Das Buch
Thomas Rau und Sabine Oberhuber präsentieren ein zukunftsweisendes Wirtschaftsmodell, in dem der Konsument nicht länger Eigentümer, sondern Benutzer ist, Materialien Rechte bekommen und Abfälle der Vergangenheit angehören. Auf eine spannende und verständliche Weise machen die Autoren komplexe Zusammenhänge verständlich und führen den Leser in ein neues Denken ein, das wir brauchen, um zukunftsfähig zu werden.
Die Autoren
Sabine Oberhuber
Sabine Rau-Oberhuber ist Ökonomin und hat zusammen mit Thomas Rau Turntoo gegründet, eines der ersten Unternehmen weltweit, das sich auf den Übergang zur Kreislaufwirtschaft konzentriert. Gemeinsam mit ihrem Team von Turntoo unterstützt sie Unternehmen und Institutionen bei der Entwicklung und Umsetzung zirkulärer und Strategien und Geschäftsmodellen und engagiert sich international für eine breite Einführung der Kreislaufwirtschaft durch Vorträge und Publikationen, der Entwicklung von Standards und als Gastdozent bei Universitäten.
Thomas Rau
Thomas Rau ist Architekt, Unternehmer, Innovator und anerkannter Vordenker für Nachhaltigkeit und Kreislaufwirtschaft. Thomas wurde zum niederländischen Architekten des Jahres 2013 gewählt und mit dem ARC13 Oeuvre Award für seinen umfassenden Beitrag zur Förderung und Verwirklichung von nachhaltiger Architektur und Kreislaufwirtschaft ausgezeichnet. 2016 wurde er für den Circular Economy Leadership Award des World Economic Forum nominiert 2021 wurde er von dem in den Niederlanden zuständigen Ministerium für Kreislaufwirtschaft zum Circular Hero ausgerufen. Thomas Rau engagiert sich öffentlich für Kreislaufwirtschaft und Nachhaltigkeit über international gehaltene Vorträge, TV-Dokumentationen, Ted-Talks und Veröffentlichungen.
SABINE OBERHUBER & THOMAS RAU
Material
Matters
Wie wir es schaffen, die
Ressourcenverschwendung zu beenden,
die Wirtschaft zu motivieren,
bessere Produkte zu erzeugen und
wie Unternehmen, Verbraucher
und die Umwelt davon profitieren
Aus dem Niederländischen
von Ira Wilhelm
ECON
Die Originalausgabe erschien 2016 unter dem Titel
Material Matters. Het alternatief voor onze roofbouwmaatschappij
bei Bertram + de Leeuw Uitgevers
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ISBN: 978-3-8437-2654-2
Aktualisierte Ausgabe 2021
© 2016 Thomas Rau & Sabine Oberhuber
© der deutschsprachigen Ausgabe
Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin 2021
Umschlaggestaltung: Scholz & Friends, Berlin
Lektorat: Claudia Cornelsen, Berlin und Dr. Annalisa Viviani, München
E-Book: LVD GmbH, Berlin
Alle Rechte vorbehalten.
Für Damian, Nathan, Laetitia
Magdalene, Ulrich, Stefanie und Wilhelm
VORWORT
von Dame Ellen MacArthur,
Gründerin Ellen MacArthur Foundation
Sabine Oberhuber und Thomas Rau begleiten mich schon seit frühen Tagen in meinem Engagement für die Kreislaufwirtschaft. Sie waren 2012 in Davos dabei, als wir unseren wegweisenden Bericht »Towards the circular economy« vorstellten, der die ökonomischen und geschäftlichen Grundprinzipien einer Kreislaufwirtschaft erstmals umfassend darlegte. Mit ihren ersten Projekten zu diesem Thema waren sie ihrer Zeit voraus, und ihre Fähigkeit, Ideen mit Leben zu füllen, beweist ihr außergewöhnliches Verständnis für die Prinzipien der Kreislaufwirtschaft und die Möglichkeiten ihrer praktischen Anwendung. Im Übergang von linearen zu zirkulären Systemen kommt dieser praktischen Anwendbarkeit eine zunehmend zentrale Rolle zu. Das erklärt, warum dieses Buch so wichtig ist und zum gerade richtigen Zeitpunkt erscheint.
