Sucht: Risiken – Formen – Interventionen Interdisziplinäre Ansätze von der Prävention zur Therapie
Herausgegeben von Oliver Bilke-Hentsch, Euphrosyne Gouzoulis-Mayfrank und Michael Klein
Eine Übersicht aller lieferbaren und im Buchhandel angekündigten Bände der Reihe finden Sie unter:
https://shop.kohlhammer.de/sucht-reihe
Die Autoren
Prof. Dr. med. Marc Walter, Klinikleiter und Chefarzt der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychiatrische Dienste Aargau AG (PDAG) und Professor für Psychiatrie und Psychotherapie, ist Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie und Facharzt für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie sowie Psychoanalytischer Psychotherapeut (EFPP).
PD Dr. med. Dr. phil. Daniel Sollberger, stv. ärztlicher Direktor Erwachsenenpsychiatrie Baselland, Chefarzt der Schwerpunkte Spezifische Psychotherapien und Psychosomatik (SPP) und Psychosoziale Therapie (SPT), ist Facharzt FMH für Psychiatrie und Psychotherapie, Privatdozent an der Medizinischen Fakultät der Universität Basel, TFP-Dozent und Supervisor (ISTFP).
PD Dr. med. Sebastian Euler, stv. Klinikdirektor der Klinik für Konsiliarpsychiatrie und Psychosomatik am Universitätsspital Zürich, ist Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie mit Zusatztitel Psychosomatische und Psychosoziale Medizin (SAPPM) und Konsiliar- und Liaisonpsychiatrie (SSCLPP), Privatdozent an der Medizinischen Fakultät der Universität Zürich, Psychoanalytischer Psychotherapeut (EFPP) und Gruppenanalytiker (D3G), MBT-Trainer und Supervisor (AFNCCF).
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2., erweiterte und überarbeitete Auflage 2022
Alle Rechte vorbehalten
© W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart
Gesamtherstellung: W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart
Print:
ISBN 978-3-17-039754-5
E-Book-Formate:
pdf: ISBN 978-3-17-039755-2
epub: ISBN 978-3-17-039756-9
Die Entwicklungen der letzten Jahrzehnte im Suchtbereich sind beachtlich und erfreulich. Dies gilt für Prävention, Diagnostik und Therapie, aber auch für die Suchtforschung in den Bereichen Biologie, Medizin, Psychologie und den Sozialwissenschaften. Dabei wird vielfältig und interdisziplinär an den Themen der Abhängigkeit, des schädlichen Gebrauchs und der gesellschaftlichen, persönlichen und biologischen Risikofaktoren gearbeitet. In den unterschiedlichen Alters- und Entwicklungsphasen sowie in den unterschiedlichen familiären, beruflichen und sozialen Kontexten zeigen sich teils überlappende, teils sehr unterschiedliche Herausforderungen.
Um diesen vielen neuen Entwicklungen im Suchtbereich gerecht zu werden, wurde die Reihe »Sucht: Risiken – Formen – Interventionen« konzipiert. In jedem einzelnen Band wird von ausgewiesenen Expertinnen und Experten ein Schwerpunktthema bearbeitet.
Die Reihe gliedert sich konzeptionell in drei Hauptbereiche, sog. »tracks«:
Track 1: Grundlagen und Interventionsansätze
Track 2: Substanzabhängige Störungen und Verhaltenssüchte im Einzelnen
Track 3: Gefährdete Personengruppen und Komorbiditäten
In jedem Band wird auf die interdisziplinären und praxisrelevanten Aspekte fokussiert, es werden aber auch die neuesten wissenschaftlichen Grundlagen des Themas umfassend und verständlich dargestellt. Die Leserinnen und Leser haben so die Möglichkeit, sich entweder Stück für Stück ihre »persönliche Suchtbibliothek« zusammenzustellen oder aber mit einzelnen Bänden Wissen und Können in einem bestimmten Bereich zu erweitern.
Unsere Reihe »Sucht« ist geeignet und besonders gedacht für Fachleute und Praktiker aus den unterschiedlichen Arbeitsfeldern der Suchtberatung, der ambulanten und stationären Therapie, der Rehabilitation und nicht zuletzt der Prävention. Sie ist aber auch gleichermaßen geeignet für Studierende der Psychologie, der Pädagogik, der Medizin, der Pflege und anderer Fachbereiche, die sich intensiver mit Suchtgefährdeten und Suchtkranken beschäftigen wollen.
Die Herausgeber möchten mit diesem interdisziplinären Konzept der Sucht-Reihe einen Beitrag in der Aus- und Weiterbildung in diesem anspruchsvollen Feld leisten. Wir bedanken uns beim Verlag für die Umsetzung dieses innovativen Konzepts und bei allen Autoren für die sehr anspruchsvollen, aber dennoch gut lesbaren und praxisrelevanten Werke.
