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Hans Jürgen Kugler, René Moreau (Hrsg.)
Macht & Wort
Macht der Sprache – Sprache der Macht

Mit Beiträgen von:
Uli Bendick, Maike Braun, Christopher Ecker, Christian Endres,
Kai Focke, Klaus N. Frick, Dominik Irtenkauf, Michael K. Iwoleit,
Heidrun Jänchen, Hans Jürgen Kugler, Christian Manske,
Monika Niehaus, Nicole Rensmann, Alexa Rudolph,
Friedhelm Schneidewind, Rainer Schorm, Robert Schweizer,
Nele Sickel, Angela und Karlheinz Steinmüller, Andrea Timm,
Jörg Weigand, Karla Weigand, Wolf Welling
und Werner Zillig.

Und Grafiken von:
Uli Bendick, Mario Franke, Jan Hoffmann und Michael Vogt.

Umschlagillustration von:
Michael Vogt

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Hans Jürgen Kugler, René Moreau (Hrsg.)

MACHT
& WORT

Die Macht der Sprache
– Sprache der Macht

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Originalausgabe

Vertrieb für den Buchhandel:

Privatkunden und Mailorder:

Layout: www.benswerk.com

ISBN:

Dieses Buch gibt es auch als E-Book –
bei allen Anbietern und für alle Formate.

Unsere Bücher kann man auch abonnieren: www.shop-hirnkost.de

INHALT

Vorbemerkung

Was schreibt, das bleibt

Christian Endres: Die Finger verbrennen, den Geist entfachen

Nicole Rensmann: Reden ist Macht

Rainer Schorm: Ǣmaitjōn – Scissors 4.0

Christopher Ecker: Vom Sitzen unterm Hollerbusch

Computer streiten nicht

Hans Jürgen Kugler: Davida

Robert Schweizer: She Loves You (Yeah, Yeah, Yeah)

Maike Braun: Hamilton vs. Moore

Christian Manske: Kalliope

Michael Iwoleit: MindMorph

Großer Bruder

Nele Sickel: Justiti.b 21

Andrea Timm: Diktierter Weltfrieden

Alexa Rudolph: Rede an die Waldameisen

Uli Bendick: MachtWorte

Unter der Maske

Klaus N. Frick: Nur ein alter Gärtner

Angela und Karlheinz Steinmüller: Abschied von Melchizedek

Heidrun Jänchen: Die große Stille

Kai Focke: Die Aktuelle Live-Schaltung vom 8. Juni 2049

Dominik Irtenkauf: Miss Verständnis

Jörg Weigand: Der Spezialist

Die Vergangenheit der Zukunft

Werner Zillig: »Führer befiehl …«

Monika Niehaus: Die Mutantin

Wolf Welling: Manifestationen

Friedhelm Schneidewind: Das Versprechen des Schmerzes

Karla Weigand: … Causa Finita!

Autor*innen und Herausgeber

Grafiker*innen

Grafiken

Uli Bendick

26, 186, 335

Mario Franke

10, 66, 80, 88, 109, 124, 132, 156, 162, 195, 198, 234, 254, 259, 271, 274, 323

Jan Hoffmann

167, 177, 203, 312

Michael Vogt

22, 34, 51, 248, 282, 305

VORBEMERKUNG

Autor*innen über das Autoritäre

Orwells Neusprech ist längst in Politik und Wirtschaft angekommen. »Alexa« hat für alles und jeden ein offenes Ohr. Satire darf alles – aber muss sie das auch?

Wer das Wort führt, führt auch Menschen, übt Macht aus. Das Verhältnis von Sprache und Macht ist unabhängig voneinander nicht zu denken. Die Sprache bestimmt unser Denken und gleichzeitig sind wir es, die unsere Sprache bestimmen. Das wirft Fragen auf.

Wer hat in Zukunft das Sagen? Und mit welchen Mitteln werden sich diejenigen ausdrücken, die das Sagen haben – wenn »alternative Fakten« als alternativlos erklärt werden? Welche Propagandaalgorithmen werden uns zukünftig manipulieren? Und lässt sich künstliche Intelligenz überhaupt beherrschen?

Macht die Macht uns am Ende sprachlos?

Zu folgenden Themenfeldern haben unsere Autor*innen versucht, eine mögliche Zukunft zu skizzieren:

Was schreibt, das bleibt – Der Hort der letzten Erinnerung

Computer streiten nicht
Von künstlicher Intelligenz und natürlicher Dummheit

Großer Bruder – Am Anfang war das Wort. Am Ende das Diktat.

Unter der Maske – Nichts ist, wie es scheint.

Die Vergangenheit der Zukunft –
Früher war die Zukunft auch schon besser.

Die Herausgeber

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WAS SCHREIBT, DAS BLEIBT

Hort der letzten Erinnerung

mit den Storys

von der wilden Ära der Bücher

vom Glück der Worte

von der unbestechlichen Autokorrektur

vom Hollerbusch

DIE FINGER VERBRENNEN, DEN GEIST ENTFACHEN

von Christian Endres

1.

Der Auftrag kam nicht per Mail, Message oder Anruf wie gewohnt aufs Tablet, sondern per Brief. Ja, ein Brief, kein Witz. Ganz altmodisch. Oder auch nicht: Auf Papier und von Hand geschrieben, das sehr wohl – aber außerdem um einen rauen Stein gewickelt, mit einem Stück Schnur befestigt und wie ein unförmiger Baseball durch ein Fenster meiner Wohnung im ersten Stock geworfen.

Als ich mit zwei Einkaufstüten bepackt in meine winzige Bude trat, die zugleich mein winziges Büro ist (vielleicht ist’s auch genau andersherum), erwarteten mich Schnur, Schreiben, Stein und Scherben auf meinem Schreibtisch.

Vorsichtig fegte ich die Glassplitter zur Seite, säbelte die Schnur mit einem Messer auf, wickelte das Blatt vom Stein und stellte überrascht fest, dass mit dem Brief fünf zerknitterte Geldscheine gekommen waren, die für zwei Monatsmieten reichen sollten.

Ich strich das Papier glatt. Die Nachricht war kurz und in sauberen Druckbuchstaben geschrieben, die sich leicht zur Seite neigten. Es war ungewohnt, etwas Handschriftliches zu lesen, ohne Hintergrundbeleuchtung, ohne Zoomen und Scrollen.

Finden Sie 9783949452192.

Wichtig: Ermittlung komplett offline.

Hälfte der Bezahlung vorab & anbei.

Tut uns leid wegen des Fensters.

Aber Scherben bringen Glück.

Suchen Sie uns, wenn Sie haben, was wir wollen.

Wir erwarten Sie.

Mein detektivisches Interesse war angesichts der Kontaktaufnahme und der Nachricht definitiv geweckt. Die Kohle tat ihr Übriges dazu, mich die Anfrage ernst nehmen zu lassen; selbst nach Austausch der Fensterscheibe würde allein von dieser ersten baren Hälfte des Honorars genug übrig bleiben.

Zudem hatten ich und mein Ego einen interessanten, in mehr als einer Hinsicht lohnenswerten Fall bitter nötig.

Leider hatte ich keinen Dunst, was 9783949452192 bedeuten sollte, und es war ewig her, dass ich einen Auftrag ohne Online-Recherche und -Schnüffelei bearbeitet hatte. Wieso auch, in einer durch und durch digitalisierten Welt?