Sabine Oberhuber und Thomas Rau legen in diesem Buch nicht nur dar, warum das Paradigma des materiellen Besitzes verändert werden muss und das »Take-make-waste«-Geschäftsmodell ausgedient hat, sondern beschreiben auch die Grundgedanken hinter ihren vielen erfolgreichen Ideen und Projekten, mit denen sie die Praxistauglichkeit der Kreislaufwirtschaft unter Beweis stellen. Ein wichtiges Beispiel ist die Idee, Gebäude als Materialbanken zu verstehen, in denen Materialien für eine begrenzte Zeit eingelagert werden und ihren Wert bewahren, bis sie schließlich herausgelöst und andernorts erneut eingesetzt werden. Mittels Materialpass und Materialkataster lassen sich ihre Identität und ihr Aufenthaltsort dokumentieren, sodass es anschließend möglich ist, sie wiederzugewinnen und in den Wirtschaftskreislauf zurückzuführen. Ein solches neues Verständnis von Bauen und Materialmanagement hat vielfältige Vorteile – von der Abfallvermeidung bis zur Verringerung der Ressourcengewinnung, was wiederum zur Abmilderung des Klimawandels und zur Reduzierung des Verlusts an Biodiversität beiträgt.
Mit Ideen wie diesen und mit ihren über RAU Architects und Turntoo verwirklichten Projekten bieten die Autoren Inspiration und Hilfe für andere, die sich ebenfalls auf dem Weg zur Kreislaufwirtschaft befinden. So leisten sie ihren Beitrag zur Beschleunigung des Übergangs von der linearen zur zirkulären Wirtschaft. Ich möchte wetten, dass Sie kaum eine Sammlung von Fallstudien zur Kreislaufwirtschaft finden werden, in der nicht mindestens ein Beispiel von Turntoo oder RAU Architects vertreten ist.
Dieses Buch vermittelt eine leicht verständliche und praxisnahe Vision für die Circular Economy aus der Sicht zweier Menschen, die zugleich bei deren Verwirklichung eine Schlüsselrolle spielen. Ich bin mir sicher, dass es Sabine Oberhuber und Thomas Rau mit diesen Seiten gelingen wird, den Leser in ihre Gedankenwelt einzuführen, in der Materialien nicht irgendeine, sondern eine herausragende und für unser Leben absolut zentrale Rolle zukommt, die es rechtfertigt, ihnen eine »Allgemeine Erklärung der Materialrechte« zu widmen, wie sie die Autoren am Ende dieses Buches vorschlagen.
EINFÜHRUNG
MATERIAL MATTERS
ODER: WAS SOLL DAS BEDEUTEN?
»Nichts auf der Welt ist so mächtig wie eine Idee,
deren Zeit gekommen ist.«
Victor Hugo
Take, make and waste – System der Endlichkeit
Wir leben in einer Zeit schneller Veränderungen. Kein Tag vergeht, an dem wir nicht das Abbröckeln vertrauter Sicherheiten erleben und Dinge, die wir bislang für unmöglich ge halten haben, als neue Realität akzeptieren müssen: ganze Gesellschaften, werden wegen eines Virus in den Lockdown geschickt, unsere jahrzehntelang so sicher geglaubte demokratische Grundordnung erscheint von Jahr zu Jahr weniger selbstverständlich. Die Corona-Krise und die Flutkatastrophe des Sommers 2021 haben deutlich gemacht, dass sich alles schlagartig ändern kann. Aber war und ist dies alles wirklich so überraschend? Oder haben wir nicht in Wahrheit die zugrunde liegenden Ursachen schlichtweg übersehen, die Vorzeichen negiert? Schon seit Langem gibt es dringende Probleme in unserer globalisierten Gesellschaft, die wir systematisch ausblenden. Solange die Konsequenzen nicht direkt vor unserer Nase stehen, erlauben wir uns, sie zu vernachlässigen. Warnungen von Wissenschaftlern über den Klimawandel, Migrationsströme oder das Auseinanderfallen unserer Gesellschaft gibt es schon seit Jahrzehnten.
