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THORSTEN POLLEIT

LUDWIG VON MISES

Der kompromisslose Liberale

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ISBN E-Book (PDF) 978-3-98609-012-8

ISBN E-Book (EPUB, Mobi) 978-3-98609-013-5

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Für
Ruth
Victoria H. A. E.
Patricia S. E. T.
Leopold A. C. F.

»Entweder Kapitalismus oder Sozialismus; ein Mittelding gibt es nicht.«

– LUDWIG VON MISES (2013),
KRITIK DES INTERVENTIONISMUS, S. 36.

Inhalt

Vorwort

Einführung

Teil I: Leben

Biografie und Werdegang

Teil II: Werk

Bahnbrechende, zeitlose Beiträge zur Geldtheorie: Theorie des Geldes und der Umlaufsmittel

Erklärung der Kriegsursache: Nation, Staat und Wirtschaft

Die Undurchführbarkeit des Sozialismus: Die Wirtschaftsrechnung im sozialistischen Gemeinwesen

Die endgültige Widerlegung des Sozialismus und all seiner Spielarten: Die Gemeinwirtschaft

Die Rationalisierung der Freiheit: Liberalismus

Staatseingriffe sind schädlich: Kritik des Interventionismus

Wie sich ökonomische Erkenntnisse gewinnen lassen: Grundprobleme der Nationalökonomie

Ludwig von Mises’ Opus Magnum: Nationalökonomie

Warum der Staat schlechte Leistungen abliefert: Die Bürokratie

Der Antiliberalismus führte zum Aufstieg des Nationalsozialismus: Omnipotent Government

Ein Psychogramm der Kapitalismusfeinde: Die Wurzeln des Antikapitalismus

Ein rigoroses Wissenschaftsfundament für die Theorie der Freiheit: Theorie und Geschichte

Rückkehr zu Kernfragen der Nationalökonomie: The Ultimate Foundation of Economic Science

Teil III: Wirkung

Von Wien über Genf nach New York

Glossar

Literatur

Anmerkungen

Der Autor

Vorwort

Das Buch, das Sie, verehrte Leserin, verehrter Leser, in den Händen halten, ist ursprünglich im Jahr 2018 in der Reihe »Ökonomen für jedermann«, herausgegeben vom Buchverlag der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (F.A.Z.), erschienen. Erfreut, Ludwig von Mises. Der kompromisslose Liberale veröffentlicht zu haben, wandte ich mich neuen Projekten zu. Doch nachdem die erste Auflage vergriffen war, häuften sich bei mir die Nachfragen nach dem Buch. Als sich der F.A.Z.-Verlag leider gegen eine neue Auflage entschied, wandte ich mich an den FinanzBuch Verlag, der erfreulicherweise sogleich Interesse bekundete, es nicht nur neu herauszubringen, sondern das Buch auch neu zu setzen sowie äußerlich neu zu gestalten. Zudem gab der FinanzBuch Verlag mir auch noch großzügig die Möglichkeit, einige inhaltliche Ergänzungen und Auffrischungen vorzunehmen.

Dass das Buch in dieser Neuerscheinung nun wieder erhältlich ist und damit die Chance hat, seine Verbreitung fortzusetzen, freut mich sehr. Denn ich bin überzeugt, dass die wissenschaftlichen Erkenntnisse, die Ludwig von Mises (1881–1973) als Ökonom, Gesellschafts- und Erkenntnisphilosoph vorgelegt hat, nicht nur bahnbrechend und zeitlos sind, sondern dass sie gerade auch in unserer heutigen Zeit allergrößte Relevanz haben; einer Zeit, in der die Ideen der freien Wirtschaft und Gesellschaft diffamiert und bekämpft werden, in der sich die westliche Welt einer Art neo- oder kulturmarxistischem Umsturzversuch gegenübersieht, der durch die Potenziale des digitalen Überwachungsstaates umso bedrohlicher ist.

Es war Mises, der bereits in den 1920er-Jahren mit wissenschaftlichen Mitteln die Unmöglichkeit des Sozialismus und aller seiner Spielarten bewies; bis auf den heutigen Tag ist er darin unwiderlegt. Mises erklärte, dass der Sozialismus scheitern muss, dass er in Elend, Chaos und Gewalt endet. Zudem zeigte er, dass es keinen »Mittelweg«, keinen »Dritten Weg«, zwischen Sozialismus und Kapitalismus gibt, dass der Liberalismus-Kapitalismus – verstanden als eine Ordnung, in der die Menschen ihre Geschicke eigenverantwortlich und selbstbestimmt im System der freien Märkte bestimmen – die einzig dauerhaft durchführbare Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung ist, mit der die Menschen national wie international friedvoll und produktiv zusammenleben können.

Dass das staatliche Geldmonopol, die Ausgabe von ungedecktem Geld, in Umlauf gebracht durch Bankkreditvergabe, zu Überkonsum und Fehllenkungen von Kapital, zu Wirtschaftskrisen und Inflation führen muss, hatte Mises schon im Jahr 1912 ausführlich dargelegt. Und hellsichtig hatte er auch erkannt, dass ein Gemeinwesen, das sich auf die Verwendung von ungedecktem Papier einlässt, seine Freiheit und damit auch die Grundlage für seinen wirtschaftlichen und kulturellen Fortschritt verlieren wird. Aufgrund seiner ökonomischen Erkenntnisse forderte Mises – und das setzte ihn damals wie auch heute wieder von der Konsensmeinung der Ökonomenzunft ab –, den Staat (wie er damals und heute in Erscheinung trat) auf das Stärkste zu beschränken, wenn es das Ziel ist, Frieden und Wohlstand einer Volkswirtschaft zu schaffen und abzusichern.

Diese wenigen Schlaglichter aus Mises’ umfassendem Werk reichen vermutlich schon aus, um die gravierende Problematik der wirtschafts- und gesellschaftspolitischen Entwicklungen zu erahnen, die seit Jahrzehnten zu beobachten sind. Der Staat wird immer größer und mächtiger – zulasten der bürgerlichen und unternehmerischen Freiheit. Er dringt in alle Wirtschafts- und Gesellschaftsbereiche vor: Ausbildung (Kindergarten, Schule, Universität), Altersvorsorge, Gesundheit, Transport, Recht und Sicherheit, Geld und Kredit, Umwelt. Überall ist der Staat zum bedeutenden, dominierenden Spieler aufgestiegen. Und wann immer Probleme auftreten – Wirtschafts- und Finanzkrisen, Einkommensungleichheiten, Altersarmut, Migration, Klima und Viruserkrankungen –: Der Staat wird als Retter in der Not angesehen, nicht aber als Verursacher der Probleme oder als ungeeigneter Problemlöser.

