stische Furcht, denn es waren ihrer so viele. Sie schreien noch oft in meinen Träumen.
En route! Das Großsegel donnert und wir jagen dahin. Unsere Muskeln sind hart und unsere Herzen stählern und klingend …
Wann aber meine Augen zum erstenmal auf Rosseherre fielen, kann ich nicht mehr sagen. Ich weiß nur, daß es an einem Posttag im Frühjahr war. Rosseherre war das einzige blonde Mädchen auf der Insel, und es ist möglich, daß sie gerade deshalb Eindruck auf mich machte. Sie war eigentlich nicht blond, sondern gelb, wenn man so sagen kann. All die andern dagegen waren schwarz und ich kannte sie alle.
Zuweilen unternahmen wir eine Expedition, Yann, der »kleine Kapitän«, Poupoul, mein Hund, und ich, und auf diesen Entdeckungsreisen machte ich ihre Bekanntschaft. Es gab auf der Insel dreimal mehr Frauen als Männer, denn die Männer machten Dienst auf den Schiffen, Gott weiß, wo sie waren. Solange sie jung waren, waren sie schön, und alten gingen wir aus dem Wege. Braun gebacken von der Sonne waren sie und das Blut glühte in ihren Wangen und Augen, als ob sie gerade aus einem heißen Ofen kämen. Sie hatten weiße, starke Gebisse und pechschwarzes Haar, das sie offen trugen bis zu den Schultern herab. Sie waren einfältigen Herzens, munter und laut und zögerten nicht lange, denn es fehlte ihnen an Zeit und Auswahl.
Yann und ich setzten in irgendeiner kleinen Bar Dampf auf, dann sah mich Yann mit feuchtglänzenden Augen an und puffte mich: »Hehe?«
»Schön!« sagte ich. Yann und ich verstanden einander auf eine nahezu mysteriöse Art.
»Aber noch ein Glas! He, Patron, noch ein Glas, rasch!«
Wir brachen auf. Wir schlugen sofort ein derartig rasches Tempo an, als gälte es Leben oder Tod. Nicht eine Minute Zeit hatten wir zu versäumen.
»Nur keine großen Umstände gemacht, hörst du?« sagte Yann. »Sie warten nur darauf …«
»Tiens!« sagte ich, ärgerlich über Yanns ewige Bevormundung. »Habe ich je Umstände gemacht? Sakrenomdedü …«
»Allons, allons!« Yann lachte.
Es war Nacht, alles schlief. Die Leuchtfeuer suchten nach uns wie riesige Blendlaternen und wir schlichen wie Diebe zwischen den Hütten dahin. Oft mußten wir uns hinter eine niedrige Mauer ducken um nicht gesehen zu werden. »Nieder!« kommandierte Yann. Dann pochte Yann an ein Fenster: »Mach’ auf, mach’ doch auf!« Er pochte geduldig eine Stunde lang und raunte: »Mach’ auf, ich bin es, Yann!« Endlich klirrte der Riegel und Yann schlüpfte ins Haus. Ich wartete. Die schwarzen Wolken wälzten sich über den Himmel, der Wind knallte in meinem Rock, ich fror. Endlich kam Yann wieder, satt und erhitzt sah er aus.
»Es ist heute nichts mit ihr.«
»Nichts?«
»Nein, wir haben einen unglücklichen Tag gewählt.«
»O Yann!« Und wir steuerten einen anderen Kurs. »Mach’ auf, mach’ doch auf, ich bin es, Yann.« Wir lauschten, Poupoul knurrte. »Mach’ auf, mach’ doch auf!« In den Fischerhütten roch es süß und kräftig wie in einem Kuhstall.
»Umarme ihn, vorwärts!« befahl Yann. »Er ist mein Freund – Napoleon – hast du nie gehört von ihm?«
Dann hielten wir uns ein paar Striche westlich und klopften eine abseits liegende Kneipe wach um uns zu stärken. Wir brachten den Wirt um seine Nachtruhe, aber da wir die kapitale Zeche von einem Franken machten und bar bezahlten, waren wir willkommene Gäste.
»Nun wollen wir nach Stiff gehen«, sagte Yann, »eine halbe Stunde, dort wohnt Jeanne, aber wir müssen uns in acht nehmen, sie muß herauskommen« – Unersättlich war Yann.
»Wird sie herauskommen, Yann?«
Yann blieb stehen und rückte die Mütze ins Genick. »Wenn ich klopfe? He?«
Auf diese Weise machte ich die Bekanntschaft der Schönheiten der Insel. Wir litten keinen Mangel, das will ich nicht behaupten. Es wäre undankbar, nichts anderes.
Rosseherre aber hatte ich noch nicht gesehen.
An einem Mittwoch nun ging ich zum Hafen hinüber um zu sehen, ob der »Kommissionär« heil hereinkäme. Das Meer war erregt.
