ISBN: 978-3-96415-051-6
2. Auflage 2021
Copyright © 2021 by Wild Books (Imprint des Latos Verlags)
Titelbild: © kiuikson - Adobe Stock, © cat_arch_angel – Shutterstock, © alanadesign – Shutterstock
Titelbilddesign: Grittany Design, Berlin
Lektorat: Nicole Döhling, Plauen
Wild Books
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Jill
Ich gähnte hinter vorgehaltener Hand und stopfte die Zipfel des weißen Männerhemds, das so weit war, dass ich beinahe zweimal hineinpasste, in den Bund meiner Jeans. Nachdem ich den Reißverschluss an meiner roten Lederjacke geschlossen hatte, lief ich weiter die schwach beleuchtete Straße entlang.
Am Tag zuvor hatte ich direkt nach der Arbeit meinem Freund Jack einen Besuch abgestattet. Tja, und weil mein Shirt auf seiner Spontanparty nähere Bekanntschaft mit einem Chili-Dog gemacht hatte, hatte ich mir von ihm ein Hemd borgen müssen – wieder einmal. Keine Ahnung, wie oft ich mich schon aus Jacks Kleiderschrank bedient hatte, in den Jahren, die wir befreundet waren.
Mir blieb keine Zeit für einen Abstecher nach Hause, schließlich war es schon fast 6:00 Uhr und ich musste in ein paar Minuten im Sender sein. Ich konnte es mir nicht leisten, schon wieder einen Job zu verlieren, denn ich brauchte jeden Cent von dem bisschen Geld, das ich als Aushilfe dort verdiente.
Ich stieß geräuschvoll den Atem aus, schob die Hände in die Hosentaschen und lief weiter der aufgehenden Sonne entgegen. Ein Zeitungsjunge radelte auf seinem Fahrrad an mir vorbei und verteilte die aktuelle Ausgabe des Las Vegas Review-Journal. Ein in Folie eingerolltes Exemplar sauste haarscharf an meinem Gesicht vorbei, knallte gegen die Tür eines Hauses und blieb auf der Veranda liegen. Mit einem Kopfschütteln folgte ich dem Jungen und bog in die Ladenpassage der Stadt ein. Noch zehn Minuten Fußweg zum Sender. Eigentlich hatte ich keine Zeit für einen Zwischenstopp beim Coffee-Shop, aber der war heute Pflicht, denn irgendwie musste ich die Müdigkeit loswerden und die aufziehenden Kopfschmerzen im Zaum halten.
Ich lief an den Schaufenstern der noch geschlossenen Läden vorbei, weiter Richtung Coffee-Shop und beschleunigte meine Schritte, als mir der kräftig würzige Kaffeeduft in die Nase stieg. Tony, der Besitzer des Shops, hatte sich in der Vergangenheit schon mehr als einmal als mein Retter in der Koffein-Not erwiesen, und auch heute würde er wieder diesen Part übernehmen.
Ich drückte die Tür des kleinen Ladens auf und ein schiefes Lächeln stahl sich trotz des inzwischen rasenden Kopfschmerzes auf meine Lippen, als ich plötzlich das leise »Na na na na na …« von Roxettes »She´s got the look« im Ohr hatte.
Im Moment fühlte ich mich nicht, als ob ich irgendeinen Look hätte, was der kurze Blick in die glänzend polierte Glasscheibe der Ladentür bestätigte. Meine Smokey-Eyes sahen nur noch nach »smokey« und nicht mehr nach einem sexy Make-up aus. Der Eyeliner saß nicht mehr an seinem Platz, vom roten Lippenstift fehlte jede Spur und meine kurzen blonden Haare sahen noch strubbeliger aus als ein paar Stunden zuvor. Aber das kümmerte mich nicht sonderlich, die Party war diesen Morgen-danach-Aufzug wert.
»Hey, Tony. Machst du mir bitte einen extra starken doppelten Caffè Americano?«, murmelte ich leise, rieb mir über die Stirn und warf dem Besitzer des Coffee-Shops einen gequälten Blick zu. Im Gegensatz zu mir war Tony gut drauf und trug ein warmes Lächeln auf dem Gesicht. Der stämmige Mittvierziger hatte seine schulterlangen schwarzen Haare im Nacken mit einem Haargummi zusammengefasst, war wie immer die Herzlichkeit in Person und begrüßte mich gut gelaunt.
»Guten Morgen, Süße! Wie siehst du denn aus? Hast wohl mal wieder eine lange Nacht gehabt, hä?« Tony füllte einen XXL-Becher mit schwarzem Gold, verschloss ihn mit einem Deckel und schob ihn über den Tresen. »Wieder mit Jack abgehangen und einen drauf gemacht?«
»Nicht so laut. Mein Kopf!«, zischte ich ihn an und kniff die Augen zusammen, während ich drei zerknitterte Ein-Dollar-Scheine aus meiner Hosentasche fischte und auf den Tresen legte. Tony stopfte breit grinsend das Geld in die Kasse, tütete einen Schoko-Muffin ein und legte ihn neben dem Becher ab.
