hollywood-Kinos in den späten Sechzigern und frühen Siebzigern; aber es sind doch erstaunlich (selbst-)kritische Perspektiven auf unerbittliche Systemmängel: den unstillbaren Hunger der Öffentlichkeit auf Enthüllungen und den damit einhergehenden Verlust jeglicher Privatsphäre; die erbarmungslose Priorität von PR-Strategien; oder den Box-Office-Erfolg – das Einspielergebnis an den Kinokassen – als das Maß aller Dinge. Insbesondere die 1954er „A Star Is Born“-Variante steckt zudem voller realer Tragik, wie sie sich keine Drehbuchabteilung hätte ausdenken können. Große Teile der Dialoge wurden unverändert dem Original von 1937 entnommen; aber die Tragiktiefe, welche die 1954er Version erreicht, ist durch das Schicksal der Judy Garland doch eine ganz und gar andere.

Deutlich düsterer wird es dann in „The Bad and the Beautiful“ (1952), der die unerhörte Skrupellosigkeit eines Filmproduzenten (gespielt vom späteren Produzenten Kirk Douglas) zeigt. Auf den Filmemacher blickt der Film aus drei unterschiedlichen Perspektiven: des Regisseurs, des Stars und des Drehbuchautors. Im selben Jahr erschien ein anderer (Hollywood-)Film über Hollywood, der in Optik und Stimmung wie ein Gegenstück zu „The Bad and the Beautiful“ anmutet: „Singin’ in the Rain“, das ultimative Hollywoodmusical. Er spielt in den späten 1920er Jahren und befasst sich – wie „The Artist“ (2011) – mit dem Aufkommen des Tonfilms als Herausforderung für Studios und Künstler:innen. Im Frühjahr 1928 triumphierte Warner Bros. mit „The Jazz Singer“ (1927) als erstes Studio, das Tonfilme drehte (mit dem „Vitaphone“-System). Als „The Jazz Singer“ zum Kassenkracher geriet, dämmerte – wie in „Singin’ in the Rain“ – selbst den störrischsten Technikskeptiker:innen, dass sich dieses neue Verfahren nicht mehr länger ignorieren ließ. An diesem Punkt steigt „Singin’ in the Rain“ ein: Beim Dreh eines Kostümstreifens wird gezeigt, wie die Techniker und der Regisseur mit der neuen Dimension des Tons hadern, indem sie erst mit der geeigneten Position für das Mikrofon experimentieren müssen und die Hauptdarstellerin ständig die geeignete Position vergisst, um eine brauchbare Aufnahme zu erzielen. Das bunte Technicolor-Spektakel sprüht vor Elan und Heiterkeit – die Strapazen, die mit dem perfektionistischen Dreh der furiosen Tänze verbunden waren, bleiben darunter völlig verborgen. Von der Transitionsphase mit dem Übergang vom Stumm- zum Tonfilm erzählt auch „It Happened in Hollywood“ (1937), dessen zwei Stars Richard Dix und Fay Wray diesen technologischen Gezeitenwechsel rund zehn Jahre zuvor selbst miterlebt hatten.

Welchen Größenwahn und unerhörten Reichtum die Stummfilmära in Hollywood gebar und was das unfreiwillige Karriereende aus den einstigen Stars machen konnte, hat wohl kein Film so kunstvoll und tragikomisch beschrieben wie Billy Wilders „Sunset Blvd.“ aus dem Jahr 1950. Der Film zeigt das Schicksal eines Ex-Stars, Norma Desmond, einer in Vergessenheit geratenen Schauspielerin, die von ihrer Rückkehr auf die Leinwand träumt und daran zerbricht. Dieser Aspekt der Ruhmsucht und des Bedeutungsverlustes durchströmt auch Robert Aldrichs „What Ever Happened to Baby Jane?“ (1964) – nicht nur durch die Story um zwei ungleiche Has-beens, sondern allein schon verkörpert von den beiden Hauptdarstellerinnen Joan Crawford und Bette Davis, die damals alle Studios bereits abgeschrieben hatten und denen gegen alle Erwartungen mit diesem Film ein phänomenales Comeback gelang. Apropos Bette Davis: Sie spielt die Protagonistin von „The Star“ (1952), eine einstmals erfolgreiche Darstellerin, deren Ressourcen versiegt und Reserven aufgebraucht sind. Der Film zeigt die Rückkehr zur Normalität als weitaus größeres Problem als die Star-Werdung.

Ein Vierteljahrhundert nach „Sunset Blvd.“ griff Wilder das Thema der Star-Pathologien erneut auf, in seinem vorletzten Film „Fedora“ (1978), diesmal allerdings aus einer Position, die unweigerlich an Norma Desmond erinnerte: eine einstmals gefeierte Hollywoodgröße, die niemand mehr engagieren will. Wilder war damals bekümmert, dass seine Filme im Hollywoodkino der Siebziger keinen Platz mehr hatten, dass er nach Europa gehen musste, um sich von steuersparenden Zahnärzten finanzieren zu lassen. Die Siebziger müssen für Wilder eine ungemein morbide Dekade gewesen sein, in der seine Art des Filmemachens – eine ganze Kultur und Philosophie – verblichen schien; und diese Verbitterung reflektiert letztlich „Fedora“.