Die Fischer standen oben auf den Felsen, turmhoch über der Bai, und blickten regungslos auf den »Kommissionär« hinaus, nur zuweilen spien sie aus, aber ohne sich zu rühren. Sie sahen zerzaust und zerwühlt aus, ausgetrocknet von der Sonne, die Augen geschliffen vom Wind. Manche schienen gerade aus dem Wasser zu kommen, die dünnen Haare klebten an ihren Schläfen, die Kittel hingen an ihren Schultern herab. Neben ihnen stand Noel, der Kaufmann und »Inselkönig«, in einer schwarzen Lederjacke, den Feldstecher vor den Augen. Er strotzte von Wohlhabenheit, sein Gesicht war siegellackrot und sein schwarzer Vollbart knisterte vor Gesundheit. »O lala!« rief er und schüttelte besorgt den Kopf, denn der »Kommissionär« gehörte ihm. Ein paar Fetzen Tuch an den Stangen watete der Kutter in der Ferne durch die sausende Dünung, unter Sturzseen begraben. Manchmal versank er bis auf die Mastspitze – fahre wohl! – nein, er tauchte wieder auf. Hinter ihm ging schräg der schwarzgraue Regen. Plötzlich hielten alle Fischer inne – wenn jetzt ein Seil riß oder der Wind nur eine Minute aussetzte – sie spien wieder aus, es gab keine Gefahr mehr. In den Nischen der Klippen kauerten Trüppchen von Fischerweibern, wie Hühner, die der Wind in einen Winkel wehte. Alles flatterte an ihnen, die schwarzen offenen Haare, die Bänder der weißen Hauben, die Röcke. Die schwarze Jeanette saß bei ihnen und blickte lächelnd zu mir empor. Ich stand bei den Fischern, regungslos wie sie, und nur zuweilen nahm ich die Pfeife aus dem Mund und spie aus, auf amerikanische Art, durch die Zähne; ich hatte es darin zur Vollkommenheit gebracht.
Der »Kommissionär« zog die Segel ein und warf mit Gerassel seinen zerfressenen Anker aus. Eine kleine Rostwolke stieg auf und ich roch sie bis herauf. Sofort kam aus dem Hafen wie stets jenes kleine Boot heraus, das sich wie eine Kaulquappe bewegte, denn es wurde mit einem einzigen Ruder am Stern gerudert. Ein halbes Dutzend flatternde Bündel (Menschen), Ballen, ein Rudel kleiner Schweine, all das wurde mit einer Hast hineingeworfen, die Seeleute an sich haben, wenn sie schon einmal arbeiten. Im Nu war der Nachen zum Sinken voll.
Die Schweine schrien mörderisch, und die Weiber in den Felsennischen kreischten vor Lachen. Plötzlich aber begannen sie zu rufen. Sie schwenkten die Arme und schrien: »Rosseherre! Rosseherre!«
Im Schnabel des kleinen schlingernden Bootes stand ein Mädchen mit flatternden messinggelben Haaren.
Ich hatte sie noch nie gesehen. Gelbes Haar hatte sie! Und sie stand so ruhig.
Die quiekenden Schweine wurden herausgeworfen, die Ballen, der Postsack und ein ganzes Gebirge von großen Brotlaiben mit schmutziggrauer Kruste. Die Schweine liefen darüber, die gelbe Welle leckte nach ihnen und färbte einzelne dunkel, ehe Noel sie wegräumen konnte.
»Pack an, pack an!« schrie er, und der Dorflump in seinen klaffenden Hosen, Noels Schützling, sprang mitten in das Gebirge von Brot hinein.
Rosseherre stieg geschickt zwischen zwei Wellen aus dem Nachen und klapperte rasch in ihren Holzschuhen den Steig hinauf. Je näher sie kam, desto gelber wurde ihr Haar. Sie war klein und schmal, ein Mädchen von sechzehn Jahren; sie trug eine weiße Haube, ein Tuch um die Schultern, und war schwarz gekleidet wie alle Frauen der Insel.
Wir wandten uns ihr zu. Die Fischer taten es, ohne die Füße zu regen, ihre Holzpantinen waren festgenagelt am Boden. Kedril nahm den Tabakklumpen aus dem Mund und legte ihn unter die Mütze auf den Kopf. »Da ist ja Rosseherre wieder!« sagte er. Die andern sagten nichts. Sie spritzten den Tabaksaft mit kindlicher Freundlichkeit durch die Zähne und nickten. Man sah ja, daß sie da war.
In diesem Augenblick sah Rosseherre zu uns her. Das gelbe Haar wehte um ihr kleines kindliches Gesicht und sie strich es mit der Hand zurück. Die Weiber schrien ihr lachend etwas zu, und sie sah mich von oben bis unten neugierig an. Ich nahm die Pfeife aus dem Mund, bewegte aber keine Miene. Da kehrte Rosseherres Blick nochmals zu mir zurück und haftete an meiner Hand, an der ich einen unscheinbaren Ring trug. Dann sah sie mir rasch in die Augen. Was für ein Blick war es doch?
Die Weiber lachten breit, plapperten und gingen mit Rosseherre davon. Im Nu hatte sie der Wind um die Ecke geweht. Aber bevor Rosseherre verschwand, blickte sie nochmals zurück.
