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© 2022 K.D. Michaelis
Herstellung und Verlag:
BoD - Books on Demand GmbH, Norderstedt
ISBN: 978-3-755-72165-9
Illustration: Covergestaltung © K.D. Michaelis /
Bildvorlage © Udo Reitter auf Pixabay
https://www.kd-michaelis.com
Rillenbärchen: © Andrea Thiele,
Frankfurt am Main
http://www.thiele-illustration.de
Es war 10.00 Uhr abends und ich genoss den Ausblick von meinem Wohnzimmerfenster auf den vorbeibrausenden Verkehr. Ich mochte diese Stimmung, wenn draußen die Sonne vor dem roten Abendhimmel unterging und die Raketenautomobile in einem schier atemberaubenden Tempo in den irrwitzigsten Mustern kreuz und quer vor meinem Panoramafenster im 23. Stockwerk vorbeischossen. Wobei dieser Strom der modernen, fliegenden Verkehrsmittel auch während der Nachtstunden nie wirklich abebbte. Glücklicherweise drang nichts von dem Lärm und der Geschäftigkeit draußen bis in meine vier Wände vor.
Nach einer Weile meldete sich mein Magen und der Replikator spuckte brav den Merlot 2412 und das von mir georderte Abendessen aus. Ich hatte meine Mahlzeit fast beendet, als sich mein Kommunikationsterminal meldete und mir die Computerstimme folgende Neuigkeit überbrachte. „Hallo Kim - herzlichen Glückwunsch zur neuen Forschungsmission. Sie wurden als Crewmitglied ausgewählt. Alle weiteren Informationen zum Zielort, der Dauer der Mission und Ihrem Aufgabengebiet finden sich im nachfolgenden Dokument. Viel Erfolg.“
In wenigen Tagen würde ein Raumschiff Richtung Triton starten - mit meiner Wenigkeit an Bord. Es war relativ ungewöhnlich, dass man beim Sternenflottenkommando beschlossen hatte, eine Biologin und Verhaltensforscherin mit Mitte Dreißig als Wissenschaftsoffizierin bei der Erforschung einer so weit entfernten und gänzlich unbekannten Welt einzusetzen. Diese Auswahl machte mich schon ein wenig stolz, auch wenn meine Eltern dies zwangsläufig ein wenig differenzierter sehen würden.
Sofort war der Rest des Essens vergessen und ich begann die Datenbank nach Informationen zu diesem Planeten zu durchforsten. Dabei stellte ich fest, dass in dieser weit entfernten Galaxie wohl noch viele Entdeckungen zu machen waren, da es bisher lediglich zwei Missionen dorthin gegeben hatte, von denen aber keine jemals auf dem Planeten gelandet war.
Alles was man bisher aus dem Orbit hatte feststellen können war, dass es dort wohl interessante Erz- und Uranvorkommen geben sollte. Da sich der Planet jedoch ein ganzes Stück außerhalb der normalerweise genutzten, transorbitalen Verkehrsrouten befand, hatte man bisher aus Kostengründen auf eine eingehendere Prüfung dieser Ressourcen verzichtet.
Nachdem mein allererster Wissensdurst gestillt war, stellte ich eine Videoverbindung zu meinen Eltern her, um ihnen die freudige Botschaft zu überbringen. Zuvor orderte ich mir jedoch noch ein weiteres Glas des wirklich leckeren Rotweins, den ich bestimmt brauchen würde, um die guten Ratschläge meiner Mutter ohne Widerworte hinunterschlucken zu können. „Pass auf dich auf Kind. Wieso muss es denn gleich so weit weg sein? Was ist, wenn dir dort etwas passiert? Dein Vater und ich brauchen ja Ewigkeiten, um dann zu dir zu gelangen…“
Ich nahm einen großen Schluck Wein und hörte dem Monolog meiner Mutter nur mit einem halben Ohr zu, während ich die Spitzen meiner langen, braunen Haare um meinen Zeigefinger wickelte. Eine Angewohnheit, die ich schon als Kind gehabt hatte, wenn ich über etwas nachdachte. Es würde noch ein Weilchen dauern, bis Mam eine Atempause machte. Aber ich konnte warten. Irgendwann unterbrach sie ihren Redefluss dann aber doch und ich versprach: „Ich werde gut auf mich Acht geben, mich regelmäßig bei dir - und Paps - melden und mich von allen gefährlichen Individuen fernzuhalten, die dort auf nur irgendwie auf mich lauern könnten.