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MUSONIUS RUFUS

DIE KUNST, TROTZ MÜHSAL GUT ZU LEBEN

DIE LEHREN EINES RÖMISCHEN STOIKERS

DIE KUNST, TROTZ MÜHSAL GUT ZU LEBEN

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DIE LEHREN EINES RÖMISCHEN STOIKERS

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MUSONIUS RUFUS

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie. Detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Für Fragen und Anregungen:

info@finanzbuchverlag.de

1. Auflage 2022

© 2022 by FinanzBuch Verlag, ein Imprint der Münchner Verlagsgruppe GmbH

Türkenstraße 89

80799 München

Tel.: 089 651285-0

Fax: 089 652096

Die englische Originalausgabe erschien 2020 unter dem Titel That One Should Disdain Hardships. The teachings of a Roman Stoic bei Yale University Press, ursprünglich veröffentlicht 1947 in den Yale Classical Studies Band 10 bei Yale University Press. © 2020 by Yale University. All rights reserved.

Hinweis zur vorliegenden deutschen Ausgabe

Dies ist eine Übersetzung des englischsprachigen Werkes That One Should Disdain Hardships, erschienen bei Yale University Press (2020). Es wurde darauf geachtet, dass der deutsche Text für heutige Leser verständlich und gut lesbar ist. Der Wortlaut kann daher von anderen deutschen Übersetzungen abweichen.

Alle Rechte, insbesondere das Recht der Vervielfältigung und Verbreitung sowie der Übersetzung, vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotokopie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme gespeichert, verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.