Der Billy Wilder, der in den späten Siebzigern „Fedora“ drehte, war vor dem Hintergrund, dass sich Filme wie „Earthquake“, „The Towering Inferno“ (beide 1974) oder „Jaws“ (1975) an den Kinokassen als gigantische Hits erwiesen hatten, ein konsternierter Mensch, der nicht glauben konnte, dass audiovisuelle Effekte – eine Hai-Attrappe! – den gleichen Stellenwert haben konnten wie ausgefeilte Dialoge. Hatte Wilder 38 Jahre zuvor in „Sunset Blvd.“ (1950) die drastische Vergänglichkeit des Starruhms und die brachiale Verdrängung einer ganzen Schauspielgarde am Ende der Stummfilmära ergründet, lag sein Fokus in „Fedora“ auf dem paranoiden Schönheitswahn und Perfektionsstreben des Showgeschäfts – und wie diese ewige Pathologie der Unterhaltungsbranche eine ganze Kette von Schicksalen im Umfeld des Stars ruiniert. In keinem Film ist Hollywood so präsent, ohne eigentlich jemals wirklich gezeigt zu werden, wie in „Fedora“ – worin sich ausdrückt, dass Hollywood mehr mentaler Topos denn geografischer Ort ist.

Dass auch eine scheinbar intakte Star-Karriere nicht automatisch Glück zu bringen vermag, damit befassen sich „The Goddess“ (1958) und „Inside Daisy Clover“ (1965). „The Goddess“, mit Kim Stanley in der Hauptrolle als Rita Shawn, ist der ultimative Film über die Leere der Fülle, wenn der maximale Leinwanderfolg mit völliger Vereinsamung und Ziellosigkeit einhergeht und tief reichende Probleme lediglich verdeckt. Auf dem Weg einer jungen Frau zum Hollywoodruhm bleiben erst ihre Tochter, dann ihr zweiter Ehemann und schließlich sie selbst auf der Strecke. „Inside Daisy Clover“ handelt von einem Mädchen, das in den 1930er Jahren beim Aufbruch nach Hollywood sein Glück kaum fassen kann, später dann seinen Kopf in den Gasofen steckt, um sich umzubringen: von der frechen Autogrammfälscherin Daisy Clover, die dank eines Talentwettbewerbs selbst zum Star wird. Das Mädchen, das nach Hollywood geht und berühmt wird – es ist die Geschichte von Natalie Wood selbst, die Daisy Clover spielt.

Die autokratischen Studiobosse, die Daisy Clover ausbeuten und mit Norma Desmond, Fedora oder Rita Shawn Millionen scheffeln – die berüchtigten Hollywoodmoguln –, tauchen in fast allen Filmen auf, am stärksten jedoch in „The Last Tycoon“ (1976). Die Literaturverfilmung des unvollendeten letzten Romans von F. Scott Fitzgerald zeigt einen nur schwach kaschierten Irving Thalberg, das legendäre Wunderkind der US-amerikanischen Filmbranche in den späten 1920er und frühen 1930er Jahren. Auf wenige Menschen der Hollywoodhistorie sind derart grandiose Elogen gehalten wurden wie auf Thalberg, „possibly one of the greatest geniuses ever in the picture business“ („The Wizard of Oz“-Produzent Mervyn Leroy 1974 zit. nach Stevens, Jr., George: Conversations with the Great Moviemaker’s of Hollywood’s Golden Age at the American Film Institute, New York 2006, S. 146.). Thalberg, so Howard Hawks, einer der bedeutendsten Regisseure aller Zeiten, habe „more brains than anybody else in the picture business“ gehabt (Howard Hawks zit. nach Lehman, Peter/Staff: Howard Hawks: A Private Interview (1976), in: Breivold, Scott (Hg.): Howard Hawks. Interviews, Jackson 2006, S. 159–192, hier S. 169). An der fiktiven und doch eben realen Figur des Monroe Stahr, gespielt von einem jungen Robert De Niro, werden Magie und Härte des Filmemachens in der Studio-Ära des Golden Age von Hollywood sichtbar. Der von Elia Kazan erdachte Schluss drückte indes weniger Monroe Stahrs als seinen eigenen, Kazans, Abgang am Ende des Films aus – „The Last Tycoon“ war Kazans letzte Regiearbeit, die letzte Szene des Films zugleich Kazans letzter Regiemoment.

Die Thalberg-Romantik wurde indes auch oft kontrastiert, vielleicht am stärksten in den beiden Aldrich-Filmen „The Big Knife“ (1955) und „The Legend of Lylah Clare“ (1968), die den Studioboss jeweils mit starken Anspielungen auf reale Persönlichkeiten als cholerischen, bisweilen psychopathischen Tyrannen zeigen. Darin reflektierte sich sicherlich auch Robert Aldrichs Meinung über die Studiodiktaturen. Noch etwas weiter ging Blake Edwards, der sich von Studiolenkern beinahe in den Tod getrieben fühlte und sich gleich mit zwei Filmen an Hollywood rächte: In „S.O.B.“ (1981) zeigt er den an reale Vorbilder angelehnten Studiochef in Strapse, in „Sunset“ (1988) – angesiedelt im Hollywood der späten Dreißiger – macht er den Studioboss sogar zum sadistischen Mörder.

