Das Buch

Die Sache mit der Liebe kann manchmal ganz schön verhext sein. Würde sich Valentinas Mutter verlieben, müsste Valentina nicht wegziehen, und alles könnte einfach so bleiben: vier Freundinnen und ein Sommer in Willows Hexenwald. Doch dann geht das mit dem selbst gebrauten Liebestrank schief. Und nebenbei müssen Willow, Valentina, Gretchen und Lotti noch drei Jungs vertreiben, die sich, ohne zu fragen, in Willows Wald ein Baumhaus bauen. Doch der Wald scheint nichts dagegen zu haben ..

Die Autorin

© Christian Hartmann

Geboren wurde Sabine Bohlmann in München, der schönsten Stadt der Welt. Als Kind wollte sie immer Prinzessin werden. Stattdessen wurde sie (nachdem sie keinen Prinzen finden konnte und der Realität ins Auge blicken musste) Schauspielerin, Synchronsprecherin und Autorin und durfte so zumindest ab und zu mal eine Prinzessin spielen, sprechen oder über eine schreiben. Geschichten fliegen ihr zu wie Schmetterlinge. Überall und zu allen Tages- und Nachtzeiten (dann eher wie Nachtfalter). Sabine Bohlmann kann sich nirgendwo verstecken, die Geschichten finden sie überall. Und sie ist sehr glücklich, endlich alles aus ihrem Kopf rausschreiben zu dürfen. Auf ein blitzeblankes, weißes - äh - Computerdokument. Und das Erste, was sie tut, wenn ein neues Buch in der Post liegt: Sie steckt ihre Nase ganz tief hinein und genießt diesen wunderbaren Buchduft.

Mehr über Sabine Bohlmann: www.sabinebohlmann.com

Sabine Bohlmann auf Facebook: www.facebook.com/SabineBohlmann

Sabine Bohlmannauf Instagram: www.instagram.com/missbeehonig

Der Verlag

Du liebst Geschichten? Wir bei Planet in der Thienemann-Esslinger Verlag GmbH auch! Wir wählen unsere Geschichten sorgfältig aus, überarbeiten sie gründlich mit Autor*innen und Übersetzer*innen, gestalten sie gemeinsam mit Illustrator*innen und produzieren sie als Bücher in bester Qualität für euch.

Deshalb sind alle Inhalte dieses E-Books urheberrechtlich geschützt. Du als Käufer*in erwirbst eine Lizenz für den persönlichen Gebrauch auf deinen Lesegeräten. Unsere E-Books haben eine nicht direkt sichtbare technische Markierung, die die Bestellnummer enthält (digitales Wasserzeichen). Im Falle einer illegalen Verwendung kann diese zurückverfolgt werden.

Mehr über unsere Bücher, Autor*innen und Illustrator*innen: www.planet-verlag.de

Planet! auf Facebook: www.facebook.com/thienemann.esslinger

Planet!auf Instagram: www.instagram.com/thienemann_esslinger_verlag/

Viel Spaß beim Lesen!

Für meine Eltern

Stille. Absolute Stille. Der Wald wollte heute wohl nicht reden. Nicht einmal flüstern. Er verschluckte die Geräusche der Straße, ja der ganzen Welt, und bewahrte sie irgendwo auf. Vielleicht verwandelte er den Autolärm auch einfach in Blätterrauschen, das Schreien der Kinder aus dem Kindergarten in der Nähe in Vogelgezwitscher und das Rauschen der Flugzeuge am Himmel in das Summen der Bienen.

Willow lag im Moos unter der alten Weide vor dem Hexenhäuschen und lauschte der Stille. Sie hörte dem Wald ganz aufmerksam beim Schweigen zu.

»Komm schon, rede mit mir!«, flüsterte sie ihm nach einer Weile zu. Dann schloss sie die Augen und öffnete ihre Ohren noch ein Stückchen weiter. Ja, man kann auch seine Ohren öffnen. Genauso wie man sie verschließen kann, um nur das zu hören, was man hören will. Und Willow merkte, wie schon so oft, dass die Stille des Waldes gar nicht so still war.

