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Dargestellte Personen auf den Titelbildern stehen mit dem Roman in keinem Zusammenhang.
ISBN: 978-3-74099-028-2
Wendy mußte gleich zweimal hinsehen, als die elegante junge Frau in der Praxis erschien. So etwas wie Michelle Dorant sah man nicht alle Tage. Wendy erkannte sie sofort, denn sie hatte erst gestern ein Foto von ihr in der Zeitung gesehen. Carlos Dorant, der bekannte Schauspieler war mit seiner schönen Frau Michelle in München eingetroffen.
Und nun erschien Michelle hier. Wendy hatte freilich keine Ahnung, daß sie Dr. Daniel Norden längst wohlbekannt war.
»Bitte, mich nicht anmelden, ich will den guten Doktor überraschen«, sagte Michelle mit verschwörerischer Miene, und dann schenkte sie Wendy ein umwerfendes Lächeln. »Sie kenne ich allerdings nicht.«
»Annaliesa Wendel, genannt Wendy«, bekam sie erwidert.
»Fein, Wendy, wir werden uns öfter sehen.«
Wendy fand sie hinreißend. Aber sie verstand nicht, daß sie Carlos Dorant geheiratet hatte, der für seine Affären bekannt und auch noch bedeutend älter war als dieses entzückende Wesen.
Auch Dr. Daniel Norden empfing Michelle mit gemischten Gefühlen, da er von ihrer Heirat von seiner Frau Fee informiert worden war, und Fee hatte nur den Kopf geschüttelt.
»Nachdem seine letzten Filme nichts bringen, muß er sich wohl durch diese Heirat sanieren«, hatte sie gesagt, »aber Michelle hätte doch jeden Mann haben können, warum ausgerechnet ihn?«
Das fragte sich Daniel Norden auch, als Michelle jetzt vor ihm stand und ihre wunderschönen Augen ihn anstrahlten.
Entweder ist sie wirklich glücklich, oder sie ist eine großartige Schauspielerin geworden, dachte Daniel Norden, aber Michelle hatte früher nie Neigung zur Schauspielerei gezeigt.
»Ich möchte wissen, ob ich schwanger bin«, sagte sie, nachdem sie sich gegenseitig nach ihrem Befinden erkundigt hatten und Michelle wissen wollte, zu wie vielen Kindern es die Nordens inzwischen gebracht hätten. Fünf? Da hatte sie gestaunt, aber sie hatte auch gesagt, daß diese Kinder sich die richtigen Eltern ausgesucht hätten.
»Und Sie wünschen sich ein Kind?« fragte Dr. Norden.
»Ich nehme es, wie es kommt«, sagte sie leichthin, und zum ersten Mal hörte er da einen Unterton heraus, der zu ihrer Fröhlichkeit nicht ganz paßte.
Sie war schwanger, er konnte es bestätigen, aber er empfahl ihr, doch noch einen Gynäkologen aufzusuchen, wo immer sie sei, da sie ja viel unterwegs sein würde.
»Ich bin gespannt, was Carlos sagen wird«, bemerkte sie beiläufig und hielt sich nicht mehr lange auf.
*
»Michelle Dorant war bei mir«, erzählte Daniel seiner Frau, als
er mittags heimkam. »Sie ist schwanger.«
»Du liebe Güte!« rief Fee aus. »Dorant kann ich mir als Vater nun wirklich nicht vorstellen. Offen gestanden kann ich nicht verstehen, daß sie ausgerechnet ihn geheiratet hat. Sie hatte doch wahrlich die Auswahl.«
»Was spielt das schon für eine Rolle, mein Schatz. Wo die Liebe hinfällt, so sagt man doch.«
»Und wenn sie auf den Misthaufen fällt…« Es klang gar nicht scherzhaft.
Daniel warf ihr einen schrägen Blick zu. »Was hast du gegen ihn, du kennst ihn doch gar nicht.«
»An seinem Wege blieben viele gebrochene Herzen zurück.«
»Es wird viel geklatscht, Feelein.«
»Aber es liegt auch Wahrheit in solchem Klatsch. Ich will nicht unken, Daniel, aber ich kann mir nicht vorstellen, daß das gutgeht.«
»Wenn sie mir die glückliche Frau nur vorgespielt hat, ist sie eine glänzende Schauspielerin. Und wenn es schiefgeht…, nun, bei Scheidungen ist man nicht mehr pingelig.«
»Sie würde das viel Geld kosten, aber vielleicht hat er es darauf angelegt.«
»Du bist ja richtig boshaft«, sagte Daniel erstaunt. »So kenne ich dich gar nicht.«
»Ich mag Michelle und verstehe nicht, daß sie sich das angetan hat. Wieviel Millionen stehen hinter ihr?«
»Das weiß ich nicht, und es interessiert mich auch nicht. Ich mag sie auch, und ihretwegen kann sich ein Mann schon ändern.«
Sie kannten Michelle als temperamentvolle, witzige und charmante junge Frau. Wo sie erschien, war sie umschwärmter Mittelpunkt gewesen. Und Fee konnte sich nicht vorstellen, daß sie diesen Lebemann Dorant aus Liebe geheiratet hatte.
Aber wenn es so gewesen war – das war schon wieder vorbei. Sehr schnell war es vorbei gewesen. Sie hätten es bestätigt gefunden, wenn sie jetzt bei den Dorants hätten Mäuschen spielen können.
Als Michelle ins Hotel kam, schluckte sie erstmal zwei Tabletten, wie sie es schon getan hatte, bevor sie in der Praxis Dr. Norden erschien. Sie ließ sich in einen Sessel fallen und schleuderte die Schuhe von ihren Füßen.
Sie bewohnten die Luxussuite in ihrem Stammhotel. Dank Michelles Vermögen konnten sie sich das leisten.
Carlos Dorant kam nun aus dem Nebenzimmer. Er schwankte leicht, und seine Stimme wollte ihm nicht gehorchen, als er fragte, wo sie so lange gewesen sei.