Übersetzung: Kerstin Brömer

Redaktion: Anne Büntig-Blietzsch

Korrektorat: Caroline Kazianka

Umschlaggestaltung: Marc-Torben Fischer

Satz: Röser MEDIA GmbH & Co. KG, Karlsruhe

eBook: ePUBoo.com

ISBN Print 978-3-95972-497-5

ISBN E-Book (PDF) 978-3-96092-942-0

ISBN E-Book (EPUB, Mobi) 978-3-96092-943-7

Weitere Informationen zum Verlag finden Sie unter

www.finanzbuchverlag.de

Beachten Sie auch unsere weiteren Verlage unter www.m-vg.de

Inhalt

Einführung von Gretchen Reydams-Schils

Die Kunst, trotz Mühsal gut zu leben

1. Warum es nicht nötig ist, viele Belege für ein Problem zu liefern

2. Warum der Mensch mit einer Neigung zur Tugend geborenwird

3. Warum auch Frauen Philosophie studieren sollten

4. Sollten Töchter die gleiche Erziehung erhalten wie Söhne?

5. Was ist wirksamer, Theorie oder Praxis?

6. Über das Üben

7. Warum wir Mühsal verachten sollten

8. Warum auch Könige Philosophie studieren sollten

9. Warum Verbannung kein Übel ist

10. Sollte der Philosoph jemanden wegen Beleidigung verklagen?

11. Wie der Philosoph seinen Lebensunterhalt verdienen sollte

12. Über das Sexualleben

13. Was ist der Hauptzweck der Ehe?

14. Ist die Ehe ein Hindernis für das Philosophieren?

15. Sollte man alle Kinder, die geboren werden, großziehen?

16. Muss man seinen Eltern unter allen Umständen gehorchen?

17. Was ist die beste Wegzehrung für das Alter?

18. Über die Ernährung

19. Über Kleidung und Obdach

20. Über die Einrichtungsgegenstände

21. Über den Haarschnitt

22.–53. Fragmente

Literatur

Literatur-Empfehlungen

Einführung von Gretchen Reydams-Schils

Der stoische Philosoph Musonius Rufus war einer der einflussreichsten Lehrer seiner Zeit – der römischen Kaiserzeit – und seine Botschaft ist noch heute verblüffend aktuell. Er zeichnete sich dadurch aus, dass er die damals üblichen Erwartungen und Werte auf ruhige Art infrage stellte. In seinen Texten lässt er hier und da einen trockenen Humor erkennen, zudem versteht er es, das Innerste des Lesers zu erreichen, und zwar nicht dadurch, dass er Gift und Galle spuckt wie die Straßenprediger, sondern indem er zum Beispiel fragt, warum wir für alles Mögliche so viel Mühe aufwenden, nur nicht dafür, zu lernen, wie man gut lebt. »Akrobaten«, so sagt er, »stellen sich ohne Bedenken ihren schwierigen Übungen und riskieren dabei ihr Leben. Sie schlagen Salti über nach oben gerichtete Schwerter oder balancieren in großer Höhe über ein Seil oder fliegen wie Vögel durch die Luft, wobei ein einziger Fehler den Tod nach sich zieht, und das alles für einen erbärmlich geringen Lohn.« Er fährt fort: »Und da sollten wir nicht bereit sein, um des vollkommenen Glücks willen Mühsal zu ertragen?« (Siehe Kapitel »Warum wir Mühsal verachten sollten«.)

Die stoischen Ansichten darüber, was gut ist oder was Glück bedeutet, stellen unser übliches Wertesystem allerdings auf den Kopf. Diese Art des Guten mag uns recht fremd vorkommen, so, wie es wahrscheinlich auch für viele Menschen zu Musonius Rufus’ Zeiten der Fall war, sofern sie nicht zuvor mit Philosophie oder Stoizismus in Berührung gekommen waren. Aber wenn wir uns des Verdachts nicht erwehren können, dass wir in unserem Alltag selbst zu Akrobaten geworden sind – so, wie zu Musonius Rufus’ Zeiten ein Fehltritt in der spannungsgeladenen Atmosphäre eines römischen Kaiserhofes den Tod bedeuten konnte –, dann lohnt es sich vielleicht, sich seine Worte zu Gemüte zu führen und über sie nachzudenken, denn es geht um nichts Geringeres als um Glück.

Musonius Rufus wurde um das Jahr 30 n. Chr. in Volsinii, dem heutigen Bolsena in Italien, in eine Familie hineingeboren, die zum Ritterstand gehörte. Er unterrichtete oder beeinflusste viele hochrangige Römer seiner Zeit wie beispielsweise den Stoiker Epiktet und den Redner Dion Chrysostomos. Sogar der Christ Origenes bescheinigt in seiner Schrift Contra Celsum Musonius Rufus ein hohes Ansehen. Als Vertreter derjenigen, die das beste Leben geführt haben, nennt Origenes Herakles, Odysseus, Sokrates und »unter denen, die erst vor Kurzem gelebt haben«, Musonius Rufus. In einem Atemzug mit Sokrates genannt zu werden, war in der Antike das höchste Lob, das man sich verdienen konnte. Man schätzte die Philosophen nicht nur wegen ihrer Ansichten, sondern auch und vor allem wegen des vorbildlichen Lebens, das die Besten von ihnen führten. Es ist bezeichnend, dass Musonius Rufus in einer Reihe mit mythischen Helden wie Herakles und Odysseus genannt wird (die ihrerseits von den Philosophen, insbesondere den Kynikern und Stoikern, oft als Vorbilder benutzt wurden).

Musonius Rufus scheint nur wenig Schriftliches hinterlassen zu haben, wenn überhaupt etwas. Die Quellen lassen sich grob in zwei Kategorien einteilen: Zum einen sind sie eine Reihe von (manchmal gekürzten) Vorlesungen – auch Lehrgespräche genannt–, die vermeintlich von einem gewissen Lucius aufgezeichnet wurden, zum anderen bestehen sie aus Fragmenten und Zitaten, die in den Werken anderer Autoren erhalten geblieben sind, von denen die Fragmente, die Epiktet zugeschrieben werden, besonders wertvoll sind, weil er ebenfalls zu den Stoikern zählt und Musonius Rufus einer seiner Lehrer war. Da die Zugehörigkeit zu den Stoikern in dieser Zeit bestimmte Verhaltensweisen voraussetzte, sind auch die biografischen Anekdoten über Musonius Rufus von Bedeutung. Diese Erzählungen sollen seine Rolle als Philosoph widerspiegeln und sie helfen uns, zu verstehen, warum Musonius Rufus einen solchen Eindruck auf seine Zeitgenossen machte und weshalb er eine so bemerkenswerte Persönlichkeit war.

