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John Vorhaus

Handwerk Humor

Aus dem Amerikanischen von Peter Robert

Zweitausendeins

Für Maxx, die immer sagt, dass ich sie zum Lachen bringe.

1. Auflage 2022.
Die Originalausgabe ist unter dem Titel
The Comic Toolbox. How To Be Funny Even If You’re Not
bei Silman-James Press, Los Angeles, Kalifornien, erschienen.
Copyright © 1994 by John Vorhaus.

Alle Rechte für die deutsche Ausgabe und Übersetzung
Copyright © Zweitausendeins GmbH & Co. KG,
Karl-Tauchnitz-Str. 6, 04107 Leipzig.
www.zweitausendeins.de


Lektorat und Register: Ekkehard Kunze (Büro W, Wiesbaden).

Redaktion: Gabriele Schönig, Hamburg.

Umschlaggestaltung: DESIGNPREISZ Jörg Preißinger, Schwetzingen
unter Verwendung eines Fotos von © popcorner (shutterstock.com)


ISBN 978-3-96318-140-5

Inhalt

Einführung

1 Komik ist Wahrheit und Schmerz

2 Mut zum Risiko

Gedankenmüll entsorgen

Machen Sie Ihrem scharfen inneren Zensor den Garaus

Die Neunerregel

Schrauben Sie Ihre Ansprüche herunter

Positive Verstärkung als sich selbst erfüllende Prophezeiung

Konzentrieren Sie sich auf die unmittelbar vor Ihnen liegende Aufgabe

3 Die komische Prämisse

Drei Gattungen des komischen Konflikts

4 Komische Figuren

Die komische Perspektive

Übertreibung

Fehler

Menschlichkeit

5 Handwerk Humor: Einige Instrumente

Kontextueller Zusammenprall

Die völlig unangemessene Reaktion

Das Gesetz der komischen Gegenpole

Spannung und Auflösung

Die Wahrheit sagen, um einen komischen Effekt zu erzielen

6 Typen komischer Geschichten

Center and Eccentrics

Fish out of Water

Charakterkomödie

Zauberkräfte

Ensemble-Komödie

Slapstick

Satire und Parodie

7 Die Comic Throughline

Wer ist der Held?

Was will der Held?

Die Tür geht auf

Der Held meistert die Lage

Ein Knüppel kommt geflogen

Alles fällt auseinander

Der Held erreicht den Tiefpunkt

Der Held riskiert alles

Was kriegt der Held?

8 Handwerk Humor: Weitere Instrumente

Die Dreierregel

Witzchen

Der Türklingel-Effekt

Meiden Sie Klischees wie die Pest

Der Running Gag

Rückbezug

9 Streiche

10 Komödie und Gefahr

Der Preis des Misserfolgs

Der Lohn des Erfolgs

Logik der Geschichte versus Dynamik der Geschichte

11 Handwerk Humor: Noch mehr Instrumente

Mikrokonflikt und Makrokonflikt

Ohrkitzler

Details

Der Augenbrauen-Effekt

Virtueller Humor

Das Publikum an sich binden

12 Situationskomödie

Das Spec-Script

Die Regeln lernen

Die Handlungsstruktur von Sitcoms

Der Stabilitätsbogen

A-Story, B-Story und Thema

Noch ein Schnellverfahren für Sitcom-Storys

Outlines

Von der Story zum Drehbuch

13 Sketch-Comedy

1. Eine starke komische Figur finden

2. Eine oppositionelle Kraft finden

3. Eine Zwangsgemeinschaft etablieren

4. Den Konflikt eskalieren lassen

5. Den Einsatz erhöhen

6. Die Grenzen verschieben

7. Einen emotionalen Höhepunkt suchen

8. Einen Gewinner ermitteln

9. Den Bezugsrahmen ändern

14 Feinschliff und Perfektion

Schürfen und aufbereiten

Schnell und viel schreiben

Das Gute ist der Feind des Großartigen

Selbstvertrauen

Ihre Beta-Tester

Beta-Tester finden

Den Beta-Tester trainieren

Den Beta-Tester benutzen

Wie fertig ist fertig?

15 Alteisen und Doughnuts

Der Zuckfaktor

Die Polizisten vom Betrugsdezernat

Charakterschlüssel

Bezugsrahmen

Ihr komischer Wortschatz

Das Wade-Boggs-Paradigma

Problem-Komplexe

Sprüngelchen

16 Moralpredigten und Ermahnungen

Offenbarung

Dank

Register

»VORWÄRTS!«
zum Handwerk Humor

Bist auch du ein armer Wicht,
dem es an Humor gebricht,
dem nie eine Komödienszene
gelingt – mangels der Komik-Gene?
Glaubst auch du, dir sei hienieden
ein Dasein ohne Witz beschieden?
Nur Mut, mein Freund, in diesem Buche
steht, was du brauchst für deine Suche.
Handwerk Humor, die Kunst der Comedy,
macht auch aus dir ein Spaßgenie.
Mit den Regeln, die du hier erlernst,
wirst du zum Komödianten, ganz im Ernst.
Hier steht, wie du den üblen Dschinn erschlägst,
den scharfen Zensor in dir drin.
Aus diesem selbst erbauten Knast befreit,
bist du vor Wagens- und Versagensangst gefeit
und wirst die Worte und Prämissen finden,
die deinen Ruf als Meisterkomiker begründen.
Schärf deinen Witz mit diesen Instrumenten,
dann wird es für dich happy enden,
und du steigst auf in die Regionen
jener professionellen Spaßkanonen,
die Tag für Tag den Griffel schwingen
und ihre Mitmenschen zum Lachen bringen.

Peter Bergman,
Firesign Theatre, Los Angeles, 1994

Einführung

Ein Sprachlehrbuch von William Strunk und E. B. White trägt den Titel The Elements of Style. Auf der High School haben meine Freunde und ich immer »The Elephants of Style« dazu gesagt, und glauben Sie mir, wir haben uns damals gekringelt vor Lachen. Na ja, wir fanden es ja auch ganz toll, literweise Apfelwein zu saufen und dann auf den Rasen der Nachbarn zu kotzen – also ziehen Sie Ihre eigenen Schlüsse. Jedenfalls war The Elements of Style ein nützliches Buch – viele Informationen über Sprache und Schreiben (und, ganz beiläufig, sogar über das Leben) auf sehr wenigen Seiten. Für ein Sprachlehrbuch war und ist es eine erstaunlich gute Lektüre. Ich kann es nur empfehlen.

Strunk und White waren große Fans von Regeln und hatten überhaupt keine Angst, ihren Standpunkt klar zu vertreten. Sie hassten zum Beispiel das Passiv und behaupteten steif und fest, dessen Verwendung führe zu schlechtem Stil. Da ich jung und leicht zu beeindrucken war, als ich ihr Buch las, nahm ich mir diese Regel zu Herzen. Fast mein ganzes Schriftstellerleben lang habe ich meine Werke mit geradezu religiösem Eifer vom Passiv gereinigt.