»Ich habe mir bestätigen lassen, daß ich schwanger bin«, stieß sie hervor, »nun kannst du dich freuen, du großer Künstler. Trink die nächste Flasche leer.«
»Du hast es doch gewollt«, sagte er zynisch. »Du warst doch versessen darauf, mich zu heiraten.«
»Ich muß verrückt gewesen sein«, sagte sie tonlos. »Warum habe ich nur all den Gerüchten keinen Glauben geschenkt. Warum wußte ich nicht, wie sehr du es darauf anlegtest, eine Dumme zu finden, die deine Schulden bezahlt. Du hast wirklich deine allerbeste Rolle als Liebhaber gespielt. Wärest du im Film auch so gut und überzeugend, wäre der letzte Film nicht auch ein Flop geworden.«
»Verdammt, hör damit auf! Was kann ich dafür, daß die Rollen falsch besetzt wurden, daß Mac unbedingt seinem Flittchen die Hauptrolle geben mußte.«
»Hör damit auf«, sagte Michelle wütend, »dieses Flittchen hat auch in deinem Bett gelegen. Aber jetzt wirst du den braven Ehemann spielen. Ich lasse mich nicht zum Gespött machen. Ich gönne Mona den Triumph nicht, daß sie recht hatte, mich vor dir zu warnen.«
»Sie war doch nur wütend, weil sie bei mir nicht landen konnte«, höhnte er.
Michelle warf ihm einen vernichtenden Blick zu. »Mona würde dich nicht mal mit der Feuerzange anfassen, aber all die anderen, die auf der Strecke blieben, werden heute heilfroh sein, mit dem blauen Auge davongekommen zu sein. Ich habe heute jedenfalls bei Daniel Norden bewiesen, daß ich eine bessere Schauspielerin bin als du.
Ich werde meine Rolle weiterspielen, und du wirst künftig das tun, was ich von dir verlange, sonst lasse ich dich mitsamt deinen Schulden über die Klinge springen.«
»Du benimmst dich kindisch, Michelle«, sagte er heiser, aber er war merklich verunsichert.
»Kindisch?« lachte sie auf. »Das war ich, als ich mich in dich verliebte. Ich war kindisch, als ich mit dir in deine Wohnung ging, als du mich mit deinen Drinks betäubtest, weil ich ja nichts vertragen konnte. Endlich hattest du ein dummes Huhn gefunden, das goldene Eier legte. Mein Gott, war ich blöd!« Sie stand auf und ging zum Fenster. »Ja, ich war verliebt in dich, aber jetzt hasse ich dich. Doch du wirst mich nicht loswerden. Du bekommst keinen müden Euro mehr von mir, nicht einen einzigen Cent. Du hast dich verkalkuliert, wenn du gemeint hast, daß du durch die Scheidung reich werden kannst. Ich bin schwanger, und ich werde das Kind zur Welt bringen. Und wehe dir, wenn du fremdgehst, dann kannst du betteln gehen.«
»Du Biest!« zischte er.
»Du niederträchtiger Schuft«, sagte sie kalt. »Ich fahre jetzt zu meinem Haus.«
*
Es war ein wunderschönes Haus, vor den Toren von München und in einen riesigen Park gebettet.
Hier war Michelle mit ihrem Bruder Philipp aufgewachsen, und sie hatten eine glückliche Kindheit und Jugend verlebt. Der Industrielle Laurentis hatte seinen beiden Kindern ein riesiges Vermögen hinterlassen, dessen Umfang sie erst mit der Zeit erfaßten.
Für Michelle hatte der Tod des geliebten Vaters eine Lücke gerissen, die sich nicht schließen wollte. Ihre Mutter war schon kurz nach ihrer Geburt gestorben und ihre Tante Doris, die Schwester ihres Vaters, hatte auf eine eigene Ehe verzichtet, um Michelle und Philipp die Mutter zu ersetzen. Es war ihr gelungen, aber der Vater war für Michelle doch die Hauptperson, das Vorbild, der Mensch, dem ihre ganze Liebe gehörte.
Philipp hatte früh die Nachfolge seines Vaters antreten müssen, zu früh vielleicht, wie manche meinten, aber er hatte sich meisterhaft in diese Position gefunden.
Michelle dagegen hatte sich mehr und mehr in eine Rolle hineingelebt, die ihrem eigentlichen Wesen widersprach. Sie hatte die tiefe Trauer zu überspielen versucht, um nicht zu zeigen, wie sehr der Tod des Vaters sie getroffen und verändert hatte, bis sie dann meinte, in Carlos Dorant einen Ersatz für ihren Vater zu finden. Es wurde zur grausamsten Enttäuschung, die ihr widerfahren konnte. Aber wieder verleugnete sie ihre wahren Gefühle, war sie bereit, ihre Ehe nach außen hin aufrecht zu halten.
*
Mona Holsten wollte es noch immer nicht wahrhaben, daß Michelle Carlos Dorant geheiratet hatte. Als sie hörte, daß die beiden in München angekommen waren, fuhr sie zu Philipp Laurentis ins Büro, was sie vorher noch nie getan hatte.
Er zeigte sich erfreut, aber ihre Augen sprühten Blitze.
»Hast du diese Heirat etwa gebilligt?« fragte sie erregt.
»Meinst du etwa, daß Michelle mich gefragt hätte? Sie war nun mal chloroformiert von ihm. Wenn du daran Anstoß nimmst, daß er soviel älter ist als sie, bedenke, daß sie eine Vaterfigur suchte.«
»Dorant und eine Vaterfigur, da kann ich nicht mal lachen. Ich bin wütend. Ich weiß nicht, was ich tue, wenn wir uns treffen.«
Bis sie mal so wütend wurde, dauerte es schon lange, und es mußte viel passieren. Philipp hatte es noch nie erlebt, daß sie vor Zorn buchstäblich kochte, und er kannte sie schon vier Jahre. Und er hatte sehr viel für sie übrig.
»Wenigstens haben sie kein Aufsehen um ihre Hochzeit gemacht«, stellte er gelassen fest. »Reg dich nicht auf, Mona, wir werden ja sehen, wie es läuft.«
»Du hast die Ruhe weg. Er hat den besten Schnitt seines Lebens gemacht. Er ist doch bald ganz weg vom Fenster, nachdem die letzten Filme der reinste Mist waren. Er wird sie ausnehmen wie eine Weihnachtsgans.«
»Das glaube ich nicht. Wenn sie merkt, daß es darauf hinausgeht, wird sie sauer. Dann hat er nichts mehr zu lachen. Ich kenne meine Schwester. Ich bin auch nicht begeistert von dieser Heirat, aber es ist ihr Bier.«
»Er wird sie fallen lassen wie eine heiße Kartoffeln, wenn sie auf stur schaltet.«
»Unterschätze Michelle nicht. Hast du Zeit, heute abend mit mir zu essen?«
Das kam überraschend. Mit ihm über Michelle zu reden, schien nicht angebracht zu sein, aber sie war gern mit ihm zusammen. Er hatte nur meist noch weniger Zeit als sie, die als Ärztin im Kreiskrankenhaus tätig war.