Wer meint, der Sozialismus sei spätestens mit dem Niedergang der sozialistischen Regime Osteuropas Ende der 1980er-/Anfang der 1990er-Jahre untergegangen, sieht sich getäuscht. Die Welt wird vielmehr gerade Zeuge seiner Renaissance. Sie steht einem neo-marxistischen Umsturzversuch gegenüber, der die wenigen verbliebenen Reste der freien Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung auch noch zu zerschlagen trachtet. Wie in Kriegszeiten soll der »Notstand« – den Klimawandel und Virus angeblich verursachen – rechtfertigen, dass an die Stelle der als unzulänglich diffamierten freien Wirtschaft und Gesellschaft etwas Besseres, eine Lenkungs- und Befehlswirtschaft zu setzen sei. Der Staat soll durch Vorgaben, Ge- und Verbote, Gesetze und Steuern bestimmen, wie die Produktionsmittel einzusetzen sind, was, wann, wie zu produzieren ist, und wer, was, wann und in welchen Mengen konsumieren darf.

Der »Große Neustart« (»Great Reset«) und die »Große Transformation« sind verklausulierte Wortkonstruktionen, die kollektivistischen-sozialistischen Ideen zum Siegeszug verhelfen sollen. Dass dabei das Wort Sozialismus nicht ausdrücklich erwähnt wird, ist nicht verwunderlich. Schließlich hat die Menschheit mit dem Sozialismus schon vielfach furchtbare Erfahrungen gemacht; ihm sind Abermillionen zum Opfer gefallen. Der Sozialismus kommt in neuem Gewand daher: in Form des »politischen Globalismus«. Ihm zufolge sollen die Menschen ihre Geschicke nicht eigenverantwortlich in einem System der freien Märkte gestalten. Der politische Globalismus sieht vielmehr vor, dass Wirtschaft und Gesellschaft sich eben nicht »evolutorisch frei«, sondern von staatlichen Stellen »dirigistisch-gelenkt-und-geplant« entwickeln sollen.

Klimawandel und Coronavirus kommen da wie gerufen. Behänd werden sie genutzt, um ein Narrativ zu stricken, dem zufolge die drängenden Probleme der Menschheit nur durch zentralistische, staatsgetragene Lösungen in den Griff zu bekommen seien, und dass das Festhalten an der freien Wirtschaft und Gesellschaft in den Abgrund führe. Die Abkehr vom System der freien Marktwirtschaft (beziehungsweise von dem, was heute noch davon übrig ist), wie es den »politischen Globalisten« vorschwebt, würde jedoch den Wohlstand der Menschheit drastisch herabsetzen, das Überleben von Millionen, wenn nicht gar Milliarden von Menschen verunmöglichen. Zu dieser ökonomischen Einschätzung wird derjenige ohne Umschweife gelangen, der Mises’ Ausführungen zum Sozialismus-Interventionismus gelesen hat.

Aus ihnen erschließt sich auch die freiheitszerstörende und wohlstandsschädigende Wirkung des staatlichen Geldmonopols. Günstige Kredite erlauben es dem Staat, seinem Expansionsdrang nahezu ungehindert nachzugehen – auf Kosten der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Freiheitsgrade. Die chronische Ausweitung der Kredit- und Geldmengen, für die die Zentralbanken sorgen, und die damit verbundene künstliche Zinsabsenkung haben die Volkswirtschaften mittlerweile in eine Überschuldungssituation getrieben. Der Zusammenbruch der Schuldgeldpyramide und die Bereinigung der aufgelaufenen Fehlentwicklungen wird verhindert, indem die Zentralbanken strauchelnde Staaten und Banken mit jeder gewünschten Geldmenge versorgen und die Zinsen nun auf beziehungsweise sogar unter die Nulllinie gedrückt haben.

Angesichts der Brisanz der entstandenen Situation scheinen alle Maßnahmen geeignet, um den Systemkollaps abzuwenden. Dazu gehören nicht zuletzt auch Bestrebungen, das Bargeld aus dem Verkehr zu ziehen: Denn ohne Bargeld sind die Ersparnisse in den Bankbilanzen gefangen, Sparer und Investoren können nicht mehr fliehen, und mittels Negativzins können sich Staaten und Banken ihrer Verbindlichkeiten entledigen. Die Pläne, digitales Zentralbankgeld auszugeben, arbeiten in die gleiche Richtung: Digitales Zentralbankgeld soll dem Bargeld Konkurrenz machen, helfen, es zu verdrängen. Es ist jedoch auch ein Instrument, um die Kreditrisiken im Bankensektor aus der Welt zu schaffen – indem Bankguthaben jederzeit 1:1 eintauschbar sind in digitales Zentralbankgeld – und Bankpleiten abzuwehren. Und nicht zuletzt ebnet es den Weg in den digitalen allmächtigen Überwachungsstaat, in eine Tyrannei.

Wie kann es sein, dass die Grundpfeiler der westlichen Welt, die für Frieden und Wohlstand sorgen – allen voran Eigentum, Freiheit und gleiches Recht für alle – in Frage gestellt, dass sie derart aggressiv bekämpft werden? In Mises’ Schriften findet sich dazu eine Antwort. Mises hob hervor, dass das menschliche Handeln stets von Ideen, oder Theorien, bestimmt wird. Sind Menschen von der Richtigkeit von Ideen überzeugt, machen sie sich auf, sie in die Tat umzusetzen. In der Volkswirtschaftslehre haben sich in den letzten Jahrzehnten zusehends Theorien verbreitet, die der freien Gesellschaft und Wirtschaft skeptisch, ja sogar feindlich gegenüberstehen: Die freie Marktwirtschaft sei stör- und fehleranfällig, schaffe Ungerechtigkeiten, und daher, so wird gefolgert, müsse der Staat sie zähmen, einhegen und lenken.

Dass diese kollektivistisch-sozialistischen Ideen in die Sackgasse führen, dass sie die individuelle Freiheit zerstören, das friedvolle und kooperative Zusammenleben der Menschen national wie international unmöglich machen, erkannte Mises bereits in den frühen Jahren seines wissenschaftlichen Schaffens. Und er hat sein Leben lang den intellektuellen Kampf gegen den Sozialismus, gegen falsche und irrtümliche Theorien in der Volkswirtschaftslehre und die Politiken, die von ihnen abgeleitet wurden, gefochten. Sein Werk verdient heute mehr denn je größte Aufmerksamkeit, weil es den Menschen die Augen öffnet, ihnen die Möglichkeit gibt, eine intellektuelle Gegenwehr zu formieren, um sich doch noch vom Weg in die Knechtschaft, auf den die sozialistischen Lehren sie gebracht haben, abzukehren.

