Das siebzehnte Jahrhundert war für das Deutsche Reich die Zeit der Auflösung: die einzelnen Organe des ungeheuren Körpers waren so selbständig geworden, daß die Kraft des Mittelpunktes nicht mehr ausreichte, sie zusammenzufassen. In ganz Europa war während des Mittelalters mit dem Feudalsystem die Vielheit der Grundgedanke der Staatenbildung gewesen, nirgends aber so im Wesen der Nation wurzelnd wie in Deutschland. Die strenge und kahle Einheit, die dem Romanen entspricht, widersteht dem kindlich phantasievollen Germanen, den es zur Fülle der Einzelerscheinung drängt, und dieser Geistesverfassung gemäß gestalteten sie die von den Romanen übernommene Idee des Weltreichs überschwenglich um. Sie wurde desto formloser, je weiter die Grenzen der Erde sich ausdehnten, vollends aber durch den Zusammenhang mit der weltumfassenden Kirche.

Daß der Süden Deutschlands Italien mehr zuneigte, war schon durch die geographische Lage und alles damit Zusammenhängende bedingt; in der Glaubensspaltung kam diese Verschiedenheit der Richtung unausgleichbar zum Ausdruck. Durch das in eine Menge von Einzelexistenzen zerfallende Reich war damit ein Schnitt geführt, der es in zwei gegensätzliche Hälften teilte, von denen die südliche als Sitz der Kaisergewalt stärker war, die nördliche als Quell frischer Energien und als Träger einer neuen, zweckmäßigeren politischen Idee.

Hätten sich nur die kaiserliche Zentralgewalt und die protestantischen Rebellen gegenübergestanden, so wäre ein entschiedener Sieg auf der einen oder anderen Seite möglich gewesen; aber in einem weit unheilbareren Gegensatz zum Kaiser standen seine uralten Gegner, die Aristokraten, von denen die vornehmsten, die Kurfürsten, in ihrer Gesamtheit ihm überlegen waren. Der Kaiser war für das Reich, das er nicht unmittelbar beherrschte, der Quell der Rechte und Freiheiten; es bezeichnet die Verzwicktheit der Verhältnisse, daß die Fürsten, insbesondere die Kurfürsten, sich die Vorkämpfer der deutschen Libertät nannten, womit sie ihre Unabhängigkeit vom Reichsoberhaupte meinten. Dies hätte die Städte, deren Selbständigkeit auf der Abhängigkeit vom Kaiser beruhte und durch die zunehmende Libertät oder Übermacht der Fürsten bedroht war, nicht täuschen können, wäre nicht der Kaiser zugleich Fürst, wäre er nicht katholisch und mit Spanien verbündet gewesen, wodurch er zum Feind auch ihrer Freiheit wurde, sowohl der äußeren wie der inneren. Ein Wirrwarr von Beziehungen ergab sich aus dem doppelten Gegensatz, so daß des Kaisers schärfste politische Gegner, die Kurfürsten, soweit sie katholisch waren, doch seine Stütze bildeten, während sie untereinander durch den Glauben getrennt und von den übrigen Fürsten durch ihre höheren Ansprüche geschieden wurden. Die natürlichen Verbündeten des Kaisers, die freien Städte, machte ihr evangelisches Bekenntnis zu seinen Gegnern; andererseits warnte sie berechtigtes Mißtrauen nicht nur vor den katholischen, sondern auch vor den glaubensverwandten Fürsten.

Die Dezentralisation hätte nicht der Zustand des Reiches sein können, wenn es nicht der Zustand seiner Bewohner gewesen wäre, die um die Wende des sechzehnten Jahrhunderts anfingen, von dem Typus abzuweichen, der sich in einer Reihe von Geschlechtern herausgebildet hatte. Man könnte das siebzehnte Jahrhundert, einen Teil des sechzehnten mit hinzunehmend, das interessanteste und anziehendste, vielgestaltigste und rätselhafteste unserer Geschichte, das Jahrhundert der Degeneration oder Entartung nennen, besser noch der Abartung oder Arterweiterung, damit durch den Ausdruck angedeutet sei, daß die abnormen Individuen, die nun erscheinen, nicht notwendig schlechter als der normale Typus sein müssen, wenn sie auch zu ihrer Erhaltung und zur Erhaltung der Art weniger gut geeignet sind.