»Zufällig habe ich heute frei«, sagte sie, »sonst hätte ich dich auch nicht überfallen.«
»Was mich aber sehr freut. Kann ich dich von zu Hause abholen?«
»Okay, wann?«
»Neunzehn Uhr, wenn es recht ist.«
Es war ihr recht. Sie mochte ihn sehr, aber sie war nicht bereit, sich wie eine Klette an ihn zu hängen. An eine feste Bindung schien er nicht zu denken, aber es gab auch keine andere Frau in seinem Leben.
Mona hatte allen Grund, gegen Carlos Dorant eingenommen zu sein, denn er hatte sich ihr einmal in einer Weise genähert, die sie abgestoßen hatte. Für ihn schien jede Frau Freiwild zu sein, und besonders deshalb konnte Mona Michelle nicht begreifen. Sie machte sich trotzdem Sorgen um Michelle. Aber sie konnte nicht ahnen, wie angebracht diese waren.
*
Über diese Ehe machten sich auch andere Gedanken. Michelle machte sich keine mehr. Sie war aller Illusionen beraubt, bis ins Innerste ernüchtert und nun eiskalt.
Sie war nicht so schnell aus dem Hotel gekommen, wie sie gemeint hatte. Das Telefon hatte ein paarmal geläutet, und dann hatte ihr Carlos eröffnet, daß er zu Dreharbeiten nach Spanien müsse.
»So plötzlich?« fragte sie spöttisch.
»Der Film war schon lange geplant, wie du weißt, und wie du siehst, kommen sie ohne mich doch nicht aus. Ich bin noch lange nicht weg vom Fenster.«
»Hoffentlich gibt es genügend Whisky und willige Gespielinnen, aber vergiß nicht, was ich dir gesagt habe. Ich meine das ernst.«
Er drehte sich zu ihr um.
»Du kannst ja inzwischen eine Schwangerschaftsunterbrechung vornehmen lassen«, sagte er.
»Das könnte dir so passen. Du wirst ausbaden, was du dir eingebrockt hast, und du sollst es jeden Tag bereuen.«
»Du bist ja nicht mehr normal«, fuhr er sie an. »Ich möchte nur wissen, was in dich gefahren ist.«
Da ging sie und drehte sich nicht mehr um. Als sie in ihrem Wagen saß, legte sie für ein paar Minuten den Kopf auf ihre verschränkten Hände, mit denen sie das Steuer umfaßt hatte.
Vielleicht bin ich wirklich nicht mehr normal, dachte sie. Was war nur mit ihr, was war aus ihr geworden? Sie blickte in den Spiegel und haßte sich. Ihr war zum Heulen zumute. Warum hast du mich allein gelassen, Daddy, dachte sie. Alles wäre anders, wenn du leben würdest.
Eins wußte sie allerdings ganz genau. Niemals hätte ihr Vater diese Heirat gutgeheißen. Hatte sie nicht ihr Gesicht verloren, sich selbst auch? Wo war ihr Stolz geblieben? Und was würde sie jetzt von Philipp und Mona zu hören bekommen?
Was war eigentlich mit den beiden? Sie kannten sich doch schon so lange? Warum heirateten sie nicht?
Ich hätte einen richtigen Beruf ergreifen sollen, so wie Mona. Ich hätte wenigstens studieren sollen. Sie überhäufte sich mit Selbstvorwürfen, war wütend auf sich und griff wieder zu Tabletten.
Sie war froh, als sie vor ihrem Elternhaus ankam. Sie war müde, ausgebrannt. Sie wollte schlafen und vergessen.
Doris war nicht da, nur das Hausmädchen Marie. Sie schlug die Hände zusammen, als sie Michelle einließ.
»Sie sind wieder zu Hause, wie mich das freut«, stammelte sie.
Michelle war froh, daß sie keine Fragen nach Carlos stellte.
»Ist Tante Doris nicht zu Hause?« fragte sie müde.
»Sie ist in Bad Gastein«, erwiderte Marie. »Kann ich etwas für Sie herrichten?«
»Ich möchte schlafen.«
Marie blickte ihr besorgt nach. Das war nicht die Michelle, die sie kannte. Das war fast eine fremde Frau.
*
Als Philipp heimkam, sagte ihm Marie, daß sich Michelle gleich hingelegt hätte.
»Sie ist hier?« staunte er. »Allein?«
Marie sah ihn verwirrt an. »Warum nicht allein?« fragte sie.
»Sie ist verheiratet.«
Marie riß die Augen auf. »Das wußte ich nicht«, stotterte sie.
»Ich dachte, jeder wüßte es«, murmelte er.
»Darf ich fragen, mit wem sie verheiratet ist?« Marie war verwirrt und verlegen.
»Carlos Dorant heißt er«, erwiderte Philipp ironisch.
»Ist das nicht ein Schauspieler?«
»So ist es, aber wir wollen ihm keine Ovationen bringen, meine Gute.«
»Was möchten Sie essen?« fragte Marie.
»Ich gehe aus. Hat Michelle eigentlich gesagt, ob ihr Mann kommt?«
»Kein Wort. Sie war nur müde. Nach Frau Laurentis hat sie gefragt.«
Doris wird hoffentlich ihre Kur nicht Michelles wegen unterbrechen, dachte er. Doris hatte nämlich gerade erst eine schwere Grippe überwunden.
Er brachte es nicht fertig, an Michelles Zimmer vorüberzugehen. Leise öffnete er die Tür.
Er liebte seine Schwester sehr, und was auch geschehen war, an seinen Gefühlen für sie änderte das nichts.
»Bist du das, Phil?« hörte er sie fragen.
