Wolfram von Eschenbach, der gröste Dichter, nicht, wie Friedrich Schlegel meinte, der Deutschen überhaupt, doch des deutschen Mittelalters, lebte gegen das Ende des zwölften und den Anfang des dreizehnten Jahrhunderts, also in der besten Zeit der Hohenstaufen und mitten in der von ihm selber mit heraufgeführten ersten Blütezeit unserer Sprache und Literatur. Während der furchtbaren Kämpfe, welche das Kaisertum wider die Hierarchie bestand, wuste er durch hohe Dichterkraft und sittliche Würde die Gemüther unserer Vorfahren zu gewinnen und zu fesseln. Sein Ruhm würde sich über seine Nation hinaus verbreitet haben, wenn jene Kämpfe mit dem Siege des Kaisertums, statt mit Deutschlands Erniedrigung geschloßen hätten. Indem das Reich sank, welkte unsere Poesie, und wie sich Italien hob, ließ sich auch der dichterische Geist jenseits der Alpen nieder, und auf Wolfram von Eschenbach folgte Dante der Florentiner. Noch drei Jahrhunderte währte Wolframs Ansehen in seinem Volke, bis ihn die gänzliche Umwandlung der Sprache, welche sich durch die Reformation entschied, und die schon früher herschend gewordene humanistische Richtung mit allen Dichtern des dreizehnten Jahrhunderts in ein unverschuldetes Dunkel stellte. Aus der Glaubensspaltung und den erschöpfenden Kriegen, welche von der Religion Anlaß und Vorwand entliehen, trug der deutsche Geist eine Trübung und Lähmung davon, die er Jahrhunderte lang nicht überwinden konnte. Erst zu Ende des achtzehnten Jahrhunderts entwickelte die deutsche Sprache und Literatur eine zweite Blüte, aus welcher wir den Samen eines neuen Volksbewustseins reifen sahen. Wenn dieser aufgeht, und mit hochschlagendem Herzen gewahren wir täglich das kräftige Gedeihen der jungen Pflanze, dann werden uns auch die Dichter, welche in jener frühern Periode unsere Nation verherlicht haben, nicht mehr fremd sein, und Wolfram von Eschenbach, der deutscheste von allen, das nächste Recht auf unsere Liebe und Bewunderung geltend machen.
Von den Lebensumständen des Dichters, den ich der Gunst der spätern Enkel empfehle, hat uns die Sorglosigkeit seiner Zeitgenoßen nichts Zuverläßiges gemeldet, und nur wenig Aufschluß geben darüber seine Werke. Da er sich selber (121, 7) einen Baiern nennt, so kann er dem schweizerischen Geschlechte deren von Eschenbach, das durch K. Albrechts Ermordung befleckt und fast ausgerottet wurde, nicht angehört haben, vielmehr scheint das nordgauische, bei Ansbach gelegene, Schloß und Städtchen Eschenbach der Stammsitz seiner Ahnen. Dafür spricht außer der Nähe von Pleienfelden, nach dem er im jüngern Titurel und bei Püttrich von Reicherzhausen »von Eschenbach und Pleienfelden« heißt, auch die der meisten deutschen Ortschaften, deren Wolfram gedenkt, und die es von allen Seiten so umgeben, daß es gleichsam den Mittelpunkt seines Horizontes bildet, vgl. §5. Auch stimmt das Wappen, das ihm das Bild in der sog. Manessischen Sammlung beilegt, zwei weiße, mit dem Rücken gegen einander gekehrte, Meßer im rothen Felde, mit dem der baierischen Eschenbache, drei silberne Meßer im rothen Felde, in der Hauptsache überein. Anders lautet die Angabe Püttrichs, der, Wolframs Grab aufzusuchen, zwanzig Meilen weit nach der Frauenkirche in dem damaligen Marktflecken Eschenbach geritten sein will: daß er einen Hafen (Topf) mit Blumen im Schilde und auf dem Helme geführt habe. Wir mögen uns nicht auf das Feld der Vermuthungen begeben, sonst läge es nahe, in dem zuerst erwähnten, mehrfach auch aus Grünenbergs Wappenbuche bestätigten Wappen Wolframs die silbernen Meßer Trebüchets, deren im Parzival 490, 20, vgl. 234, 18 ff. gedacht wird, wieder zu finden, und das von Püttrich beschriebene Schild und Helmzeichen für das alte Wappen seines Geschlechts zu erklären.
Daß er Ritter war und schon von Geburt Anspruch auf diese persönliche Würde hatte, beweist außer dem Worte »Herr«, den wir seinem Namen immer vorgesetzt finden, das schon erwähnte Manessische Bild, welches Hr. von der Hagen folgendermaßen beschreibt: »Ganz im Ringpanzer, darüber den Wappenrock mit umgegürtetem Schwerte, das Haupt im geschlossen Helm, den Schild in der Linken, die Lanze in der Rechten, steht Wolfram vor seinem, auf tief herabhängender Decke (Kovertüre) gesattelten und gezäumten, zur Hälfte rechts hereinschreitenden Rosse, welches ein neben ihm stehender Knabe (Garzon) in einfachem Gewande am Zaume hält und an den Nüstern streichelt: so erscheint es, als wollte der Ritter eben zum Kampf auf Schimpf oder Ernst aufsitzen;« endlich er selbst 115, 11:
»Zu Schildesamt bin ich geboren:
Sind Kraft und Muth an mir verloren –
Die mich um Saug will minnen,
Dünkt mich nicht bei klugen Sinnen.
Trag ich edler Frau Begehr,
Vermag ich nicht mit Schild und Sper
Zu erwerben ihrer Minne Sold,
So sei sie mir mit Nichten hold.
Es ist doch hoch genug gespielt,
Wer mit Ritterschaft nach Minne zielt.«
Gleichwohl war er nicht reich, mehrmals hören wir ihn, z. B. 185, 1 ff., über seine Armut scherzen, und wenn er dabei seines eigenen Hauses, wo er Herr genannt werde, gedenkt, so konnte ihn dieß Erbe so wenig als seinen edeln Zeit-, Kunst- und Standesgenoßen Walther von der Vogelweide das ersungene Lehen vor dem Looße der Dürftigkeit schützen. Doch ist es nach den obigen Worten nicht wahrscheinlich, daß er im Gesang eine Quelle seines Unterhalts gesucht und wie Walther von Hof zu Hof ein unstätes Wanderleben geführt habe. Hat ihm gleich Landgraf Herman von Thüringen den Stoff seines Willehalm (W. 3, 8. 9) mitgetheilt, so ist doch weder dieß noch ein anderes seiner Gedichte einem Fürsten gewidmet, und das bedeutendste von allen, den Parzival, hat er am Schluß in sehr zarter Weise einer Frau, deren Gunst es ihm erwerben sollte, zugeeignet. Wir dürfen ihn daher nicht als fahrenden Sänger denken, und wenn er im Dienst eines reichern Herrn aufträte (daß er einmal den Grafen von Wertheim seinen Herrn nennt, ist wohl nur Courtoisie), so würde er ihm schwerlich als Hofdichter, wie Walther, sondern als Ritter, oder wie Hartmann von Aue als Dienstmann, Dienste geleistet haben.
