Buch

Gloucestershire 1909. Lady Hardcastle, Hobbydetektivin und Exzentrikerin durch und durch, genießt die Ruhe auf dem Land. Bis der örtliche Viehzüchter Spencer Caradine beim Mittagessen im Pub tot umfällt und mit dem Gesicht mitten in einer der berühmten Rindfleisch-Champignon-Pasteten landet. Wieder einmal ist es die Aufgabe von Lady Hardcastle und ihrer Zofe Florence, das Geheimnis um die Todesursache zu enträtseln.

Bewaffnet mit Witz und Verstand – und natürlich mit Florences gemeinem rechten Haken –, machen sich die beiden Damen daran herauszufinden, was wirklich passiert ist. Ist der Bauer eines natürlichen Todes gestorben oder war womöglich Gift im Spiel? Je tiefer Lady Hardcastle und Florence graben, desto mehr Familienmitglieder und Freunde der Spencers scheinen plötzlich ein Motiv zu haben …

Autor

T E Kinsey wuchs in London auf und studierte Geschichte an der Universität Bristol. Er schrieb einige Jahre lang als Journalist für Zeitschriften und Magazine, bevor er der glamourösen Welt des Internets verfiel und viele weitere Jahre für eine sehr bekannte Unterhaltungswebsite arbeitete. Nachdem er dabei half, drei Kinder großzuziehen, Tauchen lernte und sich beibrachte, Schlagzeug und Mandoline zu spielen, beschloss er schließlich, dass es an der Zeit ist, zum Schreiben zurückzukehren. Zum Glück, denn seine Reihe um die exzentrische Hobbydetektivin Lady Emily Hardcastle und ihre tatkräftige Zofe Florence Armstrong wurde in Großbritannien zu einem Megahit.

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T E Kinsey

Lady Hardcastle
und
ein mörderischer
Markttag

Kriminalroman

Deutsch von Bernd Stratthaus

Die Originalausgabe erschien 2016 unter dem Titel »In the Market for Murder« bei Thomas & Mercer, Seattle.



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Copyright der Originalausgabe © 2016 T E Kinsey
This edition is made possible under a license arrangement originating with Amazon Publishing, www.apub.com, in collaboration with Literarische Agentur Hoffman GmbH.
Copyright der deutschsprachigen Ausgabe © 2021 by Blanvalet in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH, Neumarkter Straße 28, 81673 München
Redaktion: Susann Rehlein
Umschlaggestaltung: © www.buerosued.de nach einer Originalvorlage von Thomas & Mercer
Umschlagdesign: Lisa Horton
JA · Herstellung: sam
Satz: Vornehm Mediengestaltung GmbH, München

ISBN 978-3-641-27121-3
V001

www.blanvalet.de

1

Ich war überglücklich, als Lady Hardcastle an einem wunderbaren Frühlingsmorgen endlich sagte: »Flo, meine Liebe, wie wär’s mit einem schönen Mittwochsspaziergang?«

Es war ein harter Winter gewesen. Zunächst war Lady Hardcastle anscheinend schnell von den Schüssen im letzten Sommer genesen, aber nach einem weiteren gefährlichen Abenteuer im Herbst hatte sie einen ernsten Rückfall erlitten, und erst jetzt, im noch jungen Frühling des Jahres 1909, waren ihr Körper und ihre Seele ausreichend verheilt, dass sie sich in der Lage fühlte, unsere Spaziergänge rund um unser Heim in Gloucestershire wiederaufzunehmen.

»Sehr gern, Mylady«, antwortete ich also und stand auf. »Ich hole Ihren Mantel.«

»Und Stiefel, Hut, Handschuhe und Gehstock bitte, meine Liebe«, rief sie mir auf meinem Weg in die Eingangshalle hinterher. »Und außerdem ein Fläschchen Brandy. Und …«

Ich kehrte mit den gewünschten Gegenständen zurück. »Soll ich Sie vielleicht auch noch huckepack nehmen, Mylady?«

»Na, das ist doch mal eine gute Idee! Aber das wird vielleicht zu viel für dich, wir müssen nämlich auch noch kurz im Dorf vorbeigehen und ein bisschen einkaufen.«

Schön, dass sie wieder ganz die Alte war.

Wir gingen die Straße Richtung Dorfplatz hinunter. Die Bäume trieben bereits aus, und ich war noch immer vollkommen unfähig, irgendeinen davon zu identifizieren. Die Sonne war noch schwach und konnte keine nennenswerten Plusgrade erzeugen, aber es lag ohne jeden Zweifel die Verheißung des kommenden Sommers in der Luft.

Wir gingen langsam, und Lady Hardcastle stützte sich stärker auf ihren Stock, als ich es erwartet hätte – ihre Wunde war nun bereits seit einer ganzen Weile verheilt. Außerdem hatten wir die schonenden Übungen gemacht, die wir damals in China gelernt hatten. Sie sollten ihr Kraft und Beweglichkeit zurückbringen.

»Dürfte ich Ihnen eine persönliche Frage stellen, Mylady?«, fragte ich, als wir um die letzte Kurve bogen und der Dorfanger in Sicht kam.

»Was für eine seltsame Frage. Natürlich darfst du.«

»Dieser Stock – wie sehr brauchen Sie den eigentlich wirklich?«

»Beim Gehen? Fast gar nicht. Ich bin topfit, meine Liebe, wie ein junger Hüpfer.«

»Und trotzdem …?«

»Ach ja. Na ja. Also. Weißt du, es ist doch so. Ich habe noch immer das Gefühl, dass ich ihn brauche. Als Requisit, verstehst du?«

»Nicht ganz, Mylady, nein. Wenn er Ihnen nicht beim Gehen hilft, wofür ist er dann gut?«

»Die Leute sind über die letzten Monate so nett und fürsorglich gewesen, dass ich mir wie eine Betrügerin vorkommen würde, wenn ich plötzlich wie ein Schulmädchen ins Dorf gehüpft käme. Ich habe den Eindruck, dass ich etwas brauche, was die Menschen darin bestärkt, dass ihre Sorge tatsächlich begründet war und es mir genauso schlecht ging, wie sie dachten.«

»Sie wären fast gestorben. Ist das nicht schlecht genug?«, fragte ich entrüstet. Ich erinnerte mich lebhaft an die durchwachten Nächte an ihrem Bett, in denen ich mich mit ihrem Bruder Harry abgewechselt und wir uns gefragt hatten, ob sie jemals wieder aufwachen würde.