An der Spitze des zerfallenden Riesenkörpers stand die Familie der Habsburger, in ihrer seelischen Zerrüttung ein erschütterndes Symbol des dem Untergange geweihten heiligen Reiches. Der Ausgangspunkt der Krankheit, die sich mittels der vielverzweigten Herrscherfamilie wie ein zersetzender Giftstrom durch Europa ergoß, wird in Johanna der Wahnsinnigen, der Erbin Spaniens, gesucht; wie es heißt, erkrankte sie beim Tode ihres Mannes, Philipps des Schönen, und wollte seinen Leichnam nicht von sich lassen. Es scheint jedoch, daß auch die Familie Habsburg sowie die Familie Burgund, von denen Philipp, Sohn des ersten Maximilian, abstammte, bereits in Entartung begriffen waren, so daß sich in dieser verhängnisvollen Ehe die Schwäche und Begabung zweier sich auflösender Geschlechter kreuzten. Nebeneinander treten nun bei den Habsburgern eine Neigung zur Schwermut auf und eine oft bis zum Vernunftlosen und Kindischen gehende Leichtfertigkeit, welch letztere schon im Charakter Maximilians I. sich zeigte. Auf einem zeitgenössischen Bilde von Johanna der Wahnsinnigen sieht man das lange Gesicht, die lange Nase, die schwere Unterlippe, die für die Habsburger charakteristisch wurden; ihre Augen haben den gegenstandslosen, trostlosen Blick der Schwermut.

In dem Enkel Karls V., dem Kaiser Maximilian II., erschien das Krankhafte nicht so sehr als Melancholie wie als Unentschlossenheit und Schwanken; die Disharmonie seiner Anlage war nicht so groß, daß sein lebhafter Verstand sie nicht einigermaßen hätte ausgleichen können. Zu deutlicher Entfaltung kam dagegen die Krankheit, die man die spanische nannte, an Maximilians Sohn Rudolf; war doch auch durch die Heirat Maximilians mit seiner spanischen Kusine das trübe habsburgische Blut anstatt erfrischt noch mehr zersetzt. Man bemerkte an Rudolf schon in seinen Jünglingsjahren Anwandlungen von Schwermut, Neigung zur Einsamkeit, Unlust zu allen Geschäften und Unfähigkeit, Entschlüsse zu fassen; um das fünfzigste Lebensjahr zeigte sich wirkliche Geistesverwirrung. Es wechselten nun Perioden, wo der Kaiser sich von aller Tätigkeit so zurückzog, daß er nicht einmal mehr Audienzen erteilte oder Unterschriften machte, mit solchen ab, wo er mit ungewohnter Schärfe handelte und in fast despotischer Weise den Herrscher herauskehrte; allerdings nicht persönlich, denn seine Scheu vor öffentlichem Auftreten blieb sich immer gleich. Die fortschreitende seelische Auflösung offenbarte sich auch in dem, was man Verschlechterung seines Charakters nennen könnte. Wer mit ihm verkehrte, pflegte zuerst durch die gehaltene Würde seines Wesens für ihn eingenommen zu werden, lernte ihn aber früher oder später als feige, falsch, verlogen, ränkesüchtig, rachsüchtig und grausam kennen. Durch seine prahlerisch verkündeten und nie ausgeführten Pläne besonders in Hinsicht auf Verheiratung machte er sich lächerlich; er ging bis zu seinem Tode auf Freiersfüßen, teils um seine Erben zu schrecken, teils weil das Spielen mit dem Gedanken ihn reizte. Aus krankhafter Schüchternheit und um sich gehen lassen zu können, zog er den Umgang mit Leuten niedrigen Standes vor; aber auch deshalb, weil sein unausgereiftes, kindlich gebliebenes Gemüt sich in solchen Kreisen am meisten zu Hause fühlte. Wenn er nicht handeln mußte, wo er nur aufnahm und betrachtete, wirkte er sympathisch mit seiner Liebe zur Natur und zu den Tieren, seinem Heimweh nach den Bergen Tirols, wo es ihm einmal wohl gewesen war, mit seinem Sichversenken in Kunstwerke aller Art. Das Sammeln von Kunstgegenständen war unter den Fürsten Mode; es scheint aber, daß für Rudolf die Beschäftigung mit der Kunst Bedürfnis war und daß er selbständigen Geschmack hatte. Der Mensch begann damals nicht nur mehr als geschlossene Einheit, sondern als ein Teil des Naturganzen begriffen zu werden, und man kann sich vorstellen, wie dies zugleich schmerzliche und süße Gefühl des Untertauchens in den Elementen das kranke Gemüt des Kaisers beruhigt haben mag. Er liebte die Bilder von Breughel und Roelant Savery, auf denen ein chaotischer Überfluß von Geschöpfen und Dingen die begrenzte Form verschüttet. Wie fast alle Habsburger regierte Rudolf nicht selbst, sondern durch Günstlinge, die er nach einem gewissen Zeitraume stürzte, wie um sie dafür zu bestrafen, daß sie einmal Macht über ihn gehabt und seine Schwäche erkannt hatten.