Wir finden zwar Wolfram mit Walthern zugleich in Eisenach am Hofe des milden Landgrafen Herman, der für die Dichter des hohenstaufischen Zeitalters das gewesen scheint, was ein benachbarter thüringischer Hof den Heroen unserer neuern poetischen Literatur geworden ist. Aber wenn auch Wolfram in dem Landgrafen einen Gönner verehrte, so nimmt er doch ihm gegenüber eine viel unabhängigere Stellung ein, als Walthern die Verhältnisse gönnen mochten. Dieser schildert das Getümmel am Hofe zu Eisenach zwar lebhaft, doch ohne ein Wort des Tadels einzuflechten:
Der Hof zu Eisenach.
Wer in den Ohren siech ist oder krank im Haupt,
Der meide ja Thüringens Hof, wenn er mir glaubt:
Käm er dahin, er würde ganz bethöret;
Ich drang so lange zu, daß ich nicht mehr vermag.
Ein Zug fährt ein, ein andrer aus, so Nacht als Tag:
Ein Wunder ists, daß da noch Jemand höret.
Der Landgraf hat so milden Muth,
Daß er mit stolzen Helden, was er hat, verthut,
Von denen Jeder wohl als Kämpe stände:
Mir ist sein hohes Thun wohl kund.
Und gält ein Fuder guten Weines tausend Pfund,
Doch Niemand leer der Ritter Becher fände.
Die vierte Zeile sagt nicht, daß es Walthern nicht sonderlich zu Eisenach gefalle, weil es da zu geräuschig hergehe. Mit einer solchen Andeutung würde er seinen Zweck verfehlt haben. Er klagt nur, daß er bisher noch nicht zu Worte kommen konnte; zugleich aber, da er mit diesem Liede zu Worte gekommen ist, rühmt er den Hof und die Milde des Landgrafen. Auch scheint er seine Absicht erreicht zu haben: denn in einem zehn Jahre später gedichteten Spruch preist er den Landgrafen wegen seiner Stätigkeit in der Milde; »er war es einst und ist es noch.« S. Meine Uebersetzung (VII. Aufl. Leipzig 1883) S. 61; M. Ausg. S. 73.
Dagegen redet Wolfram, indem er von Keien, dem strengen Seneschal an Artus Hofe spricht, 297, 16, den Landgrafen an:
»Von Thüringen Fürst Herman,
Wie ich dein Ingesind befinde,
Ein Theil hieß beßer Ausgesinde.
Dir war auch eines Keien Noth,
Da wahre Milde dir gebot
Deinen Hof so bunt zu mischen,
Daß zu den Werthen, Höfischen
Auch viel Verächtliche dringen.
Darum muß Herr Walther singen:
»Gut und Böse, guten Tag.«
Wo man also singen mag,
Da sind die Falschen geehrt:
Das hätt ihn Keie nicht gelehrt,
Noch Herr Heinrich von Rispach.«
Ein solches Lied Walters hat man bisher vergebens aufgesucht. Doch ist noch die Frage, ob Wolframs Worte wirklich als ein Zeugniss dafür gelten müßen, daß er ein Lied mit dieser Zeile gedichtet habe. Vielleicht beziehen sie sich nur auf Walthers so eben mitgetheilte Schilderung des bewegten Lebens und Treibens am Hofe zu Eisenach, an welcher es Wolfram zu missbilligen scheint, daß sie allzubeifällig ausgefallen sei und im Getümmel der ein- und ausfahrenden Gäste zwischen Guten und Bösen keinen Unterschied mache. Hätte Walther wirklich ein solches Lied gedichtet, so könnte es, wie auch W. Wackernagel annimmt, nur ein Spottlied sein, wenigstens hätte Walther doch selbst zu verstehen gegeben, daß er nicht Alle, die am Hofe Aufnahme fanden, für gut halte, wenn er gleich seiner Stellung gemäß auch die Bösen gelten laßen müße: immer bräche also an Wolframs Tadel die Spitze. Wolfram, von dem wir nicht wißen, daß er je einen Fürsten gelobt hätte, durfte wohl einen solchen Seitenblick thun, welcher den freimüthigen Tadel des Landgrafen einschließt, der sich gleichwohl noch späterhin als seinen Gönner erwies.
So würdevoll hier Wolframs Betragen dem Walthers gegenüber erscheint, so darf man doch nicht glauben, daß dieser sich gegen den Landgrafen anders als in stillschweigender Duldung etwas vergeben hätte. Er würde nicht einmal an dessen Hofe erschienen sein, wenn der Landgraf sich nicht kurz vorher dem Könige Philipp, dem Walther aufrichtig anhing, und bei seinem zweiten Aufenthalt dem Kaiser Otto unterworfen hätte. Diese Treue Walthers gegen seine politische Gesinnung, von der wir ihn in einem langen Sängerleben nicht einmal abweichen sehen, hilft uns den Zeitpunkt seines Zusammentreffens mit Wolfram am Hofe zu Eisenach bestimmen, von welchem in den Anmerkungen zu seinen Liedern erwiesen ist, daß es sich vor dem Jahre 1204 nicht ereignet haben kann. In das Jahr 1207 setzt die Sage vom Wartburgkrieg jenen Sängerkampf, wo um Tod und Leben gesungen wurde. Obgleich ich ihn durchaus für fabelhaft halte, und die Meinung jetzt wohl auch Niemand mehr theilt, als wären die Lieder, welche das spätere Gedicht vom Wartburgkriege den Sängern in den Mund legt, wirklich von diesen gedichtet oder improvisiert und von Geschwindschreibern sogleich aufgefaßt worden, so wird er doch nicht aller historischen Grundlage ermangeln. Indes bestand diese wohl schwerlich in etwas Anderm als eben in der Kunstliebe des Landgrafen und in seiner Milde gegen die Sänger, die außer Walther und Wolfram, beide Teilnehmer am Wartburgkriege, noch andere namhafte Dichter an seinen Hof zog, wie schon früher Herbort von Fritzlar, Albrecht von Halberstadt und Heinrich von Veldeke, der, nach dem Ausdrucke Gottfrieds von Straßburg, das erste Reis in deutscher Zunge impfte, dort Aufnahme gefunden hatten. Sollte jene Meinung gelten, so müste auch der Teufel Nasion vor dem Hofe zu Eisenach Lieder gesungen haben, die aus seinem Munde von Stenographen niedergeschrieben wären. Daß aber überhaupt das Gedicht mehr auf der Sage als auf geschichtlichen Vorgängen ruht, zeigt am deutlichsten die Art, wie hier Wolfram einer Figur seines Parzivals, dem Zauberer Klinschor, als einer historischen Person, im Singekampf gegenüber gestellt wird.