»Ja, Liebes, natürlich«, entgegnete sie und tätschelte mir mit der freien Hand den Arm. »Aber die Leute haben mich ja unmittelbar nach der Verletzung nicht gesehen, sie wissen es nur vom Hörensagen. Ich habe einfach den Eindruck, dass sie eine kleine, sichtbare Erinnerung brauchen, dass alles zwar ziemlich ernst war, aber nun allmählich besser wird.«

»Ich bin immer noch nicht sicher, ob ich das verstehe, Mylady. Aber benutzen Sie ihn meinetwegen weiter, so kommen wir zwar ein bisschen langsamer voran, aber er gibt wohl auch einen hervorragenden Knüppel ab, falls es ein bisschen ruppiger werden sollte.«

»Das ist doch die richtige Einstellung. Obwohl ich bezweifle, dass wir beim Metzger irgendwelchen Strauchdieben begegnen.«

»Ich weiß nicht, Mylady. Die Landbevölkerung ist ziemlich eigen. Zugezogene sind nicht immer willkommen.«

Sie musste lachen. »Glaubst du, dass sie uns noch immer als Fremde ansehen?«

»Eigentlich glaube ich das nicht, Mylady, nein.«

»Ich auch nicht. Aber nur um ganz sicherzugehen, machen wir einfach einen Bogen um Mr. Spratts Metzgerei und gehen stattdessen in den Pub. Ich frage mich, ob Old Joe uns eine Tasse Tee aufbrühen würde.«

»Tee, Mylady? Im Pub? Was für eine seltsame Vorstellung. Wenn Sie Lust auf Tee haben, sollten wir vielleicht sehen, ob uns irgendwer zum Teeladen nach Chipping Bevington mitnimmt.«

»Wahrscheinlich hast du recht, aber das ist ein ziemlich langer Weg nur für eine Tasse Tee. Wie wäre es mit ein paar schönen, frischen Brötchen von Holman, und du machst dann selbst den Tee, wenn wir wieder heimkommen?«

»In Ordnung, Mylady.«

»Großartig. Dann komm mit, kleine Dienerin. Auf zur Bäckerei.«

Wir umrundeten gemächlich den Dorfplatz, der noch immer zu feucht vom Tau war, um ihn zu überqueren. Gerade wollten wir Mr. Holmans Bäckerei betreten, als uns jemand rief.

»Ach, Emily! Wie schön, dich wieder auf den Beinen zu sehen.«

Es war Lady Farley-Stroud, die Gattin des hiesigen Gutsherrn, die wir gleich nach unserem Umzug nach Littleton Cotterell kennengelernt hatten. Um genau zu sein, hatte Lady Hardcastle sie bereits vor sechsunddreißig Jahren kennengelernt – die Farley-Strouds waren alte Freunde ihrer Eltern – , aber sie war damals erst vier gewesen, also erinnerte sie sich nicht an die Begegnung. Gertrude, Lady Farley-Stroud, fiel durch resolute Strenge auf, aber wir kannten auch eine andere Seite an ihr. Wenn man ihren Panzer aus sozialen Gepflogenheiten einmal durchstoßen hatte, stellte sie sich als zauberhafte, liebenswürdige und leicht schrullige alte Dame heraus – von der Art, die eine großartige Tante, aber eine ziemlich peinliche Mutter abgibt.

»Guten Morgen, Gertie«, begrüßte Lady Hardcastle sie mit einem Lächeln.

»Was für eine Freude, dich zu sehen, meine Liebe.« Lady Farley-Stroud drückte Lady Hardcastle einen Kuss auf die Wange. »Und Sie auch, Armstrong. Behandelt sie Sie denn auch gut? Vergessen Sie nicht, dass Sie sofort bei uns oben auf The Grange anfangen können, wenn Sie mal genug von dem gefährlichen Lebenswandel haben.«

»Mir geht es gut, Mylady. Manchmal kann sie grausam und fordernd sein, doch eine Zofe muss gehorsam ihre Pflicht erfüllen.«

Lady Farley-Stroud quittierte das mit einem herzhaften Lachen. »Hervorragend. Aber jetzt, wo du wieder auf den Beinen bist, meine Liebe, musst du zum Dinner nach The Grange kommen. Wir würden uns über ein bisschen Gesellschaft wirklich freuen. Hector und ich werkeln da oben nur vor uns hin und langweilen uns. Sag, dass du uns besuchen kommst.«

»Das würde ich gern, Gertie, wirklich.«

»Wunderbar. Dann spreche ich mal mit dem ›Hausherrn‹.«

Sogar ich konnte bei diesen Worten die ironischen Anführungszeichen in der Luft hängen sehen, aber es lag auch Zuneigung darin. Es bestand keinerlei Zweifel bezüglich dessen, wer auf The Grange tatsächlich das Sagen hatte, aber sie waren ein zauberhaftes altes Pärchen und einander ganz offensichtlich auch nach so vielen Jahren noch furchtbar zugetan.

»Danke, meine Liebe«, erwiderte Lady Hardcastle herzlich. »Ich freue mich schon darauf.«

»Großartig, ganz großartig – ach!« Plötzlich schien ihr etwas einzufallen. »Warst du eigentlich schon mal auf einem Viehmarkt?«

»Auf einem Viehmarkt?«, fragte Lady Hardcastle, ohne die beträchtliche Überraschung in ihrer Stimme verbergen zu können. »Nein, ganz ehrlich, das kann ich nicht behaupten.«

»Wenn ich es einrichten kann«, erwiderte Lady Farley-Stroud, »schau ich am Markttag immer gern in Chipping vorbei. Das ist wirklich mein liebster Ausflug. Morgen verkaufen wir ein paar Tiere, und ich habe mir überlegt, ob ich nicht mal wieder dort aufkreuzen könnte. Mein altes Gesicht mal wieder zeigen, hm? Unser Gutsverwalter macht natürlich die eigentliche Arbeit, aber mir gefällt es dort wirklich sehr. Und danach essen wir im Hayrick zusammen mit den Farmern und Viehhändlern. Es macht wirklich großen Spaß. Und wie sie dort reden! So was hast du noch nicht gehört. Ach, meine Liebe, du musst einfach mitkommen.«

Ich bin mir nicht sicher, ob mir eine besonders lange Liste von Dingen einfallen würde, die ich weniger gern tun würde, als einen Viehmarkt zu besuchen. Aber irgendwie ließ mich das mädchenhafte Glitzern in Lady Farley-Strouds blaugrauen Augen darüber nachdenken, ob nicht sogar mir ein Ausflug nach Chipping Bevington (der etwas umständliche vollständige Name der Stadt) an einem Markttag Spaß machen könnte.

Lady Hardcastle ging es ganz offenbar ähnlich. »Nun, wenn du so davon schwärmst, meine liebe Gertie, wie könnte ich mir das Spektakel da entgehen lassen?«

»Ach, meine Liebe, wie wunderbar«, erwiderte Lady Farley-Stroud mit dem breitesten Lächeln auf ihrem vollen, runzligen Gesicht. »Bitte bring auch Armstrong mit. Sie kann Denton Gesellschaft leisten. Wir machen uns einen schönen Tag. Morgen früh um acht schicke ich Bert mit dem Wagen vorbei. Ach, ich freu mich so sehr.« Und mit einem weiteren Küsschen auf Lady Hardcastles Wange eilte sie von dannen. Ich sah ihr nach, wie sie zu ihrer eigenen Kammerzofe ging, Maude Denton, die gerade aus dem Krämerladen von Mrs. Pantry kam. Ganz offenbar teilte sie ihr umgehend die guten Neuigkeiten mit, denn Maude blickte zu mir herüber und grinste.