Und dann entdeckte ich eines Tages, wie viel Spaß es machte, im Passiv zu schreiben – obwohl ich wusste, dass man das nicht durfte; Bill und E. B. hatten es mir ja ausdrücklich verboten. Aber ich konnte nicht anders. Die Worte flossen einfach nur so aufs Papier:

Das Zimmer wurde von einem Mann betreten, von dem starke, gut aussehende Gesichtszüge gehabt wurden. Eine Frau wurde von ihm kennen gelernt. Das Bett wurde von ihr belegen. Dann wurde das Bett von ihm belegen. Kleider wurden von beiden abgestreift. Sex wurde gehabt. Höhepunkte wurden erreicht. Hinterher wurden Zigaretten von ihnen geraucht. Plötzlich wurde die Tür vom Ehemann der Frau geöffnet, von der das Bett belegen worden war. Eine Pistole wurde von ihm in der Hand gehalten. Einige Schreie wurden ausgestoßen, und wütende Worte wurden gewechselt. Eifersucht wurde von dem Mann verspürt, von dem die Pistole in der Hand gehalten wurde. Die Pistole wurde von ihm abgefeuert. Das Fliegen der Kugeln fand statt. Der Einschlag wurde von den Körpern gespürt. Der Fußboden wurde von den Körpern befallen. Sodann wurde Reue von dem Mann empfunden, von dem die Pistole in der Hand gehalten wurde. Die Pistole wurde von ihm gegen sich selbst gerichtet.

Und den Rest erledigt die Gerichtsmedizin, wie man so sagt.

Ich hatte die so genannten Grundsätze des guten Stils derart sklavisch befolgt, dass mir eine echte sprachliche Lachnummer entgangen war – oder zumindest ein kleiner Scherz. In blindem Gehorsam den Regeln gegenüber vergaß ich, Spaß zu haben. Und wenn man beim Schreiben – oder beim Malen, Zeichnen, Schauspielern oder bei welcher kreativen Tätigkeit auch immer – keinen Spaß haben kann, ja, zum Teufel, was soll’s dann?

Deshalb möchte ich gleich zu Beginn eines klarstellen: Die erste Regel lautet, es gibt keine Regeln. Betrachten Sie nichts von dem, was ich hier schreibe, als der Wahrheit letzten Schluss. Mein Handwerkszeug ist mein Handwerkszeug, und ich habe es für meine Zwecke entwickelt. Wenn Sie es nützlich finden, dürfen Sie’s natürlich gern benutzen. Aber es ist kein Evangelium, um Himmels willen, es sind nicht mal elements of style.

Andererseits bin ich fest davon überzeugt, dass Regeln keine Grenzen ziehen, sondern Konturen hervorheben. Kreativität bedeutet Probleme lösen. Je mehr (nützliche) Regeln wir haben und je rigoroser wir sie anwenden, desto klarer wird uns das Problem, das wir lösen möchten, und desto mehr Erfolg werden wir dabei haben. Ein Beispiel: Wenn Ihre Autobatterie leer ist, besagt die Regel, dass man mit den Überbrückungskabeln erstens die beiden Pluspole und zweitens den Minuspol mit der Erde verbindet. Wenn Sie den Pluspol der einen Batterie mit dem Minuspol der anderen verbinden, rösten Sie vielleicht Ihre Batterie und womöglich auch Ihr Gesicht.

Also machen Sie sich beim Herumstöbern in diesem Buch doch bitte die nützliche Idee zu Eigen, dass es sich lohnt, alles darin zumindest eines genaueren Blickes zu würdigen. Wenn Sie die jeweiligen Instrumente ausprobieren und dabei feststellen, dass sie nicht benutzerfreundlich sind, dann werfen Sie sie ruhig weg. Dabei werden Sie wahrscheinlich ein paar neue und eigene finden. Die werden für Sie besser geeignet sein, weil es Ihre sind, weil Sie sie in einer Sprache ersonnen haben, die Sie verstehen. Aber probieren Sie alle Instrumente durch.

Und machen Sie vor allem die Übungsaufgaben.

Einige mögen Ihnen schwierig erscheinen, irrelevant für Ihre Arbeit oder einfach nur gnadenlos blöd. Machen Sie sie trotzdem, wenn auch nur, um zu beweisen, wie blöd sie sind. Ich werde später noch genauer erläutern, dass Ihre Arbeit nicht benotet wird und dass auch Sie selbst in keiner Hinsicht beurteilt werden – nicht einmal von Ihnen selbst. Aber Sie holen viel mehr aus all diesem Material heraus, wenn Sie es verwenden, solange es in Ihrem Kopf noch frisch ist. Kritzeln Sie was an den Rand, wenn Sie wollen, oder schreiben Sie Ihre Lösungen in sich selbst zerstörende Computerdateien, wenn Ihnen das hilft, das emotionale Risiko zu minimieren. Aber machen Sie die Übungsaufgaben. Aus diesem Buch bekommen Sie nur so viel heraus, wie Sie hineinstecken. Oder anders gesagt: Je mehr Sie investieren, desto mehr ist es wert.

Vor ein paar Jahren habe ich einen Kursus über das Schreiben aus fremdem Blickwinkel geleitet. Darin gab ich den Teilnehmern folgende Hausaufgabe: »Gehen Sie los und tun Sie etwas Neues, etwas, was Sie noch nie getan haben.« Einige haben Fremden ein Essen spendiert, andere in der Bibliothek Bücher geklaut. Manche haben sich dumm gestellt oder sich geweigert, die Aufgabe zu erfüllen, was sie noch nie zuvor getan hatten, weder in der Schule noch an der Universität. Einzelne sind festgenommen worden. Kein Wunder, bei dieser Übung.

Und wir haben etwas sehr Interessantes herausgefunden. Allein die Tatsache, dass man etwas Unerwartetes tat, führte zu einem komischen Moment nach dem anderen. Diese verblüffende Entdeckung hatte einen neuen Kursus mit dem Titel The Comic Toolbox zur Folge, – aus dem ist dieses Buch entstanden. Halten Sie beim Lesen also öfters einmal inne und fragen Sie sich, wie Sie Ihren kreativen Prozess auffrischen und erneuern können. Ich rede nicht von dem, was Sie schreiben, zeichnen oder malen, sondern von dem System, mit dessen Hilfe Sie Ihr Material zum Leben erwecken. Brechen Sie mit alten Gewohnheiten, selbst mit denen, die funktionieren. Schreiben Sie im Bett. Malen Sie im Park. Zeichnen Sie Cartoons an die Wände. Überraschen Sie sich selbst; je öfter Sie das tun, desto mehr Witz werden Sie entwickeln. Auf alle Fälle werden Sie die Erfahrung machen, etwas Neues zu tun, und das lohnt sich fast immer, schon deshalb, weil es eben neu ist.