»Man muss genau hinhören!«, hatte ihr ihre Großtante Alwina immer gesagt, als Willow noch ein kleines Mädchen war.

Jetzt war ihre Großtante gestorben und hatte Willow diesen Wald, das kleine Häuschen und, was das Erstaunlichste war, auch ihre Hexenkraft vererbt.

Willows Mundwinkel bewegten sich langsam nach oben. »Hörst du, Rufus?«, fragte das Mädchen den Fuchs, der mit dem Kopf auf Willows Bauch lag und die Stille des Waldes ebenfalls genossen hatte.

Jetzt spitzte auch er die Ohren. Er war, seit Willow die Hexenkraft in sich trug, ihr ständiger Begleiter geworden. Nur wenn sie den Wald verließ, blieb er zurück.

»Ich höre den Wind, der die Blätter bewegt. Ich höre das Summen im Hornissennest in der Eiche, das Nagen eines Eichhörnchens an einem Zapfen, und das Wuseln der Ameisen im Ameisenhügel nicht weit von hier. Ich höre das Klopfen des Spechtes in der Ulme. Nein, warte mal, Rufus. Das ist kein Specht. Das Klopfen hört sich anders an. Wie …«

In diesem Moment spürte Willow die Erde beben. Und es dauerte nicht lange, da erschien ein großer bunter Vogel zwischen den Bäumen. Und sofort waren die Ruhe und das Flüstern des Waldes vorbei. Denn der bunte Vogel war niemand anderes als Gretchen. In ihrer bunten Kleidung.

Sie war eine wahre Meisterin darin, die abgetragenen Kleidungsstücke ihrer fünf älteren Brüder zu zerschneiden und daraus neue Gretchen-Klamotten zu nähen. Auf dem Kopf trug sie eine Biberohrenmütze. Und mit Gretchen strömte ein Schwall von Wörtern über Willow hinweg. Dieser Wortschwall ließ der Waldstille keinen Raum mehr. Nicht den Hauch einer Chance, gehört zu werden. Ohne Punkt und Komma redete Gretchen drauflos.

»Da laus mir einer ein Huhn! Weißt du, was echt komisch war, Willow? Kehala hat sich heute, als ich in den Wald kam, so gut versteckt, dass ich zuerst einen Stein begrüßt habe. Ich hab also zu dem Stein ›Da bist du ja, meine Kleine!‹ gesagt und mich dann gewundert, dass meine Schildkröte so kalt war, und dann hat Kehala, die unbeweglich danebensaß, tatsächlich irgendwie gelacht. Vielleicht hat sie auch geniest, aber hol mich der Kuckuck, es hat sich echt nach Lachen angehört. Können Schildkröten lachen, was meinst du? Also ich glaube ja …«

»Gretchen, weißt du eigentlich, dass der Waldboden bebt, wenn du kommst? Ich meine, du bist gerade mal einen Meter dreißig groß. Und wenn man die Augen geschlossen hat, könnte man meinen, da trampelt ein dicker Riesenelefant.«

»Erstens bin ich einen Meter dreiunddreißig und zweitens, ich bin eben keine Fee. Flügel müssten mir erst noch wachsen. Und einen Besen erlaubst du uns ja nicht!«

»Was heißt da erlauben? Ich bin doch hier nicht die Oberhexe, die alles bestimmt!«, protestierte Willow.

Gretchen bekam kugelrunde Augen. »Du meinst also, du hättest gar nichts dagegen, wenn wir auf Besen fliegen würden?«, fragte sie aufgeregt.

»Ich meine, dass wir nicht diese Art von Hexen sind. Ich kann mich einfach nicht erinnern, meine Tante Alwina jemals auf einem Besen durch die Luft fliegen gesehen zu haben.«

Gretchen ließ die Schultern hängen. »Vielleicht sind unsere Großmütter und Tanten ja auch nur dann geflogen, wenn wir nicht da waren«, überlegte sie.

In diesem Moment segelte eine Eule auf die beiden Mädchen zu und nahm auf einem der Zweige über ihnen Platz.