Der vorliegende Band zur Komorbidität von Suchterkrankungen mit Persönlichkeitsstörung gehört zu Track 3: Gefährdete Personengruppen und Komorbiditäten. Herzstücke des Buchs sind die Kapitel zu der Ätiologie und speziellen Psychodynamik sowie zu der Therapie. Mit der nun vorgelegten Neuauflage zeigt sich einerseits das große Interesse von Fachpersonen an der Thematik der Persönlichkeitsstörung im Kontext von Suchterkrankungen, andererseits aber auch die Fortschritte im Verständnis und in der Therapie dieser relevanten Störungsbilder. Die Autoren haben den Text gründlich überarbeitet und durch viele neue Ansätze ergänzt. Dies ist umso wichtiger, als auch durch die Überarbeitung der Konzeptualisierung der Persönlichkeitsstörung in der ICD-11 in den nächsten Jahren ein noch höheres Augenmerk auf diese Störungsgruppe gerichtet werden wird. Insgesamt bietet das Buch von Marc Walter und seinen Mitautoren eine fundierte Grundlage für die Arbeit mit der anspruchsvollen Klientel von Suchterkrankten mit Persönlichkeitsstörung.
Oliver Bilke-Hentsch, Luzern
Euphrosyne Gouzoulis-Mayfrank, Köln
Michael Klein, Köln
Wir freuen uns, dass die 1. Auflage unseres Buches zu »Persönlichkeitsstörungen und Sucht« gut angenommen wurde und auf Interesse stieß. Nunmehr können wir hiermit eine 2., erweiterte und überarbeitete Auflage unseres Buches vorlegen.
Die Gliederung des Buches wurde leicht vereinfacht, aber in ihrer Struktur grundsätzlich beibehalten.
Das Kapitel »Ätiologie« zeigt wie auch bereits in der 1. Auflage, dass die Persönlichkeitsstörungen je nach zugrundeliegender Theorie unterschiedlich konzeptualisiert werden. Trotz aller Unterschiede gibt es aber auch Gemeinsamkeiten: Die resultierenden Störungsmuster sind immer bezogen auf das Selbst und die Beziehungen zu anderen. Insofern sind Persönlichkeitsstörungen auch Beziehungsstörungen und zeigen sich in ihren auffälligen Beziehungsmustern situativ und über die Zeit hinweg. Leider liegen bislang nur wenige empirische Studien zu den Ursachen einer Persönlichkeitsstörung vor, so dass neben einzelnen neurobiologischen Studien vor allem weiterhin die zentralen Theorien der Ätiologie beschrieben wurden.
Die Kapitel »Klinik« und »Diagnostik« wurden um die neue ICD-11-Klassifikation der WHO ergänzt. Bei den Suchterkrankungen werden darin die Verhaltenssüchte (Glücksspiel und Spielsucht) neu aufgenommen und ergänzen die bekannten substanzbezogenen Störungen. Bei den Persönlichkeitsstörungen wird eine neue dimensionale Einteilung eingeführt. In der ICD-11 gibt es dann nur noch eine Persönlichkeitsstörung, die in Schweregrade und unterschiedliche Domänen eingeteilt wird. Besonders in der Klinik hatte sich in der Vergangenheit gezeigt, dass meistens mehrere Persönlichkeitsstörungen kombiniert diagnostiziert wurden. Die ICD-11 vereinfacht damit insbesondere auch den Umgang mit dieser Diagnose. So wurde auch der Titel des Buches angepasst und lautet deshalb jetzt »Persönlichkeitsstörung und Sucht«. Im aktuellen DSM-5 wurde dieser radikale Wandel (noch) nicht vollzogen, sodass wir im Buch auf die bekannten und bei den Suchterkrankungen besonders häufigen Diagnosen »Borderline-Persönlichkeitsstörung«, »Narzisstische Persönlichkeitsstörung«, »Antisoziale Persönlichkeitsstörung« und »Ängstlich-vermeidende Persönlichkeitsstörung« nicht verzichten wollten.
Das Kapitel »Therapie« fasst die Störungsbilder »Persönlichkeitsstörung und Sucht« letztlich zusammen. Beide Störungen können einzeln diagnostiziert werden, sollten aber integriert und gemeinsam behandelt werden. Die Berücksichtigung der zugrundeliegenden Psychopathologie der Persönlichkeit ist entscheidend für den Therapieerfolg einer komorbiden Suchterkrankung. Sowohl der erste therapeutische Umgang als auch die evidenzbasierten störungsspezifischen Therapien werden in diesem Kapitel ausführlich beschrieben.
Unser Buch ist wissenschaftlich fundiert, aber für die Praxis gedacht. Es soll einen umfassenden Überblick über Ätiologie, Klinik und Therapie der Komorbidität »Persönlichkeitsstörung und Sucht« bieten. Es beschreibt Phänomene, die in der klinischen Versorgung unserer Patientinnen und Patienten zum Alltag gehören.
Wir wünschen Ihnen viel Freude und Gewinn beim Lesen.