Diese Einführung in Mises’ Leben und Werk soll einen Beitrag leisten, seine Einsichten einem möglichst breiten Publikum zugänglich zu machen. Daher freue ich mich sehr, dass sie, ergänzt um einige Ausführungen zur Erkenntnis- und Zinstheorie, wieder erhältlich ist. Mein ausdrücklicher Dank gilt dem FinanzBuch Verlag und hier ganz besonders Frau Isabella Steidl und Herrn Georg Hodolitsch für ihre Unterstützung. Alle verbliebenen Unzulänglichkeiten gehen voll und ganz zu meinen Lasten.

Thorsten Polleit

Königstein i. T. im November 2021

Einführung

»Kein anderer Beruf schien mir erstrebenswerter als der des Universitätslehrers. Ich habe frühzeitig erkannt, daß es mir als Liberalem stets verwehrt bleiben würde, die ordentliche Professur an einer Hochschule des deutschen Sprachgebietes zu erlangen.«

LUDWIG VON MISES (1978), ERINNERUNGEN, S. 61.

Ludwig Heinrich Edler von Mises ist der herausragende Vertreter der Österreichischen Schule der Nationalökonomie. Er wurde am 29. September 1881 in Lemberg, dem heutigen Lwiw, in der Ukraine geboren und starb am 10. Oktober 1973 in New York. Mises zählt – blickt man auf sein Gesamtwerk – zu den bedeutendsten Ökonomen, Gesellschaftsphilosophen und Sozialtheoretikern des 20. Jahrhunderts. Der deutsche Philosoph und Ökonom Hans-Hermann Hoppe (*1949) urteilt wie folgt: »Mises hat – kulminierend in seinem Opus magnum, dem aus seiner Nationalökonomie hervorgegangenen Human Action – ein geistiges Monument geschaffen, das in Grundlegung und Systematik, thematischem Umfang, Geschlossenheit und Vollständigkeit der Darstellung, begrifflicher Klarheit und Schärfe sowie Zeitlosigkeit der Geltung im Bereich der Sozialwissenschaften einzigartig ist, und im Vergleich zu dem die Arbeiten selbst der bedeutendsten seiner Vorgänger dilettantisch erscheinen.«1 Gleichwohl sind Mises’ Beiträge zur Nationalökonomie, aber auch zur Erkenntnis- und Wissenschaftstheorie immer noch wenig bekannt, auch und gerade in wirtschaftswissenschaftlichen Fachkreisen.

Beispielhaft sei hier das umfangreiche Werk Klassiker des Ökonomischen Denkens (2008) genannt, herausgegeben vom deutschen Ökonomen Joachim Starbatty (*1940). Unter den »Klassikern der Disziplin« wird den sozialistisch-kollektivistischen Denkern wie zum Beispiel Karl Marx (1818–1883), Gustav von Schmoller (1838–1917) und John Maynard Keynes (1883–1946) viel Raum gegeben. Dem kompromisslosen Liberalen Ludwig von Mises hingegen ist kein Kapitel gewidmet. Übrigens sucht man in diesem Werk auch vergeblich nach einem Beitrag über Friedrich August von Hayek (1899–1992), Mises’ prominentestem Schüler; verwunderlich, zumal Hayek Träger des Wirtschaftsnobelpreises des Jahres 1974 ist, den er zusammen mit dem schwedischen Ökonomen Gunnar Myrdal (1898–1987) erhalten hat. Dass Mises’ Arbeiten in der ökonomischen Dogmengeschichte nicht vorgestellt werden, dass die von ihm vorgetragenen Erkenntnisse zu kurz kommen oder gänzlich unbeachtet bleiben, wird ihrem wirtschaftswissenschaftlichen und wissenschaftstheoretischen Gehalt in keiner Weise gerecht. Ein denkbarer Grund für das Desinteresse an Mises’ wissenschaftlichen Arbeiten und den daraus folgenden wirtschaftspolitischen Positionen ist: Sie sind nicht mit dem Zeitgeist vereinbar.

Eine zentrale ökonomische Erkenntnis, die Mises schon in seinen frühen Arbeiten vorträgt, lautet: Die freie Marktwirtschaft – die sich durch das Privateigentum an den Produktionsmitteln auszeichnet – ist die einzig mögliche, die einzig dauerhaft durchführbare Gesellschafts- und Wirtschaftsverfassung: »[D]ie Gesellschaft kann nur auf Grundlage des Sondereigentums bestehen. Wer für das Sondereigentum eintritt, tritt für die Erhaltung des gesellschaftlichen Zusammenschlusses der Menschheit, für die Erhaltung der menschlichen Kultur und Zivilisation ein. Er ist Apologet und Verteidiger der Gesellschaft, der Kultur und der Zivilisation, und weil er diese Ziele will, muß er auch das einzige Mittel, das zu ihnen führt, das Sondereigentum, wollen und verteidigen.«2 Der Sozialismus, der sich auszeichnet durch das Gemeineigentum an den Produktionsmitteln, sowie auch alle seine Spielarten sind hingegen zum Scheitern verurteilt. Das gilt, so Mises, auch für den Interventionismus – den sogenannten »dritten Weg« oder die »soziale Marktwirtschaft« für alle Versuche also, ein System zu entwickeln, dass sich zwischen Kapitalismus und Sozialismus hindurch manövriert. Das sind alles Aussagen, die zur Zeit, als Mises sie vortrug, auf wenig Zustimmung stießen – und die auch heute noch die Gemüter erhitzen.

Mises weist bereits 1919 mit wissenschaftlichen Mitteln nach, dass eine Wirtschaftsrechnung im sozialistischen Gemeinwesen unmöglich und folglich auch der Sozialismus undurchführbar ist. Anders als viele seiner Fachkollegen, die im Sozialismus eine neue Heilslehre erblicken, offenbart Mises, dass der Sozialismus genau das Gegenteil des Erhofften bringt: Dass er den Menschen Unfreiheit, Armut und Gewalt bringt. Für Mises steht das Scheitern planwirtschaftlicher Experimente – wie etwa in Osteuropa – außer Frage. Und wie wir heute wissen, sollte er recht behalten: Die sozialistisch-kommunistischen Regime brachen in den 1990er-Jahren zusammen. Der Sozialismus ist nun einmal unmöglich – und erst jüngst zeigte sich diese ökonomische Gesetzmäßigkeit wieder mit dem Zusammenbruch der Wirtschaft in Venezuela.

