Gotteswort, weiblich
Wie heute zu Gott sprechen?
Gebete, Psalmen und Lieder
© Verlag Herder GmbH, Freiburg im Breisgau 2022
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Satz: SatzWeise, Bad Wünnenberg
E-Book-Konvertierung: SatzWeise, Bad Wünnenberg
ISBN Print 978-3-451-39480-5
ISBN E-Book (EPUB) 978-3-451-83480-6
ISBN E-Book (PDF) 978-3-451-83481-3
Gebrauchsanleitung für dieses Buch
Unterwegs zu einer nichtpatriarchalen Gottesrede: Problemanzeigen und Hoffnungen
Räume der Gottesbegegnung
Nichtpatriarchale Gottesrede als Notwendigkeit
Liturgische Ignoranz gegenüber wissenschaftlichen Erkenntnissen
Das Problem einer systemstabilisierenden Sprache
Variierende Gottesnamen oder „Herr“?
Biblische Marginalisierungen aufzeigen
Eine Tradition der Imperialisierung des Gottesbildes
Gesucht ist eine suchende Gottesrede
Warum und wie also nichtpatriarchal von Gott reden?
Gott weiblich anreden
Gotteswort, weiblich: Ein Versuch
Eine nichtpatriarchale Gebetssprache finden
Gebete und Gebetssprache im Gottesdienst
Trinitarische Formulierungen
Quellen der Gottesrede
Eingangsgebete
Gebetstexte
Psalmgebet
Ein biblisches Gebetbuch
Fremdheitserfahrungen
Beten aus der Perspektive der Machtlosen
Sprachräume und Gottesbilder
Aber wie mit Psalmen beten?
Psalmgebet nach Ps 4
Psalmgebet nach Ps 20
Psalmgebet nach Ps 23
Psalmgebet nach Ps 27
Psalmgebet nach Ps 32
Psalmgebet nach Ps 55
Psalmgebet nach Ps 86
Psalm 103
Krisenpsalm
Psalm für Beterinnen, die an ihrer Kirche leiden
Fürbittgebet
Vergebens- und Fürbitten in der Fastenzeit
Fürbitten nach dem Evangelium von der Bergpredigt und nach einem Vierteljahr Pandemie
Vergebens- und Fürbitten nach der Geschichte vom Stillen des Sturms, im Sommer 2020 nach der Explosion im Hafen von Beirut und nach einem halben Jahr mit der Corona-Pandemie
Fürbitten nach 10 Monaten Pandemie
Zum Fest der Heiligen Familie nach einem Dreivierteiljahr Pandemie
Palmsonntag nach einem Jahr Pandemie
Nach der Geschichte vom Stillen des Sturms (Mk 4,35–41) und nach anderthalb Jahren Pandemie
Nach der Unwetterkatastrophe im Rheinland und in der Eifel 2021 – und nach der Geschichte von der wunderbaren Brotvermehrung ( Joh 6,1–15 par.)
Segen
2. Sonntag nach Weihnachten
2. Sonntag der Osterzeit/Das Evangelium von Thomas, dem Zweifler
Zur Erzählung aus dem Evangelium von der Auferweckung der Tochter des Jaïrus
Segen von Atem und Kraft
Segen von Blicken und Größe
Segen zu Pandemie- und anderen schweren Zeiten
Segen vom Hoffen und Blühen
Segen in Resonanz auf Psalm 116
Segen für finstere Zeiten (zu Mk 13,24–32)
Andere Texte
Exsultet – Lob der Osterkerze
Pfingstsequenz
Pfingsthymnus
Dreifaltigkeitssonntag – ein Gotteslied
Allerheiligenlitanei
Ein Lied nach Ps 103
Zum Abschluss
Dieses Buch speist sich in großen Teilen aus einer auf Dauer angelegten Arbeit: Für jeden Sonntag einen Text für Wort-Gottes-Feiern bereitzustellen und eine geschlechtergerechte Perspektive zu eröffnen, wo sonst die Frohe Botschaft von patriarchalen und sexistischen Tendenzen verdeckt werden könnte. Dieses auf Dauer hin angelegte Unternehmen heißt „Gotteswort, weiblich“ und ist ein Angebot der katholischen Frauenseelsorge im Raum Aachen. Für jeden Sonntag des Kirchenjahrs finden Menschen, die für die Gottesdienste in ihrer Gemeinde Verantwortung übernehmen, hier Texte, Vorlagen, Vorschläge und Perspektiven, um die Gebets- und Lesungstexte neu zum Klingen zu bringen.
