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© 2021 Burkhard Budde

Lektorat: Margret Budde

Cover-Design: Kristin Willecke

Umsetzung: Jonas Budde

Herstellung und Verlag: BoD – Books on Demand GmbH, Norderstedt

ISBN: 978-3-7557-8763-1

Inhalt

Januar

1. Woche
Kostbare Lebenszeit

Das Zeit- und Lebensgefühl kann gestört werden. Wenn die innere Lebensuhr ungewöhnlich laut oder unheimlich leise sowie gleichzeitig unaufhörlich tickt, verbreitet sie bei vielen Angst und Schrecken.

Düstere Gedanken und mulmige Gefühle können dann Antriebskräfte lähmen, wehleidig und traurig machen, manchmal aber auch aggressiv und aufbrausend: Werde auch ich von einer unsichtbaren, unbekannten und unberechenbaren Gefahr bedroht? Wird mir die gewohnte Kontrolle über meine kostbare Lebenszeit genommen?

Weder das Lecken eigener Wunden noch die Suche nach Sündenböcken noch Selbstgenügsamkeit noch Panik scheinen weiterzuhelfen. Vielleicht aber ist es ein Versuch wert, sich Zeit für die „Zeit“ zu nehmen. Und zwar ohne Zeitdruck und Vorurteile, sondern mit Offenheit und Neugierde.

Stellen wir uns einmal eine Sanduhr vor, die aus zwei miteinander verbundenen Glaskolben besteht. Sand fließt durch den jeweiligen Hals eines Kolbens durch ein Loch in den anderen Kolben. Der Sand – die Lebenszeit – ist ständig in Bewegung und kann auch von „Zeitdieben“ oder „Zeitverschwendern“ nicht angehalten werden. Die Lebenszeit, weil sie unaufhaltsam weniger wird und nicht vermehrt werden kann, bleibt kostbar. In der „Engführung“ verschwindet sie jedoch nicht im Nichts, sondern hier fallen Sein und Nichtsein, Nichtsein und Neusein zusammen.

Wenn die Lebenszeit nicht auf gedankenlosen Treibsand gebaut ist, ein jegliches seine Zeit hat, kann ein Mensch auch in der Zeit einer Krise die Gelegenheit beim Schopfe greifen:

Zum Beispiel innere Freiheit durch Selbstkritik und Demut zu entwickeln, Wichtiges vom Unwichtigen zu unterscheiden lernen, Mitgefühl und Besonnenheit zu gewinnen. Und vielleicht auch die neue Weisheit zu entdecken, dass der Strom der Zeit keine Art Kreislauf oder Wiederkehr des Immergleichen ist, sondern in eine offene und unbekannte Zukunft mündet. Dass Endlichkeit und Vergänglichkeit jedoch stets Ursprung des Neuanfangs und der Erneuerung sind.

Und dass es sinnvoll erscheint, vertrauens- und verantwortungsvoll in der geschenkten und verbliebenen Zeit aktiv, positiv, konstruktiv und kreativ zu warten – auf eine Ewigkeit, in der kein Sandkorn verloren geht und ein Mensch als geliebtes Samenkorn vom Schöpfer der Lebensuhr vollendet wird.

2. Woche
Wertvolle Lebenszeit

Manche Menschen können wie schöne Perlen sein, faszinieren und Herzen erfreuen. Solche kostbaren Perlen gehören nicht in ein Schmuckkästchen. Sie sollten allerdings auch nicht abheben. Die wahre Perle überzeugt anders – zum Beispiel mit Empathie, Vernunft und Verantwortung.

Perlen entwickeln sich jedoch unterschiedlich.

Eine Perle – ein Mensch - denkt nur an die Gegenwart, entsorgt mit einer Handbewegung „alte Hüte“ sowie die Lebensleistungen anderer, um sich selbst ins rechte Licht zu rücken.

Eine andere Perle instrumentalisiert Vergangenes, vergleicht Unvergleichbares, be- und verurteilt alles und jeden einzig und allein nach eigenen Maßstäben.

Wieder eine andere Perle verklärt die „gute alte Zeit“. Sie verpasst die Züge neuer Möglichkeiten, die den Horizont erweitern und vertiefen.

Perlen, die sich als Glieder einer gemeinsamen Kette verstehen, sehen ihre Gegenwart eingebunden in die Geschichte. Vergangenheitsbewältigung bedeutet für sie, sich ein eigenes und differenziertes Bild von historischen Quellen zu machen, auch von Zusammenhängen, Mehrdeutigkeiten, Widersprüchen, Brüchen sowie Entwicklungen. Um Vergangenes besser zu verstehen, vor allem daraus zu lernen und neue Wege für die Zukunft finden zu können.

Keine Perle ist selbst die Kette, nur endlicher Teil eines unendlichen Ganzen. Jede Perle ist geschaffen und vergänglich, auch die Schönste und Prachtvollste. Aber jede Perle birgt auch etwas Neues in sich.

