Liebe Leserin, lieber Leser,

Danke, dass Sie sich für einen Titel von »more – Immer mit Liebe« entschieden haben.

Unsere Bücher suchen wir mit sehr viel Liebe, Leidenschaft und Begeisterung aus und hoffen, dass sie Ihnen ein Lächeln ins Gesicht zaubern und Freude im Herzen bringen.

Wir wünschen viel Vergnügen.

Ihr »more – Immer mit Liebe« –Team

Über Nicole Snow

Nicole Snow ist eine Wall Street Journal und USA Today Bestseller Autorin. Sie entdeckte ihre Liebe zum Schreiben, als sie sich in ihren Mittagspausen oder in langweiligen Büromeetings Liebesszenen ausdachte und sich in Liebesgeschichten wegträumte.

Im Mittelpunkt von Nicole Snows Büchern stehen sexy Alpha-Helden, viel Spannung und noch mehr Leidenschaft.

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Nicole Snow

No perfect Hero

Warren

Übersetzt dem amerikanischen Englisch übersetzt von Sonja Fehling

Inhaltsübersicht

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No perfect Hero

I: Zusammenbruch oben ohne (Haley)

II: Die Flammen werden höher (Warren)

III: War da was? (Haley)

IV: Spiel, Satz und … (Warren)

V: Sieg (Haley)

VI: Geduldsspiele (Warren)

VII: Ein streunender Kater hat auch seinen Stolz (Haley)

VIII: Chaos im Kopf (Warren)

IX: Ich spiele nicht (Haley)

X: Zeit, zuzuschlagen (Warren)

XI: Katastrophengebiet (Haley)

XII: Feindliche Übernahme (Warren)

XIII: Bedeutsames schweigen (Haley)

XIV: Beziehungsfragen (Warren)

XV: Im Himmel zu Hause (Haley)

XVI: Alptraumbalsam (Warren)

XVII: Warte nicht auf mich (Haley)

XVIII: Kleiner Abstecher (Warren)

XIX: Zum letzten Mal davongelaufen (Haley)

XX: Über die Grenze (Warren)

XXI: Ich sage, wann (Haley)

XXII: Erdlöcher (Warren)

XXIII: Sprung ins (Un)gewisse (Haley)

Epilog: Kein perfekter Ehemann (Warren)

No good Doctor

I: Ein verrückter Hund (Ember)

II: Welpenschutz (Doc)

III: So ein Hundeleben (Ember)

IV: Wie Hund und Katze (Doc)

V: Auf den Hund gekommen (Ember)

VI: Vorsicht vor dem Hunde (Doc)

VII: Wie ein bunter Hund (Ember)

VIII: Fledermaushaar, Hundeszahn (Doc)

IX: Wie ein Hund an meinen Fersen (Ember)

X: Ein trauriger Hund (Doc)

XI: Mal die Pfoten hochlegen (Ember)

XII: Gassi gehen (Doc)

XIII: Kampfgebell (Ember)

XIV: Ein geprügelter Hund (Doc)

XV: Wo der Hund begraben liegt (Ember)

XVI: Schlafende Hunde soll man nicht wecken (Doc)

XVII: Eine läufige Hündin (Ember)

XVIII: Wilde Hunde (Doc)

XIX: Hundeelend (Ember)

XX: Vor die Hunde gegangen (Doc)

XXI: Den Letzten beißen die Hunde (Ember)

XXII: Höllenhunde (Doc)

XXIII: Höllenhunde (Ember)

XXIV: Himmelhundjauchzend (Doc)

XXV: Treu wie ein Hund (Ember)

Epilog: Kein Hundeleben (Doc)

Impressum

I: Zusammenbruch oben ohne (Haley)

Es gibt nichts Besseres für eine Frau, um sich wieder wie ein Mensch zu fühlen, als eine Fahrt durch die Pacific-Northwest-Region mit offenem Verdeck und dem Sommerwind im Haar.

Sicher ist das auch irgendwie ein Klischee.

Ein klassischer Mädels-Roadtrip: meine Nichte und ich im Cabrio, alle hundertfünfzig Kilometer einen Erdbeersmoothie schlürfend, während die Götter uns wohlgesonnen sind und die Sonne vom Himmel strahlen lassen. Eigentlich viel zu perfekt.

Wer würde da schon vermuten, dass ich eigentlich vor meinen Problemen davonrenne, mich ins Nichts flüchte, um mich selbst zu finden, nachdem mir grausam das Herz gebrochen wurde.

Aber wenn man seinen Ex-Verlobten mit seiner Ex-besten-Freundin-Schrägstrich-Brautjungfer in einer Umkleidekabine erwischt, während das hässliche Brautjungfernkleid – für das du bezahlt hast – um ihre Hüften hängt und sein nicht maßgeschneiderter Smoking um seine Knöchel …

Ich glaube, dann hat man auch das Recht, klischeehaft zu reagieren.

Ich würde sogar sagen, ich habe das Recht zu noch viel mehr.

Vor allem, nachdem ich auch noch meine Kündigung in meinem Posteingang gefunden habe.

Gesundschrumpfen. Das war der Grund für die Entlassungen, die der gesichtslose Megakonzern durchgeführt hat, für den ich gearbeitet habe. Eine peinlich berührte Umarmung und eine halbherzige Entschuldigung meines Vorgesetzten später war ich draußen.

Und von diesem Zeitpunkt an lief dann alles so richtig scheiße.

Meine Nebenbeschäftigung – und meine wahre Leidenschaft – erledigte sich, als die Galerie, in der ich ausgestellt habe, meine Bilder buchstäblich in die Tonne kloppte.

Zu geringe Verkaufszahlen, hieß es. Mangelndes Interesse.

Ich kam mir vor wie in einer dieser Serien, in denen die weibliche Hauptfigur ihren Ex-Freund rausschmeißt.

Nimm deinen Scheiß und verschwinde.

Also habe ich meinen Scheiß genommen.

Ich habe ihn in den Kofferraum des Oldtimers meiner Schwester gepackt – einem wunderschönen nachtblauen 88er Ford Mustang Cabrio – und deren zehn Jahre alte Tochter Tara gekidnappt, weil sie eine viel bessere Gesellschaft ist als eine beste Freundin, die einem das Messer in den Rücken rammt, indem sie einem den Verlobten ausspannt.

Bei all den Klischees wünschte ich, wir würden zumindest gerade Las Vegas verlassen. Tatsächlich ist es nur Seattle, und wir sind auf dem Weg nach Chicago, wo ich ein neues Leben beginnen will. Zunächst werden wir uns ein bis zwei Monate bei meiner alten College-Freundin Julie einquartieren, bis ich einen neuen Job gefunden habe und mir eine eigene Wohnung leisten kann.

Irgendwann werde ich das Kind dann zurückbringen – denke ich.

Vielleicht in ein paar Wochen, wenn ihre Eltern aus Hawaii wiederkommen.

Über das Thema Verantwortung mache ich mir dann später Gedanken.