Im Januar 1923, etwa acht Monate bevor die Kaufkraft der deutschen Mark im Wirbelsturm der Hyperinflation zerstört wird, schließt Mises die Arbeit zu seiner Schrift Die geldtheoretische Seite des Stabilisierungsproblems ab. Die Inflation, so schreibt er, »ist immer ein Erzeugnis menschlichen Handelns und von Menschen gemachter Politik. Man vermehrt die Menge des umlaufenden Geldes, sei es, weil man, von unrichtigen theoretischen Anschauungen über das Wesen der Geldwertgestaltung geleitet, sich über die Folgen dieses Tuns nicht klar ist, sei es, weil man, in voller Kenntnis der Wirkungen der Inflation, gerade die Geldwertverminderung aus irgendwelchen Gründen anstrebt.«3 Mises scheint zu ahnen, dass die deutsche Regierung der Weimarer Republik die Notenpresse aus politischen Beweggründen nicht abstellen wird. Aus der währungshistorischen Erfahrung schreibt er: »Wir sahen, daß eine Regierung sich immer dann genötigt sieht, zu inflationistischen Maßnahmen zu greifen, wenn sie den Weg der Anleihebegebung nicht zu betreten vermag und den der Besteuerung nicht zu betreten wagt, weil sie fürchten muß, die Zustimmung zu dem von ihr befolgten System zu verlieren, wenn sich seine finanziellen und allgemein wirtschaftlichen Folgen allzu schnell klar enthüllen. So wird die Inflation zu dem wichtigsten psychologischen Hilfsmittel einer Wirtschaftspolitik, die ihre Folgen zu verschleiern sucht. Man kann sie in diesem Sinne als ein Werkzeug antidemokratischer Politik bezeichnen, da sie durch Irreführung der öffentlichen Meinung einem Regierungssystem, das bei offener Darlegung der Dinge keine Aussicht auf die Billigung durch das Volk hätte, den Fortbestand ermöglicht.«4 Eine treffende politökonomische Erklärung der politischen Beweggründe, die das Handeln der Politiker und Technokraten in der Weimarer Republik prägte. Mit seiner Habilitationsschrift Theorie des Geldes und der Umlaufsmittel, publiziert im Jahr 1912, hatte Mises einen »Klassiker« der Geldtheorie vorgelegt. Darin räumt er nicht nur mit althergebrachten Fehlern in der Geldtheorie auf und verbindet systematisch bisher lose Theoriestränge miteinander, sondern er legt auch neue geldtheoretische Erkenntnisse vor. Beispielsweise erklärt er die Wertbestimmung des Geldes durch die Grenznutzentheorie, und darauf aufbauend zeigt er, welche Folgen eine Ausweitung der Geldmenge für Preise, Produktion und Beschäftigung hat. Das wiederum ermöglicht es ihm, die Grundlagen für eine monetäre Konjunkturtheorie – die im Kern eine »Krisentheorie« ist – zu formulieren: Sie zeigt die volkswirtschaftlichen Konsequenzen auf, wenn Banken durch Kreditvergabe »aus dem Nichts« neues Geld – Mises bezeichnet diese Geldart als Umlaufsmittel – produzieren. Die Ausgabe von Umlaufsmitteln kann zwar kurzfristig die Wirtschaft beleben, sie führt jedoch letztlich – und notwendigerweise – zu ihrem Zusammenbruch. In Theorie des Geldes und der Umlaufsmittel arbeitet Mises auch heraus, dass Regierungen und Banken einen großen Anreiz haben, eine Inflationspolitik (Inflationismus) zu betreiben – dass sie bestrebt sind, Sachgeld (in Form von Gold und Silber) durch ihr eigenes, ungedecktes Papiergeld zu ersetzen.

Anders als viele seiner Fachkollegen sieht Mises, dass die zusehends anti-liberalen, marktwirtschaftsfeindlichen Politiken in den Zwischenkriegsjahren und vor allem auch die politischen Versuche, den Geldwert politisch zu beeinflussen, eine große Wirtschaftskrise heraufbeschwören werden. Seit 1926 gibt es in Europa einen Gold-Devisen-Standard. Dahinter verbirgt sich jedoch ein Pseudo-Goldstandard, eine Währungsarchitektur, die bei genauer Betrachtung den Bezug zum Begriff Goldstandard gar nicht verdient. Das Verwenden von Gold im tagtäglichen Zahlungsverkehr ist durch staatliche Zwangsmaßnahmen stark eingeschränkt. Das umlaufende Geld (in Form von sogenannten Umlaufsmitteln) wird zusehends durch Bankkredite (durch sogenannte Zirkulationskredite) geschaffen, denen keine echte Ersparnis gegenübersteht. Bereits Anfang 1927 gründet Mises das »Österreichische Konjunkturforschungsinstitut«, das sich insbesondere mit den wirtschaftlichen Problemen der Zwischenkriegszeit befasste. 1928 veröffentlicht er den Aufsatz Geldwertstabilisierung und Konjunkturpolitik. Darin merkt er kritisch an, dass »fortschrittlich« gesinnte Zentralbanken fortwährend in das Marktgeschehen eingreifen, indem sie Zinsen und Geldmenge nach (wirtschafts-)politischem Kalkül verändern.

Diese Politiken müssen zu Störungen im Wirtschafts- und Finanzsystem führen und sich früher oder später in einer Krise entladen. Mises empfiehlt das Beenden dieser Politiken: »Nur die Abkehr von diesem Wahn wird die periodische Wiederkehr der Konjunkturzyklen mit ihrer Peripetie, der Krise, beheben oder doch wenigstens mildern können.«5 Doch gleichzeitig sind seine Zweifel, dass sein Ratschlag auch befolgt wird, unüberhörbar: »Den Männern, die das Verhalten der großen Zentralnotenbanken bestimmen, und den Führern der öffentlichen Meinung, unter deren geistigem Einfluß diese Männer stehen, wird die Konjunkturpolitik der nächsten Zeit ebenso überantwortet bleiben, wie dies schon in den vergangenen Jahren der Fall war.«6 Es kommt, wie Mises befürchtet hat, zum »Bust«: Ende 1929, eingeleitet von einem Börsencrash, bricht die »Große Depression« über die Vereinigten Staaten von Amerika herein. Sie breitet sich rasch auf viele Länder aus und reißt die Weltwirtschaft in den Abgrund.