Ein genereller Hinweis, bevor wir weitermachen: In diesem Buch spreche ich viel vom Helden, vom Autor, dem Leser und dem Zuschauer – und zwar meist in der männlichen Form, obwohl ich natürlich sowohl ihn als auch sie meine. Die Sprache hinkt dem gesellschaftlichen Wandel hinterher, und es gibt noch keine brauchbare Konvention für geschlechtsneutrale Formulierungen. Vielleicht könnten Strunk und White das regeln, aber ich musste mich einfach irgendwie durchwursteln. Haben Sie also bitte Nachsicht mit mir.

Die östliche Philosophie beschreibt Kreativität als »Eimer zum Fluss tragen«. Der Fluss ist immer da, aber manchmal klappt es mit den Eimern nicht so richtig. Neben allem anderen ist dies ein Buch darüber, wie man bessere Eimer herstellt. Mit einigen klappt es bei mir recht gut, und das Gleiche wünsche ich Ihnen.

J. V., Sydney, Australien
April 1994

1

Komik ist Wahrheit und Schmerz

Als ich zwölf war, verknallte ich mich in Leslie Parker. Sie war niedlich und intelligent, hatte blonde Ponyfransen und ihr Lächeln haute mich völlig vom Hocker. Die ganze siebte Klasse hindurch schwärmte ich für dieses Mädchen – in den Mittagspausen, während der Bandproben, bei den ersten sehnsuchtsvollen gemischten Partys meiner problembeladenen Pubertät –, wie es nur ein liebestoller Wahnsinniger tun kann, dessen Hormone verrückt spielen. Ich war ein trauriger Fall.

Eines Tages – wir hatten gerade Mathe, und dreißig verschwitzte Kids in Schlaghosen und »Let It All Hang Out«-T-Shirts grübelten über die Unwägbarkeiten von Pi – erwähnte Leslie Parker beiläufig, sie werde mit ihren Eltern wegziehen. Meine Welt implodierte zu einem schwarzen Loch. Die Amputation eines heiß geliebten Körperteils hätte nicht schmerzhafter sein können. Meine Hand schoss in die Höhe.

Der Lehrer, Mr Desjardins, ignorierte mich. Das tat er häufig – ich glaube, weil ich immer verzwickte Fragen stellte, zum Beispiel: Was ist die Quadratwurzel von minus Eins? oder Warum kann man nicht durch Null teilen? Ich wedelte wie ein Idiot mit der Hand und versuchte, seine Aufmerksamkeit auf mich zu lenken. Vergebens.

Zehn Minuten später hatte jeder Leslie Parkers niederschmetternde Enthüllung wieder vergessen, nur ich nicht. Kurz vor dem Klingeln nickte Mr Desjardins mir endlich widerstrebend zu. Ich stehe auf und blöke kläglich und völlig unpassenderweise: »Wo zieht ihr denn hin, Leslie, und weshalb zieht ihr überhaupt weg?«, was natürlich heißen sollte: »Verlass mich nicht!«

Eine jähe, fassungslose Stille trat ein, denn ich hatte die Kardinalsünde der siebten Klasse begangen. Mit geradezu klassisch schlechtem Timing hatte ich meine Gefühle offenbart. Im nächsten Moment brachen alle in schallendes Gelächter aus. Selbst Mr Desjardins, dieser Sadist, gluckste unterdrückt in eine Manschette. Ich sage Ihnen, dieser Moment – bis dato der schmerzhafteste und erniedrigendste Augenblick meines Lebens – ist in mein Gedächtnis eingeätzt wie mit Säure auf einer Fotoplatte. (Der letzte solche Augenblick? Schön wär’s. Erinnern Sie mich irgendwann mal dran, Ihnen die Geschichte mit dem Gemeinschaftsduschen-Fiasko auf dem College zu erzählen.) Und ich werde nie vergessen, was Mr Desjardins sagte, während das Gelächter meiner Klassenkameraden in meinen Ohren widerhallte und Leslie Parker mich ansah, als wäre ich irgendein platt gefahrenes Tier. »Sie lachen nicht über Sie, Mr Vorhaus. Sie lachen mit Ihnen.«

Das war natürlich eine Lüge. Sie lachten über mich. All diese kleinen Ungeheuer hatten eine diebische, makabre Freude an meinem schmachvollen Fauxpas. Und warum? Weil sie in ihren winzigen, unsicheren, vorpubertären Herzen wussten, dass diesmal zwar ich auf die Mine getreten war, dass es jedem von ihnen jedoch genauso hätte passieren können. Und so entdeckte ich in einem einzigen herzzerreißenden, demütigenden Augenblick eine grundlegende Regel des Humors, obwohl es noch etliche Jahre dauern sollte (und eine noch viel längere Therapie erforderte), bis ich sie als solche erkannte:

KOMIK IST WAHRHEIT UND SCHMERZ.

Ich wiederhole es noch mal für diejenigen, die im Buchladen kurz hier reinblättern, um zu sehen, ob dieser Schinken das richtige Lesefutter für sie ist: Komik ist Wahrheit und Schmerz.

Als ich mich vor Leslie Parker erniedrigte, machte ich Bekanntschaft mit der Wahrheit der Liebe und dem Schmerz der verlorenen Liebe.

Wenn ein Clown eine Torte ins Gesicht kriegt, ist das Wahrheit und Schmerz. Man hat Mitleid mit dem armen, über und über mit Sahne bekleckerten Menschen, sagt sich zugleich, dass man die Torte selbst hätte abkriegen können, und denkt so was wie Da bin ich ja Torte sei Dank noch mal davongekommen.

Vertreterwitze sind Wahrheit und Schmerz. Die Wahrheit ist, dass der Vertreter etwas will, und der Schmerz rührt daher, dass er’s nie kriegen wird. Tatsächlich beruhen fast alle schmutzigen Witze auf Wahrheit und Schmerz, weil wir uns alle mit dem Thema Sex herumgequält haben – vielleicht mit Ausnahme von Willard McGarvey, der in der siebten Klasse eine noch kläglichere Gestalt war als ich und später Benediktinermönch wurde. Ich frage mich, ob Willard dieses Buch liest. Hallo, Willard.

Die Wahrheit ist, dass Beziehungen zwischen Mann und Frau mit Problemen behaftet sind. Der Schmerz rührt daher, dass wir mit diesen Schwierigkeiten fertig werden müssen, wenn wir die positiven Seiten genießen wollen. Denken Sie über folgenden Witz nach:

Adam fragt Gott: »Gott, warum hast du die Frauen so weich gemacht?« Gott antwortet: »Damit du sie magst.« Adam fragt: »Gott, warum hast du die Frauen so warm und knuddelig gemacht?« Gott antwortet: »Damit du sie magst.« Adam fragt Gott: »Aber, Gott, warum hast du sie so dumm gemacht?« Gott antwortet: »Damit sie dich mögen.«

Dieser Witz zielt gleichermaßen auf die Denkweisen von Männern und Frauen. Er lässt die Männer schlecht aussehen und die Frauen auch, aber dahinter steht eine gemeinsame Erfahrung: Wir sind alle Menschen, wir haben alle ein Geschlecht und wir stecken alle zusammen in dieser blödsinnigen Bredouille. Das ist Wahrheit, das ist Schmerz und darum funktioniert der Witz.