Die Absicht dieser praktischen Texte soll sich aber nicht nur nachträglich rekonstruieren lassen, sondern sie wird einleitend dargelegt, erläutert und zur Diskussion gestellt. Gerade die Absicht, religiöse Sprache von impliziten Machtansprüchen des Patriarchats zu befreien, muss sich explizit dem Diskurs stellen, will sie nicht unglaubwürdig werden und in gleicher Weise wie die kritisierte patriarchale Sprache Standards setzen, ohne Rechenschaft über ihre Bedingungen und Möglichkeiten zu geben.
Darum ist den für Wort-Gottes-Feiern, für gemeinschaftliche Gebete und andere Gottesdienste nutzbaren Texten ein längerer theoretischer Teil vorgeschaltet, in dem Notwendigkeit und Möglichkeiten einer Gebetssprache verhandelt werden, die patriarchale Vorstellungen und Normierungen überwindet. Im Anschluss finden sich die Kapitel zu den verschiedenen Gebetsgattungen einer Wort-Gottes-Feier vom Eingangsgebet bis zum Segen, ergänzt um ein Kapitel mit Texten zu christlichen Hochfesten, bei denen die liturgischen Texte besonders häufig und besonders weit hinter dem aktuellen Stand der theologischen Erkenntnis zurückbleiben.
Das doppelte Anliegen dieses Buches spiegelt sich so in seinem Aufbau wider: Es lädt im ersten Teil zur Reflexion und zum Diskurs über religiöse Sprache, Patriarchat und Sexismus ein. Im zweiten Teil gibt es konkrete Texte an die Hand, um Gottesdienste zu gestalten und Alternativen für nicht mehr geeignete Gebetsformulierungen zu finden. In beiden Teilen will es ermutigen und eine Grundlage bieten, um zu einer heutigen, persönlichen, in der Liturgie anwendbaren Gebetssprache zu finden.
Religion ereignet sich nicht im luftleeren Raum. Religion, und umso mehr die Rede vom Glauben in praktischer Absicht, ist darum durchdrungen von der Welt, in der wir leben. In einer Welt, in der sämtliche Unterdrückung, ungerechte Herrschaft, Gewalt und Machtausübung überwunden wären, wäre auch die religiöse Sprache selbstverständlich eine inklusive Sprache, die niemanden ausgrenzt, abwertet, marginalisiert oder einengt, fremdbestimmt oder unsichtbar macht. Sie wäre eine Sprache, die das Gottesgeheimnis schillernd und farbenprächtig zum Ausdruck brächte und alle, die sie hörten, ohne Umwege zur Herzensweite und in die Freiheit führte.
Religion ereignet sich nicht im luftleeren Raum. Und zugleich sollen die eigenen religiösen Räume – ich begrenze mich an dieser Stelle auf die Räume im römisch-katholischen Zweig des Christentums – Räume der Begegnung mit nichts weniger als der Wirklichkeit Gottes selbst sein. Gebet, Bibellektüre, Gottesdienst oder Gemeindegesang sind einige solcher Räume – in diesem Buch wird insbesondere von den liturgischen Räumen die Rede sein. Die Räume der Gottesbegegnung sind keine Sonderräume in einem Paralleluniversum, sondern sie sind Räume in dieser unserer Welt. Darum können sie gar nicht anders als durchdrungen sein von der Ordnung dieser Welt, von den Bedingungen, unter denen wir leben, und von den Erfahrungen, die wir machen. Es ist darum einerseits unvermeidlich und anderseits mit Trauer verbunden, sich einzugestehen, dass die eigenen religiösen Räume nicht immer schon inklusive Räume sind. Die eigenen religiösen Räume sind ja die privatesten Räume, in denen die Seele sich ausrichtet auf das Geheimnis des Lebens, auf das Mehr-als-Alles. Hier geht es um die Erfahrung des unbedingten Angenommenseins, und noch dazu um das Versprechen, dass diese Erfahrung keine Einbildung ist und nichts rein Subjektives bleibt, sondern dass sie wirklich ist, von einem Grad an Wirklichkeit, vor dem noch die handfesteste Realität in etwa so viel Bestand hat wie eine Seifenblase. Diese Räume der Gottesbegegnung sind Räume unserer Welt, und es hat sich allerhand darin angesammelt, was die Gottesbegegnung erschwert, anstatt sie zu ermöglichen. Die eigenen religiösen Räume enthalten Vorstellungen von Gott, die Menschen einengen, anstatt sie in die Freiheit zu führen, sie enthalten Sprachspiele, die Gott fremd statt nahbar machen, und sie enthalten Praktiken, die menschlich-männliche Herrschaftsordnungen reproduzieren, anstatt sie zu überwinden. Alles das disqualifiziert aber diese Räume nicht, sondern nimmt sie ernst als Teil unseres Lebens. Und dieses Eingeständnis nimmt auch die Erfahrungen ernst, die wir als Menschen in einer nicht- perfekten Welt- und Wirtschaftsordnung als Unterdrückte oder als Privilegierte (oder beides) machen.