»Anscheinend«, sagte Lady Hardcastle, als sie sich bei mir unterhakte und auf die Bäckerei zusteuerte, »habe ich die gesellschaftliche Bühne wieder betreten, und wir beide haben uns zu einem Tag voller strenger Gerüche, Muhen und ohrenbetäubendem Geschnatter verpflichtet.«

»Scheint so, Mylady, ja. Und zu einem Mittagessen im Pub. Denken Sie, dass es dort auch Pasteten gibt?«

»Oh, auf jeden Fall. Ich liebe eine gute Pastete.«

»Dann sind Sie am richtigen Ort, Mylady«, sagte Septimus Holman, der Bäcker, hinter seinem Verkaufstresen. »Willkommen zurück. Es ist schön, Sie wieder gesund und munter zu sehen. Was kann ich Ihnen bringen? Pastete, sagten Sie?«

Der Markttag brach mit Donnergrollen und stürmischem Regen an, der gegen die Fensterscheiben prasselte.

Da der Wagen für acht Uhr angekündigt war, war ich schon vor dem Morgengrauen aufgestanden, damit wir beide genug Zeit fürs Ankleiden und das Frühstück hatten. Doch wenn normalerweise die aufgehende Sonne ihre Strahlen durchs Küchenfenster schickte und so den richtigen Start in den Tag ankündigte, begrüßte mich an diesem Morgen der sintflutartige Regen.

Kurz nachdem ich aufgestanden war, trafen Edna und Miss Jones ein. Edna ging sofort an die Arbeit und fachte zuerst den Kamin im Frühstückszimmer an. Miss Jones stellte derweil Toast und Konfitüre zurecht.

Ursprünglich hatte Lady Hardcastle geplant, »ein hübsches, kleines Häuschen irgendwo in, ach, ich weiß nicht, Gloucestershire« zu mieten, vielleicht mit »Reetdach und rosenumrankter Eingangstür«. Stattdessen hatte sie das Glück gehabt, ein neu errichtetes Haus am Rand von Littleton Cotterell zu ergattern. Ein alter Freund hatte es für sich selbst und seine Familie bauen lassen, aber als seine geschäftlichen Angelegenheiten ihn gezwungen hatten, ein paar weitere Jahre in Indien zu bleiben, hatte er das Haus bedenkenlos Lady Hardcastle überlassen, sodass sie sich an seiner Stelle darum kümmern konnte.

So bewohnten wir nun zu zweit ein Haus, das für eine sechsköpfige Familie und ihre Angestellten konzipiert war. Ich hatte nie eingehender darüber nachgedacht, welche Vorteile es mit sich bringen würde, in einem modernen Haus zu leben. Bis Lady Hardcastle Edna eingestellt hatte, hatte ich doch tatsächlich darüber gemurrt, wie viele Räume ich abzustauben und zu kehren hätte. Aber an Tagen wie heute, an denen der Regen gegen die Fenster und Mauern peitschte, war ich doch froh, in etwas Stabilerem als einem alten Landhäuschen mit Strohdach zu wohnen. Als die heftigen Märzwinde drohten, unser Steinhaus zusammenzupusten, lernte ich, die Weisheit des dritten kleinen Schweinchens aus der Geschichte außerordentlich zu schätzen.

Um Punkt acht Uhr, als wir in der Halle gerade Regenmäntel und Galoschen anlegten, klingelte es an der Tür. Ich öffnete, und draußen stand ein zerzauster und triefnasser Bert, dem der Regen von der Kappe tropfte.

»Guten Morgen, Miss Armstrong«, begrüßte er mich. »Der Wagen ist hier.«

»Danke, Bert.«

Lady Hardcastle steckte den Kopf durch die Tür. »Bert!«, rief sie. »Sie werden ja ganz nass. Kommen Sie doch kurz rein, wir brauchen nicht mehr lange.«

»Sehr freundlich, Mylady. Würde es Ihnen etwas ausmachen, wenn ich im Wagen warte?«

»Aber nein, natürlich nicht. Wir brauchen nur noch ein paar Minuten. Setzen Sie sich solange ins Trockene.«

»Danke, Mylady«, sagte er und rannte zurück auf seinen geschützten und bequemen Fahrersitz.

»Sind wir dann so weit?«, fragte Lady Hardcastle und warf einen letzten Blick in den Spiegel.

»Haben Sie Ihren Stock, mit dem wir die Wegelagerer vermöbeln können? Vielleicht brauchen wir ihn heute auch, um aufsässige Rindviecher von uns fernzuhalten.«

»Meinst du, das wird nötig sein?«

»Na ja«, erwiderte ich zögerlich. »Sie wissen ja, Mylady. Kühe. Große Biester. Widerspenstig. Gefährlich.«

»Florence Armstrong«, rief sie vergnügt. »Habe ich da etwa endlich etwas gefunden, wovor du Angst hast?«

»Respekt, Mylady, Respekt habe ich lediglich.«

Sie lachte erfreut auf. »Fürchte dich nicht, kleine Dienerin. Ich werde dich mit dem Kühe abwehrenden Stab des Unheils verteidigen.« Sie schwang ihren Gehstock.

»Machen Sie sich ruhig über mich lustig, Mylady. Aber …«

»Darf ich? Oh, wie lieb du doch bist. Dann werd ich es auch tun.«

Ich bedachte sie mit meinem tadelndsten Blick.

»Komm jetzt«, sagte sie mit einem Kichern. »Wir müssen der nassen Gewalt von Mutter Natur trotzen, auf zum Markt!«

Wir traten in den Sturm hinaus. Lady Hardcastle spurtete den Weg hinunter. Bert sprang aus dem Wagen und öffnete die Hintertür für sie, und sie suchte Zuflucht neben Lady Farley-Stroud. Ich war knapp hinter ihr und zwängte mich neben Bert und Maude auf die Vorderbank. Dann fuhren wir los.

Unter den besten Umständen war Lady Farley-Stroud ein nervöser Fahrgast. Da mehr Regen auf die Straßen prasselte, als ich abgesehen von Indien während des Monsuns jemals irgendwo gesehen hatte, war Bert gezwungen, frustrierend langsam und übervorsichtig zu fahren. Normalerweise hätte mich das in den Wahnsinn getrieben, wäre da nicht die ansteckende Fröhlichkeit Maude Dentons gewesen, Lady Farley-Strouds Kammerzofe.

Wir hatten uns im vergangenen Sommer kennengelernt. Ihre kreativen Anstrengungen, sich vor fast sämtlicher Arbeit zu drücken, fand ich absolut empörend, aber ihre Gesellschaft war außerordentlich angenehm.