»Ja, Schwesterchen, ich bin es. Darf ich dich stören?«
»Du darfst alles.«
Er setzte sich zu ihr ans Bett und küßte sie leicht auf die Schläfe.
»Warum hast du nicht mal angerufen?« fragte er.
»Es hat sich alles überstürzt.«
»Wo ist Carlos?«
»Nach Spanien zu Aufnahmen. Ich möchte mal wieder zu Hause sein.«
»Das freut mich. Ich bin heute abend mit Mona verabredet. Kommst du mit?«
»Nein, ich bin zu müde. Warum seid ihr eigentlich nicht verheiratet?«
»Sollten wir das?«
»Warum nicht?«
»Muß man immer gleich heiraten?«
»Gleich sicher nicht, das mag ein Fehler sein, aber ihr kennt euch doch schon lange, und sicher schläfst du doch auch mit ihr.«
»Sei nicht so indiskret, Michelle. Wir haben wenig Zeit füreinander.«
»Man kann doch darüber reden. Ist Mona böse auf mich?«
»Sie versteht nicht, daß du Dorant geheiratet hast. Es scheint ein Schock für sie gewesen zu sein.«
Sie wechselte wieder das Thema. »Möchtest du denn keine Kinder haben, Phil?«
»Doch, natürlich. Es ergibt sich dann schon.«
»Du läßt wohl alles an dich herankommen.« Es klang mißbilligend.
Er lachte leise.
»Es genügt doch, wenn du so impulsiv bist. Ich meine, du hättest mir wenigstens vorher mitteilen können, daß ihr heiratet.«
»In England geht es schneller. Und ich wollte kein großes Tamtam. Außerdem hatte Carlos Termine.«
»Sein letzter Film war ein Flop.«
»Er war miserabel. Ich beschönige ja nichts. Ich sage auch nicht, daß er der Größte ist. Aber du bist mit Mona verabredet. Ich will dich jetzt nicht aufhalten.«
Sie will mich loswerden. Ich soll ihr wohl nicht zu direkte Fragen stellen, dachte er.
»Wie lange wirst du bleiben?« fragte er.
»Ich weiß es noch nicht. Aber sicher einige Zeit.«
Na dann, dachte Philipp, da stimmt was nicht.
*
Michelle fühlte sich elend, als Philipp gegangen war. Ihr war schwindelig, und ihr Magen rebellierte. Wahrscheinlich gehörte das zur Schwangerschaft. Dr. Norden hatte ihr gesagt, was sie vermeiden sollte. Keinen Alkohol trinken, nicht rauchen, auch nicht überanstrengen und regelmäßig zu Kontrolluntersuchungen gehen.
Wollte sie denn überhaupt ein Kind von Carlos haben? War es nicht Trotz, es ihm präsentieren zu wollen? Und warum sollte sie sich eigentlich nicht von ihm trennen?
Sie wollte sich mal lieber beim Anwalt erkundigen, was sie eine Scheidung kosten würde, da er ja noch im Geschäft war. Dann war es ja nur eine ganz kurze Ehe. Vielleicht konnte die auch annulliert werden. Die widersprüchlichsten Gedanken bewegten sie nun.
Aber sollte sie sich so blamieren? Jetzt würde die Heirat doch erst recht publik werden, und dann sollte gleich darauf eine Scheidung folgen?
Früher hatte man ihr nachgesagt, daß sie sehr wählerisch sei, und ein paar Männer hatten sie sogar die eiserne Jungfrau genannt.
Verzweiflung packte sie plötzlich, doch dabei mußte sie sich allein die Schuld an dieser Misere geben.
Dr. Norden hatte gesagt, sie solle zu einem Gynäkologen gehen. Vielleicht riet ihr der, die Schwangerschaft zu unterbrechen, wenn es ihr schlechtging. Und es ging ihr schlecht. Dr. Norden wollte sie nicht fragen. Ihm hatte sie ja die glückliche Frau vorgespielt. Hatte sie ihn wirklich getäuscht? Was hatte man denn hier so über Carlos geredet und geschrieben?
Warum dachte sie erst jetzt darüber nach, warum nicht schon früher, bevor sie ja gesagt hatte zu dieser Ehe?
Aber Carlos hatte sie ja auch getäuscht. Er hatte von Liebe gesprochen und daß sie die einzige Frau sei, die ihn festhalten könnte. Keine andere hätte ihm soviel bedeutet. Sie solle die Gerüchte nicht ernstnehmen, und was nicht alles, und sie war wie benebelt gewesen.
Sie wankte ins Bad, stellte sich unter die Dusche. Ihr wurde es ein bißchen wohler. Dann ging sie hinunter zu Marie und ließ sich einen Tee aufbrühen. Sie schluckte wieder die Tabletten.
Marie sah es.
»Sind Sie krank?« fragte sie besorgt. »Soll ich Dr. Norden rufen? Sie kennen ihn doch?«
»Ich war schon bei ihm. Ich fühle mich tatsächlich nicht ganz wohl. Ich werde mich doch gründlich untersuchen lassen.«
»Ich will ja nicht aufdringlich sein, aber Herr Laurentis hat gesagt, daß Sie geheiratet haben. Ich möchte gern Glück wünschen.«
»Das kann ich brauchen, Marie. Aber reden wir jetzt nicht davon.«
*
»Mir geht Michelle nicht aus dem Sinn«, sagte Fee Norden abends zu ihrem Mann. »In der Abendzeitung ist eine kleine Notiz, daß Carlos Dorant in England die reiche Erbin Michelle Laurentis geheiratet hat. Die Hochzeit fand zwischen Filmaufnahmen statt. Das ist alles.«
»Wäre dir eine prunkvolle Hochzeit lieber, Fee?« scherzte er.
»Gar keine wäre mir am liebsten gewesen. Ich kenne Michelle, sie wird es bestimmt schnell bereuen.«
Sie konnte nicht ahnen, wie sehr sie es schon bereute.
Michelle hatte eine Flasche Sekt neben sich stehen und schon zwei Gläser getrunken. Marie hatte nur den Kopf geschüttelt, als sie diese selbst aus dem Keller holte. Früher hatte Michelle Alkohol nie angerührt. Und geraucht hatte sie auch nicht. Jetzt rauchte sie.