Ich klebte notdürftig ein Stück Karton von innen über das kaputte Fenster. Anschließend rasierte ich mich, zog ein sauberes Hemd an, band eine Krawatte um, schlüpfte in mein Jackett, setzte meinen Hut auf und ging los, um auf die altmodische Art ein paar Erkundigungen einzuholen.

Im Erdgeschoss trat ich auf die Straße und blickte zum Himmel. Jenseits des ewigen, allgegenwärtigen Stroms aus Überwachungs- und Lieferdrohnen konnte ich ein annehmbares Blau ausmachen. Keine Regenwolke weit und breit. Meine Bleibe würde fürs Erste demnach nicht geflutet werden.

Na also.

Dieser Fall ließ sich doch ganz gut an.

2.

Zuerst musste ich herausfinden, wofür diese Zahlen standen.

Eine Adresse? Eine Serien- oder Rechnungsnummer? Ein Lotterielos? Ein Nummernschild? Eine Servernummer? Einen Schiffscontainer im Hafen? Eine Implantat-Registriernummer? Ein Schließfach in einer Bank oder an einem Bahnhof? Einen Flug, ein Flugzeug oder einen Zug? Ein Formular des Ministeriums? Eine Tracking-Nummer zur Sendungsverfolgung oder für ein Haustier?

Die Ziffernkolonne konnte alles Mögliche sein, zu allem Möglichen gehören. Und wenn wir schon dabei waren: war sie vollständig oder ein Fragment, und wenn, der Teil am Anfang, in der Mitte oder am Ende?

Viele Variablen.

Doch ich hatte über die Jahre ein paar nützliche Kontakte geknüpft, darunter Spezialisten für die obskursten Dinge und Disziplinen.

Einer dieser Experten war der alte Leo, der früher einmal mit allem gehandelt hatte, wofür es eine Nachfrage gab, egal wie abseitig, illegal oder gefährlich. Sie erwischten ihn, er saß seine Zeit ab, und nun hockte er hauptsächlich in der Kneipe im Erdgeschoss des Mietshauses gegenüber.

Dort erwischte ich ihn trotz der frühen Stunde. Wie üblich sah Leo aus, als hätte er in der Bar oder auf der Bank davor übernachtet. Ich setzte mich auf den Hocker neben ihm an die Theke, an der in einigem Abstand nur noch ein anderer alter Zausel saß und die Morgennachrichten in den Feeds und Blogs auf seinem Tablet las.

»So was schon mal gesehen?«, fragte ich Leo und schrieb die Zahlen, die ich mir eingeprägt hatte, mit dem Finger und etwas stinkendem Grauschwarz aus dem nächsten Aschenbecher auf den Tresen.

Leo nippte an seinem starken, schwarzen Kaffee, dem lange vor Mittag der erste starke, goldene Whiskey folgen würde, und zog an seiner Zigarette. »Ich glaub, solche Nummern haben sie früher für diese Dinger benutzt. Diese … wie hießen sie noch? Genau, diese … Bücher.«

Bücher? Da klingelte bei mir gar nichts; ich nickte, weil ich mir das nicht raushängen lassen wollte. Außerdem spürte ich wieder einmal, dass meine Gedanken wie ein Lesegerät über fehlende, lückenhafte Daten stolperten, die nicht mehr da waren, wo sie hätten sein sollen, wo sie einmal gewesen sind. Ältere Menschen wie Leo hatten vermutlich in manchen Bereichen noch ein paar Erinnerungsfragmente mehr. Wir anderen … wir spürten oft, dass etwas fehlte, ohne je zu wissen, was genau.

Wenn ich mich nicht irrte, waren diese Bücher so etwas wie eReads – sie gehörten einer nebulösen und wilden Ära der Unordnung an, der Zeit vor dem Krieg, der vieles verwandelt, einige Erinnerungen geraubt und verändert hatte. Vor der Zäsur. Vor dem Ministerium und der Ordnung.

Genau genommen sprachen wir hier über verbotene Dinge.

Nicht, dass mich das davon abgehalten hätte, mich weiter zu erkundigen. »Eine Idee, wo ich mehr erfahren könnte?«

»In einer Bücherei?«, schlug Leo müde vor. »Du weißt schon. Wo früher angeblich die ganzen alten Bücher standen.«

Ich hatte keinen blassen Schimmer. »Schall und Rauch, mein Alter.«

»Das«, sagte Leo nach einem weiteren Schluck Kaffee bewusst umständlich, »ist so nicht ganz korrekt.«

»Was soll das heißen?«

»Ich glaub, mit einem Whiskey könnt ich mich gleich viel besser erinnern, Junge …«

3.

Ich fand das Gebäude anhand von Leos Wegbeschreibung ohne Probleme. Es lag in einer miesen Gegend, in der kaum noch Drohnen flogen, erst recht keine Lieferdrohnen. Die mehrstöckige Bruchbude war außen wie innen total heruntergekommen. Die Menschen, die sie behausten, passten dazu: schmutzig wirkende, zottelige Männer und Frauen, Greise und Kinder und alles dazwischen. Sie trugen abgetragene Klamotten, rochen, husteten, kratzten sich und schnieften. Die meisten campierten mit ihrem wenigen, in Tüten oder Rucksäcke gestopften Hab und Gut auf dem versifften Teppich. Ein paar lange Regalreihen an den Wänden und mitten im Raum, deren Einlegebretter mit Gerümpel und Blumenkübeln vollgestellt waren, sorgten im Ansatz für einen Hauch von Privatsphäre, die Illusion von Wänden, Fluren und Zimmern.

Ich hielt nach einer Person Ausschau, die mehr als Altkleider und den Dreck von letzter Woche trug.

Die junge Frau, die ich erspähte, wirkte wie eine Lehrerin, deren Pensionierung in weiter Ferne lag und die schmerzlich genau wusste, wie viele Tage sie noch einem Haufen Kinder dabei zusehen würde, geistlos auf ihre Tablets zu glotzen und darauf herumzudrücken.

»Ich kenne diesen Ort nur als Obdachlosenheim«, beantwortete sie meine Frage. »Kann sein, dass es vor dem Krieg etwas anderes war.«

»Eine Bücherei?«

»Eine was? Keine Ahnung. Da war ich noch nicht mal auf der Welt. Vor dem Krieg, meine ich.«

Ich versuchte, mir meine Frustration nicht anmerken zu lassen. »Erinnert Sie diese Nummer an etwas?«, fragte ich stattdessen und sagte artig die Zahlenreihe auf - so einen Schüler wünschte sie sich bestimmt.

Sie hörte zu, runzelte die Stirn. »Nein, da klingelt nichts. Sorry. Ich muss jetzt auch weiter, heute kommt ein potenzieller Sponsor.« Sie rauschte davon, blieb aber plötzlich stehen und drehte sich noch einmal zu mir um. »Wenn Sie sich für diese alten Sachen interessieren, sprechen Sie mal mit Dimitri. Zweiter Stock, rote Brille, grauer Vollbart, dicker Zopf bis zum Arsch. Zeug von früher ist sein Thema.«

Hätte nicht gedacht, dass sie Arsch sagen würde.