Zu was sich Hollywood in den Jahrzehnten nach den großen Studiobossen, die in den 1960er Jahren quasi buchstäblich ausstarben, entwickelte, inszenierte Robert Altman 1992 in „The Player“ mit satirischer Schärfe. Die Yuppie-Produzenten scheinen hier nur noch auf den Box-Office-Appeal prominenter Namen zu achten – das taten die Cohns, Mayers und Warners des alten Hollywood natürlich auch, doch waren sie daneben von erstaunlicher Leidenschaft und bemerkenswertem Sendungsbewusstsein getrieben. Nachdem sie abgetreten waren und an ihrer statt nun Geschäftsleute mit meist kurzlebigen Karrieren an den Studiospitzen regierten – ein Hollywood, das „What Just Happened“ (2008) zeigt –, schuf Peter Bogdanovich mit „Nickelodeon“ (1976) eine Slapstickhommage, die sogar gleich in die Hollywood-Inkunabeln der 1910er Jahre abtauchte, als das Filmemachen so spontan und fluide war, dass man notfalls auf einer Straußenfarm drehte.

„Postcards from the Edge“ (1990) indes kreist um eine Showbusiness-Familie, in der die Kinder mitunter drohen, an der Prominenz der Eltern zugrunde zu gehen. Romanvorlage und Drehbuch stammen von Carrie Fisher, Tochter der berühmten „Singin’ in the Rain“-Aktrice Debbie Reynolds und des gleichfalls prominenten Entertainers Eddie Fisher, die 1977 mit „Star Wars“ selbst zum Star avancierte, ehe sie vollends in eine selbstzerstörerische Drogen- und Alkoholsucht abdriftete, die sie in dem Film mit seinen starken Wirklichkeitsbezügen verarbeitet. Eine andere Literaturadaption ist „The Day of the Locust“ (1975), die Verfilmung der über die Jahre zum Kultbuch gereiften Nathanael-West-Novelle gleichen Namens aus dem Jahr 1939, in der sich die Frustration der von Hollywood ausgeschlossenen und Blockierten am Ende in einem fürchterlichen Gewaltexzess entlädt und das Verträumte an der Traumfabrik – der Geist, in welchem die Protagonistinnen von „What Price Hollywood?“ oder „A Star Is Born“ einst voller Hoffnung in die Stadt kamen – jäh vergeht.

Natürlich gibt es noch weitaus mehr Filme über Hollywood. Doch fällt eine Totalerhebung ab einem gewissen Ausmaß schwer, woraus stets der Zwang zur pragmatischen Eingrenzung – und somit Auswahl – folgt. Die hier versammelten Texte konzentrieren sich daher auf Filme, die erstens ein breites Spektrum an Perspektiven auf Hollywood eröffnen und in denen sich zweitens oft auch die Zeit ihrer Entstehung widerspiegelt, weshalb sie in vielen Fällen gleich zu mehreren Epochen des Hollywood’schen Filmemachens etwas zu berichten haben.

What Price Hollywood? (1932)

Mary Evans ist in die Stadt gekommen, die im Land der unbegrenzten Möglichkeiten noch ein paar Möglichkeiten mehr verspricht. Sie ist der Prototyp einer bestimmten Hollywoodspezies: der Aspirantin, der Star-Anwärterin ohne Anwartschaft. Es ist die Zeit, in der die Automobile vor dem Start noch angekurbelt werden müssen, in der Kinosäle etwas stärker als heute Portale zu anderen Welten sind. Das Aufkommen des Tonfilms liegt erst fünf Jahre zurück und auf dem Mount Lee schlängelt sich noch „Hollywoodland“ über den Hang. Evans (Constance Bennett) hat sich in einem kleinen Zimmer eingemietet und taktisch geschickt an einen der zentralen Umschlagplätze des Hollywoodbetriebs begeben; zwischen ihren ständigen Besuchen in den Casting-Büros kellnert sie in einer der angesagten Locations der Stadt, dem „Brown Derby“, das seinem Namen entsprechend die Form einer riesigen Melone hat und dessen Standort damals am Wilshire Boulevard lag. Dort verdient Evans nicht nur das Geld, um die Zeit bis zum Moment ihrer erhofften Entdeckung zu überbrücken, sondern sie kann dort genau darauf lauern: auf all die Produzenten und Regisseure, die sich an die Tische begeben, um Geschäftliches zu besprechen oder einfach nur um im ewigen Spiel des Sehens und Gesehen-Werdens mitzumischen. Das „Brown Derby“ ist eines von Hollywoods In-Restaurants, wo einen die Filmleute mit billigen Anmachsprüchen und profanen Tauschangeboten à la Körper gegen Karriere behelligen („Hello, sugar. Say, do you wanna go into pictures? There’s a great part for a girl like you.“). Zu Hause in ihrem kleinen Appartement übt sie vor dem Spiegel die Posen der Stars ein, die sie sich aus den Fanmagazinen abschaut. Mary Evans träumt den Traum, den Unzählige vor und nach ihr geträumt haben.