Ferdinand I. und Maximilian II. suchten den Frieden im Reiche und ihre Herrschaft dadurch zu erhalten, daß sie eine vermittelnde Stellung zwischen den Religionsparteien einnahmen, so jedoch, daß ein merkliches Übergewicht auf der katholischen Seite blieb, als auf der, wenn auch erschütterten, doch legitimen und deshalb stärkeren. Rudolf hingegen, der sachlichen Anteil an den öffentlichen Angelegenheiten überhaupt nicht nahm und dem Interesse oder Verständnis für die Ideen des Protestantismus ganz fehlten, vermittelte nicht, sondern spielte die beiden Parteien gegeneinander aus, je nachdem, welche gerade seinem Ansehen am meisten zu nahe getreten war. Als das damalige Haupt der evangelischen Kampfpartei, Christian von Anhalt, ihm den Gedanken nahelegte, sich an die Spitze der Protestanten im Reich zu stellen und die Kaisermacht auf sie zu gründen, schien er davon ergriffen zu sein; aber das war nicht mehr als Spiel und Traum; der im Innersten gebrochene Mann wäre zu einem solchen Wagnis unfähig gewesen. Voll Haß und Furcht wendete er sich gegen den elastischen, tatkräftigen jungen Fürsten, der Unmögliches von ihm verlangte und der ihn vielleicht einen Augenblick angezogen hatte; diesen seinerseits erfüllte Abscheu gegen den zweizüngigen Monarchen, auf den er so große Hoffnungen gesetzt hatte.

Auch Matthias, Rudolfs jüngerer Bruder, benutzte die Glaubensspaltung, um die Regierung an sich zu reißen, aber er tat es unter Gewissensbissen und fürchtete, sich durch das Liebäugeln mit den Ketzern zu versündigen. Dergleichen Bedenken kannte der eigentliche Regent, der leidenschaftliche Kardinal Khlesl, sein Minister, nicht; doch vollzog sich in diesem, der seine geistliche Laufbahn als Wiederhersteller des Katholizismus begonnen hatte, ein Umschwung, sowie er die Regierung in die Hand bekam. Er sah nämlich ein, daß man mit dem Ziel gänzlicher Unterdrückung der Evangelischen unfehlbar einen ungeheuren Krieg anfachen würde, und da er diese Verantwortung nicht auf sich nehmen wollte, kam er sogar dahin, daß er eine Heirat des künftigen Kaisers mit einer evangelischen Fürstin plante.

Eine viel unbedeutendere und schwächere Persönlichkeit, als Khlesl war, ergriff den Gedanken durchgreifender Wiederherstellung der katholischen Kirche im Reich und hielt an ihm fest: eben der Nachfolger des Matthias, sein Vetter Ferdinand II. Er war ein Sohn des jüngsten Bruders von Maximilian II., des Erzherzogs Karl, der mit der bayrischen Prinzessin Maria vermählt war. Sie stammte von einer Tochter Ferdinands I. ab, führte den Habsburgern also habsburgisches Blut zu, fühlte sich aber durchaus als Bayerin, so daß oft ein gewisser Widerwille gegen die habsburgische Schwäche und Charakterlosigkeit bei ihr durchbrach. Im Gegensatz zu ihrem Manne war sie fanatisch, davon durchdrungen, daß die ihr anerzogenen Überzeugungen der Inbegriff der Weisheit und Tugend, alle anderen Teufelswerk wären; ihr starkes Temperament und die Unmittelbarkeit ihres Wesens versöhnen mit ihrer Beschränktheit und der stellenweise damit verbundenen Roheit.