Bei dieser Natur des Wartburgkrieges dürfen wir seiner Angabe nicht trauen, wonach Wolfram zu Masfeld an der Werra von dem Grafen von Henneberg zugleich mit dem tugendhaften Schreiber in den Ritterstand erhoben worden sei, obgleich diese Stelle mit einem Theile des Gedichts, einer Art Todtenfeier des Landgrafen und des Hennebergers, zusammenhängt, der ausnahmsweise wirklich von dem Sänger herrühren könnte, welchem er zugeschrieben wird. Wenn freilich dieser tugendhafte Schreiber, der auch Heinrich heißt, mit dem Henricus notarius oder scriptor, der in thüringischen Urkunden von 1208–1228 erscheint, einerlei Person wäre, so würde die Glaubwürdigkeit jener Angabe sehr gewinnen.
Noch ein anderes Mal finden wir Wolfram am Hofe des Landgrafen zu Eisenach, wo ihn dieser mit dem Gegenstande seines Willehalm (W. 3, 8) bekannt machte. Im Verlauf dieses Gedichts (W. 47, 22) spricht Wolfram von Herman als einem Verstorbenen. Schon hieraus dürfen wir schließen, daß jene Mittheilung nicht allzulange vor Hermans Tode stattgefunden habe. In einer andern Stelle des »Willehalm« (393, 30) giebt sich Wolfram als Anhänger Kaiser Otto IV. zu erkennen. Dessen Gegner war aber Herman bis kurz vor seinem Tode, wo er sich wieder mit dem Kaiser verband. Um diese Zeit finden wir auch Walther wieder bei dem Landgrafen; beide Dichter können hier abermals zusammengetroffen sein. Wolfram spielt im »Willehalm« auf ein erhaltenes Lied Walthers an, worin dieser den Köchen rieth, sie möchten die Braten etwas dicker schneiden, damit die Fürsten nicht durch die Kargheit ihres Herrn von ihm abwendig gemacht würden; in Griechenland habe einmal ein König darüber sein Reich verloren. Dieses Lied scheint mir jetzt auf Philipp bezüglich, wenn auch nicht gegen ihn, sondern gegen die Fürsten gerichtet. Bei dieser Ansicht kann es nicht zum Beweise dienen, daß die beiden Sänger sich noch ein anderes Mal bei dem Landgrafen begegnet wären.
Dieß ist beinahe Alles, was wir von Wolframs Lebensverhältnissen wißen: denn seine übrigen Anspielungen auf seine Zeit und Umgebung liefern wenig Aufschluß darüber. Die Erwähnung des Grafen von Wertheim (184, 4), den er mîn hêrre nennt, ergiebt nichts Gewisses: denn er kann hier das Wort wie der Franzose sein Monsieur gebrauchen; doch scheinen die Grafen von Wertheim in Eschenbach Besitzungen gehabt zu haben. Wenn er ein andermal der fröhlichen Ritterspiele auf dem Anger zu Abenberg (227, 13) gedenkt, und wir ihn bald darauf zu Wildenberg (230, 13) finden, so wird doch weder hier noch dort eines Abhängigkeitsverhältnisses zu den Herren dieser Schlößer gedacht. Ueber Wildenberg ist zu 230, 13 eine Vermuthung geäußert. Von seinem Verhältnisse zu der Markgräfin, deren Schönheit vom Heitstein herab die ganze Mark überleuchtet haben soll (vgl. zu 404, 1), erfahren wir nichts, und die Truhendinger Pfanne (184, 24) muß ihm nicht selber auf dem Schloße der Grafen mit Krapfen erschrieen sein, so wenig als er dem unblutigen Turnier zu Klingen, auf welches er im Willehalm (385, 25) anspielt, beigewohnt haben muß. Nur das ist zu bemerken, daß uns alle diese Beziehungen gleich der Erwähnung des Lechfeldes (565, 4) nicht allzu weit von Wolframs nordgauischer Heimat hinwegführen. Doch kann hierin kein Grund liegen, Anspielungen auf entfernter liegende Gegenden nicht auf seine Rechnung zu setzen. Vgl. zu 496, 21. Finden wir doch auch Köln und Mastricht (158, 14) erwähnt.
Wolfram von Eschenbach scheint kein eheloses Leben geführt zu haben. Schon in einem Liede, das wir gleich kennen lernen werden, zieht er die Sicherheit der ehelichen Liebe jener verstohlenen Minne vor, die mit Gefahr des Lebens und der Ehre zur Geliebten schleicht; im Parzival (743, 21) spricht er mit Rührung von dem Glücke, das mit rechter Keuschheit erworbene Kinder dem Manne gewähren; im Titurel würde Strophe 18
Zur rechten Zeit gewährte
sein Weib ihn eines Kindes:
Daß mich Gott erlaße
in meinem Hause solchen Ingesindes,
Wenn ich es so theuer müst entgelten!
Behalt ich kluge Sinne
so trägt mein Herz solche Wünsche selten!
(Die Mutter starb nämlich in der Geburt) im Munde eines Ehelosen kaum geziemen, und im Willehalm erwähnt der Dichter ausdrücklich der Puppe seines Töchterleins, wie er sich auch schon im Parzival gern mit Kindern, namentlich Mädchen und ihren Spielen zu schaffen macht. Ich gestehe sogar, daß ich in der schönen Episode von der kindlichen Obilot die Rede des alten Lippaut, wo er sich darüber tröstet, daß er keinen Sohn und nur zwei Töchter habe, niemals ohne das Gefühl lesen konnte, daß der Dichter hier seinem eigenen Herzen Luft mache. Ein ausdrückliches Zeugniss scheint mir 216, 28 ff., wo der Dichter seines Weibes gedenkt, das er Scheu trage, in so großes Volksgemenge zu bringen.
Es sind folgende.
1) Sieben Lieder, meistens Tageweisen oder Wächterlieder, eine nach Wolfram, der für ihren Erfinder gilt, lange in Gebrauch gebliebene Gattung, die den provenzalischen Albas nahe verwandt, doch das Eigentümliche hat, daß die Liebenden, welche verstohlener Minne pflegen, nicht unmittelbar durch das Morgenroth (alba, aube), sondern durch den Wächter auf der Zinne, in dessen Hut sie sich befohlen haben, geweckt und zum Scheiden ermahnt werden. Der Dichter scheint aber das sittlich Bedenkliche solcher Schilderungen empfunden und sich, als er zur Ehe schritt, derselben fernerhin enthalten zu haben. Eins dieser Lieder, das als ein Abschied von der Gattung gelten kann, schließt mit den Worten:
Wem es das Glück gefügt,
Daß er beim Liebchen liegt
Den Spähern unverborgen,
Der braucht nicht vor dem Morgen
Hinwegzustreben,
Er harrt des Tags gelaßen,
Muß nicht bewachen laßen
Sein armes Leben:
Ein offenkundig süß Gemahl kann solche Minne geben.