Mises wird früh zu einem kompromisslosen Befürworter des Liberalismus: der »Lehre von dem Zusammenhang der gesellschaftlichen Dinge und zugleich Anwendung dieser Lehre auf das Verhalten der Menschen in gesellschaftlichen Dingen. Er [der Liberalismus, A.d.V.] verspricht nichts, was über das hinausgeht, was in der Gesellschaft und durch die Gesellschaft geleistet werden kann. Er will den Menschen nur eines geben: friedliche, ungestörte Entwicklung des materiellen Wohlstandes für alle, um so von ihnen die äußeren Ursachen von Schmerz und Leid fernzuhalten, soweit das überhaupt in der Macht gesellschaftlicher Einrichtungen steht. Leid zu mindern, Freude zu mehren, das ist sein Ziel.«7 Mises gibt unmissverständlich zu verstehen, dass für ihn der Staat kein Freiheitsgarant ist: »Freiheit, wie sie die Menschen in den demokratischen Ländern der westlichen Zivilisation in den Hochzeiten des alten Liberalismus genossen, war nicht das Ergebnis von Verfassungen, Menschenrechtserklärungen, Gesetzen und Statuten. Diese Dokumente zielten lediglich darauf ab, die Freiheit, die sich zuvor durch die Marktwirtschaft fest etabliert hatte, gegen Übergriffe vonseiten der Amtsinhaber zu schützen. Keine Regierung und kein Bürgerrecht können die Freiheit garantieren oder schaffen anders als durch das Unterstützen und Verteidigen der fundamentalen Institution der Marktwirtschaft.«8

Mises’ Liberalismuskonzept baut auf einer zentralen Forderung auf: dem unbedingten Respekt des Privateigentums. Daraus leitet er alle weiteren liberalen Grundprinzipien ab: Freiheit des Einzelnen, Freihandel, friedvolles Miteinander und Gleichheit vor dem Gesetz. Für ihn ist das Privateigentum unverzichtbar, damit ein Gemeinwesen produktiv und friedvoll funktionieren kann. Als praxisnaher, weltzugewandter Ökonom weiß er zudem, dass Menschen nicht perfekt sind, dass es immer wieder Personen gibt, die das Privateigentum ihrer Mitmenschen missachten, es unterwandern oder sogar ganz abschaffen wollen. Es besteht also die Notwendigkeit, Leben, Leib und Privateigentum vor Übergriffen, vor Aggressoren zu schützen. Der Schutz des Eigentums liegt dabei nicht nur im Interesse der Eigentümer, sondern auch im Interesse der Gemeinschaft. Die Sicherheit des Lebens, der Gesundheit und des Privateigentums gegen gewaltsame Angriffe zu schützen, darin sieht Mises die Aufgabe des Staates – und zwar ausdrücklich nur in dieser Aufgabe. Erwächst aus dieser Schlussfolgerung nicht aber ein Dilemma? Was ist davon zu halten, wenn der Staat die Beschützerrolle in Form einer Zwangsmonopolstellung erhält? Was folgt daraus, wenn der Staat zum ultimativen Rechtsetzer und -Sprecher in einem Territorium gemacht wird, ausgestattet mit dem Recht zur Besteuerung?

Eine paradoxe Situation entsteht: Der Einzelne hat ein unveräußerliches Recht auf Freiheit. Doch genau diese Freiheit wäre dahin, wenn er auf Gedeih und Verderb einem Zwangsmonopolisten ausgeliefert wird, der bestimmt, was Recht und Gesetz ist, und der zudem auch noch den Preis festlegt, den andere für seine Beschützer-, Rechtsetzungs- und Rechtsprechungsdienste zu bezahlen haben. Der Einzelne wäre damit de facto seines Privateigentums beraubt: Er wäre nur noch Eigentümer qua Duldung durch den Staat, wäre zum Fiat-Eigentümer degradiert. Der Einzelne wäre einem Machtmissbrauch durch den Zwangsmonopolisten schutzlos ausgeliefert. Und es ist ganz logisch, dass ein Staat – als territorialer Monopolist für Rechtssetzung und -sprechung mit der Macht zur Besteuerung – sich immer weiter ausdehnt zu Lasten der Freiheit und des Privateigentums der »zu Beschützenden«. Ordnungspolitisch gesinnte liberale Denker erkennen dieses Dilemma an und versuchen es zu lösen. Sie empfehlen, die Staatsmonopolmacht durch Verfassungsregeln und Gewaltenteilung im Zaume zu halten.

Mises bietet eine andere Lösung an. Sie lautet: Jeder Gemeindeverband, ja im Grunde, wenn es möglich und praktikabel ist, jeder einzelne Staatsbürger soll das Recht haben, aus dem Staat auszutreten, wenn er es wünscht. Mises fordert damit nicht nur ein Selbstbestimmungsrecht der Nationen (etwas, das heutzutage weitgehend akzeptiert ist), sondern er fordert es für jeden einzelnen Bürger, soweit dies irgendwie möglich und praktikabel ist (eine Empfehlung, die selbst in klassisch-liberalen Kreisen nur selten zu vernehmen ist). Mit einem solchen Sezessionsrecht wird die Missbrauchsmacht des Staates gegenüber seinen Bürgern entschärft. Der Staat beziehungsweise diejenigen, die seine Gewalt- und Machtbefugnisse innehaben und ausüben, unterliegen einem strengen Anreiz, sich im Interesse der einzelnen Bürger zu verhalten. Tun sie das nicht, droht Abwanderung der Unzufriedenen. Mit einem Sezessionsrecht schiebt Mises der Möglichkeit, die Demokratie zu missbrauchen, einen Riegel vor: Die Minderheit ist nicht mehr bedingungslos der Tyrannei der Mehrheit ausgeliefert. Der Staat, den Mises als akzeptabel ansieht, ist folglich kein unbeschränkter Zwangsmonopolist: Er ist auf die Rolle des Beschützers der Freiheiten und des Eigentums der Einzelnen wirksam beschränkt.

Was Mises von anderen Ökonomen – auch von vielen, die zur Österreichischen Schule der Nationalökonomie zu zählen sind – absetzt, ist die wissenschaftliche Methode, die er seinen nationalökonomischen Arbeiten zugrunde legt. Die wissenschaftliche Methode bezeichnet die Heran- und Vorgehensweise, um Erkenntnisse über ein Erkenntnisobjekt (also über den Gegenstand, über den man Wissen zu erlangen sucht) zu gewinnen. Die intensive Auseinandersetzung der Österreicher mit der Methodenfrage geht auf Carl Menger (1840–1921) zurück und markiert gewissermaßen die Geburtsstunde der Österreichischen Schule der Nationalökonomie. Menger löst 1883 mit seiner Schrift Untersuchungen über die Methode der Socialwissenschaften und der Politischen Oekonomie den Methodenstreit aus.9 Er weist mit Nachdruck die Historische Schule, die im Deutschen Reich die unangefochtene Methode der Volkswirtschaftslehre ist, als wissenschaftlich ungeeignet zurück. Mises knüpft an Mengers Position an, der bereits problematisiert hatte, die naturwissenschaftliche Methode kritiklos auf die Nationalökonomie zu übertragen.