Drunten in der Bai schaukelte verlassen der »Kommissionär«; ein Matrose in rotem Hemd kletterte auf dem Deck. Der Briefträger und Chef der Post ging an die Arbeit. Bis an die Zähne bewaffnet stürzte er sich ins Feuer. Er hatte hohe Reiterstiefel an und schwang einen lächerlich kleinen Korb mit den Briefen in der Hand. Sein Dienst war mörderisch. Wohin er kam, mußte er ein Gläschen trinken. Am Abend kehrte er aber stets als Sieger zurück, schnaubend wie ein Nilpferd, in Schweiß gebadet, um in Chikels Bar zusammenzubrechen unter der ungeheuren Last von Verantwortung, Wichtigkeit und eines höllischen Dienstes, für den er acht Tage lang Kräfte gesammelt hatte.
Der Karren mit dem Schimmel kam, um die Säcke und Ballen fortzuschaffen. Dieser Schimmel stand und ging, in einer Art Kniebeuge, er hatte rote Ränder um Augen und Nüstern und war fast gänzlich haarlos. Er schlief augenblicklich ein, und der Dorflump kitzelte ihn mit einem Strohhalm aussichtslos in den Nasenlöchern.
Der Karren fuhr ab – und nun war wieder Ruhe auf der Insel für eine ganze Woche.
Ich kaufte im Dorf für zwei Sou Fische und wanderte nach »Sturmvilla« zurück.
»Hast du gesehen, daß sie auf deinen Ring blickte?« sagte ich zu mir. »Sie sind doch auf der ganzen Welt die gleichen. Was für gelbes Haar sie hat, oho, das ist schon fast nicht mehr erlaubt, wie, Poupoul!«
Plötzlich fiel mir ihr Blick wieder ein. Merkwürdig. Es war ein – wie soll ich sagen? – es war ein Blick wie ihn Wahnsinnige haben.
Der Weg führte hoch oben über die Felsen dahin, in denen das Meer ohne Aufhören wusch und schaufelte.
Tag und Nacht war es an der Arbeit. Es fand eine Spalte und fing an, einen Tunnel zu bohren. In tausend Jahren sollte er fertig sein und es ging mutig ans Werk. Ein paar Schritte weiter hämmerte es in einer Höhle und meißelte in einem Schacht. In tausend Jahren sollte der Schacht mit dem Tunnel zusammenstoßen. Dann wollte es in den großen Stürmen Spitzhacken und Picken nach oben schicken um eine Halle auszuhauen. In abermals tausend Jahren war die Decke so dünn, daß sie nach den Regengüssen einstürzte, und dann stand eine Klippe da, frei und scharf wie eine Sense, und das Meer suchte sich eine neue Aufgabe. Es hatte Zeit.
Je näher man Sturmvilla kam, desto lauter wurde das Meer. Denn hier außen war der offene Ozean und der große Strom brach sich an den Klippen. Unaufhörlich stiegen die Gischtsäulen an den Riffen empor. Zuweilen dröhnte es, als ob eine ungeheure Felsmasse ins Meer stürzte. Eine große Woge. Ich hielt nicht mehr den Schritt an, nur manchmal erschrak ich noch tief innen im Herzen.
Vereinzelte bleischwere Tropfen fielen vom Himmel. Das Gewölk schleppte sich niedrig und schwer wie schwarzer Qualm übers düstre Meer und es wurde rasch Nacht. Unsere beiden Leuchttürme begannen zu arbeiten. Im Norden Stiff. Wie ein saugender, erschreckender Mond zuckte er hinter der schwarzen Heide empor. Zweimal weiß und einmal rot. Im Süden aber begann hoch oben eine geisterhafte Sonne mit vier bleichen Strahlenbündeln wie irrsinnig zu kreisen. Das war Creach. Er schleuderte seine Lichtgarben dreißig Meilen weit in die Nacht hinaus. Es waren sausende Hiebe von Doppelblitzen. Sie flogen über die schwarze Heide, die bleichen Giebel der Hütten, liefen wie eine leuchtende Schlange an den Klippen über der Bai drüben entlang, betasteten ein Riff, eine Woge, einen Wolkensaum, ein Segel – fort, Nacht, Schwärze – und schon blendeten sie wieder auf. Mit der Nacht, da die Geräusche des Tages verstummen und das Ohr sich schärft, donnerte das Meer um so lauter, und so kam es, daß man glaubte fortwährend in einem Gewitter zu leben.
Creach leuchtete mir auf den Weg. All die Felsen, die glattgeschliffenen Elefantenschädeln und Skeletten vorweltlicher Tiere ähnlich sahen, füllten sich mit Gestalt und Leben, wenn der Lichthieb über sie hinfegte. Mitten unter ihnen stand ein bleicher, abgezehrter Mönch, der den Arm erhob und den Skeletten predigte: »Es ist noch nicht zu spät, ihr Saurier!« In jeder Nacht stand er da und predigte, am Tage war er nichts als ein ordinärer Felsklotz. Auch mir predigte er, wenn ich vorüberkam: »Was den Sauriern gilt, gilt auch dir!« Und er drehte sich nach mir mit dem erhobenen Arm: »Es ist noch nicht zu spät, Heide!« Sturmvilla selbst sah wie ein bleicher Schädel aus, durch dessen zerfressene Nase ich hinein mußte.