In einer berühmten Folge von Hoppla Lucy bekommt Lucille Ball einen Job in einer Bonbonfabrik, in der das Förderband plötzlich immer schneller läuft, so dass sich die arme Lucy schließlich verzweifelt Bonbons in den Mund stopft, um nicht in Rückstand zu geraten. Was ist die Wahrheit? Situationen können außer Kontrolle geraten. Und woher rührt der Schmerz? Wir müssen für unsere Fehler bezahlen.

Selbst bei Glückwunschkarten geht es letzten Endes um Wahrheit und Schmerz. »Du glaubst bestimmt, dieser Umschlag ist zu klein für ein Geschenk«, steht außen auf der Karte. Und innen? »Tja, du hast Recht.« Das ist Wahrheit (ich bin knauserig) und das ist Schmerz (deshalb gehst du leer aus).

Mein Großvater erzählte immer folgenden Witz:

Eine Gruppe von Männern steht vor den Himmelstüren und wartet auf Einlass. Petrus kommt herbei und sagt: »Wer von euch sein Leben lang unter dem Pantoffel seiner Frau gestanden hat, geht zur linken Wand. Wer nicht unter dem Pantoffel gestanden hat, geht zur rechten Wand.« Alle gehen zur linken Wand, bis auf einen furchtsamen, kleinen alten Mann, der geht zur rechten. Petrus tritt auf den kleinen alten Mann zu und sagt: »Die anderen Männer haben alle unter dem Pantoffel ihrer Frau gestanden und sind deshalb zur linken Wand gegangen. Wieso bist du zur rechten Wand gegangen?« Sagt der kleine alte Mann: »Meine Frau hat’s mir befohlen.«

Wahrheit und Schmerz. Die Wahrheit ist, dass Männer manchmal unter dem Pantoffel stehen, der Schmerz rührt daher, dass sie manchmal nicht mehr drunter hervorkommen.

In diesem Witz spielt noch etwas anderes eine Rolle, nämlich die Angst vor dem Tod. Nun meinen manche Philosophen, dass jede menschliche Erfahrung sich auf die Angst vor dem Tod reduziert, also sogar der Kauf einer billigen Karte statt eines Geburtstagsgeschenks irgendwas mit der Sterblichkeit zu tun hätte. Schon möglich. Keine Ahnung. In diesem Buch geht es nicht um solch gewichtige Dinge. Trotzdem stimmt es, dass der Tod, wie auch der Sex, von grundlegender Bedeutung für die menschliche Erfahrung ist. Wen wundert’s also, dass sich so viele unserer Witze mit der Wahrheit und dem Schmerz des Todes befassen?

Ein Mann stirbt und kommt in die Hölle. Der Teufel erklärt ihm, man werde ihm drei Räume zeigen, von denen er sich einen aussuchen könne; in diesem müsse er dann bis in alle Ewigkeit bleiben. Im ersten Raum schreien Tausende von Menschen in den Qualen des ewigen Feuers. Der Mann bittet darum, den zweiten Raum sehen zu dürfen. Darin werden Tausende von Menschen von schrecklichen Folterinstrumenten in Stücke gerissen. Der Mann bittet darum, den dritten Raum sehen zu dürfen. Darin stehen Tausende von Menschen und trinken Kaffee, während ihnen stinkende Abwässer um die Knie schwappen. »Den hier nehme ich«, sagt der Mann. Daraufhin ruft der Teufel den Menschen zu: »Okay, Kaffeepause ist um! Alle wieder auf den Kopf stellen!«

Die Wahrheit? Es könnte eine Hölle geben. Und der Schmerz? Sie könnte die Hölle sein.

Ein Mann fällt von einer Klippe. Im Sturz hört man ihn murmeln: »Bis jetzt ist ja alles gut gegangen.«

Die Wahrheit und der Schmerz: Manchmal sind wir Opfer des Schicksals.

Die Religion berührt uns alle in ähnlicher Weise, weil sie sich solche Mühe gibt, die elementaren menschlichen Dinge zu erklären, den Sex und den Tod. Witze über religiöse Menschen und Situationen decken die Wahrheit und den Schmerz der Religiosität auf: Wir möchten gern glauben; wir sind nur nicht sicher, ob wir’s auch tun.

Was kommt heraus, wenn man einen Zeugen Jehovas mit einem Agnostiker kreuzt?

Jemand, der ohne ersichtlichen Grund an der Tür klingelt.

Die Wahrheit ist, dass manche Menschen gern glauben möchten. Der Schmerz rührt daher, dass nicht jeder es schafft. Und übrigens: Wenn jemand einen Witz nicht »versteht« oder sich über ihn ärgert, liegt das oftmals daran, dass er die in dem Witz enthaltene »Wahrheit« nicht akzeptiert. Ein Zeuge Jehovas würde den letzten Witz nicht komisch finden, weil er wirklich vom Glauben erfüllt ist und dem Witz darum die so genannte Wahrheit nicht abnimmt, die dieser ihm verkaufen will.

Bitte bedenken Sie, mir geht es hier nicht darum, die Existenz Gottes oder den Wert des Glaubens zu beweisen oder zu widerlegen. Meine religiösen Überzeugungen und Ihre haben nichts mit der Sache zu tun. Ob ein Witz komisch ist, hängt davon ab, wie er sich zu den allgemeinen Überzeugungen derjenigen verhält, die ihn hören. Religion, Sex und Tod sind fruchtbare Themen für Humor, weil sie einige ziemlich starke Überzeugungen berühren.

Aber das muss nicht unbedingt sein. Wahrheit und Schmerz kann man auch in kleinen Dingen finden: Warum kommt ein Mann, der eine Diät macht, nie dazu, eine Glühbirne zu wechseln? Weil er immer erst morgen anfängt. Die Wahrheit ist, dass der menschliche Wille seine Grenzen hat, und der Schmerz rührt daher, dass wir diese Grenzen nicht immer überwinden können. Wenn Sie wissen wollen, warum etwas komisch ist, fragen Sie sich, welche Wahrheit und welchen Schmerz es zum Ausdruck bringt.

Nehmen Sie sich jetzt bitte einen Moment Zeit und erzählen Sie sich ein paar Ihrer Lieblingswitze. Fragen Sie sich, auf welche Wahrheit und welchen Schmerz darin jeweils angespielt wird. Denken Sie daran, dass diese Wahrheit und dieser Schmerz das Thema des Witzes sind.