»Hallo, Jolanda!«, riefen die beiden im Chor. Und es dauerte nicht lange, da erschienen zwischen den Zweigen zwei weitere Mädchen. Das eine hatte hellblonde Zöpfe und eine Fellweste an. Das andere war ein ganzes Stück kleiner mit schwarzen Locken. Es trug eine Latzhose, aus deren Brusttasche ein Eichhörnchen herausguckte.

Valentina und Lottika, genannt Lotti. Jetzt waren die vier Hexen, die vier Elemente, komplett. Denn jedes der Mädchen stand für ein Element. Willow für das Feuer, Valentina für die Luft, Gretchen für das Wasser und Lotti für die Erde. Es war noch gar nicht so lange her, da hatte Grimmoor, das Hexenbuch, Willow die Aufgabe gegeben, nach den anderen drei Hexenmädchen zu suchen. Und so hatte sie nicht nur die drei Hexen, sondern auch drei wunderbare Freundinnen gefunden.

»Willow behauptet, ich gehe wie ein Elefant!«, beschwerte sich Gretchen.

»Hab ich gar nicht gesagt!«, verteidigte sich Willow.

»Hast du schon!«

»Ich habe gesagt wie ein dicker Riesenelefant. Das ist was ganz anderes.«

Gretchen verschränkte gespielt beleidigt die Arme vor der Brust.

»Ich liebe dicke Riesenelefanten!« Tröstend umarmte Lotti den kleinen dicken Riesenelefant Gretchen ganz fest. »Weißt du was, Gretchen? Ich leih dir mal ein Tutu von der Ballettschule meiner Mama. Mit einem Tutu kann man gar nicht anders, da muss man schweben«, schlug Lotti vor.

»Holla, die Waldfee, weißt du, dass ich mir schon immer so ein Tutu gewünscht habe? Leider hab ich von meinen fünf Brüdern kein abgelegtes Tutu zu erwarten. Ich wünschte, einer von ihnen würde ins Ballett gehen.« Bei diesem Gedanken lachte sie los.

»Selbst wenn einer deiner Brüder Tänzer wäre, hätte er doch trotzdem kein Tutu, aus dem er rauswachsen könnte!«, stellte Valentina fest.

»Ach nein? Und was ist mit der Gleichberechtigung los? Die ist doch nicht gleichberechtigt, wenn Tänzer keine Tutus tragen dürfen, wenn sie das vielleicht wollen!«

»Nein, Tänzer tragen Strumpfhosen und Trikots.«

»Verdammte Axt, dann komm ich nie zu einem eigenen Tutu.«

Die Mädchen kicherten.

»Ich hab Kräuterlimo gemacht. Habt ihr Lust?«, fragte Willow und holte, ohne die Antwort abzuwarten, ein Tablett mit vier Gläsern, gefüllt mit Limonade, aus dem Häuschen.

Es war ein warmer Tag und die Kräuterlimonade war genau das, was die Mädchen jetzt brauchten.

Lotti kramte aus einer Hosentasche eine Nuss, aus der anderen einen Nussknacker und öffnete sie. Dann hielt sie sie dem Eichhörnchen vor die Nase. Es dauerte keine Sekunde, da war die Nuss im Eichhörnchen verschwunden.

»Hat Krümel immer noch nicht gelernt, seine Nüsse allein zu knacken?«, fragte Willow.

Lotti schüttelte den Kopf. »Ich glaube, Krümel würde ohne mich echt verhungern!«

»Und ich glaube, du verwöhnst ihn einfach. Ist doch klar, dass er es nicht selbst macht, wenn du es für ihn tust!«

»Aber ich kann ihn ja nicht hungern lassen!« Lotti sah besorgt zu dem kleinen Eichhörnchen hinüber, das gerade zu Rufus hüpfte, um ihn ein wenig zu ärgern.

Und kurze Zeit später rannten Gretchen, Lotti, Rufus und Krümel wild durcheinander. Bald wusste man nicht mehr, wer hier eigentlich wen fangen oder kitzeln wollte.

Willow lag auf dem Rücken und starrte in die Wipfel der Bäume.