Machte sie mir direkt sympathisch.

Ich erklomm die Treppe und durchquerte ein Labyrinth aus Regaltrennwänden voller Kram und Kübeln.

Inmitten dieses Irrgartens stöberte ich Dimitri auf, leuchtend rote Brille, grauer Bart und jepp, dicker Zopf bis zum Arsch. Ich stellte mich kurz vor und schrieb meine mysteriöse Nummer in den Staub eines Regalbodens neben uns.

Dimitri besah sich die Zahlen. »So was hab ich lange nicht gesehen«, sagte er schließlich bedächtig.

»Sie wissen, was das ist?«

Er nickte. »Mein Großvater war einer der letzten Sammler, bevor Bücher endgültig verboten wurden. Familiengeschichte, wenn Sie so wollen.«

Schon wieder diese Bücher, aber ich schwieg.

»Vor dem Krieg«, fuhr Dimitri fort. »Das ist eine Nummer für gedruckte Bücher. Heute kennt so was kaum noch wer. Verdammt, die meisten haben noch nie ein echtes Buch gesehen. Sie? Nee, ich auch nicht, leider. In diesen Regalen standen mal lauter Bücher, können Sie sich das vorstellen? Jetzt ist natürlich alles nur noch digital, damit die es kontrollieren können. Das heißt, synchronisieren, wie sie es nennen.« Er sah zu ein paar Kindern und Erwachsenen in der Nähe, die an ihren überholten Tablets hingen, dem Mittelpunkt all unsren Tuns, ob reich oder arm. »Schätze, das sollten wir überhaupt nicht bequatschen. Die Kameras und Mikros überall … ich will keinen Ärger mit dem Ministerium.«

»Ach was«, tat ich seine Bedenken ab, froh, endlich weiterzukommen. »Haben Sie eine Ahnung, wo ich das zu dieser Nummer gehörende Buch finden könnte?«

»Woah, Kumpel!« Dimitri wich mit erhobenen Händen vor mir zurück und trat eilig zwischen zwei Regale, die uns überragten. »Sie sind auf der Suche nach einem echten Buch? Das wird mir jetzt zu heftig. Über solche Dinge sollte man echt nicht reden, wenn man nicht in einem dunklen Loch enden will.«

Bevor ich etwas Beschwichtigendes sagen konnte, war Dimitri um die nächste Ecke verschwunden. Ich eilte ihm nach, doch als ich den von Regalen gesäumten Gang erreichte, war er fort, als hätte es ihn nie gegeben.

Gerade als ich fürchtete, dass meine heiße Spur umgehend wieder kalt wurde, ertönte eine Flüsterstimme aus dem Labyrinth.

»Sie suchen den Hort der letzten Erinnerung«, drang Dimitris Wispern wie aus weiter Ferne zu mir.

»Danke«, sagte ich.

Stille antwortete mir.

4.

Ich ging zurück in mein wohnliches Büro, um über das alles nachzudenken, nach der Pappe vor dem Fenster zu sehen und mir ein Sandwich zu machen.

Mir war gerade mal ein Bissen vergönnt, als die Wohnungstür aufflog und zwei Kerle in schwarzen Anzügen eintraten.

Sie mussten sich nicht extra als Agenten des Ministeriums für Synchronisation und Ordnung ausweisen.

Es gab auch kein Vorspiel. Einer der beiden beugte sich über meinen Schreibtisch und schlug mir das Sandwich aus der Hand, als würde er mir eine beiläufige Ohrfeige geben.

»Sie sollten keine weiteren Fragen über Bücher stellen«, sagte er außerdem.

»Sonst wird es sehr unangenehm«, fügte der andere hinzu.

»Noch unangenehmer als zwei Clowns in meinem Büro?«, fragte ich unbeeindruckt, obwohl mein Herz raste.

»Netter Pappkarton«, sagte derjenige, der mein Sandwich angegriffen hatte, mein geflicktes Fenster betrachtend. »Aber ist das sicher? Da könnte man leicht rausfallen.«

Damit zogen sie wieder Leine.

Ich hob mein Sandwich vom Boden auf, pustete es ab, aß weiter und dachte noch etwas angestrengter nach.

5.

Nun wusste ich, was die Nummer bedeutete, jedoch nicht, worum es sich bei diesem Hort der letzten Erinnerung handelte. Einen geheimen Treffpunkt? Einen Schwarzmarkt? Eine Underground-Kultstätte? Eine Serverfarm? Ein Restaurant? Einen Club? Einen Bunker? Ein Museum, das nicht vom Ministerium mit Wissen und Wahrheit bestückt wurde?

Ich hätte gern Leo gefragt, doch sein Stammplatz am Tresen war verwaist. »Leo gesehen?«, fragte ich Daniel, der gerade Schicht hinter der Bar hatte.

»Nur kurz«, antwortete er, ohne damit aufzuhören, den Kühlschrank mit Bierflaschen und Energy-Drink-Dosen zu bestücken. »Zwei Kerle in Anzügen haben sich mit ihm unterhalten. Danach hat er sich flugs vom Acker gemacht.«

Das war ungünstig.

Möglicherweise hatte ich übertrieben, als ich die vielen Experten erwähnte, die mir zur Verfügung standen.

Mit Leo aus dem Spiel, blieb im Grunde nur noch Giselle.

Auf dem Weg zu Gis Laden hatte ich das Gefühl, verfolgt zu werden, aber wer konnte das bei all den surrenden Drohnen über unseren Köpfen schon sicher sagen?

Gi betrieb einen kleinen Gebrauchtwarenhandel und Reparaturservice für Alltags-Tech aller Marken. Sie hatte Connections zum Schwarzmarkt und bekam ihre Teile zu entsprechend guten Konditionen.

»Sagt dir der Hort der letzten Erinnerung was?«, fragte ich nach ein bisschen Smalltalk. Der enge Verkaufsraum, hinter dem nur noch eine längliche Werkstatt lag, war bis auf uns leer. Er quoll über vor Geräten und Kisten mit Komponenten, Ersatzteilen, Kabeln und Akkus.

Gi schüttelte den Kopf, was ihre Locken tanzen ließ. »Nie gehört. Mir reichen aber auch die Erinnerungen, die ich an dich hab und nicht loswerde.«

Hatte ich erwähnt, dass Gi und ich mal zusammen waren?

Spoiler-Alarm: Es gab kein Happy End, obwohl wir inzwischen wieder halbwegs zivilisiert miteinander redeten.

»Ich arbeite an einem Fall, Gi.«

»Führt der dich wieder ins Schlafzimmer einer Stripperin?«

»Sie war Go-go-Tänzerin.«

»Oh, entschuldige bitte vielmals!«

Wie gesagt: halbwegs zivilisiert.

Wir sahen einander an.

»Sorry«, sagten wir beinahe gleichzeitig; Gi wegen ihrer Aggressivität, ich zum x-ten Mal, weil ich ein Idiot war.

