ISBN: 978-3-86191-229-3
1. Auflage 2021
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Umschlaggestaltung: Annette Wagner
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„Meines Erachtens gibt es für das denkende Wesen
keinen entscheidenderen Augenblick als den,
wo ihm gleichsam die Schuppen von den Augen fallen
und es entdeckt,
dass es nicht einsam in den Einöden des Weltalls verloren ist,
sondern dass ein universeller Lebenswille in ihm zusammenströmt
und sich in ihm vermenschlicht.
Der Mensch ist nicht, wie er so lange geglaubt hat,
fester Weltmittelpunkt, sondern Achse und Spitze der Entwicklung – und das ist viel schöner.“
Pierre Teilhard de Chardin
Jedes Buch, in dem es um Glauben geht, ist letztlich ein persönliches Buch – und so ist es auch mit diesem. Die Geschichte meines Lebens spielt für die Entstehung und den Inhalt eine große Rolle. Deshalb stelle ich meine Biographie in einer kurzen Fassung an den Anfang.
Geboren wurde ich 1950 in Laggenbeck, einem kleinen Ort im nördlichen Münsterland. Dort verbrachte ich auch meine Kindheit und Jugend. Für die meisten Menschen in dieser katholisch geprägten Gegend war der Glaube an Gott und die Kirche eine Selbstverständlichkeit – so auch für meine Familie und für mich. Ich lernte früh, dass die Sache mit Gott etwas ganz Wichtiges war. Diese Einsicht hat mich tief beeindruckt und letztlich dazu geführt, dass ich nach dem Abitur im Jahr 1968 in den Orden der Franziskaner eintrat. Mein Ziel war es, als Missionar in den Nordosten Brasiliens zu gehen und mich dort sozial und religiös zu engagieren. Nach einem halben Jahr Noviziat im Kloster Bardel (in der Nähe von Gronau) ging es zusammen mit zwei Mitbrüdern Anfang 1969 auf die lange Reise nach Brasilien – als Gäste auf einem Frachtschiff. Das erste halbe Jahr verbrachten wir in einem Kloster in der Nähe von Recife, um dort den zweiten Teil unseres Noviziates zu absolvieren. Von dort ging es dann Ende 1969 weiter nach Salvador da Bahia, unserem Studienort für die Ausbildung zum Priester. Wochentags studierten wir Philosophie und Theologie, und an den Wochenenden gab es Zeit für Sozialarbeit. Die verbrachte ich zusammen mit Mitbrüdern in einer Favela am Stadtrand von Salvador. Es ging dabei in erster Linie um Hilfe zur Selbsthilfe für viele alltägliche Probleme wie z.B. die Verbesserung des Trinkwassers durch eine gemeinsame Aktion zur Beschaffung von Wasserfiltern. Diese Tätigkeit war für die Menschen sehr hilfreich und hat mir viel Freude bereitet. So hatte ich mir meine Arbeit in Brasilien vorgestellt. Doch es kam ganz anders: Eine Gelbsucht und eine Reihe weiterer körperlicher Beschwerden brachten mich Mitte 1972 an einen Punkt, an dem mir klar wurde, dass eine Fortsetzung dieses Lebensweges weder für die Menschen in Brasilien noch für meine Mitbrüder und mich sinnvoll gewesen wäre. Ich musste einsehen, dass ich für das Leben und Arbeiten in Brasilien nicht geeignet war. Das hat mir schwer zu schaffen gemacht. Aber letztlich gab es keine andere Perspektive, als nach Deutschland zurückzukehren und einen Neustart zu versuchen. Zurück in Deutschland, war mein erster Schritt die Aufnahme eines Physik-Studiums an der Universität Dortmund, das ich 1978 erfolgreich beenden konnte. Zwei Jahre später heiratete ich meine Frau Annette und gründete mit ihr eine Familie. Wir bekamen vier Kinder, von denen das erste leider früh verstarb. Zusammen mit den Kindern haben wir uns von Anfang an in der örtlichen Kirchengemeinde in der Kinder- und Jugendarbeit engagiert. Das war eine sehr lebendige Zeit, in der insbesondere das praktische Glaubensleben eine große Rolle spielte.