Daß sie wieder zwei Tabletten nahm, sah Marie nicht, aber sie sah Michelle an diesem Abend überhaupt nicht mehr, denn sie lag inzwischen schon wieder in tiefstem Schlummer in ihrem Bett, beinahe bewußtlos zu nennen.
Sie ahnte auch nicht, wie sehr man sich um sie sorgte. Philipp versuchte vergeblich, Mona diese tiefe Sorge auszureden. Er wollte sie ablenken und schlug ein ganz anderes Thema an.
»Michelle hat mich gefragt, warum wir nicht verheiratet sind«, sagte er so plötzlich, daß Mona ihn fassungslos ansah. Sie rang nach Worten, und Philipp lachte.
»Jetzt bist du sprachlos. Ja, darüber macht sie sich Gedanken, weil wir uns doch eigentlich lange genug kennen würden. Und wie denkst du darüber?«
Mona hatte sich gefaßt. »Soll ich dir etwa einen Heiratsantrag machen und mir einen Korb holen?« fragte sie ironisch.
»Woher willst du wissen, daß du einen Korb bekommst?«
»Na, du hast doch noch keine Anstalten gemacht, dieses Thema auch nur anzudeuten.«
»Du hast ja auch kein Signal dazu gegeben.«
Sie betrachtete ihn kopfschüttelnd. »Du bist ein seltsamer Mann, Philipp. Wenn du im Geschäft auch so abwartend wärest, hättest du schon längst Konkurs anmelden müssen.«
»Da habe ich es mit Waren zu tun.«
»Aber doch auch mit Menschen, nämlich mit deinen Mitmenschen.«
»Ich weiß ja, was ich von denen zu halten habe. Bei dir weiß ich nie, woran ich bin. Würdest du denn auf deinen Beruf verzichten?«
»Warum denn?«
»Nehmen wir mal an, wir würden heiraten, würdest du dann auch weiterhin beruflich so engagiert sein?«
»Wie ist es denn mit dir? Ich würde mich jedenfalls sträflich langweilen, wenn du die meiste Zeit im Büro verbringst.«
Er warf ihr einen nachdenklichen Blick zu. »Vielleicht tue ich das, weil niemand zu Hause auf mich wartet, hast du daran noch nicht gedacht?«
»Warum hast du dann nicht mal ein Signal gesetzt? Von Liebe war doch zwischen uns nie die Rede.«
»Muß man denn darüber reden? Mich interessiert jedenfalls keine andere Frau, und man muß ja nicht unbedingt heiraten, um dennoch zueinander zu gehören. Ja, wenn wir Kinder haben wollen, ist es selbstverständlich.«
»Eine Ehe ohne Kinder kann ich mir nicht vorstellen«, sagte Mona.
»Fein, daß du dich diesbezüglich mal äußerst. Ich dachte, der Beruf wäre dir wichtiger!«
»Du machst mich langsam wütend«, sagte sie mit blitzenden Augen.
»Es steht dir gut, wenn du wütend bist«, scherzte er. »Jetzt mach kein Gesicht, Mona, es ist doch wirklich an der Zeit, daß wir mal ernsthaft über die Zukunft reden.«
»Nur, weil Michelle Anstoß daran nimmt, daß wir nicht verheiratet sind?«
»Nein, weil sie findet, wie gut wir zueinander passen. Und ich finde das schon lange. Du etwa nicht?«
Sie konnte ihm nicht böse sein. Sie liebte ihn, und das nicht erst jetzt, da er von Heirat sprach. Es hatte ihr auch nichts ausgemacht, so mit ihm zusammenzusein, wenn nicht doch manchmal die Angst gewesen wäre, daß er sich einer anderen zuwenden könnte. Aber Philipp Laurentis war nicht so wie Carlos Dorant.
Er griff nach ihrer Hand. »Werden wir heiraten, und wirst du dann auch Zeit für mich haben, Mona?« fragte er.
»Wirst du dir auch Zeit für Privatleben nehmen?« fragte sie.
»Wir werden uns bestimmt einig werden. Du weißt hoffentlich, was du mir bedeutest.«
»Ich liebe dich«, sagte sie leise.
»Du machst mich glücklich. Aber eigentlich war ich immer glücklich, wenn ich mit dir zusammensein konnte.«
So konnte sich Liebe auch beweisen.
Ihre Blicke versanken ineinander, und er küßte ihre Fingerspitzen.
»Eigentlich müßte ich dir jetzt einen Ring an den Finger stecken, aber ich habe keinen.«
»Es geht auch ohne Ring.« Sie drückte seine Hand an ihre Wange. »Und welchen Eindruck hattest du von Michelle?«
»Sie wirkte erschöpft und alles andere als glücklich.«
»Und das sagst du mir erst jetzt?«
»Mir war es wichtiger, mit dir klarzukommen. Sie hat uns nicht mal von ihrer Heirat informiert, also muß sie auch die Suppe allein auslöffeln, die sie sich eingebrockt hat.«
»Nein, Phil, wir können sie nicht im Stich lassen, wenn sie Hilfe braucht. Ich mag Michelle viel zu sehr.«
»Wir werden sehen, ob sie Hilfe braucht. Natürlich werden wir sie dann nicht im Stich lassen. Aber sie soll auch erst einmal einsehen, daß nicht alles so läuft, wie sie es sich vorstellt.«
Ȇber ihre Heirat wird jetzt
jedenfalls geredet werden«, meinte Mona. »Es war eine Notiz
in der Zeitung, und die anderen werden wahrscheinlich nachziehen.«
Philipp zuckte die Schultern. »Wir werden es schon verkraften, Mona.«
*
Als Michelle am nächsten Morgen aufstand, war Philipp schon wieder aus dem Haus. Ihr war das ganz recht. So brauchte sie keine Fragen zu beantworten, und als sie sich im Spiegel betrachtete, wußte sie, daß er ihr Fragen stellen würde.
Philipp hielt mit seiner Meinung nicht hinter dem Berg. Er war sehr ehrlich und sehr direkt, wie ihr Vater gewesen war. Der Gedanke an ihren Vater verursachte ihr wieder körperlichen wie auch seelischen Schmerz. Sie beschloß, zum Friedhof zu fahren. Aber dann war ihr wieder so übel, daß sie Dr. Norden anrief.