“ Ich musste schmunzeln. Für meine Eltern würde ich immer ihr kleines Mädchen bleiben, auch wenn ich zwischenzeitlich natürlich längst erwachsen war und ganz gut auf mich selbst aufpassen konnte. Trotzdem war ihre Fürsorge irgendwie rührend und natürlich meinten sie es nur gut. Bei mir hingegen überwog ganz eindeutig die Neugier und die Vorfreude. Also versuchte ich die beiden zu beruhigen: „Macht euch bitte keine Sorgen. Ich bin schneller zurück, als ihr denkt. Für mich ist dieser Job eine Riesenchance mich zu beweisen. Feldstudien über die dort vorherrschende Fauna und Flora ganz hautnah durchführen zu können, ist doch toll. Vielleicht mache ich ja sogar eine bahnbrechende Neuentdeckung? Ihr wisst doch, davon habe ich schon als Kind geträumt und genau deshalb freue ich mich auch so auf diese neue Aufgabe.“
Obwohl ich die Bedenken meiner Mutter natürlich nicht ganz ausräumen konnte, war ihr letztendlich klar, dass solche fernen Missionen Teil meiner Arbeit waren, für die ich mich ganz bewusst entschieden hatte. So wünschten mir dann auch beide alles Glück dieser Erde für meine bevorstehende Reise und freuten sich schon jetzt auf die Berichte über meine Forschungsobjekte.
Nachdem ich das Gespräch mit meinen Eltern beendet hatte, beschloss ich, dass es an der Zeit war mit jemandem über meinen neuesten Auftrag zu sprechen, der meine Freude darüber ganz uneingeschränkt mit mir teilen würde. Glücklicherweise erschien das lächelnde Gesicht meiner Freundin Morgana sogleich auf dem Monitor, kaum dass ich die Verbindung angefragt hatte. Sie war also Zuhause - wie schön! Wir kannten uns schon seit Kindertagen und hatten daher eine besonders enge Verbindung zueinander. Weshalb es auch überhaupt kein Problem war, dass ich gleich mit der Tür ins Haus fiel: „Hallo meine Hübsche - du glaubst nicht, was gerade passiert ist. Ich habe einen tollen, neuen Job als Wissenschaftsoffizierin angeboten bekommen, der mich bis nach Triton führen wird. Ist das zu fassen?“
„Das ist ja phantastisch Süße - ich freue mich sehr für dich. Wann geht’s denn genau los und wie lange wirst du unterwegs sein?“
„Der Trip mit der Poseidon startet schon in wenigen Tagen und wird ungefähr 10 ½ Monate dauern. Etwas abhängig davon, wieviel Fracht und Passagiere wir unterwegs zusätzlich aufnehmen werden“, erklärte ich kurz und nüchtern die reinen Fakten.
Was Morgana jedoch nicht im Geringsten daran hinderte, sofort eine ulkige Antwort an meine Adresse loszuwerden. „Denk bitte daran, auch wenn du noch unverheiratet und kinderlos bist. Du musst nicht jeden Außerirdischen mit nach Hause bringen, der dir dort eventuell über den Weg läuft. Deine Mam hat da ganz eigene Vorstellungen, was gut zu dir passt und was nicht. Wobei ich fürchte, dass Enkelkinder mit blauer Reptilienhaut nicht unbedingt ihr Favorit sind. Außerdem habe ich - als potentielle Brautjungfer und zukünftige Patentante - da auch noch ein ganz entscheidendes Wörtchen mitzureden.“
„Aye, aye Sir - äh Mam. Ich werde daran denken. Auch wenn ich das eigentlich für einen neuen Job und nicht für eine Vergnügungsreise mit Partnerschaftsvermittlung gehalten habe“, gab ich lachend zurück. Morgana machte sich immer gerne ein wenig über meine Mutter und deren etwas verstaubte Ansichten lustig, da sie wusste, dass auch ich hin und wieder darüber schmunzeln musste.
„Süße, ich muss leider los. Ich habe noch eine Verabredung mit dem coolsten Typen im Umkreis von hundert Meilen. Aber wir sprechen noch einmal, bevor du abfährst, ja?“
„Na klar. Ich melde mich. Hab einen schönen Abend und mach nicht zu doll.“
„Niemals! Dafür wird hoffentlich meine Verabredung sorgen - zumindest hoffe ich das“, antwortete Morgana mit gespielter Entrüstung.
„Bis bald und hab ganz viel Spaß“, verabschiedete ich mich und trennte die Verbindung. Jetzt wieder allein mit meinen Gedanken im Hinblick auf die vor mir liegende Herausforderung.