Sie war früher ein Wächterhaus, aber nun gehörte sie Noel, dem Kaufmann, der ein Sammler alter Baracken war, die er mit großartigen Namen ausstattete: Villa de tempête, Sans-souci, Louis seize.
Ich nahm die Fische aus, schabte sie ab und briet sie in einem dick mit Butter beschmierten Papier über einem kleinen Feuer. Aus der Leber machte ich mit Butter, Salz und Essig die Sauce dazu. Dann hatten wir noch ein paar kleine Kartoffeln, herrlich!
Sturmvillas Gemächer bestanden aus einem einzigen kleinen Raum und die Hälfte davon nahm ein unförmiger pechschwarzer Kamin ein, der mich fast verschlang. Ich liebte es, davor zu sitzen und dem Feuer zuzusehen.
Die Fische zischten und draußen rumorte das Meer. Mein Ohr war fein und geschliffen und ich unterschied jede einzelne Woge. Der Strom stürzte sich gierig und wild gegen die Klippen, in der Ferne dröhnte es in gleichmäßigen Intervallen, als ob eherne Röhren ans Land rollten. Das war die Brandung in der Bai. Dazwischen unterschied ich ein fernes knatterndes Schnellfeuer. Das war das Meer bei Creach. Es hatte die Klippen in Trümmer zerschlagen und jede Woge rollte die zentnerschweren Kugeln auf und ab. Das Splittern und Krachen aber und die Schreie, was war das? Nein, ich öffnete nicht mehr die Türe. Ich sah nicht mehr schwarze Schiffsrümpfe auf und ab stampfen, ich hörte nicht mehr Ertrinkende schreien. Es waren die dunkeln Klippen, die da draußen tanzten, und ich wußte auch, woher die Schreie kamen. Es war das Wasser, das schrie, der Wind. Die Steine schrien.
Es pochte an die Türe. Ich wandte mich nicht um. Wer sollte kommen? Der Wind weinte an meinem Guckloch, er weinte von einem Schmerz, der nicht alltäglich ist, einem auserlesenen Schmerz, der das Herz eines Heiligen brach. Dann lachte er ein kleines, irrsinniges Lachen und weg war er.
Ich saß vor meinem kleinen Feuer und rauchte die Pfeife. »He, Poupoul, alter Kamerad!« sagte ich und kraute ihm den Kopf. Was war geschehen? Nichts. Aber es lag ein Geruch wie von Abenteuern in der Luft.
Dieser gelbe Irrwisch, der heute aus dem Meer gestiegen war! Ich machte mich bereit. Nimm dich in acht, Yann …
Gleich am nächsten Tag zog ich auf Kundschaft aus, um Rosseherre aufzustöbern. Aber ich fand sie nicht. Nun, mochte sie in Gottesnamen bleiben, wo sie wollte, ich war nicht auf sie angewiesen. Und am übernächsten Tag hatte ich sie vergessen.
Die Möwen schrien und die Meerschwalben zogen läutend und glucksend dahin. Es wehte, die Brandung donnerte. Wir fuhren hinaus zum Fischfang. Wir fuhren hinaus um den Hummer und die Languste zu fangen, unser Boot war angefüllt mit Reusen. Kedril, der Pilot Nummer Eins, erhielt eine Depesche und wir jagten zwischen den schwarzen raschen Wogen dahin wie ein Geisterschiff. Wir brüllten wie Teufel, um das Meer zu überschreien. Kommando und Wiederholungen der Kommando. Ich bediente das Focksegel und trachtete mit dem Wind fertig zu werden. Ich stemmte die Füße gegen die Bootsrippen und oft hing ich wagrecht im Boot um das Segel zu spannen. Meine Hände waren zerschunden, meine Augen entzündet vom Salzwasser und vom Wind, die Haare klebten mir im Gesicht. Wir kreuzten acht Stunden lang zwischen den Wassergräbern, bis das trübe Licht unseres Dampfers aus der Dunkelheit blinzelte, und acht Stunden lang trillerte uns der Wind wie eine schrille Pikkoloflöte in die Ohren. Der Pilot kletterte an der schwarzen Eisenwand in die Höhe und verschwand, und nur oben tauchte sein schnapsrotes Gesicht mit der geschwollenen Backe – er verwahrte den Tabak darin – wieder im Lichtschein der Lampen auf. Lebe wohl, Pilot! Wir, der Knecht und ich, legten mit aller Kraft die Stangen gegen den Dampfer um nicht zu zerschellen, und das eiserne Ungeheuer strich davon. Dann jagten wir durch die Nacht die vielen Meilen zurück. Die Sturzseen prasselten auf unseren geölten Anzügen. Unsere Augen lagen auf der schwarzen Straße vor uns und spähten nach Gischt aus. Denn wo Gischt war, waren Klippen. Im Nebel aber legten wir uns über den Bootsrand und schnupperten ganze Tonnen von Luft durch unsere geringelten Nasen – um die Klippen zu riechen.