Aehnlich warnt Gurnemans (172, 17) vor unedler Minne:
Da wird des Schleichers Klage
Das dürre Holz im Hage:
Denn es knistert und kracht,
Daß der Wächter erwacht.«
2) Der Parzival, sein gröstes und allein vollendetes Werk und zugleich das bedeutendste deutsche Kunstepos: denn die Nibelungen, die Gudrun u. s. w. gehören als Volksepen in eine ganz andere Klasse. Zwar ist der Parzival so wenig als Hartmanns Iwein oder Gottfrieds Tristan für den Gesang bestimmt, wie denn alle diese Gedichte nicht einmal in einem strophischen Maß, sondern in jenen beliebten kurzen Reimpaaren gedichtet sind, aus welchen sich späterhin der Knittelvers entwickelt hat; nur der Titurel macht davon eine Ausnahme. Wollte man sie aber darum nicht für epische Gedichte, sondern nur für gereimte Romane erklären, so träfe das Urtheil mit gleichem Recht jedes andere Kunstepos: denn auch Dante, Ariost und Tasso haben nicht für den Gesang gedichtet, und wenn in Italien einzelne Strophen ihrer Gedichte noch wirklich gesungen werden, so hat auch der Parzival lyrische Stellen, die sich für den Gesang eignen würden, wenn die Weise erhalten wäre, nach welcher ursprünglich auch die kurzen Reimpaare, z. B. das Ludwigslied, gesungen wurden. Hat aber der Parzival dieß Maß mit den meisten erzählenden Gedichten seines Zeitalters gemein, so ragt er doch durch seinen Inhalt schon darum weit über sie alle hervor, weil er sich nicht, wie die bedeutendern der übrigen, auf die bretonische Sage und den Kreiß der Tafelrunde beschränkt, sondern von dem Mythus des Grals ausgehend, den König Artus und den vornehmsten Helden der Tafelrunde zwar nur episodisch einflicht, aber doch anschaulicher schildert als irgend ein anderer Roman. Indem er das weltliche wie das geistliche Rittertum umfaßt, die eben damals in ihre höchste Blüte traten, stellt er das gesamte, nur im Ritterstande athmende, Leben seiner Zeit, das äußere wie das innere, mit solcher Treue und Gewißenhaftigkeit dar, als wenn er es darauf angelegt hätte, die Trachten, Sitten und Gebräuche nicht minder als den Glauben, die Gesinnung und die höchsten Ideen einer schnell vorüber rauschenden Glanzperiode der Nachwelt in einem dauernden Spiegelbilde zu feßeln. Doch all dieser Reichtum der Begebenheit und Schilderung, alle Herlichkeit des Grals, alle Pracht der Tafelrunde wären verschwendet, wenn sie der Gedanke des Dichters nicht beherrschte und durchdränge. Was den Parzival zum unvergänglichen Kunstwerke stempelt, wodurch Wolfram seine welschen Vorgänger, die ihm den Stoff überliefert haben, weit hinter sich läßt, ist eben das dichterische Bewustsein, womit er alle diese Aeußerlichkeiten auf das innere Leben seines Helden bezieht, dessen geistige Entwickelung er in allen ihren Phasen offen vor uns darlegt, den er aus der kindischen Einfalt in die Entzweiung, ja zur Verzweiflung führt, um ihn aus dieser durch harte Prüfungen geläutert, zur Versöhnung und Heiligung gelangen zu laßen. Bei Meister Chrestiens von Troyes, der vor Wolfram die Gralssage behandelt hatte, tritt uns dieser Grundgedanke noch nicht entgegen, und soweit wir die französischen und provenzalischen Dichter kennen, ist er keinem derselben zuzutrauen. Vgl. was unten über Wolframs vorgeblichen Gewährsmann, den Kiot, gesagt werden wird.
3) Die beiden Bruchstücke des sog. Titurel, die gleichsam zum Parzival gehören und ein Ganzes mit ihm bilden, indem sie die Liebesgeschichte Schionatulanders und Sigunens, die wir schon im Parzival kennen lernten, zum Gegenstand haben. Sie bilden keine fortlaufende Erzählung, da nach dem ersten einige Zeit vergangen ist, und wir nicht erfahren, warum die Liebenden sich beim Beginn des zweiten allein in einem Zelte befinden. Den Namen Titurels führen sie nur zufällig, da der Dichter St. 39 ausdrücklich sagt, daß Schionatulander der Herr der Aventüre sei. Läge uns das Gedicht vollendet und ganz erhalten vor, so würde es einen seltsamen Gegensatz zum Parzival bilden, dessen Held der höchsten Aventüre nachjagt, während Schionatulander sein Leben um den Besitz eines Brackenseiles hinopfert. Es scheint indes nicht, daß Wolfram mehr als diese Bruchstücke gedichtet habe, und wenn die letzten Zeilen nicht ausdrücklich auf das Folgende hinwiesen, so dürfte man glauben, es sei nie seine Absicht gewesen, die Geschichte noch weiter zu führen, um so mehr als der tragische Ausgang derselben den Lesern aus dem Parzival bekannt war. Jedenfalls müste es auffallen, wenn der Dichter zwei unvollendete Werke hinterlaßen haben sollte, da der Willehalm doch wohl unzweifelhaft Bruchstück geblieben ist. Wie es sich auch damit verhalte, so möchte uns eher der Titurel als der Willehalm Wolframs letztes Werk scheinen, da wir in diesen wenigen Strophen das Schönste und Feinste besitzen, das unserm Dichter und der mittelhochdeutschen Kunstpoesie überhaupt gelungen ist. Man pflegt unsere Bruchstücke den ältern Titurel zu nennen, weil ein jüngerer (vgl. §24) vorhanden ist, der lange Zeit gleichfalls für Wolframs Werk gegolten hat, obgleich dieß eben so langweilige als lange Gedicht seiner völlig unwürdig ist.
4) Der Willehalm, welcher die Thaten des heiligen Wilhelm von Orange, eines Zeitgenossen Karl des Großen, in dessen Sagenkreiß er gehört, zum Gegenstand hat. Da aber der Dichter den ersten Theil dieser heroischen Legende als bekannt voraussetzt und ihren Inhalt nur kurz andeutet, sein Werk überdieß unvollendet geblieben ist, so daß es nur die Schlacht auf Alischanz und die Belagerung von Orange umfaßt, so haben zwei andere Dichter, Ulrich von dem Türlin und Ulrich von Türheim, die man ihrer ähnlich lautenden Namen wegen nicht für Eine Person halte, Anfang und Ende hinzugefügt, und zwar scheint Ulrichs von Türheim Fortsetzung, der sg. dritte Theil, gegen das Jahr 1250, und Ulrichs von dem Türlin erster Theil zwischen 1252 und 1278 gedichtet.
Der Parzival ist das älteste von Wolframs Gedichten, da sowohl im Willehalm als im Titurel darauf Bezug genommen ist. Er scheint vor der Mitte des ersten Jahrzehents des dreizehnten Jahrhunderts begonnen, und vor der Mitte des zweiten beendigt. In die folgenden fünf Jahre mögen der Titurel und der Willehalm fallen.