Aber hatte sich dieser Traum nicht schon für so viele erfüllt? Waren nicht fast alle Hollywoodstars mit ihren Villen, Pools und Limousinen aus einfachen, nicht selten ärmlichen Verhältnissen hervorgegangen? Insofern träumt Mary Evans wohl nicht zu Unrecht. Und ihre spätere Entdeckung durch eine glückliche Restaurantbegegnung ist denn auch – zumindest im Film – der Beweis für den Hollywoodmythos, dass sich zu träumen lohnt; und sie zeigt die Macht und Bedeutung des Zufalls in der Filmbranche.

Evans will also unbedingt entdeckt werden, hat sich mit ihren Hochglanzmagazinen auf die glamouröse Hollywoodwelt vorbereitet und tauscht eines Abends eilig mit einer Kollegin, damit sie den just hereinspazierten Regisseur bedienen – und hoffentlich beeindrucken – kann. Dieses berechnende Buhlen um die Aufmerksamkeit der Filmemacher mit fingierten Begegnungen in einem Restaurant, sich für einen kurzen, entscheidenden Moment zu zeigen und adrett zu posieren, das wird auch in einer Szene in „Variety Girl“ (1947) ausgebreitet, die sich in der 1929 eröffneten Hollywoodfiliale des „Brown Derby“ zuträgt: Darin fasst die Schauspielaspirantin Amber La Vonne (Olga San Juan) zwei Filmleute ins Auge, die gerade das Restaurant betreten haben, und lässt sich von der Rezeption aufrufen, dringend zum Telefon zu kommen (so wie dort tatsächlich damals Gäste bei Telefonanrufen ausgerufen wurden); zuvor passiert der Möchtegernstar La Vonne zuerst den Tisch der beiden Männer und spricht dann so laut in den Telefonhörer (in Wirklichkeit ist niemand dran), dass ihre Stimme zugleich vom Mikrofon der Rezeption erfasst und per Lautsprecher in den ganzen Saal übertragen wird – in ihrem Fake-Gespräch imitiert sie den Dialog des Drehbuchschreibers, der mit dem Regisseur am Tisch sitzt, den sie von sich begeistern will. In „A Star Is Born“ (1937), dem Quasi-Remake von „What Price Hollywood?“, versucht die Protagonistin Esther Blodgett (Janet Gaynor) auf einer Hollywoodparty, mit Mae-West- und Greta-Garbo-Imitationen die Filmschaffenden von ihrem Talent zu überzeugen. Auch Mary Evans übt sich in ihrer Wohnung in einer Imitation, in diesem Fall von Greta Garbo.

Ist Evans mit ihrer Aufstiegs- und Entdeckungsambition ein typisches Hollywoodgeschöpf, so ist es der Mann, den sie bedient, erst recht: der berühmte Regisseur Maximilian Carey, der am Premierenabend seines neuen Films reichlich beschwipst erst einmal an alle Gäste im „Brown Derby“ Gardenien in Wassergläsern verteilen lässt, die er großmütig einer alten Frau an der Straße abgekauft hat. Zur Premiere fährt er nicht mit seiner Limousine vor (in der hat er die Gardenienverkäuferin nach Hause chauffieren lassen), sondern in einer Rostlaube, deren überhitzter Kühler bei der Ankunft am roten Teppich dampft. Und an seiner Seite: Mary Evans. Ihre Schlagfertigkeit hat ihm gefallen, außerdem hatte er seine ursprüngliche Verabredung ohnehin schon versetzt. In dieser Nacht muss es noch feuchtfröhlich zugegangen sein, denn als Max Carey am nächsten Morgen durch das Telefonklingeln verkatert im Bett seiner Villa in den Hollywood Hills erwacht, kann er sich an nichts erinnern. Auf dem Sofa in seiner Bibliothek schläft allerdings eine Frau, die ihn zusammen mit dem Taxifahrer ins Haus geschleppt hat, wie ihm sein Butler berichtet, während sich Carey bereits neuen Alkohol einflößt. Evans erzählt ihm von seiner Jodeldarbietung – und dass sie ihren Job im „Brown Derby“ für ihn geschmissen habe. Sie will eine Chance und er verschafft ihr einen Screentest am Set seines aktuellen Filmprojekts.