Wenn das Gottesgeheimnis etwas mit dieser Welt zu tun hat, dann wird es notwendig mit den Strukturen der Unterdrückung konfrontiert, in ihnen ausgedrückt und dabei verformt, verdunkelt und verzerrt. Und doch bleibt es widerständig und verweist in aller Gebrochenheit des menschlichen Ausdrucks auf eine Wirklichkeit, in der alle diese entwürdigenden Strukturen überwunden sind.
Religion ereignet sich nicht im luftleeren Raum: Darum ist die liturgische Sprache als Sprache des religiösen Ausdrucks im ersten Drittel des 21. Jahrhunderts in Westeuropa eine Sprache, die alle Begrenzungen dieses Sprach- und Kulturraums in sich trägt. Sie ist durchdrungen von einer patriarchalen Tradition, die auch in den demokratisierten Gesellschaften noch nicht völlig überwunden ist, sondern fortlebt und fortgeschrieben wird. Und natürlich ist sie auch geprägt von allen anderen privilegierenden bzw. unterdrückenden Strukturen, die sie in unterschiedlichem Maß reflektiert und überwunden hat, wie Rassismus, Kolonialismus, Klassismus und Eurozentrismus, um nur die prägendsten zu nennen.
Nun ist der Titel dieses Buches aber „Gotteswort, weiblich“ und nicht „Nichtpatriarchale Gottesrede“. Denn der Ausgangspunkt war nicht ein Sturmangriff auf das Patriarchat, sondern schlicht der Versuch, Alternativen zu den vorherrschenden männlich-dominanzorientierten Gottesanreden und -bildern für die liturgische Anwendung zu entwickeln. Dabei zeigte sich sehr schnell, dass hier mehr im Argen liegt als ein männlicher Artikel. Die gleichen Bilder nur zu verweiblichen schien nicht sinnvoll, wenn nicht gar widersinnig. Gott „Königin und Herrscherin“ zu nennen statt „König und Herrscher“ klingt zwar ungewohnt, und die Formulierung hebt, weil sie noch nicht zur Floskel geworden ist, die Bedeutung der Herrschaftsanrede ins Bewusstsein. Aber damit wird gleichzeitig auch klar: Dass Gott Herrscherin und Königin ist, ist nur ein sehr kleiner Ausschnitt dessen, was sich über Gott sagen ließe. Darin kann sich das Gottsein Gottes nicht erschöpfen. Gottesanreden geschlechtlich flexibler zu machen – was ja kein Problem sein dürfte, weil Gott ja jede Grenze der Geschlechtlichkeit übersteigt – reicht also nicht. Der Versuch, Gott weiblich ins Wort zu bringen, führt weiter, nämlich zur Entdeckung, wie tief das Patriarchat mit seinen ihm innewohnenden Vorstellungen von Binarität und Polarität, von Herrschaft und Unterordnung in unsere Gottesrede eingeschrieben ist. Und diese Entdeckung führt dann wiederum zum Versuch, diese Grenzen der patriarchalen Gottesbilder zugunsten einer inklusiven Gottesrede zu überwinden.