»Ich hab eine Nummer zu einem Buch, das ich finden soll«, führte ich aus. »Jemand sagte mir, ich soll es an einem Ort versuchen, den man den Hort der letzten Erinnerung nennt.«

»Nummer zu einem was

»Einem Buch. Vorkriegskrempel.«

»Also verboten.« Sie überlegte kurz. »Einer meiner Geschäftspartner« – ihre Betonung und ihre Körpersprache gaben mir genügend Hinweise auf die Natur ihrer Geschäftsbeziehung, und etwas in mir knurrte ungehört – »hat mal einen Ort voller Erinnerungen erwähnt, der einen reich machen könnte, an dem man sich aber die Finger verbrennen würde.« Sie nannte mir die Adresse ihres Bekannten und wirkte nachdenklich. »In was bist du da diesmal reingeraten?«

»Schwer zu sagen. Ich hatte jedenfalls bereits Besuch von Ministerium.«

Gi verzog das Gesicht. »Sei vorsichtig, ja?«

Ich tippte mir an die Hutkrempe. »Du kennst mich doch.«

»Eben deswegen.«

6.

Sie stürzten sich in einer Gasse auf mich.

Ich musste ordentlich einstecken. Selbst nachdem ich zu Boden gegangen war, hagelte es noch Prügel und Tritte.

»Letzte Warnung«, sagte einer der Kerle, der wie jemand klang, der Leuten grundlos ihr Sandwich aus den Händen schlug oder ihnen drohte, sie aus einem Fenster zu werfen.

Sie ließen mich wie Abfall in der Gosse liegen, wo ich den rissigen Teer vollblutete und das Bewusstsein verlor.

7.

Ich erwachte und stellte fest, dass man mir meine Würde und meinen Geldbeutel geklaut hatte – gut, dass ein Großteil meines Honorars zu Hause neben dem Brief meiner anonymen Auftraggeber unter der losen Bodendiele deponiert war.

Mit einiger Mühe kam ich auf die Beine, setzte meinen zerbeulten Hut auf und schleppte mich durch die Dunkelheit zurück in meine Bude, wo ich mich wimmernd aufs Sofa hievte und rasch wieder wegdämmerte.

Mitten in der Nacht schreckte ich von einem Knall hoch, doch es war nur der Wind, der die Pappe von meinem Fenster abgerissen hatte, die daraufhin nach innen gefallen war.

Ich setzte mich auf, stöhnte und ermahnte meine Selbstheilungskräfte, ein bisschen Gas zu geben. Zur Sicherheit unterstützte ich sie mit ein paar Pflastern, etwas Salbe, einer Handvoll Schmerztabletten, einem Bier und einer Zigarette.

Jeder Zug und jeder Schluck taten weh, als ich dalag, qualmte, süffelte, grübelte und immer müder wurde.

Ich wusste, dass es Wahnsinn war, weiterzumachen.

Doch Stolz und Trotz waren seit jeher mein Treibstoff.

Mehr denn je wollte ich diesen ominösen Hort der letzten Erinnerung finden und rauskriegen, wieso das Ministerium plötzlich solch ein Interesse an einem mickrigen Privatdetektiv hatte.

8.

Am nächsten Tag ging ich zu Gis Lieferanten, der nicht allzu begeistert darüber war, dass ich in seiner Werkstatt – seiner Ausschlachterei von gestohlenen Küchengeräten – aufkreuzte.

»Hort der letzten Erinnerung? Das sind nur Gerüchte«, wiegelte er ab. »Und wie ich Gi schon sagte: Da verbrennt man sich eh die Finger dran, wenn nicht. Ich würd’s lassen.«

»Alles klar. Ich weiß eh Bescheid. Wollte nur noch eine zweite Meinung einholen, ob es sich lohnt oder nicht, bevor ich nachher wirklich hingehe.«

Ich nickte ihm zu – und verpasste ihm einen ansatzlosen Kinnhaken, der ihn von den Beinen holte.

Er sah wie ein getretener Hund zu mir auf. »Wofür war das denn, Mann? Ich hab dir alles gesagt, was ich weiß!«

Ich sah ihn an. »Gi? Ich würd’s lassen …«

Und Gi mich umbringen, wenn sie hiervon erfuhr.

9.

Gis Bekannter sollte mein Köder sein.

Das Ministerium überwachte mich garantiert noch. Wenn sie beobachteten, dass ich mit dem Kerl sprach, würden sie ihn ausquetschen und sehen, was er wusste – und ihnen würde er alles sagen. Auch, dass ich ihm erzählt hatte, längst im Bilde und unterwegs zu sein. Sie würden daraufhin hoffentlich nachsehen gehen, ob im Hort der letzten Erinnerung alles in Ordnung war.

Ich musste nur in einem Versteck mit Blick auf die Werkstatt Posten beziehen, mich still verhalten und geduldig sein.

Lange warten musste ich nicht.

Als sie mit dem Knilch fertig waren, folgte ich ihnen in einem Taxi, dessen Fahrer auf meine Anweisung hin gebührenden Abstand hielt.

So führten mich die Typen vom Ministerium zu dem Ort, von dem sie mich unbedingt fernhalten wollten.

10.

Der Hort der letzten Erinnerung war eine schnöde, dreckige Lagerhalle unter vielen, direkt am übel riechenden Fluss, so nichtssagend und uninteressant wie es nur ging.

Sowie die beiden Scheißkerle nach ihrem berufsbedingt-paranoiden Kontrollgang wieder herauskamen und davonfuhren, wartete ich noch etwas, ehe ich mir zwischen zwei vorbeikommenden Überwachungsdrohnen an einer Hintertür Zugang zu der Halle verschaffte, deren Grundfläche der Größe eines Sportplatzes entsprach. Wände und Boden bestanden aus Metall. Zu meiner Überraschung war die Lagerhalle über und über mit unterschiedlich dicken, bunten Vierecken aus Papier und Karton gefüllt, die sich auf wüsten Stapeln, abenteuerlichen Pyramiden und wilden Haufen türmten. Sie sahen ziemlich lädiert aus.

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Das mussten dann wohl diese Bücher sein.

Und sie alle hatten Nummern wie die, nach der ich suchte.

»Interessant«, sagte ich zu niemand anderem als mir selbst – und machte mich in Anbetracht der Gelegenheit auf die Suche nach dem Buch, das zu meiner Nummer passte, wofür ich massig Buchaußen- und Innenseiten sichten musste. Bei meinem archäologischen Vorwärtsdrängen brachte ich ein paar wackelige Türme des Bücherschrottplatzes zum Einstürzen, sorgte für noch mehr Knicke, Risse und Knautschen.

Ich wühlte mich mehrere Stunden durch die Bücherhaufen. Hielt mich an die Stapel und Berge, die ich ohne größere Schwierigkeiten freiräumen und untersuchen konnte.

Auch wenn ich nicht genau fand, was ich suchte, fand ich doch genug. Irgendwann gab ich die Suche nach meiner Nummer auf, klaubte einfach einen der zerfledderten Bände heraus, schlug ihn auf und begann, neugierig darin zu blättern und schließlich richtig zu lesen.

Es standen ein paar spannende Sachen in diesem Buch.

Mehr Gedanken und Ideen, als eine E-Mail, ein Posting oder ein altmodisches Flugblatt je fassen könnten, bevor das Ministerium sie fand und schnell aus der Welt schaffte.

Ich hob den Kopf, musterte diese Grabkammer. Wenn in den anderen Büchern Ähnliches wartete, wunderte es mich kein Stück, dass das Ministerium nicht scharf darauf war, dass jemand Fragen stellte oder diesen Ort durchstöberte.