Die vielen und guten Aktivitäten konnten aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass ich auf wichtige Fragen meines Glaubens keine zufriedenstellenden Antworten fand. Dazu gehörte und gehört immer noch die Frage nach einem überzeugenden Gottesbild. Das traditionelle Verständnis von einem Gott, der außerhalb von sich einen Kosmos erschafft und von dort aus in das Geschehen auf dieser Erde eingreift, ist für mich nicht mehr nachvollziehbar. Ein Gott, der, um zu handeln, Naturgesetze aufheben und Wunder wirken muss, ist wissenschaftlich denkenden Menschen nicht mehr zu vermitteln. Dieses Gottesbild, das auch als theistisch bezeichnet wird, ist nicht mehr überzeugend und wirkt wie ein Relikt aus alter Zeit. So sieht es auch der bekannte Benediktiner und Theologe David Steindl-Rast:
„Der Theismus bricht von innen her zusammen. Das ist ein Prozess, den nichts aufhalten kann. Und warum nicht? Weil wir eine geistige Entwicklungsstufe erreicht haben, auf der unser Verstand seine eigenen Grenzen absehen kann. Wir wissen jetzt, dass der Seinsgrund jenseits dieser Grenzen liegt. Nur unserer mystischen Erfahrung ist dieser Seinsgrund zugänglich.“ (Ste 2003)
Aus dieser Einsicht erwächst jedoch sofort die Frage: Wie sieht ein solches Gottesbild aus, das sich im Wesentlichen aus mystischen Quellen speist? Ist ein solches Gottesbild auch mit einer wissenschaftlich begründeten Sicht der Welt verträglich?
Erfahrene Ratgeber, die uns auf diese Fragen eine Antwort geben können, sind Mystiker wie Meister Eckhart oder Willigis Jäger. Für sie ist Gott pan-en-theistisch, was soviel bedeutet wie: „Gott ist in Allem“ bzw. „In Allem ist Gott“. Er befindet sich nicht außerhalb der Welt, sondern offenbart sich „im Baum als Baum, im Tier als Tier und im Menschen als Mensch“ (Jäg 2007, S. 84), erstreckt sich aber auch auf die Materie und das gesamte Universum. Dieses Gottesbild ist offen für eine Präsenz des Göttlichen auch in der Materie und bietet somit eine Chance für einen fruchtbaren Austausch mit den Naturwissenschaften.
Auf der Seite der Naturwissenschaften ist es allerdings auch nicht einfach, Gesprächspartner für einen Dialog zum Thema „Gott und die Wissenschaft“ zu finden. In dieser Hinsicht stellt insbesondere die klassische mechanistische Physik Newtons eine perspektivlose Sackgasse dar. Die klassische Physik und alle Wissenschaften, die auf ihr aufbauen, sind geschlossene Systeme, die keine Kontaktflächen zur Welt des Geistes und damit zur Transzendenz zeigen.
Hier erweist sich einzig die Quantenphysik als eine prinzipiell offene Wissenschaft, die nicht dogmatisch vorschreibt, wie sie zu interpretieren ist. Entscheidend für Physiker ist einzig und allein die Tatsache, wie genau sie mit einer Theorie Messwerte eines Experimentes vorhersagen können; und hier zeigt die Quantenphysik eine erstaunliche Toleranz gegenüber unterschiedlichen Interpretationen, angefangen von der Kopenhagener Interpretation über die Bohmsche Mechanik und die Dekohärenztheorie bis hin zur Everettschen Viele-Welten-Interpretation: Alle diese Interpretationen mit ihren unterschiedlichen mathematischen Formulierungen sagen identische Messergebnisse voraus und besitzen daher alle Gültigkeit.