»Für später …«, flüsterte er und zwinkerte mir zu, »… wenn du wieder auf der Höhe bist.«
Ich verabschiedete mich mit einer Grimasse, nahm den Becher und den Muffin vom Tresen und verließ den gemütlichen, in warmen Rot- und Brauntönen eingerichteten Coffee-Shop. In dem Augenblick, als ich aus der Tür trat, schob sich die aufgehende Sonne am Horizont so weit empor, dass sie ihm einen orangen Schimmer verlieh. Das konnte doch eigentlich nur ein gutes Zeichen sein. War es vielleicht auch, zumindest für die nächsten zehn Sekunden. Denn exakt in dem Moment, in dem ich den Becher an meinen Lippen ansetzte und den ersten Schluck Kaffee des Tages genießen wollte, trat ich in einen großen Haufen Hundescheiße.
»Das hat mir gerade noch gefehlt.« Ich versuchte umständlich, die Hundehinterlassenschaft von meinen guten Pumps abzubekommen, indem ich die Schuhsohle am Bordstein rieb. Besonders erfolgreich war ich damit aber nicht, weswegen mir nichts anderes übrig blieb, als mit stinkenden Schuhen in den Sender zu gehen.
»Mike wird ausrasten, wenn es im Sender nach Hundescheiße riecht«, murmelte ich vor mich hin, zuckte aber dann mit den Schultern und nahm einen weiteren Schluck Kaffee. Shit happens – im wahrsten Sinne des Wortes –, außerdem konnte ich es jetzt auch nicht mehr ändern.
Ich kam mit einem halbleeren Becher in der Hand bei dem kleinen Sender an, der sich im zweiten Stock über einem Gemischtwarenladen befand. Ich erklomm die schmale Metalltreppe an der Seite des Hauses, bis ich vor der glänzenden Metalltür stand, über der WMMA V.C. in dunkelroten Lettern auf einem silbernen Blechschild prangte. Nachdem ich den Sender betreten und die Tür hinter mir geschlossen hatte, schaute ich mich kurz um.
Von Mike war nirgends etwas zu sehen, zumindest nicht in seinem Büro oder der kleinen Küche. Es lief noch die Automatik, die immer von 20:00 bis 06:00 Uhr eingeschaltet wurde. Denn bei dem Sender handelte es sich um einen winzigen Radiosender, der technisch nicht gerade modern eingerichtet war und den Mike Matthews vor einigen Jahren von seinem Vater geerbt hatte. Nur Mike und ich waren hier und hielten die Radiostation am Leben.
Unsere Arbeit beschränkte sich ausschließlich auf den Tag, weil in der Nacht wohl keiner der Einwohner von Virginia City und der näheren Umgebung WMMA V.C. lauschte. Ein regionaler Sender warf keine großen Erträge ab, weshalb ich hier auch nur ein paar Stunden arbeitete. Es war nicht viel, aber ich war froh, überhaupt einen Job zu haben, nachdem ich vor einigen Wochen meine Stelle im Restaurant verloren hatte. Und das auch nur, weil mein damaliger Chef mir, mit der Hand auf meinem Hintern, vorgeschlagen hatte, ich könnte meine Überstunden auf eine ganz besondere Weise »abbummeln«.
Was lag da näher, als diesem zudringlichen Kerl den Inhalt seiner Kaffeetasse über die Hose zu schütten? Woher hätte ich auch wissen sollen, dass er sich den Kaffee eben erst aus der Küche hatte bringen lassen und dieser noch immer heiß genug war, sein bestes Stück zu versengen?
Ich schob die Gedanken an meinen ehemaligen Chef beiseite. Jetzt musste ich mich erst einmal um meine Arbeit kümmern.
Die letzten Töne von Motley Crue´s »Dr. Feelgood« liefen im Radio. Einen solchen Doktor hätte ich jetzt auch gerne an meiner Seite, aber so viel Glück hatte ich leider nicht. Also hieß es: Einen Schluck aufgelöste Aspirin nehmen, Zähne zusammenbeißen und die paar Stunden hinter mich bringen.
»Guten Morgen«, sagte ich und blieb in der Tür zum Studio stehen, um sicherzugehen, dass Mike nichts davon mitbekam, dass meine Pumps nach Hundescheiße rochen. »Ich bin da, pünktlich wie immer.«
Mike, der wohl doch schon seit einer Weile im Sender war, um sich auf seine Morgenshow vorzubereiten, schaute von seinem Pult auf. Er schob sich die etwas zu langen blonden Haare aus der Stirn, musterte neugierig meine zerknautschte Erscheinung und das nur noch ansatzweise erkennbare Make-up. Sein Lächeln wurde breiter und eine Spur gemein, als er sich in seinem Stuhl aufrichtete und zurücklehnte, sodass man seine wahre Größe von eins fünfundachtzig gut erahnen konnte. »Du hast aber auch schon mal besser ausgesehen.«
Ich ließ ein missmutiges Brummen hören, dann wandte ich mich ab. Mein gemurmeltes »Blödmann« quittierte Mike mit einem leisen Lachen, ehe er sich fröhlich an seine Zuhörer wandte: »Hier ist WMMA Virginia City und ich wünsche euch da draußen einen wunderschönen Tag. Ich hoffe, ihr hattet eine angenehme Nacht und könnt nun ausgeschlafen und frisch in den neuen Tag starten.«
Im Büro ließ ich mich auf den Stuhl hinter dem Schreibtisch plumpsen und rieb mir murrend über die Stirn. Dann sah ich zu Mike, der mich über sein Pult hinweg durch die dicke Glasscheibe beobachtete. Ich kniff kurz die Augen zusammen und hielt ihm mit rausgestreckter Zunge den Mittelfinger entgegen. Dass die Begrüßung hauptsächlich an mich gerichtet gewesen war, war mir selbst in meinem angeschlagenen Zustand nicht verborgen geblieben. Mike steckte meine Reaktion jedoch locker weg, schenkte mir ein jungenhaftes Grinsen und machte mit seiner Show weiter.