Musonius Rufus als Stoiker

Musonius Rufus weist die gleichen wesentlichen Merkmale auf wie andere Stoiker der römischen Kaiserzeit, beispielsweise Seneca, Epiktet und Mark Aurel. Sie alle neigen dazu, die Bedeutung der eher formalen Aspekte der Philosophie herunterzuspielen und dafür die Ethik stärker zu betonen, genauer gesagt, den ethischen Aspekt des Handelns, der sich in allen Bereichen des Lebens zeigt. Diese Botschaft eines vorbildlichen Verhaltens und einer vorbildlichen Einstellung haben sie von Sokrates und den Kynikern übernommen, von Letzteren jedoch in einer weich gespülten und vielleicht weniger unterhaltsamen Version. So unterlassen sie es im Gegensatz zu den Kynikern, in der Öffentlichkeit zu urinieren, zu masturbieren oder zu kopulieren. Die späteren Stoiker schreiben außerdem Lehrern deutlich weniger Autorität zu. Das betrifft sowohl die Stoiker der früheren hellenistischen Ära (des antiken Griechenlands) als auch sie selbst. Stattdessen betonen sie die unverzichtbare moralische Verantwortung des Einzelnen. Das bloße Erlernen philosophischer Lehren und das Anhören von Vorträgen, so sagen sie, wird uns nichts nützen, wenn wir es nicht schaffen, die Lehren zu verinnerlichen und sie im Alltag anzuwenden.

Am stärksten ist diese stoische Ausrichtung auf den ethischen Aspekt des Handelns in den Ansichten zu finden, die Musonius Rufus zugeschrieben werden. Für ihn ist »Philosophie nichts anderes, als mithilfe der Vernunft zu ergründen, was richtig und angemessen ist, und es durch Taten in die Praxis umzusetzen« (siehe Kapitel »Ist die Ehe ein Hindernis für das Philosophieren?«).1 Er führt diese Behauptung weiter aus, indem er die ideale Beziehung zwischen Lehrer und Schüler in ein landwirtschaftliches Umfeld setzt und die Landwirtschaft oder das Schafehüten als beste Lebensweise für einen Philosophen empfiehlt, der wie jeder andere auch mit seinen eigenen Händen arbeiten sollte.2 Wenn neben der Arbeit genügend Muße zum Studium und zur Diskussion bleibe, so Musonius, entstehe eine optimale Wechselwirkung, weil der Lehrer zugleich als Vorbild diene, indem er seine Prinzipien in die Tat umsetze und in seiner Art zu leben Tugendhaftigkeit beweise. Römische soziokulturelle Eliten liebäugelten gelegentlich mit dieser Version des einfachen Lebens und der pastoralen Idylle (nicht unähnlich den Wohlhabenden von heute, möchte man hinzufügen), aber Musonius Rufus empfiehlt nichts Geringeres, als ihren Lebensstil völlig umzukrempeln. Er unterstreicht die Bedeutung des Aneignens von Gewohnheiten und verordnet zwei Arten von Übungen, eine für die Seele allein, die andere für Seele und Körper zusammen.