Die Pluralität dieser Interpretationen hat letztlich zu tun mit der begriffsmäßig nicht eindeutig fassbaren Kerngröße der Quantenphysik, der sogenannten Wellenfunktion. Es ist ihre nicht-physikalische, nicht-materielle und informationsartige Art, die nicht wenigen Wissenschaftlern Anlass gibt, sie eher mit der Welt des „Geistigen“ als mit der des Materiellen in Verbindung zu bringen. So sieht es beispielsweise der Atomphysiker und Nachfolger von Werner Heisenberg, Hans-Peter Dürr: „Für mich ist der Kosmos zunächst etwas Geistiges, und dass er auch noch die materielle Kruste hervorgebracht hat, gibt uns die Möglichkeit, den Geist auch einmal von außen zu sehen.“ (Lüp 2014)
Die Quantenphysik bietet ein faszinierendes Modell für eine Materie-Geist-Interaktion und damit letztlich für eine einzigartige Beziehung zwischen Transzendenz und der materiellen Realität dieses Universums. In der Konsequenz liefert sie damit auch eine modellhafte Vorlage für ein panentheistisches Gottesbild, etwa eines Gottes, der nicht nur ‚Über-Allem‘ und ‚Unter-Allem‘, sondern in besonderer Weise ‚In-Allem‘ ist.
Zwischen Panentheismus und Quantenphysik gibt es vielversprechende Schnittstellen, die eine kompatible Zusammenschau von Glaube und Wissenschaft erlauben. Ich bin davon überzeugt, dass ihr Zusammenwirken ein erfolgreicher Weg sein wird, um zu einem umfassenden und ganzheitlichen Welt-, Menschen- und Gottesverständnis zu kommen. Diese Überzeugung habe ich in meinem ersten Buch „Am Boden des Bechers wartet Gott – Auf der Suche nach einem neuen Gottesbild“ (Ney 2016) dargelegt und auch in Vorträgen verbreitet. Nach einem dieser Vorträge wurde ich auf die Forschungsarbeiten von Pim van Lommel zu Nahtod-Erfahrungen (NTE) aufmerksam gemacht, da die Einsichten von Nahtod-Erfahrenen große Ähnlichkeit mit meinen Ausführungen hätten. Das machte mich neugierig und führte dazu, dass ich mich in der Folgezeit sehr intensiv mit NTE befasste.
Die Parallelen von NTE und Quantenphysik beziehen sich hauptsächlich auf das Zusammenwirken von Materie und Geist. Die quantenphysikalischen Eigenschaften der Materie lassen sich so interpretieren, als habe Materie auch eine „geistige“ Komponente beziehungsweise eine „rudimentäre Form von Bewusstsein“. Nahtod-Erfahrene sehen dieses Zusammenwirken ähnlich, jedoch aus einer anderen Perspektive. Sie berichten von einem erweiterten Bewusstsein, das ihnen erlaubt zu „wissen“, dass alles – auch die Materie – mit allem verbunden und von Gott durchdrungen ist: „Alles, was ich weiß, ist, dass ich während meiner NTE im Herzen Gottes war, denn ich konnte sehen, dass Gott alle Materie, alles Sein, den Raum und den Nicht-Raum, einfach Alles durchdrang und erfüllte.“ (Nic 2009, S. 116-117)
Nahtod-Erfahrene belegen somit auf eindrucksvolle Weise, dass eine nach dem Modell der Quantenphysik denkbare Materie-Geist-Interaktion nicht nur möglich ist, sondern persönlich erfahren werden kann. Diese Erkenntnis bildet den Inhalt meines zweiten Buches: „Spuren einer Welt hinter der Welt in Nahtod-Forschung und Quantenphysik“ (Ney 2017).
Das vorliegende Buch schließt an den Inhalt des zweiten Buches an und ist zum einen eine Erweiterung in Richtung Mystik, dem Urgrund aller spirituellen Erfahrungen, und zum anderen eine Vertiefung in Richtung alternativer ganzheitlicher Konzepte, wie sie von Teilhard de Chardin, David Bohm und Rupert Sheldrake vertreten werden. Darüber hinaus habe ich eine Reihe beeindruckender Beispiele von mystischem Erleben sowie von Nahtod-Erfahrungen in das Buch aufgenommen, um diese außergewöhnlichen Erlebnisse auch persönlich besser nachempfinden zu können.
Dem Verleger des Crotona Verlages, Herrn Dr. Peter Michel, danke ich für die gute und angenehme Zusammenarbeit und die Aufnahme dieses Buches in sein Verlagsprogramm.
„Der erste Schluck
aus dem Becher der Wissenschaft
führt zum Atheismus,
aber am Grund des Bechers
wartet Gott!“
Werner Heisenberg
Das Zitat von Werner Heisenberg umfasst mit einem wunderbar poetischen Bild die ambivalente Beziehung zwischen Wissenschaft und Glaube.