Wieso entsorgten sie die verfänglichen Bücher aber nicht einfach? Arroganz und Hybris, nehme ich an. Wie immer.

Ich versuchte mir vorzustellen, wie viele dieser Hallen es in der Gegend, der Stadt, in anderen Städten gab.

Wie viele Bücher noch existierten.

Ein durchdringender Signalton wie ein Nebelhorn riss mich aus meinen Gedanken. »Verbrennungsvorgang gestartet«, sagte eine geschlechtsneutrale Computerstimme obendrein feierlich.

Ein Knistern in einem unsichtbaren Lautsprecher, und eine nicht mechanische und mir sogar vertraute, aber deshalb keineswegs menschlichere Stimme sagte: »Raten Sie, wer noch mal zurückgekommen ist, um dem Fuchs im Hühnerstall Hallo zu sagen. Die Hunde. Sie hätten auf uns hören sollen, Sie Schlaumeier.«

Die Sprinkleranlage an der Decke ging an und verteilte einen beißendchemischen Regenschauer über mir und den Bücher-Gebirgszügen. Der Schauer versiegte, und sogleich schossen aus mehreren Düsen in den Metallwänden fauchende Feuerstöße.

Die Bücher ringsum brannten sofort lichterloh.

Ich ließ meine Lektüre fallen, riss mir meinen mit Brandbeschleuniger durchnässten Mantel vom Körper und schleuderte den Hut hinterher. Dann rannte ich los, aber es war zu spät: Feuer, Rauch, Hitze und Papierfetzen waren überall – ein Albtraum aus brennenden Büchern und lodernden Flammen, und ich mittendrin. Ich hustete mir die Seele aus dem Leib, was meine angeknacksten Rippen aufschreien ließ, und ging auf alle viere, um es dem Rauch wenigstens ein klein wenig zu erschweren, mich umzubringen.

Meine Hände strichen panisch über den Metallboden, den ich vor Qualm nicht mehr sah. Etwas Scharfkantiges schnitt mir in die Finger, und ich zuckte würgend zurück.

Scherben bringen Glück, schoss es mir plötzlich durch den Kopf, und ich zwang meine Hände, weiterzutasten, den Schmerz geradewegs zu suchen. Krabbelnd und mit tränenden Augen folgte ich der beißenden Spur aus Scherben.

So erreichte ich ein Abflussgitter, das ich anheben und durch das ich mich in die herrlich stinkende und nasse Umarmung der Kanalisation werfen konnte.

11.

Meine Kleidung war versengt, ich hatte Verbrennungen und Brandblasen am Körper, im Gesicht und an den zerschnittenen Händen, ich war erschöpft, mein Lieblingshut war fort, ich war am Ende meiner Kräfte - aber ich lebte.

Die Lust aufs Rauchen war mir allerdings vergangen.

Ich wankte aus einem tunnelartigen Abflussrohr dem schwindenden Abendlicht entgegen. Den Ruinen aus Beton und Rost, den abgemagerten Hunden, der Abwesenheit von Drohnen und den in den Schatten umherhuschenden Gestalten nach zu urteilen, befand ich mich jenseits des Stadtrands.

Und jetzt?

Das Ministerium hielt mich für tot. Wenn ich mich von meiner Wohnung, der Kneipe, Gi und den Kameras in Drohnen und Tablets fernhielt, mochte das eine Weile so bleiben, was mir gewisse Freiheiten brachte.

Die Bücher waren verbrannt. Ich hatte jedoch genug gelesen – und mir vieles gemerkt.

Das Fegefeuer des Ministeriums war für mich zu einer Ideenschmiede der Wahrheit geworden; einer Feuertaufe, aus der ich verändert hervorgegangen, in der etwas in meinem Geist entfacht worden war. Jetzt wollte ich dafür sorgen, dass es anderen ebenso erging und gewisse Dinge niemals mehr in Vergessenheit gerieten.

Aber ein Schritt nach dem anderen.

Zuerst musste ich meine Auftraggeber finden, die den Stein ins Rollen gebracht hatten, indem sie ihn durch mein Fenster warfen.

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REDEN IST MACHT

von Nicole Rensmann

»Reden ist Macht«, prangte in großen Buchstaben über dem Bogentor des Rathauses, protzige Lettern aus purem Gold, die eine Epoche des Reichtums und Überflusses beschrieben.

Bo hatte sich im Rathaus für den Chefposten im Finanzbüro beworben. Er wies eine gute Ausbildung und ein paar Jahre Erfahrung an der Börse vor. Sein Herz klopfte bis zum Hals, als er die Stufen zum Eingang hinaufstieg. Dreißig Stufen, für jeden Tag des Monats eine. Die Treppe mit besonderer Bedeutung. Er hatte sie noch nie aus der anderen Perspektive betrachten müssen, stehend, mit verschränkten Händen auf dem Rücken, den Kopf vor Scham gesenkt.

Die Stufen hinaufzugehen, fühlte sich episch an. Er bemerkte, dass ihn die Vorstellung erregte, auf dem Treppenabsatz durch die schwere Marmortür in das Reich der Stadtverwaltung zu treten. Ein kühler Wind fegte über seinen Kopf hinweg und zerzauste sein Haar, als er mittels des goldenen Klopfers um Einlass bat. Jegliches euphorische Gefühl verebbte, nun war er ein kleiner Bewerber, der den Machtvollen gegenübertreten und auf sein Können hinweisen musste, ohne ein Wort zu sprechen.

Die Türen öffneten sich, ein Untergebener wies Bo die Richtung zum Konferenzraum.

Seine Schuhsohlen quietschten auf dem polierten Parkett, das Herz hämmerte gegen die Brust, Spucke sammelte sich in seinem Mund an, er schluckte und wischte sich über die Mundwinkel.

Das F am KONFERENZRAUM hing schief und schien ein bisschen wackelig zu sein. Die Buchstaben besaßen eine geringere Größe als die vor dem Hauptportal, waren aber ebenfalls aus Gold gegossen.

Während er das wankende F betrachtete, öffnete sich die Tür, eine Frau nickte Bo zu und winkte ihn an sich vorbei in den Raum, wo zehn Machtvolle auf ihn warteten.

Fünf Männer und fünf Frauen saßen nebeneinander an einem langen schmalen Tisch. Alle trugen schwarze Anzüge und weiße Hemden oder Blusen dazu.

Er fühlte sich klein und verwundbar.

»Setz dich!« Einer der Machtvollen wies Bo auf den Stuhl hin, der in etwa fünf Metern Abstand vor dem Tisch stand.

Hastig ging Bo darauf zu und spürte Erleichterung darüber, keine Geräusche beim Hinsetzen verursacht zu haben.

»Du kennst die Regeln?«, fragte die Frau in der Mitte. Ihre blonden Haare trug sie zu einem Dutt hochgesteckt, was sie älter aussehen ließ.

Bo nickte.

»Wir haben dich eingeladen, weil deine Bewerbungsunterlagen überzeugend waren. Du musst bei uns einen Test bestehen. Hast du das verstanden?«

Bo starrte den Mann an, der neben der ersten Frau saß und nickte.

»Wir stellen dir mehrere Fragen, auf die du antworten musst«, sagte ein anderer Mann.