Maude und ich plauderten auf der Vorderbank und lauschten mit einem Ohr der Unterhaltung unserer Arbeitgeberinnen auf der Rückbank. Die Fahrt verging auf diese Weise wie im Flug, nur einmal wären wir beinahe mit dem Fuhrwerk eines Milchmanns zusammengestoßen, was bei Lady Farley-Stroud zu schrillem Geschrei und ernsten Ermahnungen führte, doch bitte vorsichtig zu sein, während Lady Hardcastle neben ihr auf der Rückbank ein Kichern unterdrückte. Bald hielten wir am Ende der Hauptstraße an.

Chipping Bevington ist einer jener kleinen Marktflecken, die seit dem Mittelalter überall in England aus dem Boden geschossen sind und als lokale Handelszentren fungieren.

Üblicherweise besitzen sie eine breite Hauptstraße oder, wie in diesem Fall, einen breiten Platz am einen Ende, auf dem an Markttagen wie durch Zauberei Marktstände aus dem Boden schießen. Stolz erklärte uns Lady Farley-Stroud, dass hier seit dem Jahr 1473 immer donnerstags der Viehmarkt stattfinde.

An Markttagen gab es auf der Hauptstraße kein Durchkommen, also ließ Bert uns neben einem der sieben kleinen Pubs aussteigen, die es in der Stadt gab. Von dort aus sahen wir zu, wie er den Wagen wendete und auf der Suche nach einem Parkplatz langsam die Straße zurückfuhr.

Der Regen hatte nicht nachgelassen, und der Wind blies zu stark für die Schirme, die Maude aus dem Wagen mitgenommen hatte. Ein letztes Mal überprüften wir noch, dass unsere Hüte auch wirklich festsaßen, dann kämpften wir uns die Straße hinunter.

Standinhaber und Käufer begrüßten Lady Farley-Stroud gleichermaßen mit fröhlich-ungezwungener Herzlichkeit. Ganz offensichtlich war sie hier sehr beliebt.

Der Regen war kalt, der Wind blies heftig. Ich wollte das alles rasch hinter mich bringen, damit wir schnell nach drinnen ins Warme kämen, selbst wenn das bedeutete, sich in unangenehmer Nähe einer großen Anzahl lebender Rinder zu befinden.

Wir duckten uns in den Schutz einer schmalen Seitengasse, die uns zum Viehmarkt führte. Früher einmal hatte dieser am unteren Ende der Hauptstraße um das Marktkreuz herum stattgefunden, doch inzwischen gab es einen eigenen Platz dafür, mit überdachten Pferchen und einer großen Auktionshalle.

Endlich erreichten wir den Schutz der Dächer, und Lady Farley-Stroud blickte sich um.

»Ich kann Mogg nirgends entdecken«, sagte sie zerstreut. »Den Gutsverwalter. Eigentlich sollte er hier sein. Denton, sehen Sie doch mal nach, ob Sie ihn irgendwo finden können, bitte.«

Mit einem Nicken und einem »Ja, Mylady« stürzte Maude sich in das immer dichter werdende Getümmel.

»Ach, Gertie«, sagte Lady Hardcastle, »das macht wirklich Spaß. Es erinnert mich an die Märkte in Shanghai oder Kalkutta.«

»Allerdings ist es deutlich kälter, meine Liebe«, erwiderte Lady Farley-Stroud. »Ich entsinne mich noch, wie Hector und ich in den Sechzigern einmal Madras besucht haben. Ach du liebe Güte, diese Hitze. An einem Tag …«

In diesem Moment kehrte Maude in Begleitung eines Mannes mittleren Alters zurück, der den Tweedanzug eines Farmers trug.

»Ich habe ihn gefunden, Mylady.«

»Morgen, Mylady«, begrüßte der Mann Lady Farley-Stroud.

»Mr. Mogg«, antwortete diese. »Da sind Sie ja. Wie läuft es?«

»Nicht schlecht, Mylady. Gerade haben wir zehn Milchkühe reinbekommen. Ich versuche, sie insgesamt zu verkaufen. Wir sind als Zweite dran. Es sollte nicht allzu lange dauern. Ein paar Leute schauen sich die Kühe an. Caradine von der Oberen Farm macht den Eindruck, als hätte er Interesse. Und Ackley drüben aus Woodworthy hat auch ein Auge auf die Tiere geworfen. Die zwei sollten sich gegenseitig ordentlich hochtreiben.«

»Wunderbar«, rief Lady Farley-Stroud. »Dann lassen Sie uns mal hoffen, dass wir ein bisschen was verdienen, hm?«

»Hoffentlich, Mylady. Würden Sie mich entschuldigen, Mylady, ich hab noch ein paar Sachen zu erledigen.«

»Natürlich, Mr. Mogg. Danke für Ihre Mühe.«

Mogg tippte sich gegen die Schläfe und verschwand in der immer weiter anwachsenden Menschenmenge.

Gern würde ich von den Einzelheiten der Auktion berichten, die sicherlich überaus aufregend für diejenigen war, die sich mit so etwas auskannten, für mich stellten sich die Dinge allerdings etwas weniger klar dar. Erst wurden ein paar Schafe hereingeführt. Ein Mann in einer flachen Kappe faselte irgendetwas Unverständliches – hier und da konnte ich ein paar Zahlen heraushören – , während andere Männer nickten und ihm Zeichen gaben. Nach weniger als einer Minute wurden die Schafe wieder hinausgeführt, offenbar war ein Geschäft besiegelt worden.

Bevor das letzte Schaf den mit Sägespänen ausgestreuten Platz wieder verlassen hatte, trat Mogg ein und führte die ersten der zehn zum Verkauf stehenden Kühe herein. Der Rest von ihnen trottete artig hinterher. Nach ein paar Worten einer kaum verständlichen Einleitung begann der Mann mit der flachen Kappe wieder mit seinem Singsang: »Her-ba-da-dip-dah-dip-dah-her-ba-da-HEY-ba-da-dip-dah-dip-dah … Ein magerer Mann Mitte fünfzig mit einem beeindruckend buschigen Bart und leicht zusammengekniffenen Augen schien sich mit einem größeren und insgesamt stämmigeren Mann auf der anderen Seite des Platzes einen Wettstreit zu liefern.

Und wieder, bevor ich vollständig herausgefunden hatte, was hier vor sich ging, rief der Auktionator ein lautes »Verkauft!« aus, und der magere Mann zwängte sich zur Kasse durch.