Mit dem „ersten Schluck aus dem Becher der Wissenschaft“ bezieht Heisenberg sich – so meine Vermutung – auf die Erkenntnisse all jener Wissenschaften, die ihre Grundlage in der mechanistischen Physik Newtons haben. Ein Kennzeichen dieser Physik ist der Determinismus, der besagt, dass der Verlauf aller Ereignisse eindeutig festgelegt ist und letztlich – unter bestimmten Bedingungen – sogar berechnet werden kann. Die Bedingungen für eine solche Berechnung hat der französische Mathematiker Laplace (1749-1827) treffend formuliert:
„Wir müssen also den gegenwärtigen Zustand des Universums als Folge eines früheren Zustandes ansehen und als Ursache des Zustandes, der danach kommt. Eine Intelligenz, die in einem gegebenen Augenblick alle Kräfte kennt, mit denen die Welt begabt ist, und die gegenwärtige Lage der Gebilde, die sie zusammensetzen, und die überdies umfassend genug wäre, diese Kenntnisse der Analyse zu unterwerfen, würde in der gleichen Formel die Bewegungen der größten Himmelskörper und die des leichtesten Atoms einbegreifen. Nichts wäre für sie ungewiss, Zukunft und Vergangenheit lägen klar vor ihren Augen.“ (Wik-01)
In einem solchen deterministischen Weltbild ist kein Platz für Gott und Geist und Sinn. Die klassische Physik (so wie letztlich jede Wissenschaft) kann prinzipiell nichts über Gott aussagen. Tut sie es dennoch, entgegen ihrer eigenen Methodik, dann sind ihre Aussagen häufig atheistisch gefärbt. Ein bekanntes Beispiel ist das Zitat des französischen Molekularbiologen Jacques Monod: „Der Mensch muss endlich aus seinem tausendjährigen Traum erwachen und seine totale Verlassenheit erkennen. Er weiß nun, dass er seinen Platz wie ein Zigeuner am Rande des Universums hat, das für seine Musik taub ist und gleichgültig gegen seine Hoffnungen, Leiden oder Verbrechen.“ (Mon 1971, S. 211)
Laut Heisenberg ist eine solche Sicht jedoch nur zu verstehen als Folge des „ersten Schlucks aus dem Becher der Wissenschaft“. Nach seiner Auffassung berührt die klassische Physik nur die Oberfläche der Natur. Dringt man tiefer in sie ein – bis auf den Grund – dann wird sie durchscheinend für das große Geheimnis des Göttlichen. Mit einer solchen „Tiefenbohrung“ meint Heisenberg die Quantenphysik, die zwar selber als physikalische Theorie prinzipiell auch keine Aussagen zu Gott und Geist und Sinn machen kann, aber in ihrer Interpretation eine Offenheit für Transzendenz zulässt.
Das Zitat von Heisenberg sowie die philosophischen Gedanken vieler Quantenphysiker der ersten Stunde lassen erahnen, dass ihnen die Frage „Wie sind die Erkenntnisse der Wissenschaft verträglich mit einem Glauben an Gott?“ sehr am Herzen lag (siehe dazu das Buch „Physik und Transzendenz“ von Hans-Peter Dürr (Dür 1986)). Auch mich begleitet diese Frage seit vielen Jahren, und dieses Buch ist der Versuch, die gefundenen Antworten in Worte zu fassen.
Aus meiner heutigen Perspektive kann ich sagen, dass mich folgende Argumente für die Existenz einer jenseitigen, transzendenten Dimension am meisten überzeugt haben:
Quantenphysik, Mystik und NTE sind daher die Richtschnur für den Aufbau und den Inhalt des vorliegenden Buches.
Im ersten Kapitel geht es um wichtige Phänomene der Quantenphysik, allerdings nur so weit, wie sie für eine vergleichende Diskussion mit Erscheinungen der Mystik und NTE hilfreich sind.