»Du bist heute irgendwie ganz still, Willow!«, stellte Valentina fest und ließ sich neben ihrer Freundin nieder. »Ist bei dir alles in Ordnung?«

Willow seufzte. »Im Grunde schon. Nur das mit Papa und dieser Gundula beschäftigt mich. Die pflanzt sich wie eine Schlingpflanze bei uns ein und schlingt und schlingt und schlingt. Vor allem umschlingt sie meinen Vater und der merkt es nicht mal!«

»Was macht sie denn?«, fragte Lotti, die ganz außer Puste war und sich nun ebenfalls wieder neben die anderen Mädchen ins Gras plumpsen ließ.

Willow holte tief Luft und begann zu erzählen. Dabei wurde sie immer aufgebrachter. »Vorletzten Montag hat sie uns selbst gebackenes Brot vorbeigebracht. Es war ein freeganer-ovo-lakto-veganes Rezept, oder so ähnlich. Und nicht nur das, es war auch noch total eklig – selbst Papa fand es nicht lecker. Wenn man es nur ansah, zerfiel es sofort in alle Einzelteile, und wir mussten es dann mit einem Löffel vom Teller essen. Bevor wir aber daran erstickt sind, haben wir die Reste den Nachbarhühnern über den Zaun geworfen. Doch auch die wollten es nicht. Am Dienstag hat sie uns einen Ableger ihres Chlorophytum comosum mitgebracht und eine halbe Stunde erklärt, wie man den pflegen muss. Dabei handelt es sich um die einfachste und unkomplizierteste Pflanze der Welt – eine Grünlilie. Die kann man weder kaputt gießen noch vertrocknen lassen. Am Mittwoch hat sie Papas Hemd mitgenommen, weil da eine Naht geplatzt war, und schon am Donnerstag wieder geflickt mitgebracht. Als ob ich das nicht hätte zuhexen können – aber ich hatte den Riss einfach noch nicht bemerkt. Am Freitag stand sie vor der Tür mit einer Flasche Wein, die sie irgendwie angeblich nicht aufbekam und die sie dann als Dank, weil mein Vater sie geöffnet hatte, direkt mit ihm bei uns trinken wollte.« Willow klatschte sich mit der flachen Hand auf die Stirn. »Die ist einfach so dumm!«

»Aber das ist doch eigentlich alles sehr nett«, sagte Valentina vorsichtig.

»Find ich auch!«, stimmte ihr Gretchen zu.

»Ja, bis zu diesem Punkt schon«, begann Willow erneut, »aber in der nächsten Woche stand sie am Montag vor unserer Tür und hat gefragt, ob wir ihr unseren Rasenmäher leihen würden, und das noch mit rasenmähendem Papa obendrauf, weil ihr immer schlecht wird von der Anstrengung. Am Dienstag sollte Papa eine Birne in eine ihrer Lampen schrauben. Als er nach mehreren Stunden wiederkam, erzählte er, dass zu der Birne auch noch eine Lampe kam, die an der Decke angebracht werden musste, doch um an die Decke zu kommen, musste Papa erst die Leiter reparieren und dazu in den Baumarkt fahren, um die richtigen Schrauben zu kaufen. Vorher musste er aber noch die Sommerreifen auf Gundulas Auto aufziehen, weil sie das bis heute, und ich erinnere euch daran, dass wir uns mitten im Sommer befinden, noch nicht geschafft hatte.« Jetzt schüttelten die Mädchen bereits die Köpfe. Doch Willow war noch nicht fertig: »Am Mittwoch wollte sie ihre Wäsche bei uns waschen, weil ihre neue Wachmaschine gerade mit ihren Seidenblusen zu tun hatte. Am Donnerstag hat sie Rosen aus unserem Rosenbeet geschnitten, weil ihre Mutter Geburtstag hatte, und am Freitag brachte sie einen großen Korb mit kaputten Spielsachen von Gideon und Geraldine vorbei und meinem Vater den Auftrag, diese zu reparieren!« Willow lachte laut auf. »Papa und reparieren – das ist schon ein Witz für sich. Er hat zwei linke Hände, mindestens. Also hab ich sie heimlich ganz gehext, und als sie sie dann abgeholt hat, hat Gideon gemeint, dass er die jetzt alle teuer im Internet verkaufen kann und sich von dem Geld eine Playstation 5 holt!«

»Verstehe«, begann Valentina nachdenklich. »Sie ist also erst nett und verlangt dann eine Gegenleistung!«

Willow nickte. »Ja, genau so macht sie es. Dazu blinzelt sie meinen Papa mit ihren angeklebten Wimpern so an, dass man davon fast weggepustet wird.«

»Ich fand schon immer, dass sie die totale Nervensäge ist«, meinte Lotti.