Basel und Zürich, im November 2021
Prof. Dr. med. Marc Walter
PD Dr. med. Dr. phil. Daniel Sollberger
PD Dr. med. Sebastian Euler
Der Begriff »Sucht« bezeichnet grundsätzlich eine zwanghafte und unkontrollierte Verhaltensweise, die den Charakter einer Störung oder einer Erkrankung aufweist. Suchterkrankungen gehören zu den häufigsten psychischen Erkrankungen und sind mit schwerwiegenden gesundheitlichen und psychosozialen Konsequenzen für die betroffene Person sowie für ihr Umfeld verbunden; sie verursachen hohe Kosten und gehen mit erhöhten Morbiditäts- und Mortalitätsraten einher. Stigmatisierung und Kriminalität sind mit diesem Krankheitsbild assoziiert und erschweren Diagnostik und Behandlungserfolg. Stressfaktoren und deren Bewältigung sowie traumatische Erfahrungen und deren Reaktion spielen neben genetischen Dispositionen bei der Entwicklung und Aufrechterhaltung der Suchterkrankung eine entscheidende Rolle.
Auch wenn es keine einheitliche zugrundeliegende Suchtpersönlichkeit gibt, so ist die konsumierende Person mit ihren Persönlichkeitseigenschaften und Motiven ganz entscheidend an der Suchtentwicklung beteiligt. Vulnerabel sind besonders Personen mit Selbstwertproblemen, mit starken Ängsten und Aggressionen und mit Schwierigkeiten in der Emotionsregulation. Bei Patienten mit großen Schwierigkeiten in diesen Bereichen kann eine Persönlichkeitsstörung durch Strukturierte Klinische Interviews diagnostiziert werden. Es ist bekannt, dass bei denjenigen Patienten, die unter einer Persönlichkeitsstörung leiden, Suchtprobleme und Suchterkrankungen besonders häufig auftreten (Euler et al. 2015).
Allgemeine Risikofaktoren für eine Persönlichkeitsstörung sind die genetische Veranlagung (Temperament) sowie frühe negative Beziehungserfahrungen, die sich als Selbstbild und Beziehungsmuster im Laufe der Adoleszenz und des frühen Erwachsenenalters ausgestalten.
Persönlichkeitsstörungen können als Störungen der Emotionsregulation, der Identität, als Bindungsstörung oder als Mentalisierungsstörung konzeptualisiert werden.
Kommen die Auswirkungen anhaltenden Konsums bei einer Suchterkrankung zu der Symptomatik einer Persönlichkeitsstörung hinzu, kann die Diagnostik einer spezifischen Persönlichkeitsstörung im klinischen Alltag erschwert sein. Eine anhaltende Suchterkrankung kann im Verlauf eine Persönlichkeitsproblematik überlagern, oder die Sucht kann Ausdruck einer Krise bei einer Persönlichkeitsstörung sein. Im Einzelfall mag es deshalb häufig schwerfallen, beide Störungsbilder in Bezug auf das Auftreten, ihre Entwicklung und Verlauf einander zu zuordnen. Diese Entscheidung hat jedoch auch Auswirkungen auf die Therapie.
Allgemein sind in der Therapie bei Persönlichkeitsstörungen wie bei Suchterkrankungen psychotherapeutische Interventionen und Behandlungen erfolgsversprechend und gelten entsprechend empirischer Studien als hinreichend evidenzbasiert. Pharmakologische Behandlungen können in akuten Krisen und bei zusätzlichen komorbiden psychischen Störungen hilfreich sein – sie sind aber nicht ausreichend, um eine Persönlichkeitsstörung zu behandeln. Steht die Persönlichkeitsproblematik im Vordergrund, werden insbesondere störungsspezifische Psychotherapieverfahren mit Erfolg angewandt. Ist die Suchtproblematik klinisch führend, kommen derzeit vorrangig suchtspezifische Therapien zum Einsatz. In den letzten Jahren wurden zudem für diese Doppeldiagnose adaptierte evidenzbasierte Therapieformen entwickelt.
Grundsätzlich ist es für die Therapie von Patienten mit Persönlichkeitsstörungen und Suchterkrankung entscheidend, dass immer beide Störungsbilder beachtet und gemeinsam behandelt werden.