Von den fünfzehn Kindern, die sie in zwanzigjähriger Ehe ihrem Manne gebar, starben mehrere Töchter in jungen Jahren, von den Söhnen war einer epileptisch, ein anderer so schwachen Geistes, daß seine Lehrer an seiner Ausbildung verzweifelten. In Ferdinand, ihrem Ältesten, war das Spielerische, Unreife, Kindische des habsburgischen Familiencharakters vertreten, was von seiner klugen Mutter klar erkannt wurde und ihr nicht wenig Sorgen machte. Unbewußt half er sich selbst, indem er doch eine Sache ernst nahm, nämlich die ihm von ihr eingeprägten religiösen Grundsätze, gleichsam ein Knochengerüst, das ihm festen Stand und starke Bewegung ermöglichte. Dies eingefleischte Ideal verlieh dem Kaiser die Folgerichtigkeit, die auf die Dauer Erfolg verbürgt, sie trug ihm sogar, indem sie ihn in einem Punkte unerbittlich und unbelehrbar machte, den Ruf eines Tyrannen ein. Gewisse habsburgische Eigenschaften, seine Anhänglichkeit an die Familie, seine Liebe zur Musik, seine Umgänglichkeit, sein Mutterwitz geben ihm etwas Liebenswürdiges; was ihm durchaus fehlte, war die Gewalt seelischen Erlebens, ohne welche menschliche Größe nicht denkbar ist.

Soweit Ferdinand persönlich bestrebt war, die Reichseinheit zu stärken, folgte dies nur aus dem Wunsche, die katholische Religion wieder einführen zu können. In diesem Wunsche fühlte er sich eins mit Gott und der Kirche, und überzeugt, daß diese Mächte den für sie Streitenden schirmen und belohnen würden, störten ihn auch Wagnisse, Gefahren und Mißerfolge, in ihrem Namen übernommen und erlitten, nicht in seiner Behaglichkeit, die ihm wesentliches Bedürfnis war. Sein Familienstolz machte ihn zwar gegen die Übergriffe anderer sehr empfindlich, andererseits sah er die Größe seiner Familie zu sehr als in Gottes Weltplane liegend an, als daß er für nötig gehalten hätte, sich deswegen besonders anzustrengen. Es kam dazu, daß die staatsmännische Idee, das alte Reich vor dem Einsturze zu bewahren durch Unterordnung seiner zentrifugalen Kräfte unter die befestigte kaiserliche Macht, nicht ohne Rechtsbruch durchzuführen war, und einen solchen auf sich zu nehmen, hatte Ferdinand nicht genug Selbstvertrauen, war ihm die Idee an sich viel zu gleichgültig. Er fühlte sich im Rechte, wenn er etwa einen mit den Protestanten geschlossenen Vertrag verletzte, nicht aber, wenn er die Rechte der Kurfürsten, die er in der Wahlkapitulation beschworen hatte, mißachtete.

Wir sind geneigt, jeden zu bewundern, der die Hand daranlegte, das auseinanderfallende Reich, unbrauchbar gewordene Trümmer beiseiteschiebend, gewaltsam zusammenzufassen; damals empfand man überwiegend das Rebellische eines Angriffs auf die altheiligen Mächte oder Namen. Es gehörte entweder ein leidenschaftlicher Trieb oder eine hohe und freie Intelligenz dazu, um sich über die Scheu vor einem gewalttätigen Eingriff hinwegzusetzen. Beides hatte Wallenstein; aber ein Drittes ging ihm ab, was die wesentliche Bedingung des Handelns ist: Kraft nämlich, Sicherheit und Selbstvertrauen.

Bei jedem großen Manne ist der Trieb nach eigener Größe, man kann es Expansionstrieb nennen, das Erste und Grundlegende; diesem zufolge muß er sich dahin werfen, wo in seiner Zeit die größte Macht erreicht werden kann. Es war deshalb natürlich, daß im siebzehnten Jahrhundert die von starkem Expansionstrieb erfüllten Männer sich in den Kampf um die Herrschaft über Deutschland warfen, auch ohne daß sie bestimmt ausgearbeitete Ansichten und Pläne darüber im Kopfe hatten. Obwohl kein unwidersprechliches Zeugnis dafür vorliegt, hat doch sicherlich die allgemeine Meinung recht, die Gustav Adolf und Wallenstein zu ihren Lebzeiten nachsagte, daß sie nach der Kaiserkrone strebten, dem glänzendsten und bedeutungsvollsten Diadem der Christenheit, das von den Habsburgern aufgegeben worden war. Oxenstierna zwar widersprach der Ansicht in bezug auf Gustav Adolf und wahrscheinlich im guten Glauben; denn er war kein großer Mann, sondern nur ein bedeutender Staatsmann und läßt sich etwa mit Cavour vergleichen, der sich für die große Idee Mazzinis erst einsetzte, nachdem er sie für die Verwirklichung zurechtgestutzt hatte. Obwohl dem König persönlich nahestehend, mag er leicht für seinen innersten Drang weniger Verständnis gehabt haben als das Volk; er glaubte nur an fest umrissene, benennbare, erreichbare Ziele. Wie Gustav Adolf ging Wallenstein von dem dunklen Trieb nach dem Höchsterreichbaren aus; aber sein zweiter Flügel, der ihn hinaufgetragen hätte, hinweg über alle, auch die gerechtesten Bedenken, war gebrochen.