Bei dem Namen dieses Planeten musste ich als Biologin - fast schon zwangsläufig - an die Familie der Tritonschnecken denken, zu deren größten Vertretern das wunderschön gemusterte Tritonshorn gehört hatte. Eine Meeresschnecke, die im tropischen und subtropischen Indopazifik vorgekommen war und bis zu einem halben Meter lang und dazu armdick werden konnte.
Eine ihrer Leibspeisen waren Seesterne gewesen. Wobei sie auch vor hochgiftigen Exemplaren - wie dem Dornenkronenseestern - nicht zurückgeschreckt war. Da sie es verstanden hatte, die unterschiedlichen Gifte ihrer Beutetiere in ihrem eigenen Körper anzureichern, war sie als Nahrungsmittel für Menschen nicht in Frage gekommen, was sie zwar vor dem Kochtopf, aber letztendlich trotzdem nicht vor der Ausrottung bewahrt hatte.
Ihr war das apart gemusterte und gedrehte Schneckenhaus zum Verhängnis geworden, das sie eigentlich als Schutz vor Fressfeinden mit sich herumgetragen hatte und das als beliebtes Urlaubssouvenir in so manchem Koffer geendet war. Solange, bis wir auch diese Spezies ausgerottet hatten - wie so viele vor und nach ihr. Vielleicht war dies einer der Gründe dafür, warum ich mich schon in jungen Jahren für die Geheimnisse der Natur interessiert hatte und es seit damals mein Traum gewesen war, diese auch auf fremden Planeten zu entdecken und enträtseln.
Da es sich bei Triton um einen Klasse-M-Planeten handelte, der somit auch eine erdähnliche Atmosphäre aufweisen sollte, machte ich mir keine allzu großen Gedanken darüber, was mich dort erwarten würde. Das hatte ich mir bereits bei meinen früheren Expeditionen ins Unbekannte abgewöhnt.
Denn alle Vorstellungen oder Ängste, die sich unser Gehirn so ausmalen konnte, entpuppten sich stets als vollkommen unzutreffend, da diese Welten meist überhaupt nichts mit unserer gemein hatten. Insofern war dies reine Zeitverschwendung. Die Herausforderungen, die ein neuer Planet an einen stellte, waren einfach nicht vorhersehbar und damit auch nicht planbar. Man konnte das neue Terrain nur mit einer gesunden Portion Neugier und Vorsicht erkunden und dabei stets auf Überraschungen gefasst sein.
Das erinnerte mich an einen unserer letzten Ausflüge in die unerforschten Weiten des Weltalls. Auf Gamma Alphamax waren wir regelrecht über kleine, pelzige Kuben gestolpert, die in den unterschiedlichsten Grautönen schimmerten. Sie schwebten scheinbar ziellos durch die Luft, wobei sie ihre Nahrung direkt aus der Atmosphäre zu beziehen schienen. Ansonsten waren sie auf dem Boden damit beschäftigt gewesen, aus möglichst vielen Individuen geometrische Formen zu bilden, deren Sinn und Zweck wir leider nicht ergründen konnten, da wir aufgrund ungewöhnlich starker Sonnenstürme gezwungen waren, diese Expedition frühzeitig abzubrechen.
Wobei ich mich noch heute gerne an ihren Gesang erinnerte, den sie dabei verbreiteten und dessen unterschiedliche Melodien wohl nicht nur ihre momentane Stimmungslage widergespiegelt, sondern vermutlich sogar eine Art Sprache dargestellt hatten.
Diese Wesen ließen sich auch gerne berühren und wenn man sie sanft streichelte, ertönte eine Mischung aus Glucksen und dem Schnurren einer Katze, das durchaus Unterhaltungswert hatte. Besonders dann, wenn man an einem Turm dieser Kuben vorbeikam und mit der Hand von oben nach unten an diesem entlang strich. Da diese Tierchen eine umso hellere Stimme hatten, je kleiner sie waren.
Beschäftigte man sich intensiver mit ihnen, so waren einzelne Tiere sogar an ihrer Stimme erkennbar. Diese Geräusche schienen aus dem Zentrum der Kuben zu kommen und ließen das ganze Tierchen dabei sanft mitschwingen. Mund-, Nasen- oder Ohröffnungen hingegen fehlten. Ihr Klangspektrum ging weit über die für uns hörbaren Frequenzen hinaus und diente wohl gleichsam als eine Art Radar. Denn obwohl diese Wesen langsam durch die Atmosphäre schwebten, haben wir niemals irgendwelche Kollisionen beobachtet - weder untereinander, noch mit uns.