45-jährige alleinlebende, zurzeit arbeitslose Patientin mit einer Borderline-Persönlichkeitsstörung und schädlichem Gebrauch von Alkohol. Die Kündigung ihrer Tätigkeit bei der Gemeindeverwaltung wurde ihr ausgesprochen, nachdem es zu interaktionellen Schwierigkeiten mit ihren Vorgesetzten gekommen war, bei denen die Patientin mehrmals impulsiv reagiert habe. Bei ihr zeigte sich ein schmaler Grat zwischen erlebter Über- und Unterforderung und ein andauerndes Gefühl fehlender Anerkennung. Sie zeigte langjährige Stimmungsschwankungen mit Verschlechterung abends beim Alleinsein, Grübeln, Schuldgefühle und Gedankenkreisen, häufig Aggression gegen sich selbst mit Tendenz, sich selbst zu verletzten (Faust an die Wand schlagen, Ritzen), um sich besser spüren zu können, phasenweise Suizidgedanken, Wutausbrüche sowie dissoziative Zustände von mehreren Stunden unter Alkoholeinfluss bereits geringer Menge mit aggressiv-agitiertem Verhalten. Nach eigener Aussage mache sie »gute Miene zu verdecktem Spiel« und dann irgendwann lasse sie »die Sau raus« und es komme zu den »black-outs«. Es gab mehrere Vorbehandlungen stationär und ambulant wegen Depressionen, eine vorgängig 10-wöchige stationäre Behandlung einer schweren depressiven Episode auf einer Spezialabteilung für affektive Erkrankungen; dort wurde die pharmakologische Etablierung von zwei Antidepressiva, einem Mood-Stabilizer, einem Neuroleptikum sowie einer hohen Dosis eines Benzodiazepins fokussiert. Ihren Alkoholkonsum hat sie aus Schamgründen in den Vorbehandlungen nicht offenbart: seit Jahren mehrmals pro Woche 4–5 Gläser Wein oder Bier mit obigen Konsequenzen, kein Konsum anderer Substanzen. Anmeldung von der vorbehandelnden Abteilung zur Diagnostik in der Schwerpunktsprechstunde für Persönlichkeitsstörungen mit Diagnose einer Borderline-Persönlichkeitsstörung und Indikationsstellung für eine störungsspezifische 12-wöchige stationäre Psychotherapie. Ihr eigener Wunsch an die stationäre Psychotherapie waren eine bessere Affektbalance und sich zeigen zu können, ohne dass es zu unkontrollierbaren Wutdurchbrüchen oder Aggressionen gegen sich selbst komme. Sie wolle wieder leistungsfähig werden, habe aktuell keine gute Stresstoleranz und setze sich selbst zu sehr unter Druck, worauf unkontrollierbare Wut und Aggressionen folgten. Vorbehandlungen seien »nur ein Kratzen an der Mauer um sie herum« gewesen.
Es erfolgte die Aufnahme auf die Spezialstation für Persönlichkeitsstörungen zur 12-wöchigen stationären Psychotherapie mit psychodynamischer Einzelpsychotherapie, mentalisierungsbasierter Gruppenpsychotherapie, cotherapeutischen Bezugspersonengesprächen, Musiktherapie, progressiver Muskelrelaxation, Achtsamkeits- und Fertigkeitentraining (nach Dialektisch-behavioraler Therapie/DBT), integrativer Körpertherapie, Sozialberatung und Sport mit spezifischen Behandlungsvereinbarungen zum Konsum psychotroper Substanzen. Der Fokus der Behandlung lag auf der Förderung von Selbsterleben und Selbstwirksamkeit, so dass die Patientin zunehmend ein inneres Gefühl entwickeln konnte, »etwas zu taugen«, ohne dass dafür Beweise in der Außenwelt bzw. bei den Mitmenschen gesucht werden müssen, und dass aggressive Anteile in Beziehungen dosiert und konstruktiv integriert werden können. Wiederholt zeigten sich Konflikte auch in ihrem engeren Freundeskreis und der Familie, was während der Behandlung gut bearbeitet werden konnte. Im Gesamtverlauf und zusehends entwickelte sie eine positivere Selbstbesetzung inklusive aggressiver Selbstanteile. Medikamentös erfolgte ein Absetzen des Neuroleptikums und allmähliches Ausschleichen des Benzodiazepins. Eine ambulante Behandlung bei einer mit Persönlichkeitsstörungen erfahrenen Psychiaterin wurde etabliert. Über ihren Austritt hinaus besuchte sie die klinikinterne Arbeitsrehabilitation, um eine berufliche Wiedereingliederung vorzubereiten.
22-jähriger arbeitsloser Patient mit narzisstischer und selbstunsicherer Persönlichkeitsstörung und Cannabis- und Alkoholabhängigkeit. Er berichtete seit dem 15. Lebensjahr unter diffusen Anspannungszuständen, einem Gefühl innerer Leere, Suizidgedanken und Insuffizienzerleben v. a. gegenüber dem Vater gelitten zu haben. Er praktizierte täglichen Cannabiskonsum zur Entlastung. Die Schule hatte er nur knapp geschafft, mehrere Lehren dann wegen interaktioneller Schwierigkeiten (Kränkungs- und Insuffizienzerleben) abgebrochen. Seit dem letzten Lehrabbruch vor einem Jahr konsumierte er zusätzlich Alkohol »zur Betäubung« der Insuffizienz- und Schamgefühle. 6 Monate vor Eintritt Entzugsbehandlung in einer anderen Klinik erfolgte aufgrund eines Konsumereignisses der Therapieabbruch, seitdem Rückzug ins abgedunkelte Zimmer in der Wohnung des Vaters und vor Klinikeintritt täglich Konsum von ca. einer Flasche Wodka seit 6 Monaten und 2–5 Joints pro Tag seit vielen Jahren.
Nach 14-tägigem qualifiziertem Alkohol- und Cannabisentzug auf einer Drogenentzugsabteilung wurde der Patient auf die Spezialstation für Persönlichkeitsstörungen übernommen zur 12- wöchigen stationären Psychotherapie mit psychodynamischer Einzelpsychotherapie, mentalisierungsbasierter Gruppenpsychotherapie, cotherapeutischen Bezugspersonengesprächen, Gestaltungstherapie, progressiver Muskelrelaxation, Achtsamkeits- und Fertigkeitentraining (nach Dialektisch-behavioraler Therapie/DBT), integrativer Körpertherapie, Sozialberatung und Sport mit spezifischen Behandlungsvereinbarungen zum Konsum psychotroper Substanzen.