»Ach, also, wie großartig«, freute sich Lady Farley-Stroud. »Es hätte gar nicht besser laufen können.«

»Nicht?«, fragte Lady Hardcastle mit einem Stirnrunzeln. »Wie kannst du dir da sicher sein?«

»Was meinst du damit? Ach, ich verstehe, wahrscheinlich ist das alles ein bisschen undurchschaubar. Genau wie Mogg vorausgesehen hat, haben sich die beiden örtlichen Rivalen Caradine und Ackley gegenseitig hochgeboten. Caradine hat den Zuschlag bekommen. Das Großartige daran war, dass ihr dummer Wettkampf den Preis weit über das hinaus nach oben getrieben hat, was wir uns erhofft hatten. Ich bin überglücklich.«

»Nun, das sind doch gute Neuigkeiten, meine Liebe. Ich freue mich sehr für dich«, gratulierte ihr Lady Hardcastle.

»Danke. Ich würde sagen, das Mittagessen geht auf mich.«

»Das ist sehr großzügig. Aber was machen wir bis dahin? Gibt es noch irgendwelche anderen Posten, die du dir gern ansehen möchtest?«

»Nein, meine Liebe. Es macht eigentlich nur richtig Spaß, wenn deine eigenen Tiere unter den Hammer kommen. Falls du nicht herausfinden willst, was mit dieser nächsten Ansammlung unterernährter Milchkühe passiert, würde ich sagen, wir sind hier fertig.«

»Wenigstens hat der Regen inzwischen nachgelassen, Mylady«, warf Maude ein.

»Ein wenig, Denton, ein wenig«, erwiderte Lady Farley-Stroud. »Du bist vorher noch nie in Chipping gewesen, oder, Emily?«

»Nein, irgendwas ist immer dazwischengekommen. Normalerweise fahren wir zum Einkaufen nach Bristol.«

»Nun, hier ist rein gar nichts so exquisit wie in Bristol, meine Liebe, aber wir können bestimmt wenigstens ein unterhaltsames Stündchen auf der Hauptstraße totschlagen. Da gibt es ein ganz zauberhaftes Bekleidungsgeschäft, das ich dir gern zeigen würde. Ach, und einen ganz entzückenden kleinen Trödelladen. Magst du Antiquitäten?«

»Ich bin sicher, das wird ein großer Spaß«, erwiderte Lady Hardcastle.

Mir war sofort klar, warum Lady Farley-Stroud den Modeladen so gern mochte. Er schien speziell auf eher stämmig gebaute Landladys eines gewissen Alters ausgerichtet zu sein, aber für Lady Hardcastle hatte er nur wenig zu bieten. Obwohl sie wirklich nicht immer der neuesten Mode hinterherlief, legte sie doch Wert auf eine elegante und zeitgemäße Garderobe, und das war etwas, was dieser Laden offenbar nicht im Angebot hatte.

Es gab dort zwar ein Seidentuch, das ihr ziemlich gut gefiel, doch trotz aller Ohs und Ahs und sogar eines »Ach, Emily, damit würdest du absolut umwerfend aussehen« von ihrer Freundin hatte sie keine Lust, es zu kaufen.

Mit dem Trödelladen verhielt es sich allerdings ganz anders. Er war das letzte Geschäft in einer kleinen Ladenzeile, die vom Rest der Straße leicht zurückgesetzt lag, sodass der Eindruck entstand, als ob es in einer dunklen Ecke verborgen wäre. Die Ladenfront war gewölbt und mit einigen schmutzigen Butzenscheiben versehen, was dem Ganzen einen sehr altmodischen Anstrich verlieh. Doch die Auslage hinter diesen Scheiben weckte meine Aufmerksamkeit.

Ich bin üblicherweise wirklich keine große Freundin alter Dinge, aber dieser zusammengewürfelten Ansammlung von Krimskrams im Schaufenster haftete etwas Romantisches an. Neben den üblichen bestoßenen Porzellanfiguren, den Glasgefäßen von zweifelhaftem Nutzen und angelaufenem Silberbesteck, gab es einen Schirmständer in Form eines Elefantenfußes, einen Taucherhelm aus Messing und ein ausgestopftes Warzenschwein mit zwei Wachsorangen auf den Stoßzähnen. Daneben stand ein Fischkessel, der als Podest für eine große präparierte Forelle diente.

»Wir kaufen hier nichts«, sagte Lady Hardcastle, der mein Interesse nicht entgangen war.

»Oh, aber ich vielleicht doch«, sagte Lady Farley-Stroud. Ich schielte zu ihr hinüber und bemerkte, dass sie den Elefantenfuß-Schirmständer bewunderte. »Komm schon, Emily, lass uns mal sehen, ob wir nicht ein gutes Geschäft machen können.«

Sie öffnete die Tür, und wir marschierten hinein.

Im Inneren war das Geschäft wie eine Grotte zahlloser Wonnen. Ich habe die Welt bereist, habe die wuseligen Märkte von Shanghai und Kalkutta gesehen, bin über die Flohmärkte von Paris gewandert und habe mehr als meinen gerechten Anteil an heimlichen Treffen in den Hinterzimmern zwielichtiger Spelunken im Londoner East End gehabt, aber die Auslagen in Pomphreys Trödelladen hatten etwas Neuartiges und Magisches an sich. Es gibt schnöden Ramsch, und es gibt eine liebevoll kuratierte Auswahl überraschenden und interessanten Trödels. Die Sachen in diesem Laden gehörten ganz ohne Zweifel zum Unterhaltsamsten, was interessanter Trödel zu bieten hatte. An der Wand hing ein Elchkopf, der eine Kappe trug und zwischen dessen Lippen das Mundstück einer reich verzierten Wasserpfeife steckte. Darunter befand sich ein Wald aus Kerzen. Es gab auch eine Abteilung mit Musikinstrumenten, in der selbstverständlich die übliche Ansammlung von zerbeulten Trompeten und Euphonien sowie eine Geige mit abblätterndem Lack und eine angelaufene Flöte vertreten waren. Zwischen diesen alltäglichen Instrumenten versteckten sich allerdings auch zwei Krummhörner, ein Serpent und eine verzierte Laute. Wenn man Lust gehabt hätte, hätte man hier sein eigenes Renaissance-Kammerorchester ausstatten können.

Mein Blick jedoch blieb an einem Banjo hängen, auf dessen Korpus ein Mississippi-Raddampfer gemalt war. Ich nahm es in die Hand und betrachtete es näher.

Im hinteren Bereich des Ladenlokals unterhielt sich ein Mann mit Brille, der eine lange Samtjacke und eine altmodische Kappe trug, mit einem Gentleman in einem ziemlich neu aussehenden Harris-Tweedanzug und mit einem dazu passenden Filzhut.

»… ohne irgendetwas von seinem ursprünglichen Zauber einzubüßen«, sagte Samtjacke.

»Es ist so ziemlich genau das, wonach ich gesucht habe«, entgegnete Harris-Tweed. »Nur nicht in dieser Farbe. Aber wie ich sehe, haben Sie weitere Kunden, um die Sie sich kümmern müssen. Ich nehme erst einmal nur das und mache mich dann auf den Weg.« Er zeigte auf das Modell einer Dampflok auf dem Verkaufstresen. Es schien ganz aus Streichhölzern gebaut worden zu sein und wirkte ziemlich wirklichkeitsgetreu, wenn man mal von dem Union Jack absah, der auf den Dampfkessel gemalt war.