Ihre Lebenserwartung schien verhältnismäßig hoch zu sein, da es sie von wenigen Millimetern bis zu mehreren Metern Seitenlänge gab. Auch schienen sie perfekt an ihre Umgebung angepasst zu sein, da sie lediglich mit dem in der Luft vorhandenen Stickstoff als Nahrung auskamen. Über ihre Felloberfläche gaben sie eine Art Gas ab, dass die Flora von Gamma Alphamax wieder in Stickstoff umwandeln konnte.
Es hatte sich sogar eine spezielle Symbiose mit einer einzelnen Pflanzenart entwickelt, die wie eine Mischung aus Farn und Schlingpflanze aussah. Allerdings war sie dunkellila gefärbt und wurde etwa einen halben Meter hoch. Diese kam zwar - mehr oder weniger - auf dem ganzen Planeten vor, jedoch schienen die Exemplare in der Nähe großer Kuben-Gruppen wesentlich besser zu gedeihen. Sie wurden fast doppelt so groß wie auf den Flächen, auf denen keine oder nur wenige Kuben versammelt waren.
Leider sonderte diese - von uns ‚Käsekrabbler‘ getaufte - Pflanze einen für unsere Nasen penetranten Gestank ab, der entfernt an verschimmelten Käse erinnerte. Über längere Zeit eingeatmet, war dies nicht nur unangenehm, sondern wirkte manchmal auch - im wahrsten Sinne des Wortes - umwerfend.
Ein Planet bevölkert von friedlichen und kuscheligen Musikinstrumenten. Durchaus auch eine Art von Paradies - wenn auch nicht im herkömmlichen Sinne und nur dann, wenn man eine permanente Schnupfennase hatte. Denn auch Jahrhunderte bemannter Raumfahrt hatten nichts daran ändern können, dass uns nur das als ‚normal‘ erschien, war wir von Zuhause kannten.
In gespannter Erwartung, was für Entdeckungen unser Weltbild wohl dieses Mal korrigieren würden, begab ich mich eine knappe Woche später - beladen mit meinem Forschungsequipment - auf den Weg zur Raumstation Midlands, um nach Triton zu fliegen.
Zuerst ging es an Bord der Poseidon - ein großer, moderner Raumkreuzer mit circa 850 Mann Besatzung, der uns und unseren kleinen Raumgleiter in der Nähe von Triton absetzen sollte. An die Dimensionen der Poseidon musste ich mich erst einmal gewöhnen. Alleine die abtrennbare, halbrunde Kommando-Sektion war größer als jedes Raumschiff, mit dem ich bislang unterwegs gewesen war.
Dabei machte die Schiffszentrale nebst dem Deuteriumantrieb noch nicht einmal ein Zehntel der Gesamtgröße des Schiffes aus. Besonders imposant waren auch die einzelnen Antriebsgondeln, die wie spitzzulaufende Schwingen wirkten und diesem Sternenkreuzer mit seiner schwarzglänzenden Außenhaut ein fast schon kriegerisches Aussehen verliehen. Verstärkt wurde dieser Eindruck noch dadurch, dass die von außen zu sehenden, ovalen Gondel-Enden während des Flugs wie orangerot glühende Augen leuchteten.
Die einzelnen Decks waren riesig. Aber dank der in den Wänden eingelassenen Monitore konnte man sich gut orientieren, weil sie nicht nur einen selbst, sondern auch die in der Umgebung befindlichen Schiffsräume und deren Funktion anzeigten. Da die Poseidon als Langstrecken-Transporter fungierte, hatte sie stets Passagiere unterschiedlichster Couleur an Bord und war folglich mit jedem erdenklichen Komfort ausgestattet. Für Wissenschaftler ein eher ungewohnter Luxus, der mich augenblicklich in eine gute Stimmung versetzte.
Nachdem ich meine Einzelkabine in Besitz genommen und mich einigermaßen häuslich eingerichtet hatte, machte ich mich überpünktlich zu unserem ersten Teammeeting auf. Da ich mir nicht ganz sicher war, wie lange ich für den Weg dorthin brauchen bzw. ob ich den Konferenzort auch auf Anhieb finden würde.