Der Patient imponierte mit geringer Frustrationstoleranz in Beziehungen, die in der Vergangenheit häufig zum Beziehungsabbruch führten (Familie, Lehre, Freunde, Partnerin), verbunden mit Kränkungs- und Schamgefühlen. Er zeigte einerseits ausgeprägte Selbstentwertungen als »Parasit« oder »Versager«, andererseits narzisstisch-überhöhte Ansprüche an sich selbst, allen und allem gerecht zu werden. Im Kontakt schien er stets betont freundlich, hilfsbereit und angepasst, gleichzeitig nervös und unsicher, aggressive Affekte (Wut/Zorn) schienen nicht vorhanden. In der Therapie zeigte er auffällig sozial erwünschtes Verhalten mit Antizipation der möglichen therapeutischen Interventionen. Im gesamten Behandlungszeitraum waren alle durchgeführten Atemalkoholtests und toxikologischen Urinuntersuchungen durchweg unauffällig. Eine medikamentöse Therapie war nicht indiziert. In Zusammenarbeit mit der klinikinternen Sozialberatung erfolgten die Anmeldung beim Sozialamt, die Vermittlung in eine betreute Wohneinrichtung und die Entwicklung einer Ausbildungsperspektive.
Katamnesegespräch 2 Monate nach Therapieabschluss: Patient wohnt in betreuter Wohnform und plant eine kaufmännische Ausbildung in geschütztem Rahmen noch im gleichen Jahr. Für eine ambulante Therapie wurde er nach zwei Vorgesprächen vom niedergelassenen Psychotherapeuten »abgelehnt«, nach dem Katamnesegespräch gelang die Vermittlung zu einer mit der Klinik kooperierenden, in der Arbeit mit Patienten mit Persönlichkeitsstörungen erfahrenen Psychotherapeutin. Seit seiner Klinikentlassung zeigt er kein Konsum von Cannabis oder Alkohol und pflegt soziale Kontakte zu Kollegen sowie eine neue Partnerschaft.
30-jährige Patientin mit Borderline-Persönlichkeitsstörung und narzisstischer Persönlichkeitsstörung sowie Heroin- und Kokainabhängigkeit. Sie ist alleinlebend und an einem geschützten Arbeitsplatz (ein geförderter Arbeitsplatz auf dem freien Arbeitsmarkt für Menschen mit psychischen Beeinträchtigungen) tätig. Regelmäßiger Konsum von Heroin und Kokain, langjährige stabile Buprenorphin-Substitution beim Hausarzt. Geld für Drogen verdiente sie zum Teil durch Prostitution. Sie zeigte Kratzen und Schneiden der Haut sowie eben genannte Prostitution als selbstverletzende und -destruktive Verhaltensweisen.
Die Patientin war als einzige Tochter einer drogenabhängigen alleinerziehenden Mutter aufgewachsen. So entstand ein früher Kontakt mit der Drogenszene und eine emotionale Vernachlässigung in der Kindheit. Ihre Mutter starb an drogenassoziierten Folgeerkrankungen, als die Patientin 14 Jahre alt war. Danach lebte sie zeitweise bei ihren Großeltern. Sie absolvierte eine obligate Schulausbildung, verschiedene Ausbildungen wurden aufgrund von schwerem Drogenkonsum mit vielen Fehlzeiten abgebrochen. Es folgten wiederholte Behandlungen in der Drogenentzugsabteilung zum Beikonsumentzug von Heroin und Kokain nach ihrem 20. Lebensjahr.
Die Patientin träumte von einem geregelten bürgerlichen Leben mit Beruf und einer eigenen Familie. Insgesamt hegte sie weitgehend unrealistische Vorstellungen über diese Möglichkeiten, geprägt durch narzisstische Idealisierung und eine Entwertung anderer Menschen in ihrer Umgebung. Realistische Wahrnehmung auch unter leichten therapeutischen Konfrontationen führten zu massiven Selbstwerteinbrüchen, die sie sodann häufig mit Drogenkonsum beantwortete. Gleichzeitig bedeutete die Droge ein verlässliches Objekt, das sie gebrauchen und missbrauchen kann. Zusätzlich führte der Drogenkonsum wiederum zur Stabilisierung der Situation und verhinderte eine Anpassung an die Realität sowie die Integration negativer Affekte und Selbstanteile. Zunächst war sie unzuverlässig beim Einhalten der Therapiestunden, auch aufgrund des Drogenkonsums.