Jetzt, umgeben von hohen Wäldern, mit dem Blick auf die Berge am Horizont, dem Wind in meinem Haar, der Sonne im Gesicht und einer gewaltigen Wut auf das Leben im Bauch, finde ich es ganz angenehm, erst mal eine Zeit lang keine großen Entscheidungen treffen zu müssen.

Was ich tun werde, überlege ich mir, wenn ich in Chicago bin und mir die örtlichen Stellenanzeigen durchlese. Es handelt sich immerhin um eine Großstadt. Da wird es wohl genügend Möglichkeiten geben.

Bis dahin genieße ich einfach die Fahrt. Die Weite um mich herum.

Die süße Freiheit, für die ich mit einem schmerzhaften Stich in meinem Herzen bezahlt habe.

Tara ist auf dem Beifahrersitz eingeschlummert, obwohl der Fahrtwind ihr das dunkelbraune Haar ins Gesicht peitscht. Sie liebt die Sonne und hat sich eingerollt wie eine vor sich hindösende Katze auf einem warm beschienenen Stein.

Der Radiosender wechselt, als wir von einem Sendegebiet ins nächste fahren, und das Knistern und Rauschen weckt Tara auf. Gähnend hebt sie den Kopf und reibt sich über ein Auge. »Tante Hay?«, murmelt sie.

Ich hasse es, wenn sie mich so nennt. Hauptsächlich, weil ich mir dabei so alt vorkomme und mein erster Impuls die Antwort »Man sagt nicht Hey, sondern Hallo« ist. Und für diesen Alte-Oma-Spruch bin ich mit meinen fünfundzwanzig Jahren nun wirklich noch zu jung.

Aber Tara ist viel zu süß, um sie wegen so was zu ermahnen, deshalb nehme ich nur kurz den Blick von der Straße und lächle sie an. »Guten Morgen.«

Benommen kneift sie die Augen zusammen. »Es ist doch schon Nachmittag … oder nicht?«

»Für dich anscheinend nicht.« Ich werfe einen Blick aufs Navi.

Gerade haben wir den Lolo National Forest und die Stadt Missoula hinter uns gelassen, nach einem kurzen Boxenstopp im Glacier-Nationalpark, weil Tara unbedingt die Aussicht genießen wollte. Unser nächster Halt wird wohl Billings sein, schätze ich. Danach werden wir noch etwa ein bis zwei Tage bis Chicago brauchen, aber nach einem Hotel für die Nacht suche ich später.

Tara gähnt hinter vorgehaltener Hand.

»Hast du Hunger? Ich denke, es sollte bald der nächste Ort kommen.«

Meine Nichte zieht die Nase kraus. »Hm, ja. Ich muss auch mal aufs Klo. Nur pinkeln«, jammert sie.

Ich verkneife mir das Lachen. Kinder und ihre unverblümte Ehrlichkeit – immer wieder erfrischend.

Und momentan kann ich definitiv ein bisschen Ehrlichkeit in meinem Leben gebrauchen.

Erneut blicke ich aufs Navi. Vor uns scheint sich irgendein Ort zu befinden, der nicht einmal einen Namen hat – nur ein kleiner Punkt auf der Landkarte mit einer Abfahrt in circa fünf Minuten Entfernung.

Na, wenigstens gibt es dort eine Tankstelle. Hoffentlich eine mit einer Toilette – und einem Restaurant oder so was.

Blinzelnd schaue ich durch die Windschutzscheibe, erkenne schließlich das reflektierende grüne Schild in der Ferne und ordne mich in die rechte Spur ein, um die Ausfahrt zu nehmen, die durch ein sanft abfallendes, von Bäumen gesäumtes Stück Land führt.

Doch genau in dem Moment, als wir von der Straße abfahren, fängt der Motor des Mustangs an zu stottern.

Mein Magen zieht sich zusammen.

O-oh. Das ist nie ein gutes Zeichen.

Allerdings fährt der Mustang noch.

Irgendwie gelingt es mir, ihn bis zum Ende der Abfahrt zu steuern, wo die Straße eine Kurve in Richtung einer kleinen Stadt beschreibt, die in einiger Entfernung zu sehen ist – ein idyllisches Panorama wie aus einer vergangenen Zeit, das mich ein wenig zu sehr an die Bilder von Norman Rockwell erinnert. Es sieht fast so aus, als hätte man es direkt aus einem dieser Gemälde herausgeschnitten, die immer in den Hotelzimmern hängen, von irgendwelchen Malern, von denen man noch nie etwas gehört hat, die aber wahrscheinlich ein Vermögen damit verdient haben, dass sie ihre Drucke an sämtliche Motelketten entlang der Panamericana verkauft haben.

Ich bin mir nur nicht sicher, ob wir es bis zu dieser Rockwell’schen Kleinstadt schaffen.

Nicht, solange der Mustang ächzend und hustend immer langsamer wird. Als ich fluchend das Gaspedal mit meinem Fuß durchdrücke, zieht Tara hörbar die Luft ein und murmelt: »Schimpfwörter kosten zehn Cent«, bevor dem Auto die Puste ausgeht.

Wenigstens kommen wir noch um die Kurve.

Und rollen sogar noch dreißig Meter weiter, bis der Mustang mit einem letzten Pfff auf den Standstreifen gleitet, wie eine überdimensionale Yacht in der Strömung.

Genauso fühlt es sich an, dieses lange, wuchtige Gefährt zu manövrieren, nachdem es den Geist aufgegeben hat – so, als müsste ich ein großes, schweres Schiff gegen die Strömung steuern und irgendeine Kraft würde es die ganze Zeit Richtung Meeresboden ziehen.

Mit einem letzten Stottern geht der Mustang aus, als wollte er mir damit sagen, dass er keine Lust mehr hat zu kämpfen und sich hier lieber häuslich niederlassen will.

Ich versuche noch einmal, den Schlüssel umzudrehen, doch der Motor gibt nur ein schnaufendes Rattern von sich und weigert sich, wieder anzuspringen. Hm. Scheiße.

Verdammte Scheiße.

Meine Schwester bringt mich um, wenn ich ihr Auto geschrottet habe. Es war ein Geschenk von ihrem Mann zu ihrem dreißigsten Geburtstag.

Sie gehört zu den glücklichen Frauen, die einen Mann gefunden haben, der sie versteht. Anstatt mit ihrer besten Freundin zu schlafen, macht John ihr Geschenke, die ihr tatsächlich gefallen.

Wahrscheinlich hat sie sich den letzten guten Typen auf diesem Planeten geangelt, denn ich schwöre: Jeder Mann, der mir in den letzten fünf Jahren begegnet ist, war ein Scheißkerl – einschließlich dem, den ich heiraten wollte.

Puh.

Okay, ich bin verbittert. Und wütend. Einatmen, ausatmen.

Das Leben geht weiter.

Genau das sage ich mir täglich, wie ein Mantra.

Eigentlich kann es auch nicht sein, dass mein Schwager der letzte vernünftige Typ auf Erden ist.

Davon abgesehen habe ich gerade ganz andere Sorgen.