Mises fordert einen methodologischen Dualismus – und spricht sich damit gegen die populäre Idee einer Einheitswissenschaft aus –: Das menschliche Handeln, die ökonomischen Phänomene müssen in einer Weise und mit einer Methode analysiert werden, die sich grundlegend unterscheidet von der Analyse von Steinen, Planeten oder Molekülen. Wie erklärt sich Mises’ Position? Die Erklärung beginnt mit dem sogenannten methodologischen Individualismus, den bereits Carl Menger als Grundlage des nationalökonomischen Denkens eingefordert hatte. Der methodologische Individualismus steht für die Einsicht, dass das menschliche Handeln stets ein individuelles ist. Gruppen und Kollektive handeln nicht. Massenphänomene lassen sich gedanklich stets zurückführen auf das Handeln des Einzelnen. Der Weg zur Erkenntnis des Ganzen führt folglich stets über das handelnde Individuum. »Unsere Untersuchungen setzen beim einzelnen Menschen und seinem Verhalten in einer bestimmten Lage ein. (...) [W]enn sie [die Wissenschaft, A.d.V.] dann, von diesem Ausgangspunkte weiterschreitend, dazu gelangt, alles Geschehen, an dem menschliches Handeln beteiligt ist, in ihr Begriffsgebäude einzubeziehen, so gibt sie doch die Bezugnahme auf das Handeln des Einzelnen niemals auf.«10

Aus dem methodologischen Individualismus folgt eine wichtige Erkenntnis: Menschliches Handeln lässt sich ohne Rückgriff auf Ideen (im Sinne von Vorstellungen oder Theorien) nicht sinnvoll verstehen. Es lässt sich nicht bestreiten, weder mit Erfahrungswissen noch mit logischen Mitteln, dass das menschliche Handeln durch Ideen bestimmt wird: »Aller Hohn und Spott der Positivisten kann die Tatsache, dass Ideen wirklich existieren und ursprüngliche Faktoren sind, die den Gang der Geschehnisse formen, nicht beseitigen.«11 Was aber bestimmt die Ideen, die das menschliche Handeln leiten? Eine wissenschaftliche Gesetzmäßigkeit, eine regelmäßige, konstante Abfolge zwischen Ideen und den sie bestimmenden äußeren (biologischen, chemischen oder physiologischen) Faktoren, lässt sich nicht aufspüren: »Wir können die notwendige Verbindung zwischen einem äußeren Ereignis und den Ideen, welche es innerhalb des menschlichen Geistes erzeugt, nicht entdecken.«12 Diese Aussage lässt sich mit logischen Mitteln nicht widerlegen.13 Daraus folgt, dass das menschliche Handeln als das ultimativ Gegebene anzusehen ist, das keiner Letztbegründung mehr zugänglich ist und von dem das nationalökonomische Denken seinen Ausgangspunkt widerspruchsfrei nehmen kann.

Der methodologische Individualismus führt damit letztlich zu einer ganz zentralen Einsicht, die Mises’ Wissenschaftsprogramm prägt: Die wissenschaftliche Methode in der Nationalökonomie muss sich unterscheiden von der wissenschaftlichen Methode, die in den Naturwissenschaften angewandt wird. In der Naturwissenschaft sind die Erkenntnisobjekte Naturphänomene: Atome, Zellen, Planeten, das Wetter et cetera. Das Ziel der Naturwissenschaft ist es, naturgesetzliche Zusammenhänge, also Regelmäßigkeiten, Reproduzierbarkeit im Sinne von Ursache-Wirkung, zu erkennen. Dazu werden Hypothesen (»Wenn-Dann-Aussagen«) formuliert, die dann im Zuge von Experimenten getestet werden. Durch das Testen versucht man aber nicht nur Erkenntnis aus der Erfahrung (Beobachtungen) zu gewinnen. Man versucht auch, den Wahrheitsgehalt dieser Erkenntnisse anhand von Erfahrung zu überprüfen. Mit anderen Worten: Die Naturwissenschaft wird als Erfahrungswissenschaft verstanden und praktiziert. Genau dieser Ansatz ist, so Mises, in der Nationalökonomie nicht anwendbar.

In den Naturwissenschaften lassen sich in der Tat reproduzierbare Experimente durchführen, also Versuche unter gleichen Bedingungen. Beispiel: Chemikalie A wird mit Chemikalie B vermischt, und das führt zu einer bestimmten Reaktion. Derartige wiederholbare Experimente sind im Bereich des menschlichen Handelns nicht möglich. Warum? Die Erkenntnisobjekte der Naturwissenschaft (Planeten, Steine, Moleküle et cetera) haben keine Ziele und Absichten, haben keine Wünsche und keine Vorlieben. Sie können nicht zwischen verschiedenen Handlungsweisen wählen, sie können auch nicht ihre Ansichten und Vorlieben im Zeitablauf verändern. Atome und Mineralien bewegen sich, oder sie werden in einer bestimmten Art und Weise von den auf sie einwirkenden Faktoren bewegt. Ihre Reaktion auf einen Stimulus lässt sich daher prinzipiell bemessen beziehungsweise vorhersagen. Es lassen sich hier konstante, quantifizierbare Ursache-Wirkungs-Beziehungen aufspüren.

Ganz anders verhält es sich in der Wissenschaft des menschlichen Handelns. Menschen verfolgen Ziele, sie haben Wünsche und Vorlieben, sie wählen zwischen verschiedenen Handlungsalternativen. Zudem findet das menschliche Handeln unter einer Vielzahl von Einflussfaktoren statt. Es ist nicht möglich, einen Faktor zu verändern, während man die anderen Faktoren konstant hält, wie das bei Laborexperimenten der Fall ist. Daher kann es im Bereich des menschlichen Handelns aus logischen Gründen keine homogenen, vergleichbaren Datenpunkte geben, wie sie in den Naturwissenschaften zur Überprüfung des Wahrheitsgehaltes von Hypothesen verfügbar sind. Entscheidend ist jedoch letztlich die Einsicht, dass der Mensch lernen kann. Und wenn man Lernfähigkeit attestiert – und man kann sie nicht verneinen, ohne einen logischen Widerspruch zu begehen –,14 dann ist es nicht möglich, äußere Ursachen aufzuspüren, die das menschliche Verhalten systematisch erklären können: Man weiß nicht, wie »äußere Geschehnisse – physikalische, chemische und physiologische – menschliche Gedanken, Ideen und Werturteile beeinflussen.«15 Verhaltenskonstanten kann es – anders als in der Naturwissenschaft – im Bereich des menschlichen Handelns nicht geben.