Wie die Star-Aspirantin sich dann am Set als blutige Anfängerin erweist und ihren Screentest vermasselt, ist eine unterhaltsame Szene – selten ist Dilettantismus derart professionell gespielt worden wie hier von Constance Bennett (Bennett war von 1941 bis 1945 mit Gilbert Roland, dem „Gaucho“-Darsteller aus dem ebenfalls in diesem Buch besprochenen „The Bad and the Beautiful“ (1952), verheiratet). Bennetts Mary Evans gibt aber nicht auf und vermittelt dabei gleich noch eine weitere Hollywoodweisheit: Neben der Gnade des Zufalls bedarf es auch der Hartnäckigkeit und des Durchhaltevermögens, den Zufallsmoment abzuwarten und Rückschläge wegzustecken. So kommt Mary Evans jedenfalls doch noch zu ihrer Karriere – ein Siebenjahresvertrag wird ihr angeboten, wie es damals eben üblich war, um vielversprechende Talente möglichst risikofrei langfristig zu binden.

Nachdem Carey ihr zum Einstieg verholfen hat, ist Evans nun in den Händen des Studiobosses der Saxe Productions. Julius Saxe, gespielt von Gregory Ratoff, ist eine schillernde Figur, ein jovialer Autokrat und umtriebiger Filmemacher, mehr Mann der Tat denn kontemplierender Grübler. Als er ihren Namen hört, will er ihn sofort ändern lassen, nur um in seinem stürmischen Vorwärtsdrang dies sofort wieder zu vergessen und „seine“ Neuentdeckung sogleich den versammelten Abteilungsleitern mit den Worten vorzustellen: „I want you to meet our new star.“ Die Star-Werdung par ordre du mufti. Ohne neben dem Namen auch nur ein weiteres Detail ihrer Biografie und Lebensweise zu kennen, ordnet Saxe als Nächstes eine landesweite Werbekampagne an, um der ganzen Nation seinen neuen Star als „a typical American girl“ zu präsentieren – nein, noch besser: als „America’s pal“ (eine Anspielung auf Mary Pickfords Status als „America’s Sweetheart“). Und wie als Beweis für die wundersame Macht Hollywoods leuchtet kurz darauf tatsächlich Mary Evans’ Name von den Portalen der großen Kinos, das Insigne eines gültigen Star-Status – a star is born.

Als für einen ihrer Filme eine Partie auf dem Santa Barbara Polo Field gefilmt wird, trifft Evans auf den Polocrack Lonny Borden (Neil Hamilton) – es ist die Begegnung von West- und Ostküstenelite, von Homo novus und Patrizier, von neuem und altem Geldadel. Borden lädt Evans zum opulenten Luxusdinner mit Dienerschar und eigenem Orchester ein (genauer: Als sie ihn versetzt, fährt er zu ihrer Villa, bricht durch die Scheibe in ihr Schlafzimmer ein und verschleppt sie); anschließend schwelgen die beiden in Champagner und Kaviar.

Will man die filmhistorische Dimension von „What Price Hollywood?“ erfassen, fällt der Blick unweigerlich auf David O. Selznick, den Produzenten des Films. Wann immer jemand die Granden der „klassischen“ Hollywoodära aufzählt, ist fast immer auch Selznicks Name unter den Genannten. Selznick war „a big man of enormous energies and appetites, with a great capacity for work and life“ (Huston, John: An Open Book, New York 1994 [1980], S. 268), erinnerte sich der legendäre Regisseur John Huston; „extravagant in everything he did – or should I say magnificent?“ (Huston 1994, S. 269.) Auch in seiner ganzen Erscheinungsweise war Selznick eine imposante Figur: von großer Statur, „a giant panda of a man, standing about six feet two and permanently struggling with a weight problem“ (Niven, David: Bring on the Empty Horses. True Tails From the Golden Age of the Silver Screen, London 2006 [1975], S. 187), zudem Kettenraucher mit einer Vorliebe für trockene Martinis. Selznick galt als Schürzenjäger und empfing Leute, die er vielleicht unter Vertrag nehmen würde, im Frotteebademantel. Auf Partys schwang der extrem kurzsichtige Selznick im Martini-Rausch gerne mal gegen verschwommene Kontrahenten die Fäuste und ging meistens zu Boden.

Der New Yorker Selznick (1902–65) war mit Anfang zwanzig nach Hollywood gekommen, seine ganze Familie steckte tief im Filmbusiness – der Vater hatte ein eigenes Studio, für das der ältere Bruder Filme produzierte. Die Firma ging jedoch pleite und hinterließ einen vor Talent und Ambition strotzenden David O. Selznick, der nun in Los Angeles sein Glück versuchte. Im Herbst 1931 machte die kriselnde RKO – damals eines der größten Filmstudios – Selznick zu ihrem Produktionsleiter. Zwischenzeitlich hatte er sich als Schwiegersohn des MGM-Autokraten Louis B. Mayer in die Hollywoodaristokratie eingeheiratet. Selznick galt als derart begabt und erfolgreich, dass ihn sogar Metro-Goldwyn-Mayer (MGM) von RKO zurückholte, obwohl Mayer mit den Selznicks eine uralte Fehde verband und er sich mit aller Macht gegen den Eheschluss zwischen seiner Tochter Irene und David O. Selznick gestemmt hatte.