Der Turbolift hielt - wie ihm geheißen - auf Deck 27 und nach einigen Abzweigungen fand ich auch prompt den richtigen Meeting Point. Wie sich schon beim Näherkommen herausstellte, war unser kleines Expeditionsteam ein bunt gemischter Haufen Wissenschaftler unterschiedlichster Herkunft und ich war schon ganz gespannt, sie alle näher kennenzulernen.
„Herzlich willkommen auf der Poseidon. Ich freue mich sehr, Sie alle in meinem Team begrüßen zu können. Mein Name ist Kapitän Foxtra. Ich werde die Expedition zum Planeten Triton leiten und später auch das Kommando für unseren deutlich kleineren Raumgleiter übernehmen. Vorerst sind wir jedoch alle Gäste an Bord dieses schönen Schiffes und können all seinen Komfort genießen - abgesehen von unseren regelmäßigen Teambesprechungen und den natürlich trotzdem nötigen Vorbereitungen für unseren Außeneinsatz auf Triton. Dies wird Ihnen jedoch genügend Freizeit lassen, so dass der größte Teil unserer Anreise durchaus ein wenig Urlaubscharakter versprühen wird. Bei dem ich Ihnen viel Vergnügen wünsche.“
Ich stimmte in den Applaus und das fröhliche Gelächter meiner neuen Crewmitglieder ein, die Kapitän Foxtras Rede hier kurz unterbrachen.
„Doch nun wieder zurück zu den wichtigen Dingen des Lebens“, begann der Kapitän erneut.
„Zunächst möchte ich Ihnen den Chefingenieur unseres Raumgleiters vorstellen: Knox. Wie unschwer zu erkennen ist, ist er Meridianer und ein wahrer Könner auf seinem Gebiet. Also unterschätzen Sie dieses kleine, koboldähnliche Wesen mit seiner fast durchscheinenden Haut und den übergroßen Augen, die übrigens auch bei vollkommener Dunkelheit noch mit schlafwandlerischer Sicherheit ihren Weg finden, bitte nicht. Er wird mit all seiner Erfahrung dafür sorgen, dass wir alle heil zum Planeten und wieder zurück in die Zivilisation gelangen. Das ist Ihr Applaus Knox.“
Ich persönlich fand Knox sofort sympathisch, auch wenn Meridianer für mich immer etwas ulkig aussahen. Das lag vermutlich daran, dass ihre Extremitäten - wie Hände, Füße und Nase - sehr spitz zuliefen, unzählige Falten aufwiesen und im Verhältnis zum restlichen Körper viel zu groß erschienen. Der dadurch entstehende, etwas plump wirkende Gang und die komplett fehlende Körperbehaarung ließen sie in meinen Augen nicht eben hübsch wirken. Aber dafür schlugen sie uns um Längen, wenn es zum Beispiel galt, schnell vor etwas Bedrohlichem flüchten zu müssen. Ihr kleiner Körper konnte sich soweit verbiegen, dass die übergroßen Hände und Füße wie herumgewickelt aussahen und alles zusammen eine Kugel bildete, die ein absolut rasantes Fluchttempo ermöglichte, das wir auf zwei Beinen laufend niemals erreichen konnten. Noch eine äußerst praktische und bewundernswerte Fähigkeit - auch wenn ich inständig hoffte, dass wir diese niemals benötigen würden, um sicher wieder nach Hause zu gelangen. Dafür reichte hoffentlich das technische Verständnis und Know-how von Knox aus.
Es folgte die Vorstellung der Brücken-Besatzung - die einschließlich des Kapitäns - hauptsächlich aus Menschen bestand.
„Um Ihre kleinen und größeren Wehwehchen auf unserer Mission wird sich Niklas als Doktor unseres Forschungsteams kümmern. Solange wir uns auf der Poseidon befinden, melden Sie sich bei einem medizinischen Notfall aber bitte zuerst bei der Chefärztin - Frau Dr. Marisma Moulliary, welche die medizinische Abteilung an Bord dieses Raumkreuzers leitet. Sie wird Niklas selbstverständlich stets hinzuziehen, sobald einer ihrer Patienten zu unserem Team gehören sollte. Würden Sie bitte ebenfalls kurz aufstehen Niklas - damit Sie auch alle sehen können? Vielen Dank.“
Mein erster Gedankenimpuls war, dass ich Niklas hoffentlich nie würde aufsuchen müssen. Aber dann überlegte ich mir das doch sehr schnell anders, als ich einen genaueren Blick auf unseren Medizinmann warf. Bei diesem Anblick konnte man schon mal in Versuchung kommen, Kopfschmerzen vorzutäuschen, um ihm einen Besuch abstatten zu müssen - dachte ich schmunzelnd.