Wolfram von Eschenbach stand bei seinen Zeitgenossen und den folgenden Geschlechtern im höchsten Ansehen. Wirnt von Grafenberg, der Dichter des Wigalois, der sich den Hartmann von Aue, den feinsten aller höfischen Dichter zum Vorbilde gewählt hatte, vom Parzival aber auch nur wenige Abschnitte kannte, ertheilt ihm das Lob, daß nie eines Laien Mund beßer gesprochen habe, ein Wort, das noch lange wiederhallte. Auch hält er sich von seinem Einfluße nun eben so wenig frei als früher von Hartmanns. Der jüngere Titurel, das wunderbare Gedicht vom Wartburgkriege, und der darauf gebaute Lohengrin, sind Nachklänge seiner Werke, ja im Wartburgkriege, wo ihm und Klinschor, dem Gebilde seiner Phantasie, die ersten Rollen zugetheilt sind, ist er selbst zur Sage, zur mythischen Person geworden, und eine Art Heiligenschein verklärt sein Haupt. Diesen übereinstimmenden, zum Theil thatsächlichen Zeugnissen steht allein Gottfried von Straßburg gegenüber, der ohne Wolfram zu nennen, doch einen Tadel auf ihn zu münzen scheint, der selbst nicht allzu verständlich den ihm unerfreulichen Ernst und schwerverständlichen Ausdruck seines Nebenbuhlers rügt, der mit dem Stocke Schatten geben wolle, statt mit dem grünen Lindenblatte, der Dolmetscher mit seiner Märe umherschicken müße, indem wir selbst nicht Muße hätten, die Glosse in den schwarzen Büchern aufzusuchen.
Indes erklärt sich dieser Tadel aus der entgegengesetzten Richtung beider Männer, von welchen der Eine alle Kraft seines Geistes an die Darstellung der höchsten sittlichen Ideen setzte, während der Andere die Poesie der Liebe und des sinnlichen Lebensgenusses mit einem Glanz der Sprache und einer gemüthlichen Tiefe ausstattete, die wir bewundern müßen, wenn auch nicht durchaus billigen dürfen.
Ein fruchtbarer nordfranzösischer Dichter, Chrestien de Troyes, der gegen das Ende des zwölften Jahrhunderts (1170–90) blühte, hat ein Gedicht von Parzival hinterlaßen, das nach seinem Tode von mehrern Andern fortgesetzt worden ist. Aus diesem will aber Wolfram, obwohl er es kannte, nicht geschöpft haben, vielmehr tadelt er 827, 1 ff. ausdrücklich Meister Christians Behandlung dieser Sage. Zur Rechtfertigung seiner eigenen abweichenden Darstellung beruft er sich 453, 11 ff. auf einen Provenzalen Namens Kiot (Guiot) als seinen Gewährsmann, welchen auch schon Chrestien gekannt haben müste: Wolframs Worte, über das Unrecht, das Meister Christian der Sage gethan habe, möge Kiot wohl zürnen, laßen die Annahme nicht zu, daß umgekehrt Kiot schon Chrestiens Behandlung gekannt habe: denn als Kiots Quelle nennt Wolfram den Flegetanis (s. unten §10) und die Chronik von Anjou (s. §14): mithin kann unser Dichter nicht meinen, sein Gewährsmann Kiot habe aus Chrestien geschöpft. Aber obgleich Kiot ein Provenzale gewesen sein soll, von dem man erwarten würde, daß er sich der provenzalischen Sprache, der Langue d'Oc, nicht aber des nordfranzösischen Idioms, der Langue d'Oui, bedient habe, so meldet doch unser Dichter ausdrücklich, er habe französisch vom Grale gesprochen, und ein Irrtum oder eine Ungenauigkeit im Ausdruck ist hier um so weniger zu vermuthen als die einzelnen Worte und Verse, welche er aus seiner Quelle aufnimmt, nordfranzösisch, nicht provenzalisch sind. Kiot hätte also in französischer Sprache gedichtet.
Da Kiots Werk, wenn es mehr ist als eine Fiktion, uns nicht vorliegt, so kann uns keine Vergleichung über den Grad von Selbständigkeit belehren, welchen unser Dichter seiner Quelle gegenüber behauptet hätte. Indessen können wir sie uns kaum groß genug denken, da Wolframs scharf ausgeprägte Persönlichkeit überall auf das Bestimmteste hervortritt, jede Zeile seinen Geist athmet, und die vielen höchst individuellen Ergüße sowohl als die Anspielungen auf deutsche Verhältnisse und deutsche Sage jeden Gedanken an eigentliche Uebersetzung ausschließen. Nicht einmal im Thatsächlichen müste Kiot überall als Wolframs Gewährsmann gelten. Schon von Andern ist bemerkt worden, daß ein Theil der Geschichten Gachmurets deutschen Ursprung verrathe. Der Schottenkönig Friedebrand, der mit Heuteger von Schotten den Mohren Eisenhart, seinen Verwandten, zu rächen gekommen, aber mit Morhold wieder heimgefahren ist, um sein eigen Land vor den Verwandten Hernants, den er Herlindens willen erschlagen hatte, zu schützen, und dessen Weib eine Tochter Schiltungs genannt wird, würde schon dieser deutschen Namen wegen nicht romanischen Ursprungs scheinen, wenn auch nicht das in der sog. Manessischen Sammlung enthaltene Lehrgedicht von König Tirol von Schotten und seinem Sohne Friedebrand, und die im Wartburgkriege erwähnte, offenbar aus einem größern erzählenden Gedichte von König Tirol und Friedebrand, von dem neuerlich Bruchstücke zum Vorschein gekommen sind (Zeitschrift für deutsches Alterth. I. 1, 7.), herrührende Sage von dem als Fliege in den Rubin eines Ringes gebannten Geist, der dem König Tirol beim Schachspiel Rath ertheilt habe, auf einen noch unerforschten heimischen Zusammenhang, und zwar mit der Gudrunsage, deutete. Daß diese Namen und die entsprechenden Theile der Fabel schon Kiot gekannt hätte, wäre zwar möglich, wenn man annähme, daß so frühe schon deutsche Ueberlieferungen unter romanische gedrungen wären; aber die unentstellten deutschen Namensformen sprechen dagegen und die Ueberlieferung der Meistersänger, Wolfram von Eschenbach habe von seinem Meister »Friedebrand« zu Siegbrunnen in Schottland Bücher empfangen, scheint anzudeuten, daß man schon damals diese Sagenbestandtheile nicht aus Kiots Gedicht abgeleitet habe. Vgl. die Anmerkung zu 496, 21.