»Damit die morgendliche Unlust schneller vergeht, helfen euch The Kinks aus den Federn. Also ab unter die Dusche und …«
Ich blendete Mikes fröhliches Geplapper aus und richtete meinen Blick auf den Schreibtisch. Vor mir lagen ein Stapel Berichte, die ich zu bearbeiten hatte, und auch die Horoskope waren heute noch fällig. Mit einem Seufzen nahm ich einen Stift in die Hand und schnappte mir die Horoskope vom Stapel. Wenn ich mich beeilte, konnte ich vielleicht etwas eher Schluss machen, damit ich mir zu Hause einen kurzen Powernap gönnen konnte. Denn so, wie ich Jack kannte, würde er es am Abend wahrscheinlich wieder krachen lassen. Und den Spaß wollte ich mir ganz sicher nicht entgehen lassen.
Ich hob den Kaffeebecher an meine Lippen, runzelte die Stirn und schwenkte den Becher leicht – leer.
Verdammte Koffeinsucht, fluchte ich im Stillen und stemmte mich hoch, um Nachschub zu besorgen. In der Küche gab ich Wasser und Kaffeepulver in die Kaffeemaschine und beobachtete mit der Hüfte gegen die Arbeitsplatte gelehnt, die Arme vor der Brust verschränkt, wie sich die Glaskanne auf der Wärmeplatte langsam füllte. Ich befüllte zwei große Tassen mit Kaffee, schüttete in eine etwas Milch und brachte sie Mike in das Studio, als er für die Länge eines Songs nicht auf Sendung war.
»Wie kommst du mit den Berichten voran?«, wollte er wissen und nippte an seinem Kaffee.
»Ganz gut. Bin fast fertig.«
Ich war mir ziemlich sicher, dass Mike sehr wohl wusste, dass ich ihn anschwindelte, trotzdem lächelte er nur und nickte. Mein Blick glitt zu den beiden Fotos, die auf seinem Pult standen. Das eine Foto zeigte ihn mit seiner Frau, das andere seine Schwester Cassie. Und wann immer ich das Foto seiner Schwester ansah, beschlich mich das Gefühl, dass Mike mir den Job nur ihretwegen gegeben hatte. Denn zwischen Cassie und mir gab es einige Parallelen.
Sie war zwar etwas jünger als ich, aber sie trieb genauso ziellos umher wie ich. Wenn es stimmte, was Mike mir über sie erzählt hatte, wechselte sie ihre Jobs beinahe im Drei-Monatsrhythmus. Und sie hatte ein genauso schlechtes Händchen für Männer wie ich, was schon etwas heißen wollte, denn in dem Punkt war ich eine Katastrophe.
Mike setzte sich wieder an sein Pult vor das Mikro und schickte einen kurzen Wetterbericht über den Äther, nachdem die letzten Töne des aktuellen Songs verklungen waren.
Ich ging zurück ins Büro, ließ mich wieder auf meinen Stuhl plumpsen und streifte mir die schwarzen Pumps von den Füßen. Zum Glück hatte Mike das leichte Parfum á la Hundekot nicht wahrgenommen. Wenn doch, hatte er sich jedenfalls nichts anmerken lassen. Ich beobachtete ihn durch die dicke Glasscheibe, die Büro und Senderaum voneinander trennte.
Seit langer Zeit hatte ich endlich mal Glück mit einem Boss. Mike zeigte keinerlei sexuelles Interesse, war umgänglich und locker drauf. Einzig auf Pünktlichkeit legte er wert, da ließ er nicht mit sich verhandeln, aber damit konnte ich leben.
Ich setzte mich aufrechter hin, als Mike einen Zettel hochhielt und mich auffordernd ansah. Die Horoskope waren fällig. Rasch schnappte ich mir die beiden Blätter vom Schreibtisch und lief ins Studio. Mike nahm sie mir ab, bedankte sich mit einem Nicken und überflog die Horoskope kurz, ehe er sie seinen Zuhörern vorlas.
Mikes angenehm warme Stimme im Hintergrund tat seine Wirkung, immer wieder fielen mir die Augen zu und ich nickte kurz ein, während ich die Berichte überflog und nach Fehlern suchte. Ich war hundemüde, aber ich konnte jetzt nicht schlapp machen. Ich riss mich zusammen, trank den letzten Schluck meines inzwischen lauwarmen Kaffees und sah zu meinem Boss.