»Na ja, scheint, als hätte sie doch einen an der Waffel«, fügte Gretchen hinzu.

»Und jetzt hat sie sich zum Essen bei uns eingeladen. Mit Gideon und Geraldine im Gepäck. Mal wieder. Und ihr wisst, wie schwierig es ist, etwas zu finden, das sie essen dürfen.«

Die drei Mädchen nickten.

»Die sind doch Farinaria und Glutendingsbums-Unverträgliche und so was alles«, erinnerte sich Valentina.

»Ja, die sind einfach alles, was es da so gibt, und wenn man was findet, was sie dürfen, schmeckt es ihnen nicht!«, erklärte Willow.

»Also, ich bin echt froh, dass meine Mama meinen Papa hat und die sich noch lieben«, sagte Lotti nachdenklich.

»Donnerknispel, das kannst du laut sagen«, entgegnete Gretchen. »Meine Eltern lieben sich auch noch, sehr sogar. Sie gehen immer Händchen haltend überallhin!«

Willow seufzte. »Meine Eltern würden sich auch noch lieben, wenn meine Mama noch da wäre.«

Gretchen und Lotti sahen sich erschrocken an.

»Tut mir leid«, sagte Gretchen. »Ich wollte dich nicht traurig machen!«

»Ich dich auch nicht!«, fügte Lotti hinzu.

»Also bei meinen Eltern war es einfach besser, dass sie sich getrennt haben. Die haben nur noch gestritten«, erzählte Valentina.

»Vermisst du deinen Vater nicht manchmal?«, fragte Lotti.

Valentina dachte nach. Dann zuckte sie mit den Schultern. »Wir sehen ihn ja. An Geburtstagen und so. Doof ist nur, dass er eine neue Freundin hat, und die ist mindestens so nervig wie deine Gundula, Willow!«

»Sie ist nicht meine Gundula!«, empörte sich Willow. »Aber ich fürchte, sie will es werden. Frau Gundula Flynn!« Willow hob die Hand und ließ eine kleine Flamme auflodern. Mit der anderen Hand formte sie aus der Flamme einen Feuerball und ließ ihn in die Luft fliegen.

»Wenn du wütend bist, ist dein Feuer immer röter als sonst – und ich finde, auch irgendwie heißer«, stellte Lotti fest und sah dem Ball nach, wie er höher und höher flog und sich langsam auflöste. »Meinst du wirklich, dass sie euch heiraten will? Dann will ich aber Traujungfer werden und Blumen streuen!«, sagte Lotti.

»Um Gottes willen, nein! Ich hoffe doch nicht, dass es so weit kommt. Das fehlt mir noch, dass die drei mitsamt Goldi Goldfisch bei uns einziehen! Ich hexe ständig neue Löcher in die Decke und Risse in das Parkett, in denen sich Gundulas Stöckelschuhe verhaken können, und ich lasse das Haus knarzen, damit sie es bei uns schrecklich findet – aber sie redet immer davon, wie sie das alles bei uns schick renovieren würde.« Willow spitzte die Lippen, klimperte mit den Wimpern und verstellte ihre Stimme, sodass sie wie Gundula klang: »Hausschwamm ausschwämmen, Leuchtdichte an die Lichtdecke, Steinwolle in die Weinstolle, Terrakotta oder ein leichtes Marokko an die Wand und in den Garten ein Jacuzzi!«, näselte sie.

»Ist das Deutsch?«, fragte Lotti. Sie hatte kein Wort verstanden.

»Das ist Gundulisch!«, antwortete Gretchen.

Jetzt setzte Willow sich kerzengerade auf. »Wir müssen es verhindern, bevor es zu spät ist. Risse und Löcher sind wohl kein ausreichender Hinderungsgrund für Gundula. Helft ihr mir dabei?«, fragte sie ihre Freundinnen und sah dabei Hilfe suchend von einer zur anderen.