Sie werden bemerken, dass nicht alle Themen universeller Natur sind. Schließlich macht nicht jeder gerade eine Diät, steht unter dem Pantoffel seiner Frau oder hat Angst vor dem Tod, obwohl die meisten von uns jemanden kennen, der gerade eine Diät macht, unter dem Pantoffel steht oder Angst vor dem Tod hat, manchmal sogar alles zugleich. Humor funktioniert auf der achtspurigen Autobahn großer Wahrheiten und großer Schmerzen, aber er funktioniert auch auf dem intimen Saumpfad der kleinen Wahrheiten und kleinen Schmerzen. Der Trick ist: Man muss dafür sorgen, dass das Publikum dieselben Bezugspunkte hat wie man selbst.

Wenn ein Standup-Comedian einen Witz über schlechtes Essen im Flugzeug reißt, schürft er in einer gemeinsamen Ader von Wahrheit und Schmerz. Jeder weiß, wovon er redet. Selbst wenn man noch nie geflogen ist, kennt man den – wie soll ich sagen – giftigen Ruf von Flugzeugkost. Man versteht den Witz.

Man muss jedoch weder Standup-Comedian noch Comedy-Autor sein, um mit dem Mittel von Wahrheit und Schmerz zu arbeiten. Wenn man beispielsweise eine Tischrede hält, könnte man damit beginnen, die Wahrheit und den Schmerz der Situation einzugestehen.

»Ich weiß, Sie alle können es nach diesem langen Festmahl kaum erwarten, aufzustehen und sich zu strecken, deshalb werde ich’s kurz machen.« (Pause.) »Danke und gute Nacht.«

Die Wahrheit ist, dass Reden lang sind, und der Schmerz besteht darin, dass das Publikum sich rasch langweilt. Der clevere Redner spricht dies an. Aus Gründen, die wir später noch erörtern werden, muss man nicht unbedingt einen Witz erzählen, um die Leute zum Lachen zu bringen; manchmal reicht es schon, wenn man die Wahrheit sagt.

Bedauerlicherweise machen politisch nicht korrekter Humor sowie sexistische und rassistische Witze ebenso Gebrauch von Wahrheit und Schmerz. Mal sehen, ob ich Ihnen verdeutlichen kann, was ich meine, ohne Anstoß zu erregen.

Angenommen, es gäbe eine Gruppe namens »Ostler« und eine rivalisierende Gruppe namens »Westler« und diese beiden Gruppen erzählten sich Witze übereinander. Von einem Ostler bekämen Sie dann etwa folgenden Spruch zu hören: »Wenn ein Westler-Paar sich scheiden lässt, sind sie dann noch Cousin und Cousine?«

Die Ostler halten es allesamt für wahr, dass Westler korrupt, unmoralisch oder dumm sind. Ihr gemeinsamer Schmerz rührt daher, dass wir uns mit denen abfinden müssen. Ich will das nicht weiter vertiefen, weil ich hier keinen Fortbildungskurs für Rassisten und Sexisten veranstalten möchte. Es reicht, wenn ich sage, dass jede menschliche Erfahrung, ganz gleich, wie bedeutsam oder belanglos sie ist, als Grundlage für Komik dienen kann, wenn die Wahrheit und der Schmerz, die ihr innewohnen, für das Zielpublikum sofort erkennbar sind.

In Sitcoms hört man zum Beispiel mehr Witze über Körperteile als über geistliche Texte, weil die meisten Zuschauer (darauf gehe ich gern jede Wette ein) mehr über Pospalten wissen als über die Bhagavadgita.

Hier ist ein Witz, den viele Leute nicht verstehen:

»Wie viele Solipsisten braucht man, um eine Glühbirne einzuschrauben?«

»Wer will das wissen?«

Dieser Witz ist nur komisch (und auch dann bestenfalls ansatzweise), wenn man weiß, dass ein Solipsist ausschließlich an seine eigene Existenz glaubt (und auch daran bestenfalls ansatzweise) und deshalb auf immer und ewig allein in seiner Welt ist. Wenn man einem nichts ahnenden Publikum einen solchen Witz vorsetzt, müssen sich die Leute viel zu sehr anstrengen, um die Wahrheit und den Schmerz darin zu entdecken. Bis sie das alles auseinander klamüsert haben (sofern es ihnen überhaupt gelingt), ist der richtige Zeitpunkt schon verstrichen und der Witz nicht mehr komisch.

Der Unterschied zwischen dem Klassenclown und dem Außenseiter der Klasse besteht darin, dass der Klassenclown Witze erzählt, die jeder versteht, der Außenseiter dagegen Witze, die nur er selbst versteht. Komik ist folglich nicht einfach nur Wahrheit und Schmerz, sondern Wahrheit und Schmerz in universeller oder zumindest allgemeingültiger Form.

Halt, halt, das ist noch nicht alles. Das Kommutativgesetz der Addition sagt uns, wenn Komik = Wahrheit + Schmerz, dann gilt auch: Wahrheit + Schmerz = Komik. (Sehen Sie? Ich habe im Matheunterricht der siebten Klasse noch was anderes gelernt, als dass Liebe dumm macht.) Wenn Sie also ums Verrecken witzig sein wollen, selbst wenn Sie’s nicht sind, nehmen Sie einfach irgendeine Situation und versuchen Sie zu eruieren, welche Wahrheit und welcher Schmerz ihr innewohnen.

Das funktioniert mit jeder Situation. Ein Besuch beim Zahnarzt. Ein Familienurlaub. Geld aus dem Automaten ziehen. Die Steuererklärung machen. Dieses Buch lesen. Fürs Examen büffeln. Was auch immer, ganz egal. Jede Situation enthält nämlich irgendein Element von Wahrheit und Schmerz. Angenommen, Sie lernen für eine wichtige Prüfung. Die Wahrheit ist, es ist wichtig, sie zu bestehen. Der Schmerz rührt daher, dass Sie nicht gut vorbereitet sind. Der Witz, der diese Wahrheit und diesen Schmerz beinhaltet, könnte (unter Benutzung des Instruments der Übertreibung, auf das wir später noch zu sprechen kommen) folgendermaßen lauten:

Ich bin ein so lausiger Student, dass ich nicht mal eine Blutprobe bestehen würde.

Sehen Sie, wie leicht es ist?

Okay, okay, ich weiß, es ist nicht so leicht. Wenn alles, was Sie über Komik wissen müssen, schon hier im ersten Kapitel stünde, dann könnten Sie das komplette Buch schließlich in der Schlange an der Kasse lesen, und mir entgingen nicht unbeträchtliche Honorare.