Ich kralle die Finger ums Lenkrad und starre durch die Windschutzscheibe. »Hm, Kleines«, sage ich zu Tara. »Ich hoffe, es macht dir nichts aus, neben der Straße zu pinkeln.«

»Kann ich denn nicht da drüben hingehen?«, fragt sie. »Die haben doch bestimmt ein Klo.«

Sie lehnt sich aus dem Beifahrerfenster und schaut blinzelnd nach rechts über das Feld. Ich folge ihrem Blick und muss ebenfalls die Augen zusammenkneifen, weil mich die Sonne blendet.

Ich war so auf das verfluchte Auto konzentriert, dass ich die Landschaft um mich herum gar nicht beachtet hatte.

Doch da hinten befindet sich eine Art … Hotel? Oder ein Gasthof?

Ich habe keine Ahnung, was es ist, aber das Anwesen sieht aus wie das reinste Urlaubsparadies. Am hinteren Ende des Grundstücks kann ich ein großes, zweistöckiges Haus erkennen, dessen Fassade sich hinter einer Reihe von Säulen versteckt. Das Gebäude ist von einer gepflegten Rasenfläche mit hübschen, Schatten spendenden Bäumen umgeben. Schmale Kieswege winden sich in regelmäßigen Abständen durch das akkurat gemähte Gras und führen auf eine Ansammlung von Holzhäusern für ein oder zwei Parteien zu.

Dahinter ragt eine steile Felswand auf, Dunst behangene Bergketten wachsen in den Himmel. Das Gefühl, mich in einem Gemälde von Rockwell zu befinden, steigert sich sogar noch, als ich auf das Schild vor mir sehe.

Charming Inn.

Hm.

Kein schlechter Name – das Haus hat tatsächlich Charme, zumindest von außen.

Und ich hoffe, die Leute dort sind freundlich, auch zu einer Großstädterin wie mir, die wahrscheinlich sofort auffällt, oder wenigstens so höflich, dass sie ein kleines Mädchen ihre Toilette benutzen lassen.

Ich kann Tara nicht viel länger leiden lassen. Sie windet sich schon in ihrem Sitz und hat die Oberschenkel fest zusammengepresst. Mit einem aufmunternden Lächeln steige ich aus, knalle die Autotür hinter mir zu und beuge mich über den Rücksitz, um meine Reisetasche und Taras Rucksack herauszunehmen.

»Komm«, sage ich dann und strecke ihr die Hand entgegen. »Schauen wir mal da rein.«

Gemeinsam öffnen wir das süße, kleine Gartentörchen in dem Lattenzaun, der das Anwesen von der Straße trennt, und hasten den Weg zum Haupthaus hinauf. Das Gebäude erinnert an eine Südstaatenplantage – sehr ungewöhnlich, so etwas hier im Mittleren Westen vorzufinden –, aber wie es aussieht, hat man es zu einem Hotel umgebaut.

Neben der Tür befindet sich eine Bronzeplakette, auf der die Zeiten stehen, zu denen die Rezeption besetzt ist. Als wir die mit Teppichboden und viktorianischen Möbeln ausgestattete Lobby betreten, ertönt eine kleine Klingel über der Tür. Hinter der breiten, auf Hochglanz polierten Theke ist leises Schnarchen zu hören. Gefolgt von einem Krachen, als der eben noch schlafende Besetzer eines zurückgeklappten Sessels hochschreckt und zu Boden stürzt.

Tara stößt ein überraschtes Keuchen aus – dann ein Quieken und ein Wimmern, während sie von einem Fuß auf den anderen hüpft und meine Hand noch fester umklammert. »Tante Hay …«

Hastig sehe ich mich um und entdecke ein Schild an der gegenüberliegenden Wand, auf dem ein Pfeil und die kleinen Symbole für Männer und Frauen abgebildet sind. »Da drüben, Süße«, sage ich und deute in die Richtung. »Den Flur runter. Geh einfach.«

Mit x-beinigen Schritten eilt Tara davon. Ich schaue ihr noch einen Moment lang nach, dann lehne ich mich über die Theke und wage einen zaghaften Blick dahinter. »Äh … Hallo? Sir? Ist alles in Ordnung?«

Ein älterer Herr mit wässrigen Augen stemmt sich vom weinroten Teppich hoch und zieht sich an dem umgekippten Ohrensessel nach oben, den er anschließend mit einem Grunzen wieder in eine aufrechte Position befördert.

Mit einer Hand streicht er über sein kurzes graues Haar, so dass die Stoppeln nach oben stehen, und beäugt mich, als wäre er sich nicht ganz sicher, was er von mir halten soll. Schließlich stößt er ein weiteres Grunzen aus und begrüßt mich mit einem zögerlichen Lächeln.

»Alles bestens, Ma’am. Die alte Pumpe hier ist noch recht fit.« Er schlägt sich auf seine schmale, flache Brust. »Da braucht’s ’n bisschen mehr als so ’nen Sturz aus ’nem Sessel, um die tot zu kriegen. Kann ich Ihnen irgendwie helfen?«

»Das hoffe ich«, entgegne ich mit einem Lächeln. »Meine Nichte musste dringend auf die Toilette, tut mir leid. Aber wir haben noch ein anderes Problem. Unser Auto hat direkt vor Ihrem Hotel den Geist aufgegeben, und ich fürchte, wir stecken hier fest.«

»Hm … mhm …«

Er streicht sich über sein stoppliges Kinn. Für einen Mann, der so dünn und schlaksig ist, hängen seine Wangen erstaunlich schlaff herunter, wodurch es so aussieht, als würde sein Gesicht schmelzen. So etwas sehe ich nicht zum ersten Mal und muss mich bemühen, nicht die Stirn zu runzeln. Er ist ein Trinker, weswegen er schneller altert.

Dank meines Dads werde ich diese typischen Merkmale nie wieder vergessen.

Ich weiß nicht, ob diese Tatsache mein Herz in Bezug auf diesen alten Mann erweicht. Oder ob es einfach nur meine Verbitterung gegenüber meinem Dad verstärkt, der mir gezeigt hat, dass Menschen immer irgendeinen Weg finden, um sich zu ruinieren – und für gewöhnlich brauchen sie danach nicht mal lange zu suchen.

Dad hat gleich die erste Gelegenheit dazu ergriffen, als es bei ihm mal nicht so gut lief – zuerst nur mit einer Flasche.

Der Rezeptionist reißt mich aus meinen Erinnerungen, indem er erneut lächelt; ein entwaffnendes, fast selbstkritisches Lächeln, als wüsste er, welchen Eindruck er macht und was die Leute über ihn denken. Er zuckt die Achseln. »Wir haben ’ne Werkstatt hier in der Stadt, ’ne ganz gute sogar. Aber es ist schon spät. ’nen Abschlepper werden Sie vielleicht noch kriegen, aber bis heute Abend ist der Wagen garantiert nich repariert. Unsere Zimmer für Kurzaufenthalte sind leider alle ausgebucht … aber wir hätten noch ein halbes der Ferienhäuser frei. Da haben Sie sogar Blick auf die Berge.«

Jetzt runzle ich doch die Stirn. Das klingt zwar gut, aber das kostet Geld, und mein Budget ist ziemlich ausgeschöpft, seit ich mehr oder weniger meinen gesamten Besitz verschleudert habe. Ich lebe nur noch von meinem letzten Gehaltscheck und der Kostenerstattung für die Hochzeit, die nie stattgefunden hat und für die meine gesamten Ersparnisse draufgegangen sind.