»Ich möchte Ihren Rat befolgen und einen Gynäkologen aufsuchen«, sagte sie. »Wen können Sie mir empfehlen?«
»Dr. Leitner. Er hat auch eine sehr angesehene Privatklinik. Sie können ihn auch schnell erreichen, die Klinik befindet sich im Wiesengrund. Rufen Sie ihn an und sagen Sie, daß ich Sie zu ihm schicke, dann bekommen Sie gleich einen Termin.«
»Aber wenn mir sonst etwas fehlt, kann ich doch zu Ihnen kommen?«
»Jederzeit, Michelle, ich freue mich, Sie zu sehen.«
Unwillkürlich hatte er das Gefühl, ihr zu verstehen zu geben, daß sie Freunde hatte.
Er rief schnell bei Schorsch Leitner an und bereitete ihn auf Michelle vor. »Sei besonders nett zu ihr, Schorsch, ich habe das Gefühl, daß sie Hilfe braucht, es aber nicht zugeben will.«
Gleich danach bekam er Michelles Anruf. Er sagte ihr, daß sie um elf Uhr kommen könne.
Sie trank Kaffee mit viel Milch, was Marie verwunderte, denn früher hatte ihr der Kaffee nicht stark und schwarz genug sein können. Und gerade einen Toast würgte sie hinunter, um Marie nicht nachdenklich zu machen, aber die war schon nachdenklich genug.
Am Steuer fühlte sie sich besser, vielleicht deshalb, weil sie sich konzentrierte und nicht quälenden Gedanken nachhing.
Sie kannte sich in der Gegend gut aus und war nach knappen zehn Minuten schon bei der Klinik.
Sie stellte sich als Michelle Dorant-Laurentis vor. Schwester Inge führte sie zu Dr. Leitner.
»Dr. Norden hat Sie empfohlen«, sagte Michelle ungewohnt beklommen, obwohl Schorsch Leitner wahrlich nicht respekteinflößend war, sondern einfach nur sehr sympathisch und sogar väterlich wirkte.
Er verstand es auch meisterhaft, ohne viel zu reden, die Untersuchung durchzuführen. Bei der Blutabnahme wurde es Michelle allerdings wieder schwindelig, und bei der Ultraschalluntersuchung zeigte sie sich wenig interessiert.
Er war nicht optimistisch, aber er zeigte es ihr nicht. Sehr gewissenhaft führte er die Untersuchung durch, eingehender als bei anderen Schwangeren.
»Sie sollten in den nächsten Wochen sehr vorsichtig sein«, sagte er eindringlich. »Bitte, nicht rauchen. Ein Gläschen Sekt kann nicht schaden, nur sollten Sie auch jeden Streß vermeiden. Haben Sie größere Reisen vor?«
»Nein, ich werde jetzt hierbleiben. Und ich verspreche auch, regelmäßig zur Kontrolle zu kommen. Das hat Dr. Norden mir auch schon ans Herz gelegt.«
»Ich werde Sie anrufen, wenn die Laborbefunde vorliegen.«
»Gibt es irgendwelche Bedenken?«
»Sie sind ein Leichtgewicht und sehr schmal gebaut. Man sollte schon etwas vorsichtiger sein.«
Er machte sich ganz andere Gedanken, aber das zeigte er freilich nicht.
»Nützen Sie das schöne Wetter aus, gehen Sie viel an die frische Luft. Bewegung ist auch wichtig.«
»Ich wandere gern«, sagte sie. »Vielen Dank, Herr Doktor, daß Sie so entgegenkommend waren.«
»Ich freue mich, wenn man mir Vertrauen entgegenbringt.«
Vertrauen, dachte Michelle. Vertrauen ist so unendlich wichtig, aber Carlos kann ich nicht vertrauen. Wie konnte ich mich nur in diese Ehe stürzen, wie hat er es fertig gebracht, mir jede nüchterne Überlegung zu nehmen?
Aber was war denn überhaupt in letzter Zeit mit ihr los, daß Sie so unkontrolliert war und manchmal ganz die Gewalt über sich verlor? Früher hatte ihr Verstand immer das Gefühl beherrscht.
Sie hatte nie unüberlegt gehandelt.
Sie fuhr zum Friedhof. Sie wollte Zwiesprache mit ihrem Vater halten. Vielleicht kam ihr an seinem Grab die Erleuchtung, was mit ihr los war.
Sie kaufte weiße und rote Rosen, einen ganzen Arm voll, und damit bedeckte sie das Grab, das von Tannen umgeben war. Ein schlichter Stein, in den sein Name eingraviert war und der seiner Frau, ihrer Mutter, der gegenüber sie immer Schuldgefühle hatte, weil sie meinte, daß sie ihretwegen sterben mußte. Ihr Vater hatte es ihr auszureden versucht, aber jetzt waren diese Gedanken wieder gegenwärtig.
»Daddy, wenn du doch bei mir wärst«, flüsterte Michelle. »Du würdest mir sagen, wie ich es richtig mache, wie ich mein Leben wieder in den Griff bekommen kann. Oder ist das für immer vorbei? Dann möchte ich lieber tot sein, bei dir, fern von dieser Welt, in der ich doch nicht mehr glücklich sein kann. Ich habe doch gedacht, daß Carlos mich liebt, und ich verliebte mich in ihn, weil er in einem Film dir ähnlich sah. Ich dachte, daß er so sein würde wie du, daß ich mich bei ihm anlehnen könnte und Halt finden könnte, aber er ist so haltlos und egoistisch. Er wollte nur mein Geld. Jetzt weiß ich es. Du hast mich damals gewarnt. Du hast gesagt, daß die Männer oft erst aufs Geld schauen, aber ich meinte ja, daß er selbst genug hat, und es schien ja auch so zu sein. Wie soll ich es nun Philipp und Mona beibringen, daß ich so unglücklich bin? Ewig kann ich die Rolle der glücklichen Frau nicht spielen. Das Lachen vergeht mir.«
Sie kniete nieder und faltete die Hände. Sie fühlte sich als Kind und war unendlich traurig. Dann dachte sie an das Kind, das sie haben würde. Konnte sie dieses Kind lieben? Konnte sie denn durchhalten, was sie von Carlos verlangt hatte? Wollte sie es denn überhaupt, daß diese Ehe aufrecht erhalten wurde?