Obzwar der Name Selznick für den Hollywoodmogul Mayer also ein rotes Tuch war und er sich fürchterlich über die Heiratsabsichten seiner jüngsten Tochter aufgeregt hatte, schien Selznick offenbar über ein solchermaßen herausragendes Filmgespür zu verfügen, dass selbst der große Louis B. Mayer ihm nicht widerstehen konnte. Selznick wiederum gelang nicht nur, als ungebetener Schwiegersohn in die MGM-Führungsspitze Einzug zu halten, sondern obendrein der spektakuläre Coup, MGM gegen den Willen Mayers nach kurzer Zeit wieder zu verlassen, um seine eigene Produktionsfirma zu gründen und dennoch den größten Star seines Ex-Arbeitgebers für ebendieses Vorhaben zu gewinnen: Selznick lieh sich von MGM dessen Superstar Clark Gable aus, um „Gone with the Wind“ (1939) zu drehen.

Selznick war nicht nur einer der fähigsten Filmemacher:innen, die jemals über die Studiogelände der Weltgeschichte wandelten, sondern auch eine der wichtigsten Gestalten in der Hollywoodcommunity. Die Sonntagnachmittage am Selznick-Pool in Beverly Hills gehörten zu den begehrtesten Freizeit-Events der Branche. Selznick-Partys waren die Orte, an denen sich Hollywood vernetzte, wo man sich kennenlernte, Freund- und Feindschaften schloss. Und auf anderen Zusammenkünften zählte Selznick zu den Hollywoodleuten, neben denen all diejenigen sitzen wollten, die gerade ihre Karriere in Gang setzen, wiederbeleben oder vorantreiben wollten. Die Anekdoten sind Legion: An Selznicks Tennisplatz waren an manchen Nachmittagen Marlene Dietrich, Claudette Colbert und Paulette Goddard gleichzeitig als Zuschauerinnen zugegen; John Huston und Errol Flynn lieferten sich nach einer Party vor Selznicks Haus eine epische Prügelei. Selznick besaß überdies ein nahezu untrügliches Gespür für Talent: Er holte Alfred Hitchcock in die USA, entdeckte Katharine Hepburn, bereitete Fred Astaires Einstieg ins Filmgeschäft vor und schickte einst eine Mitarbeiterin nach Schweden mit der Anweisung, bloß nicht ohne einen Vertrag mit einer gewissen Ingrid Bergman zurückzukehren. Sein kassenträchtiger Instinkt erstreckte sich auch auf Filme: Selznick hatte früh das Box-Office-Potenzial von „King Kong“ (1933) gewittert und dem Projekt weitere Gelder zugeführt, womit er den größten Hit in der RKO-Geschichte beförderte. Neben „Gone with the Wind“ stand er auch hinter „Duel in the Sun“ (1946) oder „Rebecca“ (1940).

Selznick war freilich nicht nur ein grandioser Filmemacher, sondern auch einer der Produzenten, die sich – zum Verdruss vieler Regisseure – gerne in die Filmprojekte einmischten, ein Kontrollfreak, der auch die Karrieren aller Schauspielerinnen und Schauspieler, die bei ihm unter Vertrag standen, nur allzu gern bestimmte. Seine Regisseure malträtierte der Produzent mit seitenlangen Memoranden, in denen er seine Vorstellungen und Anweisungen an den Set übermittelte. Billy Wilder hätte „es nie ausgehalten, einen Produzenten wie Selznick ständig als eine Art Aufseher“ (Billy Wilder zit. nach Karasek, Hellmuth: Billy Wilder. Eine Nahaufnahme, Hamburg 1992, S. 120) anwesend zu haben.

„What Price Hollywood?“ entstand 1932, in der kurzen Zeit also, in der Selznick zwischen Ende 1931 und Anfang 1933 den Filmausstoß von RKO kontrollierte, ehe er das Studio im Streit wieder verließ. Damals übernahm also „a very bright, spectacularly promising, youngish man“ (Olivier 2002, S. 95) die Geschicke von einem der „Big Five“, der fünf Major-Studios in Hollywood (neben RKO noch Paramount, MGM, Warner Bros. und Twentieth Century-Fox). „What Price Hollywood?“ war zwar ein Herzensprojekt des aufstrebenden Selznick, doch geschrieben hatte es im Kern die Journalistin und Drehbuchautorin Adela Rogers St. Johns. Ihre Geschichte „The Truth About Hollywood“ kaufte Selznick im Jahr 1932 und ließ sie von Jane Murfin dramaturgisch überarbeitet in ein Drehbuch fassen.