Die Sprache war das höchste Privileg, das die Machtvollen für sich beanspruchten. Wer beim Reden erwischt wurde, landete für vierundzwanzig Stunden auf der Treppe – die Treppe der Scham – Wiederholungstäter kamen direkt in die Fabriken, wo die Hierarchie klar definiert war. Ein Aufstieg zu einem höheren Rang war nicht mehr möglich. Mit den Machtvollen zu sprechen, war ein Vergehen, das hart bestraft wurde, die Treppe spielte dabei keine Rolle mehr.

»Die Prozedur wird dir lang vorkommen. Das ist sie auch. Es liegt an dir, ob du dich für den Job qualifizierst oder nicht«, sagte eine der Frauen und wartete keine Reaktion ab. »Gut, wir beginnen.«

Die zehn Machtvollen stellten Bo je eine Frage, die er nicht mit Nicken oder Kopfschütteln beantworten konnte. Sie zwangen ihn zu antworten, indem sie ihn beschimpften, beleidigten und verbal bedrohten. Erst nacheinander, dann alle durcheinander. Er hatte im Lauf seines Lebens viele spitze Bemerkungen eines Ranghöheren aushalten müssen, diese Worte setzten ihm zu, kränkten ihn, machten ihn klein. Nach einer halben Stunde standen sie auf, kamen näher, umkreisten ihn wie ein Schwarm hungriger Geier und bespuckten ihn mit Fragen. Jedes Wort ein Dolch. Sie wussten genau, wie sie die Spitze ansetzen mussten, um ihn zu verletzen.

Er wollte sich wehren, mit Händen und Füßen, mit Worten und Schreien, doch er hielt der Versuchung stand. Er weinte nicht, er sagte keinen Mucks. Und am Ende der dreistündigen Litanei hatte er den Job.

In den Straßen dieser Stadt herrschte Stille. Leise Selbstgespräche wurden meist geduldet. Wer vor Wut schrie, wurde festgenommen. Wer mit dem Nachbarn über dem Gartenzaun quatschte, bekam eine Geldstrafe und musste auf die Treppe. Das Spielen der Kinder auf den Höfen der Heime klang leiser als der Wind. Das Lachen sah wie eine Grimasse aus. Sie alle kannten es nicht anders.

Als Bo an diesem Tag nach Hause kam, schloss er Türen und Fenster, ließ die Rollos herunter, stellte die Musik laut und schrie! Er schrie all die aufgestaute Angst und die Unterwürfigkeit, das Gefühl von Minderwertigkeit und Einsamkeit hinaus, er schrie gegen die klassische, gesangslose Musik an, bis sich seine Stimme nur noch wie ein Krächzen anhörte. Dann legte er sich auf die Couch und schlief ein.

Schon als Kind hatte sich Bo gewünscht, eines Tages im Rathaus zu arbeiten und einer der Machtvollen zu sein. Dafür hatte er sein persönliches Schweigegelübde abgelegt und sich an die Regeln gehalten. Allerdings erst, nachdem seine rebellische Phase schmerzhaft beendet worden war.

Im Gegensatz zu seinen Kameraden liebte er das Lesen, er verehrte die Sprache, träumte von feingeformten Sätzen und wohlklingenden Wörtern, die sich zu Geschichten vereinten. Wie alle Kinder war er einen Tag nach seinem dritten Geburtstag von den Eltern getrennt worden. Von da an lebte er in einer Gruppe von fünfzehn Jungs in einem Erziehungsheim. Das Reden hatten ihm seinen Eltern gelernt, nun musste er lernen zu schweigen.

Als er die Schrift einstudiert hatte, begann er Worte, die in seinem Kopf melodisch klangen, in ein Buch zu schreiben, formte daraus titellose Gedichte und Geschichten. Das war verboten. Trotz seines Wunsches, ein Machtvoller zu werden, widersetzte er sich dieser Regel. Der Wortzauber verführte ihn, obwohl er nie an dem Gesetz gezweifelt hatte. Das Buch hütete er wie einen Schatz und versteckte es unter einem losen Brett im Boden. Nachts schlich er sich aus dem Haus, in den Wald, verkroch sich in einer unbewohnten Bärenhöhle und las seine Erzählungen den kahlen Steinwänden vor.

Das Klingeln an der Tür riss Bo aus seinem unruhigen Schlaf. Er kämmte sich grob mit den Fingern durch das zerzauste Haar und öffnete die Tür. Ein Untergebener, der Schneider der Machtvollen, nickte Bo zu und ging an ihm vorbei. Sein Equipment trug er in einem Koffer mit sich, den er auf dem kleinen Beistelltisch neben dem Sofa abstellte und öffnete. Er scannte Bos Körpermaße für die Einheitskluft der Machtvollen und verschwand, ohne ein Wort gesprochen zu haben. Bo stand in der Rangfolge über ihm, der Untergebene hatte nicht die Erlaubnis, mit ihm zu reden. Auch Bo hatte in Gegenwart des Schneiders geschwiegen. Erst Jahre später würde er verstehen, warum er sich mit dem Untergebenen auf eine Stufe gestellt hatte.

Bo goss sich einen Whisky ein und dachte darüber nach, welche Aufgaben in den nächsten Jahren an ihn herangetragen werden würden. Wer im Rathaus arbeitete, blieb nicht allein für seine Abteilung zuständig. Die Ranghöchsten gaben die Richtung an. Er wollte zum obersten Rat der Machtvollen, und darüber hinaus. Das war sein Ziel!

Vor dem Wandel hatte sich die Sprache in ein schwer verständliches Kauderwelsch entwickelt. Die Menschen verloren die Fähigkeit, Worte korrekt anzuwenden und positive Emotionen mit dem Gesagten oder Geschriebenen zu wecken. Die schrumpfende Kommunikationsfähigkeit sorgte dafür, dass die Menschen nicht mehr handelten. Es zählte nur noch das Geschwätz. Sprache verwandelte sich in ein machtvolles Instrument, ohne wahrhaftige Aussage. Den Regierungen gelang es nicht, der Verbreitung von Lügen und Verschwörungen entgegenzuwirken. Keiner glaubte mehr an das Wort. Es folgten Krieg und Zerstörung. Zur Rettung der Welt musste der Gesetzgeber handeln. Sie stoppten Verleumdung, Lügen, Verschwörung, Trigger und Mobbing mit einem Gesetz und verboten jegliche Form der kommunikativen Verbreitung. Bücher, Zeitungen, Magazine landeten auf dem Scheiterhaufen. Elektronische Medien, das sogenannte E-Book, Internet, Radio und TV – Bezeichnungen, die für Bo wie aus der Zukunft klangen, jedoch aus der Vergangenheit stammten, wurden abgeschaltet. Als Kind hatte er mit seinen Kameraden aus dem Heim die dazugehörenden Geräte auseinanderbauen und auf einen Schrottplatz verbannen müssen. Sie hatten sich über diese laute Epoche lustig gemacht – leise, still und heimlich, wie es die Art in seinem Leben war.

Seit achtundneunzig Jahren verwalteten die Machtvollen die Sprache. Nur ihnen war es erlaubt zu reden.