Wir tranken. O wie mörderisch tranken wir! Mit der Flasche in der Hand taumelten wir an den Wänden entlang und tranken, weil wir durstig waren. All das Salz, hinab damit. Die Fischer brüllten zum Fenster hinaus. Das Meer hatte ihre Herzen wild gemacht und was sollten sie damit tun? »Brülle auch!« schrie Yann, und ich brüllte ebenfalls zum Fenster hinaus. Es machte uns Vergnügen.
Tagelang aber hausten wir einsam da draußen mit dem Wind und den Möwen, Poupoul und ich.
Vor meinem Hause lag ein Stein, groß und flach wie ein Tisch. Er war grau in der Sonne, bei trübem Wetter aber färbte er sich dunkel. Auf diesem Stein saß ich und sah dem Meere zu.
Die Wolken zogen am Himmel und ihre Schatten trieben übers Meer wie dunkle Inseln. Der Wind blies scharf hinein ins milchig grüne Wasser, ohne nachzulassen, und das Meer war eine Armee spitzer Wellen, der Horizont rauchte. Der Wind heulte und schrie und das Meer war getigert mit breiten zornigen Gischtstreifen, die dahinfuhren, Donner und Blitz.
Die Stunde kam und das Meer war anders.
Die Weite blendete mich. Ich stand auf, als ob ich etwas sagen wollte, ungeheure Worte schwebten mir auf den Lippen, Felsen von Worten, aber ihr Sinn war mir fremd und ich sagte nichts. Ich setzte mich wieder. Der Wind blies und fachte mein Herz an, daß es glühte, bis dahin, wo es ganz alt war. Und ich saß inmitten der Weite und Leere und der unbekannten Dinge, die in der Luft sind. So saß ich vom Morgen bis zum Abend und nun verstand ich, was mein Herz mir sagen wollte. Ja! Ich blickte in die Höhe. Gott war verreist, er hatte die Erde vorläufig allein gelassen, da sie aus den Kinderschuhen heraus war, aber die alten Götter lebten noch, denen ich räucherte, da ich übers Gebirge kam, die Steinaxt auf der Schulter. Hörst du es? Wie es sauste da droben! Die alten Götter waren da droben unterwegs.
Tausend Quadratmeilen Wasser, tausend Kubikmeilen Luft, alles gehörte mir. Nein, die da droben sollten nicht auf den Gedanken verfallen, es mit einem undankbaren, schäbigen Burschen zu tun zu haben. Ich ging und stahl einen halben Gartenzaun und machte ein Feuer an zwischen den Klippen. Ich warf Fische hinein, die ich eigenhändig gefangen hatte, mit Augen und Eingeweiden warf ich sie ins Feuer, und der Rauch schwärzte mein Gesicht. Sie sollten es sehen, wenn sie dort oben durch den Äther fuhren!
Und Tag um Tag saß ich auf dem Stein vor meinem Hause.
Draußen zogen die Dampfer vorüber.
Ich unterschied die kleinste Rauchwolke unter dem hängenden Gewölk, ja sogar ein Mast, der am Horizont wanderte, fein wie eine Nadel, konnte meinen Augen nicht entgehen. Die Rauchwolke wuchs, ein grauer qualmender Turm stand auf der Linie des Horizonts. Der Turm wölbte sich, bekam Maste, Kamine, Verdecke. Die Möwen schwangen sich von den Klippen und schossen schrillend hinaus. Und der Dampfer kämpfte sich näher. Sein Bug, sank ein und verschwand, lange, als ginge es hinab. Dann stieg der Bug in die Höhe und der Stern versank. Und wieder neigte sich der Bug. So zog er dahin. Die Gischtsäulen fuhren senkrecht am Schnabel in die Höhe, die Sturzseen strichen übers Deck. Wenn es dunstig war, so kam es vor, daß ich die Dampfer aus den Augen verlor und minutenlang suchen mußte, bis ich sie wiederfand. Bei Sturm erschienen sie wie verzweifelte Gespenster, die sich mit dem Meere schlugen. Sie sahen kahl aus, wie rasiert vom Wetter. Sie stampften auf und ab, qualmten, rollten hin und her, versanken, und oft dauerte es eine Stunde, bis sie den großen Strom passiert hatten.
Sie zogen nach Süden und Südwest. Von meinem Stein aus sah ich bis nach den heißen wimmelnden Städten Asiens, nach Südafrika, Mexiko und Südamerika, und zuweilen bis dahin, wo die Palmeninseln in einem Meer so blau wie Samt schlummern, und die Affen kletterten in unseren Tauen, sobald wir anlegten.
Ich spähte hinaus. Der Wind zerrte in meinen Haaren, die Funken stoben aus meiner Pfeife und fuhren wagrecht über die Heide. Auf einem Felsen saß ein Möwe mit gesträubten Federn und spähte hinaus wie ich.