Der Rest unserer kleinen Mannschaft rekrutierte sich aus Terzianern (sehr große, säulenartige Gestalten mit dunkelbrauner Reptilienhaut und einem verhältnismäßig kleinen Kopf), die für die Sicherheit zuständig waren und einigen Kreolinern, die zum Geologen-Team gehörten. Letztere entsprachen zwar in etwa unserer Körpergröße, damit endeten die Gemeinsamkeiten dann aber auch schon wieder. Durch die mindestens 10 Zentimeter breiten Segmente ihrer Körpermitte, die mit bläulicher Haut überzogen waren und sich zum Rand hin verjüngten, wirkte ihr Rumpf, als habe man Ringe verschiedener Durchmesser übereinandergestapelt. Ihre runden, einfarbig roten Augen (ohne Pupillen, Wimpern und Augenbrauen) in dem kleinsten, obersten, blauen Ring ließen ihre Erscheinung im Ganzen etwas ungesund wirken. Woran auch die vier frei beweglichen, langen und rüsselartigen Fühler am Kopfende nichts änderten, die sowohl für einen ausgeprägten Tast-, als auch für einen absolut beeindruckenden Geruchssinn sorgten. Was eine Nase im herkömmlichen Sinne überflüssig machte.
Kurz abgelenkt von meinen eigenen Anatomiestudien, wandte ich jetzt meine volle Aufmerksamkeit aber wieder dem Kapitän zu. „Sie haben sich sicher schon gewundert, warum ich - mit Ausnahme von mir selbst - alle anderen nur mit Vornamen vorgestellt habe. Da wir später auf der Schlussetappe der Reise in unserem Raumgleiter - und natürlich auch auf Triton selbst - nur eine recht kleine, überschaubare Mannschaft sein werden, ist einfacher sich so anzusprechen. Ob Sie andere Crewmitglieder auch noch zusätzlich duzen möchten, bleibt jedem ganz persönlich überlassen. Damit kommen wir für heute auch schon zum Ende dieser ersten Teambesprechung, die ich noch mit einer Bitte an Sie alle beschließen möchte. Es wäre nicht nur schön, sondern auch sehr hilfreich, wenn Sie sich alle bereits hier an Bord bemühen würden, sich - auch in ihrer Freizeit - möglichst bald besser kennenzulernen, da wir dort draußen auf uns alleine gestellt sein werden und somit ein enger Zusammenhalt enorm wichtig für unser aller Überleben ist. Damit sich dies möglichst einfach gestaltet, sind dort hinten Getränke und Häppchen aufgebaut, die Ihnen hoffentlich helfen, gleich jetzt miteinander ins Gespräch zu kommen. Das Buffet ist eröffnet meine Damen und Herren - bitte bedienen Sie sich!“
Damit wies Kapitän Foxtra mit einer einladenden Handbewegung in Richtung der Erfrischungen und Knabbereien, die sich jetzt - wie von Zauberhand - in 4 großen, runden Etagen übereinander ganz langsam zu drehen begannen. Nachdem der Applaus für den Kapitän abgeebbt war, erhob sich ein allgemeines Stimmengewirr, bei dem sich die einzelnen Crewmitglieder einander noch etwas genauer vorstellten. Ich gesellte mich zur Gruppe der Kreoliner und wie sich im Laufe des Gesprächs herausstellte, teilte eine der Geologinnen mein Faible für das Stöbern in der riesigen, elektronischen Bibliothek, in der es tatsächlich auch einige richtige, gedruckte Bücher gab, die man sich ausleihen konnte. Weshalb wir uns nach einer Weile dann auch zusammen dorthin auf den Weg machten.
Wir schlenderten über das Promenadendeck mit all seinen Freizeitgestaltungsmöglichkeiten und waren beide überrascht, wie viele Restaurants und Bars es hier gab. Unser Weg führte uns auch an einem Spielkasino, Fitnessräumen und einigen Souvenirgeschäften vorbei.