Die Geburt Wallensteins, im September 1583, fällt in die Regierungsjahre des unglücklichen Kaisers Rudolf, mit dem er in einigen Punkten eine verhängnisvolle Ähnlichkeit hatte. Aus seiner Kindheit und Jugend ist wenig bekannt, in bezug auf seine Persönlichkeit wesentlich das, daß man ihn den tollen Wallenstein nannte, ein Beweis, daß er von seiner Umgebung abwich und auffiel. Folgende Ereignisse und Tatsachen sind bemerkenswert: sein Übertritt zur katholischen Kirche, eine Handlung des Jähzorns aus seiner Studentenzeit, seine Verheiratung mit einer bejahrten Erbin und allerlei auf Bereicherung abzielende Machinationen.

Jede menschliche Erscheinung ist einmal in der Zeit, dann in sich selbst begründet. Nachdem im sechzehnten Jahrhundert der Protestantismus seinen Höhepunkt erreicht hatte, nahm teils seine Kraft von selbst ab, teils wurde er durch die von ihm erzeugte katholische Gegenbewegung zurückgedrängt. Von dieser wurden viele Söhne protestantisch gewordener Familien ergriffen, und es liegt die eigentümliche Tatsache vor, daß die meisten von den Männern, die im Laufe des Dreißigjährigen Krieges auf katholischer Seite eine bedeutende Rolle gespielt haben, als Protestanten geboren waren. Dies erklärt sich folgendermaßen: diejenigen Familien, die im sechzehnten Jahrhundert die neue Religion ergriffen hatten, waren die tatkräftigen, selbständigen, nach äußerer und innerer Unabhängigkeit trachtenden gewesen, während die schwachen, passiven, beschaulichen, mehr auf bequemen Lebensgenuß als auf Selbstbetätigung und Selbstverantwortung gestellten Naturen bei dem alten Glauben geblieben waren. Jene protestantischen Familien waren in einem Zeitraum von fünfzig bis hundert Jahren entartet und schwächer geworden, und ihre Glieder griffen deshalb nach den Stützen, die ihre Vorväter verschmäht hatten; doch war ihnen noch manches von der alten Tüchtigkeit geblieben, das nun der alten Religion zugute kam.

Zwar gingen allen Bekehrungen religiöse Gespräche und Belehrungen voran; denn man legte Wert darauf, das Bekenntnis als Ausdruck der Überzeugung erscheinen zu lassen; aber der materielle Vorteil, den die Konvertiten sich errangen, ist in allen Fällen klar als Beweggrund zu erkennen. Sagte doch Pappenheim mit unzweideutigen Worten, von seinem Glaubenswechsel datiere er seine glückliche Laufbahn. Damit, daß der Protestantismus eine gewisse Macht errungen hatte, ließen die Angriffskraft und der Opfermut seiner Bekenner nach; diese herrschten im ganzen nur noch bei den noch rechtlosen Kalvinern. An die Stelle des Strebens nach Daseinsberechtigung trat die Sucht nach Besitz, und davon hatten die Katholiken mehr und mit größerer Sicherheit zu vergeben als die Protestanten. Überhaupt waren die Katholiken, trotz aller Erfolge der Gegner, die Legitimen, die Evangelischen die Rebellen oder im besten Falle die Neuen, die Emporkömmlinge; indem man sich nach dem damals üblichen Ausdruck bequemte oder akkomodierte, erkaufte man sich das Ansehen, das alle durch das Alter geheiligten Einrichtungen haben, und den Zugang zu den Gnaden, die nur Kirche und Kaiser verleihen konnten.