Für die Reparatur des Wagens muss ich auch bezahlen. In meinem Kopf addiere ich die Beträge, und das Ergebnis sieht leider nicht gut aus. »Ich weiß nicht, ob ich mir das leisten kann.«

»Was anderes hab ich nich, und wir sind das einzige Hotel in der Stadt.« Der alte Mann verschränkt die Arme, stützt sie auf der Theke auf und beugt sich zu mir vor. Ein Hauch von Rum weht zu mir herüber, aber nicht so schlimm, dass ich zurückweiche. »Passen Sie auf, ich bin kein Unmensch, der ’ne Dame in Not und ’n kleines Mädchen in ’ner fremden Stadt in ihrem Auto schlafen lässt. Ich mache Ihnen ’nen Sparpreis: Sie zahlen nur das, was ich Ihnen für ’n Einzelzimmer berechnen würde. Na, wie hört sich das an?«

Ich verziehe den Mund. »Sagen Sie mir erst den Preis.«

»Fünfundsechzig pro Nacht. Wie hört sich das an?«

Ich stoße ein leises Pfeifen aus. »Das klingt wirklich nicht schlecht.«

In Seattle bekäme man für fünfundsechzig Dollar die Nacht nicht mal ein Zimmer in der Motelkette, in der die besagten Bilder unbekannter Künstler hängen. Höchstens eins in einer dieser Unterkünfte, wo die Leute nur unter der Woche wohnen und jede Nacht die Polizei vor der Tür steht. Aber hier: eine ganzes halbes Haus?

Yay. Ich würde mal sagen, zumindest mit dem Ort, an dem das Auto den Geist aufgibt, haben wir echt Glück.

Ich blicke aus dem Fenster und tue so, als müsste ich noch länger darüber nachdenken.

Was habe ich zu verlieren?

Die Landschaft ist schön, die Atmosphäre angenehm, die Unterkunft günstig … Und außerdem könnte ich eine kleine Auszeit an einem ruhigen, idyllischen Ort durchaus gebrauchen, um meinen miesepetrigen Zustand zu beenden und wieder fröhlicher in die Zukunft zu schauen.

Vielleicht war das ja Schicksal.

Deshalb nicke ich, während ich in Gedanken die kommende Woche durchgehe. Wir bleiben, bis der Mustang repariert ist, und fahren dann weiter nach Billings.

»Okay. Einverstanden«, sage ich und krame in meiner Handtasche nach meinem Portemonnaie beziehungsweise meiner Kreditkarte. »Wer wohnt denn in der anderen Hälfte? Nicht, dass ich die Leute störe.«

»Ach … Er.« Seine Antwort klingt ziemlich abfällig, fast schon unheilvoll, doch er schwächt seine Reaktion ab, indem er den Kopf schüttelt. »Machen Sie sich darüber keine Gedanken, Miss. Von dem werden Sie nichts mitkriegen. Der is nur ’n harmloser Muffelkopp. Kümmert sich nich um andere, macht nur sein eigenes Ding. Wahrscheinlich sehen Sie den nich mal.«

Ich hebe eine Augenbraue, zucke dann aber die Achseln und reiche meine Kreditkarte über die Theke.

Jeder Mensch ist anders, und ich verurteile niemanden. Ich schätze, mir ist es sogar lieber, meine Ruhe zu haben, abgesehen von der stets unterhaltsamen Gesellschaft meiner kleinen Begleiterin natürlich.

»Hat die Werkstatt schon zu, oder kann man da noch anrufen, um zumindest eine Einschätzung zu bekommen?«, frage ich, während ich dem alten Mann hinter dem Tresen dabei zusehe, wie er meine Daten in den Computer eingibt.

»Nee, ich kann da für Sie anrufen, während Sie sich in Ihrem Zimmer einrichten. Für die Abrechnung brauch ich noch Ihre Sozialversicherungsnummer.«

»Vielen Dank.« Ich rattere meine Nummer herunter, gefolgt von meiner alten Adresse für die Rechnung.

Technisch gesehen bin ich wohl derzeit obdachlos. Nach Eddys treuloser Eskapade wollte ich nur noch weg und bin direkt aus unserem Mietvertrag ausgestiegen, aber fürs Erste sollte die Adresse in Seattle wohl noch gelten.

Während mein vertrauensseliger Rezeptionist vor sich hin summt, drehe ich mich um und nehme zum ersten Mal meine Umgebung in Augenschein.

Die Lobby ist sehr hübsch eingerichtet, überall stehen kleine Vasen mit frischen Pfingstrosen, und vor den Fenstern hängen durchsichtige weiße Vorhänge, die im Sonnenschein glänzen. Das Licht verleiht dem Raum eine friedliche, gedämpfte Atmosphäre.

Es ist angenehm. Am liebsten würde ich diese besondere Stimmung malen; wie das Licht durch die Fenster hereinströmt und fast dunstig wirkt, dort, wo es schräg auf den Teppich fällt. Der Eigentümer dieses Hauses, wer immer das sein mag, hat auf jeden Fall einen Blick fürs Gemütliche, und in der Annahme, dass es nicht der Rezeptionist ist, schaue ich zum Empfangstresen zurück.

Perfektes Timing. Der alte Mann ist fertig, druckt gerade meine Rechnung aus und schiebt einen Schlüssel über die Theke. Genau in diesem Moment geht die Tür zur Toilette auf, und Tara kommt mit ihrem vornehmen, prinzessinnengleichen Gang auf mich zugeschritten, was mir zeigt, dass sie zu ihrer alten Form zurückgefunden hat, nachdem ihre Blase nun mindestens ein Kilo leichter ist.

Grinsend sehe ich sie an, bevor ich mich wieder zu dem alten Mann umwende und mir im Austausch für meine Unterschrift Schlüssel und Kreditkarte schnappe.

»Vielen Dank«, sage ich. »Wie heißen Sie?«

»Flynn«, antwortet er. »Flynn Bitters. Jederzeit zu Ihren Diensten.«

»Danke, Mr. Bitters«, entgegne ich. »Bitte sagen Sie doch einfach in der Werkstatt Bescheid, dass die mich anrufen sollen. Es ist nicht ganz so eilig. Ich denke, wir können noch ein paar Tage hierbleiben.«

Tara schaut mich mit großen Augen an, während wir nach draußen in den warmen Sommernachmittag treten. »Wir … bleiben hier?«

»Nicht lange«, informiere ich sie. »Nennen wir es einen Kurzurlaub, bis das Auto repariert ist. Wir werden einfach die Sonne genießen, ein bisschen Spaß haben, uns vielleicht die Gegend ansehen und die örtliche Küche ausprobieren. Ich finde es ganz schön hier.«

Tara rümpft die Nase. »Also, ich weiß nicht, Tante Hay. Hier ist doch kaum was los … Dieser Ort hat ja nicht mal einen Namen auf Google.«

»Auf dem Schild, an dem wir vorbeigekommen sind, stand ein Name«, stelle ich mit einem Grinsen fest. »Herzlich willkommen in der idyllischen Stadt Heart’s Edge, meine liebe Reisebegleiterin.«

* * *

Das nummerierte Doppelhaus, das Flynn uns gegeben hat, befindet sich ein ganzes Stück hinter dem Haupthaus, fast schon am Ende des Grundstücks.