Die Entstehung des Films steht geradezu exemplarisch für die hektische Kreativität und den haarsträubenden Improvisationsdruck, unter denen in Hollywood bisweilen gearbeitet wurde. Weil der Star des Films, Constance Bennett, nur für relativ kurze Zeit dem Projekt zur Verfügung stand, ehe sie den nächsten Streifen zu drehen hatte, mussten sich alle mit dem Drehbuch befassten Köpfe beeilen. Weil Murfins Werk nach Meinung der Produzenten noch Witz und Esprit fehlten, wurden mehrere Skriptdoktor:innen darauf angesetzt, die teilweise noch am Abend vor dem jeweils nächsten Drehtag die benötigten Szenen schrieben. Einer von ihnen war Gene Fowler, einst New Yorker Reporterstar, der so schillernde Figuren wie die Westernlegende Buffalo Bill, den Schwergewichtschampion Jack Dempsey oder das dauerbetrunkene Schauspielgenie John Barrymore zu seinen Freunden zählte. Und letztlich – nicht unüblich – erschien „The Truth About Hollywood“ bekanntlich dann unter einem ganz anderen Titel (eine weitere Alternative lautete „Hollywood Merry-Go-Round“ und sollte zu vertrauter Jahrmarktsmusik die Figuren des Films auf einem großen Karussell zeigen, während im Hintergrund charakteristische Hollywoodschauplätze eingeblendet würden).

Laut der Filmhistorikerin J.E. Smyth sei es Selznick vor allem um den Blick auf eine gerade untergegangene Epoche gegangen. Obwohl Selznick bei der Entstehung von „What Price Hollywood?“ mit gerade einmal Anfang dreißig noch beinahe als pausbäckiger Hollywoodproduzent daherkam und Hollywood mit seiner überschaubaren Historie ja eigentlich selbst noch sehr jung war, waren sowohl Hollywood als auch Selznick mit dem Ende der Stummfilmära doch zweifellos bereits in einen neuen Geschichtsabschnitt eingetreten. Selznick hatte diese Transition nicht nur überstanden, sondern befand sich in schier unaufhaltsamem Aufstieg. Insofern gehörte er schon mit Ende zwanzig bereits zwei Zeitaltern der US-amerikanischen Filmgeschichte an. Und er hatte gerade den Tod unzähliger Karrieren miterlebt: Mary Pickford, Douglas Fairbanks oder Pola Negri gehörten urplötzlich der Vergangenheit an. Selbstmorde und Suchttode folgten. Selznick wollte die Leidtragenden des technischen Fortschritts und der üblichen Karrierekonjunkturen der im Talkie-Rausch drohenden Vergessenheit entreißen – und er wollte mit diesem Thema viel Geld verdienen, da er auf den Voyeurismus des Kinopublikums vertraute, sich Einblick in die geheimnisvolle Welt der Stars und Sternchen verschaffen zu wollen. Ein Film über Clara Bow sollte her.

Wie vielleicht keine Zweite verkörperte Bow (1905–65) den rasanten Aufstieg zum ultimativen Star und dessen ebenso abruptes Verschwinden. Bow, kurz nach der Jahrhundertwende in Brooklyn geboren, stammte aus einfachen Verhältnissen und einer fragilen Familie – die Mutter psychisch krank, der Vater ein häufig arbeitsloser Kellner, mithin eine Verrückte und ein Taugenichts als Elternpaar –; schon früh träumte sie von einem Leben als Filmstar, gewann einen Talentwettbewerb in einem Fanmagazin, der ihre Entdeckung beförderte, und zu Beginn der Roaring Twenties nahm ihre Hollywoodkarriere dann tatsächlich Fahrt auf. Privat hatte Bow zahllose Probleme, oft schlechte Presse (Affären und Glücksspiel, Rauschgift und Alkohol). Viele in Hollywood waren promiskuitiv, alkohol- und/oder drogenabhängig – aber meist in der Lage, ihre Abstürze vor der Öffentlichkeit geheim zu halten; Clara Bow war nicht einmal gewillt, es auch nur zu versuchen. Als die 1930er Jahre mit der Wirtschaftskrise hereinbrachen, da schienen emanzipierte Frauenfiguren aus den wilden Zwanzigern mit der sexuellen Aura einer Clara Bow – dem „It Girl“ – nicht mehr gefragt; insbesondere, wenn sie sich wie Bow ihrer gewaltigen Star-Macht bewusst waren und sich nicht mehr so leicht wie früher vom Studio kontrollieren ließen, zumal andauernd von der Presse verrissen wurden. Wann immer Menschen Hollywood für einen Sündenpfuhl hielten, schien Bow die Bestätigung zu sein. Weil Paramount sie aber nicht feuern konnte, ließ man sie einfach so lange allein, bis sie sich emotional ausgebrannt von selbst aus dem gehässigen Gewerbe zurückzog.

Selznick indes, der Clara Bow aus gemeinsamen Paramount-Tagen kannte, war vermutlich nie ein Unterstützer der Anti-Clara-Bow-Front gewesen und hätte ihren Star-Appeal ungeachtet moralischer Bedenken am liebsten weiter in Kinokassenerfolge umgemünzt. Und so telegrafierte er im März 1932 an das New Yorker RKO-Büro euphorisch: „Suggest sensational comeback for Clara Bow in a Hollywood Picture titled ‚The Truth About Hollywood.‘“ (Telegramm von Selznick an RKO vom 04.03.1932, zit. nach Behlmer 2000, S. 47.) Damit wollte Selznick nicht nur den nach wie vor großen Namen Clara Bow zurück auf die Kinoleinwand bringen; darüber hinaus wollte Selznick RKO auf dem in seinen Augen profitablen Feld der Hollywoodfilme aufstellen, das schließlich „What Price Hollywood?“ bestellen sollte.