Aber auch die Anordnung, die poetische Gestaltung eignet Lachmann unserm Dichter zu. Hören wir ihn selber: »Die Abgeschlossenheit des Inhalts, das Ebenmaß der Theile, die Wärme, Wahrheit und Tiefe der Darstellung haben wir ohne Zweifel dem deutschen Dichter allein zu danken: wie überhaupt die französische Poesie des zwölften Jahrhunderts durch den Reichtum der erhaltenen und ausgebildeten, theils eigenen, theils entlehnten Sagen weit über die deutsche des dreizehnten hervorragte: aber in einer dürftigen, unbefestigten Sprache, starr an den hergebrachten epischen Formeln haftend, und auf die Ausführung zu ungeheuern Massen ausgehend, blieb die Darstellung weit hinter dem Reichtum der Erfindung zurück, während die deutsche Poesie, die schwindenden Sagen ebenfalls in größern Massen festzuhalten und fremde sich anzueignen bestrebt, aus der alten epischen Umschreibung des Einzelnen erst zu der einfachen farblosen Erzählung überging, dann aber, je mehr Situation und Fortschritt der Begebenheiten die Empfindung traf, in den Eigentümlichkeiten sehr verschiedener Dichter sich zu mannigfaltigen, freilich nicht lange dauernden Blüten entwickelte. Den ausgezeichneten Werken dieser Zeit werden in der Darstellung die Originale nie gleichkommen: und wenn bei den Franzosen das Studium der ältern Literatur nicht noch allzu oft Liebhaberei ohne historische Betrachtung wäre, so möchte man es für Absicht oder Scheu vor der Vergleichung halten, daß sie den Chevalier au lion, ein Werk des bedeutendsten Dichters, das in mehrern Handschriften erhalten, schon den Trieb zur Kritik wecken sollte, noch immer nicht herausgegeben haben. Den Inhalt und Gang des französischen Gedichts unter des Provenzalen Guiots Namen können wir noch vollständig genug angeben. Denn es leidet keinen Zweifel, daß der Dichter des Titurel dasselbe Werk vor sich hatte (vgl. u. §24) und der Ordnung desselben streng folgte, wenn er auch den innern Zusammenhang der Sage noch weniger als der französische Dichter faßte. Wolfram, dem das Ganze, wie uns, ein Gewirr unverständlicher, schlecht verbundener Fabeln scheinen mochte, ward von Parzivals Sage, die auch schon Christian ausgeschieden hatte, besonders angezogen, und ihn bewegte offenbar der epische Gedanke, den er wohl erst durch seine Behandlung wird hineingetragen haben, wie Parzival in der Gedankenlosigkeit der Jugend das ihm bestimmte Glück verfehlt, und erst nachdem er die Verzweiflung überwunden und in dem unverschuldeten Kampfe gegen Freund und Bruder das Härteste erfahren hat, in der Treue gegen Gott und sein Weib der erstrebten höchsten Glückseligkeit würdig befunden wird. Um diesen Gedanken darzustellen, nahm er mit verständiger Wahl die Geschichten von Gachmuret und Gawan auf: aber er ließ, außer dem, was er für den Titurel bestimmte, noch Manches aus, was entweder unbedeutend oder störend schien. – Diese Geschichten, die auch meistens an sich wenig Werth haben, opferte Wolfram der ohne Zweifel weit größern und edlern Ansicht auf, daß Parzival in seiner Verzweiflung nicht der Herr der Aventüre sein dürfte. Und daß seit der Erlösung Pardiskalens der Held sich entschließt, überall, wo er hinkommt, nach Land und Leuten zu fragen, ist gewiss dem ursprünglichen Sinne der Sage nicht so angemeßen, als daß ihm weit später noch (559, 9–28) das Abenteuer von Chastel merveil entgeht, weil er nicht fragt.«
Vortrefflich hat hier Lachmann den Grundgedanken des Gedichtes ausgesprochen; wir müsten ihm ganz beistimmen, wenn wir überzeugt sein dürften, daß dieser Gedanke und die Wahl der angegebenen Mittel zu seiner Darstellung auf Rechnung unseres Dichters, nicht seines Gewährsmannes, zu stellen wären. Daran aber, daß erst Wolfram durch seine Behandlung jenen epischen Gedanken in das Gedicht getragen habe, erregt Lachmann selber Zweifel durch die Angabe, daß auch Chrestien von Troyes Parzivals Sage ausgeschieden hatte: bei Kiot, dem unser Dichter den Vorzug vor Chrestien giebt, sollte man darnach kein Gewirr unverständlicher, schlecht verbundener Fabeln erwarten. Dazu kommt nun, daß die von Lachmann gerühmte verständige Wahl in der Aufnahme der Geschichten von Gawan unserm Dichter gleichfalls nicht zu Gute gerechnet werden kann, da schon Chrestien, den er neben dem frühern Kiot kannte, die Episode von Gawan während Parzivals Verzweiflung einflocht. Aber die Sache steht noch viel schlimmer für unsern Dichter, solange wir von der Voraussetzung ausgehen, daß er überhaupt einem Kiot folgte: ihm kann dann unmöglich so viel Verdienst um die Anordnung und poetische Gestaltung des Stoffes beigemeßen werden, als ihm Lachmann zuerkennen will. Denn aus der von dem jüngern Titurel befolgten Ordnung schließen zu wollen, daß Kiots Werk ein Gewirr unverständlicher, schlecht verbundener Fabeln war, geht darum nicht an, weil wie schon in unserer ersten Auflage dargethan wurde (vgl. unten §25. Albrecht und Kiot), der Dichter des jüngern Titurel Kiots Werk keineswegs vor sich hatte.
Aus dem, was wir jetzt von Chrestiens Werk wißen, geht vielmehr deutlich hervor, daß Wolfram von Parzivals Geburt bis zu dem ersten Auftreten des nur ihm bekannten Feirefiss derselben Ordnung folgte, die sich schon bei Chrestien und seinen Nachfolgern findet. Von da ab nimmt seine Erzählung einen selbständigen Gang und wendet sich unmittelbar der Darlegung der oben mit Lachmanns Worte ausgesprochenen Grundidee zu, die, wie schon Wolframs Einleitung andeutet, mit der Elsternfarbe des Feirefiss zusammenhängt. Des Feirefiss wegen sind auch die zwei ersten Bücher von Parzivals Vater Gachmuret vorausgeschickt, deren zum grösten Theil aus der Nordseesage geschöpfter Inhalt dem französischen Dichter ganz fremd ist. Hätte Wolfram diese Theile des Gedichts, welche seine Idee zur Anschauung bringen, ihm erst den Stempel eines Kunstwerks aufdrücken, dem Kiot entlehnt, dann wäre er ihm wahrscheinlich auch für alles Schöne verpflichtet, das seine frühere Darstellung vor der Chrestiens auszeichnet: damit aber sänke er fast zu einem Uebersetzer herab, wie Hartmann nicht viel mehr war in dreien seiner Werke, nicht im vierten, im armen Heinrich.
Ueber die Ansicht Lachmanns, aus Scheu vor der Vergleichung mit Hartmanns Werk hätten die Franzosen Chrestiens Chevalier au lion noch nicht herausgegeben, vgl. Dr. W. L. Holland Chrestien von Troyes 1851, S. 178 bis 184. Wie aber auch jetzt, da Chrestiens Werk wenigstens nach einer Handschrift gedruckt vorliegt, das Urtheil zu Ungunsten Hartmanns sich stelle, für das Verhältniss Wolframs zu seiner Quelle läßt sich daraus kein Schluß gewinnen. Die Krone, die man aus der Treue gegen seinen Gewährsmann für unsers Dichters Haupt flechten zu wollen scheint, würde der eigentümlichste und kühnste unserer höfischen Dichter unwillig von sich weisen. Wer die blitzende Schönheit der beiden lyrisch-epischen Abschnitte von Sigunen und Schionatulander im sog. ältern Titurel, im Willehalm die gewaltige Heldenkraft empfunden hat, die in der Scene mit dem sterbenden Vivianz oder in jener von dem schwachen Loys und seinem Weibe athmet, wer dem Dichter das stolz freudige Bewustsein gegönnt hat, mit der er im Parzival 337, also unmittelbar vor der Einführung der Obilot, die seine schönste Schöpfung ist, auf die geschilderten Frauen zurückblickt, der wird wißen, hier ist mehr als Hartmann. Was hätte dieser, was die ganze alte französische und provenzalische Literatur nur neben diese Obilot zu stellen, deren lebensvolle Anmuth kaum Goethe wieder erreicht hat? Wer empfände nicht mit Gawan (395, 22–24) ein freundliches Gelüste, dieß schöne Kind wie eine Docke an seine Brust zu ziehen und abzuküssen? Sie ist erst, was wir Backfisch nennen, ihr fehlen noch fünf Jahre, ehe sie Minne geben könnte (370, 15), und wie liebenswürdig, wie reizend ist sie doch; wie Recht hatte ihr Vater Lippaut, wenn er (374, 10) laut schreien wollte vor Freude, daß ihn Gott mit diesem Mädchen berathen hatte, das, wie er voraussah, durch ihre glückliche Naturanlage der gute Engel seines Hauses werden sollte.