Sehr gut. So haben wir richtig viel Privatsphäre.

Unsere Hütte ist eine der größeren, aus unbearbeitetem dunklem Holz, vielleicht Zeder oder Tanne. Ihr Anblick mit der Rundum-Veranda und den deckenhohen Fenstern schreit förmlich: Ich bin schlicht modern und rustikal gemütlich.

Was ihr allerdings wirklich Seele verleiht, ist das Panorama. Vom Haus aus blickt man auf einen langen Abhang, der zu einer Klippe hinunterführt, hinter der sich wiederum ein atemberaubendes Tal bis zum Fuß der Berge erstreckt.

Mein Herz schlägt einen Purzelbaum, als ich endlich die Zeit finde, stehen zu bleiben, die frische Luft einzuatmen und den Ausblick in mich aufzunehmen.

Hinter dem Haus gibt es sogar einen Whirlpool, wie ich feststelle, als wir um die Hütte herumlaufen. Der Pool befindet sich in der Mitte der Veranda, so dass die Bewohner beider Haushälften ihn sich entweder teilen oder sich irgendeinen Benutzungsplan überlegen müssen. Da gerade niemand hier ist, spekuliere ich allerdings schon darauf, ein kleines Bad zu nehmen und meinen vom Fahren müden Gliedern etwas Gutes zu tun, nachdem wir uns hier häuslich eingerichtet haben.

Am Ende unseres Erkundungsrundgangs gehen wir die Treppe zur Veranda hoch und stecken den Schlüssel ins Schloss der linken Tür. Als ich ihn umdrehe, ruckelt es ein wenig und … nichts passiert.

Die Tür geht nicht auf. Sehr seltsam.

Anscheinend hat Mr. Bitters uns die falsche Nummer gegeben. Er hat uns gesagt, dass wir die Hütte 31-A haben, nicht 31-B.

Na ja, egal. Ich probiere es einfach bei der 31-B auf der rechten Seite, und diese Tür lässt sich sofort öffnen.

Wir betreten einen heimeligen, lichtdurchfluteten Raum aus hellem Holz, der mit dunklen, urigen Möbeln eingerichtet ist. Es sieht ein bisschen so aus wie Joanna Gaines trifft auf Haus gesucht in den Rocky Mountains, und ich liebe diese Atmosphäre.

Meine Nichte schlüpft hinter mir ins Haus und sieht sich vorsichtig um.

»Alles gut. Sieht moderner aus hier drin, als ich dachte.« Ich schenke Tara ein entwaffnendes Lächeln und schmeiße meine Tasche aufs Sofa. »Sehen wir uns mal die Schlafzimmer an. Das Haus ist so groß – vielleicht haben wir sogar jeder ein eigenes Zimmer.«

»Wenn nicht«, entgegnet Tara fröhlich und ist schon auf dem Weg durch den Flur, »spielen wir, dass ich bei dir übernachte! Wie bei meinen Freundinnen aus der Schule.«

Liebevoll blicke ich ihr hinterher, während ich ihr ins Haus folge.

Sie ist einfach entzückend, so unverwüstlich, so anpassungsfähig, dass sie immer alles von der positiven Seite betrachtet. Ich sehne mich zu der Zeit zurück, als ich auch noch so optimistisch war und mich so leicht für etwas begeistern konnte. Aber hey, vielleicht kann ich ja auch von einer zehnjährigen kleinen Hummel noch was fürs Leben lernen.

Sieh das Gute in allem, freue dich über das Neue und hake das Alte einfach ab.

Ich bin so sehr damit beschäftigt, mir das erste Schlafzimmer anzuschauen, als unverhofft das Nächste passiert.

Eine große, raue Hand packt mich bei der Schulter, dreht mich herum, und im nächsten Moment knalle ich mit dem Rücken gegen eine harte Wand.

Heilige …

Nicht mal einen Wimpernschlag später ragt ein Koloss vor mir auf, der wie aus dem Nichts aufgetaucht ist und mir den Weg abschneidet wie ein angriffslustiger Stier, während er mich mit seiner Muskelmasse, einem herben Geruch von Kiefernnadeln und stechend dreinblickenden Augen bedrängt.

Ich bin so geschockt, dass ich nicht mal schreien kann.

Stattdessen schnappe ich nur nach Luft, während mein Herz so wild klopft, dass es mir fast aus der Brust springt, und mein Puls nach oben schießt.

Eine halbe Sekunde später starre ich nach oben in ein grimmiges, verschlossenes, aber durchaus attraktives Gesicht und ein wütendes Paar blauer Augen, mit dem dieser Hüne von einem Mann mich durchbohrt, während er mir zu Leibe rückt.

Er verstärkt seinen Griff, drängt mich so fest gegen die Wand, dass ich mir vorkomme wie eine winzige Mücke, und sein Körper strahlt so viel Hitze aus wie ein Hochofen, das ich sie am ganzen Körper spüre.

»Wie zur Hölle sind Sie hier reingekommen?«, schnauzt er mich mit einer tiefen, knurrigen Stimme an, deren Vibrationen ich förmlich spüren kann. »Wer hat Sie hergeschickt? Weiß Bress Bescheid? Kommt er her?«

Heilige Scheiße.

Was ist hier los? Ich bin wie zu Eis erstarrt.

Ich bin es einfach nicht gewohnt, von riesigen Männern gepackt und mit Fragen bombardiert zu werden.

Mein Hirn kann sich nicht entscheiden, ob es in Panik oder in Wut geraten soll und ob dieses Arschloch mich betatschen will.

Schließlich kommt meine Schaltzentrale zu der Eingebung, mich einfach nur wie ein Reh im Scheinwerferlicht dastehen zu lassen – oder wohl eher wie ein Opossum. Jepp, das passt besser zu mir: eine Beutelratte.

Wird mein Kampf- oder Fluchtinstinkt geweckt, mache ich meist gar nichts.

Ich erstarre einfach nur zur Salzsäule.

Bittet mich besser nie, euch bei einer Prügelei zu verteidigen – dazu bin ich absolut nicht zu gebrauchen.

Tara dabeizuhaben ist dagegen wesentlich nützlicher, denn als sie aus dem anderen Schlafzimmer kommt und mit einem Blick die Lage erfasst, stößt sie einen so gellenden Schrei aus, dass die Leute in einem Kilometer Umkreis sicher auch noch was davon mitbekommen.