„Komm schon Kim, ich will unbedingt der bordeigenen Boutique einen ersten Besuch abstatten“, quengelte Tandorina wie ein kleines Kind, das ein Eis wollte. Dass dieser Besuch eine bleibende Erinnerung werden sollte, über die wir - auch Monate später - immer wieder lachen mussten, wussten wir da natürlich noch nicht. In ihrem Eifer, mich für diese Idee zu begeistern, packte sie meinen Arm und zog mich hinter sich her in Richtung des Geschäftes. Sie blickte gerade zu mir nach hinten, als sie mit ihrem Fuß die Lichtschranke in der Nähe des Eingangs auslöste. Noch bevor sie sich wieder ganz umgedreht hatte, erschien ihr eigenes Spiegelbild als Hologramm, das uns freundlich begrüßte und uns bat, doch einzutreten. Der einzige Unterschied zu ihr selbst war, dass das Hologramm in das neueste, modische Outfit gehüllt war und freundlich lächelte, während Tandorina vor Schreck einen Schritt rückwärts machte und ich so prompt mit ihr zusammenstieß.
„Du lieber Himmel! In was für einen Fummel haben mich die denn da gesteckt - das geht ja gar nicht“, war ihr entrüsteter Kommentar.
Ich weiß nicht, was mich mehr amüsierte, ihr erschreckter bis entsetzter Gesichtsausdruck oder das wirklich gewöhnungsbedürftige Klamottenarrangement, das der Computer für sie ausgesucht hatte. „Also ich finde ja, grün steht dir ausgezeichnet Tandorina“, prustete ich los, nachdem ich wieder sicher auf meinen beiden Beinen stand.
„Na warte - du bist mir ja eine schöne, neue Freundin. Auf dem Rückweg gehst du vor Kim und dann wollen wir mal sehen, wer von uns beiden am Ende das schlimmere Outfit angezogen bekommen hat.“
Damit hatte sich der Boutique-Besuch für heute dann auch erledigt und wir gingen lachend weiter. Wobei dieser Mode-Check ein beliebtes Spiel zwischen uns beiden wurde und wir uns gerne abwechselnd im Vorbeigehen neu einkleiden ließen, jedoch ohne jemals etwas dort zu kaufen. Denn auch wenn das Ganze ein großer Spaß war, so konnten wir uns lustigerweise während der ganzen Reisezeit nicht ein einziges Mal wirklich mit den vorgeschlagenen Klamotten anfreunden. Irgendwie deckte sich unsere Vorstellung von modischem Chic so gar nicht mit der des Boutique-Inhabers. Wodurch sich meine Reisekosten glücklicherweise in einem sehr überschaubaren Rahmen bewegten.
Es gab jedoch noch weitaus mehr zu entdecken, wie wir feststellten. So wie diese ganz speziellen Bereiche, die man nur in wirklich großen Transportschiffen fand. Wir waren inzwischen bis zur so genannten Ruhezone vorgedrungen.
„Lass uns mal sehen, was sich hinter diesem Begriff tatsächlich verbirgt - das klingt irgendwie interessant“, bat ich meine Begleitung. „Dieser Bereich scheint für Passagiere gedacht zu sein, die unter der Raumkrankheit leiden oder es aus persönlichen bzw. auch aus glaubenstechnischen Gründen bevorzugen, ruhend von A nach B zu kommen. Scheinbar kann man es sich hier in besonderen Schlafkabinen bequem machen. Dazu muss man sich vor dem Abflug lediglich in eine solche Kabine hineinstellen und sich eine kleine Injektion verabreichen lassen. Diese versetzt einen dann augenblicklich in eine Art Tiefschlaf, der erst am Zielpunkt endet - wie praktisch. Dieses Basisangebot ist auf Wunsch aber sogar noch ausbaufähig“, zitierte ich den Info-Bildschirm am Eingang.
„Was meinst du damit genau?“, fragte Tandorina denn dann auch prompt.
„Moment, ich muss selbst auch erst weiterlesen“, antwortete ich lachend. „Wenn ich das nur vorher gewusst hätte! Du kannst auch noch einen Wellnessaufenthalt aus deinem Flug machen. Die bieten hier noch eine Art Schönheitsschlaf an, bei dem man sich sozusagen im Schlaf auch gleich noch aufhübschen lassen kann oder sich von lästigen Merkmalen der eigenen Rasse - wie zum Beispiel langen Fühlern oder Ähnlichem - befreien lassen kann. Dazu ist offenbar jede dieser Schlafkabinen mit einem computergesteuerten Operationsprogramm ausgestattet, das fast alle erdenklichen OPs automatisch ausführen können soll. Natürlich gegen einen entsprechenden Aufpreis auf den Reisepreis.“
„Das haben wir beide doch gar nicht nötig“, protestierte Tandorina. „Wer schöner ist wie wir, der ist geschminkt“, war ich lachender Nachsatz und so ging es fröhlich weiter zum deutlich günstigeren Angebot der fliegenden Händler, die immer mal wieder auf unserer Flugroute zu- und ausstiegen, wie wir später feststellten.