»Gewiss, Mr. Snelson, gewiss«, erwiderte der Ladenbesitzer. Er wickelte die winzige Lok ein und nahm das Geld seines Kunden entgegen.

Mr. Snelson wandte sich zum Gehen. Dabei bemerkte er erst, um wen es sich bei den neuen Kundinnen handelte.

»Ach, Lady Farley-Stroud. Guten Morgen.«

»Guten Morgen, Mr. Snelson. Richten Sie Ihr neues Haus ein?«

Er lächelte. »Ja, es sah ein bisschen öde aus, also dachte ich mir, dass ich es vielleicht mit ein paar interessanten Stücken verschönern könnte.«

»Dafür sind Sie ganz zweifellos an den richtigen Ort gekommen. Meine liebe Emily, ich glaube, du hast Mr. Snelson noch nicht kennengelernt. Er ist letzten Monat nach Littleton gezogen, du bist also nicht mehr die neueste Dorfbewohnerin. Mr. Snelson, darf ich Ihnen meine gute Freundin Lady Hardcastle vorstellen?«

»Sehr erfreut«, sagten sie beinahe gleichzeitig.

»Ich hoffe, man behandelt Sie hier gut«, fügte Lady Hardcastle dann noch hinzu.

»Wen meinen Sie?«, fragte Mr. Snelson.

»Die Dorfbewohner. Es kann furchtbar schwer sein, der letzte Neuzugang zu sein.«

»Ah, ach so. Ja, sie haben mich gewissermaßen mit offenen Armen empfangen. Das hier ist ein schöner Ort. Es wird auch viel geplaudert. Ich habe gehört, dass es Ihnen nicht gut ging. Ich hoffe doch sehr, dass Sie sich wieder erholt haben.«

»Das habe ich, vielen Dank. Mir geht es schon viel besser.«

»Großartig«, antwortete er. »Nun, jetzt muss ich leider wirklich los. Viel Glück bei Ihren Einkäufen.«

»Danke«, erwiderte Lady Hardcastle. »Ich bin sicher, wir sehen uns bald wieder.«

Er tippte sich gegen den Hut und verließ das Geschäft.

Der Ladenbesitzer näherte sich uns. Er war klein, rundlich, hatte rote Apfelbäckchen und ein listiges Glitzern in den lächelnden Augen, die durch die kleinen, blau getönten Gläser lugten.

»Guten Morgen, meine Damen. Hubert Pomphrey, zu Ihren Diensten. Wie schön Sie wiederzusehen, Lady Farley-Stroud. Und Sie haben eine Freundin mitgebracht. Ich glaube, wir kennen uns noch nicht …«

»Lady Hardcastle«, sagte Lady Farley-Stroud, indem sie sich zu meiner Herrin umdrehte, »darf ich dir Mr. Hubert Pomphrey vorstellen, den Eigentümer dieses wunderbaren kleinen Ladens?«

Lady Hardcastle nickte, und Mr. Pomphrey verbeugte sich.

»Und das ist meine Zofe Armstrong.«

»Willkommen, Mylady. Und willkommen, Miss Armstrong. Wie ich sehe, bewundern Sie das Banjo. Sie haben ein gutes Auge. Dieses schöne Instrument gehörte eins Mr. Zachariah Duchamp, einem der vollendetsten Banjomusiker, die jemals auf den Raddampfern über den mächtigen Mississippi gefahren sind. Spielen Sie denn auch?«

»Ein wenig«, erwiderte ich.

»Dann bitte«, forderte er mich mit einer großen Geste seines dicken Arms auf. »Tun Sie sich keinen Zwang an.«

»Danke, Mr. Pomphrey. Aber gerade nicht.« Ich stellte das Banjo wieder in die Auslage.

»Wie Sie wünschen, Miss«, sagte er mit einem Lächeln. »Ist Ihnen sonst etwas ins Auge gesprungen, meine Damen?«

»Tatsächlich, Mr. Pomphrey«, sagte Lady Farley-Stroud, »habe ich den Elefantenfuß-Schirmständer im Fenster bewundert. Er erinnert mich an meine Tage in Indien mit Sir Hector.«

»Und was für ein gutes Auge Sie haben, Mylady. Leider muss ich der Ehrlichkeit halber einräumen, dass es nur eine Nachbildung ist. Ein Gipsabdruck. Andererseits wäre vielleicht ein dreibeiniger Elefant ein traurigerer Anblick. Möchten Sie ihn sich gern genauer ansehen?«

»Ja, bitte«, entgegnete sie, und er griff über die Rückwand der Schaufensterauslage und hob den Schirmständer heraus. Er schien schwer zu sein, und da noch ein verzierter Regenschirm darin steckte, außerdem auch ziemlich unhandlich. Er kämpfte sich zu uns zurück und stellte ihn auf dem Tresen ab, damit sie ihn in Augenschein nehmen konnte.

»Wie Sie sehen, Mylady, ist er in außergewöhnlich gutem Zustand. Sehr oft sind diese Gipsabgüsse ja bestoßen oder haben Risse, aber dieser hier … nun …«

»Er sieht wirklich ziemlich überzeugend aus«, bestätigte Lady Farley-Stroud. »Ich bin nur enttäuscht, dass er nicht echt ist.«

»Ach, Gertie, nein«, schaltete Lady Hardcastle sich ein. »Er wirkt doch vollkommen echt, eine perfekte Nachahmung. Auf diese Weise bekommst du ein faszinierendes objet, und der arme Elefant läuft trotzdem immer noch frei herum. Ich gebe Mr. Pomphrey recht – es gibt kaum einen traurigeren Anblick als einen dreibeinigen Elefanten.«

»Hacken sie wirklich einfach nur ein Bein ab?«, fragte Maude leutselig.

Lady Hardcastle und ich sahen uns an, sagten aber nichts.

»Aus persönlicher Erfahrung weiß ich, dass es auf dem Subkontinent einen florierenden Handel mit Elefantenprothesen gibt, Miss«, erklärte Mr. Pomphrey ernst. »Mein Bruder betreibt in Pondicherry ein sehr erfolgreiches Unternehmen: Pomphreys Dickhäuter-Holzbeine …«

»Ich glaub, mich tritt ein Pferd«, staunte Maude.

»Er neckt Sie nur, Denton«, mischte Lady Farley-Stroud sich ein. »Schenken Sie ihm gar keine Beachtung.«

Maude wirkte ziemlich enttäuscht.