Valentina, Gretchen und Lotti nickten.

»Was sollen wir tun?«, fragte Valentina.

»Wir müssen einen Plan ausarbeiten. Immerhin sind wir Hexen, da wird uns doch wohl was einfallen!« Willow sprang entschlossen auf.

»Vielleicht hat Grimmoor eine Idee«, überlegte Valentina.

Grimmoor war das alte weise Hexenbuch. Doch es war nicht ganz einfach mit ihm, denn er blätterte seine Seiten nur dann um, wenn er es für richtig hielt. So behielt er sein Wissen oft für sich. Manchmal wiederum fand er so wichtig, was er den Mädchen weitergeben wollte, dass er mit Umblättern und Schreiben gar nicht hinterherkam. Heute lag das Buch zugeklappt auf dem Küchentisch im Hexenhaus, als würde es schlafen.

»Hallo, Grimmoor, schläfst du?«, fragte deshalb Lotti.

Doch augenblicklich schlug das Buch eine Seite auf und schrieb: Hast du schon mal ein Buch schlafen sehen?

Lotti schüttelte sofort den Kopf.

»Aber ich hab auch noch nie ein Buch sich selbst schreiben sehen!«, grinste Gretchen.

»Und musst du eigentlich nie was essen?«, erkundigte Lotti sich höflich. Sie streichelte dem Buch über die Seiten.

»Was sollte ein Buch denn essen, Lotti?«, fragte Willow amüsiert.

»Buchstabensuppe vielleicht«, entgegnete die Kleine wie aus der Pistole geschossen. Die Mädchen kicherten.

Ich zehre vom Bariumsulfat, von Bleiläusen, Lauge und ein wenig Tinte, schrieb Grimmoor und ging nicht weiter auf Lottis Witz ein.

»Bleiläusen?« Lotti kräuselte angeekelt die Nase.

Wie kann ich euch helfen?, fragte das Buch.

»Willow hat ein Problem«, begann Gretchen.

»Diese Gundula möchte sie heiraten!«, erklärte Lotti.

Ist Willow dafür nicht noch zu jung? Darf man mit elf Jahren schon heiraten?, fragte das Buch. Wieder kicherten die Mädchen.

»Nicht Willow. Gundula möchte ihren Vater heiraten!«, erklärte Valentina lachend.

Sie möchte ihren eigenen Vater heiraten? Darf man das?????, schrieb das Buch und die fünf Fragezeichen, die es machte, zeigten sein Entsetzen an.

»Gundula möchte Willows Vater heiraten«, erklärte Gretchen noch einmal so langsam und deutlich, wie sie konnte, und verdrehte dabei die Augen.

»Also, sie möchte ihn sich auf jeden Fall angeln!«, fügte Valentina hinzu.

Willow nickte heftig, um das Gesagte zu unterstreichen.

Es könnte doch durchaus sein, dass Willows Vater diese Gundula gern heiraten möchte. Vielleicht ist er dann glücklich, schrieb das Buch.

»Mein Vater merkt gar nicht, was für eine Frau das ist. Sie ist … sie ist … äh …« Willow überlegte angestrengt.

»Eine richtige Hexe!«, rief Lotti.

»Potzblitz, das ist sie, eine Hexe und bestimmt keine von den guten!«, fügte Gretchen hinzu. Und sie klang äußerst überzeugt.

Das Buch schwieg eine Weile, als würde es überlegen.

Seid ihr sicher? Ist sie wirklich und wahrhaftig eine Hexe?, fragte es schließlich.

Die Mädchen sahen sich an.

»Jedenfalls müssen wir etwas dagegen tun. Wir müssen sie irgendwie loswerden. Also nicht wirklich loswerden, sie soll uns einfach in Ruhe lassen, und du musst uns dabei helfen, Grimmoor!«, bat Valentina eindringlich.

Ich werde darüber nachdenken! Da kann ich jetzt keinen Spruch aus dem Papier schütteln, schrieb das Buch und schon schloss sich der Buchdeckel.