Doch erst wenn die Probleme so drastisch und aktuell werden, dass sie unseren Alltag erreichen, sind wir zum Handeln bereit. Aber dann ist es für eine adäquate Antwort meist zu spät. In Holland sagt man in einem solchen Fall: Die Kaimauer wendet das Schiff.
Das gilt vor allem für die ökologische Krise, die sich schon seit einem halben Jahrhundert ankündigt und von Jahrzehnt zu Jahrzehnt und inzwischen von Jahr zu Jahr immer dringlicher wird. Bisher erreichte sie uns meist nur über einen Bildschirm als Nachricht über Wirbelstürme, Waldbrände oder Überschwemmungen in für uns weit weg gelegenen Teilen der Erde, nur um dann sehr schnell wieder im Trubel und in der Kurzatmigkeit unserer medialen Welt unterzugehen. Der Sommer 2021 hat deutlich gemacht, dass die durch den Klimawandel bedingten Naturkatastrophen nicht vor unseren Haustüren haltmachen werden.
Inzwischen ist es offensichtlich: Die großen globalen Herausforderungen hängen mit unserem Wirtschaftssystem zusammen, das angeblich komplex, aber in Wahrheit unglaublich simpel organisiert ist, nämlich linear. Wir kennen immer nur eine Richtung: Rohstoffe gewinnen, gebrauchen und schließlich wegwerfen – take, make and waste. Es ist dieses Prinzip, das nicht nur zu einer gigantischen Verschwendung von Rohstoffen, sondern auch zu Klimawandel und einer zunehmenden Zerstörung von Ökosystemen führt.
Unser Wirtschaftssystem ist ausgerichtet auf kontinuierliches Wachstum. Unser Wohlstand hängt davon ab, dass Produkte in stets größeren Mengen konsumiert werden.
Deshalb wird die Lebensdauer von Produkten mittlerweile künstlich verkürzt. Unser Smartphone ist nach einem Jahr schon nicht mehr up to date, ein Drucker gibt nach einer festgelegten Anzahl von Kopien den Geist auf, und mit den Schuhen der letzten Saison macht man sich dieses Jahr lächerlich.
Durch immer schneller wechselnde Modetrends werden Konsumenten gezwungen, sich jede Saison etwas Neues anzuschaffen. Das gilt nicht nur für Kleider, die mit der Mode kommen und gehen, Stichwort »Fast Fashion«. Das gilt inzwischen auch für einst generationenüberdauernde Güter wie Möbel oder Geräte. Ob Kühlschrank oder Kleiderschrank – alles muss nicht nur funktional, sondern auch »trendy« oder »up to date« sein. Technisch haben sich Thermoskanne, Toaster und Kaffeemaschine seit Jahrzehnten nicht wirklich fortentwickelt; trotzdem werden Jahr für Jahr alte Geräte durch neue ersetzt. Nicht nur weil sie kaputt oder dysfunktional wären, sondern weil sie nicht mehr gefallen. Und immer öfter und immer schneller veralten Produkte durch »Innovationen«, die gar keine sind – vor allem in der IT-Welt zwingen datenmäßig aufgeblasene Software-Updates die Verbraucher irgendwann dazu, ein neues Gerät zu kaufen, obgleich das alte noch wunderbar seinen Dienst getan hat. Und wie viele Geräte landen im Müll, einfach weil ein winziges Ersatzteil fehlt – oder eine Reparatur schlichtweg nicht möglich ist, weil die Produkte absichtlich so konstruiert wurden, dass sie nicht zu reparieren sind?!
Das gilt auch für das Wirtschaftssystem selbst. Wir können es nicht durch geringfügige Verbesserungen »reparieren«. Wir müssen es austauschen. Es ist notwendig, das Wirtschaftssystem grundlegend anders zu organisieren.