»Ich muss mich entschuldigen, Miss. Es war nur ein kleiner Witz.«

»Sie wirds überleben«, beruhigte ihn Lady Farley-Stroud. »Also, wie viel wollen Sie dafür?«

Darauf folgte ein erbittertes Feilschen. Mit Lady Farley-Stroud war in Geldangelegenheiten nicht zu spaßen. In wenigen Minuten hatte sie den geforderten Preis um drei Viertel heruntergehandelt und Mr. Pomphrey überredet, ihr zudem noch den Regenschirm zu überlassen. Ich hatte keinerlei Zweifel, dass er trotzdem noch einen ordentlichen Profit erzielte, aber er stellte den Verlierer überzeugend dar, während sie ganz sicher glaubte, dass sie ein Schnäppchen gemacht hätte.

Als wir wieder auf die Straße hinaustraten, den Schirmständer stramm in Packpapier gewickelt und unter Maudes Arm geklemmt, hatte der Regen aufgehört, und der Wind war auf ein erträglicheres Maß abgeflaut.

»Das war wirklich ein großer Spaß, meine liebe Gertie«, sagte Lady Hardcastle. »Ich weiß nicht, wie es euch geht, aber ich habe jetzt einen Bärenhunger. Was meinst du, sollen wir jetzt dein freundliches Angebot annehmen, und du lädst uns zum Mittagessen ein? Was empfiehlst du?«

»Denton und ich gehen normalerweise ins Hayrick gleich um die Ecke. Nicht wahr, Denton?«

»Das stimmt, Mylady«, bestätigte Maude, wahrscheinlich wegen der erlittenen Kränkung etwas weniger begeistert als sonst. Und wieder marschierten wir die Hauptstraße entlang.

»Nun mal nicht so lustlos, Denton«, rief Lady Farley-Stroud. »Frisch voran. Da gibt es wirklich deftiges Essen, Emily. Gutes, ehrliches englisches Essen in einem guten, ehrlichen englischen Pub. Dort gehen auch die Farmer nach dem Markt alle hin. Ich liebe diesen Pub. Trinkst du gern Cider, meine Liebe?«

»Ich hab mich damit sogar schon betrunken«, erwiderte Lady Hardcastle. »Obwohl ich Brandy bevorzuge.«

»Zum Lunch? Das könnte ich ja nicht!«

»Oh, aber meine Liebe, du solltest es versuchen. Es ist nie zu früh für einen kleinen Schnaps.«

»Ich bestehe immer noch darauf, dass du den hiesigen Cider versuchst. Wenn wir schon mal hier sind, hm?«

»Na gut, meine Liebe. Dann probiere ich den Cider.«

»Und die Pastete. Sie machen eine vorzügliche Pastete mit Rindfleisch und Pilzen«, erklärte Lady Farley-Stroud, der wahrscheinlich schon das Wasser im Mund zusammenlief, als wir in eine Seitenstraße bogen und uns dem Pub näherten.

Lady Farley-Stroud drückte die Tür auf, und wir wurden von dem Lärm, der aus der gut besuchten Kneipe drang, beinahe umgeworfen.

Pfeifenrauch. Gesprächsfetzen. Der Geruch nach schalem Bier, Cider und Essen. Gelächter. Lautes Fluchen. Beeindruckende Bärte. Wir hatten die Welt der Farmer betreten.

Maude, Lady Hardcastle und ich hielten uns im Kielwasser der massigen Lady Farley-Stroud, die sich einen Weg durch die ungestüme Markttagsmenge bahnte. Es war noch nicht mal Mittag, aber die Mehrheit der versammelten Landbevölkerung war bereits auf gutem Weg zu einem formidablen Rausch.

Der Wirt hatte uns den Rücken zugekehrt und machte sich an irgendetwas auf einem Regal hinter dem Tresen zu schaffen.

»Morgen, Ronnie«, bellte Lady Farley-Stroud.

Der Wirt zuckte zusammen. Sogar bei all dem Lärm in der Kneipe reichte ihre Stimme aus, um noch den Respekt einflößendsten Mann das Fürchten zu lehren.

»Oh, guten Morgen, Mylady«, erwiderte er, als er sich umdrehte. »Sie haben mich ziemlich erschreckt.«

»Hab ich mir schon gedacht. Sie haben wohl vor sich hin geträumt, wie?«

»Ich versuche nur, das Lokal in Ordnung zu halten, Mylady. Hier drin herrscht das reinste Chaos, am Markttag ist das immer so. Was kann ich Ihnen bringen?«

»Haben Sie noch vier Rindfleisch-Pilz-Pasteten?«

»Heute Morgen frisch gebacken, Mylady. Zwei wollen Sie?«

»Nein, heute mal vier, Ronnie. Ich habe noch Gäste mitgebracht.« Sie zeigte auf Lady Hardcastle und mich.

»Guten Morgen, die Damen«, begrüßte uns der Wirt mit einer leichten Verbeugung. »Ronald Towels, stets zu Diensten. Willkommen im Hayrick

»Danke, Mr. Towels«, entgegnete Lady Hardcastle. »Sie haben hier ein hübsches, lebendiges Lokal.«

»Nennen Sie mich Ronnie, Madam, bitte. Freut mich, dass es Ihnen gefällt. Es ist wohl nicht ganz das, was Sie gewohnt sind, vermute ich mal, aber Freundinnen von Lady Farley-Stroud sind hier immer willkommen.«

»Ich bin ziemlich sicher, dass Sie staunen würden, was wir so alles gewohnt sind, Ronnie«, erwiderte sie mit einem herzlichen Lächeln. »Und nach allem, was man hört, sind Ihre Pasteten und der Cider die besten im ganzen Land.«

»Nun, da bin ich mir nicht sicher, Mrs. …?«

»Das ist Lady Hardcastle«, stellte Lady Farley-Stroud sie vor.«

»Wirklich? Tatsächlich? Na, da tritt mich doch ein Pferd. Dieselbe, die Ihnen letztes Jahr bei dieser Angelegenheit oben auf The Grange geholfen hat?«

»Genau die«, bestätigte Lady Farley-Stroud stolz. »Sie hat meinen Edelstein wiederbeschafft und dabei noch geholfen, eine Mörderin zu fangen.«

»Das stimmt, jetzt erinnere ich mich. Da wurde der arme Frank Pickering umgebracht, oder? Was für ein schrecklicher Verlust. Er war einer der besten und schnellsten Werfer im ganzen Distrikt. Littleton Cotterell wird ihn diese Saison schmerzlich vermissen.«

»Richtig«, stimmte Lady Farley-Stroud ihm zu. »Also denken Sie daran, meine Gäste gut zu behandeln, mein Junge.«

»Hier gibt es keine Sonderbehandlungen, Mylady«, entgegnete Ronnie. »Das wissen Sie. Hier gibts den besten Cider, die besten Pasteten, und alle bekommen einfach nur das Beste, was es gibt. Und werden dabei noch herzlich empfangen. Es ist mir ein Vergnügen, Sie alle zu bedienen.« Dann stutzte er und blickte mich fragend an. »Sind Sie etwa die berühmte Florence Armstrong?«