Wallenstein war zu stolz, um abhängig, zu schwach, um Rebell zu sein, das heißt, um dem herrschenden Recht seine eigene Überzeugung entgegenzusetzen; dies war seine Tragik. Beinah hielt sich beides, Stolz und Schwäche, in ihm die Wage; doch konnte er eher aus Schwäche seinen Stolz überwinden, als kühn handeln, um sich nicht demütigen zu müssen. Bewußt oder unbewußt begann er damit, sich eine Grundlage künftiger Macht zu schaffen, indem er katholisch und indem er reich wurde. Da seinem Drang nach Größe die innere Kraft nicht entsprach, schuf er sich äußere Stützen; so ist sein Glaubenswechsel und so seine Heirat aufzufassen.

In noch höherem Maße als jetzt war es in früheren Jahrhunderten selbstverständlich, daß der Mann aus praktischen Erwägungen heiratete: um sein Vermögen zu vermehren oder um sein Ansehen zu erhöhen, womöglich beides zugleich. Nicht eine Geldheirat, sondern eine Heirat aus Neigung wäre eine Abnormität und würde der Erklärung bedürfen. Immerhin, da es auch junge und schöne Erbinnen gab, erregte es Aufsehen, daß Wallenstein mit 25 Jahren eine alte und häßliche Frau wählte. Es erklärt sich dadurch, daß derselbe Jesuit, Veit Pachta, der ihn zum Religionswechsel veranlaßt hatte, ihm die Heirat vorschlug; es lag den Jesuiten daran, daß die begüterte Witwe einen ihnen ergebenen Katholiken heiratete, damit ihre Besitzungen nicht in protestantische Hände fielen. Wallenstein ließ sich gern leiten, wenn er fühlte, daß man es gut mit ihm meinte: er nahm die ihm angetragene Frau und regierte die Herrschaften, die ihm mit ihr zufielen, ganz im Sinne der ihn beratenden Väter.

Aus der Dankbarkeit, die er seiner alten und kranken Frau zeitlebens bewahrte, läßt sich schließen, daß sie ihm das Leben nicht schwer machte. Nicht unmöglich ist, daß er sich im Umgange mit anderen Frauen schadlos gehalten habe für das, was er in der Ehe entbehrte. Im Jahre 1612, also in seinem 29. Jahre, litt er unter Gewissensbedenken und unternahm, wohl auf Anweisung seiner geistlichen Berater, eine Wallfahrt nach Loretto, um sich von den Sünden seines ganzen Lebens zu reinigen. Es könnten Sünden der Liebe gewesen sein, die ihn so bedrückten; wahrscheinlicher ist es aber, daß eine schwermütige Neigung zur Selbstquälerei dabei den Ausschlag gab. Manche Tatsachen lassen sogar die Vermutung zu, daß Wallenstein keine normal sinnliche, Frauen gegenüber leidenschaftliche Natur war.

Nach fünfjähriger, kinderloser Ehe, im Jahre 1614, starb seine Frau, und erst acht Jahre später verheiratete er sich wieder. Die Regel war damals, daß ein Mann, wenn seine Frau in zehn bis zwanzig Wochenbetten aufgezehrt war und starb, höchstens einige Monate verstreichen ließ, bis er eine andere nahm. Kriegsmänner führten nicht selten ihre Frauen auf ihren Zügen mit oder ließen sie zuweilen kommen, was Wallenstein nie tat; nur den Winter pflegte er in Gesellschaft seiner Frau zu Hause zuzubringen. Zuweilen jedoch brachten es die Umstände mit sich, daß längere Zeit verstrich: » Sed quia homo singularis,« schrieb ein Korrespondent dem Kurfürsten von Mainz im Jahre 1634, » intra triennium uxorem non vidit.« Nichts deutet darauf hin, daß er während seiner Witwerschaft und später außer der Ehe Beziehungen gehabt habe, was, obwohl selbstverständlich erlaubt und üblich, in diesem Falle doch zum Nachteil seines Rufes ausgebeutet worden wäre, wenn irgendwelche Tatsachen vorgelegen hätten. Es werden Äußerungen von ihm berichtet, daß er die Liebe im Lagerleben ungehörig fand, und das heißt doch so viel, daß er ihrer nicht bedurfte. Möglich, daß er sich in der Jugend erschöpft hatte; es ließe sich aber auch denken, wie überhaupt das Handeln bei ihm in die Sphäre der Phantasie verlegt war, daß seine geschlechtliche Sinnlichkeit sich aufgelöst hätte und er mehr in der Einbildung als in der Wirklichkeit Liebe zu genießen fähig gewesen wäre.