Außerdem sollten wir uns nichts vormachen. Dieses Buch wird keinen Meister-Comedian aus Ihnen machen, jedenfalls nicht von allein. Dazu müssen Sie schon eine Menge harte Arbeit investieren. Und von heute auf morgen geht es ebenso wenig. Warum sollte es auch. Sehen Sie’s mal so: Angenommen, Sie wollten Holzschnitzer werden und jemand würde Ihnen erzählen, es gebe da so ein Ding namens Dechsel, das sei ganz toll fürs Schnitzen. »Wow«, würden Sie sagen, »eine Dechsel! Sieh einer an.« Allein die Tatsache, dass es das Ding wirklich gibt, sagt natürlich noch nichts darüber, wie man damit umgeht, und selbst wenn man damit umgehen könnte, hieße das nicht, dass man gleich beim ersten Versuch eine Teak-Pietà hinlegen würde. Anders gesagt, man muss erst mal krabbeln lernen, bevor man auf die Nase fallen kann.

2

Mut zum Risiko

Vor nicht allzu langer Zeit rief mich ein Journalist an. Nachdem ich ja nun so was wie ein Comedy-Experte bin, wollte er wissen, ob es Menschen gebe, die absolut gar keinen Humor hätten. Ist es möglich, fragte sich der Schreiber, dass jemand total und unheilbar humorlos ist?

Bei dieser Frage fiel mir meine erste Chefin ein, eine mondgesichtige Frau mit Hitlerfrisur, die der Überzeugung anhing, kleine Werbetexter sollten zwar zu sehen, aber nicht zu hören sein. Eines Tages tat ich ihr in einer Anwandlung nihilistischer Courage einen lebenden Goldfisch in den Tee. Wenig später kassierte ich Stütze. »Die hat eben keinen Humor«, dachte ich damals, aber jetzt weiß ich, dass ihr nur mein Humor fehlte. Es ist nun mal so, dass nicht alle Menschen dasselbe witzig finden.

Aber jeder kann witzig sein, und das erzählte ich auch dem Journalisten. Wenn jemand nicht witzig ist, dann fehlt ihm meistens zweierlei. Erstens ein Sinn für das, was witzig ist und warum (womit wir uns zu gegebener Zeit noch beschäftigen werden), und zweitens und viel wichtiger, der Mut zum Risiko. Für mich ist der Mut zum Risiko genauso ein Instrument wie andere auch; man kann lernen, wie man damit umgeht, begreifen, wie es funktioniert, und es schließlich beherrschen.

Ja, ja, ja, manche Leute haben mehr natürlichen Humor als andere, genauso wie manche Leute perfekte Dribbelkünstler sind oder es voll drauf haben, den Ball aus 30 Meter Entfernung ins Tor zu zirkeln. Doch die meisten von uns haben mehr Humor, als sie glauben. Woran es uns manchmal mangelt, ist der schon genannte Mut zum Risiko, und der ist gleichbedeutend mit dem Mut, Fehler zu machen und Misserfolge in Kauf zu nehmen. Man hat uns zwar von Kindesbeinen an eingetrichtert, dass Fehler was ganz Furchtbares sind, aber so merkwürdig es uns auch erscheinen mag, die Bereitschaft, Misserfolge in Kauf zu nehmen, ist eines der nützlichsten Instrumente in Ihrem Comedy-Werkzeugkasten. Es erleichtert Ihnen die Benutzung aller anderen Mittel und hilft Ihnen, bessere Ergebnisse zu erzielen.

Die erste große Aufgabe besteht also darin, unsere Risikobereitschaft zu steigern. Und dazu müssen wir zuallererst …

Gedankenmüll entsorgen

Natürlich gibt es alle möglichen Arten von Gedankenmüll in dieser Welt: Sprühkäse ist eine grandiose Erfindung; eine Zigarette schadet nichts; das rote Lämpchen am Armaturenbrett muss ja nicht heißen, dass irgendwas nicht in Ordnung ist. Ich möchte Ihre Aufmerksamkeit jetzt auf zwei besonders heimtückische Arten von Gedankenmüll lenken: irrige Annahmen und falsche Assoziationen.

Wenn wir einen unbekannten Witz erzählen, eine neue Idee ausprobieren oder überhaupt irgendwas Kreatives tun wollen, lauert hinter unserem bewussten Denken immer folgende irrige Annahme: Es funktioniert sowieso nicht; sie werden es nicht gut finden. Diese massive Blockade bauen humorlose Menschen sofort vor sich auf, wenn ihnen ein Scherz oder ein Witz eingefallen ist, also noch bevor sie ihn erzählen. Es funktioniert sowieso nicht. Sie werden es nicht gut finden. Vielleicht halte ich doch lieber meine große Klappe und gehe auf Nummer sicher; ja, das ist wohl das Beste. Und genau das tun sie dann auch meistens. Darum halten wir sie für schüchtern, gehemmt oder langweilig – für trübe Tassen, um die man auf Partys am besten einen großen Bogen macht.

Okay, und wieso ist Es funktioniert sowieso nicht nun eine irrige Annahme? Immerhin könnte es ja wirklich nicht funktionieren. Die Zuhörer könnten es tatsächlich nicht mögen. Stimmt schon, ausgeschlossen ist das nicht. Aber wir haben massenhaft Beweise fürs Gegenteil. Hin und wieder funktionieren Witze; die Annahme, sie würden in die Hose gehen, ist also prinzipiell schon zumindest teilweise falsch. Ebenso falsch wie die Annahme, sie würden voll einschlagen. Man weiß es eben erst, wenn man’s ausprobiert.

Und warum probieren wir’s dann nicht aus? Was haben wir zu verlieren? Tatsächlich plagt uns im tiefsten Innern das Gefühl oder die Angst, dass wir eine Menge zu verlieren haben. Hier kommen nun die falschen Assoziationen ins Spiel. Nachdem wir schon gleich zu Anfang zu dem völlig unsinnigen Schluss gelangt sind, dass unser Witz nicht funktionieren wird, springen wir nun zu der erstaunlichen Folgerung, dass »sie« nicht nur unseren Witz, sondern auch uns nicht gut finden werden. Wir verschaffen uns innerlich die grimmige Gewissheit, dass die anderen uns als Dummkopf, Hanswurst oder sonstwie minderwertigen Menschen betrachten werden. Warum ist das eine falsche Assoziation? Aus folgendem schlichten Grund: Die Menschen machen sich keine Gedanken über das Erscheinungsbild anderer. Sie sind viel zu sehr damit beschäftigt, sich den Kopf über ihr eigenes Erscheinungsbild zu zerbrechen.

Jeder von uns ist der Mittelpunkt seines eigenen Universums, und unser jeweiliges Universum ist von verblüffend geringem Interesse für das Universum nebenan. Schwer beladen mit unseren Ängsten tun wir so gut wie alles, um in den Augen der anderen bloß nicht schlecht auszusehen. Aber wie es im Koran heißt: Wenn man wüsste, wie wenig Gedanken sich die Leute über einen machen, würde man sich keine Gedanken darüber machen, was sie denken.