Heute im Angebot: „Treten Sie näher meine Damen - unsere mobilen Therapieduschen sorgen binnen weniger Minuten für eine Hautaufhellung oder eine temporäre Vergrößerung oder Verkleinerung bestimmter Körperpartien. Die Wirkung hält 36 Stunden lang an. So können Sie ganz problemlos ausprobieren, ob Ihnen das Ergebnis auch wirklich gefällt, bevor Sie sich einer OP unterziehen. Auch für ein kurzfristig anberaumtes Date eignen sich unsere Therapieduschen bestens - probieren Sie es doch gleich einmal aus.“
„Sorry, aber wir sind heute leider nicht mehr verabredet“, unterbrachen wir den wortgewaltigen Redeschwall des Verkäufers und zogen lachend von dannen.
Das war ein wirklich interessanter Ausflug durch die verschiedenen Zerstreuungsmöglichkeiten an Bord gewesen und trotzdem waren wir nach all den bunten und teilweise auch recht laut angepriesenen Angeboten froh, endlich in der Ruhe der Bord-Bibliothek angekommen zu sein.
„Was für eine herrlich entspannte Atmosphäre hier schon beim Eintreten herrscht“, flüsterte ich leise.
„Ja, fast unwirklich und sehr erholsam nach dem Krach da draußen“, gab Tandorina genauso leise zurück. „Lass uns einen kleinen Rundgang machen, um uns einen Überblick zu verschaffen und erst bei unserem nächsten Besuch tatsächlich in den echten oder virtuellen Büchern schmökern. Es hat doch sehr viel länger gedauert, hierher zu kommen, wie ursprünglich geplant und wir haben ja auch noch jede Menge Zeit, bis wir in unseren Raumgleiter umsteigen müssen - was meinst du?“
„Du hast recht. Es ist schon ganz schön spät, aber es war auch ein Riesen-Spaß. Trotzdem sollten wir uns zumindest die ausgestellten Bücher kurz ansehen. Das elektronische Angebot können wir sicher auch aus der Kabine durchforsten. Lass uns los - ich bin schon ganz gespannt.“
„So machen wir das“, antwortete Tandorina.
Auch wenn wir zu dieser Stunde die einzigen Besucher hier waren, sprachen wir während unserer ersten Erkundung der Bibliothek nicht mehr viel miteinander. Weil dies einfach die friedliche und geistvolle Stimmung dieses Ortes gestört hätte, die man gerade auf einem so quirligen Raumschiff nicht erwarten würde und deshalb als ganz besonders angenehm empfand. Wobei wir beide bemüht waren, diese wohltuende Ruhe nicht durch reden zu stören, sondern einfach nur still zu genießen. Ohne groß darüber sprechen zu müssen, empfanden wir dies beide als einen wirklich schönen Ausklang unseres ersten Abends auf der Poseidon.
„Das war eine tolle Idee, die wir unbedingt wiederholen sollten Kim - natürlich nur, wenn du Lust dazu hast“, erklärte Tandorina, als wir die Bibliothek schließlich verließen.
„Ich habe diesen Ausflug in den Bauch des Schiffes mit dir zusammen ebenfalls sehr genossen und besonders die letzte Stunde inmitten der Bücher“, antwortete ich.
„Lass uns einfach die Tage nochmal treffen und dann vielleicht ja auch den Holo-Suiten auf Deck 17 einen Besuch abstatten. In deren virtuellen Welten kann man in ganz verschiedene Lebensräume eintauchen und die Abläufe der Geschichten - ganz nach den persönlichen Vorlieben - frei festlegen. Wodurch sich fast jedes gewünschte Szenario äußerst realistisch darstellen und erleben lässt. Das macht bestimmt zu zweit auch viel mehr Spaß als alleine. Außerdem ist so eine Scheinwelt, die jemand anderer erschaffen hat, bestimmt ganz besonders spannend und sorgt für Abwechslung. Nicht dass uns die Alltagsroutine auf dem Schiff noch erdrückt oder das Heimweh zu groß wird“, zwinkerte ich ihr zu - bevor wir uns für heute verabschiedeten.
„Sehr gerne Kim. Ich freue mich schon darauf - verlaufe dich nicht auf dem Weg zu deiner Kabine und träum etwas Hübsches. Gute Nacht.“
„Dir auch eine gute Nacht und süße Träume.“