Edle Frauengestalten zu erschaffen und darzustellen ist eine Gabe, die Wolfram mit unserm grösten neuern Dichter gemein hat: er durfte sich wohl etwas darauf zu Gute thun, und nicht ohne Absicht hat er jenen Rückblick an diese Stelle gesetzt, wo er auf Belakane, auf Herzeleide, auf Sigune dieses allerliebste kleine Geschöpf folgen laßen wollte. Schon der Gedanke war verwegen, ein Mädchen in solchen Jahren zum Mittelpunct dieser lieblichen Ritteridylle zu wählen: Niemand hätte darauf verfallen können, der sich nicht der Meisterschaft in der Schilderung weiblicher Seelen bewust war. – Ueber Rochats Bemerkung, das von mir in Bezug auf Obilot dem Wolfram gespendete Lob gebühre vielmehr dem Chrestien, bin ich sehr verwundert. An Chrestiens unbenannt bleibender Obilot finde ich nichts zu loben; sie entbehrt aller Anmuth. Daß sie ihrer Schwester Geschmack nicht theilt und dem übertriebenen Preis, den diese ihrem Befreier Meljanz de Lis zuerkennt, den Gawan entgegenstellt, den sie für einen Kaufmann oder Wechsler nicht gelten laßen will, macht sie noch nicht liebenswürdig. Sie klagt dem Gawan, daß ihre Schwester sie seinetwegen misshandelt habe, und verlangt, daß er sie zu rächen gegen Meljanz kämpfe. Darin liegt noch nicht die für ein junges Mädchen naive Zumuthung, daß er ihr Ritter sein und ihr Kleinod tragen solle; auf diesen Gedanken kommt sie nicht einmal selbst, erst ihr Vater muß ihr rathen, ihm ein solches, etwa einen Ermel zu schicken. Hier ist offenbar unser Dichter im Vortheil: der Vater sollte doch wißen, daß sie dafür viel zu jung ist, und auch wenn sie älter wäre, Gawans Werbung abzuwarten hätte. Gawan wird wirklich durch ihre Bitte bestimmt, am Turnier Theil zu nehmen, läßt aber ihr Kleinod nicht auf seinen Schild schlagen, und schenkt ihr auch nicht den von ihm bezwungenen Meljanz de Lis: sie erhält nur eines der vier erbeuteten Pferde; die drei andern schickt er seiner Wirthin und deren beiden Töchtern. Meljans bleibt für todt auf dem Kampfplatz liegen; Obilot kann ihn also ihrer Schwester nicht zum Geschenk machen und sie so durch ihre Großmuth beschämen. Auch von ihren kindlichen Spielen ist keine Rede, nichts von ihren Docken, nichts von ihrem Gespiel Klauditte, nichts von Allem, was sie bei Wolfram so reizend macht, namentlich fehlt gänzlich die von Gawan angeregte Liebesdialektik, auf die sie, fünf Jahre zu früh, sehr beredt eingeht, 371, 1. Aber was hilft es uns, diese unvergleichlichen Schönheiten hervorzuheben, wenn Wolfram sie wieder abtreten müste an den Dichter, der mit Feirefiss und Gachmuret dem Gedichte von Parzival erst seine Idee, seine Seele einhauchte: denn diesem wird man schon auch zutrauen, daß er jene so lebenswarmen als naturgetreuen weiblichen Gestalten erschaffen habe. Lachmann, der Wolframs schöpferische Kraft wohl erkannte, wollte ihm in der Anordnung, in der poetischen Gestaltung seines Stoffs eine Selbständigkeit zuschreiben, die sich mit der Annahme, daß er an Kiot einen Gewährsmann gehabt habe, nicht mehr verträgt, seit uns der Rückschluß aus dem jüngern Titurel auf Kiots Werk versagt ist. Glücklicherweise wird aber dieser Kiot, den die provenzalische Literaturgeschichte so wenig kennt als die französische, auch aus der deutschen gestrichen werden müßen. Wolfram hatte ihn nur fingirt, um die Autorität Meister Christians in sklavischen Gemüthern zu brechen, welche dem Dichter die ihm von Gott und Rechtswegen gebührende Freiheit nicht zugestanden, einen von außen überlieferten Stoff aus sich heraus umzubilden, damit er seiner Idee entspreche.
Die Widersprüche, in welche sich Wolfram in Bezug auf Kiot verwickelt, indem er ihn einen Provenzalen nennt, der aber doch französisch vom Grale gesprochen haben soll, laßen sich nur lösen, wenn man annimmt, daß Wolfram von jenem als Liederdichter bekannten Guiot von Provins, einer kleinen Stadt in Brie, Kunde hatte, der auch seinen Zeitgenossen nicht ganz unbekannt geblieben sein kann, da er mit Heinrich von Veldecke an Kaiser Friedrichs großem Hofe zu Mainz 1184 zusammengetroffen war. Er benutzte diese Kunde, vielleicht mit absichtlichem Missverständnisse des Namens, um dem Ansehen des berühmten nordfranzösischen Dichters, Chrestien, einen namhaften provenzalischen Gewährsmann gegenüberzustellen, der als Provenzale vom Grale und der Gralssage beßer unterrichtet scheinen konnte. Gleichwohl sagte er, Kiot habe französisch vom Grale gesprochen, weil ein Theil der eingeflochtenen romanischen Namen und alle Zeilen und Halbzeilen, die er wohl dem Chrestien entnommen hatte, französisch waren. Ein wirklicher Provenzale, der ein erzählendes Gedicht in kurzen Reimpaaren (auf solche deuten die eingeflochtenen welschen Zeilen) gedichtet hätte, würde schwerlich la (sic!) schantiure heißen: diese Bezeichnung kann auf Guiot de Provins weisen, von dem uns Lieder erhalten sind (vgl. W. Wackernagels altfränkische Lieder und Leiche). Warum wäre von einem so bedeutenden Dichter, wie jener Provenzale gewesen sein müste, auch gar keine Kunde gerettet, so wenig als von seinem Gedichte? Und warum fänden sich überhaupt in der Provence, wenn dort Kiot gedichtet hätte, so wenig Anspielungen auf die Gralssage, und unter diesen keine, die nicht auf Chrestien zurückgehen könnte?