Das Patriarchat ist dabei nicht das einzige Problem einer inklusiven Gottesrede. Hier ließe sich noch mit dem von Elisabeth Schüssler Fiorenza etablierten Begriff des „Kyriarchats“ ausführen, welche Wechselwirkungen es zwischen dem Patriarchat und anderen Diskriminierungsformen wie Rassismus oder Ableismus (Diskriminierung von Menschen mit Behinderung) gibt. Ich werde im Fortgang trotzdem von Patriarchat bzw. vom Versuch einer nichtpatriarchalen Gottesrede schreiben. Ich bin mir der Begrenztheit dieser Perspektive bewusst. Aber zum einen ist schon das Unternehmen groß genug, eine liturgische Sprache ohne sexistische Diskriminierung zu entwickeln, und zum anderen scheint mir der „Knotenpunkt Patriarchat“ die prägende Diskriminierung in der römisch- katholischen Kirche zu sein. Theologie und Religion zielen aber auf die Freiheit. Ich bin davon überzeugt, dass diese befreiende Dimension bei aller Gebrochenheit der kirchlichen Gottesrede noch vorhanden und erfahrbar ist. Darum ist in der kirchlichen Sprache selbst grundgelegt, dass sie immer wieder kritisiert und weiterentwickelt werden kann und muss. Diese Bewegung wird nie abgeschlossen sein. Nur im Bewusstsein der je eigenen Begrenztheit und Vorläufigkeit lässt sich das Gottesgeheimnis ins Wort bringen. Wo umgekehrt das menschliche Wort der Weiterentwicklung entzogen wird, wird es vergöttlicht und steht damit der Gottesbegegnung selbst im Weg, und es wird dabei letztlich zu einer leeren Hülle, die nicht mehr mit der Wirklichkeit der Sprechenden gefüllt ist – und auch nicht mehr mit einem Abglanz der Wirklichkeit Gottes.
Wenn sie nicht ungehört verhallen soll, muss die Rede vom Gottesgeheimnis immer neu entwickelt werden. Und wenn patriarchale Strukturen immer klarer als unterdrückende und zu überwindende Strukturen begriffen werden, dann ist die Entwicklung einer nichtpatriarchalen Gottesrede eine unumgängliche Aufgabe. Diese Aufgabe ist umso schwieriger, als das Patriarchat die römisch-katholische Gottesrede so durchdringt, dass es zumindest aus der Innenansicht gar nicht mehr selbst auf den ersten Blick wahrzunehmen ist. Elizabeth Johnson stellt das Problem in wenigen Sätzen umfassend dar, wenn sie schreibt:
„Auch bei flüchtiger Betrachtung ist es offensichtlich, dass sich die christliche Gemeinschaft normalerweise am Modell des herrschenden männlichen Menschen orientiert, wenn sie über Gott spricht. Sowohl die benutzten Bilder als auch die sie begleitenden Begriffe spiegeln die Erfahrung der Männer wider, die innerhalb eines patriarchalen Systems Verantwortung tragen. Die Schwierigkeit liegt nicht darin, dass männliche Metaphern verwendet werden, denn Männer sind ebenfalls nach dem Bilde Gottes geschaffen und eignen sich folglich, begrenzt als Ausgangspunkt für das Sprechen über Gott zu dienen. Vielmehr besteht das Problem darin, dass diese männlichen Begriffe ausschließlich, wortwörtlich und patriarchal gebraucht werden.“1
Die Entwicklung einer nichtpatriarchalen Gottesrede verlangt ein neues Sich-ins-Verhältnis-Setzen zu Gott und eine genaue Prüfung der Denkmuster und Sprachspiele, die zur Anwendung kommen. Sie ist dazu eine praktische Angelegenheit, bei der die Sprache im Entstehen schon dem liturgischen Ernstfall ausgesetzt und auf ihre Tragfähigkeit hin überprüft wird: Die Möglichkeit nichtpatriarchaler Gottesrede lässt sich nicht unabhängig von der Praxis der Gottesrede, also im besonderen Maße nicht unabhängig von der liturgischen Sprache erörtern. Denn in der liturgischen Sprache findet die Rede von Gott erst einen Resonanzraum. Natürlich gibt es andere Resonanzräume, und es werden mehr, je leerer die Räume der Liturgie bleiben. Trotzdem muss eine kirchliche Gemeinschaft diese gottesdienstlichen Resonanzräume pflegen und besonders beachten, weil hier die Selbstvergewisserung als Glaubensgemeinschaft stattfindet. Liturgische Sprache setzt, prägt, aktualisiert und reproduziert, wie wir unseren Glauben buchstabieren. Mit „wir“ ist in diesem Fall die Glaubensweise innerhalb der römisch-katholischen Kirche gemeint, Vergleichbares lässt sich für andere kirchliche Traditionsgemeinschaften aber auch herausarbeiten.