Der Hüne fährt zu Tara herum und löst dabei eine Hand von meiner Schulter.

Vielleicht bin ich doch nicht so regungslos.

In der Sekunde, als mir der Gedanke kommt, dass er auf meine Nichte losgehen könnte, lodert nämlich ein Feuer in mir auf, und im nächsten Moment stoße ich seine andere Hand mit einem heftigen Schlag beiseite.

»Fass mich nicht an, du Arschloch!«, schreie ich und starre ihm finster ins Gesicht.

Verwirrt kneift er die Augen zusammen, und plötzlich lässt er seine wuchtigen Hände sinken.

Er ist groß – mammutbaummäßig groß, so dass ich mich frage, wie er überhaupt in den Flur hineinpasst, da er mit dem Kopf schon fast die Decke berührt, und höchstens ein Zentimeter Abstand zwischen seinem verwuschelten schwarzen Haar und der Holzvertäfelung liegen kann.

Sein T-Shirt wirkt wie etwas, das auf seine harten, definierten Muskeln gemalt wurde. Nichts an seinem Oberkörper ist auch nur annähernd weich – im Gegenteil: Sein wie aus Stein gemeißeltes Sixpack zeichnet sich so scharfkantig unter dem Kleidungsstück ab, dass man sich daran vermutlich verletzen könnte. Der blaue Stoff hat die gleiche Farbe wie seine Tattoos, die sich über seine breiten, durchtrainierten Arme schlängeln – ein Labyrinth aus Mustern, stilisierten Buchstaben und dem Namen Jenna in schlichter, winziger Schrift.

Den Blick immer noch auf Tara geheftet, fährt der Typ sich über sein bärtiges Gesicht. Ein Kratzen ist zu hören, als er mit seinen schwieligen Händen über seine Stoppeln fährt.

»Scheiße«, knurrt er. »Das ist ja ein Kind.«

»Ach nein, Sherlock«, gebe ich barsch zurück. »Und sie gehört zu mir. Also Hände weg.«

Erneut dreht er sich zu mir um.

Großer Fehler.

Bevor ich die Chance verpasse, brate ich ihm eins mit meiner Handtasche über seinen attraktiven Schädel und hoffe, der Hieb war so heftig, dass das Krokoleder einen Abdruck auf seiner dunklen Wange hinterlässt.

Mit einem Brummen taumelt er nach hinten. Ich nutze die Gelegenheit, an ihm vorbeizustürmen, schnappe mir Taras Hand und stürze auf die Tür zu. »Schnell, lauf!«

Eigentlich hätte ich wissen müssen, dass ich nicht weit kommen würde. Goliath mag zwar wuchtig aussehen, aber er bewegt sich wie eine Kobra – blitzschnell und tödlich. Wir schaffen gerade mal drei Schritte, bevor er um uns herum ist und uns den Weg nach draußen abschneidet. Tara und ich bleiben abrupt stehen und stolpern zurück.

»Lassen Sie uns durch«, sage ich und hebe drohend meine Handtasche.

Sicher kann ich damit nicht viel ausrichten, aber es ist auch bestimmt nicht so lustig, wenn man eine Ladung Krokodilleder in die Fresse bekommt.

Goliath verschränkt die Arme vor der Brust, plustert sich auf und sieht eindringlich auf mich herab. »Nicht, bevor Sie mir nicht ein paar Antworten gegeben haben, Lady«, entgegnet er unfreundlich.

»Antworten auf was? Ich bin nur hier reingekommen, und im nächsten Moment haben Sie mich rumgeschubst wie einen verdammten Tischtennisball!«

»Stimmt genau. Sie sind einfach in mein Haus reingestiefelt, deshalb …«

»Irrtum: Das hier ist unser Haus«, kontere ich und fuchtele mit dem Schlüssel vor seiner Nase herum, als wäre er ein Minidolch. Vor lauter Wut sind meine Wangen ganz heiß. »Ich hab schon dafür bezahlt, und ich frage mich, was Sie hier machen. Vielleicht sollten Sie mir ein paar Antworten geben.«

Noch bevor ich die Hand wegziehen kann, reißt er den Schlüssel an sich.

Der Scheißk…

»Verdammt«, flucht er und beäugt den Schlüssel von allen Seiten. Dann streicht er sich erneut übers Gesicht und stößt ein müdes Stöhnen aus. Als er den Blick wieder auf mich richtet, wirkt er tatsächlich zerknirscht, und seine mitternachtsblauen Augen nehmen die Farbe von glühendem Kobalt an. »Flynn hat Ihnen den falschen Schlüssel gegeben. Sorry.« Seine Kiefermuskeln spannen sich an. »Und jetzt raus hier, ich regle das.«

Verärgert beiße ich mir auf die Zunge. Ich kann es gar nicht leiden, wenn man mich so herumkommandiert.

Aber ich will auch nicht hier im Haus vom Unglaublich-angepissten-Hulk rumstehen.

Deshalb begebe ich mich widerwillig mit Tara im Schlepptau nach draußen, als er uns die Tür aufhält.

Gott, ich hoffe, er ist tatsächlich der Einsiedlertyp. Der Gedanke, diesem Arschloch in den nächsten Tagen erneut über den Weg zu laufen, hat meinem Plan, hier einen entspannten Kurzurlaub zu verbringen, nämlich gerade einen mächtigen Dämpfer versetzt.

Als er allerdings auf die Veranda heraustritt, die Tür zuknallt, abschließt und davongeht, kann ich es mir nicht verkneifen, seinen knackigen, V-förmigen Körper zu betrachten.

Wieso haben ausgerechnet die heißen Typen immer eine ätzende Persönlichkeit?

Er mag zwar ein Arschloch sein, aber er ist nett anzuschauen.

Seine Jeans schmiegt sich um seine Hüften und schmeichelt auch seinen Oberschenkeln.

Er rollt mit den Schultern, während er mit dieser geballten Kraft davonmarschiert, die zur Hälfte daraus entspringt, dass er seine gewaltige Masse mit sich herumschleppen muss.

Und seine Tattoos … Gott steh mir bei. Wir sprechen hier von so wilden, so ausdrucksstarken und ineinanderlaufenden Motiven, dass sie meine Künstlerseele anziehen wie ein loderndes Feuer die Motten.

Sein finsteres Gesicht war nicht gut zu erkennen, aber das, was ich gesehen habe, war auch nicht schlecht.

Mitternachtsblaue Augen. Kurz geschnittener Bart. Dunkles, dichtes Haar, das mir persönlich ein wenig zu dunkel und dicht ist und in Kombination mit seinem Bart einen rauen Kranz aus explosivem Testosteron um sein Gesicht zieht.

Das hat irgendwas.

Etwas, das mir durchaus gefällt.

Vielleicht liegt es daran, weil er so ganz anders aussieht als Eddy mit seinem zarten, schlanken Körper und dem hübschen, jungenhaften Gesicht.