Chrestiens und seiner Nachfolger Werk kannten wir, auch nach Hollands Monographie, bisher nur oberflächlich. Gewiss war es nicht Scheu vor der Vergleichung, so begründet diese hier wäre, was die Franzosen so lange abgehalten hatte, seinen Romans de Perceval, oder nannte er ihn «Le conte du Graal»?, zu veröffentlichen. Längst aber hätten die Deutschen, die sich so eifrig mit romanischer Literatur beschäftigen, die eigene deutsche so gern von ihr abhängig zeigen, ihnen darin zuvorkommen sollen. Indessen bezeugt uns W. Wackernagel (Altfr. Lieder und Leiche S. 191), daß bei Wolfram ganze lange Stellen beinahe wörtlich mit Chrestien stimmen. Mögen auch die von ihm verglichenen Stellen am Eingange von Chrestiens Gedichte gestanden und von der Erziehung des jungen Parzival im Walde Soltane gehandelt haben, immer sprach dieses Zeugniss dafür, daß unser Dichter dem Chrestien folgte. Zwar wollte Wackernagel des Dichters Angabe über Kiot mit seiner eigenen Wahrnehmung so vereinigen, daß das Werk Kiots, den auch er wie wahrscheinlich schon A. W. v. Schlegel (Lachm. Vorrede XXIV.) für Guiot de Provins nimmt, eine Umarbeitung des von Chrestien gewesen sei; aber theils steht dieß im Widerspruche mit den Worten unseres Dichters (416, 25–27), wonach Kiot aus Flegetanis und der Chronik von Anjou geschöpft und die ganze Sage mühsam erforscht habe; theils kannte Wolfram nach seinem eigenen Zeugnisse Chrestiens Werk, und was kann näher liegen, als aus dieser Kenntniss seine fast wörtliche Uebereinstimmung mit demselben in den von Wackernagel verglichenen Stellen abzuleiten?
Faßen wir Chrestiens Werk näher ins Auge, so fehlt in demselben der Inhalt der zwei ersten Bücher Wolframs, derselben, die so viel aus der deutschen Nordseesage enthalten. Chrestien kennt nicht einmal den Namen von Parzivals Vater Gachmuret, der sonach nur in deutschen Gedichten genannt wird. Mit der Erziehung des vaterlosen Knaben im Walde Soltane anhebend, giebt Chrestien die aus Wolfram bekannten Abenteuer bis zu dessen vierzehnten Buche; er hatte also auch, wie schon erwähnt, nach Parzivals Verwünschung von der maulvaise damoiselle (Kundrie) Gawan (Gauvain) als Herren der Aventüre für ihn eintreten, dann aber, nach dessen ersten Abenteuern im siebenten und achten Buch unseres Dichters (Obilot und Antikonie) Parzival zu dem Einsiedler (Trevrezent) gelangen laßen. Nun folgen die Abenteuer Gauvains mit dem Wunderbette, die Befreiung der Frauen auf dem Zauberschloß und das Zusammentreffen mit Giromelans (Gramoflanz), bei dem nur der Baum fehlt, den dieser hegt. Erst nach Gawans Einladung des Artus am Schluß unseres zwölften Buchs beginnt bei Chrestien eine lange Reihe dem Wolfram fremder Abenteuer; der Held der zwölf ersten scheint immer noch Gawan, der nun auch zum Gralskönig gelangt. Mit dem zwölften tritt endlich Parzival wieder ein; aber noch befinden wir uns nicht auf bekanntem Gebiete. Nur das Abenteuer mit dem Schachbrett, dessen Steine von selbst spielen, und ein anderes mit dem Hirsch, stimmt wenigstens mit dem Mabinogi (§. 14, 15 unten), wie dort bemerkt ist. Nachdem nun Parzival nach Beauripaire (Pelrapär) zu seiner Gemahlin Blancheflour (Condwiramur) zurückgekehrt war, die er aber bald wieder verließ, findet er das Grab seiner Mutter und zieht dann zurück zu dem Einsiedler (Trevrezent), dem er beichtet. Hier etwa geht Chrestiens Antheil zu Ende, und seine Fortsetzer treten ein; damit heben aber auch neue uns und dem Grale fremde Abenteuer an, bis endlich Parzival ohne den Feirefiss, von dem sich keine Spur findet, zum Fischerkönig zurückgelangt. Ehe er aber nach dem Tode des Roi Pechor das Gralkönigtum erwirbt, wirren sich noch einmal wilde zwecklose Abenteuer.
Hieraus ergiebt sich, daß Wolfram, wenn er aus Chrestien schöpfte, wofür Alles spricht, die beiden ersten Abenteuer, deren Held Gachmuret ist, selber hinzugefügt hat; dem Chrestien folgte er dann von Parzivals einsamer Erziehung im Walde, bis Gawans Abenteuer in dem Zauberschloß zu Ende gehen. Diese ließen sich noch, was sie bei Chrestien nicht waren, mit der Hauptbegebenheit in Verbindung bringen, durch die neue Erfindung nämlich, daß um dieselbe Orgeluse, um deren Huld sich jetzt Gawan bemüht, früher Anfortas, der Gralkönig, geworben habe. Hierin ward nun der Grund aufgedeckt, wodurch dieser das Gralskönigtum verwirkt und die schmerzhafte Wunde davon getragen habe, von der ihn Parzivals Frage heilen sollte, und so die große Episode von Gawans Abenteuern, welche Parzivals Gemüthsverfinsterung nur nothdürftig rechtfertigt, aus einem bloßen Außenwerke in ein wesentliches Glied der Erzählung verwandelt.
Daß diese Verbindung erst hergestellt werden muste, wird eine nähere Betrachtung der Abenteuer Gawans ergeben. Diese liegen uns jetzt, außer Wolframs Darstellung, noch in drei abweichenden Versionen vor: bei Chrestien, in dem Mabinogi, (vgl. §16), wo Gawan Gwalchmai heißt, und in Der Aventüre Krone Heinrichs von dem Türlin ed. Schöll, Stuttgart 1852.
Das erste Abenteuer (Obilot), das auch Chrestien kennt, ist bei Heinrich wenig verändert, nur der Hauptreiz, Obilots Kindheit, fehlt. Die Namen sind Fursensephin (Obie), Quebelepluz (Obilot), Fiers von Arramis (Meljanz von Li), Leigamar (Lippaut). Chrestien nennt den Lippaut Thybaut de Tintaguel, während Melians stimmt, und die beiden Mädchen ungenannt bleiben. Nur bei Wolfram handelt es sich um eine Belagerung (wenn nicht im Mabinogi das Mädchen, das auf luftiger Höhe gefangen gehalten wird, entspricht), bei Chrestien und Heinrich nur von einem Turnier. Nicht Fiers (Meljanz) trägt bei diesem die Braut davon, sondern Gawan, der sie im Turnier gewonnen hat, wendet sie einem dritten, Quoikos, zu.