Allerdings strebte Selznick nicht nur nach einem Film über und mit Clara Bow. Der Blick auf die Branche war ihm ein persönliches Anliegen. Denn auch Selznicks Vater zählte zu den Opfern der Vergangenheit. L.J. Selznick, 1870 im russischen Zarenreich geboren und 1888 in die USA emigriert, gehörte zu den allerersten Filmproduzenten. Mit etwas mehr Glück wäre er von New York aus in die Riege der Warners, Mayers und Zukors aufgestiegen; aber stattdessen hatte er Schulden angehäuft und verpasst, wie die großen Studios eigene Kinoketten und Distributionskanäle aufzubauen. Auch hatte er kein Geld für Stars – in einer Zeit, in der beim wachsenden Publikum kein Film ohne die Mitwirkung populärer Gesichter mehr eine Chance zu haben schien. Ende 1922 war der alte Selznick als Filmproduzent jedenfalls gescheitert und keiner der großen Moguln geworden. Im Februar 1923 war die New Yorker Selznick Pictures Corporation mitsamt ihrem Büro in Los Angeles erledigt; ihr Bankrott und das Schicksal seines Vaters hatten den damals Anfang zwanzigjährigen Selznick für immer geprägt. Durch Bow und den alten Selznick wusste er, was ein Scheitern in der Filmbranche mit den Menschen machen konnte.

„What Price Hollywood?“ hat nicht die Schonungslosigkeit und den Zynismus eines New Hollywood-Films. Aber gerade weil er nicht im Fahrwasser einer bestimmten Bewegung entstand, ist er so besonders. Selznicks Projekt zeigt, wie Prominenz und PR-Verpflichtungen das Privatleben der Stars zerrütten und kaputtmachen konnten. Er zeigt das glamouröse Star-Leben als zwiespältige Angelegenheit, als Quell privaten Unglücks und entzaubert die Hochglanzbilder von Gable, Garbo & Co. Faszinierend sind vor allem die Wirklichkeitsbezüge des Films.

Das betrifft zunächst die Einblicke in das Filmemachen, das Arkanum der Hollywoodstudios, in die Normalsterbliche damals ja nie gelangten. „What Price Hollywood?“ bediente die mutmaßliche Neugier seines damaligen Publikums, indem er etwas über das Mysterium des Filmemachens und dessen technische Komplexität preisgab. Eine kurze Sequenz veranschaulicht das geschäftige Treiben in den Straßen zwischen den Soundstages auf dem Studiogelände. Kameramann und Tontechniker werden an ihren Arbeitsgeräten gezeigt, man sieht die immensen Scheinwerfer am Rande des Sets, beim Dreh dann die auf einem fahrbaren Gestell mitsamt Kinematografen und Regisseur drapierte Kamera, wie sie sich auf den Star zubewegt. Geheimnisse und Tricks hinter allbekannten Leinwandeffekten werden enthüllt – etwa die Schläuche, mit denen Regen mehr oder weniger glaubhaft simuliert wird; oder das Mikrofon, das neuerdings über dem Set schwebt.

Routinen werden gezeigt: Nach dem „Cut!“ beschließt der Regisseur den Tag – „That’s all for today!“ Im „Projection Room No 1“ („No Admittance“) flackert gerade zur Beurteilung ein Historienepos mit einer Schießerei über die Leinwand; die Konstellation: der Studiochef Saxe mit seiner Sekretärin in der mittleren Reihe, in der vorderen ein aufmerksamer Mitarbeiter, in der hinteren sieht man lediglich die weißen Schuhe eines offenbar eingeschlafenen Teilnehmers, der sich kurz darauf als Mary Evans’ Fürsprecher Max Carey entpuppt. Am Sitz des Studiobosses steht ein Telefon bereit, über das mit dem Vorführraum kommuniziert werden kann. Auch allerhand Floskeln und Jargon kommen vor, etwa wenn Regisseur Carey vom Studioboss Saxe gescholten wird: „All the time retakes, all the time over schedule.“ Hier und da wird auf die Wichtigtuer-Rituale der umtriebigen Hollywoodleute verwiesen, die sich im Restaurant ständig einen Telefonapparat an den Tisch bringen lassen – eine Prahlerei und Statusvergewisserung, die sich in Hollywoodfilmen über Hollywood bis zu Robert Altmans „The Player“ (1992) durchzieht.

Auch fängt „What Price Hollywood?“ ein wenig vom Zeitkolorit der Hollywoodkolonie in den frühen 1930er Jahren ein – mit den fürstlichen Villen, extravaganten Einrichtungen und unzähligen Anzeichen unermesslichen Reichtums. Wie Saxe, Evans, Carey und andere zur Besprechung eines Filmprojekts am Pool sitzen, mit Hollywoodschaukel und Gummitier, ist von heute aus betrachtet kaum mehr als extraordinärer Lebensstil erkennbar – aber damals muss dies auf die Menschen im Heartland