Poupoul hockte neben mir und seine Nase ringelte sich bei all den Düften, die das Meer sandte. Er war ein pensionierter Schiffshund, ein zottiger schwarzer Pudel, groß und ein wahrer Teufel, und hatte alle Meere befahren. Ich hatte ihn drüben an der Küste gegen eine Flasche eau de vie eingehandelt. Zuweilen machte er eine kleine Exkursion, die Schnauze am Boden, ob nicht etwa Schweinsohren versteckt wären. Er trollte hin und her und lief hinab zum Meer. Das tat er auf drei Beinen, denn gewiß war es so ein erhöhtes Vergnügen. Er sprang vor und zurück, hielt den Rachen schräg und schnappte nach der Welle. Dann kam er zurück und setzte sich, wieder still neben mich.
Ein Dreimaster stand auf dem Meer. Poupouls gelbe Augen blendeten durch seine ergrauenden Haarbüschel hindurch zu mir empor.
»Ja, Poupoul, ich sehe ihn schon.«
Poupoul aber wollte wissen, ob das sein Schiff sei.
»Ja, es ist deines!«
Da heulte Poupoul kurz und heiß. Ich klopfte ihm den Pelz. »Komm!« Wir gingen. Wir suchten eine Möwenfeder für meine Pfeife und strichen durch die Klippen. »Gott gebe, Poupoul, daß wir eine passende Feder finden!« Die Welle klopfte. Ich sah sie an und sagte: »Und was willst du?« Zuweilen redete ich mit den Sandkörnern, die über die Heide rollten; denn ich konnte nicht immer nur mit Poupoul reden. Auch mit den schwarzen Hammeln sprach ich, die da und dort angepflöckt waren und darauf warteten, daß ein Grashalm wuchs. Ich begrüßte sie und machte ihnen meinen Standpunkt klar.
»Daß Ihre Herren Väter Hammel waren, mit Ihrer Erlaubnis«, sagte ich, »ist keine Schande! Nein, deswegen vertragen wir uns recht gut. Aber, daß Ihre Abkömmlinge noch in Millionen von Jahren nichts als Hammel sein werden, das macht Sie verächtlich. Sie haben sich in eine Sackgasse verrannt, Ihr Zustand flößt mir Mitleid ein. Ich bitte um Verzeihung, meine Herren!« Ich grüßte und ging. Die Hammel sahen mir frierend und zitternd nach.
Wir hatten die Feder gefunden und gingen wieder nach Hause. Horch! Ringsum mahlte es wie tausend Wasserfälle – die große Lunge atmete. Die Möwe war unterwegs, die Meerschwalbe läutete.
Trii! – Trii!
Döi! Döi! Gullugullugullu – döi!
Der Wind fegte und ich mußte mich an den Steinen in der Heide festhalten.
Wenn aber die Sonne schien und ich bei guter Laune war, so setzte ich mich in die Klippen und zog meine kleine Flöte aus der Tasche. Ich hatte sie bei Noel gekauft, um mir die Zeit damit zu vertreiben, sie kostete zehn Sou, besaß aber einen wundervollen Ton. Nun, ich spielte nicht für euch, keine Angst, ich spielte für die kleine Welle zu meinen Füßen, für die Fische im Meer, für den Dampfer in der Ferne, für Poupoul und mich.
Ja, herrlich klang es! Wunderbar klar hallte die Flöte in den Klippen wider. Poupoul zuckte mit den Ohren und sah mich voller Bewunderung an.
Nichts geschah. Das Meer wanderte. Aber dann trappelte es draußen und ich stand auf und mein Herz klopfte. Horch, Poupoul! Was trappelt so? Geht man draußen?
»Nun, so warte doch, du schwarzer Satan, wohin? Wie dein Haar glänzt! Wie heißt du – Yvonne? Ich möchte deinen braunen Nacken küssen, Yvonne, wo der Wind dein Haar auseinanderbläst. So, siehst du, keine Angst – zurück, Poupoul! Hahaha – sie ist doch kein Hammel!«
Nun vergingen wieder viele Tage, bevor sich hier außen ein Mensch zeigte. Ich klopfte die Pfeife aus. Tock – tock – es hallte in der Heide. Aber dann tauchte ein Mann aus der Heide auf und steuerte auf mein Haus zu. Es war Kedril, der kam um mich zu seiner Hochzeit einzuladen.
»Du heiratest also, mon vieux?«
»Ja. Ich trinke zu viel. Wirst du kommen?«
»Wenn ich nicht komme, kommt niemand, Pilot!«
»Vielleicht kannst du deine Flöte mitbringen?« (Meine kleine Flöte war auf der ganzen Insel berühmt.)
»Gewiß, mon cher!«
Auf dieser Hochzeit sah ich das gelbhaarige Mädchen wieder.
Um nichts zu versäumen, war ich schon am frühen Morgen zur Stelle. Der Tau lag noch auf den Halmen.