Und es gibt noch eine weitere wichtige falsche Assoziation: Wenn die mich nicht gut finden, kann ich mich auch nicht gut finden. Das ist nun wirklich Furcht einflößend. Wir verbringen so viel Zeit damit, unser Selbstbild mit der Frage abzusichern, was die anderen wohl von uns denken werden, dass unser ganzes Ego auf dem Spiel steht, wenn wir den Witz endlich erzählen. Und wenn er dann misslingt, folgt daraus unausweichlich der Tod des Egos. Deshalb sagt der Standup-Comedian: Ich bin da draußen gestorben, wenn seine Show durchfällt. Hinter dem ganzen Gedankenmüll lauert der falscheste Gedanke von allen: Wenn ich versage, sterbe ich.

Schauen wir uns noch mal die ganze Schleife an, nur um sicherzugehen, dass wir sie auch wirklich verstehen. Man macht den Mund auf, um einen Witz zu erzählen, aber eine kleine Stimme sagt: Warte mal, das könnte danebengehen. Darauf antwortet eine weitere kleine Stimme: Natürlich geht’s daneben, und dann stehst du da wie ein Versager, wie ein Hanswurst. Und dann fällt eine dritte Stimme ein: Wenn sie dich für einen Hanswurst halten, bist du auch vor dir selbst einer. Und schließlich: Dein Ego wird sterben; und dann wirst du sterben. Ganz schön schwere Bürde für einen armen kleinen Witz, nicht wahr?

Nun kann ich diese ganzen Probleme mit dem Selbstbild nicht in einem kurzen Kapitel eines Buches ausräumen, in dem es nicht mal um dieses Thema geht. Aber ich kann Sie mit ein paar Strategien und Taktiken vertraut machen, die helfen, diese falschen Stimmen im Kopf zum Schweigen zu bringen. Hier ist die erste und wertvollste:

Machen Sie Ihrem scharfen inneren Zensor den Garaus

Bündeln Sie all Ihre falschen Stimmen zu einem metaphorischen Knoten und nennen Sie ihn »mein scharfer innerer Zensor«. Gestehen Sie diesem Zensor zu, dass es seine Aufgabe ist, Sie vor schlimmen Fehlern zu bewahren. Manchmal erfüllt er diese Aufgabe auf durchaus sinnvolle Weise, zum Beispiel wenn er Sie daran hindert, einen Polizisten anzupöbeln oder Ihrer Freundin zu sagen, was Sie wirklich von ihrer neuen Frisur halten. Aber Ihr scharfer innerer Zensor ist selbst nicht vor irrigen Annahmen gefeit. Er nimmt nämlich an, dass er weiß, was ein schlimmer Fehler ist, und glaubt überdies, stets in Ihrem besten Interesse zu handeln. Ihr scharfer innerer Zensor unterschätzt Ihre Erfolgsaussichten und überschätzt zugleich die Strafe für den Misserfolg. Erklären Sie ihm, er soll sich zum Teufel scheren.

Leichter gesagt als getan, stimmt’s? Ihr scharfer innerer Zensor ist schließlich ein willensstarker Mistkerl. Außerdem habe ich Ihnen das nützliche Märchen aufgetischt, er sei irgendwie eine oppositionelle Kraft und gehöre eigentlich nicht zu Ihnen; aber wir wissen es besser, nicht wahr? Ihr scharfer innerer Zensor sind Sie selbst, und wie kämpft man gegen sich selbst?

Wenn wir später darüber sprechen, wie man gute Witze verbessert oder einen Text überarbeitet, um die komische Wirkung zu verstärken, wie man also Ihre Schmuckstücke poliert, werden wir den scharfen inneren Zensor wieder zum Leben erwecken. Wir werden ihn mit folgenden Worten willkommen heißen: So, jetzt darfst du anspruchsvoll sein und unerbittlich auf Qualität pochen. Tu dir nur keinen Zwang an, du bist nämlich mein bester Freund. Aber in diesem frühen Stadium müssen wir seine Stimme wirklich zum Schweigen bringen, diesen Tyrannen im Kopf neutralisieren, der seine Ängste zu Ihren Ängsten machen will. Um Ihrem scharfen inneren Zensor den Garaus zu machen, brauchen Sie Waffen. Die Neunerregel ist eine meiner Lieblingswaffen.

Die Neunerregel

Von jeweils zehn Witzen, die Sie erzählen, werden neun Schrott sein. Von jeweils zehn Ideen, die Sie haben, werden neun nicht funktionieren. Wenn Sie zehn Mal ein Risiko eingehen, fallen Sie neun Mal auf die Nase.

Deprimierend? Eigentlich nicht. Sobald Sie sich die Neunerregel zu Eigen gemacht haben, erweist sie sich sogar als äußerst befreiend, denn Sie sind im Nu und für immer die alles vergiftende Erwartung los, dass Sie jedes Mal Erfolg haben müssten. Diese Erwartung und die daraus resultierende Versagensangst verleihen Ihrem scharfen inneren Zensor solche Macht über Sie. Wenn Sie diese Erwartung ablegen, entziehen Sie ihm seine Macht. Ganz einfach und sauber: ein Instrument.

Aber halt, besteht da nicht ein Widerspruch? Habe ich nicht eben noch gesagt, dass man weder einen Erfolg noch einen Misserfolg voraussetzen kann? Habe ich nicht gesagt, man weiß es erst, wenn man’s ausprobiert? Wie zum Henker kann ich dann von einer erschreckenden, erbärmlichen Erfolgsquote von zehn Prozent bei unseren humoristischen Bemühungen ausgehen? Kann ich eigentlich nicht. Es gibt keinerlei logische Begründung dafür. Die Neunerregel ist keine eherne Wahrheit, sondern eine weitere nützliche Fiktion, die mir in meinem niemals endenden Kampf gegen die Angst hilft.

Vielleicht halten Sie das für Haarspalterei. Ob man Angst vor einem Misserfolg hat oder von einem Misserfolg ausgeht, was gibt es da schon für einen Unterschied? Die Antwort heißt: Erwartung. Wenn man erwartet, dass man Erfolg haben wird, hat man Angst vor dem Misserfolg. Man hat etwas zu verlieren. Mit der Neunerregel setzt man seine Erwartungen jedoch so niedrig an, dass man kaum etwas zu verlieren hat. Aber das ist noch nicht alles.

Wenn man von vornherein annimmt, dass von zehn Witzen nur einer funktioniert, dann ist es einigermaßen logisch, dass man Hunderte und Aberhunderte von Rohrkrepierern braucht, um sich eine anständige Witzesammlung aufzubauen. Man muss es ausprobieren und scheitern, ausprobieren und scheitern, immer wieder, bis man dann irgendwann nicht mehr scheitert. Dank schlichter mathematischer Logik glaubt man dann am Ende selbst, dass der Prozess des Scheiterns von entscheidender Bedeutung für das Produkt des Erfolgs ist. Damit haben Sie auch Ihren scharfen inneren Zensor wieder auf Ihrer Seite: Er ist noch nicht tot, aber vielleicht piesackt er Sie nicht mehr ganz so sehr wie zuvor.