Die Erde ist ein geschlossenes System. Unser Verbleib hier ist zeitlich begrenzt. Anstatt ein System zu nutzen, das das Fortbestehen von uns selbst und vieler anderer Wesen auf diesem Planeten in Gefahr bringt, müssen wir umdenken. Das wichtigste Ziel der Ökonomie muss dabei sein, die Wertschöpfung vom steigenden Verbrauch an Rohstoffen zu entkoppeln. Dafür sollten wir uns drei Erkenntnissen nicht länger entziehen:
Erkenntnis 1: Eigentum bedeutet Verantwortung
Wer heute etwas kauft, übernimmt ungefragt eine Verantwortung, die er oder sie gar nicht tragen kann. Wir erwerben – ohne es zu wollen und meist ohne es zu merken – nicht nur das, was wir zu kaufen glauben, sondern auch allerlei Dinge, die wir gar nicht wahrnehmen.
Wenn beispielsweise der Laptop, auf dem dieses Buch geschrieben wird, eines Tages nicht mehr funktioniert, dann haben wir nur eine Möglichkeit: Wir tragen ihn zu einem Wertstoffhof, wo wir hoffen müssen, dass das Gerät richtig »entsorgt« wird. Aber schon in diesem Wort liegt das Problem! Das Gerät ist voller wertvoller Materialien1, für deren Erhalt wir sorgen müssten. Wir selbst aber sind mit einem verantwortungsvollen Umgang vollständig überfordert. Als individuelle Nutzer können wir nicht Sorge tragen für alle Materialien, die in diesem Laptop verarbeitet sind. Wir können schon gar nicht für ihre Wiederverwendung sorgen. Ja, schlimmer noch: Wir wissen meist noch nicht einmal, welche Rohstoffe oder Materialien sich in dem Laptop befinden, geschweige denn was ihre Eigenschaften sind. Dafür sind wir außerstande, langfristig die Verantwortung zu übernehmen.
Selbst wenn wir ahnen, dass manches im Innern der Geräte versteckt ist, das nicht kompostierbar ist. Selbst wenn wir auch ahnen, dass manches darin für die Verbrennung auf der Mülldeponie viel zu schade ist. Selbst wenn wir obendrein ahnen, dass manches hochgiftig oder für die Flora und Fauna, für die Menschheit oder das Klima gefährlich ist, sobald es in Kontakt mit ihr kommt.
Eigentum verpflichtet, steht im deutschen Grundgesetz. Aber wir kommen dieser Pflicht nicht nach, weil wir es nicht können.
Wir ahnen das. Wir wissen das. Aber wir wollen es nicht wahrhaben. Weil wir überfordert sind.
Diesem Dilemma könnten wir durch einen Systemwechsel entkommen. Ein System, in dem Produzenten verantwortlich für ihre Produkte bleiben, verbindet etwas, das im Sinne des Planeten verbunden gehört: die Macht zur Gestaltung des Produktes zum einen und die Verantwortung für das Material zum anderen. Die Hersteller eines Produkts wissen sehr genau, welche Rohstoffe sie dafür verwenden. Wenn sie die Verantwortung für den weiteren Lebensweg der Rohstoffe nicht durch den Verkauf an ihre Kunden wegdelegieren könnten, sondern dafür verantwortlich blieben – dann würden und müssten sie sich überlegen, wie sie mit ihrer Verantwortung umgehen können. Es würde quasi von selbst ein Wirtschaftsmodell entstehen, in dem wertvolle Materialien nicht länger als Abfall verloren gehen, sondern in kontinuierlichen Kreisläufen zirkulieren.
Ein solches System würde automatisch zu einem anderen Umgang mit Eigentum führen – nämlich insofern, als wir nicht Eigentümer eines Gegenstands werden, sondern nur das Gebrauchsrecht dafür erwerben. Vereinfacht gesagt: nutzen statt kaufen. Für ein solches System brauchen wir demnach nicht nur anderes Produktdesign und andere Produktionswege, sondern ganz neue Geschäftsmodelle.