Entscheidend für die metaphysische Erklärungskraft der Quantenphysik ist in meinen Augen weder die Heisenbergsche Unschärferelation noch der häufig falsch verstandene Welle-Teilchen-Dualismus, sondern eher die intrinsische „Zwei-Naturen-Eigenschaft“ aller Quantenobjekte. Was ich unter dieser „Zwei-Naturen-Eigenschaft“ verstehe, soll hier nur kurz am Beispiel des Elektrons klar gemacht werden. Elektronen, so wie sie die klassische Physik behandelt, haben eindeutige physikalische Eigenschaften: Eine negative elektrische Ladung, eine Masse und einen Impuls. Außerdem besitzen Elektronen, so wie wir sie von Experimenten her kennen, auch einen definierten Ort, an dem sie sich befinden. Nun zeigt sich sowohl in der Theorie als auch in den Experimenten der Quantenphysik, dass Elektronen diese Eigenschaft „Ort“ nicht immer besitzen. Diese Aussage ist schwer verständlich, da alle Gegenstände in unserer Alltagswelt immer einen Ort haben. Bei Elektronen ist die Eigenschaft „Ort“ jedoch „zeitlich befristet“, das heißt, zu einer Zeit existieren sie als Teilchen, zu einer anderen Zeit sind sie als solche nicht existent. Dieser „ortslose“ Aspekt tritt zutage, wenn Elektronen nicht gemessen oder gestört werden, d.h. wenn sie sich also in einem unbeobachteten, isolierten Zustand befinden. Dann verlieren sie in der Tat die Eigenschaft Ort und existieren nicht mehr als sichtbare, konkrete, lokale Teilchen. Sie gehen dann in einen „ortslosen“, nicht-lokalen Zustand über, der „nur noch“ Wahrscheinlichkeitscharakter hat. Vom Ort des Elektrons bleibt lediglich eine Wahrscheinlichkeitsverteilung übrig, die angibt, mit welcher Wahrscheinlichkeit das Elektron an einem bestimmten Punkt erscheinen würde, wenn man es messen würde. Dieser Wahrscheinlichkeitsstatus wird häufig auch als Potenzialität oder Möglichkeitszustand beschrieben. Das Elektron kehrt erst dann wieder in seinen beobachtbaren, ortsbehafteten, lokalen Zustand zurück, wenn es durch eine Messung gestört wird. Der Wechsel zwischen ortsbehafteter, lokaler Ebene und ortsloser, nicht-lokaler Ebene ist permanent und beschreibt die „Zwei-Naturen-Eigenschaft“ eines jeden Quantenobjektes: „Es entsteht und vergeht.“
Es ist faszinierend zu sehen, dass am tiefsten Grund unseres Kosmos in allen „Bausteinen“ eine Struktur sichtbar wird, die auf einem Austausch zwischen einer materiellen, sichtbaren Ebene und einer nicht-sichtbaren, eher informationsartigen Ebene beruht. Ich denke, damit wird verständlich, weshalb die Quantenphysik für das Thema dieses Buches so attraktiv ist: Sie ist ein adäquates Modell für die Interaktion unserer Alltagswelt mit einer unsichtbaren „geistigen“ Welt im Hintergrund. Die Konsequenzen der Quantenphysik für ein verändertes Welt-, Menschen- und Gottesbild werden im vierten und fünften Kapitel angesprochen.
Eine grundsätzliche Frage, die sich aus der Beschäftigung mit der Quantenphysik ergibt, lautet: „Wie müssen die ‘Grundbausteine’ unserer Wirklichkeit beschaffen sein, wenn aus ihnen ein Universum entstehen soll, das Eigenschaften einer sicht- und begreifbaren Welt und gleichzeitig einer nicht-sichtbaren, eher geistigen Welt haben soll?“ Das ist eine berechtigte, aber sehr spezielle philosophische Frage. Interessierte finden darauf einen Antwortversuch im Anhang A.