Wallensteins zweite Frau, Isabella von Harrach, gehörte dem Wiener Hofadel an und war die Tochter eines Günstlings des Kaisers; die Vorteile dieser Verbindung liegen demnach auf der Hand. Die Ehe scheint sehr glücklich gewesen zu sein, was allerdings bei dem seltenen Zusammensein der Gatten wenig bedeutet. Aus den Briefen Isabellas an ihren Mann spricht eine lieblich bescheidene Zärtlichkeit, und wenn man auch in Betracht zieht, daß dieser Ausdruck ergebener Liebe Stil der Zeit war und den Frauenbriefen des sechzehnten und siebzehnten Jahrhunderts eigentümlich ist, so bleibt doch der Eindruck eines innigen Verhältnisses übrig. Ihr steter Wunsch, in seiner Nähe zu sein, ihre Besorgnis um die Gesundheit des kränkelnden Mannes, ihre anschmiegende Treue kommen zu überzeugendem Ausdruck, und der Ton ihres Geplauders setzt bei ihm jene liebenswürdige Zutraulichkeit voraus, mit der er auch sonst die Herzen gewinnen konnte.

Soviel sich beobachten läßt, war Wallenstein stets ritterlich liebenswürdig gegen Frauen und verständnisvoll auf sie eingehend, ohne ihnen doch eigentlich näher zu kommen. »Er ist gewiß ein feiner Herr,« schrieb die geschiedene Herzogin von Braunschweig ihrem Bruder, dem Kurfürsten von Brandenburg, »und nicht also, wie ihn etliche Leute gemacht haben; er ist gewiß sehr courtoisch und hat uns alle große Ehre erwiesen, ist gar lustig hier gewesen ... Allzeit habe ich Ursache, ihn für meinen besten Freund zu halten; denn er hats mir erwiesen und sich erboten, noch ferner zu tun.« Besonders Frauen gegenüber, die in Not waren und seinen Schutz suchten, war er immer hilfsbereit. Einer evangelischen Witwe, die von ihrem Bekenntnis nicht lassen, aber doch auf ihren Gütern bleiben wollte, erteilte er die erbetene Erlaubnis und wies seine Beamten an, zu warten, »bis ihr unser Herr bessere Gedanken gibt, daß sie den rechten Glauben begreifen möge«. Stets war er gütig und rücksichtsvoll gegen diejenigen, die seine jeden Vergleich ausschließende Überlegenheit ohne weiteres anerkannten; bei Frauen war das im allgemeinen vorauszusetzen.

Wie keinen Menschen von starkem Expansionstrieb jemals die Erfüllung seiner Wünsche befriedigt, so genügte Wallenstein der Besitz, den seine erste Ehe ihm eingetragen hatte, nicht; er erweiterte ihn zunächst dadurch, daß er die Güter der aussterbenden Familie Smirsičky, mit der er durch seine Mutter verwandt war, an sich brachte. Der letzte männliche Erbe dieser Familie war geistesschwach, die letzte weibliche Erbin ging nach der Schlacht am Weißen Berge als Protestantin ins Ausland; diese Umstände benutzte er, um ihre Rechte an sich zu bringen, wobei er jedenfalls, sollte er auch keinen Rechtsbruch begangen haben, doch nur sein Wohl, nicht das seiner unglücklichen Verwandten bedachte. Die Selbstsucht trug es über das Mitleid davon, das er sonst mit hilflosen Frauen zu haben pflegte. Er war im höchsten Grade geldgierig und geizig; leidenschaftlich erpicht, Geld zu erwerben, gab er es ungern aus und nur dann, wenn er sicher war, dadurch mehr zu gewinnen. Er hatte eine angeborene Begabung für Geldgeschäfte und scheute nicht vor häßlichen Mitteln zurück, um sich Geld zu verschaffen, wie er denn in den Jahren 1622 und 1623 großen Gewinn aus der Münzverschlechterung zog. Mit anderen Herren des höchsten Adels gründete er eine Gesellschaft, die Münzen unter dem Wert prägte, um die kaiserlichen Finanzen zu heben; den Hauptgewinn indessen trug die Gesellschaft davon, und zwar so, daß die aristokratischen Teilhaber den größeren, die deutschen und jüdischen Geschäftsführer den bei weitem geringeren erhielten. Weit entfernt, sich derartigen Gewinnes zu schämen, verachtete Wallenstein vielmehr diejenigen, die, ohne Geld zu haben, eine Rolle spielen wollten; er hatte offenbar das Gefühl, daß Geld ihm zukam, ihm gebührte, und hätte ja auch das Bild, das ihm von seiner Größe vorschwebte, ohne ungeheuren Reichtum nicht darstellen können. Ohne Reichtum wäre er nicht er selbst gewesen, der Reichtum mußte ihm die mangelnde Kraft vortäuschen, die gebrochene Schwinge des Adlers mußte durch eine goldene ersetzt werden.