*
Dr. Leitner hatte die ersten Laborbefunde schon am nächsten Tag auf dem Schreibtisch liegen, und sein Gesicht wurde sehr ernst, als er sie las, denn sie mußten ihm zu denken geben. Zuerst war da der Rhesus-Faktor negativ, der sich kritisch für das Kind auswirken konnte. Im zweiten Befund zeigte sich eine deutliche Vermehrung der weißen Blutkörperchen an. Auch die Blutsenkung stimmte ihn bedenklich.
Er rief Daniel Norden an, und der wußte gleich, um wen es ging. »Sieht nicht besonders gut aus«, sagte Schorsch Leitner. »Wie war deine Diagnose?«
»Ich beurteile nur ihre Stimmung, und die war gut. Ich habe mit großen Komplikationen nicht gerechnet.«
»Aber auf die müssen wir uns gefaßt machen, Daniel. Ich weiß nur nicht, wie ich es ihr beibringen soll.«
»Sie wird es sich wahrscheinlich nicht anmerken lassen, wenn es sie trifft. Nach meiner Meinung hat sie sich zu einer guten Schauspielerin entwickelt.«
»Ist die Ehe nicht glücklich?«
»Das wage ich nicht zu beurteilen. Sie wird es sicher nicht zugeben, wenn sie einen Fehler schon einsieht, und ein Fehler war diese Heirat mit größter Wahrscheinlichkeit.«
»Willst du lieber mit ihr sprechen, Daniel?«
»Nein, das überlasse ich dir, wir kennen sie schon lange, sie soll nicht denken, daß wir hinter ihrem Rücken mauscheln. Aber ich möchte gern informiert werden.«
»Worauf du dich verlassen kannst.«
Dr. Leitner mußte jetzt in den Kreißsaal, denn eine Geburt war im Gange, und die Wehen hatten wieder ausgesetzt. Aber das Baby zeigte sich willig, dennoch bald in Erscheinung zu treten, und so konnte Dr. Leitner es bereits eine Stunde später abnabeln und der erleichterten Mutter in den Arm legen.
Bei ihr hatte es während der Schwangerschaft keinerlei Probleme gegeben, und trotzdem waren kurz vor der Geburt Komplikationen aufgetreten, die nun aber zum Glück ohne Folgen blieben. Mutter und Kind waren wohlauf, und Dr. Leitner war dankbar und zufrieden. Er trank nur eine Tasse Kaffee, dann rief er Michelle an.
Marie war am Telefon und wunderte sich, als sich die Leitner-Klinik meldete. »Es ist für Sie«, sagte sie zu Michelle und verschwand dann gleich in der Küche.
Michelle war überrascht, daß Dr. Leitner sie sobald anrief. Er teilte ihr diplomatisch mit, daß es besser wäre, noch eine zusätzliche Untersuchung zu machen, da sie möglicherweise gerade einen Infekt in sich trüge…
»Nur zu«, sagte sie leichthin, »ich kann gleich kommen. Ich möchte wissen, was mit mir los ist, da mir ständig übel ist.«
Dr. Leitner war erleichtert, aber Michelle war nachdenklich geworden. Zu sich selbst ehrlich, gestand sie sich ein, daß sie während der letzten Zeit nicht gerade solide gewesen war, was essen und trinken anbetraf. Eigentlich konnte es ihr jetzt gar nicht schlimm genug kommen, da ihre Stimmung ohnehin auf dem Nullpunkt angelangt war.
»Du machst deine Sache gut, Michelle«, sagte sie zu ihrem Spiegelbild.
Sie kleidete sich sorgfältig an und widmete auch ihrem Make-up mehr Zeit und Aufmerksamkeit als sonst. Auch das hatte sie sich einer Maskenbildnerin abgeschaut, die sie einmal für ein Fernsehinterview hergerichtet hatte. Carlos war damals wütend geworden, weil er sich in den Hintergrund gedrängt gefühlt hatte.
Sie hatte sich auch über ihn geärgert, und heute dachte sie, wie gut es gewesen wäre, sie
hätte sich sofort von ihm getrennt.
Marie dachte noch immer darüber nach, was wohl die Klinik von ihr wollte, aber sie wagte nicht zu fragen und sah Michelle kummervoll nach. Nichts mehr war da von ihrer Fröhlichkeit, mit der sie dem Haus Leben gegeben hatte. Es war wieder still, zu still.
Dr. Leitner hatte sich auf ihren Besuch sehr gut vorbereitet. Er hoffte, daß sie nicht zu viele Fragen stellen würde, wenn er ihr seine Bedenken erklärte. Er sollte sich täuschen.
Er bewunderte jedoch ihre Selbstbeherrschung, als er ihr sagte, daß die Schwangerschaft gefährdet werden könnte.
»Es hat immer einen Grund, wenn sich die Leukozyten vermehrten und dazu noch die Blutsenkung schlechte Werte zeigte.«
»Und was schließen Sie daraus?« fragte sie.
»Wir müssen das kontrollieren. Wie fühlen Sie sich?«
»Ziemlich mies, appetitlos und schwindelig. Aber das soll ja bei einer Schwangerschaft häufig der Fall sein.«
»Sie freuen sich auf das Kind?«
Ein Schatten fiel über ihr Gesicht. »Ich weiß nicht so recht. Wenn ich mich weiterhin so elend fühle, wird mir die Freude wohl vergehen.«
»Und freut sich der werdende Vater?«
»Der wird nicht viel mitbekommen, da er ständig unterwegs ist.«
Dr. Leitner fühlte sich unbehaglich, da er spürte, daß sie keine klare Antwort geben wollte. Und was dachte sie wirklich? Man konnte nicht in sie hineinschauen, und er kannte sie zuwenig.
Er mußte jetzt die Befürchtung hegen, daß sie keine gesunde Frau war, wenngleich erst eine weitere Untersuchung über den genauen Zustand eine Aussage machen konnte. Er konnte nur hoffen, daß seine Vermutung sich nicht bestätigte.
*
Wenn etwas nicht stimmt, wird Dr. Leitner schon von sich aus einen Abbruch vorschlagen, dachte Michelle. Sie scheute sich davor, davon anzufangen, und es lag auch nicht in ihrem Charakter, sich eines ungeborenen Kindes zu entledigen. Es konnte ihr Trost und Rechtfertigung sein, wenn medizinische Bedenken dazu führen würden. Sie wollte jetzt jedenfalls nicht darüber nachdenken.