Ich war rasiert, mein noch in Europa gewaschener Kragen (der letzte) blendete in der Sonne. An der Hand trug ich zwei Ringe und über der Weste eine dünne silberne Kette, die ich schon seit fünf Jahren mit mir in der Hosentasche herumtrug. Gott weiß, warum. Ungeheuer vornehm nahm ich mich unter den Fischern aus, und das Aufsehen war groß.
In der Kirche knieten links die Frauen mit den weißen Hauben, rechts die Männer. Rosseherres helles Haar stach unter all den schwarzen Mähnen ab wie ein neugeprägter Louisdor unter alten Kupfermünzen. So oft sie das Kreuz schlug, bewegte sie die Lippen; sie sah weder rechts noch links. Der Priester gackerte wie eine Henne, der schweres Unrecht widerfahren ist und die ihr seelisches Gleichgewicht nicht wiederfinden kann. Er eiferte gegen die Trunksucht. Gewiß, er fuhr in Wind und Regen hinaus aufs Meer und lebte das ganze Jahr von getrockneten Fischen und Kautabak, während die Fischer in einem gepolsterten Lehnstuhl saßen und sich an der Freundschaft der Heiligen wärmten. Wir wurden langsam im Fegfeuer geröstet, dann strich ein leiser Zephir der Seligkeit über uns hin und es war zu Ende. Alle waren ergriffen. Kedril, der Bräutigam, der schon um sieben Uhr morgens betrunken war, lauschte mit ein wenig ausgestreckter Zunge und der pure Alkohol rieselte ihm aus den entzündeten Augen. Seine Braut kniete mit fettem, gewölbtem Rücken, den Kopf gesenkt, wie bereit zur Hinrichtung.
Poupoul unterhielt sich unterdessen prächtig mit Noels grünem Papagei, der auf dem Kirchplatz seine Morgenpromenade machte. Ich hörte die beiden disputieren. Auf das schallende Spottgelächter des Papageis antwortete Poupoul stets mit rasendem Kläffen.
Nach der Trauung küßten sich alle. Ein Mann machte die Runde mit einer Flasche und jeder bekam einen Schluck geweihten Wein und ein Stückchen geweihtes Brot. Der kleine Kirchplatz wimmelte von weißen Hauben; als sei soeben ein Extrablatt ausgeworfen worden, so sah es aus.
Rosseherre stand in meiner Nähe und wandte zuweilen den Kopf nach mir. Auf den ersten Blick hatte sie entdeckt, daß ich heute meine sämtlichen Juwelen angelegt hatte. Zwei alte Fischer näherten sich ihr, nahmen die flachen Tellermützen von den kahlen Schädeln und rieben ihre stachligen Gesichter gegen ihre Wange, während sie mit eingeknickten Knien standen. Rosseherre lächelte mir zu, als die Fischer sie küßten.
Nun kam die Reihe an mich. Ich nahm die Mütze ab und trat an Rosseherre heran. Sie sah mich mit ungeheuer verwunderten Augen an. Diese Augen waren graugrün und hatten gelbe Sterne in der Mitte. Sie sahen ganz anders aus als neulich. Wie hatte ich doch denken können, daß ihre Augen wahnsinnig aussähen? Nur alt erschienen sie mir. Ihre tiefroten rissigen Lippen standen voll Erstaunen offen. Dann brach sie in kindliches Gelächter aus. Sie klemmte die Hände zwischen die Knie und schüttelte sich wie ein messinggelber Pudel, der aus dem Wasser kommt.
Alle wurden von ihrer Heiterkeit angesteckt, auch ich; ich lachte um meine Niederlage zu verbergen.
»Du bist ja kein Fischer!« sagte sie im singenden Französisch der Bretonin.
»Woher weißt du das? Nun warte, wenn nicht heute, so morgen!«
Wiederum lachten alle.
Hierauf begaben sich die Geladenen ins Grandhotel, und auch die Nichtgeladenen gingen dahin.
Das Grandhotel war eine elende gelbe Hütte, die abseits vom Dorfe stand, dicht über der Bai, und sich nicht entschließen konnte, nach welcher Seite sie umfallen sollte. Vor der krummen kleinen Tür saßen zwei Papageien auf Sardinenbüchsen. Ohne jedes Zeichen von Aufregung saßen sie da, bald auf der rechten Kralle, bald auf der linken, rollten die Liderkapseln, knarrten und zuweilen lachten sie und schrien markerschütternd: Dieb, Lump, Faulpelz!
Im Grandhotel hauste Madame Chikel, ein stämmiges Weib, à la bonheur, mit einem lauten Mundwerk, immer liebenswürdig, immer entgegenkommend, und mit Händen wie Anker. In ihrem Schatten fristete Herr Chikel sein jämmerliches Dasein, wie ein Pilz im Schatten einer Eiche. Mit seinem breitrandigen Plantagenbesitzerhut, den er sich beigelegt hatte, seinen ewigen Bandagen an Kopf, Armen und Beinen, erinnerte er auch an einen Pilz.