Er war im Studio voll in seinem Element. Mike spielte eine Menge Rocksongs und auch einige Hits, zu denen ich noch vor einigen Stunden getanzt hatte. Ich hatte jedoch gerade keine Zeit für Partygedanken und auch keine Zeit für Tagträume. Es gab Arbeit, die erledigt werden wollte. Tapfer begann ich, die ersten Worte in den Computer zu tippen. Ich nahm einen letzten Schluck von der aufgelösten Aspirin und schon war die erste Seite voll. Noch zwei weitere, ausdrucken und ich hatte etwas, das ich Mike vorlegen konnte. Zufrieden, wie schnell ich die Berichte erledigt hatte, klickte ich auf das kleine Druckersymbol und wartete auf den Ausdruck.
Ich wartete … und wartete … und wartete noch etwas länger.
Bis auf piepsende Geräusche gab der Drucker nichts von sich.
Ich sah vom Drucker zu Mike, der im Studio auffällige Verrenkungen machte, während er moderierte. Ich hatte nicht den leisesten Schimmer, was er damit ausdrücken wollte. Außerdem hatte ich gerade andere Probleme, als mir über die morgendlichen Gymnastikübungen meines Chefs Gedanken zu machen.
Ich bedachte den Drucker mit einem prüfenden Blick, ohne ihn jedoch anzufassen. In meinem Fall machte es eigentlich keinen Unterschied, ob ich nachschaute oder nicht. Von Technik verstand ich ungefähr so viel wie vom Kochen – nichts. Aus dem Augenwinkel sah ich, dass Mike sich noch immer hinter dem Mikro verrenkte und gleichzeitig seine Zuhörer mit einer Anekdote unterhielt.
»Ich kann mich jetzt echt nicht um deine koffeinbedingten Zuckungen kümmern. Ich habe andere Probleme«, murmelte ich vor mich hin und widmete mich wieder dem Drucker. Ich zog die Kassette mit dem Papier heraus und warf einen Blick hinein. Daran konnte es also nicht liegen. Es war genügend Papier im Drucker. Das war aber auch das Einzige, was ich überprüfen konnte, sodass ich mit meinem Latein rasch am Ende war. Ich sah hilfesuchend zu Mike, der ein Blatt Papier hochhielt und in der Luft schwenkte.
»Was steht da?« Zuerst konnte ich die Nachricht wegen Mikes unmöglicher Handschrift und seinem wilden Herumgewedele nicht entziffern. Dann ging ich etwas näher an die Glasscheibe heran und las mit gerunzelter Stirn: »Die Druckerpatrone ist leer.«
Mit einem Seufzen verdrehte ich die Augen. Das hätte er mir auch schon eher sagen können, bevor ich mir den schmerzenden Kopf zermartert hatte, was mit dem Drucker nicht stimmt.
Barfuß tapste ich am Studio vorbei und weiter zum Abstellraum, um nach einer neuen Druckerpatrone zu suchen. Nachdem ich in der Abstellkammer das Licht angeknipst hatte, stöhnte ich frustriert auf, denn ich wurde von einem riesigen Durcheinander an unbeschrifteten Kartons und Kisten begrüßt, das sich in Regalen und an den Wänden bis zur Decke stapelte. Genauso ein Chaos, wie es in meinem Leben herrschte und das ich selbst mit fünfundzwanzig nicht in den Griff bekam.
»Du solltest hier echt mal Ordnung reinbringen, Mike«, murmelte ich vorwurfsvoll, stieg auf einen Karton und sah mich im oberen Regalbereich nach dem Druckerzubehör um. In der Hoffnung, dass dort die gesuchte Druckerpatrone lag. Statt einer Patrone entdeckte ich nur jede Menge Wollmäuse und eine fette Spinne, die zwischen zwei Kartons hervor und auf mein Gesicht zu flitzte.
Mit einem erschrockenen Quietschen machte ich einen Satz zurück, trat ins Leere und fand mich im nächsten Moment auf dem Boden sitzend wieder. Ich rappelte mich hoch, klopfte den Staub von meinen Jeans und schimpfte vor mich hin, bis ich vom Klingeln meines Handys abgelenkt wurde.
»Was gibt’s?«, begrüßte ich Jack mürrisch und rieb mir dabei über den schmerzenden Hintern.
»Na, pünktlich auf Arbeit gewesen?«
»Wie kannst du nach der letzten Nacht schon wieder so munter klingen?«
»Schlaf wird überbewertet, Süße. Bist du heute Abend wieder mit dabei? Ich kann dich auch vom Sender abholen, wenn du willst. Dann schlendern wir Hand in Hand durch die Stadt, heizen die Gerüchteküche mal wieder ordentlich an und machen vor dem Wollladen der alten Miss Hutchens Halt, wo wir wild miteinander rumfummeln, bis ihr Gesicht so rot anläuft wie die Schuhe, die sie immer trägt.«
Mir entschlüpfte ein Lachen. Diese Hassliebe zwischen Miss Hutchens und Jack bestand schon eine Ewigkeit, genau genommen, seit er mit zwölf Jahren mit seinem Fahrrad in Marie-Annes preisgekrönte Rosenbüsche gekracht war. Die Büsche sahen danach aus, als hätte Jack sich mit einer Machete daran ausgetobt, und Miss Hutchens gewann in dem Jahr zum ersten Mal keinen Preis für ihre geliebten Rosen.