Wenige Stunden später brachte der Untergebene Bo die neue Kluft. Zu seinem schwarzen Anzug erhielt er ein rotes Hemd, kein weißes. In dieser Nacht schlief er schlecht, denn der nächste Tag sollte ihn seinem Traum näherbringen, für die Wahrheit zu kämpfen und die Sprache zu behüten.

Seine rebellische Jugendphase endete abrupt, als er von den Erziehern erwischt wurde. Tränen und Stockhiebe waren die Folge. Danach hatte er nicht einmal seine Lust herausgestöhnt, wenn er – längst erwachsen – mit einer Frau geschlafen hatte. Er blieb stumm, bis zu diesem Tag.

Am Morgen stand vor dem Haus ein Auto, das ihn fahrerlos zum eingegebenen Ziel fuhr. Er nahm auf der Rückbank Platz, schnallte sich an und wartete darauf, dass sich das Fahrzeug in Bewegung setzte. Nichts geschah.

Auf dem im vorderen Bereich montierten Monitor zeigte sich ein Guten-Morgen-Gruß, gefolgt von: »Ich warte auf deinen Befehl!«

Bo beugte sich nach vorne und klickte auf den Bildschirm. Der Wagen bewegte sich nicht. Seinen Mut zusammennehmend, denn einen Fehler durfte er sich nicht leisten, flüsterte Bo: »Losfahren.«

Das Fahrzeug setzte sich in Bewegung. Seine Stimme klang heiser, was Bo dem gestrigen Schreien zuordnete – seine Stimmbänder waren ungeübt. Das würde sich ändern.

Ab sofort erhielt Bo Privilegien, die ihn von den Untergebenen abgrenzten. Die laufenden Kosten seines Hauses und seines Lebens übernahm die Stadtverwaltung. Rechnungen existierten für ihn nicht mehr, seine Einkäufe waren ab sofort frei. Er gehörte zu den Großen, den Machtvollen – fast. Solange er noch ein rotes Hemd trug, stand er eine Etage unter den Männern und Frauen, die ihn für seine Einstellung dem Demutstest unterzogen hatten. Nach Rot kam Weiß, doch Bo visierte das schwarze Hemd an, das nur eine Person tragen durfte: Der Oberste.

Das Auto brachte ihn zu einem Hintereingang, den er bisher nicht kannte. Davor standen zwei Männer, die sich unterhielten. Ein seltenes Bild, an das sich Bo erst gewöhnen musste.

Er stieg aus, nickte den beiden Männern zu und schritt auf die Tür zu. Sie trugen rote Hemden, wie er. Bo war der Neue, er würde kein Gespräch beginnen.

Hinter der Tür erwartete ihn ein Android, der ihn freundlich begrüßte. »Guten Morgen, Bo! Ich führe dich an deinen Arbeitsplatz!«

Der Android bewegte sich steif. Bo folgte ihm bis zu einem kleinen Büro. An der Seite der Tür hing sein Namensschild. Sein Herz hüpfte. Er hatte es geschafft!

Zwei Jahre später.

Bo knöpfte das schwarze Hemd zu und betrachtete sein Spiegelbild, im Hintergrund sah er die junge Frau auf dem Bett, die ihn mit großen Augen ansah. Bo wandte den Blick ab. Er verließ sie, ohne ein Wort. Das Auto wartete vor der Tür, er ließ es stehen und ging zu Fuß, der Wagen folgte ihm geräuschlos.

Seine Karriere war steil nach oben gegangen. Nach nur wenigen Monaten hatte er den Sprung in die obere Liga geschafft. Inzwischen war er der Oberste der Machtvollen, gewählt von den Untergebenen, die seine Konsequenz und seine scharfen Worte feierten. Im Laufe der letzten zwei Jahre hatte er viele Menschen auf die Treppe und in die Fabriken geschickt. Seine Worte waren Gesetz. Warum fühlte er sich in letzter Zeit machtlos? Er hatte alles erreicht, was er sich je gewünscht hatte. Nur Glück spürte er nicht.

Eine Stimme flüsterte in seinem Kopf, die rebellische Stimme aus vergangenen Tagen. Er verbannte sie. Sprechen war mit den Machtvollen nicht erlaubt.

Er ging durch die Straßen, vorbei an Untergebenen, die einen Bogen um ihn schlugen. Keine Stimmen, kein Flüstern, nur die Schritte von leisen Sohlen über Asphalt.

Sein Spaziergang führte ihn zum Wald, das Auto parkte und wartete auf Bos Rückkehr. Erste Knospen zeigten sich an den Bäumen, die Luft roch nach Harz und Moos. Er wählte einen Weg, den er zuletzt in seiner Kindheit eingeschlagen hatte, um all die wunderbaren Wörter aufzusagen und Geschichten zu schreiben. Was damals ein Verbrechen gewesen war und ihm Schläge eingebracht hatte, war heute für ihn die normalste Sache der Welt. Mit dem Unterschied, dass ihm die Freude an der Sprache vergangen war. Der Eingang der Bärenhöhle lag versteckt hinter einem Gebüsch.

Er bückte sich, um die Höhle zu betreten. Innen konnte er aufrecht stehen, stieß sich aber zweimal den Kopf. In seiner Erinnerung war die Höhle höher und größer. Hinter der nächsten Ecke lag der Platz, an dem er selbstausgesprochene Worte jungfräulich in seinen Ohren vernommen hatte, nie so laut, dass sie von den Wänden zurückhallten.

Der Platz war besetzt.

Im Schein von zwei Taschenlampen, auf dem Stein, der auch Bo als Stuhl gedient hatte, saß ein Mädchen, vielleicht zehn Jahre alt. In den Händen hielt sie ein Buch, Bos Geschichtensammlung, die er zurückgelassen hatte, nachdem ein Erzieher ihn aus der Höhle gezogen und bestraft hatte. Sie las laut. Ihre Stimme zitterte leicht, klang hell und klar.

Es war einmal ein junger Mann, der in einem Land lebte, ähnlich dem unseren. Es war das Land der Dichter und Denker, der Schriftsteller und Redner.

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Die Menschen lauschten den Geschichten und Gedichten, sie sprachen miteinander in respektvollem Ton und spürten eine innige Verbundenheit, die durch Worte verstärkt wurde. Sprache vermittelte Güte und Vertrauen.

Der Junge mit dem Namen Bo, der in diesem Land lebte, liebte den Klang der Worte. Er hegte den Wunsch, Schriftsteller zu werden, dafür las er viele Bücher, die ihn den Rhythmus der Sprache lehrten.

Bo lauschte dem Mädchen, sein Herz klopfte schneller. Er lächelte. Er war dieser Junge. Aber er hatte vergessen, was Worte in ihm auslösten. Glück. Er hatte sie die letzten Jahre falsch angewendet und nur Unglück damit bewirkt.

Sein rechtes Bein verkrampfte sich und er musste das Gewicht verlagern, dabei stieß er gegen ein paar Steine, die zur Seite kullerten. Das Mädchen drehte sich erschrocken zu ihm um und sprang auf, sie drückte das Buch an ihre Brust und schüttelte den Kopf.

Nimm es mir nicht weg, wollte sie damit sagen. Bitte, nicht auf die Treppe, flehten ihre Blicke.

»Es ist okay«, sagte Bo. »Dein Geheimnis ist bei mir sicher.« Er ahnte, wie verrückt das aus seinem Mund klingen musste.