Der Graben zwischen theologischer Forschung und kirchlicher Praxis zeigt sich ausgerechnet und unvermeidlicherweise besonders deutlich im Bereich der liturgischen Sprache. Exegetische Erkenntnisse und andere Erträge der wissenschaftlichen theologischen Forschung finden nur sehr verzögert Eingang in die Liturgiesprache. Die Liturgie ist deswegen von besonderem Gewicht, weil innerhalb der katholischen Kirche ein Deutungsmonopol gegeben ist, bei dem in zentralistischer Weise verbindliche Texte vorgegeben werden. Das betrifft etwa die Leseordnung, die bestimmte Verbindungslinien zwischen biblischen Texten nahelegt, bestätigt, vereindeutigt, verschweigt oder negiert, die aber auch durch die Auswahl und Kürzung der biblischen Texte die Vielfalt der biblischen Tradition einengt und nach einer Systematisierung, die keiner Kritik unterworfen ist, hervorhebt oder zum Schweigen bringt. Das betrifft aber auch die Formulierungen der Gebete, die in ihrer deutschen Übersetzung häufig den Nominalstil des Lateinischen nachzubilden versuchen und nicht selten eher nach dogmatischer Belehrung der Gottesdienstfeiernden denn als Gebete zu Gott in seiner*ihrer Nähe und Entzogenheit klingen.
Und auch das Menschen-, Welt- und Gottesbild, das den verbindlich vorgegebenen Gebeten zugrunde liegt, wird keiner Kritik unterzogen, die die gesellschaftlichen, kulturellen, persönlichen Hintergründe und Standorte der Formulierenden einbeziehen würde: In der liturgischen Sprache findet die Selbstrelativierung keinen Widerhall, die sich einstellen muss, wenn man die Standortgebundenheit des eigenen Welt- und Gottesverständnisses beachtet. Es ist eine systemstabilisierende, bestimmte Herrschaftsstrukturen legitimierende Gottesrede aus dem Sprachraum einer privilegierten, mit einer sprachlichen Abkürzung als „alte weiße Männer“ bezeichneten Gruppe. Wer die Sprache für die Liturgie normiert und als verbindlich vorgibt, hat eine enorme Macht über die Möglichkeiten der Glaubensaneignung durch die kirchliche Gemeinschaft. Mit dieser Macht wird bislang nur vordergründig transparent umgegangen. Vordergründig ist durch die hierarchische Struktur der römisch-katholischen Kirche klar, wer hier die Leitung und damit die Deutungshoheit innehat. Aber wie diese Leitung zustande kommt, wer warum in welche (Leitungs-)Position kommt, bleibt oft unklar. In Bezug auf die Liturgie sind hier insbesondere die liturgischen Kommissionen zu nennen, die verbindliche Vorgaben machen, aber für die Gläubigen nicht sichtbar werden und diese Vorgaben den Gläubigen gegenüber nicht begründen müssen. Es gibt darum für die Gläubigen keine effektiven Wege, die Entscheidungen der Liturgischen Kommissionen anzufechten.
Im Bereich der Liturgie wird so abgebildet, was für die gesamte Konstruktion von Macht in der Ämterhierarchie der römisch-katholischen Kirche gilt: Die auf Ausschluss beruhende Konstruktion von Macht wird nicht immer wieder kritisch auf ihre kulturellen und gesellschaftlichen Ursprünge hin befragt, sondern im Gegenteil in ihrem So-Sein sakralisiert und so der Kritik der Ausgeschlossenen entzogen. Das überrascht umso weniger, als die Emanzipation der Nichtprivilegierten durch Aneignung der befreienden Botschaft von der Solidarität Gottes mit den Unterdrückten und Entrechteten diese Ordnung in Frage stellen würde.