Die wissenschaftliche Methode, die im Bereich des menschlichen Handelns beziehungsweise in der National-ökonomie anzuwenden ist, muss daher eine andere sein als die, die in den Naturwissenschaften verwandt wird. Diese Einsicht begründet Mises’ Forderung nach einem methodologischen Dualismus. Doch was ist die richtige wissenschaftliche Methode für die Nationalökonomie? Die Nationalökonomie ist, so Mises, eine Wissenschaft eigner Art. Sie lässt sich widerspruchsfrei nur als Handlungswissenschaft verstehen und betreiben. Der archimedische Punkt in Mises’ Handlungswissenschaft ist der zunächst trivial klingende Satz »Der Mensch handelt«. Doch dieser Satz hat es in sich. Er ist unzweifelhaft, oder: apodiktisch, wahr. Man kann ihn nicht widerlegen, ohne in einen Widerspruch zu verfallen. Wer sagt »Der Mensch handelt nicht«, der handelt – und widerspricht seiner Aussage, der Mensch könne nicht handeln. Murray N. Rothbard (1926–1995) und Hans-Hermann Hoppe (*1949) sprechen mit Blick auf den Satz »Der Mensch handelt« vom Handlungsaxiom.

Die Erkenntnis, die im Satz »Der Mensch handelt« zum Ausdruck kommt, ist – in der Terminologie des preußischen Philosophen Immanuel Kant (1724–1804) – eine A-priori-Erkenntnis. Gemeint ist damit eine Aussage, deren Wahrheitsgehalt erfahrungsunabhängig und allgemeingültig ist und die sich nicht widerspruchsfrei verneinen lässt. So gesehen lässt sich die Nationalökonomie als apriorische Handlungswissenschaft begreifen. Sie ist ein Teilbereich der Lehre des menschlichen Handelns, die Mises als Praxeologie bezeichnet. Mises fasst den Kern seines Wissenschaftsansatzes wie folgt zusammen: »Alles, was unsere Wissenschaft enthält, ist Entfaltung des Begriffes menschliches Handeln. Alles, was wir brauchen, um denkend die Sätze unserer Wissenschaft abzuleiten, ist Wissen um das Wesen des menschlichen Handelns ... Alle Begriffe unserer Lehre sind im Begriffe menschliches Handeln mitgedacht, und die Aufgabe der Wissenschaft ist es, sie aufzuzeigen, zu entwickeln, zu verdeutlichen und genau zu bestimmen.«16

Im unbestreitbar wahren Satz »Der Mensch handelt« sind eine Reihe von weiteren Erkenntnissen – Mises spricht von praxeologischen Kategorien17 – quasi mitgedacht, und sie lassen sich auf logisch-deduktivem Wege zutage fördern. Um einige Beispiele zu geben: Menschliches Handeln ist zielbezogen; der Handelnde muss Mittel einsetzen, um Ziele zu erreichen, und Mittel sind notwendigerweise knapp; Handeln setzt eine Ursache-Wirkungs-Beziehung (Kausalität) voraus; Handeln erfordert Zeit; der Handelnde zieht eine frühere Erfüllung seiner Ziele einer späteren vor, er hat eine positive Zeitpräferenz; folglich werden Gegenwartsgüter stets höher gewertet im Vergleich zu Zukunftsgütern; menschliches Handeln findet unter Unsicherheit statt; der Grenznutzen eines Gutes (das ist der Nutzen einer zusätzlichen Gütereinheit) nimmt mit zunehmendem Gütervorrat ab. Auch Begriffe wie Kosten und Ertrag, Gewinn und Verlust sind im Satz »Der Mensch handelt« logisch enthalten.

Mises’ apriorische Handlungswissenschaft macht damit ökonomische Fragestellungen zu wissenschaftlich entscheidbaren Wahrheitsfragen.18 Man muss nicht »herumexperimentieren«, um einsehen zu können, ob eine ökonomische Theorie wahr oder falsch ist. Man kann es durch praxeologisches Denken erkennen. Man führe sich die folgenden Aussagen vor Augen: (1) Freiwilliges Tauschen ist für alle daran Beteiligten vorteilhaft. (2) Der Grenznutzen eines Gutes nimmt mit steigendem Gütervorrat ab. (3) Ein Ansteigen der Geldmenge erhöht die Güterpreise – und zwar notwendigerweise über das Niveau, das sich ohne eine Ausweitung der Geldmenge einstellen würde. (4) Ist der Mindestlohn höher als der markträumende Lohn, gibt es unfreiwillige Arbeitslosigkeit. Der Wahrheitsgehalt dieser voranstehenden Aussagen lässt sich durch praxeologisches Denken zweifelsfrei feststellen.

Es hat weitreichende Konsequenzen, wenn die Nationalökonomie als apriorische Handlungswissenschaft verstanden und praktiziert wird. Es wird beispielsweise möglich, Politikvorschläge – ob sie von Regierungs- oder Sonderinteressenvertretern geäußert werden – als sinnvoll oder als zweckwidrig einzustufen – und zwar im Vorhinein, ohne dass man sie zunächst ausprobieren muss, um ihre nationalökonomische Wirkung zu erkunden. Die Praxeologie lässt beispielsweise erkennen, dass ein Ausweiten der Geldmenge den Wohlstand der Volkswirtschaft nicht mehrt, sondern dass dadurch nur einige auf Kosten anderer bessergestellt werden; dass ein Herabdrücken des Zinssatzes durch die Zentralbank zu Kapitalfehllenkungen und zu Finanz- und Wirtschaftskrisen führen muss; dass eine staatliche Arbeitslosenversicherung die Arbeitslosenproblematik nicht reduziert, sondern verschärft; dass das Einführen von Mindestlöhnen, die oberhalb des markträumenden Niveaus liegen, zu ungewollter Arbeitslosigkeit führt; dass die Besteuerung der Einkommen die Produktionsleistung der Volkswirtschaft schwächt; dass Einschränkungen des Freihandels (etwa in Form von Sanktionen) für Konflikte zwischen Nationen sorgen; dass der Staat sich unaufhaltsam ausweitet und totalitäre Ausmaße annehmen muss, wenn man ihm die Rolle eines territorialen Zwangsmonopolisten für Rechtssetzung und -sprechung mit dem Recht zur Besteuerung zubilligt. All das lässt sich durch Anwenden der Praxeologie als unumstößliche Wahrheit einsehen.