Vielleicht hat es aber auch damit zu tun, dass Eddy seinen miesen Charakter so gut versteckt hat, während man Mr. Goliath seine Arschloch-Attitüde auf fünf Meilen gegen Wind ansieht.

Vielleicht versuche ich auch nur noch immer zu verstehen, was zum Teufel hier gerade abgegangen ist.

Da, seht ihr? Ich schaue mir tatsächlich was von Tara ab und sehe das Positive in den Dingen.

Meine Nichte runzelt die Stirn und schlingt die Arme um das Geländer der Veranda, während sie dem Typen hinterherblickt. »Was für ein Knackarsch, oder, Tante Hay?«

»Das kostet zehn Cent«, erinnere ich sie und lehne mich seufzend neben sie ans Geländer. »Ich schätze, der ist in den nächsten Tagen unser Nachbar.«

»Wo geht er denn jetzt hin?«

»Ich nehme mal an, er tauscht unseren Schlüssel um.«

Irgendwie kann ich dieses komische Bauchgefühl nicht abschütteln, das mich überkommt, während wir warten.

Bitte, lass dieses eine Mal alles gut gehen.

Bitte mach, dass dieses Drama mit dem Höhlenmenschen und seinen Wutausbrüchen nach dem Schlüsseltausch beendet ist.

* * *

Wie sich allerdings herausstellt, wollte er unseren Schlüssel gar nicht umtauschen.

Tara und ich haben uns vorläufig auf die hintere Veranda zurückgezogen und uns dort auf den sehr bequemen, weichen Liegestühlen ausgestreckt, während wir auf unseren neuen Schlüssel warten.

Wo soll ich auch anders hin.

Meine Tasche liegt noch bei diesem Mistkerl im Haus auf der Couch, und er hat uns ausgeschlossen. Zum Glück herrscht hier draußen genau die richtige Temperatur, um sich an diesem späten Nachmittag, der so langsam in den Abend übergeht, in der Sonne zu räkeln – es ist so angenehm, dass man das Sonnenbad genießen kann, ohne in der Hitze zu schmoren oder sich Sorgen machen zu müssen, ob man genügend Sonnenschutz aufgetragen hat.

Ich bin kurz davor einzudösen, als ich abrupt dadurch geweckt werde, dass meine Tasche auf meinem Bauch landet.

»Uff!«

Ich reiße die Augen auf, schnappe mir die Tasche und krümme mich ein wenig.

Mr. Unvergleichliches-Arschloch ragt über mir auf, hat erneut die Arme vor der Brust verschränkt wie ein fleischgewordenes Bollwerk, und mustert mich aus seinen harten blauen Augen. Ich hab nicht mal gehört, dass er zurückgekommen ist; er hat sich so leise angeschlichen wie ein Löwe auf Beutezug.

Düster blicke ich zu ihm hoch und stelle meine Tasche zwischen den Liegen auf dem Boden ab. »War das wirklich nötig?«, frage ich, gebe ihm aber erst gar nicht die Gelegenheit, darauf zu antworten. Stattdessen strecke ich ihm die Hand entgegnen und presse die Lippen zu einem dünnen Strich zusammen. »Wo ist der Schlüssel?«

»Es gibt keinen«, sagt er bestimmt. »Ich hab gerade Ihre Hälfte der Hütte auch noch gemietet. Verziehen Sie sich also mit Ihrem Zwerg. Ich brauche Ruhe.«

»Ich bin kein Zwerg«, korrigiert Tara ihn schnaubend. »Ich bin schon zehn!«

»Sie ist schon zehn«, wiederhole ich und starre ihn böse an. »Und Sie haben nicht das Recht, uns hier rauszuschmeißen. Wir sind zahlende Gäste, und Sie sind nicht der Besitzer dieses Hotels.«

»Falls es Ihnen ums Geld geht: Ich zahle Ihnen das Doppelte von dem, was Flynn Ihnen für das Zimmer abgeknöpft hat.«

Verblüfft schaue ich ihn an. Was?

So langsam wird das Ganze … seltsam. Und suspekt.

Warum hat er seine Privatsphäre so nötig, dass er nicht nur unsere Hälfte mietet, sondern sogar noch mehr ausgibt, indem er mir mein Geld zurückzahlt? Ist dieser Typ kriminell oder so was?

Ich schüttle den Kopf. »Also, selbst wenn ich Ihr Angebot annehmen wollte: Ich fahre nirgendwo anders hin. Ich kann nicht

Er hebt eine seiner dichten Augenbrauen. »Und wieso zum Teufel nicht?«

»Weil unser Auto den Geist aufgegeben hat. Nicht, dass Sie das irgendwas anginge und ich mich vor Ihnen rechtfertigen müsste«, füge ich hinzu. »Und da dies hier das einzige Hotel in der Stadt ist und es nur noch dieses eine Zimmer gibt, gehe ich nirgendwohin. Es sei denn, Sie bieten mir an, mein Auto bis in die nächste Stadt zu schieben.«

Die Gesichtszüge des Arschlochs durchlaufen eine merkwürdige Wandlung.

Einen Moment lang sieht er tatsächlich besorgt aus. Zumindest denke ich, es ist Sorge und nicht Sodbrennen.

Dann legt sich der gewohnt finstere Ausdruck wieder auf seine Miene, als würde er sich über sich selbst ärgern, weil er ein schlechtes Gewissen hat. Sofort blitzt wieder Sorge in seiner Miene auf, doch auch dieser Gefühlsausbruch währt nur kurz und wird von einer Art grimmiger Resignation abgelöst.

Goliath stößt einen Seufzer aus, schließt die Augen, runzelt die Brauen und reibt sich mit einer seiner Pranken übers Gesicht.

»Ich vermute mal, Flynn hat schon Stewart von der Werkstatt wegen Ihrem Wagen angerufen?«

»Keine Ahnung. Das Einzige, mit dem ich mich befassen konnte, seit ich hier bin, sind Sie. Es würde mich nicht wundern, wenn Flynn die ganze Sache mit meinem Auto abgeblasen hat, da Sie ihm ja offensichtlich gesagt haben, dass ich so schnell wie möglich weiter muss.«

Wieder zieht der sorgenvolle Ausdruck über sein Gesicht. Er hebt die Hand und kneift sich in die Nasenwurzel, bis es fast so aussieht, als hätte er Schmerzen. Dann schließt er erneut die Augen und presst Daumen und Zeigefinger gegen seine Lider. »Sie fahren nirgendwohin.«

Jetzt kneife ich die Augen zusammen. »Bitte?«

»Ich hab gesagt«, antwortet er mit einem weiteren Knurren, »dass Sie das vergessen können. Ich werde Sie sicher nicht auf die Straße setzen, mit einem kaputten Auto und einem Zwer…«, er wirft Tara einen Blick zu, »… einer jungen Dame.«

Ausdruckslos starre ich ihn an.

Wow. Versucht dieser stachlige Muskelprotz gerade tatsächlich, ein Gentleman zu sein? Das geht ja fast zu leicht.

Deshalb kaufe ich ihm das auch nicht ab. Und akzeptiere es auch nicht.