Im Jahre 1609, nach seiner ersten Heirat, ließ sich Wallenstein von Kepler, der damals im Dienste Kaiser Rudolfs stand, das Horoskop stellen. Vielleicht war er gespannt, da nun der Grund künftiger Größe gelegt war, das ihm eignende Schicksal wahrsagerisch vorgespiegelt zu sehen.

Einleitend stellt Kepler seine Ansicht über Astrologie fest: daß er zwar eine allgemeine Beziehung zwischen Gestirnen und Menschen annehme, daß er aber zweifle, ob diese sich im einzelnen ausdeuten lasse, und daß das Schicksal des Menschen seine unmittelbare Quelle in der Beschaffenheit seines Körpers und seiner Seele habe. Man sieht daraus, daß Kepler bei der Charakteristik seiner Kunden sich auf sein eigenes Urteil verließ, soweit er Gelegenheit hatte, sich ein solches zu bilden, welches er dann mit den Ergebnissen der Sterndeutekunst in Zusammenhang brachte. Persönlich kannte er damals den jungen böhmischen Edelmann noch nicht; aber obwohl ihm bei der Einsendung der erforderlichen Daten der Name verschwiegen werden sollte, erfuhr er ihn, wie es scheint, doch und mag sich Kenntnis seiner Lebensumstände und des Rufes, den er genoß, verschafft haben.

Kepler betont das »wachende, aufgemunterte, emsige, unruhige« Gemüt Wallensteins, das nach Neuerungen begierig sei; das gemeine menschliche Wesen und Handeln gefalle ihm nicht, er trachte nach neuen, unversuchten, seltsamen Mitteln, habe aber viel mehr in Gedanken, als er äußerlich sehen und spüren lasse. Er habe müßige, melancholisch, allzeit wachende Gedanken, halte sich an Magie und Zauberei, suche Gemeinschaft mit Geistern, verachte menschliche Gebote und Sitten, auch die Religion. Was Gott und die Menschen handeln, betrachte er argwöhnisch, als sei es alles nur Betrug und etwas ganz anderes dahinter; infolgedessen werde er für einen einsamen, leichtschätzigen Unmenschen angesehen. Er sei unbarmherzig, ohne brüderliche und eheliche Liebe, niemand achtend, nur sich selbst und seinen Wollüsten ergeben, an sich ziehend, geizig, betrüglich, ungleich im Verkehre, meist stillschweigend, oft ungestüm, streitbar, unverzagt, aber auch furchtsam.

Das Zwiespältige in der Anlage Wallensteins faßte Kepler in den Ausdruck, er sei Mann und Weib zusammen; eine aus tiefsinniger Auffassung des menschlichen Wesens hervorgegangene Bezeichnung, die zur mittelalterlichen Psychologie gehörte. In bezug auf Wallenstein wollte Kepler, wie es scheint, nicht auf die intellektuelle Bereicherung hinweisen, die aus der Doppelheit hervorgeht, sondern auf das Lähmende, das sie mit sich bringt. Weder zum Manne noch vom Weibe mit instinktiver Kraft hingezogen, erscheint er kalt und in sich selbst versunken, einem in seinem Inneren stattfindenden Austausch hingegeben.

Nachdem Kepler aus dem einen der beiden Wallensteins Leben beherrschenden Gestirne die eben geschilderte melancholische Eigenart abgeleitet hat, bringt er mit dem anderen, dem Jupiter, seinen großen Ehrendurst, sein Streben nach Macht und zeitlichen Dignitäten in Verbindung. Er werde sich, sagt er, dadurch große und kleine Feinde machen, denen er aber meistenteils obsiegen werde.