Dass Mises sich insbesondere mit der wissenschaftlichen Methode der Nationalökonomie intensiv auseinandersetzt, hat einen Grund: Er weiß, dass eine wissenschaftliche Methode in der Nationalökonomie, die das handelnde Individuum ausblendet beziehungsweise seine Rolle relativiert, politischen Programmen Vorschub leistet, die danach trachten, das Individuum einem Obrigkeitswillen zu unterwerfen. Ein Anti-lndividualismus in der Nationalökonomie öffnet freiheitsfeindlichen Ideologien Tür und Tor. Eine Theorie der Freiheit, so erkennt Mises, kann sich daher nicht mit philosophisch-metaphysischen Postulaten begnügen. Wenn sie sich wirksam gegen antifreiheitliche Doktrinen und Ideologien behaupten soll, braucht sie eine hieb- und stichfeste, eine nicht widerlegbare, nicht hintergehbare (Wissenschafts-)Begründung. Indem Mises die Unterschiedlichkeit von Naturvorgängen und menschlichem Handeln begründet – und den methodologischen Dualismus rationalisiert –, erreicht er letztlich genau das: Er gibt der Theorie der Freiheit ein (praxeo-)logisches und damit das denkbar festeste Fundament.

In seinem Spätwerk Theorie und Geschichte. Eine Interpretation sozialer und wirtschaftlicher Entwicklung (1957) setzt Mises sich daher noch einmal sehr konzentriert mit den materialistischen Wissenschaftsvorstellungen auseinander – wie zum Beispiel mit Karl Marx’ dialektischem Materialismus sowie auch dem Historismus, Behaviorismus und Skeptizismus – und weist sie allesamt als logisch inkonsistent und unwissenschaftlich zurück. Alle diese (im Kern naturalistischen) Wissenschaftsprogramme wollen sich mit dem handelnden Menschen nicht anders beschäftigen als wie mit einem Stein, einem Bakterium oder einem Regenwurm. Sie sehen die Rolle der Ideen zur Erklärung des menschlichen Handelns als entbehrlich oder irrelevant an und verbreiten die Vorstellung, das menschliche Verhalten werde von Kräften angetrieben, die die gesellschaftliche Entwicklung einem vorgegebenen Pfad folgen lassen. Eine solche Position ist nicht nur logisch inkonsistent, wie Mises zeigt, sie bereitet auch freiheitsfeindlichen Politikideen den Boden – und aus eben diesem Grund stellt sich Mises kämpferisch mit spitzer Feder den freiheitsfeindlichen Wissenschaftsideologien entgegen.

Es ist tragisch für Mises, dass seine Lebenszeit in eine Epoche des Anti-Liberalismus fällt: Das 20. Jahrhundert ist von Nationalismus, Militarismus, Sozialismus, Faschismus, Totalitarismus, Krieg, Interventionismus und Sozialdemokratismus geprägt. Doch trotz der für einen liberalen Denker geradezu erdrückenden politischen Umständen verzagt Mises nicht. Als Wissenschaftler bleibt er seinem Wahrheitsdrang und wissenschaftlichen Prinzipien verpflichtet und treu. Mises schwimmt nicht mit dem Strom. Sein Intellekt ist unbestechlich, er handelt nicht opportunistisch. Er biedert sich nicht der Mehrheitsmeinung an, heult als Ökonom nicht mit den Wölfen, um auf diesem Weg zu Anerkennung, Prestige und wohldotierten, vom Staat bezahlten Auftragsarbeiten und Berufungen zu gelangen. Mises folgt seiner wissenschaftlichen, seiner nationalökonomischen Überzeugung, und zwar bedingungslos, auch wenn ihm dadurch die Wertschätzung aus den Fachkreisen, die er eigentlich verdient, versagt bleibt. Einen Satz von Vergil (70 v. Chr. – 19 v. Chr.) macht er sich zur Lebensmaxime (Aneis, 6,95): »Tu ne cede malis sed contra audentior ito«, übersetzt: »Weiche dem Übel nicht, sondern gehe ihm unverzagt entgegen.«

Mises war bemüht, der Öffentlichkeit wenig über seine Person mitzuteilen. Er war darauf bedacht, dass das Augenmerk der Außenwelt seinen wissenschaftlichen Arbeiten galt.19 Zeitlebens setzt Mises auf die Überzeugungskraft der Argumente, verbunden mit der Hoffnung, dass gute Ideen schlechte Ideen verdrängen. Seine wissenschaftlichen Erkenntnisse, für die er eintritt, machen ihn zu einem kompromisslosen Liberalen. Er ist ein intellektueller, unbeugsamer Freiheitskämpfer: Aus seiner Sicht bedarf die Theorie einer freien Gesellschaft einer unangreifbaren Fundierung, damit sie gegen freiheitsfeindliche Doktrinen und Ideologien bestehen kann. Nur dann, wenn das Gesellschaftsgebäude auf einer logisch-fundierten nationalökonomischen Theorie aufgebaut ist, lässt sich die freie Marktwirtschaft zum Wohle aller Beteiligten erhalten. »Die tiefste und letzte Grunderkenntnis liberalen Geistes ist die, daß es die Ideen sind, die das gesellschaftliche Gebäude menschlicher Kooperation aufbauen und aufrechterhalten, und daß auf dem Fundament falscher und verkehrter Ideen ein dauerhafter Gesellschaftsbau nicht erreicht werden kann.« Das Anwenden falscher Ideen und Theorien hingegen läuft dem produktiven und friedvollen Zusammenleben in der Gemeinschaft zuwider. Falsche Theorien ermutigen zu Handlungen, die nicht im Interesse und zum Nutzen aller davon Betroffenen sind.20

Das vorliegende Buch gibt einen Überblick über Leben, Werk und Wirkung von Ludwig von Mises. Es ist keine in jeder Beziehung gründlich-erschöpfende Abhandlung über ihn als Mensch und Wissenschaftler, und es stützt sich auf bekannte Quellen. Als komprimierte Zusammenstellung soll dieses Buch den Zugang zu Mises’ wichtigsten nationalökonomischen und erkenntnistheoretischen Beiträgen eröffnen – und den Leser zu einem weitergehenden Studium seiner Arbeiten ermutigen. Mises war nicht nur ein bemerkenswerter Wissenschaftler – als Ökonom, Erkenntnistheoretiker, Gesellschaftsphilosoph und theoretischer Historiker. Er zeichnete sich vor allem auch durch Mut und intellektuelle Unabhängigkeit, Integrität und Standhaftigkeit aus. Wohl niemand, der Mises’ Werk aufmerksam studiert und sich dabei die Umstände vor Augen führt, unter denen er seine wissenschaftlichen Erkenntnisse verfasst und vertreten hat, kommt umhin, in ihm eine Ausnahmepersönlichkeit zu sehen.

Das vorliegende Buch gliedert sich in drei Teile. In Teil I werden Mises’ Leben und die wichtigsten Stationen seines Werdeganges in der gebotenen Kürze nachgezeichnet. In Teil II werden ausgewählte Veröffentlichungen aus Mises’ Werk in chronologischer Reihenfolge vorgestellt. Teil III ist der Wirkung seines Werkes gewidmet, insbesondere mit Blick auf die heutige Ausrichtung der modernen Wirtschaftswissenschaften.