»Meinst du nicht, du solltest dich mit Marie-Anne mal langsam vertragen? Sie wird bald 75. Ich glaube nicht, dass ihr in dem Alter so viel Aufregung guttut.«
»Keine Sorge, die alte Hutchens haut nichts und niemand um. Außerdem bin ich mir ziemlich sicher, dass sie mich eigentlich sogar mag und mir schon vor Jahren verziehen hat, dass ich ihre Rosen mit meinem Bike gestutzt hab. Also … Soll ich dich abholen?«
»Nee, lass mal. Ich werde zur Abwechslung mal ein paar Stunden schlafen, bevor ich bei dir aufschlage.«
»Okay. Dann sehen wir uns nachher. Und wenn du dran denkst, bring mein Hemd mit. Das werden irgendwie immer weniger in meinem Schrank. Und … ach ja …« Jack legte eine kunstvolle Pause ein und meinte dann leise lachend: »Lass die Finger von Mike. Der Typ ist zwar echt cool, aber er ist auch verheiratet. Wenn er dich feuert, gehen dir die Job-Optionen in Virginia City bald aus.«
Ich verdrehte die Augen und schüttelte den Kopf. »Du bist und bleibst ein Spinner.«
»Ich weiß. Und trotzdem liebst du mich.«
»Ja, genau, dich und keinen anderen«, stimmte ich ihm lachend zu und wechselte dann das Thema. »Wann geht’s heute Abend los?«
»So wie immer. Komm einfach vorbei, wann du willst, und wirf dich ins Getümmel.«
Nachdem ich das Gespräch mit Jack beendet hatte, machte ich mich in der Rumpelkammer erneut auf die Suche nach einer Druckerpatrone und wurde ein paar Minuten später fündig. Ich legte das Handy ab, um beide Hände frei zu haben, und zog den Karton mit dem Druckerzubehör aus dem Regal. Kurz kramte ich in dem Karton herum, schnappte mir eine Patrone und verließ die Abstellkammer wieder.
Zurück im Büro wechselte ich die Druckerpatrone, kümmerte mich um die Berichte und gab sie Mike ins Studio. Jetzt hatte ich mir endlich ein paar Minuten Pause verdient. Ich ließ mich geschafft auf den Stuhl plumpsen, streckte beide Beine aus und schob eine Hand in die Hosentasche. Vielleicht sollte ich Jack ein Foto von meinem hübschen Mittelfinger schicken, damit er wusste, was ich von seinen dämlichen Ratschlägen hielt. Als wüsste ich nicht selbst, was es bedeuten würde, wenn ich den Job im Sender auch noch verlor. Dann wäre ich über kurz oder lang gezwungen, wieder zu meinen Eltern zu ziehen, weil mir das Geld ausging. Und das wäre eine Katastrophe.
Nicht, weil die Beziehung zu meinen Eltern schlecht war, sondern weil ich damit schlussendlich eingestehen müsste, dass ich versagt hatte. Dass ich es nicht geschafft hatte, auf eigenen Beinen zu stehen und mich um mich selbst zu kümmern.
Ich runzelte die Stirn, tastete auch in der anderen Hosentasche vergeblich nach meinem Handy und stöhnte genervt, als mir einfiel, dass ich es im Regal in der Rumpelkammer hatte liegen lassen.
Mit einem Seufzen raffte ich mich wieder auf und lief zurück zur Abstellkammer. Wenn ich nicht so verdammt müde wäre, dann wäre ich vielleicht weniger ungeschickt und vergesslich und könnte die restlichen Stunden im Sender halbwegs anständig hinter mich bringen.
Ich nahm mein Handy aus dem Regal und drehte mich um, als mein Blick auf einen großen Sack mit Styropor-Flocken fiel, die normalerweise als Füllmaterial in Paketen dienten. Mike würde wohl kaum merken, wenn ich zwanzig Minuten verschwunden blieb. Die Berichte hatte ich ihm gebracht und dazu einen frischen Kaffee, das sollte ihn für eine Weile beschäftigt halten.
Ich scrollte durch die Einstellungen meines Handys, stellte die Weckoption ein und legte es im Regal ab. Dann machte ich es mir auf dem Sack gemütlich. Ich schob etwas von dem knisternden Styropor unter meinem Kopf zu einem provisorischen Kissen zusammen, zog die Beine an meinen Körper und schloss die Augen.
»Nur zwanzig Minuten«, murmelte ich leise vor mich hin und war im nächsten Augenblick tief eingeschlafen.
Devlin
Zusammen mit meinem besten Freund Harry Brighton bahnte ich mir einen Weg zwischen den Tischen der exklusivsten Sushi-Bar in New York hindurch. Nachdem ich heute zum »erfolgreichsten Geschäftsmann des Monats« gekürt worden war, wollte ich diese Auszeichnung auch gebührend feiern. Und das Masa war mit seiner gediegenen Atmosphäre in edlem Ambiente genau der richtige Ort dafür.
Im Masa wurden den Gästen nicht nur die allerfeinsten Sushi-Spezialitäten serviert, sondern man befand sich hier auch in bester Gesellschaft. Wer nicht mindestens einen Monat im Voraus einen Tisch reservierte, bekam keinen Platz. Es sei denn, man war mit dem Eigentümer befreundet und hatte ihm obendrein zu einem Darlehen verholfen, mit dem er die Bar überhaupt erst eröffnen konnte, dann machten die Angestellten gern eine Ausnahme. Mehr noch, ich war mir ziemlich sicher, dass der Tisch, der etwas abseits von denen der anderen Gäste stand, genau aus diesem Grund stets für mich freigehalten wurde.