Wie Perlen an einer Kette haben Christen ihre Erfahrungen aneinandergereiht: Der Schöpfer allen Lebens sucht auch oder gerade verlorene oder kaputte Perlen, weil er sie bedingungslos liebt und ihnen neues Leben im Geiste Christi schenken möchte.

Könnte es sein, dass Gott wie eine unsichtbare Kette wirkt, Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft zusammenhält, um Perlen sowie ihre Mit- und Nachwelt noch heute schöpferisch zu erneuern?!

3. Woche
Bewegte Lebenszeit

Warum er denn so gerne wandere? wird ein Mann gefragt, der gerade in seine Wanderkarte schaut. Er blickt erstaunt auf und antwortet:

Immer, wenn er sich unter freiem Himmel bewege, fühle er sich frei. Und dann fügt er noch hinzu: Ich habe keinen Aufpasser, der alles kontrolliert. Keine Spaßbremse, die alles madig macht. Keine Fee, die alles für mich macht. Keinen Götzen, der alles von mir fordert.

Der Fragende versteht nicht so recht. Der Wanderer schildert seine Erfahrungen:

Wenn er auf das Singen der Vögel lausche, höre er auch etwas Wichtiges über sich selbst.

Wenn er über die Schönheit der Blumen staune, dann sehe er auch etwas Prächtiges in seinem Leben.

Überhaupt, wenn er das Werden und Vergehen in der Natur beobachte, dann könne er auch eine unsichtbare und schöpferische Hand entdecken. Deshalb suche er Orte der Stille, gehe manchmal wie auf Zehenspitzen durch den Wald, wolle ungestört, unbeobachtet und unkontrolliert etwas Frieden und Geborgenheit erleben.

Aber wenn die Natur Stress mache, weil plötzlich der Nebel den Blick verstelle, dunkle Wolken und ein gefährliches Gewitter die Gefühle verändere? Oder wenn er an einer Wegkreuzung stehe und sich verlaufen habe, er eine Entscheidung fällen müsse - was dann?

Langsam wird deutlich: Ein Wanderer in Schönwetterzeiten, vor allem jedoch ein Wanderer, der durch schwere Zeiten gut hindurchkommen will, lebt von verschiedenen Begabungen, die wie unterschiedliche Geschwister sind. Sie verstehen sich nicht immer, kämpfen manchmal sogar gegeneinander, aber sie werden alle gebraucht, wenn ein Mensch (über-) leben will:

Die rationale Begabung des Menschen kann die Wanderkarte lesen, analysieren und neue Wege begründen.

Die poetische Begabung nimmt die Ästhetik der Bäume, Tiere und Pflanzen wahr, die auf keiner Karte verzeichnet ist.

Und die intuitive Begabung erahnt, dass der ganze Mensch mit all seinen Sinnen etwas finden kann, was er vielleicht gar nicht gesucht hat, aber als Gottes Gabe und Liebe spürbar ist: Eine Sonne, die den Nebel der Sorgen und Ängste vertreibt. Einen Himmel im Menschen, der Freiheit und Freude schenkt.

4. Woche
Gestaltete Lebenszeit

Faszinierendes geschieht auf der Bühne des Lebens: Unterhaltung und Bildung, Erfolgserlebnisse und Glücksmomente, aber auch gähnende Langeweile, bedrückende Einsamkeit und böse Überraschungen.

Aufmerksame Zuschauer erleben noch mehr: Bosse ihres eigenen Lebens, die ins Scheinwerferlicht drängeln. Trittbrettfahrer einer Übermoral, die andere zu bevormunden trachten. Halbgötter in verschiedenen Gewändern, die keine anderen Götter neben sich dulden. Lichtscheue Gestalten aus Angst oder aus „guten Gründen“, die sich gerne im Dunkeln verstecken. Marionetten mit großen Augen, die im Zwielicht strampeln und behaupten frei zu sein. (Über-) Lebenskünstler, die in sich selbst mal Licht, mal Finsternis, mal Grauzonen, mal Schatten erleben, sich jedoch auf der Bühne je nach Situation geschickt anpassen oder verstellen, und jederzeit sprunghaft bleiben, weil sie unbelehrbar sind.

Neugierige Zuschauer, die alles beobachten, haben ihre Erfahrungen und Erwartungen mitgebracht, aber auch ihre Lust und ihre Launen. In ihrer Phantasie spielen sie Rollen durch, schlüpfen in verschiedene Rollen, wechseln die Räume und werden Teil des Schauspiels. Und sind plötzlich selbst aktive Mitspieler - ihres eigenen Lebens in einer komplexen Welt.

Eine Souffleuse flüstert einem neuen Mitspieler zu: „Der Zweck heiligt die Mittel.“ Jedes Mittel – auch Täuschung oder Lüge – sei erlaubt, wenn man sein Leben „machtvoll“ gestalten wolle.

Eine andere Souffleuse widerspricht: „Was du nicht willst, das man dir tut, das füg auch keinem andern zu.“ Und erläutert: „Wenn Du selbst nicht getäuscht werden willst, solltest Du auch andere nicht täuschen“.