Zuweilen bekam Herr Chikel einen Schlag mit einer Flasche über den Schädel, zuweilen auch nur eine Serie der entzückendsten Backpfeifen. Manchmal mußte er auch seiner Gesundheit halber im Freien übernachten. Er erschien im Mondschein wie ein Bündel in der Tür und flog die Treppe hinab. Die Tür krachte ins Schloß, der Riegel klirrte. Vorsicht! Aus dem Fenster flogen Hämmer, Flaschen, und Chikel war gezwungen, sich in die Klippen zurückzuziehen, in eine Art Fort, und hier schlief er.
Herr Chikel war eine Hundeseele. Lächle ihn an, was tut er? Er zittert mit dem Bein und lächelt wieder. Lächle etwas spöttisch oder sauer, er wird spöttisch oder sauer lächeln. Ziehe die Brauen zusammen und durchbohre ihn mit Blicken, als ob du ihn töten wolltest – er wird alles nachahmen. Er war verdammt dazu, den Gemütszustand anderer widerzuspiegeln, und man konnte ihn die Skala der Empfindungen auf und ab hetzen, bis ihm der Schweiß aus den Poren brach.
Madame Chikel war ihm so sehr an Kräften überlegen, daß er mit List kämpfen mußte. Er liebte es sich mit spitzen Gegenständen zu verteidigen, mit Nadeln und Glasscherben, die er ins Bett legte; es kam ihm auch nicht darauf an etwas Petroleum in den Strohsack zu gießen und nebenher ein Streichholz fallen zu lassen. Sobald aber Madame Chikel etwas merkte, daß zum Beispiel ein Nagel durch die Sohle ihres Holzschuhs getrieben war, oder sonst etwas, schlug sie ohne Mitleid auf den Pilz ein.
In diesem, dem ersten Etablissement der Insel fand Kedrils Hochzeit statt.
Die Weiber der Geladenen brachten ihre eigenen Bestecke und Teller mit – denn das Etablissement konnte nicht so viele stellen – und das Mahl begann. Ein wirres Meergespenst erhob sich und sprach. Es sprach bretonisch. Es waren Namen, Namen, eine endlose Reihe. Da und dort schlug einer das Kreuz und auch Rosseherre zuckte plötzlich zusammen, beugte den Kopf und bewegte die Lippen. Dann sah sie auf, etwas bleich und scheu, während sie zu lächeln versuchte. Es waren die Namen all derer, die aufs Meer hinausgefahren und nicht mehr zurückgekehrt waren. Speisen und Getränke wurden aufgetischt. Es gab Fisch, Hammel und einen Kuchen uralten Rezepts, der aus Schweineblut, Mehl und Zwetschgen gebacken war. Am Anfang ging es bäurisch steif zu, dann begann die Unterhaltung. Sie begann damit, daß man allgemeinen Zweifel über die Treue von Kedrils Braut äußerte. Kedril erstickte vor Lachen.
Nach dem Mahl wurde auf der Heide getanzt.
Bumba – bumba – alle formten einen Kreis und stampften mit den Holzschuhen, als stiegen sie eine Treppe empor und sangen: bumba – bumba. Das dauerte endlos. Plötzlich aber begann eine einzelne Mädchenstimme zu schrillen und der Kreis setzte sich in Bewegung.
Es war Rosseherre, die sang. Sie sang mit der Fistel, so hoch und schrill, daß selbst eine Grille erstaunt wäre. Sie sang das bretonische Hochzeitslied:
»Gib mir doch, gib mir doch, dein klein’ Herz, mein Lieb.
Gib mir doch, gib mir doch, dein kleines süßes Herz.«
Sie wiegte den Kopf dabei und sah zum Himmel empor. Ihre Haare flogen und der Reigen drehte sich. Die Holzschuhe klapperten, die Tücher wehten, die langen Haare der Frauen, die Bänder der weißen Hauben. Auf der einen Hälfte des Reigens wehte alles einwärts, auf der andern nach außen. Die Fischer mit den Köpfen Ertrunkener und den blinkenden Augen trollten unbeholfen dahin, die braungebeizten Indianerweiber lachten und zeigten die weißen Zähne, während die Röcke über ihre dicken weißen Strümpfe emporschlugen. Um den Reigen herum standen die Kinder, grell geputzt wie Puppen, mit Ruschelköpfen, roten Backen und staunenden, strahlenden Augen.
Tief unten rauschte das Meer. Die Brandung lief und donnerte. Die Möwen schrillten und flogen über den Reigen weg, der Wind wehte. Es war Sommer, die Sonne schien, aber die Insel sah aus wie eine trostlose Öde von starrenden Felsen. In der Ferne zogen auf einem tiefblauen Streifen im Meer zwei Dampfer gegen Süden; da draußen lief die Straße vorbei, auf der die Zeit wanderte.
»Gib mir doch, gib mir doch, dein klein’ Herz, mein Lieb …«
Ich stand und folgte dem blonden Kopf Rosseherres, der im Kreise ging wie eine funkelnde Glocke, die bimmelte. Rührend sang sie …