Sie fuhr zu Philipp ins Büro, und sie traf ihn auch an.
»Das ist aber eine Überraschung!« rief er aus. »Willst du dich überzeugen, ob ich fleißig genug bin, um Dad würdig zu vertreten?«
»Ich weiß, daß du das tust«, sagte sie weich. »Er wäre sehr stolz auf dich. Ich war auf dem Friedhof und habe mich mit ihm unterhalten.«
Er sah sie mit einem seltsamen Ausdruck an. Rührung überkam ihn. Er fühlte sich versucht, sie in die Arme zu nehmen. Aber sie war schon wieder an der Tür. »Ich wollte dich eigentlich nur fragen, ob wir heute abend mit Mona essen könnten. Ich würde zu Hause alles herrichten.«
»Wird dir das nicht zuviel?«
»Wie kommst du darauf?«
»Weil du ein bißchen angegriffen aussieht, Michelle.«
»Findest du? Nun, die letzten Wochen waren anstrengend, aber nun ist ja Carlos einige Zeit in Spanien. Ich bin ganz froh, mal wieder zu Hause zu sein. Es ist dir doch nicht lästig?«
»Wie kannst du das sagen! Ich freue mich, und das Haus gehört dir genauso wie mir.«
»Aber wenn du heiratest, überlasse ich es ganz dir.«
»Es wird immer auch dein Zuhause sein, Michelle.«
»Dann kann ich heute abend mit euch rechnen?«
»Ich rufe Mona gleich an. Aber mach dir keine Umstände, Michelle.«
Sie hatte es jetzt eilig. Sie wollte für ein festliches Essen sorgen. Sie kaufte ein, und sie überraschte Marie dann mit nahezu euphorischer Begeisterung.
»Das reicht ja für ein halbes Dutzend«, meinte die nur.
»Sie dürfen auch zugreifen, Marie.«
»Kommt Herr Dorant auch?« wagte Marie zu fragen.
»Er ist in Spanien. Er wird einige Zeit dort sein.«
Marie fragte lieber nichts mehr, obgleich sie doch recht neugierig war.
Philipp hatte Mona erreicht, und sie war überrascht von der Einladung.
»Michelle will zu Hause essen?« staunte sie.
»Und will es selbst zubereiten. Lassen wir uns einfach überraschen.«
Sie sollten angenehm überrascht werden. Michelle gab sich keine Mühe, die glückliche Frau Dorant zu spielen. Sie war Michelle Laurentis, und sie begrüßte Mona voller Freude und sehr herzlich. Nein, sie wollte ihnen nichts vorgaukeln, aber sie wollte auch keine trübe Stimmung aufkommen lassen.
Das Essen war delikat. Mona, die sich nie viel Zeit fürs Kochen nahm, kam aus dem Staunen nicht heraus.
»Wo hast du das gelernt?« fragte sie.
»Bei einem Fernsehkoch, während Carlos Aufnahmen hatte.«
»Es duftet verführerisch«, sagte Philipp. »Mir läuft das Wasser im Mund zusammen.«
»Du mußt mir ein paar Rezepte geben, sonst bin ich bei Philipp abgemeldet«, sagte Mona.
»Du hast andere Qualitäten«, stellte Michelle fest. Tatsächlich fand sie, daß Mona überaus attraktiv geworden war, eine beeindruckende Persönlichkeit.
»Deine Heirat hat uns ganz schön überrascht«, sagte Mona, die insgeheim feststellte, daß Michelle sehr verändert war.
»Ihr hättet eigentlich den Vorrang haben müssen«, meinte Michelle, »aber ihr habt es ja anscheinend nicht eilig.«
»Wir haben gestern beschlossen, es doch zu wagen«, sagte Philipp.
»Das freut mich, das freut mich wirklich«, sagte Michelle überstürzt. »Pardon, mir ist nicht gut«, sie sprang auf und lief hinaus.
»Nun wissen wir, warum die Heirat so schnell und ohne Aufsehen über die Bühne ging, Michelle ist schwanger«, sagte Mona.
»Aber vor uns braucht sie sich deshalb doch nicht zu genieren.«
»Sie war diesbezüglich immer leicht verklemmt«, stellte Mona fest. »Man konnte mit ihr ja auch nicht über Sex reden.«
»Sie war naiv, Mona. Sie ist erst dreiundzwanzig.«
»Und hätte noch viel Zeit gehabt, um richtig erwachsen zu werden.«
Michelle kam zurück. Sehr blaß und nervös war sie.
»Mein nervöser Magen, ich habe das öfter«, sagte sie entschuldigend.
»Du brauchst es doch nicht zu verheimlichen, Michelle«, meinte Mona nachsichtig, »du bekommst ein Baby.«
»Meinst du?« tat Michelle erstaunt. »Daran habe ich noch gar nicht gedacht. Macht sich das so früh bemerkbar?«
»Ich bin Ärztin, Michelle. Du kannst mir schon einiges zutrauen. Nicht alle werdenden Mütter leiden jedoch unter Übelkeit. Du solltest regelmäßig essen. Oder beunruhigt es dich, daß Carlos nicht hier ist?«
»O nein, jetzt würde er mir nur auf die Nerven gehen. Ihr habt doch nichts dagegen, wenn ich mich ein bißchen hinlege?«
»Tu das nur, deine Gesundheit ist wichtiger als alles andere. Kann ich etwas für dich tun?« erkundigte sich Mona fürsorglich.
»Nein, es ist lieb gemeint, aber ich möchte mich nur entspannen.«
»Mach ein paar Atemübungen, dann ist dir gleich wohler.« Mona sah Michelle forschend an. »Weißt du schon, wie man das macht? Ich kann es dir erklären.«
»Ich weiß das schon, laßt euch nicht stören. Tut mir leid, daß ich nicht okay bin.«
»Ich mache mir Sorgen, Phil. Es ist nicht nur die Schwangerschaft. Michelle ist in einem desolaten Zustand, aber ich werde sie wohl nicht bewegen können, sich von mir untersuchen zu lassen. Sie wird auch nichts zugeben, auch nicht, daß die Schwangerschaft der Heiratsgrund war.«