»Wir hätten Grimmoor die Wahrheit sagen sollen«, überlegte Valentina, als die Mädchen durch den Wald nach Hause spazierten.

»Was meinst du?«, fragte Lotti.

»Ich meine, dass Gundula ja in Wirklichkeit keine Hexe ist!«

»Aber sie ist doch eine – also nicht eine, die hexen kann, natürlich, aber eben so, wie man zu einer blöden Gans auch mal dumme Kuh sagt, oder umgekehrt, obwohl das nicht stimmt«, erklärte Gretchen.

»Genau, das sind so Redewendungen, so was sagt man eben«, bestätigte Willow.

Sie spazierten weiter durch den Wald. Immer wieder suchten sie nach neuen Pfaden, neuen Nestern oder neuen Spuren von Tieren. Immer wieder machten sie sich auf Wurzelgesichter aufmerksam, aßen Beeren und balancierten über den Bach, der durch den Wald führte. Sie atmeten tief den wunderbaren Waldgeruch ein und fühlten sich frei.

Plötzlich blieb Willow stehen. »Hört ihr das auch?«

»Dieses Klopfen?«, fragte Lotti.

»Klingt wie ein Specht. Ein ganz normaler Specht«, meinte Gretchen.

»Ich finde nicht, dass es sich wie ein Specht anhört. Eher so, als würde jemand etwas bauen«, überlegte Willow.

»Ja, ein Specht, der sich eine Spechthöhle baut!«, sagte Lotti vergnügt.

»Willow, du hörst schon Gespenster!«, lachte Gretchen.

»Vielleicht sind es Gespenster, die sich mit Hammer und Nägeln eine Gespensterburg bauen«, flüsterte Valentina geheimnisvoll.

»Ich möchte aber nicht so gern, dass es auch noch Gespenster gibt!« Lotti drückte sich ängstlich an Willow. Diese legte lachend einen Arm um sie und dann folgten sie dem Pfad hinaus aus dem Wald.

»Keine Sorge, Lotti. Weißt du nicht mehr? Der Wald ist unser Freund und er wird uns immer beschützen. Mit seinen starken Ästen und Wurzeln schlägt er die Gespenster einfach in die Flucht!«

Dann hatten sie den Waldrand erreicht. Überschwänglich verabschiedeten sie sich von ihren Krafttieren und traten aus dem Gebüsch auf den Weg, der zu Willows Haus und dahinter in die Eulengasse führte.

»Wollen wir es am Wochenende zusammen angehen? Bis dahin hat Grimmoor sicher eine Idee!«, schlug Willow vor.

»Wie wäre es, wenn wir am Freitag im Hexenhaus übernachten?«, fragte Valentina.

»Potzblitz und Donnerpfeil, eine Pyjamaparty? Das wäre genial!«, rief Gretchen und ihre Wangen wurden rot vor Vorfreude. Auch Valentina und Lotti nickten begeistert.

»Dann feiern wir gleichzeitig den ersten Ferientag!«, jubelte Gretchen.

»Den ersten Sommerferientag!« Willow hüpfte vor Freude in die Luft.

»Unser erster Sommer als Hexen«, überlegte Valentina und die Vorfreude auf diese Ferien war ihr ins Gesicht geschrieben.

»Was für ein Glück, dass wir alle in den Ferien nicht wegfahren!«, stellte Lotti fest.

»Stimmt. Meine Mutter hat sich lang und breit bei mir dafür entschuldigt. Aber ein Urlaub mit sechs Kindern ist einfach zu teuer. Ich hab geseufzt und mich dann ganz verständig gezeigt«, kicherte Gretchen.

»Meine Mama muss ihre Ballettschule in den Sommerferien für ein Tanzprojekt auflassen«, erzählte Lotti.

»Und wir sind ja sowieso erst im Frühjahr hierhergezogen und Urlaub hatte ich die ganzen letzten Jahre meines Lebens irgendwie«, sagte Willow, die, seit sie sich erinnern konnte, nur von einem Ort zum anderen gezogen war. Zuletzt hatte sie mit ihrem Vater ein ganzes Jahr in Singapur gelebt. Vom Reisen hatte sie also erst einmal genug. Willow seufzte glücklich. Mit dem Gedanken an ein Wochenende im Wald mit ihren drei besten Freundinnen fühlte sich alles gleich viel leichter an.