Im zweiten Kapitel geht es um grundlegende Erfahrungen für einen Glauben an ein Jenseits und an Gott. Es sind die Erfahrungen von Mystikern (Mystikerinnen sind in diesem Begriff immer miteingeschlossen), die in meinen Augen trotz aller Subjektivität mehr Überzeugungskraft haben als jede noch so logische und in sich konsistente theologische Theorie. Diese Haltung verbindet mich mit William James, dem großen Religionsphilosophen des 19. Jahrhunderts, für den die Erfahrung ebenfalls wichtiger war als jede Theorie:
„Ein Pragmatiker kehrt entschieden und einmal für immer den vielen festgefahrenen Einstellungen, wie sie die Berufsphilosophen lieben, den Rücken. Er kehrt sich von abstrakten und ungenügenden, bloß worthaften Lösungen, von schlechten apriorischen Kategorien, von starren Grundsätzen und geschlossenen Systemen, von vorgeschobenen Absolutheiten und Anfängen ab. Er wendet sich aber den Konkretheiten und Schlichtheiten sowie immer wieder den Tatsachen … zu.“ (Bst 2008, S. 58-59)
Mystische Erfahrungen haben eine lange Geschichte und werden von allen Völkern und Religionen dieser Erde berichtet. Auch wenn das Wort Mystik im Mittelalter noch gar nicht existierte, so deutet doch die aus dieser Zeit stammende Bezeichnung „Cognitio dei experimentalis“ (Erkenntnis Gottes durch Erfahrung) darauf hin, dass das Phänomen der Mystik bekannt war. Berühmte Mystiker des Mittelalters sind Teresa von Avila, Johannes vom Kreuz, Meister Eckhart und viele andere. Ihre mystischen Erfahrungen sind häufig die Frucht langer und intensiver meditativer Übungen, auch wenn mystische Zustände nicht willentlich herbeigeführt werden können. Nicht so bekannt ist die Tatsache, dass es auch heute sehr viele Menschen gibt, die mystische Erfahrungen machen und davon berichten. Bei diesen Erlebnissen handelt es sich in der Regel um spontane Erfahrungen, die unvorhergesehen und ungeplant irgendwann, irgendwo und irgendwie im Alltag geschehen. Andere mystische Erfahrungen treten nicht spontan auf, sondern werden ausgelöst durch unmittelbar drohenden Tod wie bei einem Absturz in den Bergen oder bei einem nicht mehr zu vermeidenden Verkehrsunfall. Diese Erfahrungen haben eine große Nähe zu Nahtod-Erfahrungen. Da sie aber bei vollem Bewusstsein auftreten, werden sie in diesem Buch der Mystik zugeordnet. Auch die Einnahme von Drogen kann Erlebnisse hervorrufen, die denen mystischer Erfahrungen sehr nahekommen.
Kapitel drei behandelt Nahtod-Erfahrungen (NTE). Wie die Mystik hat auch das Phänomen der Nahtod-Erfahrung, also der Unterbrechung des Sterbeprozesses und der Rückkehr ins Leben, eine lange Geschichte und ist bei allen Völkern der Erde bekannt. In den westlichen Gesellschaften wurden Berichte von Nahtod-Erfahrungen jedoch auf Grund von Aufklärung und wissenschaftlicher Denkweise ins Reich der Märchen und psychischen Anomalitäten verwiesen. Eine Rückbesinnung, verbunden mit einem großen öffentlichen Interesse, erfolgte erst, nachdem der amerikanische Philosoph und Psychiater Raymond Moody im Jahr 1975 das Buch „Life after Life“ veröffentlichte. Nachdem dieses Buch im Jahr 1976 unter dem Titel „Leben nach dem Tod: Die Erforschung einer unerklärlichen Erfahrung“ auch in deutscher Sprache veröffentlicht wurde, gab es hierzulande viel Kritik. Die beschriebenen Nahtod-Erfahrungen wurden von Medizinern im Wesentlichen auf Halluzinationen reduziert, die durch Sauerstoffmangel im Gehirn verursacht würden. Diese undurchsichtige Diskussion hat mich damals sehr verunsichert und dazu bewogen, den in den Folgejahren immer wieder erscheinenden und zum Teil sensationell aufbereiteten Berichten über Nahtod-Erlebnisse keine Beachtung zu schenken.