Erkenntnis 2: Wir besitzen alle Dinge nur auf Zeit
Wir sollten uns nachdrücklich bewusst machen, dass wir die meisten Produkte und also auch alle damit verbundenen Rohstoffe lediglich für sehr kurze Zeit gebrauchen. Das gilt – von einer größeren Perspektive aus gesehen – selbstverständlich auch für Produzenten, die genau wie jeder einzelne Konsument mit der Verantwortung für das Eigentum – langfristig – überfordert sind. Aus Erdöl wird Schaumstoff, aus Schaumstoff ein Sitz, aus dem Sitz ein Wagen, aus dem Wagen ein Zug und aus dem Zug ein Verkehrsnetz. Ständig wechseln die Eigentümer.
Die Frage liegt auf der Hand: An welche Stelle gehört das Eigentumsrecht auf Material? Durch die ganze Produktionskette hindurch, von der Mine bis zum Endverbraucher – wo kann das Eigentumsrecht am besten mit Verantwortungspflicht kombiniert werden?
Und noch eine Frage liegt auf der Hand: Wo halten wir fest, welche Rohstoffe in einem Produkt enthalten sind? Für die konsequente Registrierung von Material brauchen wir eine Art »Materialpass«. Rohstoffe werden als wertvolle Identität erfasst. Denn das, was wir gemeinhin als »Abfall« bezeichnen, ist de facto nichts anderes als eine Ansammlung von »Rohstoffen ohne Identitätsbeweis«.
Der heutigen Wert-Schöpfungskette, die im gegenwärtigen System de facto eine Wert-Vernichtungskette ist, wird damit eine Wert-Erhaltungskette hinzugefügt, was zu einer fundamentalen Veränderung des gesamten Systems führt. Wer diesen Gedanken konsequent weiterdenkt, kommt bald zum Kern unseres »Turntoo«-Modells: Nicht nur Produkte, sondern auch alle Materialien sind ein Service, eine Dienstleistung, die wir uns wechselseitig zur Verfügung stellen.
Erkenntnis 3: Der Kopf ist rund, die Erde eine Kugel
und die Wirtschaft ein Kreis
Voraussetzung, um die Wirtschaft zu verändern, ist die Erkenntnis, dass das Wirtschaftssystem ein Spiegel unseres Bewusstseins und des diesem zugrunde liegenden Weltbildes ist. Obwohl wir seit dem 16. Jahrhundert wissen, dass sich die Erde um die Sonne dreht und dass unser Planet einer von vielen im unendlichen Weltall ist, verhalten wir uns immer noch so, als ob wir das Zentrum des Universums wären: Alles wird unseren menschlichen Bedürfnissen unter geordnet.
Dieses anthropozentrische Weltbild ist der kulturelle Nährboden für das hier beschriebene lineare Wirtschaftssystem, in dem die Natur lediglich ein Produktionsfaktor geworden ist und das uns die heutigen Krisen beschert. Um dies zu verändern, ist es nicht nur wichtig, die Spielregeln des Wirtschaftssystems zu verändern, sondern auch die Seele unserer Wirtschaft und Gesellschaft.
Und damit erklärt sich auch der Titel »MATERIAL MATTERS«, der eine dreifache Bedeutung hat: Da gibt es zum einen den Satz »Material matters«. Zu Deutsch: Material spielt eine Rolle. Material ist wichtig. Dann gibt es die Paarung »material Matters«, also: Materialfragen. Doch dieselbe Paarung bedeutet auch: »schwerwiegende Angelegenheiten«.
Dieser dritte Punkt ist zugleich der wichtigste: Mit dem Thema Material sind eine Reihe von essenziellen Fragen verbunden, denen wir nicht länger aus dem Weg gehen können, das englische Wort »material« bedeutet in diesem Zusammenhang »existenziell«.
Wir müssen lernen, uns als vorübergehende Erscheinungen auf dem Planeten Erde zu begreifen, die bewusst und verantwortungsvoll mit allem umgehen, was unser Sein hier ermöglicht. Wir sind auf der Erde schließlich nur zu Gast.
1.
DAS PRODUKT
ALS ORGANISIERTES PROBLEM
ODER: WAS HAT
UNZUFRIEDENHEIT MIT
WIRTSCHAFT ZU TUN?
»Der Schlüssel zum wirtschaftlichen Wohlstand
ist die organisierte Unzufriedenheit.«
Charles F. Kettering