Tadelnd schüttelte ich den Kopf, als ich hörte, wie Harry in großspurigem Tonfall eine Flasche Dom Perignon White Gold Jeroboam orderte, kaum dass wir Platz genommen hatten. Hin und wieder fragte ich mich, wieso wir beide so gute Freunde waren, denn Harrys Manieren ließen oftmals zu wünschen übrig. Wie in diesem Moment, als er der Angestellten, die seine Bestellung aufgenommen hatte, unverhohlen hinterher und auf den Hintern starrte und dann mit der Zunge schnalzte.
Gut, ich selbst war auch kein Kostverächter und wechselte meine Freundinnen häufiger als manch anderer vielleicht seine Bettwäsche. Aber zumindest spielte ich immer mit offenen Karten und ließ die Frauen niemals lange im Unklaren darüber, dass ich mit ihnen keine langwierigen Beziehungen suchte.
Harry hingegen genoss es, mit Frauen zu spielen. Erst überhäufte er sie mit Aufmerksamkeiten, machte ihnen Hoffnungen und servierte sie eiskalt ab, sobald er seine Beute erlegt und in seinem Bett gehabt hatte. Er glaubte, sich dieses Recht herausnehmen zu dürfen, weil er zur Upperclass gehörte. Ein Wesenszug, der mir an ihm überhaupt nicht gefiel, so gut wir uns ansonsten auch verstanden.
»Was ist denn los?« Offenbar war Harry aufgefallen, dass mir sein Verhalten missfiel. Er strich sich mit einer Hand die dunkelblonden Haare aus der Stirn, zupfte seine blauschwarze Anzugjacke zurecht, die sich über seinen Schultern etwas spannte, und wandte sich mir zu. »Du siehst aus, als wolltest du mir den Kopf zurechtrücken.«
»Wie alt bist du noch mal?«
»Das weißt du doch. Zweiunddreißig, genau wie du. Was ist das denn für eine Frage?«
»Weil du mir hin und wieder wie ein unreifer Teenager vorkommst. Ist dir das nicht selbst ein klein wenig peinlich, wie du dich manchmal gibst?«
Harry zuckte mit den Schultern und setzte eine Miene auf, die deutlich machte, dass es ihm egal war, was andere von ihm und seinem Benehmen hielten. Seine Kreditkarte besaß kein Limit, er konnte sich kaufen, was – und oftmals sogar wen – er wollte. Und dieser Umstand bedeutete für ihn, dass auch sein manchmal unangemessenes Benehmen toleriert werden musste.
Harry beugte sich vor, griff nach der Champagnerflasche im Kühler und füllte die beiden Gläser nach, die von der Servicekraft nur mit jeweils einem Schluck der perlenden Flüssigkeit befüllt worden waren. Dann hob er seines an, grinste von einem Ohr zum anderen und prostete mir zu. »Meinst du nicht, wir sollten heute einfach nur ein wenig Spaß haben, deine Auszeichnung feiern und uns nicht über mein unmögliches Benehmen streiten? Du kennst mich schließlich lange genug und weißt, dass ich, was dieses Thema angeht, absolut unbelehrbar bin.«
»Ich versteh selbst nicht, wie ich dich schon so lange ertragen kann.« Ich schüttelte die Verärgerung ab und ergriff schmunzelnd mein Glas. »Fünfzehn Jahre. Das hat schon beinahe etwas von einer Ehe, findest du nicht?«
»Ehe? Aber nur, wenn ich der Mann sein darf. Denn ich würde zu gern wissen, wie der Devil aussieht, wenn er in einem niedlichen Rüschenkleid am Herd steht.«
Harry liebte es, mich mit meinem Spitznamen aufzuziehen, der mir während einer der vielen Partys auf dem College verpasst worden war. Vielleicht hatte ich mich damals tatsächlich wie der Teufel in Person aufgeführt, so genau wusste ich das nicht mehr, denn an diesen Teil meiner Collegezeit erinnerte ich mich nur noch verschwommen. Wahrscheinlich war es damals zu viel Alkohol gewesen, auf zu vielen Partys mit jeder Menge süßer Studentinnen, an deren Namen ich mich nicht mehr erinnern konnte, selbst wenn ich es ernsthaft versuchen würde. Jedenfalls blieb der Spitzname kleben, auch dann noch, nachdem ich aufgehört hatte, das Leben als eine riesengroße Party zu betrachten, und anfing, mir einen Namen in der Geschäftswelt zu machen.
»Nein, das mit uns ist keine Ehe. Ich bin eher so etwas wie dein natürliches Gegengewicht, damit du nicht als der steife Langweiler endest, in den du dich in den letzten Jahren verwandelt hast. Natürlich nur so lange, bis du eine Frau gefunden hast, die diesen Part übernimmt und dich statt meiner auf Dauer herausfordert und in den Wahnsinn treibt. Wobei ich mir beinahe sicher bin, dass es eine solche Frau nicht gibt, denn wir beide sind uns ähnlicher, als du glaubst. Warum sich mit einer begnügen, wenn wir sie alle haben können?«
Ich wollte ganz sicher nicht alle haben. Ja, ich nahm mit, was sich mir an den Hals warf, auch wenn ich meine Beziehungen nicht mehr ganz so häufig wechselte wie meine Unterwäsche. Hey, ich war schließlich auch nur ein Mann. Und die Frauen, die meine Nähe suchten, taten dies nicht, nur weil sie mit mir befreundet sein wollten. Sie hatten ganz andere Beweggründe.