Die Neunerregel ist also ein Werkzeug zur Reduzierung von Erwartungen. Probieren wir’s aus, dann sehen wir, wie es funktioniert. Stellen Sie eine Liste mit zehn ulkigen Bandnamen zusammen. Denken Sie daran, es geht hier um Quantität, nicht um Qualität. Um Ihre Erwartungen noch weiter zu senken, sollten Sie versuchen, die Übung in höchstens fünf Minuten abzuschließen. Damit überzeugen Sie außerdem Ihren scharfen inneren Zensor, dass keine Gefahr droht, dass nichts auf dem Spiel steht.

Später werden wir einen ganzen Haufen Instrumente zur Verfügung haben, mit denen wir an so eine Aufgabe herangehen können. Jetzt aber beantworten Sie bitte nur diese Frage: Was wäre ein ulkiger Name für eine Band?

Zum Beispiel:

Die vollen Hosen

Papa Humba und die kleinen Täteräs

Blumtopf

The Metal-Monsters of Mecklenburg

Haddewaddemiddeohrn

Die Trockenfürze

Pillepalle

Heilen Sie Lassie

Die Band mit dem unglaublich langen, praktisch unaussprechlichen Namen, den sich eh keine Sau merken kann

Keine besonders ulkige Liste, wie? Aber dank der Neunerregel ist das auch nicht nötig. Wir wollen uns jetzt nur daran gewöhnen, etwas hinzuschreiben, ohne Risiko oder Belastung, Erwartung oder Angst. Jetzt probieren Sie’s mal. Nehmen wir an, Sie haben ein leeres Blatt Papier oder die Rückseite eines alten Briefumschlags, worauf Sie schreiben können. Ich werde Ihnen im Verlauf dieses Buches eine ganze Reihe Übungen vorschlagen, und auch wenn Ihnen niemand eine Knarre an die Schläfe hält, sollten Sie daran denken, dass der erste Schritt zur Beherrschung von Instrumenten darin besteht, ein Gefühl für die verdammten Dinger zu kriegen. Vielleicht sollten Sie Ihren Vorrat an alten Briefumschlägen aufstocken. Sie können natürlich auch ein Notizbuch benutzen oder an den Rand kritzeln; manchmal lasse ich ein bisschen Platz auf den Seiten. Wie gesagt, die erste Regel lautet, dass es keine Regeln gibt.

Wollen Sie Ihren scharfen inneren Zensor noch ein Stück weiter zurückdrängen? Dann tun Sie Folgendes:

Schrauben Sie Ihre Ansprüche herunter

Das ergibt keinen Sinn, nicht wahr? Schließlich erzählt man uns doch immer, wir müssten höhere Ansprüche stellen. Schon richtig, aber man erzählt uns ja auch immer, der Scheck sei schon unterwegs, man werde uns auch morgen früh noch respektieren und ein Zwölf-Zilliarden-Mark-Defizit sei kein Grund zur Sorge – also sollten wir nicht unbedingt alles glauben, was man uns so erzählt.

Ob Sie nun Standup-Comedian, Drehbuchautor, Romanschriftsteller, Verfasser von Glossen, Comic-Zeichner, bildender Künstler, Glückwunschkartenschreiber, Redner oder sonstwas sind, wahrscheinlich lastet der sehnliche Wunsch auf Ihnen, jetzt sofort sehr erfolgreich zu sein. Kaum bringe ich beispielsweise die ersten Zeilen dieses Buches zu Papier, schon ertappe ich mich bei der Frage, ob es sich wohl gut verkaufen, mich in die Talkshows bringen und berühmt machen wird, so dass ich weitere Bücher schreiben kann, Filmverträge kriege und zu den besten Partys eingeladen werde. Und dabei ist es noch nicht mal erschienen.

Dennoch hoffe ich, dass dieses Buch mich reich und berühmt machen wird. Ich wäre wirklich gern reich und berühmt, aber solange ich mich damit aufhalte, wie es ist, reich und berühmt zu sein, ein gemachter Mann, ein Gewinner, kann ich mich nicht darauf konzentrieren, dieses Buch zu schreiben – also das zu tun, was mich letzten Endes hoffentlich reich und berühmt machen wird. Um zwei Metaphern ganz abscheulich zu vermischen, ich stehe in den Startlöchern und baue Luftschlösser. Was in Gottes Namen soll ich jetzt tun?

Ich schraube meine Ansprüche herunter. Ich konzentriere mich auf dieses Kapitel, diesen Absatz, diesen Satz, diesen Satzteil, dieses Wort. Warum? Weil die Hoffnung auf Erfolg der Komik genauso sicher den Garaus machen kann wie die Angst vor dem Misserfolg. Mit der Neunerregel rücken wir unserer Versagensangst zu Leibe. Indem wir unsere Ansprüche herunterschrauben, rücken wir unserem Erfolgswunsch zu Leibe.

Ich kann diesen Punkt gar nicht genug betonen. Das Einzige, was in diesem Augenblick zählt, ist die unmittelbar vor uns liegende Aufgabe. Wenn wir uns auf die unmittelbar vor uns liegende Aufgabe konzentrieren, wird sich alles andere von selbst regeln.

Na klar, mein kleiner Sonnenschein. Mach nur brav deine Hausaufgaben, dann wird das Buch veröffentlicht, die Talkshows rufen an, und das Geld, der Ruhm, die Partyeinladungen kommen wie durch Zauberhand zum Fenster hereingeflattert. Okay, vielleicht auch nicht. Aber eins steht fest, und das wissen Sie: Wenn Sie sich nicht auf die unmittelbar vor Ihnen liegende Aufgabe konzentrieren, dann wird das Buch (oder das Stück, der Witz, die Karikatur, die Glosse, die Rede, die Glückwunschkarte, der Standup-Auftritt) nie fertig, und Sie können den ersehnten Ruhm in den Schornstein schreiben.

Der komische Prozess geht schrittweise vonstatten. Wenn Sie nicht Superman sind, können Sie nicht mit einem Satz auf Hochhäuser springen, und folglich ist es irgendwie ziemlich albern, sich einzureden, man müsste es tun. Seien Sie sich dessen bewusst. Verlangen Sie von sich nur, was Sie jetzt tun können. Dann wird Ihr scharfer innerer Zensor wie Schnee in der sprichwörtlichen Sonne schmelzen.

Gut, damit verfügen wir nun über zwei Instrumente, mit denen wir unsere Ängste attackieren und sie verringern können: die Neunerregel und »Ansprüche herunterschrauben«. Welche Waffen können wir noch in Anschlag bringen? Es wird Sie vielleicht freuen zu hören, dass dies keine rhetorische Frage ist.