Neu belebt wurde mein Interesse am Thema NTE wieder, als ich zum ersten Mal von der großangelegten NTE-Studie des niederländischen Kardiologen Pim van Lommel erfuhr. Die große Resonanz, die die Veröffentlichung dieser bis dahin größten wissenschaftlichen Studie zum Thema NTE in der renommierten medizinischen Zeitschrift „The Lancet“ im Jahr 2001 sowie das anschließend erschienene Buch „Endloses Bewusstsein“ (Lom 2010) im Jahr 2003 erfahren hat, ermutigt mich heute, Nahtod-Erfahrungen als die wichtigste Quelle für den Glauben an die Existenz einer transzendenten Wirklichkeit, die ich Gott nenne, anzusehen. Auch wenn jede Nahtod-Erfahrung keiner anderen in allen Punkten gleicht, so ergeben die Berichte von mittlerweile tausenden von Nahtod-Erfahrenen doch ein Gesamtbild vom Übergang zwischen Leben und Tod, das an Überzeugungskraft für den Glauben an die Existenz einer jenseitigen Welt alles in den Schatten stellt, was jemals über das Leben nach dem Tod gesagt oder geschrieben wurde.
Für Vertreter des materialistischen Mainstream-Weltbildes sind Nahtod-Erfahrungen jedoch eine reine Provokation. Wie bereits erwähnt, gibt es in diesem Weltbild, das auf der mechanistischen Physik Newtons basiert, keinen Platz für Gott und Geist und Sinn. Das erklärt auch die Beobachtung van Lommels, dass die Ergebnisse der NTE-Forschung in „seriösen“ Kreisen der Wissenschaft ignoriert oder lächerlich gemacht werden: „Dahinter steckt meiner Meinung nach die Angst, das eigene Weltbild zu verlieren.“„Das, was den menschlichen Geist auszeichnet – Bewusstsein, Denken und Werte –, lässt sich nicht reduzieren, schon gar nicht auf überzeitliche physikalische Gesetze. Daher bleibt eine Theorie, die all das nicht erklären kann, zwangsläufig unvollständig, ja, sie ist mit ziemlicher Sicherheit falsch.“
Auch Nahtod-Erfahrungen lassen sich nicht auf physikalisch-chemische Vorgänge im Gehirn reduzieren und als „letzte Zuckungen eines sterbenden Gehirns“ interpretieren; denn wie ist es sonst zu erklären, dass Patienten, die sich im Zustand eines Herzstillstandes und eines daraufhin einsetzenden Gehirntodes befanden, nach erfolgter Reanimation Details ihrer eigenen Operation sehr genau beschreiben konnten? Diese Berichte legen nahe, dass es neben dem zum Erliegen gekommenen Wachbewusstsein eine andere Art von Bewusstsein geben muss, welches auch während des Sterbeprozesses weiter existiert und vermutlich auch den Tod überdauert. Pim van Lommel nennt es erweitertes, endloses oder auch nicht-lokales Bewusstsein, weil es während dieser Bewusstseinsphase keine Zeit- und Raumempfindung gibt.
Im fünften Kapitel versuche ich, ein Gesamtpanorama des „Großen-Ganzen“ auf der Grundlage der Ergebnisse dieses Buches zu entwerfen. Dabei zeigt sich, dass die aus der Quantenphysik abgeleitete Zwei-Ebenen-Struktur gut geeignet ist, auch die Erkenntnisse der Nahtod-Forschung mit einzubeziehen. Das Gesamtbild ähnelt in seiner Struktur der Vision Teilhard de Chardins, dass nämlich die Evolution als ein Wachstumsprozess des Bewusstseins angesehen werden kann, der einhergeht mit einer Komplexifizierung der Materie. Mein Beitrag ist letztlich eine Erweiterung dieses Weltbildes zum einen in Richtung grundlegender Prozesse der Natur, so wie sie von der Quantenphysik beschrieben werden, und zum anderen in Richtung Nahtod-Forschung, also in eine Richtung, die über den materiellen, körperlichen Bereich hinausgeht.
Als Resümee kann ich festhalten, dass die intensive Beschäftigung mit Nahtod-Forschung, Mystik und Quantenphysik für mich ein fruchtbarer Weg war und immer noch ist, überzeugende Indizien für eine transzendente Wirklichkeit zu gewinnen und dadurch meinem intuitiven und durch mystische Erfahrung gestützten Glauben mehr Rückhalt zu geben. Ich habe das Empfinden, dass die gewonnenen Einsichten nicht nur für mich nützlich sind, sondern möglicherweise auch für viele andere. Deshalb teile ich sie gerne und würde mich freuen, wenn sie dem ein oder der anderen helfen könnten, das eigene Leben klarer in einem organischen Zusammenhang mit dem „Großen Ganzen“ zu sehen.