Nach Abschluss eines Therapievertrags waren wiederholte Neuanpassungen der Therapievereinbarungen erforderlich. Es folgten die Etablierung einer regelmäßigen Substitutionsbehandlung sowie Verhaltensanalysen und motivierende Gesprächsführung, um den Zusammenhang zwischen Drogenkonsum und ihren Gefühlen zu verstehen. In der überwiegend übertragungsfokussierten Psychotherapie im ambulanten Setting erfolgten Konfrontation und Deutung in der Übertragung. Die Patientin ließ dann jedoch die Therapie aus und zeigte ein unbesorgt-gefühlloses, teilweise triumphierendes Auftreten während der folgenden Sitzung. Sie wurde auf die Fehltermine angesprochen. In der Gegenübertragung führten Aggressionen zur Verachtung und Geringschätzung oder zu Langeweile beim Zuhören der selbststabilisierenden Monologe der Patientin. Beides wurde in der Übertragungsbeziehung gedeutet und mit ihren aktuellen und später mit ihren früheren Beziehungen in Zusammenhang gebracht.
Es folgten mehrere Jahre hochfrequenter Psychotherapie und gelegentlich supportive Psychotherapie während krisenhafter Selbstwertzustände. Der Fokus lag auf der Abhängigkeitsproblematik und auf der Persönlichkeitsstruktur der Patientin, je nach der im Vordergrund stehenden Problematik.
22-jährige Patientin, intelligente junge Frau mit Maturaabschluss und Möglichkeiten, ein Studium zu beginnen, Diagnose einer Borderline-Persönlichkeitsstörung und einer Benzodiazepinabhängigkeit. Sie verletzt sich über Jahre anhaltend selbst und sorgt wiederholt mit suizidalen Impulsen für viel Unruhe in ihrem sozialen Umfeld. In der Therapie sind aufdeckende Gespräche über die Schwierigkeiten und Handlungsmotive der Patientin möglich. Sie kommt zu vielen Einsichten, allerdings ändert die Patientin in der äußeren Realität kaum etwas. Vielmehr entsteht der Eindruck eines Stillstandes. Dabei nutzt sie unbewusst nahezu jede Gelegenheit, eine Verantwortung für sich und ihr Tun zu umgehen und damit letztlich indirekt anderes und andere für ihren Zustand verantwortlich zu machen.
Nach einer kurzen stationären Krisenintervention aufgrund einer nicht mehr selbst kontrollierbaren Suizidalität werden der Patientin (entgegen der Empfehlungen pharmakotherapeutischer Leitlinien) Benzodiazepine verabreicht. Nach Entlassung aus der Klinik macht die Patientin derart Druck auf den ambulanten Pharmakotherapeuten, dass dieser die Benzodiazepin-Medikation widerwillig vorerst beibehält, und erst nach weiteren Wochen auf Abbau drängt. Daraufhin klagt die Patientin über Entzugssymptome, die sie dazu bringen würden, dass sie die Kontrolle über ihre Impulse und Affekte verliere. Es kommt wiederholt zu selbstdestruktivem und fremdaggressivem Verhalten, welches die Patientin – gewissermaßen sich selbst in ihrer Verantwortung entlastend – dem Entzugssyndrom und damit indirekt den behandelnden Ärzten während der Krisenintervention attribuiert. Sie erwirkt damit in ihrer betreuten Wohneinrichtung eine Extrabehandlung mit Rückzugsmöglichkeiten. Die (zumeist theatralisch) präsentierte Entzugssymptomatik kaschiert dabei die im Selbstbild der Patientin abgespaltenen fremdaggressiven Anteile. Die Orientierung und Planung mit real zu vollziehenden Schritten in Richtung einer Berufsausbildung bzw. eines Studiums, die die Patientin z. T. vollzieht, werden zugleich aber auf diese und ähnliche Weise (indirekt) immer wieder torpediert.
Die Patientin verharrt dabei in einer Art »Opferstatus«, den sie sich zugleich selbst vorwirft, vordergründig um andere zu entlasten, ihre Selbstbestrafungstendenzen rationalisierend zu rechtfertigen und in ihrem selbstdestruktiven Verhaltensmodus zu verbleiben. Schließlich wird auch die Therapie in dieser Weise funktionalisiert: sie soll einst allen zum Beweis dienen, dass ihre therapeutischen Bemühungen hoffnungslos waren und sind. So dass man verstehen und akzeptieren, ja, es vielleicht sogar als richtig erachten könnte, dass sie sich umbringt. Niemand kann ihr helfen, sie muss selbst mit allem zurechtkommen und ist auf sich gestellt – so ihre subjektive Erlebensweise in der Ambivalenz zwischen einem heroischen Gefühl, alles Schlechte auf sich zu nehmen und zu ertragen, und der Frustration, dass niemand wirklich für sie da ist. In dieser Dynamik drohen die therapeutischen Bemühungen der Behandler zu pervertieren: ihre Bemühungen werden von der Patientin innerlich zurückgewiesen bzw. in den Dienst ihrer Suizidabsichten gestellt. Sie entfernt sich damit nicht nur zunehmend vom Therapieziel, sondern entzieht sich auch dem therapeutischen Kontakt und beginnt, die Verantwortung für die Therapie dem Therapeuten zu übergeben.