Eine dritte Souffleuse erinnert an den „Kategorischen Imperativ“ des Philosophen Kant (1724-1804): „Handle nur nach derjenigen Maxime, durch die du zugleich wollen kannst, dass sie ein allgemeines Gesetz werde.“ Der Grundsatz, der das eigene Handeln bestimme, müsse verallgemeinerungsfähig sein. Und die Verantwortlichkeit, das große Ganze und das Allgemeine seien wichtig.

Eine vierte Souffleuse, die sich auf den Philosophen Jonas (1903-1993) beruft, ergänzt: „Vergiss bei deinem Handeln nicht die Folgen, auch nicht die für die nächste Generation.“

Eine fünfte Souffleuse zitiert die Goldene Regel Jesu, die sein Liebesgebot positiv, offensiv und ohne moralischen Zeigefinger zusammenfasst: „Alles nun, was ihr wollt, dass euch die Menschen tun sollen, das tut ihr ihnen auch.“ (Matthäus 7,12) Demnach könnte wechselseitige Achtung klug und weise sein, um auf der Bühne des Lebens nicht Spielball anderer zu werden, sondern selbstbewusster Spieler zu sein:

Der z.B. in Abwesenheit eines Mitspielers so über ihn spricht, als sei er anwesend, also ein faires Spiel spielt, das er selbst erwartet.

Der mit Hilfe des Spielplans der schöpferischen Liebe geistige Dunkelheit erhellen, seelische Kälte erwärmen und soziale Gräben überwinden kann.

Und der dem Regisseur allen Lebens gegenüber, dem er letztverantwortlich ist, auch sein Leben verdankt.

Extra
Das Unbekannte

Langsam geht die Sonne unter. Das Farbenspiel am Horizont berührt das Herz. Ein Erlebnis von beeindruckender Harmonie.

Doch wie aus heiterem Himmel, lautlos und unvorhersehbar, taucht das unbekannt Unbekannte auf. Die Idylle ist abrupt zu Ende. Fromme Tauben suchen schnell das Weite, kopflos. Verlogene Schlangen spritzen ihr Gift noch weiter, herzlos. Angsthasen, scheue Rehe und graue Mäuse flüchten in Panik, grundlos. Das Brüllen zahnloser Tiger ist unüberhörbar, ohne Vernunft und Verstand.

Ein eitler Pfau und eine selbstverliebte Katze streiten. „Du hast keine Ahnung von der Gefahr und redest dummes Zeug“, beleidigt der Pfau die Katze. Die Samtpfote, die zunächst um den heißen Brei herumgeschlichen ist, zeigt ihre Reißzähne: „Und du plusterst dich als Lebensretter auf. In Wahrheit geht es dir nur um deinen Ruhm und deine eigene Unsterblichkeit.“

In diesem Augenblick verschwindet die Sonne - völlig. Und Finsternis herrscht - grenzenlos.

Doch beide Streithähne nutzen diese Gelegenheit - zum Nachdenken: Sollten sie jetzt völlig ausrasten und sich bis aufs Blut bekämpfen? Den anderen lächerlich machen? „Ein Typ wie du kennt sich ja bestens aus!“ Den anderen verwirren? „Gibt es noch andere Themen, über die wir sprechen können?“ Dem anderen Paroli bieten? „Dann passen wir ja gut zusammen!“ Den anderen ins Leere laufen lassen? „Vielleicht hast du ja Recht!“ Oder einfach schweigen - still leiden? Oder sich wie ein begossener Pudel verhalten - vom Acker machen?

Während noch beide im Nebel ihrer Gedankenblitze stochern, hören sie das Lied einer Nachtigall: „Wisst ihr eigentlich, dass ihr beide unendlich geliebt seid, nur ein Leben habt und im Leben aufeinander angewiesen seid? Dass ihr euch um neue Erkenntnisse streiten sollt, jedoch ohne den anderen zu verletzen, weil keiner den Stein der Weisheit besitzt? Streitet mit Anstand und Fairness! Haltet auch Abstand zu euch selbst, um innere Freiheit und neue Nähe zu gewinnen. Damit die unbekannte Bedrohung bekannter und bewältigt werden kann.“

Nur ein Engelsgesang einer Nachtigall? fragen sich beide.

Da endet die Nacht und die Sonne geht auf – über dem Pfau, der Katze und allen anderen. Und einigen fällt es wie Schuppen von den Augen: Ist nicht durch Gottes unbegreiflich solidarische Liebe ein Neuanfang möglich?

Die heute noch Kraft zur Versöhnung und zur Verantwortung vermittelt, um besonders wehrloses Leben zu schützen - bis Gott selbst letzten Sinn im erweiterten Horizont des Glaubens schenkt.

Februar

1. Woche
Die Kronzeugin

Das Schicksal saß auf der Anklagebank. Es hatte überraschend zugeschlagen. Brutal und hart, unsichtbar und unfair. Der Richter fragte: „Warum?“ Und der Staatsanwalt wies auf die heimtückischen Zerstörungen hin. Es habe zudem keine Zeit gegeben, sich auf diese Schläge vorzubereiten.