Schon die Art und Weise, in der die Vorlesungen schriftlich aufgezeichnet wurden, spiegelt Musonius Rufus’ Fokus auf die Praxis des philosophischen Lebens wider. Zudem scheint ihre Ausgestaltung, auch im Hinblick auf die Begrifflichkeiten, an Xenophons Berichte über Sokrates angelehnt zu sein. Viele der Lehrgespräche sind rund um ein einfaches Schema der vier Kardinaltugenden – Weisheit, Gerechtigkeit, Tapferkeit und Mäßigung – aufgebaut. Die Schilderungen sind von einer trügerischen Schlichtheit. Es wäre ein Fehler, aus dieser Art der Darstellung zu schließen, dass dies alles wäre, was Musonius Rufus’ Lehre ausmacht.3 Stellen Sie sich vor, wie begrenzt unser Verständnis von Sokrates wäre, wenn wir nur Xenophons Bericht hätten und nicht auch den von Platon! Die Gattung der Aussprüche, die Musonius Rufus zugeschrieben werden, lässt noch weniger Raum für Hinweise auf die philosophische Lehre. Wie bei Epiktet spiegeln die aufgezeichneten Vorlesungen nur einen Teil von Musonius Rufus’ Lehrtätigkeit wider. Doch selbst innerhalb der literarischen Konventionen und Beschränkungen dieses Rahmens können wir eindeutig kurze Verweise auf die wichtigsten stoischen Lehren erkennen, auch wenn diese nicht mit allen Implikationen dargelegt werden. So erhalten wir zum Beispiel im ersten der Lehrgespräche einen Einblick in den Wert, den Musonius Rufus der Logik beimisst. In dieser Vorlesung empfiehlt er, dass Lehrer die logischen Beweise, die sie verwenden, an die Begabung des jeweiligen Schülers anpassen.

Er nennt einige Beispiele für Beweise, um das wahrhaft Gute vom scheinbar Guten und das wahrhaft Böse vom scheinbar Bösen zu unterscheiden. Diese führen sein Publikum gleich implizit zu dem Grundsatz, für den die Stoiker am berühmtesten (oder berüchtigtsten) gewesen sein mögen – nämlich, dass die Tugend in Form der vollkommenen Vernunft als das einzig Gute und das Laster als das einzig Böse gilt und dass daher die meisten Dinge, für die sich die Menschen aufreiben, streng genommen nicht zum Guten zählen. Körperliches Wohlbefinden sei zwar im Großen und Ganzen besser als körperliche Beeinträchtigung, auch sei Nahrung dem Hungertod vorzuziehen, aber wenn die Umstände es erforderten, dass wir zum Beispiel unser Leben für unsere Freunde oder unser Land opfern, dann sollten wir in der Lage sein, auf körperliche Selbsterhaltung und Nahrung zu verzichten.

Im Fragment 38 von Musonius Rufus geht es um die Unterscheidung zwischen dem, was »in unserer Macht liegt«, und dem, was »nicht in unserer Macht liegt«, zusammen mit der essenziellen Behauptung, dass nur unsere Urteile (die Art und Weise, wie wir unser logisches Denkvermögen anwenden) wirklich uns gehören. Dieselbe Unterscheidung liegt folgender Behauptung zugrunde: »Wir studieren die Philosophie doch nicht mit unseren Händen oder Füßen oder irgendeinem anderen Teil des Körpers, sondern mit der Seele und von dieser mit einem sehr kleinen Teil, den wir die Vernunft nennen können. Diesem hat Gott den sichersten Platz zugewiesen, damit er unsichtbar und unantastbar ist, frei von jedem äußeren Zwang, und sich nur seiner eigenen Kraft bedient« (siehe Kapitel »Muss man seinen Eltern unter allen Umständen gehorchen?«).

An diesem Punkt sind die Übungen in Logik, die Musonius Rufus empfiehlt, unverzichtbar: Wir sollten unsere Vernunft schulen, um zwischen dem scheinbar Guten und dem wahrhaft Guten, zwischen dem scheinbar Bösen und dem wahrhaft Bösen unterscheiden zu können. Das wahrhaft Gute – die vollkommene Vernunft – ist von Natur aus beständig, weil es nicht von äußeren Umständen beeinflusst wird, und es liegt in unserer Macht, weil wir die Kontrolle darüber besitzen, wie wir unser Denkvermögen einsetzen und unsere Urteile bilden. Unsere Begierden und Abneigungen sollten sich an diesen Erkenntnissen ausrichten. Dies ist das Ziel der Übungen für die Seele, die Musonius Rufus empfiehlt, und diesen Ansatz verfolgte nach ihm auch Epiktet. Stoiker wie Musonius Rufus und Epiktet vertreten die Ansicht, dass die Ursache unserer Sorgen nicht in den Dingen selbst und den Menschen, von denen wir umgeben sind, liegt, sondern in unseren eigenen Urteilen und in der Art und Weise, wie wir auf Herausforderungen reagieren.