Schließlich intoxikiert sich die Patientin in suizidaler Absicht mit heimlich gehorteten Lithiumtabletten, einer vom Pharmakotherapeuten verordneten Medikation. Im Gegensatz zu früheren Intoxikationen mit Benzodiazepinen, die letztlich als Selbstmedikationsversuche (sedierende Selbstbehandlung in Erregungszuständen) verstanden werden konnten, gewinnt der jetzige Versuch einen deutlicheren destruktiven psychodynamischen Beziehungsaspekt: Die Patientin wird in der Therapie mit ihrer reservierten Haltung gegenüber der therapeutischen Beziehung und der angebotenen Hilfestellung konfrontiert. Ihr Suizidversuch, der nicht wie bei Benzodiazepin-Intoxikationen als Form einer pharmakologischen Selbstsedierung aufzufassen ist, wird als Abwehr der therapeutischen Beziehung – konkretisiert in der verordneten Medikation –, von welcher sie profitieren könnte, letztlich als negative therapeutische Reaktion gedeutet (vgl. Sollberger 2020). Im Annehmen der Hilfe würde sie mit ihren unbewussten Wünschen nach Versorgung und Abhängigkeit und damit mit den weniger starken Anteilen ihrer selbst konfrontiert – möglicherweise gar mit einem Neid auf den Therapeuten, der ihr etwas zu geben hätte.
Epidemiologische Studien gehen in der Allgemeinbevölkerung von einer Prävalenzrate von ca. 10 % für das Vorliegen einer Persönlichkeitsstörung aus. Die Daten schwanken je nach Studie zwischen 4 % und 20 % (Trull et al. 2010). In Adoleszentenpopulationen werden höhere Prävalenzen berichtet (Johnson et al. 2000). Bei psychiatrischen Patienten sind die Zahlen deutlich höher. Studien (Fydrich et al. 1996; Loranger 1994) berichten hier von einer Prävalenz von 30–50 % bei Erwachsenen und bei Jugendlichen 50–60 % (Becker et al. 1999).
Von den spezifischen Persönlichkeitsstörungen treten in der Klinik die (ängstlich-)vermeidende Persönlichkeitsstörung, die zwanghafte Persönlichkeitsstörung und die Borderline-Persönlichkeitsstörung besonders häufig auf (Zimmermann et al. 2005; Walter und Bilke-Hentsch 2020; Benoy und Walter 2022). Die Borderline-Persönlichkeitsstörung wird mit einer Prävalenz von 10 % in der ambulanten und 15–25 % (Gunderson 2009; Kernberg und Michels 2009) in der institutionellen Versorgung auch als häufigste Persönlichkeitsstörung in klinischen Populationen angegeben. Für die Borderline-Persönlichkeitsstörung wird eine Prävalenz von 3 % (Trull et al. 2010) bis 4 % (Kernberg und Michels 2009) in der Allgemeinbevölkerung berichtet. In klinischen Populationen finden sich überwiegend Frauen mit einer Borderline-Störung, nicht aber in Bevölkerungsstudien, in denen Männer und Frauen etwa gleich häufig betroffen sind, was einen Hinweis darauf gibt, dass Frauen mit Borderline-Persönlichkeitsstörung sich häufiger in Behandlung begeben (Paris et al. 2013). Die Borderline-Persönlichkeitsstörung findet sich seltener in traditionellen Kulturen, aber zunehmend in städtischen Populationen (Paris und Lis 2013). Suchterkrankungen treten bei Männern mit Borderline-Persönlichkeitsstörung häufiger auf (Johnson et al. 2003).
Für die narzisstische Persönlichkeitsstörung wird im deutschsprachigen Raum eine Prävalenz von etwa 1 % (Ritter und Lammers 2007; Vater 2013) angegeben. Neuere Studien zeigten eine Lebenszeitprävalenz von 6 % (Walter und Bilke-Hentsch 2020). Dabei sind die Raten für Männer mit 7,7 % etwas höher als für Frauen mit 4,8 % (Stinson et al. 2008). Auch in den meisten klinischen Stichproben ist die Prävalenz der narzisstischen Persönlichkeitsstörung bei Männern größer als bei Frauen (Karterud et al. 2011). Die Studien sprechen dafür, dass dieser Unterschied zwischen Männern und Frauen mit narzisstischer Persönlichkeitsstörung in der Allgemeinbevölkerung und in klinischen Stichproben vorhanden ist, und nicht auf einen (Geschlechts)-Bias zurückzuführen ist (Grijalva et al. 2015).
Für die antisoziale Persönlichkeitsstörung reichen die Prävalenzraten je nach Studie von 1–3 % (Gibbon et al. 2010; Torgensen et al. 2001; Coid et al. 2006), die antisoziale Persönlichkeitsstörung ist etwa fünfmal häufiger bei Männern (Paris 2013).
Hinsichtlich der Prävalenzraten zeigten Studien, dass ungefähr 48 % der weltweiten Bevölkerung Alkohol konsumieren und 4.5 % illegale Drogen (Walter und Wiesbeck 2009).
Die Tabakabhängigkeit und die Alkoholabhängigkeit gelten als die häufigsten Substanzabhängigkeiten mit ungefähr 8 % für die Tabakabhängigkeit bzw. 5 % 12-Monats-Prävalenz für die Alkoholabhängigkeit. In den westlichen Ländern wird von einer Lebenszeitprävalenz für Alkoholabhängigkeit zwischen 7 und 12 % ausgegangen.