Zu Hause holte sich Willow eine Milchtüte aus dem Kühlschrank und setzte sich an den Küchentisch. Sie hatte ihr Waldtagebuch vor sich aufgeschlagen und durchblätterte es langsam. Auf den ersten Seiten befand sich ein Plan ihres Waldes. Dann gab es Seiten, auf die sie Federn, getrocknete Blumen und Blätter geklebt oder abgemalt hatte. Und sie hatte versucht, die Tiere des Waldes in ihr Buch zu zeichnen. Zufrieden streichelte sie über die Zeichnung von Rufus. Dann nahm sie einen Stift und skizzierte ein paar Bäume aus dem Gedächtnis. Wenige Augenblicke später kam ihr Vater zur Tür herein.

»Hallo, Papa, wo warst du denn?«, fragte Willow und nahm einen großen Schluck direkt aus der Milchpackung.

»Hey, Pieps!«, begrüßte Adam Flynn seine Tochter und gab ihr einen Kuss auf den Kopf. »Nur kurz drüben bei Gundula.«

Willow verdrehte die Augen. »Musstest du wieder etwas reparieren?«, fragte sie und machte dabei ein ganz unschuldiges Gesicht. »Waren etwa ihre Schrauben locker oder hatte sie einen Sprung in der Schüssel? Oder vielleicht einen Dachschaden? Oder nicht alle Latten am Zaun? Oder hat sie nur den Verstand verloren und du musstest ihr beim Suchen helfen?«

Adam Flynn sah seine Tochter lange an. Dann zog er einen Stuhl heran, setzte sich vor sie und nahm ihre Hände in seine. Er seufzte. »Ist das schon die beginnende Pubertät, Willow? Wird ab jetzt alles schwieriger?«

Willow überlegte. »Mag sein, dass du jetzt in die Pubertät kommst, Papa. Und ja, dann wird es auch schwieriger mit dir!« Willow grinste schief.

»Ich finde das gerade gar nicht witzig, Pieps!« Ihr Vater presste die Lippen aufeinander.

»Doch, ein bisschen witzig war das schon, und du musstest auch ein bisschen grinsen. Gib’s zu, Papa!« Willow sah ihren Vater gespannt an. Jetzt konnte er nicht mehr anders.

»Okay, also ein bisschen lustig war das schon.«

»Sehr lustig!«

»Ja, also gut, sehr lustig!«, lachte Adam Flynn.

»Und ich sag dir eines, Papa: Solange wir beide lustig sind, sind wir noch nicht in der Pubertät!«

»Da magst du recht haben.«

»Hab ich ganz bestimmt. Denn eines weiß ich, wenn Männer in deinem Alter in die Pubertät kommen, dann ist das alles andere als lustig!«

»Ach, Pieps, du bist ganz schön schlau!«

»Tja, was soll man machen?« Willow zuckte mit den Schultern.

»Aber eine Frage hätte ich. Eine ernste«, begann Adam Flynn.

»Papa, ich glaub, für ernste Fragen bin ich …«, Willow gähnte übertrieben, »… heute einfach schon zu müde! Ich glaub, es wird höchste Zeit, ins Bett zu gehen!« Sie packte ihr Waldtagebuch und die Stifte zusammen, gab ihrem Vater einen Kuss, rutschte vom Stuhl und bemühte sich, dabei möglichst müde auszusehen.

Oben in ihrem Zimmer setzte sie sich auf den Fenstersitz und blickte zu ihrem Wald hinüber, hinter dem gerade die Sonne untergegangen war. Willow konnte sich vorstellen, was diese ernste Frage gewesen wäre. Bestimmt hatte sie mit Gundula zu tun, denn auf Adam Flynns Wange war deutlich ein quietschroter Lippenstiftabdruck zu sehen gewesen. Willow seufzte. Wie gut, dass sie die Sache am Wochenende angehen wollten. Und hoffentlich hatte Grimmoor eine zündende Idee.