»Ich weiß nicht, ob ich berühmt bin. Aber ich habe so meine Momente.«

»Ich habe gehört, dass Sie einer Mörderin mit einem einzigen Tritt das Handgelenk gebrochen haben.«

»Ach ja. Das bin ich gewesen. Außerdem backe ich ziemlich guten Kuchen.«

Er musste lachen. »Das kann ich mir vorstellen. Also, Ladys, schubsen sie ein paar dieser Nichtsnutze beiseite und machen Sie es sich bequem. Ich schicke sofort das Mädchen mit den Pasteten und dem Cider zu ihnen. Hey!«, rief er unvermittelt. »Spencer! Rück mal rüber und mach Platz für die Damen.«

Der angesprochene Mann blickte mürrisch von seiner Pastete auf, und ich erkannte Spencer Caradine wieder, den mageren, bärtigen Farmer, der die Kühe der Farley-Strouds gekauft hatte. Ganz offensichtlich setzte er bereits dazu an, seine Meinung darüber kundzutun, für irgendwen rücken zu müssen, als er Lady Farley-Stroud erkannte. Also nickte er stattdessen widerwillig und rutschte dann mit seinem Bierglas und seinem Teller die Bank hinunter, um für uns Platz zu schaffen.

»Danke, Mr. Caradine«, sagte Lady Farley-Stroud, während sie es sich bequem machte. »Ich hoffe doch, dass die Kühe zu Ihrer Zufriedenheit sind.«

»Sind gute Milchkühe, Mylady«, schnaufte er. »Schätze, ich hab da ein Schnäppchen gemacht.«

»Das haben Sie gewiss«, sagte Lady Farley-Stroud. »Lassen Sie sich die Pastete schmecken.« Dann wandte sie sich wieder an uns. »Nun, Emily, was denkst du? Ist Markttag nicht einfach nur ein Riesenspaß?«

»Auf jeden Fall gibt er einen Einblick ins Landleben«, antwortete Lady Hardcastle und sah sich im überfüllten Pub um. »Ist es hier immer so gut besucht?«

»Ich würde sagen, der Andrang ist durchschnittlich«, erklärte unsere Gastgeberin.

»Und kennst du hier viele Leute? Dich scheinen sie ja auf jeden Fall zu kennen.«

»Ich nehme an, ich bleibe recht gut im Gedächtnis, nicht wahr? Die Lady vom Landsitz und so weiter. Aber ich kenne tatsächlich ein paar von ihnen. Da drüben zum Beispiel.« Sie zeigte auf einen groß gewachsenen Mann mit einem schlecht sitzenden Hut. »Das ist Dick Ackley, der gegen Mr. Caradine hier auf unsere Kühe geboten hat. Und da drüben«, sie zeigte auf einen auffallend gut aussehenden Mann in einer ordentlich geflickten Jacke, »das ist Noah Lock, einer von Mr. Caradines Nachbarn. Und lass mich mal sehen … ach ja, da ist er ja. Da drüben, am Ende des Tresens neben der Küche, der kleine Kerl. Das ist ein weiterer seiner Nachbarn, Lancelot Tribley.«

»Eine ziemlich enge Gemeinschaft«, vermutete Lady Hardcastle. »Die Nachbarn treffen sich im Pub.«

»Hier draußen muss man seine Nachbarn kennen, meine Liebe. Sie verlassen sich ja aufeinander.« Lady Farley-Stroud erhob die Stimme: »Stimmt doch, Mr. Caradine, oder?«

Er blickte von seiner Pastete auf. »Wie bitte, Mylady?«

»Ich habe gesagt, wir kümmern uns umeinander. So ist es auf dem Land. Wir halten zusammen.«

»Ah«, schnaufte er schwer mit vollem Mund. »Das tun wir, Mylady. Das tun wir.«

»Wer ist der große über und über bemehlte Kerl da drüben?«, fragte Lady Hardcastle. »Sieht eher wie ein Bäcker als wie ein Farmer aus.«

Lady Farley-Stroud lugte zu dem Riesen neben der Dartscheibe.

»Da bin ich mir nicht sicher, meine Liebe. Er kommt mir bekannt vor. Ich weiß aber nicht, wo ich ihn schon mal gesehen habe. Vielleicht im Rugbyclub? Hector wüsste das.«

Das Gespräch wurde kurz unterbrochen, als »das Mädchen« mit einem enormen Tablett zu uns kam, auf dem die Pasteten und der Cider standen. Sie war mindestens vierzig Jahre alt, und ihr fehlte mehr als ein Zahn, doch ihr lückenhaftes Lächeln war warmherzig und ihre Kraft beeindruckend.

»Bitte, meine Lieben«, sagte sie und hievte das Tablett auf den Tisch. »Vier Pasteten und vier Cider. Kann ich Ihnen sonst noch was bringen? Irgendwo hier gibt es auch Senf.«

»Und bitte noch Salz, meine Liebe«, bat Lady Farley-Stroud, während sie Messer und Gabel zur Hand nahm. »Kommt schon, meine Mädchen, lasst es euch schmecken«, sagte sie und machte sich ans Werk.

Trotz meiner Skepsis waren die Pasteten alles andere als enttäuschend. Das Fleisch war zart, die Soße sämig, und ich war mir sicher, dass es sich bei den Pilzen um Pfifferlinge handelte. Wenn man dazu noch eine großzügige Portion Kartoffelbrei hinzufügte, war es ein Essen, das eines Bauernkönigs würdig gewesen wäre. Der Cider war auch nicht schlecht, aber der von Old Joe im Dog and Duck in Littleton Cotterell war ihm doch überlegen.

Beim Essen tauschten die beiden Ladys Geschichten über ihre Zeit in Indien aus. Die von Lady Hardcastle waren dabei zweifellos aufregender, es waren ausgewählte Höhepunkte unserer weniger geheimen Spionagemissionen, aber auch in den Geschichten der älteren Dame steckte eine verschmitzte Freude, die als unterhaltsamer Kontrapunkt diente. Ich hatte schon immer vermutet, dass sie in ihrer Jugend ziemlich wild unterwegs gewesen war. Und wie sich herausstellte, entsprach das den Tatsachen. Manchmal war sie wohl auch außerordentlich feurig gewesen.

Ich hörte allerdings nur einige der Geschichten mit, da mich Maude, angeregt durch Speis und Trank, nun mit ihren eigenen Anekdoten unterhielt. Das Leben im Untergeschoss von The Grange war um einiges interessanter, als ich es von dem Tag her erinnerte, den ich dort verbracht hatte. Kichernd planten wir gerade den Niedergang der bösartigen Köchin Mrs. Brown, als uns das Ende einer von Lady Farley-Strouds Geschichten plötzlich innehalten ließ.

»… also sprang sie direkt aus dem Fenster. Noch immer splitterfasernackt, natürlich.«

Beinahe hätte ich meine Pastete wieder ausgespuckt.