Bo ging auf sie zu, setzte sich auf einen anderen Stein und hielt seine rechte Hand hin, sie gab ihm das Buch.

Er schlug die ersten Seiten auf und lachte. Seine Handschrift war miserabel. Heute brauchte er nicht mehr schreiben, er diktierte.

Das Mädchen starrte ihn ängstlich an.

»Wie heißt du?«

Sie antwortete nicht. Natürlich nicht. Er war ein Machtvoller, der Oberste.

»Ich bin Bo.«

Ihre Augen weiteten sich.

Er nickte. »Ja, der Bo aus dem Buch. Es ist mein Buch. Als ich so jung war wie du, kam ich auch hierher, bis ich …«

Bo verstummte.

Erwischt wurde, beendete er seinen Satz stumm.

Dieses Regime, das er selbst verkörperte, hatte ihm die Freude an der Sprache geraubt. Er hatte nicht geahnt, welches Verbrechen er damit an den Kindern, der Menschheit und sich selbst verübt hatte. Bo hatte die Gesetze nie infrage gestellt. Er hatte es nicht besser gewusst.

Nach diesem Tag trafen sie sich einmal in der Woche, den gesamten Sommer lang. Mias Phantasie brachte Bo zum Staunen. Sie schrieben zusammen Geschichten und lasen sich gegenseitig vor – Bo, der das Glück fand, und Mia, die es ihm mit ihren Ideen schenkte. Wie Vater und Tochter, Lehrer und Schülerin. Ein stummes Vertrauen, das sie durch Worte und Taten aufbauten.

Jedes Mal verließ Bo das geheime Versteck mit einem Glücksgefühl, das mit jedem Schritt in Richtung Wagen verschwand. Sobald er saß, war nichts davon übrig. Dann war er wieder der erbarmungslose Bo – der Oberste, der das Reden nur den Machtvollen erlaubte. Er verdrängte den Gesetzesbruch, spürte kein schlechtes Gewissen. Nur jeden Mittwoch, wenn er in den Wald ging, fühlte er, wie sich tief in seinem Inneren Widerstand regte.

Eines Tages, die Blätter an den Bäumen färbten sich bunt, verspätete sich Bo. Unter seinem Mantel versteckte er ein Buch, das er aus der geheimen Bibliothek gestohlen hatte. Nur der Oberste und zwei seiner Untergebenen wussten von der Bibliothek. Ihr Zugang führte unter das Rathaus. Bo hatte sie das erste Mal betreten, nachdem er Mia kennengelernt hatte. Vorher hatte er dazu keinen Anlass gesehen. Eine Mitnahme der Bücher war nicht erlaubt. An den Tagen, an denen er Mia traf, widersetzte er sich dem Gesetz, das er sein Leben lang mit Überzeugung vertreten hatte. Das Mädchen hatte ihn verändert.

Das Buch war sehr alt und enthielt Märchen der Gebrüder Grimm. Er freute sich darauf, mit Mia in die Geschichten aus der uralten Zeit abzutauchen. Er eilte über den von Laub bedeckten Boden. Aus der Ferne erkannte er, dass die Lesestunde ausfiel. Er stoppte kurz, versteckte das Buch unter einem umgestürzten Baum. Dann rannte er weiter. Mia lehnte an dem Stamm einer Buche, ein Erzieher hob die Hand mit einem Stock. Bos Herz zerbrach in dem Moment, als der Erzieher den Stock auf Mias schmalen Rücken sausen ließ. Nichts hatte ihm jemals solche Schmerzen zugefügt wie Mias stumme Schreie. »Stopp!« Bo war der Oberste, er stand über dem Erzieher, der sofort von Mia abließ und ein paar Schritte zurückging, den Kopf gesenkt.

»Ich kümmere mich persönlich darum.« Er nahm Mia bei der Hand, zog sie mit sich. Beim Vorübergehen bückte er sich und holte das Buch unter dem Baumstamm hervor, schob es unter den Mantel, in seinen Hosenbund. Gemeinsam verließen sie den Wald und stiegen in den Wagen, der am Rand auf ihn gewartet hatte.

Er legte einen Finger auf die Lippen. Kein Wort. Die Mikrofone im Auto nahmen jeden Ton auf. Außerhalb der Höhle galten Gesetze, die Bo vertrat und zu ihrem gemeinsamen Schutz aufrechterhalten musste.

In seiner Wohnung durfte Mia sprechen, doch das Kind war verschreckt, sie weinte leise. Bo wusste, wie sie sich fühlte. Aus seiner Hausapotheke holte er eine schmerzlindernde Salbe und bat Mia, ihr Shirt hochzuziehen. Ein rotblauer Striemen zeigte sich quer über dem Rücken.

»Ich bin vorsichtig, versprochen.« Sanft schmierte er die Salbe auf die Verletzung und dachte an die seinen. Die Schläge kamen im Sekundentakt, zehnmal. Danach hatte er geblutet und mehrere Wochen nicht auf dem Rücken liegen können. Die Narben waren noch heute sichtbar. Er schüttelte den Kopf, wie hatte er das unterstützen können, all die Jahre? Wie viele Kinder mochten diesen Schmerzen ausgesetzt gewesen sein?

Das musste enden! Aber wie sollte er ein hundert Jahre altes Gesetz kippen? Allein?

Bo richtete Mia ein kleines Zimmer ein, in das sie sich zurückziehen und für sich sein konnte. Er freute sich nach der Arbeit über ihre Gesellschaft. Jeden Tag brachte er ein neues Buch aus der geheimen Bibliothek mit. Mehr und mehr wurde ihm bewusst, in welcher Gefahr er schwebte und gleichzeitig, wie glücklich er mit der Veränderung in seinem Leben war. Wenn jemand herausbekam, dass er Mia bei sich versteckte, verlor er alles, wofür er in jungen Jahren geschwiegen hatte. Dann war er gezwungen, seinen Anzug gegen einen Overall zu tauschen, den er in den Fabriken tragen musste. Auto, Haus und alle Privilegien wären mit einem Schlag verschwunden. Verlustangst war ein vernichtendes Gefühl, mit dem das Regime die Machtvollen unter Druck setzte. Diese Erleuchtung brachte Helligkeit in seine Gedanken, die von Machtbesessenheit und Narzissmus gelenkt gewesen waren.

Bo wollte versuchen, die Untergebenen des Rathauses in eine neue politische Richtung einzuweisen. Es wurde Zeit für seine innere Stimme, die neu geborene Rebellion. Alle Untergebenen sollten spüren dürfen, welch fabelhaften Gefühle, Worte auszulösen vermochten.

Vorher musste er Mia an einen sicheren Ort bringen, den er in ihrer Herkunft zu finden glaubte. Er fuhr allein, an einem sonnigen Herbsttag. Die Luft roch nach frisch gemähtem Gras, am Wegesrand wuchsen wilde Blumen.

Mias Eltern wohnten am Rande der Stadt auf einem der Selbstversorgerhöfe, hielten ein paar Kühe und Schafe, bauten Gemüse und Obst selbst an. Als Mias Mutter Bo erkannte, nahm sie das letzte von fünf verbliebenen Kindern auf den Arm und rannte weg.

»Nein, warte. Ich komme von Mia.«