In einem Punkt musste ich Harry jedoch recht geben, bisher war keine einzige von ihnen Herausforderung genug gewesen, um mein Interesse an ihr für längere Zeit wach zu halten. Auch nicht Kate, die in eben diesem Moment die Sushi-Bar betrat und deren Blick sich sofort auf mich richtete.
Sie hatte diesen Schneewittchen-Look – schlanke Figur mit weiblichen Rundungen, blasser Teint, feine Gesichtszüge, dunkle Augen und lange schwarze Haare. Kate war ein überaus ansehnliches Anhängsel, mit dem »Mann« sich schmücken konnte. Doch wenn ich ehrlich zu mir selbst war, nichts an ihr reizte mich. Jedenfalls nicht mehr, seit der Ausdruck in ihren Augen etwas zu wachsam geworden war, um nicht zu sagen berechnend.
Harry setzte ein übertrieben heiteres Lächeln auf, als Kate an den Tisch trat und mich mit einem Kuss begrüßte, dem jegliche Leidenschaft fehlte. Genauso gut hätte ich einen der Fische küssen können, die in der offenen Küche, in die man durch eine riesige Glasscheibe hineinsehen und die Köche bei ihrer Arbeit beobachten konnte, zu Sushi verarbeitet wurden. Offensichtlich hatte mein Freund bereits geahnt, was mir erst in diesem Augenblick klar wurde. Mein Interesse an Kate war längst erloschen.
Eine Servicekraft brachte ein weiteres Gedeck und zog sich wieder zurück, während Kate direkt zum Wesentlichen kam. »Erfolgreichster Geschäftsmann des Monats, na, das kann sich doch sehen … oder besser hören lassen. Obwohl es schon irgendwie witzig ist, da du mit den Geschäften ja eigentlich eher weniger und nur sporadisch etwas am Hut hast und oft im Hintergrund bleibst, was ich irgendwie überhaupt nicht nachvollziehen kann. Als wolltest du gar nicht in der Öffentlichkeit stehen. Und dann trotzdem so erfolgreich.«
Ich seufzte. Jetzt, wo Kate es ansprach, verursachte dieser Titel allein damit einen schalen Geschmack in meinem Mund, weil sie ihn sich auf der Zunge zergehen ließ wie die belgische Schokolade, die sie so mochte. Und weil sie mich – wie all die anderen vor ihr – nur auf das reduzierte, was in den sporadisch erscheinenden Artikeln in der Presse über mich zu lesen war. Sehr wahrscheinlich hatte sie mich die ganze Zeit über nur auf die für sie wesentlichen Merkmale reduziert – erfolgreich, vermögend, Junggeselle … und damit potenzielles Ehematerial. Nur hatte ich diesen Umstand aus unerfindlichen Gründen ausgeblendet. »Ich habe nicht darum gebeten, mich zum Geschäftsmann des Monats zu küren.«
»Zum erfolgreichsten Geschäftsmann des Monats, Schatz«, verbesserte Kate mich.
Ich musterte sie kurz und tat ihre Bemerkung mit einem müden Lächeln ab. Kate war optisch eine Traumfrau, eine klassische Schönheit. Und es tat ihrem Image zusätzlich gut, dass ich nun der Geschäftsmann des Monats war. Aber ihre Oberflächlichkeit ging mir auf die Nerven. Von Harry war ich Oberflächlichkeit gewohnt, auch wenn ich mir sicher war, dass mein Freund eigentlich einen viel stärkeren Charakter besaß als den, den er jedem in seinem Umfeld zeigte. In ihm schlummerte mehr als dieser weiche spaßsüchtige Dandy, den er immer mimte.
Und Kate … tja, Kate zeigte endlich ihr wahres Gesicht, nachdem sich ausreichend Routine in unsere Beziehung geschlichen und die anfängliche Leidenschaft verwässert hatte, die meinen Blick auf sie getrübt hatte. Sie war kalt, berechnend und keiner echten Gefühle fähig, nichts an ihr berührte mich noch. Es war höchste Zeit für eine Veränderung.
Nach dem Essen im Masa verabschiedete sich Harry von uns mit einem Augenzwinkern. Er wollte sich die Eröffnung des neuen VIP-Clubs an der Upper East Side mit all seinen Show-Acts, oder besser all den halbnackten Frauen auf der Bühne, unter denen er sich sein nächstes Opfer aussuchen wollte, auf keinen Fall entgehen lassen.
Ich hingegen fuhr mit Kate in einem Taxi zum Central Park. Die Nacht breitete sich langsam über der Stadt aus und die Laternen tauchten den Park in weiches Licht. Und ich hoffte, in dieser Umgebung würde Kate die Trennung leichter aufnehmen als auf dem Bordstein vor ihrem Apartment stehend. Mit einem Seufzen wandte ich mich zu Kate um und nahm ihre Hände in meine.