Indem der Mensch sein Denk- und Urteilsvermögen perfektioniert, ahmt er das Göttliche nach.4 Gemäß der stoischen Auffassung vom Göttlichen besitzt Gott – als das Naturgesetz, das für die Ordnung des gesamten Universums verantwortlich ist – die Tugenden, die der Mensch anstrebt. Der Zustand göttlicher Vollkommenheit äußert sich in der Fürsorge für das Universum und in der Wohltätigkeit und Liebe zu den Menschen, sodass diejenigen, die göttliche Vollkommenheit anstreben, auch diese Merkmale des Göttlichen nachahmen müssen – das heißt, ein göttliches Handeln, das nicht nur auf seine eigene Vollkommenheit ausgerichtet ist, sondern die Ordnung der gesamten Wirklichkeit zum Ziel hat. Für die Stoiker und Musonius Rufus sind die Menschen grundsätzlich Teil eines größeren Ganzen, das aus einer von der Vorsehung geordneten Welt besteht, und diese Ordnung schließt das Gefüge der sozialen Beziehungen ein.

In welcher Beziehung steht Musonius Rufus zu anderen Stoikern? Er war der Lehrer von Epiktet, und die Parallelen zwischen diesen beiden Stoikern beschränken sich nicht auf die Fälle, in denen Epiktet Musonius Rufus erwähnt. Musonius Rufus’ Auffassung von der Ehe weist starke Ähnlichkeiten mit derjenigen der weniger bekannten Stoiker Antipatros von Tarsos (gestorben 130/129 v. Chr.) und Hierokles (zweites Jahrhundert n. Chr.) auf, obwohl er Ersteren nicht nennt und Hierokles ihn nicht erwähnt. Seine Beziehung zu den Begründern des Stoizismus, Zenon, Kleanthes und Chrysipp, scheint schwach ausgeprägt zu sein. Aber angesichts der Einschränkungen, die mit unseren Quellen einhergehen, können wir aus der spärlichen Erwähnung von Musonius Rufus’ Vorgängern keine allzu sicheren Schlussfolgerungen ziehen.

Von den frühen Stoikern scheint Kleanthes den größten Einfluss auf Musonius Rufus ausgeübt zu haben. Rufus’ Vorstellung vom Menschen als Abbild Gottes geht mindestens bis zu Kleanthes’ »Hymne an Zeus« zurück. Musonius Rufus erwähnt ihn namentlich in einer Anekdote, in der ein Junge aus Sparta Kleanthes fragt, ob schwere Arbeit nicht vielleicht doch ein hohes Gut sei. Seine Antwort lautet: »Nein, nicht die Arbeit als solche«, aber ein Mensch, der keine Angst davor habe, schwer zu arbeiten, sei dem tugendhaften Leben näher, vermutlich, weil er oder sie keine falsche Form der Bindung an materiellen Komfort entwickele. Kleanthes war für seine körperliche Ausdauer bekannt. Er soll ursprünglich ein Boxer gewesen sein, und während er bei Zenon studierte, verdiente er sich seinen Lebensunterhalt abends als Wasserträger. Selbst als er Zenon als Leiter der stoischen Schule abgelöst hatte, fuhr er damit fort, sich sein Auskommen durch körperliche Arbeit zu verdienen. Kleanthes könnte ein Vorbild für Musonius Rufus gewesen sein, und zwar sowohl in Bezug auf die Ansichten, die er vertrat – zum Beispiel über das Göttliche –, als auch in Bezug auf die Art, wie er lebte. Musonius Rufus bezieht sich auch zweimal auf Zenon, den ersten Stoiker.5 Angesichts dessen, wie viel Wert Musonius Rufus auf die Ethik beim Handeln legt, überrascht es, so weit wir das beurteilen können, vielleicht nicht, dass er Chrysipp nicht erwähnt. In unserem heutigen Kontext wird Chrysipp oft als der bedeutendste Stoiker angesehen, weil er als der scharfsinnigste gilt, aber diese Ansicht wurde in der Antike nicht von allen geteilt.

Über Frauen, Ehe und Geselligkeit