Für die Drogenabhängigkeit beträgt die Lebenszeitprävalenz 3 %. Die Cannabisabhängigkeit wird mit einer 12-Monats-Prävalenzrate zwischen 1,5 und 2 % angegeben, die Abhängigkeit von Stimulanzien und Opiaten liegt bei 0,3 bis 0,5 % in der Allgemeinbevölkerung (Kessler et al. 2005; McBride et al. 2008).
Für die Glücksspielsucht werden ähnlich hohe Prävalenzen erreicht. Deutschlandweit und in internationalen Studien wurden 0,2 bis 0,5 % in Repräsentativumfragen für das pathologische Glücksspiel gefunden (Wölfling et al. 2009). Die Prävalenz für die Internetsucht liegt bei ca. 1 % in der Allgemeinbevölkerung (Rumpf et al. 2014). Studienergebnisse zeigen, dass ca. 2 bis 7 % der regelmäßigen Internetnutzer einen problematischen Umgang bis zu internetsüchtigem Verhalten aufweisen (Wölfling et al. 2009). Bei Studenten steigen die Prävalenzzahlen gegenüber der Allgemeinbevölkerung auf 13 bis 18 % für die Internetsucht (Young und Nabuco de Abreu 2011).
Das Risiko, bei bestehender Persönlichkeitsstörung auch an einer zusätzlichen, also komorbiden Suchterkrankung zu leiden, ist um den Faktor fünf für alkoholbezogene Störungen und um den Faktor zwölf für die drogenbezogenen Störungen erhöht (Trull et al. 2010).
In einer Übersichtsarbeit zur Komorbidität von Persönlichkeitsstörungen bei Patienten mit Suchterkrankungen zeigten die Studien eine Prävalenzrate zwischen 34 und 73 % (Verheul 2001). Es kann mittlerweile davon ausgegangen werden, dass je nach untersuchter Stichprobe und zugrundeliegender Suchterkrankung ungefähr jeder zweite Patient neben der Diagnose einer Suchterkrankung auch die einer oder mehrerer Persönlichkeitsstörungen hat. In einer Stichprobe mit Borderline-Persönlichkeitsstörung hatten die Hälfte der Patienten auch eine alkohol- und/oder eine drogenbezogene Störung (McGlashan et al. 2000). Tatsächlich wurde das gemeinsame Auftreten von Suchterkrankungen und Cluster-B-Persönlichkeitsstörungen besonders häufig berichtet (Skodol et al. 1999; Walter et al. 2009a; Köck und Walter 2018).
Bei Patienten mit Alkoholabhängigkeit wurden verschiedene spezifische Persönlichkeitsstörungen festgestellt, darunter neben der Borderline-Persönlichkeitsstörung auch die narzisstische, die zwanghafte und die paranoide Persönlichkeitsstörung. Das Auftreten einer oder mehrerer Persönlichkeitsstörungen hatte einen positiven Zusammenhang mit der Schwere der Suchtproblematik (Preuss et al. 2009). Bei Patienten mit Alkoholabhängigkeit und Cannabis-bezogenen Störungen wurden neben der schizotypischen Persönlichkeitsstörung die Borderline-Persönlichkeitsstörung und die antisoziale Persönlichkeitsstörung häufig diagnostiziert (Hasin et al. 2011).
Es bleibt festzuhalten, dass die Komorbidität zwischen Suchterkrankung und Persönlichkeitsstörung häufig ist, insbesondere und je nach Stichprobe die Borderline-Persönlichkeitsstörung und die antisoziale Persönlichkeitsstörung betrifft und häufig mit einer schweren Suchtproblematik verbunden ist.
Zusätzlich gibt es derzeit auch deutliche Hinweise dafür, dass, auch wenn sich die Art der Persönlichkeitsstörung zwischen Alkohol- und Drogenabhängigkeit nicht wesentlich unterscheidet, bei drogenabhängigen Patienten die Prävalenz für eine spezifische komorbide Persönlichkeitsstörung aber möglicherweise noch etwas höher ist als bei alkoholabhängigen Patienten (Colpaert et al. 2012). So haben in einer brasilianischen Studie auch 25 % der Crack-Kokain-Konsumenten, aber nur 9 % der Alkohol- und Cannabis-Konsumenten eine zusätzliche antisoziale Persönlichkeitsstörung (Paim Kessler et al. 2012). In einer Studie mit heroinsubstituierten Patienten hatten 27 % eine komorbide antisoziale Persönlichkeitsstörung (Dammann et al. 2017). Kritisch bleibt jedoch anzumerken, dass die standardisierten Interviews zur Diagnostik der Persönlichkeitsstörungen ein delinquentes Verhalten erfassen, das bei der Abhängigkeit von Heroin oder Kokain beinahe regelhaft zu finden ist und als sog. »Beschaffungskriminalität« im Rahmen der Suchterkrankung zu werten ist und kein antisoziales/psychopathisches Verhalten im engeren Sinn darstellt, welches typischerweise mit Aggressivität, fehlender Empathie und Rücksichtslosigkeit verbunden ist (Walter et al. 2011).