»Weißt du, Kate, ich habe lange darüber nachgedacht.« Das war eine Lüge, denn ich habe nicht lange überlegen müssen. Nur war es mir erst jetzt klar geworden, was ich keinesfalls wollte: Eine Frau, für die ich nur Mittel zum Zweck war und die für mich rein gar nichts empfand. Mittlerweile war ich mir nicht einmal mehr sicher, ob ihre Leidenschaft in meinem Bett echt gewesen war. Ob sie sie für mich empfunden hatte oder für das, was ich darstellte. »Über dich und mich, über uns. Und ich bin zu einer Entscheidung gekommen, die ich nicht länger hinauszögern will und heute einfach noch loswerden muss.« Ich machte eine kurze Pause, ehe ich meine Karten auf den Tisch legen würde.
Dabei ging es nicht darum, die Spannung in die Höhe zu treiben, sondern vielmehr wollte ich den Schlag, den ich ihr mit meiner Entscheidung versetzen würde, möglichst sanft ausführen. Bevor ich jedoch fortfahren konnte, fiel mir Kate um den Hals.
»Oh, Devlin«, jauchzte sie überglücklich und mit einem siegesgewissen Strahlen in den Augen, das ich noch nie zuvor bei ihr gesehen hatte. »Ich habe schon so lange darauf gewartet. Und du hast dir extra diesen romantischen Ort ausgesucht. Ja, ja und nochmals ja. Ich will dich heiraten!«
Ich versteifte mich für einen Augenblick und schob dann Kate mit beiden Händen von mir. Perplex stammelte ich: »Hei…? Was? Wie kommst du darauf, dass ich dich heiraten will?«
»Willst du nicht?« Das Strahlen erlosch und eine leichte Röte überzog ihre sonst blassen Wangen. Dann verengten sich ihre Augen zu schmalen Schlitzen wie bei einer wütenden Katze. »Ich habe gedacht, weil wir hier an diesem romantischen Ort sind. Und du hast doch gesagt, dass du zu einer Entscheidung gekommen bist, was uns beide betrifft.«
»Wir sind hier im Central Park. Das ist kein besonderer oder gar romantischer Ort.« Zumindest hatte der Park auf mich nie besonders romantisch gewirkt, eher beruhigend. Und eben diese Ruhe sollte sich auf Kate übertragen, damit sie die Trennung besser verkraftete. »Und ich will dich auch nicht heiraten, sondern vielmehr das Gegenteil.«
»Das Gegenteil? Du willst dich doch wohl nicht von mir trennen, oder? Nach nur drei Monaten?« Kate schien ehrlich empört. »Das kann ich nicht glauben. Du bringst mich hierher und willst mit mir Schluss machen? Du lässt mich im Glauben, dass du mich liebst und wir eine gemeinsame Zukunft haben, und dann servierst du mich einfach so ab?«
»Wie bitte? Ich habe dir niemals versprochen, dass wir eine langfristige gemeinsame Zukunft haben werden oder dass ich dich heiraten will. Du glaubst doch nicht ernsthaft, dass man bereits nach drei Monaten Pläne für eine gemeinsame Zukunft schmieden, vielleicht sogar schon heiraten sollte, oder? In dieser Zeit lernt man sich höchstens gut genug kennen, um zu entscheiden, wie der weitere Weg aussieht, ob man ihn gemeinsam geht oder eben nicht. Und in unserem Fall …«
»Du hast mir zwar nicht gesagt, dass du mich liebst, aber du hast es mir gezeigt, und ich habe es gespürt. Wir gehören zusammen, Devlin. Das kann ich mir nicht nur eingebildet haben«, fiel Kate mir ins Wort, weil sie offenbar nichts von einer Trennung wissen und sich schon gar nicht abservieren lassen wollte.
In gewisser Weise verstand ich sie sogar. Aber ich war eben nicht der richtige Mann für sie oder sie nicht die richtige Frau für mich. Ich wollte mehr als das, was sie mir bieten konnte.
Ich trat einen Schritt auf sie zu und strich mit dem Handrücken über ihre Wange. »Es tut mir sehr leid, dass du gedacht hast, ich würde dir einen Antrag machen. Ich wollte ganz sicher nicht den falschen Eindruck bei dir erwecken. Aber eines ist sicher, ich bin nicht der richtige Mann für dich. Du hast jemanden verdient, der dich auf Händen trägt und dich wirklich liebt. Und dieser Jemand bin nicht ich.«
Ich hatte noch nicht einmal zu Ende gesprochen, als Kate ausholte und mir eine schallende Ohrfeige verpasste. Überrascht sah ich ihr hinterher, wie sie sich abwandte und mit steifen Schritten davonstolzierte. So viel Feuer hatte sie nicht einmal entwickelt, während wir Sex hatten.
Ein letztes Mal wandte sie sich noch zu mir um und schleuderte mir wutentbrannt entgegen: »So lasse ich mich nicht behandeln, auch nicht von dir. Was glaubst du eigentlich, wer du bist? Irgendwann, das schwöre ich dir, wirst du diese Entscheidung noch bitter bereuen.«
Das war etwas, das ich stark bezweifelte. Kate brauchte vielleicht mehr Zeit als andere Frauen, um über den Trennungsschmerz hinwegzukommen. Aber sie würde darüber hinwegkommen und die Dinge so sehen, wie ich es bereits tat.