Stattdessen verschränke ich nun ebenfalls die Arme vor der Brust und wende den Blick ab.

»Das glaube ich erst, wenn ich einen Zimmerschlüssel in der Hand halte.«

Ein weiterer schwerer Seufzer entringt sich seiner Brust, und er fährt sich durchs Haar, bis die dichte, dunkle Mähne in alle Richtungen absteht und ihm ein geradezu jungenhaftes Aussehen verleiht, das seine harten Gesichtszüge weich zeichnet. »Ach ja. Da war ja was. Geben Sie mir eine Minute.«

Diesmal höre ich ihn energisch davonmarschieren. Anstelle des leisen, katzenartigen Schleichens klingen seine Schritte nun müde und schwer, und ich brauche nicht einmal hinzusehen, um mir vorstellen zu können, wie seine massigen Schultern dabei vor- und zurückschwingen.

Der Mann ist mir definitiv zu viel. In jeder Hinsicht.

Und ich weiß nicht mal seinen Namen.

* * *

Es dauert weitere zwanzig Minuten, bis er wiederkommt.

Zwanzig Minuten, die ich damit verbringe, die aufgewühlte Tara zu beruhigen und ihr zu versprechen, dass wir morgen etwas Spaßiges unternehmen, um diesen ganzen Zirkus hier zu vergessen.

Die Namen, die sie Goliath gibt, werde ich nicht wiederholen. Sie sind zwar nicht so schlimm, dass man dafür zehn Cent zahlen müsste, aber doch auf einem ziemlich fiesen Grundschulniveau.

Wobei wir beide kichern müssen, als sie den Kerl als Kackakopf bezeichnet.

Vielleicht nennen wir ihn einfach weiter so, bis wir abfahren.

Als er zurückkommt, drückt er mir wortlos den Schlüssel in die Hand – dann wendet er sich ab, betritt sein Haus durch die Terrassentür, die er hinter sich zuschlägt, und schließt ab, ohne sich noch einmal nach uns umzusehen. Nicht mal eine Entschuldigung hat er für uns übrig, und dieses Sorry von vorhin zählt nicht.

Na ja, soll er alleine vor sich hin schmollen und brüten, wenn er das will.

Ich dagegen habe die beste Gesellschaft der Welt und finde, wir haben uns einen Filmmarathon verdient.

Mit dem Schlüssel in der Hand betreten wir das Haus, das für die nächsten paar Tage unser trautes Heim sein wird. Wir verbringen eine kurze Zeit damit, uns häuslich in unseren Zimmern einzurichten und unsere Sachen auszupacken, bevor ich einen Blick in die Informationsmappe des Hotels werfe.

Offensichtlich ist Heart’s Edge nicht so klein, dass es keine Pizzeria im Ort gäbe mit Lieferservice.

Und so dauert es keine halbe Stunde, bis Tara und ich es uns mit einer Peperoni-Ananas-Pizza auf dem Sofa gemütlich gemacht haben und durch die Kanäle zappen, auf der Suche nach irgendwas mit Hugh Grant.

Tara ist zwar noch ein Kind, aber sie hat einen guten Geschmack.

Trotzdem: Während wir die kostenpflichtigen Programme durchstöbern, wandern meine Gedanken gegen meinen Willen zu dem grimmigen, blauäugigen Koloss, der keinen Mucks mehr von sich gibt, seit er die Tür hinter sich zugeknallt hat.

Wer zum Geier ist er?

Was hat er für ein Problem?

Und wieso lässt er mich nicht nur zweifeln, was meinen Aufenthalt hier in Heart’s Edge angeht, sondern auch, was meinen Plan betrifft, mein ganzes Leben umzukrempeln?

Will ich wirklich vollkommen neu anfangen? Diese Frage drehe ich in meinem Kopf auf links, kaue sie gewissermaßen durch wie die Pizza zwischen meinen Zähnen.

Oder laufe ich gerade vor einem Problem davon, um direkt ins nächste zu stolpern?

II: Die Flammen werden höher (Warren)

Haley West.

Diesen Namen hat Flynn mir genannt, als ich ihm wegen der Scheiße mit den Zimmern die Hölle heiß gemacht habe. Wenn Blicke töten könnten …

Er fing an zu stammeln und zu zucken, als könnte ich ihm mit meinem Blick tatsächlich etwas antun. Na ja, das ist nichts Neues.

Flynn hat einfach kein Rückgrat. Er besteht bloß aus einer Wirbelsäule mit einer Hülle drumherum, und in der ist nichts weiter drin als Whisky oder was auch immer er gerade trinkt. Ich frage mich wirklich, wieso zur Hölle Grandma ihn weiter beschäftigt. Der Typ ist ziemlich schnell eingeknickt, als ich ihm zu verstehen gegeben habe, dass ich Haley West nicht hierhaben will.

Ich hätte wissen müssen, dass mehr hinter der ganzen Sache steckt, als er mir erzählt hat.

Bei Frauen wie ihr ist das immer so.

Und Frauen wie sie bringen einem auch immer Ärger ein.

Ich konnte diese heißblütige kleine Giftnatter schlecht auf die Straße setzen, verdammt – ohne Unterkunft und dann auch noch mit einem kaputten Auto.

Aber ich muss sie hier irgendwie rauskriegen.

Sie hätte fast meine Tarnung auffliegen lassen. Solange mich alle für den Einsiedler aus der Stadt halten, der nach Hause zurückgekehrt ist, um kurz mal Hallo zu sagen, achtet keiner auf mich. Und es fragt sich auch niemand, wieso ich in Grandmas Hotel übernachte.

Natürlich wohne ich in einer der Hütten und nicht bei Grandma im Haus. Ein erwachsener Mann braucht schließlich seine Privatsphäre, und außerdem geht im Ort das Gerücht um, dass ich nur so lange hierbleibe, bis ich ein eigenes Haus in der Stadt gefunden habe.

Manchmal können Gerüchte durchaus nützlich sein.

Einfach so wenig wie möglich erzählen, dann denken sich die Leute schon eine eigene Geschichte für dich aus, ohne dass du irgendwas sagen musst.

In Wahrheit kann ich einfach nicht zulassen, dass meine dreckigen Geschäfte meiner Großmutter schaden – oder die harte Arbeit zunichtemachen, die sie ins Charming Inn gesteckt hat.

Aus diesem Grund erledige ich meine Angelegenheiten hinter verschlossenen Türen – und dann kommt diese grünäugige kleine Hexe in mein Haus und trippelt fast in meinen War Room.

Scheiße.

Wenn sie meine Whiteboards, die Zeitungsausschnitte oder die Karten mit den Verfolgungsrouten gesehen hätte – keine Ahnung, was sie dann gedacht hätte. Wahrscheinlich säße ich jetzt in Handschellen vor Sheriff Langley und müsste mich seinem Verhör stellen.

Jedenfalls weiß ich genau, was ich gedacht habe, als sie plötzlich in meiner Hütte stand.

Dass Dennis Bress sie geschickt hat.